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Bismillah
Menschliche
Freiheit und Verantwortung
Imam Al Ghazzali -
aus:
"SOME MORAL and RELIGIOUS TEACHINGS of AL - GHAZZALI"
by SYED NAWAB ALI
Published by:
SH. MUHAMMAD
ASHRAF, Pakistan
Übersetzer:
Muhammad M. HANEL
Handlungen sind entweder
freiwillig oder unfreiwillig. Der Unterschied zwischen beiden besteht nicht
in der Art sondern im Grad. Untersuche einmal den Ablauf einer unfreiwilligen
Handlung und du wirst feststellen, dass, wenn jemand versucht, dir eine Nadel
ins Auge zu stechen oder dich mit einem Schwert einen Kopf kürzer zu machen,
sich im ersten Fall dein Auge (automatisch) schließen wird und im zweiten
Fall, deine Hände hochfahren werden, um deinen Kopf zu schützen. Dieses
prompte Handeln, die Reaktionen deines Auges oder deiner Hände geschehen aus
dem Bewusstsein des Schadens, welchem du zu entgehen versuchst und dieses
bedingt die Willensanstrengung das Auge unverzüglich zu schließen, bzw. die
Hände noch oben zu fahren.
Es gibt also Fälle
wünschenswerter Abwehr, die zwar der Überlegung bedürfen, und doch
entscheidet der Verstand im unmittelbaren Moment das Handeln, und diese
Entscheidung wird, wie im obigen Fall, ohne geringstes Zögern umgesetzt.
Dieses Überlegen, welches
die Wahl zwischen Handeln oder Nichthandeln bestimmt, begründet den Willen.
Dieser Wille trifft die Wahl zwischen zwei Alternativen und lässt sich
entweder von der Phantasie oder der Vernunft beraten. Zum Beispiel schafft
ein Mensch es nicht, sich selbst die Kehle durchzuschneiden und dies aber nicht,
weil er zu schwach oder kein Messer zur Hand wäre, sondern weil sein Wille zu
schwach ist, um den Impuls zum Selbstmord zu liefern. Denn der Mensch liebt
sein eigenes Leben. Doch nehmen wir an, der Mensch wird wegen unerträglicher
körperlicher Schmerzen oder psychischem Leids seines Lebens müde – so
hat er nun zwischen zwei unerwünschten Alternativen zu entscheiden. Ein Kampf
beginnt und er schwebt zwischen Leben und Tod. Wenn er glaubt, dass der Tod,
welcher seinen Leiden ein schnelles Ende bereiten wird, dem Leben vorzuziehen
ist, welches seine unerträglichen Schmerzen doch nur verlängert, wird er den
Tod wählen, obwohl er das Leben liebt. Diese getroffene Wahl aktiviert den
Willen, dessen Befehle, wenn durch die entsprechenden Kanäle kommuniziert,
getreulich von seinen Händen ausgeführt werden und ihn Selbstmord begehen
lassen. So ist, obgleich der Prozess vom Beginn des mentalen Konfliktes
aufgrund der Entscheidung zwischen zwei Alternativen, bis hin zum Impuls zur
physischen Handlung gleichsam (vor)bestimmt, determiniert abläuft, doch eine
gewisse Form der Freiheit im Willen zu finden.
Der Mensch befindet sich im
Gleichgewicht zwischen Bestimmung und Freiheit. Der gleichförmige Ablauf von
Geschehnissen liegt auf der Linie der Bestimmung, doch die Wahl, welche ein
wesentlicher Bestandteil des Willens ist, ist die seine. Unsere Ulema hat daher einen eigenen Ausdruck
geprägt: Kasb (Erwerb, Aneignung,
Übernahme) im Unterschied zu Jabr
(Notwendigkeit, Zwang, Muss). Sie sagen, dass Feuer notwendigerweise (Jabr) brennt, doch der Mensch in der
Lage ist, sich durch entsprechende Maßnahmen das Feuer anzueignen und in Gott
die erste und letzte Ursache (Ikhtiyar)
für Feuer liegt. Es muss aber beachtet werden, dass wenn wir das Wort Ikhtiyar für Gott verwenden, wir den
Gedanken an Wahl dabei ausschließen, denn diese ist ein wesentliches Merkmal
des menschlichen Willens. Lasst es uns ein für allemal klarstellen, dass es
ein allgemeines Prinzip ist, dass alle Begriffe aus dem menschlichen
Vokabular, wenn sie auf Gott bezogen werden, metaphorisch aufzufassen sind.
Es mag hier die Frage
aufgeworfen werden: Wenn Gott die ultimative (erste und letzte) Ursache ist,
warum sollte dann ein kausaler Zusammenhang im Ablauf von Geschehnissen
bestehen?
Die Antwort liegt im
korrekten Verständnis der Natur der Kausalität.
Nichts bedingt irgendetwas.
Vorgängiges zieht Nachfolgendes, Konsequenzen nach sich. Gott alleine ist (für alles)
ausreichende Ursache, doch die Unwissenden haben dies missverstanden und das
Wort Macht falsch angewandt. Was
die geordnete Abfolge von Ereignissen betrifft, so sollte verstanden werden,
dass zwei aufeinander folgende Ereignisse aneinander gebunden sind wie die
Verbindung des Bedingenden mit dem Bedingten. Nun gibt es Bedingungen welche
ziemlich offensichtlich sind und selbst von Leuten mit geringem Verstand
erkannt werden. Allerdings gibt es auch Bedingungen, welche nur von Menschen
erkannt und verstanden werden, welche sie im Licht der intuitiven Erkenntnis
betrachten: daher irrt die Mehrzahl in der Beurteilung geregelter Abläufe von
Ereignissen.
Es besteht eine göttliche
Absicht in der Verbindung von vorgängigen Ereignissen mit ihren Konsequenzen,
welche sich dann ohne geringste Unterbrechung oder Unregelmäßigkeit in der
erfahrbaren, geordneten Abfolge von Geschehnissen manifestieren. Der
Qur’an sagt: „
„Und
wahrlich Wir erschufen die Himmel und die Erde, und das, was zwischen beiden
ist, nicht zum Zeitvertreib. Wir
erschufen sie nur in gerechter Weise, jedoch die meisten von ihnen wissen es
nicht.“ [44:38-39]
Gewisslich gibt es
festgelegte Absicht und Bestimmung, welche das Universum durchziehen. Der
regelmäßige Ablauf von Geschehnissen geschieht nicht willkürlich. Es gibt so
etwas wie Zufall nicht. Nun mag man
wieder fragen: Wenn Gott die vollkommen ausreichende Ursache ist, was ist
dann von jenen Handlungen zu halten, für welche der Mensch, gemäß den
Schriften, zur Verantwortung gezogen wird? Müssen wir davon ausgehen, dass es
zwei Ursachen für eine Wirkung gibt? Meine Antwort darauf ist, dass der
Begriff Wirkung nur sehr vage
verstanden wird. Er kann auf zwei verschiedene Weisen begriffen werden.
Gerade so, wie wir sagen können, dass der Tod von A durch (1) B, den Henker
und (2) C, des Königs Befehl verursacht wurde.
Beide dieser Feststellungen
sind richtig. Gleicherweise ist Gott der Verursacher der Handlung, denn Er
besitzt die schöpferische Kraft und Fähigkeit. Gleichzeitig ist der Mensch
die Ursache für die Handlung, da er die Grund für die Manifestation
einheitlicher Abfolgen von bestimmten Geschehnissen ist. Im ersten Fall haben
wir eine reale, kausale Verbindung, wohingegen im zweiten Fall die Verbindung
des Vorausgehenden zum Folgenden nach der Art einer Verbindung zwischen der
Bedingung zum Bedingten, der Ursache zum Verursachten besteht. Es gibt
Abschnitte im Qur’an in welchen das Wort Ursache in unterschiedlichen Bedeutungen verwendet wird.
Sprich:
"Der Engel des Todes, der über euch eingesetzt wurde, wird euch
abberufen; dann werdet ihr zu eurem Herrn zurückgebracht." [32:11]
Allah
nimmt die Seelen (der Menschen) zur Zeit ihres Sterbens (zu Sich) … [39:42]
Habt
ihr betrachtet, was ihr aussät? [56:63]
Siehe,
Wir gossen das Wasser in Fülle aus. Alsdann spalteten Wir die Erde in
wunderbarer Weise und ließen Korn in ihr wachsen [80:25-27]
Bekämpft
sie; so wird Allah sie durch eure Hand bestrafen und demütigen und euch gegen
sie helfen und den Herzen eines gläubigen Volkes Heilung bringen; [9:14]
Nicht
ihr habt sie erschlagen, sondern Allah erschlug sie. Und nicht du hast
geschossen, sondern Allah gab den Schuss ab; und prüfen wollte Er die
Gläubigen mit einer schönen Prüfung von Ihm. Wahrlich, Allah ist Allhörend,
Allwissend. [8:17]
Diese Abschnitte zeigen,
dass das Wort Ursache die
schöpferische Macht bezeichnet und nur auf Gott bezogen angewandt werden
kann. Da aber die Macht des Menschen der Abglanz, die Reflexion der
göttlichen Macht ist, wird dieses Wort - auf den Menschen bezogen - nur
bildlich verwendet. Dennoch, auch wenn der Tod eines Verurteilten durch den
wirklich ausgeführten Schwertstreich des Henkers verursacht wird und nicht unmittelbar
durch den Befehl des verurteilenden Königs, wird der Begriff Ursache, auf den Menschen bezogen - im
Gegensatz zur Wirklichkeit - angewandt. Gott alleine ist die wirkliche, umfassende
Ursache und dieser Begriff muss auf Ihn bezogen, in seiner wirklichen und
ursprünglichen Bedeutung - in Hinsicht auf Macht und Vermögen - verwendet
werden.
Nun mag man fragen, warum der
Mensch aufgrund seiner guten Taten belohnt und wegen seiner schlechten
Handlungen bestraft werden sollte.
Wollen wir also zuerst die
Natur von Belohnung und Bestrafung untersuchen. Die Erfahrung lehrt uns, dass
die Dinge natürliche Eigenschaften in sich tragen und die physikalischen
Gesetze in geordneter Art und Weise ablaufen. Nehmen wir zum Beispiel die
Medizin. Bestimmte Wirkstoffe haben bestimmte Auswirkungen. Wenn ein Mensch
aus eigenem Antrieb Gift zu sich nimmt, hat er kein Recht zu fragen, warum
dieses Gift ihn tötet. Die natürlichen Wirkstoffe haben ganz einfach mit
seinem Organismus interagiert und ihn umgebracht. In gleicher Weise
verursachen bestimmte Handlungen bestimmte Eindrücke, hinterlassen bestimmte
Spuren in seinem Gemüt. Gute und schlechte Handlungen ziehen unweigerlich
entweder Freude oder Leid nach sich. Eine gute Tat ist ihre eigene Belohnung
der Freude und eine schlechte als Schmerz. Die erste wirkt wie ein Elixier,
die zweite wie Gift. Diese Eigenschaften, Beschaffenheit der Handlungen
wurden entdeckt, gerade so wie die Entdeckungen in der Medizin, allerdings
von den Ärzten der Herzen, den Heiligen und Propheten. Wenn du nicht auf sie
hören willst, wirst du schon selbst die Konsequenzen spüren. Höre folgendes
Gleichnis:
Ein König sandte einst ein
Pferd, ein Ehrenkleid und eine volle Reisebörse an einen seiner Fürsten in
einer weit entfernten Provinz. Auch wenn der König nicht des Fürsten Dienste
bedurfte, so wollte er ihn durch diese königlichen Gaben dazu bewegen, sich
an des Herrschers Hof zu begeben, um in seiner Gegenwart eine glückliche Zeit
zu verbringen. Wenn der Fürst die Absicht des Königs aus der Art der
Geschenke abzulesen vermochte, sie entsprechend und mit dankbarem Herzen
verwendete, würde er dem König seine Aufwartung machen und in Glück und
Freude leben. Wenn er diese Gaben aber zweckentfremdete und sie missachtete,
erwiese er sich als ein wohl undankbarer Wicht.
Entsprechend ist es die
endlose Gnade des Allmächtigen und Allwissenden Gottes, welche uns das
Geschenk des Lebens verleiht, uns mit einem Körper versieht, mit geistigen
und moralischen Fähigkeiten, welche uns bei deren ordentlichem Einsatz in den
hohen Stand versetzen, in Seine heilige Gegenwart verbracht zu werden. Wenn
wir diese Gaben missbrauchen oder sie gering schätzen – werden wir
gewiss als Kafir (wörtlich:
Undankbare; die Wahrheit bedeckende) und in Verdammnis enden, denn Seine
Gaben wurden uns zu unserem Besten verliehen.
„Wahrlich“, sagt der
Qur’an, „Wir haben den Menschen in bester Form erschaffen. Alsdann
haben Wir ihn in die niedrigste Tiefe zurückgebracht, ausgenommen (davon)
sind diejenigen, die glauben und Gutes tun; ihnen wird ein unverkürzter Lohn
zuteil sein.“ [95:46]
Das
Gleichnis der Feder
Ein Diener Gottes, der auf
dem Weg der Erleuchtung war, fand ein Stück mit schwarzer Tinte beschriebenes
Blatt Papier. „Warum“, so fragte er, „hast du dein helles
Gesicht geschwärzt?“ „Es ist nicht fair, mich dafür
verantwortlich zu machen“ antwortete das Blatt. „Ich hab da gar
nichts gemacht. Frag die Tinte, warum sie sich vom Tintenfass, in welchem sie
zufrieden ruhte, sich aufmachte und mein Gesicht mit aller Gewalt
einschwärzte.“ „Du hast recht“, sagte der Diener Gottes und
wandte sich an die Tinte um sie zu befragen. „Warum fragst du mich?“
sagte sie. „Ich saß ganz ruhig in meinem im Fass und dachte gar nicht
daran daraus hervor zu kommen, doch diese grobe Feder fuhr in mich hinein,
zog mich heraus und verteilte mich über das ganze Blatt. Nun siehst du mich
hilflos daliegen, geh zur Feder und frage sie.“
Der Gottergebene wandte
sich an die Feder und befragte sie ob ihrer Selbstherrlichkeit. „Was
gehst du mir auf die Nerven?“ antwortete die Feder. „Schau mich
an, was bin ich schon anderes als ein unbedeutendes Stück Rohr. Ich wuchs am
Ufer des silbernen Flusses, mitten unter grünen, schattigen Bäumen, als
– plötzlich – sich eine Hand nach mir ausstreckte. Sie hielt ein
Messer, welches mich zuerst entwurzelte, dann meine Glieder abschnitt, meinen
Kopf spaltete und letztlich abhieb. Kopfüber wurde ich in die Tinte gesteckt
und muss nun verächtliche Arbeit verrichten. Füge diesem Unrecht nicht auch
noch Vorwürfe hinzu, wende dich an diese Hand und frage sie.“
Der Ergebene Gottes blickte
auf die Hand und sagte: „Ist das wahr? Bist du so grausam?“
„Sei nicht ungehalten, Herr“, erwiderte die Hand. „Ich bloß
ein Stück Fleisch, Knochen und Blut. Hast du jemals so ein Stück Fleisch aus
sich selbst Kraft ausüben sehen? Kann ein Körper sich von selbst bewegen? Ich
bin bloß ein Werkzeug, benutzt von jemandem, der Lebenskraft genannt wird. Sie
bestimmt über mich, und treibt mich weiter und weiter. Du weißt ja, ein Toter
hat auch Hände, doch kann er sie kein bisschen rühren, denn die Lebenskraft
hat ihn verlassen. Warum sollte ich, die ich doch nur ein Fahrzeug bin,
Vorwurf auf mich nehmen? Geh zur Lebenskraft und frage sie.“ Du hast
Recht“ sprach der Ergebene und befragte die Lebenskraft. „Mach
nicht mir den Vorwurf“ antwortete diese. „Oftmals wurde der
Tadelnde letztendlich selbst gerügt, und der Gerügte ohne Fehl befunden.
Woher weißt du, dass ich es war, der die Hand gezwungen hat? Ich war auch
schon vorhanden, bevor sie sich bewegte und dachte nicht im Geringsten an
eine Bewegung. Ich war gleichsam ohne Bewusstsein und die Zuschauer waren
sich meiner auch nicht bewusst. Doch plötzlich tauchte ein Antreiber, eine
wirksame Kraft auf und reizte mich. Weder hatte ich die Kraft mich ihr zu
widersetzen noch den Wunsch ihr zu gehorchen. Das, was du mir vorwirfst,
hatte ich auf ihren Wunsch hin auszuführen. Ich weiß nicht wer diese
bevollmächtige Kraft ist. Sie wird Wille genannt und ich kenne sie nur dem
Namen nach. Hätte ich zu entscheiden gehabt, ich glaube, ich hätte gar nichts
unternommen.“ „In Ordnung“, fuhr der Gottesdiener fort
„ich werde die Frage dem Willen vorlegen und ihn fragen, warum er die
Lebenskraft mit Gewalt für seine Zwecke benutzte, wo sie doch aus eigenem gar
nichts unternommen hätte.“
„Sei nicht vorschnell“,
rief der Wille „zufällig kann ich dir ausreichende Erklärung liefern.
Seine Majestät, der Verstand, schickte einen Abgesandten, Wissen genannt, der
mir über die Vernunft eine Botschaft übermittelte, die hieß: „Du, bewege
dich und errege mal die Lebenskraft.“ Ich wurde dazu gezwungen, denn
ich muss dem Wissen und dem Verstand gehorchen, aber ich weiß nicht warum.
Solange ich keine Befehle erhalte, bin ich glücklich, doch sobald ein Befehl
übermittelt wurde, wage ich nicht ungehorsam zu sein. Ob mein König ein
gerechter oder ungerechter Herrscher ist, ich muss ihm gehorchen. Ich
schwöre, solange mein König zögert oder über eine Angelegenheit nachsinnt,
stehe ich still, dienstbereit, doch ab dem Moment der Übermittlung seines
Befehls veranlasst mich, der, mir eingeschriebene Gehorsamkeitssinn, die
Lebenskraft anzuregen. Du solltest mir daher nichts vorwerfen. Geh zum Wissen
und verlange von ihm Auskunft.“
„Du hast Recht“,
gestand der Gottesdiener ein und wandte sich an den Geist und seine Gesandten,
Wissen und Vernunft um eine Erklärung. Die Vernunft entschuldigte sich damit,
indem sie erklärte, sie wäre nur eine Lampe, doch nicht wisse, wer sie
entzündet hätte. Der Geist erklärte sich für unschuldig, da er sich als tabula rasa verstand. Das Wissen
behauptete, es wäre ein bloßer Eindruck, eine Gravur auf dieser tabula rasa, aufgeprägt, nachdem die
Lampe der Vernunft entzündet worden wäre. Daher könne es nicht als Autor
jener Schriften bezeichnet werden, die möglicherweise das Werk irgendwelcher unsichtbaren
Federn wäre. Der Ergebene Gottes war verwirrt ob dieser Antworten, doch
nachdem er sich wieder gefasst hatte, sprach er folgendes zum Wissen: „Ohne
Pause bin ich auf meinem Weg der Nachforschung nun unterwegs. An wen ich mich
auch immer um eine Erklärung wende, werde ich jedes Mal an jemand anders
verwiesen. Trotzdem empfinde ich eine gewisse Befriedigung in meinen
Nachforschungen, denn jeder Einzelne gab mir eine plausible Antwort. Doch
verzeihe mir, mein Herr Wissen, wenn ich sage, dass mich deine Antwort nicht
zufrieden stellt. Du sagst, du wärst nur eine Gravur, die von der Feder nachvollzogen
würde. Ich habe die Feder gesehen, die Tinte, die Schreibtafel, das Papier.
Diese bestanden aus Rohr, einer schwarzen Mischung aus Russ, aus Holz. Ich
habe Lampen gesehen, welche mit Feuer brannten. Aber hier sehe ich nichts
dergleichen und dennoch redest du von einer Lampe, der Feder und einer
Gravur. Sicherlich hältst du mich nicht zum Besten?“ „Gewiss
nicht“, antwortete das Wissen, „ich sprach in größter
Aufrichtigkeit. Doch ich sehe deine Schwierigkeit. Deine Mittel sind
kärglich, dein Pferd ist eine alte Mähre, deine Reise lang und beschwerlich. Gib
dein Unterfangen auf, denn ich fürchte, Du wirst erfolglos bleiben. Wenn du
aber bereit bist, Risiken auf dich zu nehmen, dann höre zu.
Deine Reise erstreckt sich
über drei Gebiete. Das erste ist die irdische Welt. Ihr zugehörigen
Gegenstände sind die Feder, die Tinte, das Papier, die Hand, etc., und sie
sind genau das, als was du sie gesehen hast. Das zweite Gebiet ist die
himmlische Region, welche dann beginnt, wenn du mich zurückgelassen haben
wirst. Da wirst du auf dichte Wälder treffen, tiefe Flüsse und hohe,
unüberwindliche Berge und ich weiß nicht wie du von dort weiterkommen willst.
Zwischen diesen beiden Welten gibt es eine Mittelwelt, sie wird die phänomenale,
die Sagenwelt genannt. Du hast drei Stationen in ihr gesehen: die
Lebenskraft, den Willen und das Wissen. Um ein Gleichnis zu verwenden: ein
Mann, der zu Fuß unterwegs ist, beschreitet die irdische Welt; wenn er ein
Boot besteigt, befährt er die phänomenale Welt; wenn er das Boot verlässt und
schwimmt oder auf dem Wasser wandelt, befindet er sich in der himmlischen
Welt. Wenn du nicht zu schwimmen verstehst, so kehre um. Denn die Wasserwelt
der himmlischen Region beginnt, wenn du siehst, wie die Feder auf die
Oberfläche des Herzen schreibt. Wenn du nicht zu jenen gehörst, von welchen
gesagt wird: „Oh ihr Kleingläubigen, warum zweifelt ihr?“ dann sei gut vorbereitet. Denn durch deinen Glauben
sollst du nicht nur auf den Wassern wandeln, sondern durch die Lüfte fliegen.“
Verblüfft stand der
Ergebene Gottes eine Weile sprachlos still, bis er sich wieder an das Wissen
wandte: „Nun habe ich aber Schwierigkeiten. Die Gefahren des Weges, von
welchen du sprachst, beunruhigen mein Herz und ich bin nicht sicher, ob ich
stark genug bin, ihnen zu begegnen und letztlich die Oberhand zu behalten.“
„Du kannst deine Kraft einer Prüfung unterziehen“, erwiderte das
Wissen. „Öffne deine Augen und richte deinen Blick auf mich. Wenn du
die Feder erkennen kannst, wie sie das Herz beschreibt, wirst du meiner
Meinung nach in der Lage sein, den Weg weiter zu beschreiten. Denn wer die
phänomenale Welt durchqueren kann, klopft an das Tor der himmlischen Welt, in
welcher er die Feder das Herz beschreiben sieht.“
Der Gottergebene tat, wie
ihm gesagt war, doch konnte er die Feder nicht erkennen, denn seine
Vorstellung von ihr war keine andere als die von einer aus Rohr oder Holz. Da
erweckte das Wissen wieder seine Aufmerksamkeit und sagte: „Der Haken
liegt bei folgendem. Weißt du nicht, dass die Einrichtung eines Palastes dem
Status seines Besitzers angeglichen ist und widerspiegelt? Nichts im
Universum gleicht Gott,über Ihn
und gar wenige sind es, die eine transzendentale, reine Vorstellung von Ihm in
Ehren halten und glauben, dass Er nicht nur über alle materiellen
Begrenzungen, sondern sogar über solche metaphorischer Art erhaben ist. Es
scheint als schwanktest du zwischen diesen beiden Ansichten, denn einerseits
glaubst du, dass Seine Worte weder Ton noch Gestalt haben, und andererseits
kannst du dich nicht zur transzendentalen Ansicht Seiner Hand, der Feder oder
der Schreibfläche durchringen. Glaubst du denn, die Bedeutung der Überlieferung:
„Wahrlich, Gott erschuf Adam nach seinem Bilde“ wäre auf das
äußere menschliche Antlitz beschränkt? Bestimmt nicht: es ist die innere
Natur des Menschen, die man durch rechte Einsicht erkennt, welche als das „Antlitz
Gottes“ bezeichnet werden mag. Doch höre: Du befindest dich nun auf dem heiligen
Berg, auf welchem die unsichtbare Stimme aus dem Dornbusch spricht: „Ich
Bin Der Ich Bin. Wahrlich Ich bin dein Gott, zieh aus deine Schuhe …“
Der Ergebene Gottes hörte ganz verzückt zu, als es
ihn wie ein Blitz durchfuhr und er die formlose Feder gewahrte, wie sie das Herz
beschrieb. „Tausendmal seiest du gesegnet, O Wissen, du hast mich davor
bewahrt in den tiefen Abgrund des Anthropomorphismus (Tashbih; Zusprechen von menschlichen Eigenschaften) zu stürzen. Ich
danke dir aus tiefstem Herzen. Lange hab ich verweilt, doch nun, Adieu!“
Der Diener Gottes nahm nun
seine Reise wieder auf. Bei der unsichtbaren Feder angelangt, sprach er sie
höflich mit der gleichen Frage an: „Du kennst meine Antwort“,
antwortete die geheimnisvolle Feder. „Du kannst die Antwort nicht
vergessen haben, welche dir die Feder in der irdischen Welt gegeben hat.“
„Ja, ich erinnere mich daran“, antwortete der Diener Gottes, „doch
wie kann es die gleiche Antwort sein, da es doch keine Ähnlichkeit zwischen
dir und jener Feder gibt.“ „Dann hast du offensichtlich die
Überlieferung vergessen: „Gott erschuf Adam gemäß Seinem Abbild?“
„Nein, mein Herr“, unterbrach der Ergebene, „ich kenne sie
auswendig.“ „Und außerdem hast du auch die Verse aus dem Qur’an
vergessen: „und die Himmel werden in Seiner rechten Hand zusammengerollt
sein ..“
„Bestimmt nicht, ich kann den
gesamten Qur’an auswendig rezitieren.“ „Ja, ich weiß, und so
wie du nun das weite Feld der himmlischen Welt beschreitest, glaube ich, dass
ich dir nun ruhig mitteilen kann, dass du die Bedeutung dieser Verse nur von
einem negativen Blickwinkel aus verstanden hast. Doch sie haben eine positive
Aussage und sollten konstruktiv auf dieser Stufe verwendet werden. Gehe weiter und du wirst verstehen, was ich meine.“
Der Ergebene in Gott sah
sich um und fand sich über die Allmacht der göttlichen Eigenschaften
nachdenken. Und auf einmal erkannte er die argumentative Kraft der Feder und
angestachelt durch seine neugierige Natur, war er drauf und dran, seine Frage
dem Göttlichen Wesen vorzulegen, als eine ohrenbetäubende Donnerstimme von
oben herab ihm zurief: „Er wird nicht nach Seinen Taten befragt, doch sie werden
befragt werden.“ Völlig überrascht, beugte der Diener Gottes
sein Haupt in Ergebung.
Die Hand göttlicher
Barmherzigkeit streckte sich nach dem hilflosen Diener aus und eine zarte
Stimme flüsterte in sein Ohr: „Und diejenigen, die in Unserer Sache wetteifern - Wir
werden sie gewiss auf Unseren Wegen leiten. Wahrlich, Allah ist mit denen,
die Gutes tun. [29:69] Seine Augen wieder öffnend, erhob der
Ergebene in Gott sein Haupt in stillem Gebet: „Geheiligt bist Du,
Allmächtiger Gott, gesegnet Dein Name, O Herr der Welt! Von nun an, habe ich
keine Furcht vor Sterblichem; mein ganzes Vertrauen lege ich in Dich; Deine
Vergebung sei mein Trost und Deine Barmherzigkeit meine Zuflucht.“
(Licht möge auf das Thema
geworfen werden durch das Nachdenken über die Einheit Gottes.)
Hanel,
Schweiz 2005
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