Offener Brief an Alexander Van der Bellen

 

 

                                                                                              Wien, 9.10.2002

 

Sehr geehrter Herr Bundessprecher,

lieber Alexander,

 

ich habe lange gezögert, in welcher Form ich meiner Empörung und Ablehnung Deiner jüngsten Äußerungen zu Antisemitismus und Israelkritik Ausdruck verleihen soll. Auch auf die Gefahr hin, von bestimmten Seiten leider wieder einmal bewußt oder unbewußt mißverstanden zu werden, oder gar Beifall von der völlig falschen Seite zu bekommen, habe ich mich dennoch zu der Form des offenen Briefes entschlossen. Dies vor allem deshalb, weil Deine Stellungnahme keinen einmaligen lapsus linquae darstellt sondern in meinen Augen einer wohlfundierten und gut überlegten Position entspricht, was sich ja anhand früherer Auftritte und Stellungnahmen Deinerseits unschwer belegen läßt. Ich bedaure auch, daß die ganze Angelegenheit aus wahltaktischen Überlegungen zu einer völlig emotionalisierten und aufgebauschten Debatte geführt hat.

 

Ich möchte mir daher erlauben, einige Deiner Aussagen wie folgt zu kommentieren:

 

1.                  Zum Anlaßfall

Es ist zweifellos Angelegenheit einer politischen Partei, in welcher Form sie ihr nahe stehende Persönlichkeiten (und darum handelt es sich bei Felicia Langer zweifellos) einlädt und zu Wort kommen läßt. "Ausgewogenheit" ist halt so eine Sache. Aber zu einer ausgewogenen Diskussion bedarf es auch der Gesprächspartner und einer gewissen in unseren Breiten üblichen Gesprächskultur. Dazu zwei Anmerkungen: Seit geraumer Zeit verweigert die israelische Botschaft und ihr nahe stehende Kreise in Wien den Dialog. Dies ging bereits soweit, daß man es ablehnte mit dem sozialdemokratischen EU-Abgeordneten Hannes Swoboda bei einer öffentlichen Veranstaltung zu diskutieren. Bezüglich Gesprächskultur solltest Du Dich bei Ulrike Lunacek genauer über den Ablauf der "skandalisierten" Veranstaltung informieren. Diese ist nämlich von Anbeginn an von Befürwortern der israelischen Politik gestört worden, weshalb sie dann auch schließlich abgebrochen werden musste. Ich finde es daher unverständlich und einigermaßen skandalös, wenn Du nun für jene Partei ergreifst, welche den Dialog mehr oder minder grundsätzlich verweigern und zudem Veranstaltungen stören und sprengen.

 

2.                  Zur aktuellen politischen Lage

Es ist sicherlich ein zeitlicher Zufall, daß die mediale Empörung über den vermeintlichen Antisemitismus mancher Grüner gerade zu einer Zeit hochgespielt wird, da die Welt vor Abscheu und Empörung die Verbrechen der israelischen Armee in Gaza verurteilt. Die Verurteilung der Grünen und ihres Spitzenkandidaten des dreizehnfachen Mordes von Khan Younis ist sicherlich meiner Aufmerksamkeit entgangen. Ebenso habe ich sicherlich Eure Verurteilungen der Verhinderung der Öffnung zahlreicher Schulen und Universitäten in Palästina übersehen (da gab es erst vor wenigen Tagen einen ganz massiven Protest der UNICEF!), ganz zu schweigen von den Aufrufen der österreichischen Grünen, der Menschenjagd auf den immerhin demokratisch gewählten Präsidenten der Palästinensischen Autonomieverwaltung Einhalt zu gebieten. - Sorry für meinen Zynismus, aber angesichts der Situation in Palästina und der seit Jahrzehnten praktizierten Politik der Doppelmoral fehlt mir leider die abgeklärte Distanz.

 

3.                  Zu Israelkritik und Antisemitismus

Ich teile daher auch nicht Deine Meinung, wonach man jeder "Kritik an der Regierung Sharon hundertmal vorausschicken soll, in welchem Kontext sie passiert" (Zitat Standard 9.10.). Ich will nicht verhehlen, daß auch mir manche Kritik an Israel zuwider ist und ich gewisse Untertöne ablehne. Dies kann aber doch nicht soweit führen, daß nahezu jegliche Kritik mit dem Hinweis auf das Gebot der Ausgewogenheit unmöglich gemacht wird. Daß dies Israellobbyisten wie der Präsident der Kultusgemeinde wollen, verstehe ich noch, daß aber eine politische Bewegung, die vorgibt, Werte wie Menschenrechte, nationale Selbstbestimmung etc. hoch zu halten, dies ähnlich sieht, überrascht doch einigermaßen. Es wäre eine lohnende Aufgabe, sich einmal näher die Ideologie und politische Pragmatik von Sharon und die ihn wesentlich tragenden gesellschaftlichen Kräfte in Israel näher anzusehen, um zu wissen, in welchem Boot man sich befindet. Vielleicht akzeptierst auch Du dann die Berechtigung, diese Regierung und ihre auf konsequente Entrechtung und Vertreibung des palästinensischen Volkes ausgerichtete Politik ohne große Wenn und Aber verurteilen zu dürfen.

 

Ich bekenne mich abschließend zu der besonderen politischen Verpflichtung europäischer Demokraten, verbrecherischen Torheiten wie Antisemitismus und Rassismus in welcher Form auch immer vehement entgegenzutreten. Dies muß meiner Meinung nach aber auch selbstverständlich das Recht, ja die Pflicht, miteinschließen, die inhumane und völkerrechtswidrige Besatzungspolitik Israels aufzuzeigen und zu bekämpfen. Andernfalls müßte man sich mit einer gewissen Berechtigung den Vorwurf der selektiven Wahrnehmung sowie der indirekten politischen Mitverantwortung an der israelischen Unterdrückungs- und Vertreibungspolitik gefallen lassen.

 

 

Mit freundlichen Grüßen

Fritz Edlinger

Generalsekretär

Gesellschaft für Österreichisch-Arabische Beziehungen