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Bismillah

 

 

MUSLIMISCHE HEILIGE *

und MYSTIKER

http://www.islamheute.ch/hassan.html

Geschichten aus dem

Tadhkirat al-Auliya’

(Erinnerung an die Heiligen)

von Farid ud-Din ATTAR

Übersetzt von M.M. Hanel

* (Heilige = Gottanvertraute)

 

aus:

Muslim Saints and Mystics

http://www.omphaloskepsis.com/ebooks/pdf/mussm.pdf

Episodes from the

Tadhkirat al-Auliya’

(Memorial of the Saints)

by Farid al-Din Attar

Translated by A. J. Arberry

 

 

INHALT:

 

TEIL I

 

Abd Allah ibn al-Mubarak

 

Sufyan al-Thauri

 

Shaqiq of Balkh

 

Dawud al-Ta’i

 

al-Muhasebi

 

Ahmad ibn Harb

 

Hatim al-Asamm

 

Sahl ibn Abd Allah al-Tustari

 

Ma‘ruf al-Karkhi

 

Sari as-Saqati

 

 

 

Abd Allah ibn al-Mubarak

 

Abu ‘Abd al-Rahman ‘Abd Allah ibn al-Mubarak al-Hanzali al-Marwazi, wurde im Jahr 118 n.H. (736 n.Chr.) als Sohn eines türkischen Vaters und seiner persischen Mutter geboren und wurde zu einer angesehenen Autorität auf dem Gebiet der Überlieferungen und ein bekannter Asket. Er studierte unter vielen Lehrern in Merv und an anderen Orten und wurde ein profunder Gelehrter in verschiedenen wissenschaftlichen Zweigen, einschließlich Grammatik und Literatur. Als wohlhabender Kaufmann verteilte er großzügig Almosen unter den Bedürftigen und er starb 181 (797) in Hit am Euphrat. Er schrieb eine ansehnliche Anzahl von Werken über die Ahadith, von welchen eines über die Askese bis heute erhalten blieb.

 

Abd Allah ibn al-Mubaraks Eintritt in den Islam

 

Dieser trug sich wie folgt zu. Er verliebte sich unsterblich in ein Mädchen und konnte keinerlei Ruhe mehr finden. In einer Winternacht stand er einmal bis zum Morgen unter dem Fenster seiner Angebeteten, um einen Blick auf sie zu erhaschen. Die ganze Nacht hindurch hatte es geschneit. Als der Gebetsruf erschallte, dachte er, es wäre der Ruf zum Nachtgebet. Doch als er die Morgendämmerung bemerkte, wurde ihm bewusst, dass er die ganze Nacht völlig in seinem Sehnen nach der Geliebten „weggetreten“ gewesen war.

„Schande über dich, Sohn des Mubarak“, rief er. „In solch einer gesegneten Nacht bist du wegen einer persönlichen Leidenschaft auf den Füssen geblieben, doch wenn der Imam etwas länger eine Sure aus dem Qur’an rezitiert, wirst du gleich ungehalten.“

Angst überkam sein Herz und er bereute und er ergab sich fortan ganz dem Gottesdienst. Seine Hingabe war so vollkommen, dass seine Mutter, als sie eines Tages in den Garten kam und ihren Sohn unter einem Rosenbusch schlafend fand, eine Schlange entdeckte, die mit einer Narzisse im Maul, die Fliegen von ihm weg scheuchte.

Danach verließ er Merv und hielt sich eine Zeit lang in Bagdad unter den Meistern der Sufis auf. Danach wandte er sich nach Mekka, blieb einige Zeit dort, um danach wieder nach Merv zurück zu kehren. Die Einwohner empfingen ihn dort herzlich und richteten Studien­gruppen für ihn ein. Die Hälfte studierten die Überlieferungen und die andere Hälfte die Rechtswissenschaften. Abd Allah ist deshalb heute als der „Anerkannte beider Gruppen“ bekannt, da er sich in Einklang mit beiden befand und jede Gruppe ihn als einer der ihren für sich bean­spruchte. Nachdem er dort diese beiden Studienzweige etabliert hatte, brach er in den Hijaz auf und ließ sich erneut in Mekka nieder. Abwechselnd verrichtete er jeweils die Pilgerfahrt, bzw. begab sich auf einen Kriegszug und in jedem dritten Jahr betätigte er sich als Kauf­mann. Die Erlöse teilte er unter seinen Anhängern und Schülern auf. An die Armen pflegte er Datteln zu verteilen und die Dattelkerne zählte er; und wer mehr Datteln aß, dem gab er einen Dirham für jeden Kern.

Er war äußerst sorgfältig in seiner Frömmigkeit. Einmal als er Rast mit seinem wertvollen Pferd an einer Herberge machte, begab er sich ins Gebet. Sein Pferd trieb sich in der Zwischenzeit in einem Haferfeld herum. Daraufhin gab er sein Pferd auf, ließ es zurück und reiste zu Fuß weiter und meinte, „Es hat das Korn der Befehlshaber vertilgt.“ Ein anderes Mal reiste er den ganzen Weg von Merv nach Mekka zurück, weil er vergessen hatte, eine Schreibfeder zurück zu geben, die er sich ausgeborgt hatte.

Eines Tages kam er durch einen Ort und die Leute erzählten einem dort ansässigen Blinden, dass Abd Allah gerade vorbeiging und er von ihm verlangen könne, was er wolle. „Stopp, Abd Allah“, rief der blinde Mann und Abd Allah blieb stehen. „Bitte Gott, mir mein Augenlicht zurück zu geben“, bettelte der Mann. Abd Allah beugte sein Haupt und betete. Sofort konnte der Mann wieder sehen.

 

Abd Allah ibn Mubarak and Ali ibn al-Muwaffaq

 

Als Abd Allah in Mekka lebte und gerade die Pilgerfahrt vollzogen hatte, fiel er in einen tiefen Schlaf. Im Traum sah er zwei Engel auf die Erde herabsteigen.

„Wie viele sind dieses Jahr gekommen?“ fragte der eine.

„Sechshunderttausend“, gab der andere zur Antwort.

„Von wie vielen wurde die Pilgerfahrt angenommen?“

„Von nicht einem.“

„Als ich dies hörte“, berichtete Abd Allah, „erfüllte mich großes Zittern. „Was“ rief ich, „All diese Menschen kamen von weit her, aus allen Ecken und Enden der Welt, haben unter großen Mühen und Anstrengungen Wüsten und Weiten durchquert, und all ihre Anstreng­ungen waren vergeblich?“

„In Damaskus lebt ein Flickschuster, sein Name ist Ali ibn Muwaffaq“, sagte der Engel. Er ging dieses Jahr nicht auf Pilgerfahrt, aber seine Pilgerfahrt wurde angenommen und all seine Sünden vergeben.“

„Als ich dies hörte“, fuhr Abd Allah fort, „wachte ich auf und dachte bei mir, „diese Person musst du aufsuchen“. Also ging ich nach Damaskus und suchte seine Wohnung. Ich rief und jemand kam heraus. Ich fragte nach der Name dieser Person und sie antwortete, „Ali ibn Muwaffaq.“ „Ich will mit dir reden“, sagte ich. „Nur zu“, meinte er.

„Was arbeitest du?” “Ich bin Flickschuster”, gab er Auskunft. Danach erzählte ich ihm meinen Traum. „Wie ist dann dein Name?“ wollte er wissen, nachdem ich fertig erzählt hatte. „Abd Allah ibn Mubarak“, erwiderte ich. Er schrie auf und fiel in Ohnmacht. Als er wieder erwacht war verlangte ich von ihm seine Geschichte zu erzählen.“

Der Mann erzählte mir folgendes. „Seit dreißig Jahren beabsichtige ich nun die Pilgerfahrt zu unternehmen und ich hatte dreihun­dertfünfzig Dirham aufgespart. So beschloss ich dieses Jahr auf Pilgerreise zu gehen. Meine gute Frau, die schwanger geworden war, roch eines Morgen den wunderbaren Bratenduft von nebenan und bat mich „Geh sei so gut und erbitte etwas von diesem Essen für mich.“ Also ging ich und klopfte an der Nachbarin Tür und erklärte meine Bitte. Meine Nachbarin brach in Tränen aus. „Meine Kinder haben nun drei Tage hinter­einander nichts gegessen“, sagte sie, „Heute sah ich einen toten Esel daliegen und so schnitt ich ihm ein Stück Fleisch heraus und kochte es. Das wäre kein erlaubtes Essen für dich.“ Mein Herz brannte mir in der Brust, als ich diese Geschichte hörte. Ich nahm meine dreihundert­fünfzig Dirham heraus und gab sie ihr. „Gib dies für deine Kinder aus“, sagte ich, „dies ist meine Pilgerfahrt.““

„Der Engel in meinem Traum hat die Wahrheit gesprochen“, rief Abd Allah und der himmlische König war gerecht in Seinem Urteil.“

 

Abd Allah ibn Mubarak und sein Sklave

 

Abd Allah hatte einen Sklaven über den ihm jemand erzählte, „Dein Sklave bestiehlt die Toten und bringt dir den Erlös davon.“ Diese Mitteilung beunruhigte Abd Allah außerordentlich und so ging er eines Nachts seinem Sklaven heimlich nach. Dieser begab sich zum Friedhof und öffnete ein Grab. In dieser Gruft befand sich eine Gebetsnische in welcher der Sklave ein Gebet verrichtete. Abd Allah, der dies alles aus der Ferne beobachtet hatte kroch näher heran und sah, dass der Mann in Sack­leinen  gekleidet war, sein Gesicht mit Staub bedeckt hatte und weinte. Darauf zog sich Abd Allah ebenfalls weinend in eine entfernte Ecke zurück. Der Sklave blieb in dieser Gruft bis zum Morgengrauen, dann stieg er heraus, verschloss die Gruft wieder und begab sich in die Moschee um sein Morgen­gebet zu verrichten. „Mein Gott“, rief er, „der Tag ist angebrochen und mein zeitlicher Herr wird von mir Geld verlangen. Du bist der Reichtum der Armen. Gib mir von wo immer Du willst.“

Sofort brach ein Lichtstrahl vom Himmel durch und ein Silber Dirham fiel in des Sklaven Hand. Abd Allah vermochte dies nicht mehr länger ruhig mit ansehen. Er stand auf, legte den Kopf des Sklaven auf seine Brust und küsste ihn.

„Tausend Leben sind das Lösegeld für solch einen Sklaven“, rief er aus, „du bist der Meister, nicht ich.“

„O Gott“, schrie der Sklave, der erkannt hatte was geschehen war, „nun da mein Schleier von mir genommen ist und mein Geheimnis entdeckt, bleibt mir keine Ruhe mehr in dieser Welt. Ich flehe Dich an bei Deiner Macht und Herrlichkeit, lass mich nicht leiden im Versagen und nimm meine Seele zurück.“

Sein Kopf lag immer noch an Abd Allahs Brust als er starb. Abd Allah legte ihn sanft zu Boden, wickelte ihn in ein Leichentuch, umgab ihn mit seinem Sackleinen und begrub ihn in ebendiesem Grab.

In der folgenden Nacht sah Abd Allah den Herrn der Welten im Traum und Abraham, Sein Freund, war mit ihm. Sie kamen auf himmlischen Pferden heran.

„Abd Allah“, sagten sie, „warum hast du Unseren Freund in Sackleinen begraben?”

 

 

 

Sufyan al-Thauri

 

Abu ‘Abd Allah Sufyan ibn Sa’id al-Thauri wurde 97 (715) in Kufa geboren und studierte zuerst unter seinem Vater und später unter zahlreichen Gelehrten und erlangte hohes Wissen auf dem Gebiet der Überlieferungen und Theologie. Im Jahr 158 (775) überwarf er sich mit den Autoritäten und war gezwungen, sich in Mekka zu verbergen. Er starb 161 (778) in Basra. Er begründete eine Rechtsschule, welche etwa zweihundert Jahre aktiv war. Er lebte ein strikt asketisches Leben und wurde von den Sufis ein Heiliger genannt.

 

Sufyan al Thauri und die Kalifen

 

Die Unbeugsamkeit von Sufyan al Thauri zeigte sich schon bevor er noch geboren war. Eines Tages nahm seine Mutter vom Dach des Nachbarn einige getrocknete Früchte und steckte sie sich in den Mund. Sufyan, den sie in sich trug, gab ihr in diesem Moment einen derartig gewaltigen Tritt, dass sie schon dachte, sie hätte ihn verloren.

Es wird erzählt, dass der Kalif dieser Tage vor Sufyan betete und während des Gebetes seinen Schnurrbart zwirbelte.

„Dies ist nicht die rechte Art zu beten“, rief Sufyan, „morgen am Tag des Gerichtes wird dir dieses Gebet wie ein schmutziger Teppich um die Ohren geschlagen werden.“

„Sprich ein bisschen höflicher“, entgegnete ihm der Kalif.

„Wenn ich meine Hand vor dieser Verantwortung zurückzöge, würde mein Urin zu Blut werden.“

Der Kalif war durch diese Bemerkungen verärgert und befahl, ihn an den Galgen zu hängen „Dann wird es niemand mehr wagen, mir gegenüber so frech aufzutreten“, begründete er diese Entschei­dung.

An dem Tag, als der Galgen aufgerichtet wurde, schlief Sufyan fest an der Brust eines großen Heiligen, mit seinen Füßen im Schoß von Sufyan ibn Ovaina. Die beiden Heiligen, als sie bemerkten, dass der Galgen aufgebaut wurde, sagten zueinander, „Wir wollen es ihm nicht sagen“. Just in diesem Moment erwachte Sufyan.

„Was ist los?“ fragte er.

Unter großem Unbehagen sagten sie es ihm.

„Ich hänge nicht besonders am Leben“, meinte Sufyan. „Doch seine Verantwortung in diesem Leben kann man nicht von sich weisen.“

Mit Tränen in den Augen betet er, „Herr, Gott, ergreife sie mit einem gewaltigen Griff!“

Zu dieser Zeit saß der Kalif auf seinem Thron, umgeben von den Großen im Land. Ein Blitzschlag fuhr in den Palast und der Kalif samt seiner Minister wurde von der Erde verschlungen.

„Welch ein wohl gehörtes und schnell erhörtes Gebet“, merkten die beiden ehrwürdigen Heiligen dazu an.

Ein anderer Kalif folgte auf den Thron, welcher an Sufyan glaubte. Nun geschah es, dass Sufyan krank wurde. Der Kalif hatte einen christ­lichen Arzt, einen großen Meister und außerordentlich gescheit. Diesen sandte er zu Sufyan um ihn behandeln zu lassen. Als dieser seinen Urin betrachtete, meinte er, „Dies ist ein Urin von jemandem, dessen Leber aus Furcht zu Gott zu Blut geworden ist. Nur langsam fließt es aus seiner Blase. Die Religion der solch ein Mann folgt“, fügte er hinzu, „kann nicht falsch sein.“

Und danach wurde er sofort Muslim.

„Ich dachte ich hätte einen Arzt ans Bett eines Kranken geschickt“, merkte der Kalif an, „in Wirklichkeit habe ich aber den Kranken geschickt, um den Arzt zu behandeln.“

 

Anekdoten von Sufyan al Thauri

 

Eines Tages ging Sufyan mit einem Freund an der Tür eines angesehenen Mannes vorbei. Sein Freund spähte in den Hof und Sufyan tadelt ihn dafür.

„Wenn du und deinesgleichen nicht auf ihre Paläste starren würden, würden sie sich solchen Extravaganzen nicht leisten“, belehrte er ihn. „Durch dieses Anstarren werdet ihr ihre Partner in der Sünde der Maßlosigkeit.“

Ein Nachbar Sufyans starb und Sufyan begab sich an sein Grab um an seiner Beerdigung zu beten. Dort hörte er die Leute sagen. „Er war ein guter Mensch:“

„Wenn ich gewusst hätte, dass die anderen Leute gut über ihn sprechen“, sagte Sufyan, „wäre ich nicht zu seiner Beerdigung gegangen, „denn nur über einen Heuchler sprechen die Menschen nach seinem Tod Gutes über ihn.“

Eines Tages hatte Sufyan seine Kleider völlig verkehrt angezogen. Als die Leute ihn darauf aufmerksam machten, wollte er sie zurecht­machen, doch dann ließ er davon ab.

„Ich habe diese Kleider für Gott angezogen“, sagte er, „und ich will der Menschen wegen daran nichts ändern.“

Ein junger Mann versäumte an der Pilgerfahrt teilzunehmen und seufzte.

„Ich habe vierzig Pilgerfahrten unternommen“, sagte ihm Sufyan, „ich überschreibe sie dir alle. Willst du mir deine Seufzer überschrei­ben?“

„Das will ich“, antwortete der junge Mann.

Diese Nacht träumte Sufyan, dass eine Stimme zu ihm sprach,
“Du hast einen solch gewaltigen Gewinn mit dieser Transaktion erworben, dass, wenn er unter allen Pilgern auf Arafat aufgeteilt würde, sie wahrlich reich wären.“

Eines Tages verzehrte Sufyan gerade ein Stück Brot, als ein Hund vorbeihumpelte. Er gab dem Hund sein Brot, Stück für Stück.

„Warum isst du es nicht mit deiner Frau und deinem Kind?“ wurde er gefragt.

„Wenn ich das Brot dem Hund gebe“, antwortete er, „ so hält er für mich die ganze Nacht Wache, sodass ich beten kann. Gebe ich es meiner Frau und meinem Kind, halten sie mich von meinen Ergeben­heiten zurück.“

Sufyan reiste eines Tages auf einer Bahre nach Mekka. Ein Gefährte war mit ihm und Sufyan weinte unentwegt.

„Weinst du aus Angst vor deinen Sünden?“ fragte der Freund. Sufyan streckte seine Hand aus und pflückte ein paar Strohhalme.

„Meine Sünden sind zahlreich“, gab er zur Antwort, „und auch wenn sie zahlreich sind, so bedeuten sie mir nicht mehr als dieses Handvoll Stroh. Was mir wirklich Angst macht, ist, ob mein Glaube ein aufrich­tiger ist oder nicht.“

Ein Beispiel des Mitleids welches Sufyan allen Geschöpfen Gottes gegen­über empfand, wird in folgender Geschichte deutlich.

Eines Tages sah er auf dem Markt einen Vogel verzweifelt im Käfig hin und herflattern. Er kaufte ihn und ließ ihn frei. Jede Nacht kam dann dieser Vogel zu Sufyans Haus geflogen und sah Sufyan von einem Ast zu, wie dieser die ganze Nacht betete.

Als Sufyan starb und in sein Grab getragen wurde, folgte dieser Vogel der Prozession und sang sein trauriges Lied mit all den anderen Trauernden. Als Sufyan in die Erde hinab gelassen wurde, warf sich der Vogel auf die Erde und eine Stimme tönte aus dem Grab,

„Der Allmächtige Gott hat dem Sufyan des Mitgefühls wegen vergeben, welches er gegenüber Seinen Geschöpfen hegte.“ Der Vogel verstarb ebenfalls, schloss sich dem Sufyan an und wurde mit ihm begraben.

 

 

 

Shaqiq von Balkh

 

Abu ‘Ali Shaqiq ibn Ibrahim al-Azdi von Balkh, ein auf vielen Gebieten gelehrter Mann, begann seine Laufbahn als Kaufmann, um später den Pfad der Enthaltsamkeit zu beschreiten. Er verrichtete die Pilgerfahrt nach Mekka und starb als Märtyrer in den Kriegen um 194 (810).

 

Die Laufbahn des Shaqiq-e Balkhi

 

SB war ein Gelehrter vieler wissenschaftlicher Zweige und der Verfasser vieler Bücher. Er unterrichtete Hatim den Tauben, und gleichzeitig wurde er von Ibrahim ibn Adham auf den Weg geführt. Er behauptete von 1700 Lehrern unterrichtet worden zu sein und einige Kamelladungen Bücher erworben zu haben. Seine Konversion trug sich folgendermaßen zu.

 

Shaqiq war auf Geschäftsreise in Turkistan unterwegs und unter­brach seine Reise bei einem Tempel, um einen Götzenanbeter bei seiner demütigen Statuenanbetung zu beobachten.

„Du hast doch einen lebendigen, allmächtigen und allwissenden Schöpfer“, erklärte er diesem Mann. „Diesen solltest du anbeten. Hab doch etwas Einsicht und stehe ab davon, einen Götzen anzubeten, von dem weder Gutes noch Schlechtes zu bekommen ist.“

„Wenn dem wirklich so ist, wie du sagst“, antwortete der Götzen­diener, „ist Er dann nicht in der Lage, dich in deiner eigenen Stadt mit dem täglichen Brot zu versorgen? Warum musst du bis hier her kommen?“

Diese Worte erweckten Shaqiq zur Wahrheit und er kehrte nach Balkh zurück. Auf seiner Heimreise begleitete ihn ein Zoroastrier.

„Was ist dein Beruf?“ fragte ihn dieser.

„Kaufmann“, gab Shaqiq zur Antwort.

„Wenn du auf der Suche nach Einkommen bist, welches dir nicht bestimmt ist, kannst du bis zum Jüngsten Tag unterwegs sein und du wirst es nicht bekommen“, erklärte ihm dieser. „Und wenn du für Ein­kommen unterwegs bist, welches dir bestimmt ist, so bemühe dich nicht fort, denn es wird von selbst zu dir kommen.“

Diese Worte rüttelten Shaqiq noch weiter auf und seine Liebe zu weltlichen Gütern verlor sich.

Schließlich gelangte Shaqiq nach Balkh zurück, wo ihm seine Freunde einen warmen Empfang bereiteten, da sie ihn für seine Groß­zügig­keit kannten. In dieser Zeit war Ali ibn Isa ibn Haman der Emir von Balkh, der sich Jagdhunde am Hof hielt, von welchen er gerade einen vermisste. Man trug dem Emir zu, dass der Hund von Shaqiqs Nachbarn entwendet worden wäre. Der Mann wurde unter Arrest gestellt und des Diebstahls angeklagt. Als er geschlagen wurde, wandte er sich an Shaqiq um Schutz. Shaqiq begab sich also zum Emir.

„Gib mir drei Tage und ich werde dir deinen Hund zurückbringen. Lass meinen Freund frei“, bat er.

Der Emir entließ den Mann aus dem Gefängnis. Drei Tage später fing ein Mann aus der Stadt den Hund zufällig.

„Ich muss diesen Hund zu Shaqiq bringen“, dachte der bei sich, „er ist großzügig und wird mir bestimmt etwas für ihn geben.“

So brachte er den Hund zu Shaqiq, der ihn dem Emir zurückbrachte und damit sein Versprechen einlösen konnte. Daraufhin entschloss Shaqiq der Welt völlig zu entsagen.

Später einmal wurde Balkh von einer schweren Hungersnot heimge­sucht und Shaqiq sah auf dem Marktplatz einen Sklaven hemmungslos lachen.

„Sklave, welchen Anlass gibt es denn für Fröhlichkeit?“ verlangte Shaqiq zu wissen. „Siehst du nicht, dass die Menschen Hunger leiden?“

„Warum sollte ich bekümmert sein?“ gab der Sklave zur Antwort.

„Meinem Herrn gehört ein ganzes Dorf und er besitzt jede Menge Korn und lässt mich niemals hungern.“

Diese Antwort ließ Shaqiq seine ganze Selbstbeherrschung ver­lier­en.

„O Gott“, rief er, „dieser Sklave ist dermaßen glücklich, weil er einen Herrn hat, der ein paar Säcke Korn sein eigen nennt. Du bist der König der Könige und gibst uns jeden Tag unseren Unterhalt. Warum sollten dann wir traurig sein?“

Daraufhin gab er die Beschäftigung mit weltlichen Dingen völlig auf und unterzog sich umfassender Reue. Er machte sich auf den Weg zu Gott, in welchen er ausschließliches Vertrauen legte. Er pflegte zu sagen, „Ich bin der Schüler eines Sklaven.“

Hatim der Taube erzählte folgende Begebenheit.

Ich zog mit Shaqiq in den kleinen Dschihad, als eines Tages der Kampf sehr heftig wogte. Die Reihen wurden so eng gezogen, dass man außer Lanzenspitzen nichts mehr sehen konnte und Pfeile regnete es vom Himmel.

„Hatim“, rief mir Shaqiq zu, „wie gefällt es dir? Vielleicht denkst du, es wäre letzte Nacht, als du in deinem Bett mit deiner Frau gelegen hast!“

„Keineswegs“, gab ich zurück.

„In Gottes Namen“, rief Shaqiq, „warum nicht? So fühle ich mich jedenfalls. So wie du dich letzte Nacht in deinem Bett gefühlt hast.“

Die Nacht brach an und Shaqiq legte sich nieder in seinen Umhang eingehüllt und war gleich eingeschlafen. Sein Vertrauen in Gott war so tief, dass er inmitten der Feinde sofort tief und fest einschlafen konnte.

Eines schönen Tages, als Shaqiq einen seiner Vorträge hielt, lief das Gerücht durch die Stadt, der Feind stünde vor den Toren. Shaqiq lief hinaus, machte den Ungläubigen Beine und kam gleich wieder zurück. Ein Schüler hatte einige Blumen neben seinen Gebets­teppich gelegt. Shaqiq nahm sie und roch daran.

Ein ignoranter Zeitgenosse sah dies und rief.

„Eine Armee steht vor der Stadt und der Imam der Muslime hält Blumen an seine Nase!“

„Der Heuchler sieht das Riechen an den Blumen, das ist gut so, doch das Verjagen der Feinde sieht er nicht“, gab Shaqiq seinen Kommen­tar dazu.

 

Shaqiq-e Balkhi vor dem Harun al-Rashid

 

Als Shaqiq sich auf die Pilgerreise macht und in Bagdad Station machte, ließ Harun al Rashid ihn zu sich rufen.

„Bist du Shaqiq der Asket?” wollte Harun von ihm wissen.

„Ich bin Shaqiq“, antworte dieser, „aber nicht der Asket“.

„Erkläre mir das“, befahl Harun.

„Dann pass auf“, fuhr Shaqiq fort. „Der Allmächtige Gott hat dich in die Nachfolge des verlässlichen Abu Bakr gesetzt und verlangt von dir Verlässlichkeit gerade so wie von diesem. Er hat dich in die Position des, zur Unterscheidung fähigen Omars gesetzt und erwartet von dir die Fähigkeit zwischen Wahrheit und Falschheit zu unterscheiden gerade so wie von diesem. Er hat dich auf den Platz des Osman gesetzt, dem zwischen den beiden Lichtern und Er erwartet von dir genau wie von ihm Höflichkeit und Vorzüglichkeit. Er hat dich zum Nachfolger des Ali, des wohl Erprobten gemacht und verlangt von dir, wie von ihm, Wissen und Gerechtigkeit.“

„Sprich weiter“, rief Harun.

„Gott hat eine Wohnstatt, genannt Hölle“, fuhr Shaqiq fort.

„Er hat dich zu ihrem Türsteher erwählt und dich mit drei Dingen ausgestattet – Reichtum, dem Schwert und der Peitsche. Mit diesen drei Dingen befiehlt er dir, die Menschen von ihr fern zu halten. „Wenn ein Mensch zu dir in Not kommt, so missgönne ihm kein Geld. Wenn irgendjemand dem Befehl Gottes nicht gehorcht, lehre ihn mit dieser Peitsche. Wenn irgendjemand einen Menschen erschlägt, so führe ihn mit dem Schwert der gerechten Vergeltung zu. Wenn du dies nicht erfüllst, wirst du der Führer jener, welche die Hölle bewohnen.“

„Sprich weiter“, wiederholte Harun.

„Du bist die Quelle und deine Beauftragten sind deren Bäche“, sprach Shaqiq, „Ist die Quelle rein, wird sie dennoch nicht von der Trübe der Bäche verdunkelt. Doch wenn die Quelle trüb ist, welche Hoffnung besteht, dass die Bäche rein wären?“

„Sprich weiter“, bat Harun.

„Nimm einmal an, du bist in der Wüste am Verdursten“, fuhr Shaqiq fort. „Wie viel würdest du wohl für einen Schluck Wasser geben?“

„So viel wie der Mann verlangte“, antwortete Harun.

„Und wenn er dir nichts verkaufen würde außer für die Hälfte deines Königreiches?“

„So würde ich es ihm geben“, gestand Harun ein.

„Und nun nimm einmal an, du würdest dieses Wasser trinken und es würde deinen Körper nicht mehr verlassen wollen, sodass du in Lebensgefahr wärst?“ insistierte Shaqiq, „und dann würde dir jemand Heilung für die Hälfte deines Königreichs versprechen? Was würdest du tun?“

„Ich würde es ihm geben“, gab Harun zu.

„Warum hängst du dich dann an ein Königreich“, endete Shaqiq, „dessen Wert nicht den eines Schluck Wassers übersteigt, der dann doch wieder aus dir heraus fließt?“

Darauf weinte Harun und entließ Shaqiq in allen Ehren.

 

 

 

Dawud al-Ta’i

 

Abu Sulaiman Dawud ibn Nusair al-Ta’i von Kufa war ein Mann nobler Herkunft und Schüler von Abu Hanifa; zum asketischen Leben wurde er durch Habib al-Ra’i gebracht, worauf er all seine Bücher im Euphrat versenkte. Er starb zwischen 160 (777) und 165 (782).

 

Die Armut des Dawud ibn Nusair al-Ta’i

 

Von Beginn an war Dawud von innerem Kummer überwältigt und mied den Kontakt mit seinen Mitgeschöpfen. Der Anlass für seine Bekeh­rung (Rückbesinnung) war, dass er eine trauernde Frau folgende Verse rezitieren gehört hatte.

 

Welche deiner Wangen fiel zuerst vor Kummer ein?

Aus welchem deiner Augen drang zuerst die Träne rein?

 

Großer Kummer überkam darauf sein Herz und all seine Gelassen­heit verließ ihn. In diesem Zustand nahm er den Unterricht bei seinem Lehrer Abu Hanifa auf.

„Was ist dir geschehen?“ fragte Abu Hanifa.

Dawud berichtete ihm von oben erwähntem Vorfall.

„Die Welt hat alle Anziehungskraft auf mich verloren“, fügte er hinzu. „Irgendetwas ist in mir passiert, was ich weder verstehen kann, noch kann ich irgendeine Erklärung dafür in irgendeinem Buch oder Ver­laut­barung entdecken.“

„Ziehe dich von anderen Menschen zurück“, verlangte Abu Hanifa.

Dawud gehorchte, zog sich zurück und schloss sich in seinem Haus ein. Nach längerer Zeit suchte ihn Abu Hanifa auf, um nach ihm zu sehen.

„Das ist keine Lösung für dich, in deinem Haus eingeschlossen zu bleiben und kein Wort mehr zu reden. Das richtige für dich ist, zu den Füßen der Imame zu sitzen und ihnen zuzuhören, wie sie neue Ideen entwickeln. Du sollst dich dem, was sie zu sagen haben mit Geduld zuwenden und nichts dazu sagen. Dann wirst du größere Einsicht in die Problematik gewinnen als sie selbst.“

Den Sinn hinter der Anweisung Abu Hanifas erkennend, nahm Dawud seine Studien auf und saß ein Jahr lang zu den Füßen der Imame und hörte ihren Ausführungen geduldig zu, ohne auch nur ein Wort zu sagen.

„Dieses eine Jahr Geduld“, merkte er am Ende dieser Periode an, „ist gleichzusetzen mit dreißig Jahren angestrengter Arbeit.“

Dann traf er auf Habib ibn Ra’i, der ihn in den mystischen Pfad einweihte, den er aufrecht beschritt. Er warf seine Bücher in den Fluss, zog sich in Klausur zurück und gab es auf, irgendetwas von den Menschen zu erwarten.

Nun hatte er zwanzig Dinare geerbt. Diese brauchte er in zwanzig Jahren auf. Einige Scheichs tadelten ihn dafür.

„Der Weg steht dafür, anderen zu geben und nicht für sich selbst zu behalten.“

„Ich behalte diesen Betrag, um meinen Geistesfrieden aufrecht zu erhalten“, erklärte er, „und ich werde damit auskommen, bis ich sterbe.“

Er erspart sich keinerlei Entbehrung. Dies ging so weit, dass er ein sein Brot in Wasser tauchte und dann das Wasser daraus aufsog und meinte, „Zwischen dem und dem Essen des Brotes kann ich fünfzig Qur’anverse rezitieren. Warum sollte ich mein Leben vergeuden?“

Abu Bakr ibn Aiyash berichtet, „Ich begab mich in Dawuds Klause und traf ihn dort weinend, mit einem Stück trockenen Brot in der Hand. „Was ist passiert, Dawud?“ fragte ich ihn. „Ich will dieses Stück Brot essen und weiß nicht ob es geweiht oder ungeweiht ist“, war seine Antwort.

Ein anderer berichtet, „Als ich ihn besuchte, sah ich seinen Eimer Wasser in der Sonne stehen. Ich fragte, „Warum stellst du ihn nicht in den Schatten?“ „Als ich ihn dort hinstellte, war er im Schatten“, gab er zur Antwort. „Nun schäme ich mich vor Gott, mich einzumischen.“

 

Geschichten über Dawud al-Ta’i

 

Es wird erzählt, dass Dawud ein großes Haus bewohnte mit vielen Zimmern.  Er bewohnte einen Raum bis er zusammenfiel und dann bezog er einen anderen.

„Warum renovierst du deine Zimmer nicht?“ wurde er gefragt.

„Ich habe Gott ein Versprechen gegeben, diese Welt nicht zu verbessern“, war seine Erklärung.

Nach und nach fiel das ganze Haus zusammen. Nichts blieb ganz bis auf den Eingansflur. An dem Tag an welchem Dawud starb, brach auch dieser zusammen.

„Das Dach dieses Raumes löchrig“ bemerkte ein anderer Besucher, „es wird bald einstürzen.“

„Ich habe zwanzig Jahre nicht zum Dach gesehen“, antwortete Dawud.

„Warum heiratest du nicht?“ wurde Dawud gefragt.

„Ich will eine gläubige Frau nicht betrügen“, sagte er.

„Wie käme dieses?“

„Wenn ich eine Frau zu mir nähme“, erklärte er, „bedeutete dies, dass ich mich um ihre Angelegenheiten kümmern muss. Da ich mich aber nicht um meine religiösen und weltlichen Pflichten gleichzeitig kümmern kann, bedeutet dies, dass ich sie betrügen würde.“

„Na gut“, sagten sie, „dann kämme dir aber zumindest den Bart.“

„Das bedeutete Muße zu haben, um dies zu tun“, gab er zurück.

In einer mondhellen Nacht stieg Dawud auf sein Dach und betrachtet die Sterne. Er war ganz ergriffen ob der Pracht des göttlichen Königreiches und begann zu weinen, bis er ganz außer sich war. So fiel er auf das Dach des Nachbarn. Der dachte ein Dieb wäre bei ihm eingestiegen und kam mit einem Schwert in der Hand aufs Dach gestürmt. Dort entdeckte er Dawud und nahm ihn bei der Hand.

„Wer hat dich da herunter gestoßen?“ fragte er.

„Ich habe keine Ahnung“, antwortete Dawud, „ich war ganz außer mir und kann mich an nichts erinnern.“

Eines Tages sah man Dawud zum Gebet eilen.

„Warum so eilig?“ wurde er gefragt.

„Die Armee vor den Toren der Stadt“, rief er zurück, „sie wartet auf mich.“

„Welche Armee?“, gaben sie zurück.

„Die Menschen aus den Gräbern“, war seine Antwort.

Harun al Rashid bat Abu Yusuf ihn zu Dawud zu bringen. Abu Yusuf begab sich zu Dawuds Haus, aber der Eintritt wurde ihm nicht gestattet. So bat er Dawuds Mutter Fürsprache einzulegen.

„Lass ihn eintreten“, bat seine Mutter.

„Was habe ich zu tun mit Leuten dieser Welt und Übeltätern?“ verweigerte Dawud seine Zustimmung.

„Ich bitte dich bei dem Recht meiner Milch, lass ihn eintreten“, sagte seine Mutter.

„O Gott“, sagte Dawud, „Du hast gesagt, „Hüte das Recht deiner Mutter, denn Meine Zufriedenheit liegt in ihrer Zufriedenheit.“ Sonst hätte ich mit ihnen nichts zu tun“, und sodann ließ er sie ein. Die beiden traten ein und nahmen Platz. Dawud begann zu predigen und Harun begann haltlos zu weinen. Als sie aufbrachen, ließ er etwas Gold zurück.

„Dies ist rechtmäßig erworben “, sagte er.

„Nimm es weg“, sagte Dawud. „Ich habe keine Verwendung dafür. Ich habe ein Haus verkauft, welches mein rechtmäßiges Eigentum war und lebe von diesem Erlös. Ich habe Gott gebeten meine Seele zurück zu nehmen, wenn dieses Geld aufgebraucht sein wird, damit ich von keiner Seele abhängig zu sein brauche. Ich bin zuversichtlich, dass Gott mein Gebet erhört hat.“

Harun und Abu Yusuf begaben sich zurück zum Palast. Abu Yusuf suchte Dawuds Vermögensverwalter auf und fragte ihn, wie viel von Dawuds Geld noch übrig wäre.

„Zwei Dirhams“ antworte dieser auf Abu Yusufs Frage, „jeden Tag gibt er einen Silbergroschen aus.“

Abu Yusuf rechnete nach. Und eines Tages verkündete er mit dem Rücken zur Gebetsnische. „Heute ist Dawud gestorben.“ Man forschte nach und fand heraus, dass es wirklich so war.

„Wie hast du dies wissen können?“ fragten sie.

„Ich habe seine Ausgaben nachgerechnet und heute war sein Vermögen aufgebraucht,“ erklärte Abu Yusuf, „und ich wusste, dass seine Gebete erhört würden.“

 

 

 

al-Muhasebi

 

Die Informationen die uns Attar über al Muhasebi hinterließ, einem der größten Persönlichkeiten in der Geschichte islamischer Mystik sind überraschenderweise sehr dürftig. 165 (781) in Basra geboren, zog Abu ‘Abd Allah al-Harith ibn Asad al-Basri al-Muhasebi schon früh nach Bagdad wo er die prophetischen Überlieferungen und Theologie studierte. Er stand in engem Kontakt mit den führenden Persönlichkei­ten und Zusammenhang mit den besonderen Ereignissen seiner Zeit. Er starb 243 (857). Der Einfluss seiner Lehren und Schriften über mystische Theoretiker, einschließlich und besonders über Abu Hamid al-Ghazali waren grundlegend und umfassend. Viele seiner Bücher und Abhandlungen sind uns erhalten geblieben, darunter das herausragende Kitab al-Re’aya (Herausgeber: Dr. Margret Smith, London, 1940)

 

Die Enthaltsamkeit von Harith ibn Muhasebi

 

Harith ibn Muhasebi hatte von seinem Vater dreißig tausend Dirham geerbt.

„Bringt es in den Staatsschatz ein. Sollen es die Behörden bekom­men“, verfügte er.

„Warum“, fragten sie.

„Der Prophet hat gesagt“, erklärte er, „und es ist eine wahre Überlieferung, dass die Qadariten die Magier dieser Gemeinschaft sind. Mein Vater war ein Qadarite. Der Prophet hat auch gesagt, dass ein Muslim von einem Magier nicht erbt. Mein Vater war ein Magier und wie ihr seht, bin ich ein Muslim.“

Gottes Fürsorge ihn vor Unrechtmäßigem zu bewahren war solcher Art, dass wenn er seine Finger nach Nahrung ausstreckte, welche nach dem Gesetz zweifelhaft einzuschätzen war, der Nerv seines Fingers klemmte und die Finger seinem Befehl sich zu strecken nicht gehorchten. Auf diese Art wusste er, dass der Bissen nicht den gesetzlichen Vorschriften entsprach.

„Eines Tages kam Harith zu mir und er war sichtbar hungrig“, berichtete Junaid.“ Ich sagte, „Onkel, warte ich bringe was zu essen.“ „Gerne“, antwortete er. Ich ging in die Kammer und suchte etwas zu essen und fand einige Reste eines Hochzeitmahles, welche man uns gebracht hatte. Diese setzte ich ihm vor. Doch seine Finger gehorchten ihm nicht. Er nahm einen Bissen in den Mund, doch so sehr er es versuchte, er vermochte ihn nicht zu schlucken. Er kaute an ihm herum, nahm es letztlich heraus, steckte es in seinen Beutel und verabschiedete sich. Später fragte ich ihn was passiert war. Harith sagte „Wirklich war ich hungrig und wollte dich nicht beleidigen. Doch hat mir Gott ein besonderes Zeichen gegeben, dass jedes ungesetzliche Essen mir im Hals stecken bleiben würde und meine Finger sich weigern würden es anzugreifen. Und in diesem Fall, so wie ich mich auch bemühte, ich konnte es nicht schlucken. Von wo kam das Essen?“

„Aus dem Haus eines meiner Angehörigen“, antwortete ich.

Dann sagte ich, „Willst du mich heute besuchen kommen?“

„Ich werde kommen“, sagte er zu.

So gingen wir hinein, nahmen ein Stück trockenes Brot und aßen es gemeinsam. Harith bemerkte, „Dies ist das richtige Essen, für einen Derwisch.“

 

 

 

Ahmad ibn Harb

 

Ahmad ibn Harb al-Nisaburi war ein bekannter Asket aus Nisabur, ein verlässlicher Überlieferer und Kämpfer in der Schlacht. Er besuchte Bagdad in der Zeit Ahmad Ibn Hanbals und lehrte dort; er starb 234 (849) im Alter von 85 Jahren.

 

Ahmad ibn Harb und der Zoroastrier

 

Ahmad ibn Harb hatte einen Zoroastrier namens Bahram als Nach­barn, der seinen Partner auf Geschäftsreise geschickt hatte. Dieser war unterwegs von Räubern überfallen und ausgeraubt worden.

„Auf“, rief Ahmad seine Schüler, als er diese Nachricht erfahren hatte, „solches ist unserem Nachbarn widerfahren. Wir wollen zu ihm gehen und ihm unser Bedauern aussprechen. Auch wenn er ein Zoroastrier ist, so ist er doch unser Nachbar.“

Als sie zu dessen Haus kamen, zündete Bahram gerade sein zoroas­trisches Feuer an. Bahram der sie kommen sah, dachte sie wären vielleicht hungrig und machte sich daran den Tisch zu decken, obwohl gerade nicht viel zu essen zu Hause war.

„Mache dir keine Umstände“, sagte Ahmad, „wir sind gekommen um dir unser Mitgefühl auszudrücken. Ich habe gehört, die sind deine Waren gestohlen worden.“

„Ja, leider, das ist richtig.“, sagte Bahram, „doch ich habe drei Gründe, Gott dankbar zu sein. Erstens, weil sie sie von mir und nicht jemand anders gestohlen haben. Zweitens, dass sie nur die Hälfte genommen haben. Drittens, dass ich, selbst wenn sie mir meine weltlichen Güter genommen haben, ich immer noch meine Religion besitze; denn die Welt kommt und geht.“

Diese Worte gefielen dem Ahmad.

„Schreibt dies auf“, verlangte er von seinen Schülern, „der Duft des Islams ist aus diesen Worten zu verspüren.“ Dann wandte er sich an Bahram und fügte hinzu, „Warum betest du dieses Feuer an?“

„Damit es mich nicht verbrennt“, antwortete Bahram.

„Zweitens, wenn ich ihm heute viel Brennstoff gebe, es mich dafür morgen an Gott weiterreicht.“

„Du hast einen großen Fehler begangen“, meinte Ahmad. „Feuer ist schwach, unwissend und ohne Glauben. Aller Glauben den du ihn es legst ist grundlos. Wenn ein kleines Kind Wasser darauf gießt, geht es aus. Ein so schwaches Ding – wie kann es dich vor den Mächtigen - Gott bringen? Darüber hinaus zeige ich dir, dass es unwissend ist, denn ob du Mist oder Weihrauch hineinwirfst, ohne Unterschied wird es beides verbrennen. Es erkennt den Wert des einen nicht und nicht den Wert des anderen. Und außerdem, seit siebzig Jahre betest du nun dieses Feuer an und ich keine Sekunde. Lass uns beide unsere Hände in das Feuer tun und du wirst sehen, dass es deine und meine Hand verbrennen wird. Es wird nicht gerecht zu dir sein.“

Diese Worte trafen den Zoroastrier ins Herz.

„Ich will dir vier Fragen stellen“, sagte er. „Wenn du sie alle vier beant­wortest, werde ich deinen Glauben annehmen. Sag: Warum erschuf Gott den Menschen? Und als er ihn erschaffen hatte, warum sorgte er für ihn? Warum lässt Er ihn sterben? Und warum lässt er ihn wieder auferstehen, nachdem Er ihn sterben hat lassen?“

„Er erschuf ich, damit er Sein Diener sei“, antwortete Ahmad.

„Er sorgte für ihn, damit er Ihn als den Allversorger kennen lernt. Er lässt ihn sterben, damit er Ihn als den über allen Starken kennen lernt und Er erweckt ihn, damit er Ihn als den Allmächtigen und All­wissenden kennen lernt.“

Sobald Ahmad ausgesprochen hatte, sprach Bahram das Glaubens­bekenntnis.

„Ich bezeuge es gibt keinen Gott außer Allah und Muhammad ist Gottes Gesandter“.

Darauf stieß Ahmad einen lauten Schrei aus und fiel in Ohnmacht.

„Warum wurdest du ohnmächtig?“ fragten ihn später seine Schüler?

„Als er seine Finger zum Bekenntnis hob“, erwiderte Ahmad, „ sprach eine laute Stimme im Innersten meines Herzens „Ahmad, Bahmram war siebzig Jahre lang ein Zoroastrier und letztendlich wurde er ein Gläubiger. Du hast siebzig Jahre als Gläubiger verbracht, was hast du nun anzubieten?“

 

Ahmad ibn Harb und der Kaufmann

 

In Nishapur lebten zwei Männer. Einer mit Namen Ahmad ibn Harb und der andere hieß Ahmad der Kaufmann. Ahmad ibn Harb war ein Mann der so mit dem Gedenken Gottes beschäftigt war, dass, wenn ihm der Barbier den Schnurrbart trimmen wollte, er seine Lippen nicht ruhig hielt.

„Halt wenigstens ruhig, während ich dir den Bart kürze“, sagte der Barbier.

„Kümmere dich um deine Angelegenheiten“, antwortete Ahmad.

Und jedes Mal wenn der Barbier Ahmads Schnurrbart kürzte, bekamen auch seine Lippen etwas ab.

Einmal bekam er einen Brief, den er zwar beantworten wollte aber keine Zeit dafür fand. Da rief der Muezzin zum Gebet. Und gerade als er sagte: „Es ist Zeit .. sagte Ahmad zu einem Gefährten. „Beantworte meines Freundes Brief. Sag ihm, er soll mir nicht mehr schreiben, denn ich finde die Zeit nicht, ihm zu antworten. Schreib, „Wir sind mit Gott beschäftigt – Pfiatdi:“

Was Ahmad den Kaufmann anging, so war der so hingebungsvoll mit weltlichen Dingen beschäftigt, dass er eines Tages seine Dienerin nach Essen schickte. Sie bereitete ihm ein Mahlzeit und brachte sie ihm, doch er ließ sich in seiner Buchhaltung bis spät in die Nacht hinein nicht unterbrechen, sodass er schlussendlich darüber einschlief. Als er nächsten Morgen aufwachte schimpfte er seine Magd.

„Du hast mir kein Essen gemacht.“

„Doch, aber du warst so sehr mit deinen Rechnungen beschäftigt.“

Also bereitete sie die Mahlzeit nochmals zu und setzte sie ihm vor. Und wieder fand er keine Zeit zu essen. Auch nach einem dritten Mal war er eingeschlafen, bevor er zu essen gekommen war. So nahm die Magd etwas davon und strich es ihm auf die Lippen. Davon erwachte Ahmad der Kaufmann.

„Bringe mir zum abwischen“, rief er, weil er dachte er hätte schon gegessen.

 

Ahmad ibn Harb und sein Sohn

 

Ahmad ibn Harb hatte einen kleinen Sohn, den er darin unterrichtete in Gott zu vertrauen.

„Wann immer du etwas willst, sei es Essen oder sonst etwas“, sagte er ihm, „geh zu diesem Fenster und sage, „Herr, Gott, ich brauche Brot.“

Jedes Mal wenn das Kind sich dort hinbegab, so hatten es die Eltern arrangiert, fand es dort vor, wonach es verlangt hatte. Eines Tages, als die Eltern ausgegangen waren, hatte es großen Hunger. Wie gewöhn­lich kam es zum Fenster und sprach.

„Herr, Gott, ich brauche Brot.“

Sofort ward ihm sein Essen von oben herab gesandt.

Die Eltern kehrten nach Hause zurück und fanden ihn zufrieden essen.

„Wo hast du das herbekommen?“ fragten sie.

„Von dem, der mir jeden Tag gibt“, war seine Antwort.

So erkannten sie, dass er gefestigt auf diesem Weg war.

 

 

 

Hatim al-Asamm

 

Abu ‘Abd al-Rahman Hatim ibn ‘Unwan al-Asamm (“der Taube”), in Balkh geboren, war ein Schüler des Shaqiq al-Balkhi. Er besuchte Bagdad und starb 237 (852) in Washjard bei Tirmidh.

 

Anekdoten über Hatim den Tauben

 

Hatims Großzügigkeit war solcherart, dass er zu einer Frau, die zu ihm gekommen war, um ihm einige Fragen zu stellen und der ein Furz entfahren war, sagt, „Sprich lauter, ich höre schlecht.“ Dies sagte er zu ihr, dass sich die Frau nicht zu schämen brauchte. Sie sprach lauter und er beantwortete ihre Fragen. So lange diese Frau am Leben war, noch an die 15 Jahre, gab Hatim vor schwerhörig zu sein, damit keiner auf die Idee käme dieser Frau zu sagen, er wäre es nicht. Nachdem sie gestorben war, konnte er wieder normal hören. Bis dahin allerdings, pflegte er zu jedem zu sagen der mit ihm sprach, „Sprich lauter!“, darum wurde er Hatim der Taube genannt.

Eines Tages prdeigte Hatim in Balkh.

„O Gott“, betete er, „wer heute in dieser Versammlung der größte Sünder, mit dem schwärzesten Sündenregister ist, vergib ihm.“ Nun war es so, dass ein Mann zugegen war, der die Toten zu berauben pflegte. Er hatte viele Gräber geöffnet und die Totentücher gestohlen. Diese Nacht ging er wieder auf seine übliche Diebestour aus. Eer hatte gerade die Erde von einem der Gräber fortgeschaufelt, als er eine Stimme aus dem Grab vernahm.

„Schämst du dich denn nicht? Heute morgens ist dir aufgrund Hatims Gebet vergeben worden und jetzt bist du wieder wie üblich unterwegs?“ Der Grabräuber sprang aus dem Grab und rannte zu Hatim und berichtete ihm von seinem Erlebnis und bat um Vergebung.

Sa’d ibn Mohammad al-Razi berichtet folgendes.

Viele Jahre war ich Hatims Schüler und ich erlebte ihn nur ein einziges mal verärgert. Er war auf den Markt gegangen und dort erblickte er einen Mann, der einen seiner Angestellten gepackt hielt und mit ihm schrie.

„Oftmals hast du von meinen Sachen genommen und sie gegessen und niemals dafür bezahlt.“

„Lieber Herr“, bat Hatim, „habt Nachsicht.“

„Mich interessiert keine Nachsicht“, giftete der Mann zurück, „ich will mein Geld sehen.“

Alles Bitten Hatims hatte keinerlei Erfolg. Langsam verärgert nahm er seinen Mantel und warf ihn mitten auf dem Bazar zu Boden. Er war gefüllt mit lauter echten Goldmünzen.

„Komm schon und nimm dir, was er dir schuldet, aber ja nicht mehr oder deine Hand wird dir verdorren“, sagte er zu dem Kaufmann. Der Mann bückte sich und nahm was ihm zustand. Doch dann konnte er nicht widerstehen und griff nochmals zu. Im selben Moment starb seine Hand ab.

Eines Tages kam ein Mann zu Hatim und sagte, „Ich besitze ein großes Vermögen und möchte einiges davon dir und deinen Gefährten überschreiben. Willst du es annehmen?“

„Ich fürchte“, erwiderte Hatim, „dass wenn du stirbst ich sagen muss „Himmlischer Versorger, mein irdischer Versorger ist verstor­ben.““

Hatim erinnerte sich, „Als ich einmal im Kampf stand, hatte mich ein Türke überwältigt und zu Boden geworfen um mich zu töten. Mein Herz war nicht beteiligt oder ängstlich. Ich wartete bloß um zu sehen, was er tun würde. Er griff nach seinem Schwert, als ihn ein Pfeil traf und er über mich fiel. „Hast du mich jetzt oder ich dich getötet?“ rief ich.“

Als Hatim nach Bagdad kam, übermittelte man dem Kalifen, „Der Asket von Khorasan ist angekommen.“. Sofort ließ der Kalif nach ihm rufen.

„O Kalif du Asket“, sprach ihn Hatim an, als er vor ihm stand.

„Ich bin kein Asket“, antwortete der Kalif. Die ganze Welt ist meinem Befehl untertan. Du bist der Asket.“

„Nein, du bist der Asket“, gab Hatim zurück. „Gott sagt, „die Vergnügen dieser Welt sind wenig. Du bist mit wenig zufrieden. Du bist der Asket, nicht ich. Ich ergebe mich nicht dieser Welt oder der nächsten, wie sollte ich ein Asket sein?“

 

 

 

Sahl ibn Abd Allah al-Tustari

 

Abu Muhammad Sahl ibn ‘Abd Allah al-Tustari wurde ca. 200 (815) in Tustar (Ahwaz) geboren. Er studierte mit Sufyan al-Thauri und begegnete Dhu ‘l-Nun al-Misri. Sein ruhiges Leben wurde unter­brochen, als er 261 (874) in Basra Zuflucht suchen musste und dort 282 (896) starb. Ein kurzer Qur’ankommentar wird ihm zugeschrieben und er leistete einen enormen Beitrag zur Entwicklung Sufischer Theorie über seinen Schüler Ibn Salim, der die Salimiya Schule gründete.

 

Die jungen Jahre des Sahl ibn Abd Allah al-Tustari

 

Sahl ibn Abd Allah al-Tustari berichtet über sich selbst.

Ich erinnere mich als Gott sprach, Bin Ich nicht dein Herr? Und ich Ja sagte. Ich erinnere mich auch an die Zeit in meiner Mutter Bauch.

Ich war drei Jahre alt, als ich begann die ganze Nacht zu beten. Mein Onkel Muhammad ibn Sawwar weinte, wenn er mich so beten sah.

„Sahl, geh schlafen, du machst mich besorgt“, sagte er. Ich passte auf meinen Onkel auf, insgeheim und auch ganz offen. Eines Tages ging es soweit, dass ich zu ihm sagte, „Onkel, ich befinde mich in einem schwierigen Zustand. Es kommt mir so vor, dass ich meinen Kopf vor dem Thron niedergeworfen sehe.“

„Halte diese Stellung geheim, mein Kind, und erzähle niemandem davon“, riet er mir. Dann fügte er hinzu, „Wenn du im Bett bist und dich von einer Seite auf die andere rollst, erinnere deine Zunge zu sagen „Gott ist mit mir, Gott schaut auf mich, Gott ist mein Zeuge.““

Ich tat wie er es mir geraten hatte und sagte ihm dies auch.

„Sprich diese Worte siebenmal“, empfahl er mir.

Ich sagte ihm, dass ich dies getan hätte.

„Sprich sie fünfzehnmal.“

Ich folgte meines Onkels Anweisungen und von da an überkam eine Süße mein Herz. Ein Jahr verging. Dann sagte mein Onkel, „Behalte diese Gewohnheit bei, bis du stirbst. Die Früchte davon wirst du in dieser und in der nächsten Welt ernten.“

Jahre vergingen und ich pflegte diese Gewohnheit, bis dessen Süße in mein innerstes Herz eindrang.

„Sahl“, sagte mein Onkel, „wenn Gott mit irgendeinem Menschen ist und Gott ihn sieht, wie kann er Gott ungehorsam sein? Gott passt auf dich auf, damit du nicht ungehorsam seiest.“ Danach zog ich mich in Klausur zurück und darauf schickten sie mich in die Schule.

„Ich habe Angst, dass meine Konzentration verloren geht,“ sagte ich mir, „ich will mit meinem Lehrer abmachen, dass ich eine Stunde bei ihm bleibe und einiges von ihm lerne und dann kehre ich wieder zu meiner wahren Beschäftigung zurück.“

Unter dieser Bedingung ging ich zur Schule und erlernte den Qur’an mit sieben Jahren. Zu dieser Zeit begann ich ständig zu fasten. Mein Essen war nur Haferbrot. Mit zwölf sah ich mich einem Problem gegenüber, welches keiner lösen konnte. Ich bat, mich nach Basra zu schicken, damit mein Problem dort gelöst werden könnte. Ich kam nach Basra und befragte die Gelehrten dieser Zeit, doch keiner konnte meine Fragen beantworten. Von dort ging ich nach Abbadan zu einem Mann namens Habib ibn Hamza. Er beantwortet meine Frage. Ich blieb einige Zeit bei ihm und zog viel Nutzen von seinen Unterweisungen.

Danach kam ich nach Tustar. Zu dieser Zeit war meine Nahrungsaufnahme soweit reduziert, dass man um einen Dirham Hafer für mich kaufte, diesen mahlte und Brot für mich daraus buk. Jeden Abend brach ich mein Fasten mit einer Unze davon ohne Beilage oder Salz. So zehrte ich ein Jahr lang von einem einzigen Dirham.

Danach beschloss ich mein Fasten erst nach drei Tagen zu brechen, dann nach fünf Tagen und immer weiter, bis ich mein Fasten erst nach zwanzig Tagen brach. (Nach einem anderen Bericht, ging Sahl soweit, sein Fasten erst nach jeweils siebzig Tagen zu brechen.) Manchmal aß ich nur alle vierzig Tage ein paar Bissen.

Ich unterzog mich dem Wechsel von Hunger und Sattheit für viele Jahre. Anfangs kam meine Schwäche vom Hunger und meine Stärke vom Sattsein. Später kam meine Stärke vom Hunger und meine Schwäche vom Sattsein. Dann betete ich, „O Gott, verschließe Sahls Augen vor beidem, lass ihn Sattsein im Hungrigsein finden und Hungrig­sein im Sattsein, beides von Dir kommend.“

Eines Tages sagte Sahl,“ Reue ist dem Menschen in jedem Moment verpflichtend vorgeschrieben, ob er aus noblen oder gewöhnlichem Volke stammt, ob er Gott gehorsam oder ungehorsam gegenüber ist.“

Es gab einen Mann in Tustar, der von sich behauptete gelehrt und ein Asket zu sein. Er widersprach Sahls Äußerungen.

„Er sagt, dass der Ungehorsame seinen Ungehorsam bereuen und der Gehorsame seinen Gehorsam bereuen muss”.

Und er begann die Leute gegen Sahl aufzubringen indem er verbreitete, dieser wäre ein vom Glauben abgefallener Ungläubiger. Alle, ohne Ausnahme, die Gebildeten und Gewöhnlichen folgten diesen Anschuldigungen. Sahl nahm Abstand davon mit ihnen darüber zu disputieren und ihr Missverständnis aufzuklären. Durch die reine Flamme der Religion angefeuert, schrieb er alles auf, was er besaß. Häuser, Teppiche, Möbel, Geschirr, Gold, Silber. Dann rief er die Leute zusammen und streute diese Aufzeichnungen über ihren Köpfen aus. Jedem gab er das, was auf dem Papier stand, welches jener aufhob, als ein Zeichen der Dankbarkeit dafür, dass sie ihn von den weltlichen Gütern befreit hatten. Nachdem er alles weggegeben hatte, brach er in den Hijaz auf.

„Meine Seele“, sprach er zu sich selbst, „nun bin ich bankrott. Fordere also nichts mehr von mir, denn du wirst nichts mehr von mir bekommen.“

Seine Seele war einverstanden, nichts mehr von ihm zu fordern, bis sie Kufa erreichten.

„So weit“, sagte seine Seele, “habe ich dich nicht um etwas gebeten. Jetzt will ich ein Stück Brot und Fisch. Gib mir das zu essen und ich will dich auf deinem Weg nach Mekka nicht mehr weiter stören.“

Als er nach Kufa hineinkam, sah er eine Rundmühle, in welcher ein Kamel eingespannt war.

„Wie viel bezahlt ihr pro Tag Rente für dieses Kamel?“ fragte er.

„Zwei Dirhams,“ sagten sie.

„Spannt das Kamel aus, spannt mich ein und gebt mir einen Dirham bis zum Abendgebet“, verlangte Sahl.

So machten sie es. Als die Nacht anbrach gaben sie ihm einen Dirham. Er kaufte Brot und Fisch dafür und stellte diese vor sich hin.

„Seele“, sprach er zu sich, „ jedes Mal wenn du so was willst, stell dich darauf ein, dass du von Morgen bis Abend Eselsarbeit wirst verrichten müssen.“

Danach brach Sahl zur Kaaba auf, wo er vielen Sufi Meistern begeg­nete. Von dort kehrte er nach Tustar zurück, wo Dho ‘l-Nun ihn bereits erwartete.

 

Anekdoten über Sahl ibn Abd Allah al-Tustari

 

Amr ibn Laith wurde so sehr krank, dass ihm kein Arzt mehr helfen konnte.

„Gibt es irgendjemanden, der um seine Gesundheit beten könnte?“ wurde gefragt.

„Sahl ist einer, dessen Gebete erhört werden“, kam die Antwort.

Seine Hilfe wurde daher angefragt. Gottes Befehl „gehorche den Befehlshabern“ im Kopf, folgte er dem ersuchen.

„Gebete“, sprach er, nachdem man ihn vor den Amr gebracht hatte, „sind nur für den Bereuenden erfolgreich. In deinem Gefängniss sind viele unrechterweise eingekerkert.“

Amr ließ sie alle frei und bereute.

„Herr, Gott“, betete Sahl, „so wie Du ihm den Ausgang seines Unge­hor­­sams gezeigt hast, so zeige Ihm nun die, durch meinen Gehor­sam erworbene Ehre. So wie Du seine innersten Glieder mit Reue um­klei­det hast, so kleide nun seine äußeren Glieder mit dem Gewand der Gesundheit.“

Im gleichen Moment in dem Sahl sein Gebet sprach, wurde Amr ibn Laith wieder vollständig geheilt. Er bot dem Sahl eine Menge Geld, die der aber nicht annahm und sich aus seiner Gegenwart entfernt.

„Wenn du nur etwas davon angenommen hättest,“ warf einer seiner Schüler ein, „hätten wir unser Schulden bezahlen können, die bereits angelaufen sind. Wäre das nicht besser gewesen?“

„Brauchst du Gold? Dann schau“, rief Sahl.

Der Schüler sah sich um und erblickte alles über und über mit Gold und Edelsteinen bedeckt.

„Warum“, sagte Sahl, „sollte einer, der diese Gunst Gottes genießt, irgend­etwas von einem der Geschöpfe Gottes annehmen?“

Immer wenn Sahl an einer mystischen Runde teilnahm, fiel er in Ekstase und blieb in ihr fünf Tage lang ohne Nahrung zu sich zu nehmen. Im Winter war dabei sein Hemd vom Schweiß durchtränkt.

Wenn ihn in diesem Zustand die Ulema etwas fragten, pflegte er zu antworten, „Fragt mich nicht, denn in diesem mystischen Augenblick könnt ihr keinen Nutzen von mir und meinen Worten ziehen.“

Sahl ging auch über das Wasser, ohne dass seine Füße auch nur feucht wurden.

„Die Leute sagen“, bemerkte einer, „dass du über das Wasser gehst.“

„Frag den Muezzin“, gab Sahl zurück, „er ist ein ehrlicher Mann.

„Ich fragte den Muezzin“, erzählte der Mann, „ und der sagte mir, „Ich selbst habe dies nie gesehen, doch letztens war er an einem Teich um sich zu waschen und fiel hinein. Wenn ich nicht in der Nähe gewesen wäre, wäre er wohl ertrunken.“

Als Abu Ali ibn Daqqaq diese Geschichte hörte, sagte er, „Er hatte vielerlei wunderbare Kräfte, doch er wollte sie geheim halten.“

Eines Tages saß Sahl in der Moschee, als eine Taube erschöpft von der Hitze vom Himmel fiel.

„Shah ibn Kermani ist gestorben“, vermerkte Sahl. Als man nach­sehen ging, stellte sich dies als richtig heraus.

Viele Löwen und andere wilde Tiere pflegten Sahl zu besuchen, die er fütterte und pflegte. Selbst heute noch wird Sahls Haus, das „Haus der wilden Tiere“ genannt.

Nach seinen langen Perioden der Enthaltsamkeit und Entbehrungen verlor Sahl seine physische Kontrolle, sodass er jede Stunde ein paar mal auf die Toilette musste. Um sich in diesem Zustand zu helfen, führte er immer einen Topf mit sich, da er nicht an sich halten konnte. Wenn die Zeit des Gebets kam, reduzierte sich seine Not. Er machte dann die Gebetswaschung und betete und anschließend begann wieder alles von vorne. Immer wenn er die Kanzel bestieg, verschwanden seine Beschwerden vollständig und wenn er herabstieg, kamen auch die Beschwerden zurück. Trotz alldem verabsäumte er auch niemals ein bisschen seine religiösen Pflichten.

Als der Tag seines Abscheidens kam, standen seine vierhundert Schüler um sein Krankenlager.

„Wer wird an deinem Platz sitzen, wer von deiner Kanzel predigen?“ fragten sie.

Auch ein Zoroastrier namens Shadh-Del war anwesend.

„Shadh-Del wird auf meinem Platz sitzen“, sagte Sahl und öffnete die Augen.

„Der Scheich hat den Verstand verloren“, murrten die Schüler. „Da hat er vierhundert Schüler, alle gelehrte Männer der Religion und er bestellt einen Zoroastrier auf seinen Platz.“

„Haltet euren Unmut zurück“, rief Sahl, „bringt mir Shadh-Del.“

Die Schüler brachten ihn.

„Drei Tage nach meinem Tod,“ sprach Sahl, als er ihn erblickte, „steig auf meine Kanzel, setze dich auf meinen Platz und predige den Leuten nach dem Nachmit­tags­gebet.“

Mit diesen Worten auf den Lippen verstarb Sahl. Drei Tage danach kamen die Leute zusammen und nach dem Nachmittagsgebet stieg Shadh-Del auf die Kanzel während ihn die Leute anstarrten.

„Was soll das? Ein Zoroastrier mit dem Hut der Magier auf dem Kopf und einem Gürtel um die Hüften!“

„Euer Führer“, sprach Shadh-Del, „hat mich zu seinem Botschafter für euch gemacht. Er hat zu mir gesagt. „Shadh-Del, ist die Zeit nicht für dich gekommen, denn Magiergürtel zu durchtrennen?“ und nun passt auf, jetzt schneide ich ihn durch.“

Er nahm ein Messer und schnitt den Gürtel entzwei.

„Er sagte auch“, fuhr er fort, „ist die Zeit für dich nicht gekommen, den Magier Hut abzunehmen.“ Passt auf, nun nehme ich ihn ab.“

Dann sagte Shadh-Del, „Ich bezeuge, es gibt keinen Gott ausser Gott und ich bezeuge, dass Muhammad Sein Gesandter ist.“ Er sprach weiter, „Der Scheich sagte, sag “Der euer Scheich war, hat euch gut beraten und unterrichtet und es ist eine Pflicht der Schülerschaft, den Rat des Lehrers anzunehmen. Und wisset, Shadh-Del hat den äußeren Gürtel durchschnitten. Wenn ihr mich am Tage der Auferstehung sehen wollt, so rate ich euch in heiligem Ernst, jeden von euch, schneidet eure inneren Gürtel entzwei.“

Große Bewegung entstand unter den Versammelten, als Shadh-Del geendet hatte und großartige geistige Manifestationen folgten.

An dem Tag, an dem man Sahl zu Grabe trug, säumten viele Menschen die Strassen. Es lebte auch ein siebzigjähriger Jude in Tustar. Als er den Aufmarsch auf der Strasse hörte, rannte er aus dem Haus, um zu sehen was geschehen war. Als die Prozession bei ihm vorbei kam, schrie er laut auf.

„Leute, seht ihr was ich sehe? Engel steigen vom Himmel herab und berühren seinen Leichnam mit ihren Flügeln.“

Sofort sprach er das Glaubensbekenntnis und wurde ein Muslim.

Eines Tages saß Sahl mit seinen Gefährten, als ein bestimmter Mann vorbei kam.

„Dieser Mann trägt ein Geheimnis“, sagte Sahl.

Als sie wieder aufblickten, war der Mann verschwunden.

Nach Sahls Tod saß einer seiner Schüler bei seinem Grab, als eben dieser Mann des Weges kam.

„Mein Herr“, sprach ihn der Schüler an, „der Scheich der in dieser Gruft begraben liegt, sagte einst dass Ihr ein Geheimnis mit Euch tragt. Bei Gott, der Euch dieses Geheimnis anvertraut hat, gebt mir ein Zeichen davon.“

Der Mann zeigt auf Sahls Grab.

„Sahl, sag an!“ rief er.

Eine laute Stimme erscholl aus dem Grab.

„Da gibt es keinen Gott außer Gott, der keinen Partner hat.“

„Sie sagen“, sprach der Mann, „ dass für den, der daran glaubt, dass es keinen Gott außer Gott gibt, keine Finsternis im Grab gibt. Ist das wahr oder nicht?“

Sahl rief aus dem Grab. „Es ist wahr!“

 

 

 

Ma‘ruf al-Karkhi

 

Abu Mahfuz Ma‘ruf ibn Firuz al-Karkhi hatte angeblich christliche Eltern. Die Geschichte seiner Konversion durch den schiitischen Imam Ali ibn Musaal Reza gilt allgemein als unglaubwürdig. Er war ein bekannter Mystiker der Bagdader Schule und er starb um 200 (815)

 

Wie sich Ma‘ruf al-Karkhi für den Islam entschied.

 

Ma‘ruf al-Karkhis Eltern waren beide Christen. Als sie ihn in die Schule schickten, sagte sein Lehrer zu ihm, „Sag, Gott ist einer von drei.“

„Nein“, antwortete Ma‘ruf. „Ganz im Gegenteil ,,Er ist Gott, der Eine.“

Der Lehrer schlug ihn, doch ohne Erfolg. Eines Tages schlug ihn der Lehrer ganz heftig, bis Ma‘ruf davon lief und ihn keiner finden konnte.

„Wenn er nur zurückkommen würde“, sagten seine Eltern, „welcher Religion er sich auch anschließen möchte, wir wären damit einver­standen.“

Ma‘ruf ging darauf zu Ali ibn Musa al Reza und nahm aus seinen Händen den Islam an. Danach verstrich noch einige Zeit, bis er wieder nach Hause zurückkehrte und an seines Vaters Tür klopfte.

„Wer ist da?“ fragten sie.

„Ma‘ruf“, antwortete er.

„Welchem Glauben folgst du?“

“Der Religion Muhammads, des Gesandten Gottes.“

Darauf wurden seine Mutter und sein Vater sofort Muslime.

Danach begab sich Ma‘ruf unter die Fittiche von Dawud ibn Ta’i und unterzog sich einer harten Schulung. Er zeigte sich dermaßen ergeben und von solcher Enthaltsamkeit, dass seine Standfestigkeit überall bekannt wurde.

Muhammad ibn Mansur al-Tusi erzählte, dass er Ma‘ruf in Bagdad getroffen hatte.”

„Ich bemerke einen Kratzer in deinem Gesicht“, sagte ich zu ihm, „den ich gestern noch nicht bemerkt habe. Was ist passiert?“ „Frag nicht, was dich nicht betrifft“, war seine Antwort, „frag nur nach solchen Dingen, welche dir nützlich sind.“ „Bei dem Recht Dessen, den wir anbeten“, bettelte ich, „verrate es mir.“

Dann erzählte er mir folgendes. „Letzte Nacht im Gebet wünschte ich mir, in Mekka zu sein und die Kaaba zu umrunden. Ich ging zum Zam Zam Brunnen um einen Schluck Wasser zu trinken. Ich rutschte aus und schlug am Brunnenrand auf. Davon habe ich diesen Kratzer.“

Eines Tages ging Ma‘ruf zum Tigris hinunter um seine Gebetswaschung vorzunehmen und hatte seinen Qur’an und Gebets­teppich in der Moschee zurück gelassen. Eine alte Frau schlich sich in die Moschee und nahm seine Sachen fort. Ma‘ruf rannte hinter ihr her. Als er sie eingeholt hatte sprach er sie züchtig mit gesenktem Blick an.

„Hast du einen Sohn, der den Qur’an zu rezitieren weiß?“

„Nein“, antwortete sie.

„Gib mir nur den Qur’an zurück. Den Teppich kannst du behalten.”

Die Frau war ob seiner Freundlichkeit völlig überrascht und stellte beide Sachen zu Boden.

„Nein,“ wiederholte Ma‘ruf, „du kannst den Teppich behalten, er gehört jetzt wirklich dir.“

Die Frau eilte verschämt und verwirrt davon.

 

Anekdoten über Ma‘ruf

 

Eines Tages war Ma‘ruf mit seinen Gefährten unterwegs, als sie auf eine Gruppe Jugendlicher trafen, die sich den ganzen Weg zum Tigris hinunter völlig ungehörig benahmen.

„Meister“, verlangten seine Gefährten, „bete zum Allmächtigen Gott, dass Er diese Gangster alle ersäufen möge, damit die Welt von ihnen befreit wäre.

„Hebt eure Hände“, forderte Ma‘ruf sie auf. Dann betete er.

„O Gott, so wie Du ihnen ein lustiges Leben im Diesseits beschert hast, gewähre ihnen auch ein solches im Jenseits.“

„Meister, wir begreifen das Geheimnis hinter deinem Gebet nicht“, riefen seine Gefährten verwundert.

„Der mit dem ich spreche, kennt das Geheimnis“, erwiderte Ma‘ruf, „wartet einen Moment und euch wird gleich das Geheimnis offenbart.“

Als die Jugendlichen den Scheich bemerkten, zerbrachen sie ihre Lauten und schütteten den Wien aus den sie tranken. Das Zittern überkam sie und sie fielen bereuend vor dem Scheich auf die Knie.

„Seht ihr“, bemerkte Ma‘ruf zu seinen Gefährten. „Euer Wunsch ist vollständig in Erfüllung gegangen, ohne jemanden zu ersäufen oder jemanden zu quälen.“

Sari ibn Saqati erzählt folgende Begebenheit.

An einem Feiertag sah ich Ma‘ruf Dattelkerne von der Straße auf­sammeln.

„Was machst du da?“ fragte ich ihn.

„Ich sah ein Kind weinen“, sagte er mir, „und als ich es nach dem Grund fragte, sagte es mir, dass es eine Waise ohne Vater und Mutter wäre. Die anderen Kinder hätten alle neue Kleider bekommen und Nüsse und es weder das eine noch das andere. Deswegen sammle ich jetzt diese Kerne, damit ich sie verkaufen und dem Kind dafür ein paar Nüsse kaufen kann, damit es fröhlich mit den anderen Kindern spielen kann.“

„Ich will mich um diese Sache kümmern und sie dir abnehmen“, sagte ich zu Ma‘ruf. Ich gab dem Kleinen neue Sachen zum Anziehen, kaufte ihm Nüsse und machte ihn glücklich. Da empfand ich ein helles Licht in meinem Herzen und mir geschah die Verwandlung.“

Ma‘ruf hatte einen Onkel der Bürgermeister einer Stadt war. Eines Tages ging dieser an einem Stück Ödland vorbei und bemerkte Ma‘ruf, der dort saß und ein Stück Brot verspeiste. Vor ihm saß ein Hund und Ma‘ruf steckte ihm und sich selbst jeweils abwechselnd einen Brocken in den Mund.

„Sag einmal, schämst du dich nicht, mit einem Hund zu essen?“, rief sein Onkel.

„Weil ich mich schäme“, rief Ma‘ruf zurück, „gebe ich den Armen zu essen.“

Dann hob er seinen Kopf und rief einen Vogel aus der Luft. Der Vogel kam herab geflogen, setzte sich auf seine Hand und bedeckte sein Köpfchen mit den Flügeln.

„Wer sich vor Gott schämt“, sagte Ma‘ruf, „vor dem schämt sich alle Welt.“ Da war sein Onkel auf einmal sehr verwirrt.

Eines Tages brach Ma‘rufs rituelle Reinheit und sofort verrichtete er die rituelle Waschung mit Sand.

„Warum“, sagten sie zu ihm, „hier fließt der Tigris. Warum nimmst du Sand für die Waschung?“

„Es könnte sein, „ antwortete er, „dass ich nicht mehr lebe, bis ich ihn erreiche.“

Eine Gruppe Schiiten drängte sich eines Tages vor Rezas Tür und dabei brachen sie Ma‘ruf ibn Karkhis Rippen und er wurde ernsthaft krank.

Sari as Saqati sagte zu ihm, „wie lautet dein letzter Wille?“

„Wenn ich sterbe“, sagte Ma‘ruf, „nimm mein Hemd und gib es als Almosen. Ich will diese Welt nackt verlassen, so wie ich sie nackt aus dem Bauche meiner Mutter betrat.“

Als er starb war die Bekanntheit seiner tiefen Menschlichkeit so groß, dass alle religiöse Gemeinschaften, Juden, Christen und Muslime gleichermaßen ihn als einen der ihren vereinnahmten.

Sein Diener berichtete, dass Ma‘ruf folgendes gesagt hatte.

„Wer immer meinen Leichnam vom Boden aufheben kann, zu dessen Gruppe gehöre ich.“

Die Christen konnten den Leichnam nicht anheben, auch die Juden nicht. Dann kamen die Muslime und ihnen gelang es. So beteten sie über ihm und begruben ihn gerade an jenem Platz.

Sari berichtete folgendes.

Nachdem Ma‘ruf gestorben war, erschien er mir im Traum. Er stand unterhalb des Throns mit weit offenen Augen, als wäre er verwirrt und wie von Sinnen. Ein Ruf von Gott erging an die Engel.

„Wer ist das?“

“Herr, Gott, Du weißt dies am besten“, antworteten die Engel.

„Es ist Ma‘ruf“, kam der Befehl.“ Er wurde verwirrt und geblendet von Unserer Liebe. Nur durch Unseren Anblick, nur durch das Zusammentreffen mit Uns, wird er wieder zu sich kommen.

 

 

 

Sari as-Saqati

 

Es wird gesagt, dass Abu ‘1-Hasan Sari ibn al-Mughalles as-Saqati, ein Schüler des Ma’ruf al-Karkhi, und der Onkel al-Junaids gewesen war. Von Beruf Gebrauchtwarenhändler, war er eine herausragende Figur in der Runde der Bagdader Sufis, der auch den Widerspruch Ahmad ibn Hanbals weckte. Er starb 253 (867) im Alter von98 Jahren.

 

Die Laufbahn des SSS

 

SSS war der erste, der in Bagdad die mystischen Wahrheiten vortrug und von der „Einheit“ sprach. Die meisten Sufi Scheichs aus dem Irak waren seine Schüler.

In Bagdad besaß er ein Geschäft in welchem er regelmäßig einige Rakats betete, nachdem er jeweils einen Vorhang vor den Eingang gehängt hatte.

Eines Tages kam ein Mann von den Lukam Bergen um ihn zu besuchen. Der schob den Vorhang beiseite, grüßte ihn und sagte, „Scheich so-und-so richtet dir Grüße aus.“

„Er lebt in den Bergen“, merkte Sari an. „Seine Bemühungen sind umsonst. Ein Mann sollte in der Lage sein, mitten in der Stadt zu wohnen und derart mit Gott beschäftigt zu sein, dass er nicht einen Moment von Ihm entfernt ist.“

Es wird gesagt, dass er in seinen Geschäften nie nach mehr Profit als 5% strebte. Eines Tages kaufte er um sechzig Dinare Mandeln. Nach einigen Tagen waren sie in der Stadt ausverkauft.

Ein Zwischenhändler fragte bei ihm an.

„Für wie viel soll ich sie dir verkaufen?“

„Um sechsundsechzig Dinar.“

„Aber der Preis steht bei neunzig Dinar“, warf der Händler ein.

„Meine Regel ist es, nicht mehr als 5 Prozent zu nehmen“, gab Sari zurück „und ich werde meine Regel nicht brechen.“

„Ich aber glaube, dass es nicht gut ist, deine Ware billiger zu verkaufen“, sagte der Händler.

Somit machte der Händler kein Geschäft und Sari keine Zuge­ständnisse.

Zu Beginn verkaufte Sari so allerlei um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Eines Tages brach Feuer im Bazar von Bagdad aus.

„Der Bazar steht in Flammen“, riefen sie ihm zu.

„Dann bin auch ich frei geworden“, bemerkte er.

Später stellte man fest, dass Saris Geschäft heil geblieben war. Daraufhin verteilte  Sari all seine Waren an die Bedürftigen und begab sich auf den Pfad des Sufi.

„Was war der Anfang deiner spirituellen Weges?“ wurde er gefragt.

„Eines Tages“, antwortete er, „ging Habib ibn Ra’i bei meinem Geschäft vorbei und ich gab ihm etwas mit, dass er es den Armen brächte. „Gott möge gut zu dir sein“, gab dieser zurück. An dem Tag als er dies sprach, verlor die Welt ihre Anziehungskraft auf mich.

Am nächsten Tag kam Ma’ruf-ibn Karkhi vorbei, mit einem Waisen­kind an der Hand. „Gib dem Kind was zum Anziehen“, bat er mich. Ich gab dem Kind einige Kleider. „Möge Gott deinem Herzen diese Welt hassenswert machen und dir Ruhe von dieser Arbeit gönnen“, rief er. So gab ich weltliche Dinge vollkommen auf, dank Ma’rufs Gebet.

 

Sari und der Höfling

 

Eines Tages, als Sari eine seiner Predigten hielt kam Ahmad ibn Yazid, genannt der Schreiber, einer der Vertrauten des Kalifen in all seinem Pomp, umgeben mit Sklaven und Dienern des Wegs.

„Wartet, ich will mir die Rede dieses Kerls anhören“, sagte er.

„Wir waren schon an einigen guten Plätzen, an die wir uns hätten nicht begeben sollen – davon hatten wir genug.“

Er trat ein und setzte sich nieder.

„In allen achtzehntausend Welten“, sagte Sari gerade, „gibt es nicht schwächeres als den Menschen. Von all den unzähligen Gattungen, die Gott erschaffen hat, ist keiner so ungehorsam Gottes Gesetzen gegenüber als der Mensch. Wenn er gut ist, dann ist er so gut, dass die Engel ihn um seinen Rang beneiden; ist er schlecht, so ist er so schlecht, dass sich selbst der Teufel schämt, sich mit ihm abzuge­ben. Welch ein wundersames Geschöpf ist der Mensch, so schwach und trotzdem widersetzt er sich Gott, der doch so Allmächtig ist!“

Diese Worte trafen wie Pfeile von Saris Bogen direkt in Ahmads Seele. Er musste so bitterlich weinen, dass er das Bewusstsein verlor. Als er erwachte, begab er sich erneut unter Tränen nach Hause. In dieser Nacht sprach er nichts mehr und nahm auch keinerlei Speise zu sich. Nächsten Morgen begab er sich zu Fuß zu Saris Versammlung, verstört und blass. Nach dem Treffen kehrte er nach Hause zurück. Auch am dritten Tag kam er, alleine und zu Fuß. Am Ende der Versammlung trat er auf Sari zu.

„Meister“, sagte er, „deine Worte haben mich ergriffen und die Welt meinem Herzen überdrüssig gemacht. Ich will diese Welt aufgeben und mich aus der Gesellschaft der Menschen zurückziehen. Zeige mir den Weg der Reisenden.“

„Welchen Weg wünscht du?“ fragte Sari. „Den des Pfades oder des Gesetzes? Jenen der Vielen oder jenen der Erwählten?“

„Erkläre beide“, bat der Höfling.

„Der Weg der Vielen bedeutet,“ sagte Sari, „dass du die täglichen fünf Gebete hinter einem Imam einhältst und Almosen gibst – wenn in  Geld, dann einen halben Dinar von zwanzig. Der Weg der Erwählten bedeutet, dass du Welt vollständig hinter dich wirfst und dich nicht weiter mit ihren Fallen befasst; wenn dir von ihnen angeboten wird, so wirst du nicht annehmen. Dies sind die beiden Wege.“

Der Höfling trat vor das Haus und brach in Richtung Wildnis auf. Einige Tage später kam eine alte Frau mit zerzaustem Haar und zerkratztem Gesicht zu Sari.

„Imam der Muslime, ich hatte einen Sohn, jung und bester Verfassung“, sagte sie, „und eines Tages gelangte er lachend und guter Dinge in deine Versammlung und verließ sie weinend und klagend. Seit einigen Tagen ist er nun verschwunden. Und ich weiß nicht wo er ist. Mein Herz brennt, da er von mir getrennt ist. Ich bitte dich, tue etwas für mich.“

Ihre verzweifelt Bitte rührte Saris Mitleid.

„Sei nicht traurig“, sagte er zu ihr. „Nur das Gute wird bleiben. Wenn er zurück ist, wird er es dir mitteilen. Er hat der Welt abge­schworen und den weltlichen Dingen den Rücken gekehrt. Er ist ein wahrhaft Bußfertiger geworden.“

Einige Zeit später tauchte Ahmad wieder auf.

„Geh und berichte davon der alten Dame“, bat Sari einen seiner Diener. Dann sah er auf Ahmad. Dessen Wangen waren blass, er erschöpft und seine zypressengleiche Gestalt gebückt.

„Gütiger Meister“, rief er, „dafür dass du mich zum Frieden geleitet und aus der Dunkelheit geführt hast, möge dir Gott Frieden und Freude in beiden Welten über dich gießen.“

So waren sie miteinander im Gespräch, als Ahmads Mutter und seine Frau eintraten und seinen kleinen Sohn mitbrachten. Als seine Mutter ihren Sohn in einem Zustand erblickte, den sie an ihm nicht kannte, schlug sie sich gegen die Brust. Seine Frau stand klagend an seiner Seite und der Sohn weinend an der anderen. Dies war dermaßen ergreifend, dass auch Sari in Tränen ausbrach. Das Kind warf sich dem Vater zu Füßen und obwohl sich alle bemühten, ihn zu bewegen nach Hause zurück zu kommen, hatten sie keinen Erfolg.

„Imam der Muslime“, protestierte Ahmad, „warum hast du ihnen etwas gesagt? Sie sind meine Abhaltung.“

„Deine Mutter hat mich immer und immer wieder gebeten, so dass ich schließlich einverstanden war, ihr deine Rückkehr zu berichten“, gab Sari zur Antwort.

Ahmad machte sich auf, in die Wüste zurückzukehren.

„Noch bist du am Leben und doch hast du mich zur Witwe und dein Kind zum Waisen gemacht.“, klagte seine Frau. „Wenn der Knabe nach dir fragt, was soll ich da tun? Es gibt keinen anderen Weg, du musst deinen Sohn mit dir nehmen.“

„So soll es sein“, erwiderte Ahmad.

Er zog ihm seine feinen Kleider aus und warf ihm ein grobes wollenes Stück über und drückte ihm einen Beutel in die Hand.

„Nun – sei auf dem Pfad“, sagte er zu ihm.

„Das halte ich nicht aus“, schrie seine Frau, wenn sie das Kind in diesem Aufzug sah. Sie zog den Knaben an sich.

„Du kannst auch über mich verfügen“, sagte Ahmad, „wenn du dies wünscht, so gib mich frei.“

Dann kehrte Ahmad in die Wüste zurück. Einige Jahre vergingen. Eines Nachts, zur Zeit des Nachtgebets kam ein Mann zu Saris Unterkunft.

„Ahmad schickt mich“, nachdem er eingetreten war, „er sagt „meine Angelegenheit hat sich kritisch zugespitzt, hilf mir!““

Sari brach auf und fand Ahmad schon fast gestorben auf der Erde auf einem Grabhügel liegen. Seine Lippen bewegten sich noch. Sari lauschte. Ahmad sagte, “Dafür lass die Wirkenden wirken.”

Sari hob seinen Kopf aus dem Staub, wischte ihn ab und legte ihn an seine Brust. Ahmad öffnete seine Augen, sah den Scheich.

„Meister, du bist gerade rechtzeitig gekommen,“ rief er, „meine Angelegenheiten haben einen kritischen Zustand erreicht.“

Dann hörte er zu atmen auf. Weinend brach Sari in die Stadt auf, um seine Angelegenheiten zu regeln und er bemerkte eine Menge Leute, die aus der Stadt auf ihn zukamen.

„Wohin geht ihr?“ fragte er sie.

„Weißt du nicht?“ antworteten sie, „Letzte Nacht war eine Stimme vom Himmel zu hören die rief, „Wer über einem erwählten Freund Gottes beten möchte, sagt, „Begebt euch zum Shuniziya Gräberfeld.““

 

Anekdoten über Sari

 

Junaid berichtete folgendes.

„Eines Tages besuchte ich Sari und fand ihn in Tränen aufgelöst.

„Was ist passiert?“, fragte ich.

„Ich hatte den Gedanken,“ antwortete er, „dass ich heute Abend eine Wasserflasche zum Kühlen draußen aufhängen könnte. In einem Traum sah ich eine der Paradiesschönen die zu mir sagte, als ich sie fragte zu wem sie gehöre, „Ich gehöre zu dem Mann, der draußen keine Wasserflasche zum Kühlen aufhängt.“ Darauf zerschlug sie meine Flasche auf dem Boden. Sie hier!“

Ich sah die Scherben. Lange Zeit danach blieben die Scherben dort liegen.“

Junaid berichtete auch.

„Eines Nachts, friedlich schlafend, wachte ich auf, da meine geheime Seele darauf bestand, ich solle zu der Shuniziya Moschee gehen. Ich begab mich also zur Moschee und erblickte dort einen Mann, fürchterlich anzusehen. Ich bekam Angst.

„Junaid, hast du Angst vor mir?“ fragte er mich.

„Ja“, erwiderte ich.

“Wenn du Gott kenntest, wie Er gekannt sein sollte“, sagte er, „hättest du vor keinem Angst, denn vor Ihm“.

„Wer bist du?“ wollte ich wissen.

„Iblis“, gab er zur Antwort.

„Ich wollte dich sehen“, sagte ich ihm.

„In dem Moment, als du mich erblicktest, hast du Gott vergessen und hast dies nicht einmal bemerkt“, gab er zurück, „wofür wolltest du mich sehen?“

„Ich wollte wissen, ob du irgendwelche Gewalt über die Armen hast“, sagte ich.

„Nein“, antwortete er.

„Warum?” fragte ich.

“Wenn ich sie mit weltlichen Dingen fangen will, flüchten sie in die nächste Welt”, sagte er. „Und wenn ich sie mit der nächsten Welt fangen will, flüchten sie zu ihrem Herrn, wohin ich ihnen nicht folgen kann.“

„Wenn du ihrer nicht Herr werden kannst, siehst du sie denn?“ wollt ich weiter wissen.

„Ich sehe sie“, sagt er. „Wenn sie in der Versammlung und in Verzückung sind, sehe ich die Ursachen ihres Klagens.“

Daraufhin verschwand er. Ich betrat die Moschee, um darin Sari mit seinem Kopf auf seinen Knien zu erblicken.

„Er lügt, dieser Feind Gottes“, sagte er und hob seinen Kopf. „Sie sind zu kostbar für Ihn, um sie Iblis zu zeigen.““

 

Sari hatte eine Schwester. Sie bat ihn um Erlaubnis, seine Kammer aufzuwischen, doch er verweigerte sie.

„Mein Leben verdient dies nicht“, sagte er zu ihr.

Eines Tages kam sie in sein Zimmer und sah eine alte Frau, die das Zimmer wischte.

„Bruder, du hast mir keine Erlaubnis gegeben auf dich zu warten. Nun hast du jemanden gebracht, der nicht von den deinen ist.“

„Schwester, betrübe nicht dein Herz“, antwortete er ihr.

„Dies ist die niedere Welt. Sie hat sich in mich verliebt und wurde zurückgewiesen. Nun bat sie den Allmächtigen Gott um Erlaubnis, Teil meines Lebens zu sein. Ihr wurde die Aufgabe zuteil, mein Zimmer aufzuwischen.“

 

 

 

Ahmad ibn Khazruya

 

Abu Hamid Ahmad ibn Khazruya al-Balkhi, ein bekannter Gelehrter aus Balkh, heiratete die fromme Tochter dieser Stadt und war ein Zeitgenosse mit Hatem al-Asamm und Abu Yazid al-Bestami. Er besuchte Nishapur und starb 240 (864) im Alter von 95.

 

Ahmad ibn Khazruya und seine Frau

 

Ahmad ibn Khazruya hatte an die tausend Schüler, von denen alle auf dem Wasser zu gehen und durch die Luft zu fliegen verstanden.

Ahmad war stets in Militäruniform gekleidet. Fatima, seine Frau war ein Omen auf dem Sufiweg. Sie war eine Tochter des Prinzen von Balkh. Nach ihrer Bekehrung sandte sie eine Nachricht an Ahmad.

„Bitte meinen Vater um meine Hand:“

Ahmad antwortete nicht. Da sandte sie eine zweite Aufforderung.

„Ahmad, ich glaubte, du wärst mehr Mann. Sei ein Führer, kein Wege­lagerer!“

Ahmad sandte einen Brautwerber zu ihrem Vater, um ihre Hand zu begehren. Ihr Vater, der dadurch um Gottes Segen bat, stimmte zu. Fatime nahm Abschied von dieser Welt und fand ihre Ruhe in der Einsam­keit mit Ahmad zusammen.

So verging die Zeit, bis Ahmad beschloss Abu Yazid zu besuchen. Fatima begleitete ihn und als sie in Abu Yazid’s Gegenwart waren, hob Fatima ihren Schleier und begann eine Unterhaltung mit Abu Yazid. Ahmad war außer sich vor Eifersucht, die in seinem Herzen Platz griff.

„Fatima, welche Kühnheit ist in dich gefahren, die du bei Abu Yazid gezeigt hast?“ schrie er.

„Du bist intim mit meinem natürlichen Selbst. Abu Yazid ist intim mit meinem geistigen Weg. Du verstärkst meine Leidenschaft, doch er erhebt mich zu Gott“, gab Fatima zur Antwort. „Der Beweis dafür ist, dass er Anwesenheit aussetzen kann, wohingegen du mich brauchst.“

Abu Yazid war sehr kühn und offen mit Fatima, bis eines Tages er ihre Hände bemerkte, die mit Henna gefärbt waren.

„Fatima, warum hast du Henna aufgetragen?“ fragte er.

„Abu Yazid, bislang hast du nie meine Hände betrachtet und das Henna bemerkt,“ antwortete Fatima.

„Bislang war ich ungezwungen in deiner Gegenwart. Nun, da deine Augen auf meine Hände gefallen sind, ist es nicht mehr recht für mich, deine Gesellschaft aufrecht zu halten.“

„Ich bat Gott“, sagte Abu Yazid, „Frauen in meinen Augen nicht bemerkenswerter denn eine Wand zu machen. Diesen Wunsch hat er mir erfüllt.“

Danach gingen Ahmad und Fatima nach Nishapur, wo sie herzlich willkommen geheißen wurden. Als Yahya ibn Mu’adh ibn Razi auf seinem Weg nach Balkh durch die Stadt kam, wollte Ahmad eine Party für ihn veranstalten. Er beriet sich mit Fatima.

„Was brauchen wir für eine Party für Yahya?“ fragte er sie.

„So viele Ochsen, so viele Schafe,“ sagte sie.

„Weiters, so viele Kerzen und so viele Bündel Rosen und – noch einige Esel.“

„Warum müssen wir Esel töten?“ fragte Ahmad.

„Wenn ein edler Herr zum Essen kommt“, erklärte Fatima, „müssen die Hunde aus dem Viertel ihren Anteil bekommen.“

Solcherart war die Ritterlichkeit, durch welche Fatima durchdrungen war, dass Ahmad rief, „Wenn irgendjemand einen wahrhaftigen Mann, verborgen in den Kleidern einer Frau sehen möchte, der sehe auf Fatima.“

 

Ahmad ibn Khazruya ringt mit seiner Seele

 

Ahmad ibn Khazruya erzählte folgendes.

Lange Zeit habe ich meine fleischliche Seele unterdrückt. Eines Tages brach ein Abteilung zum Kampf auf und große Lust sie zu begleiten überkam mich. Meine Seele rief mir einige Aussprüche des Propheten ins Gedächtnis, die von den Belohnungen im Himmel redeten, die für den Kampf um Allahs Sache versprochen waren. Ich war erstaunt.

„Meine Seele ist nicht immer so bereit zu gehorchen“, sagte ich.

„Vielleicht ist dies deswegen, weil ich sie immer zu fasten zwinge. Meine Seele kann das hungern nicht länger ertragen und wünscht das Fastenbrechen.“ So sagte ich, „Ich breche das Fasten nicht auf einer Reise.“

„Damit bin ich schon einverstanden“, antwortete meine Seele.

„Vielleicht sagt dies meine Seele, weil ich ihr das Gebet in der Nacht befohlen habe. Daher möchte sie auf diese Reise gehen, damit sie schlafen und Ruhe finden könne.“ So sagte ich, „Ich will dich bis zum Morgen wach halten.“

„Damit bin ich schon einverstanden“, sagte meine Seele.

Da war ich noch mehr überrascht. Ich dachte, meine Seele sagte dies, weil sie mit anderen Menschen zusammenkommen mochte und der Einsamkeit überdrüssig war und in Gesellschaft Gefallen finden wollte. So sagte ich. „Wo ich dich auch immer hintrage, werde ich dich von anderen getrennt lagern und ich werde nicht mit anderen Menschen sitzen.“

„Damit bin ich schon einverstanden“, wiederholte meine Seele.

Nicht mehr weiter wissend, richte ich mich in Demut meine Bitte an Gott, er möge mir die durchtrieben Machenschaften meiner Seele offenbaren oder mein Seele zu einem Geständnis veranlassen. Da sprach meine Seele.

„Jeden Tag tötest du mich hunderte male, indem du meine Wünsche zurückweist und niemand nimmt dies wahr. In diesem Krieg möchte ich endgültig getötet werden und so die Freiheit erlangen, die dann aller Welt verkündet werden wird. „Bravo, Ahmad ibn Khazruya! Sie haben ihn getötet und die Krone des Martyriums ist ihm verliehen worden.“”

„Ehre sei Gott“, rief ich, „der eine Seele zu ihren Lebzeiten so heuchlerisch erschaffen, und sie nach ihrem Tode heuchlerisch belässt. Niemals werde ich ein aufrechter Muslim sein, weder in dieser noch in der nächsten Welt. Ich dachte, du suchtest Gott zu gehorchen. Mir war nicht bewusst, dass du mich zu umgarnen suchtest. Danach verdoppelte ich meine Bemühungen gegen meine Seele.

 

Anekdoten über Ahmad ibn Khazruya

 

Ein Einbrecher war in Ahmads Haus eingestiegen. Er suchte und suchte – doch er fand rein gar nichts. Er wollte gerade unverrichteter Ding wieder abziehen, als Ahmad ihm zurief.

„Hey, du junger Mann, nimm den Eimer und hole Wasser aus dem Brunnen und wasche dich und dann wende dich dem Gebet zu. Wenn in der Zwischenzeit irgendetwas hereinkommt, will ich es dir geben, damit du nicht mit leeren Händen mein Haus verlassen musst.“

Der junge Mann tat, was ihn Ahmad gebeten hatte. Bei Tagesanbruch brachte ein wohltätiger Herr dem Scheich hundert Dinare.

„Nimm dies als Lohn für die Nacht, die du ihm Gebet verbracht hast“, sagte dieser zu dem Dieb.

Dieser begann darauf am ganzen Leib zu zittern und brach in Tränen aus.

„Ich habe den falschen Weg gewählt“, rief er, „Ich habe für Gott nur eine Nacht gearbeitet und er hat mich dermaßen belohnt.“ In Reue bekehrte er sich wieder zu Gott, verweigerte die Annahme des Goldes und wurde ein Schüler Ahmads.

Eines Tages kam Ahmad in zerschlissener Kleidung an eine Sufi Einkehr. In der Tradition der Sufis hatte er sein ganzes Selbst geistigen Aufgaben gewidmet. Die die dort anwesenden Brüder bezweifelten allerdings seine Aufrichtigkeit und wisperten ihrem Scheich zu, „der gehört nicht hier her!“

Eines Tages ging Ahmad zum Brunnen und sein Kübel fiel ihm hinein. Die anderen Sufis beschimpften ihn. Ahmad wandte sich an den Vorsteher.

„Rezitiere doch die Fatiha, damit der Kübel wieder aus dem Wasser auftaucht“, bat er diesen.

„Was für eine sonderliche Bitte ist das?“ meinte der Scheich erstaunt.

„Wenn du es nicht tun willst,“ sagte Ahmad, „ erteile mir die Erlaubnis dafür:“

Der Scheich gestattete es ihm und Ahmad sprach die Fatiha. Sofort stieg der Kübel an die Wasseroberfläche. Als der Vorsteher dies sah, nahm er seine Kappe vom Kopf.

„Junger Mann, wer bist du, dass mein gemahlenes Mehl, Abfall ist im Vergleich zu deinem Korn?“ fragte er.

„Sage deinen Gefährten Reisenden“, sagte Ahmad, „mit weniger Nichtachtung zu begegnen.“

Einmal kam ein Mann zu Ahmad und sagte, „Ich bin arm und krank. Zeig mir einen Weg diesen Heimsuchungen zu entkommen.“

„Schreibe den Namen jedes Berufes auf ein Stück Papier“, antwortete Ahmad. „Stecke die Zettel in einen Beutel und bring sie mir.“

Der Mann tat wie ihm geheißen und Ahmad steckte seine Hand in den Beutel und zog einen Zettel heraus. „Dieb“ stand darauf geschrieben.

„Du musst ein Dieb werden“, sagte er dem Mann.

Der Mann war verblüfft. Dennoch machte er sich auf und schloss sich einer Bande Wegelagerer an.

„Ich habe einen fable für diesen Beruf,“ erzählte er ihnen, „was muss ich tun?“

„Eine Regel musst du beachten,“ sagten sie ihm. „Was immer wir dir befehlen, musst du tun.“

„Ich werde mich genau an eure Anweisungen halten“, versicherte er den Gaunern.

Er war schon einige Tage unter ihnen, als sich eine Karawane näherte. Sie überfielen diese Karawane und brachten einen wohlha­ben­den Reisenden zu ihrem neuen Kollegen.

„Schneide ihm die Kehle durch“, befahlen sie ihm.

Der Mann zögerte.

„Das Oberhaupt dieser Räuber hat so viele Leute umgebracht“, sagte er zu sich selbst, „vielleicht ist es besser, ich schneide ihm die Kehle durch, anstatt diesem Kaufmann.“

„Du musst unseren Befehlen gehorchen“, erinnerte ihn der Räuberhauptmann, „oder du verschwindest und suchst dir einen an­deren Job.“

„Wenn ich schon Befehle ausführen muss,“ sagte sich der Mann, „so will ich Gottes Befehle ausführen und nicht die dieses Räubers.“

Er zog sein Schwert, befreite den Kaufmann und schlug dem Anführer der Räuberbande den Kopf ab. Als die anderen Spießgesellen dies sahen, flohen sie Hals über Kopf. Alle Handelswaren blieben unberührt und der Kaufmann rette sein Leben. Er gab dem Mann soviel Gold und Silber, dass sich dieser selbstständig machen konnte.

Eines Tages bewirtete Ahmad mit großer Gastfreundlichkeit einen Derwisch. Ahmad zündete einige Kerzen an.

“Das gefällt mir nicht”, sagte der Derwisch, “Umstände zu machen geziemt sich nicht im Sufitum.”

„Dann geh“, sagte Ahmad, „und lösche jede Kerze, die ich nicht um Gottes Willen entzündet habe.“

Die ganze Nacht bemühte der Derwisch Erde und Wasser und konnte dennoch nicht eine einzige Kerze auslöschen.

„Warum so überrascht“, fragte Ahmad den Derwisch am nächsten Morgen. „Komm mit mir, und du wirst wirklich wunderbare Dinge sehen.“

Sie brachen auf und kamen an eine Kirchentür.

Als der christliche Diakon Ahmad und seinen Gefährten erblickte, lud der Pfarrer die beiden einzutreten ein. Er bereitete eine Tafel für sie und bat sie zu essen.

„Freunde essen nicht mit Feinden“, merkte Ahmad an.

„Biete uns den Islam an“, sagte der Pfarrer.

Ahmad tat genau so und siebzig der Anwesenden nahmen den Islam an. In dieser Nacht hatte Ahmad einen Traum, indem Gott zu ihm sprach.

„Ahmad, du hast siebzig Kerzen um Meinetwillen entzündet. Ich habe für Dich siebzig Herzen mit dem Licht des Glaubens erleuchtet.“

 

 

 

Yahya ibn Mo‘adh

 

Abu Zakariya’ Yahya ibn Mu‘adh al-Razi, ein Schüler des Ibn Karram, verließ seine Heimatstadt Rayy und lebte eine zeitlang in Balkh und ließ sich dann in Nishapur nieder, wo er 258 (871) starb.

Eine Anzahl Gedichte werden ihm zugeschrieben.

 

Yahya ibn Mu‘adh al-Razi und seine Schulden

 

Yhaya ibn Mu’adh hatte Schulden in der Höhe von einhundert­tausend Dirham angehäuft. Er hatte all dieses Geld ausgeborgt und es für Geschenke an Krieger ausgegeben, die auf dem Wege Gottes kämpften, für Pilger, Arme und Bedürftige, Gelehrte und Sufis. Seine Gläubiger drängten ihn zur Rückzahlung und sein Herz war schwer darum.

Eines Nachts träumte er, der Prophet habe zu ihm gesprochen.

„Yhaya, sei nicht zu besorgt, denn deine Besorgnis schmerzt mich. Steh auf und geh nach Khorasan. Dort hat eine Frau dreihundert­tausend Dirham auf die Seite gelegt, um deine hunderttausend zu bezahlen, die du ausgeborgt hast.“

„Gesandter Gottes“, rief Yahya, „wie heißt die Stadt und wer ist diese Person?“

„Geh von Stadt zu Stadt und predige“, sagte der Prophet, „deine Worte bringen Heil der Menschen Herzen. So wie ich zu dir im Traum gekommen bin, will ich nun diese Person im Traum aufsuchen.“

So kam Yahya nach Nishapur. Die Leute richteten eine Kanzel vor der Moschee auf.

„Männer von Nishapur“, rief er, „ich bin hierher auf Befehl des Propheten, der Friede und Segen Gottes sei mit ihm, gekommen. Der Prophet hat verkündet „einer wird deine Schuld abtragen, die du schuldest.“ Ich habe eine Schuld von einhunderttausend Silber Dirham. Wisset, dass meine Worte Schönheit besaßen, doch nun ist diese Schuld ein Schleier dieser Schönheit geworden.“

„Ich spende fünfzigtausend“, bot einer der Männer an.

„Ich gebe vierzigtausend“, ein anderer.

Yahya lehnte ihre Angebote ab.

„Der Meister hat mir eine einzige Person angekündigt“, sagte er.

Er begann zu predigen. Am ersten Tag trug man sieben Verstorbene aus seiner Versammlung. Als er sah, dass seine Schulden nicht in Nishapur getilgt würden, brach er nach Balkh auf. Hier hielt er sich einige Zeit mit predigen auf. Er setzte dabei den Reichtum über die Armut. Die Leute übergaben ihm einhunderttausend Dirham. Doch einem bestimmten, dort ansässigen Scheich gefielen Yahyas Worte nicht, welche den Reichtum mehr als die Armut priesen.

„Möge Gott ihm den Segen verweigern“, rief er aus.

Als Yahya Balkh verließ, geriet er unter Räuber, die ihm alles Geld fortnahmen.

„Das ist das Ergebnis des Gebetes dieses Scheichs“, sagten sie. So wanderte er nach Herat weiter, einige sagen, er ging nach Merv. Dort erzählte er von seinem Traum. Die Tochter des Prinzen von Herat war unter seinen Zuhörern. Sie sandte ihm eine Botschaft.

„Imam, höre auf dich wegen deiner Schulden zu betrüben. In dieser Nacht, als der Prophet zu dir im Träume sprach, sprach er auch mit mir. Ich sagte, „Gesandter Gottes, ich werde zu ihm gehen.“ „Nein“, antwortete der Prophet, „er wird zu dir kommen.“ Daher habe ich hier auf dich gewartet. Als mein Vater mich verheiratete, gab er mir jene Dinge, die andere in Kupfer und Zinn erhalten, in Gold und Silber. Mein Silber ist dreihunderttausend Dirham wert. Ich schenke es dir. Doch eine Bedingung habe ich, nämlich, dass du noch vier weitere Tage predigst.“

So blieb Yahya noch weitere vier Tage. Am ersten trugen sie zehn Tote fort, am zweiten fünfundzwanzig, am dritten vierzig und am vierten siebzig. Am fünften Tag verließ Yahya Herat mit sieben Kamelladungen Silber. Als er in Balham ankam, murrte sein Sohn.

„Wenn er in die Stadt kommt, muss er nicht gleich das ganze Vermögen an die Gläubiger und die Armen verteilen und nichts für mich übrig lassen.“

Am Abend hielt Yahya Einkehr mit Gott, seinen Kopf zu Boden gebeugt. Da fiel ihm ein Stein auf den Kopf.

„Gebt das Geld den Gläubigern“, rief er noch und dann verstarb er.

Seine Begleiter nahmen ihn auf ihrer Schultern und trugen ihn nach Nishapur, wo sie ihn ins Grab legten.

 

Yahya-ibn Mu‘adh-ibn Razi und sein Bruder

 

Yahya ibn Mu‘adh hatte einen Bruder, der nach Mekka gegangen war und sich in der Nähe der Kaaba niedergelassen hatte. Von dort schrieb er einen Brief an Yahya.

„Ich wünschte mir drei Dinge. Zwei haben sich erfüllt und eines blieb übrig. Bete zu Gott, dass er mir diese Bitte auch aus Seiner Gnade heraus erfüllen möge. Ich wünschte, dass ich meine letzten Tage am vornehmsten Ort dieser Welt verbringen möge. Nun, ich bin zu diesem geheiligten Orte gekommen, welcher doch der vornehmste Ort dieser Welt ist. Mein zweiter Wunsch war, dass ich einen Diener hätte, der mein Wasser für die rituelle Reinigung für mich bereithalten würde. Gott hat mir ein züchtiges Mädchen als Dienerin geschickt. Mein dritter Wunsch ist, dass ich dich noch einmal sehen könnte, bevor ich sterbe. Bete zu Gott, dass er mir diesen Wunsch erfüllen möge.“

Yahya antworte seinem Bruder folgendes.

„Was deinen Wunsch betrifft, am vornehmsten Ort dieser Welt zu wohnen. Mache dich selbst zum besten Mensch dieser Welt und wohne wo immer du willst. Ein Ort ist vornehm aufgrund der Menschen die ihn bewohnen und nicht umgekehrt. Was deinen Wunsch betrifft, über einen Diener zu gebieten; wärst du wirklich ein wahrhaftiger und ritter­licher Mensch, hättest du niemals eine Dienerin Gottes zu deinem Diener gemacht und sie von ihrem Dienst an Gott abgehalten und sie an dich gebunden. Du selbst solltest ein Diener sein. Du wünschtest, ein Herr zu sein, doch die Herrschaft ist ein Attribut Gottes. Dienerschaft ist eine Eigenschaft des Menschen. Ein Diener Gottes muss ein Diener sein. Wenn der Diener Gottes einen Rang wünscht, welcher Gott zukommt, macht er sich zu einem Pharao. Und was deinen letzten Wunsch betrifft, mich zu sehen, so würdest du dich nicht mehr an mich erinnern, wäre dein Denken an Gott ein aufrichtiges. Dein Gedenken an Gott erfüllte dich zur Gänze und Platz wäre mehr, an deinen Bruder zu denken. Solcherart muss man bereit sein, seinen eigenen Sohn hinzugeben, und erst recht seinen Bruder! Wenn du Ihn gefunden hast, was bin ich dir noch? Und wenn du Ihn nicht gefunden hast, welchen Nutzen hättest du von mir?“

 

 

 

Shah ibn Shuja‘

 

 

Von Abu ‘l-Fawares Shah ibn Shuja‘ al-Kirmani, wird gesagt, dass er Spross einer adeligen Familie war und der Autor einiger Schriften über das Sufitum, die uns allerdings nicht mehr erhalten sind. Er starb um 270 (884).

 

Shah-ibn Shuja‘-ibn Kirmani und seine Kinder

 

Shah-ibn Shuja‘-ibn Kirmani hatte einen Sohn. Auf seiner Brust war in grüner Farbe das Wort Allah geschrieben. So im üblichen Lauf der Zeit geschah es, dass sich der junge Knabe herumtrieb und sich mit der Laute vergnügte. Er hatte eine schöne Stimme und er pflegte, während er so in der Gegend herumstromerte, die Menschen mit seinen Liedern zu Tränen zu rühren.

Eines Nachts, stockbetrunken, wankte er die Strassen entlang und sang seine Lieder. Als er in ein bestimmtes Viertel kam, geschah es, dass eine frisch vermählte Braut sich von ihres Gatten Seite erhob, um ihm nach zu sehen. Ihr Gatte erwachte darauf, vermisste seine Frau und erblickte dieses Spektakel.

„Junge“, rief er ihm zu, „ist nicht die Zeit zur Reue gekommen?“

Diese Worte trafen den Jungen mitten ins Herz.

„Sie ist gekommen, sie ist gekommen“, rief er zurück.

Er zerriss sein Gewand, zerbrach seine Laute und sperrte sich in sein Zimmer ein und verweigerte vierzig Tage lang das Essen. Dann kam er heraus und begab sich auf seinen Weg.

„Was mir erst nach vierzig Jahren gewährt wurde, wurde ihm nach nur vierzig Tagen verliehen,“ merkte Shah-ibn Shuja‘ dazu an.

Shah-ibn Shuja‘ hatte auch eine Tochter. Die Könige von Kirmani baten um ihre Hand zur Hochzeit. Er erbat drei Tage Bedenkzeit und in diesen drei Tagen begab er sich von einer Moschee zur anderen, bis er einen Derwisch in inbrünstigem Gebet erblickte. Shah-ibn Shuja‘ wartete geduldig, bis dieser sein Gebet beendet hatte und sprach ihn danach an.

„Derwisch, hast du Familie?“

„Nein“, antwortete der Derwisch.

„Möchtest du eine Frau, die den Qur’an rezitieren kann?“

“Wen gäbe es, der mir so ein Frau geben wollte?” sagte der Derwisch. „Alles was ich besitze, sind drei Dirham.“

„Ich werde dir meine Tochter geben“, sagte Shah-ibn Shuja‘.

„Von diesen drei Dirham wirst du einen für Brot und einen für einen Strauss Rosen ausgeben und dann den Hochzeitsbund schließen.“

Mit dieser Vereinbarung verblieben sie. Noch in der gleichen Nacht brachte Shah-ibn Shuja‘ seine Tochter zu des Derwischs Haus. Als sie eintraten, sah das Mädchen einiges trockene Brot neben einem Krug Wasser.

„Was hat es mit diesem Brot auf sich?“ wollte sie wissen.

„Es ist von gestern übrig geblieben. Ich habe es für heute Nacht aufbehalten“, klärte sie der Derwisch auf.

„Ich wusste“, seufzte der Derwisch, „dass die Tochter des Shah-ibn Shuja‘ wegen meiner Armut nicht mit mir leben konnte.“

„Mein Herr, es nicht wegen ihrer Armut, dass ich sie verlasse“, antwortete das Mädchen. „Ich verlasse sie aufgrund ihres Mangels an Glauben und Vertrauen, da sie das Brot gestern zur Seite getan haben und nicht darauf vertraut haben, dass Gott für ihr Auslangen Sorgen tragen werde. Aber auch bin ich über meinen Vater erstaunt. Zwanzig Jahre hat er mich im Haus behalten und immer gesagt „Ich werde dich einem gottesfürchtigen Mann zur Frau geben“.

Nun hat er mich einem Kerl gegeben, der sich nicht einmal um sein tägliches Brot auf Gott verlässt.“

„Gibt es eine Möglichkeit der Aussöhnung für diese Sünde?“ fragte der Derwisch.

„Ja“, sagte das Mädchen. „Die Aussöhnung liegt darin, dass nur eines von zweien im Hause verbleibt – ich oder das trockene Brot.“

 

 

 

 

Yusuf ibn al-Husain

 

Abu Ya’qub Yusuf ibn al-Husain al-Razi führte von seinem Geburtsort Rayy ein intensives Reiseleben nach Arabien und Ägypten, wo er auf Dhu‘l-Nun al-Misri traf und unter ihm studierte. Er kehrte als Prediger nach Rayy zurück, wo er 304 (916) starb.

 

Die Bekehrung von Yusuf ibn al-Husain

 

Die spirituelle Laufbahn des Yusuf ibn al-Husain al-Razi begann unter folgender Begebenheit. Er war mit einigen Begleitern in Arabien im Gebiet eines bestimmten Stammes unterwegs. Als die Tochter des arabischen Prinzen ihn erblickte, verliebte sie sich unsterblich in ihn, denn er war ein sehr schöner Mann. Auf eine Gelegenheit wartend, warf sie sich ihm plötzlich vor die Füße. Darauf verließ er zitternd diesen Stamm und begab sich zu einem weiter entfernten.

Diese Nacht schlief er mit seinem Kopf auf den Knien und träumte von einem Ort, von wundersamer Schönheit. Jemand saß wie ein König auf einem Thron, umgeben von grün gekleidetem Gefolge. Neugierig zu erfahren, wer diese wären, lenkte Yusuf seine Schritte ihnen zu. Sie machten ihm höchst respektvoll Platz.

„Wer seid ihr?“ wollte er wissen.

„Wir sind Engel“, antworteten sie, „und jener auf dem Thron ist Josef, Friede sei auf ihm. Er ist gekommen, um dem Yusuf ibn al-Husain einen Besuch abzustatten.“

Lassen wir Yusuf den Rest der Geschichte mit eigenen Worten erzählen.

Von Tränen übermannt, rief ich, „Wer bin ich, dass der Prophet Gottes mich besuchen kommen sollte?“

Darauf stieg Josef, Friede sei mit ihm, von seinem Thron herab, nahm mich in seine Arme und setzte mich auf den Thron.“

„Prophet Gottes“, rief ich, „wer bin ich, dass du so huldvoll gegen mich sein solltest?“

„In diesem Moment“, antwortete Josef, „als sich dieses Mädchen sich dir hinzugeben bereit war, und du Zuflucht bei Gott nahmst, zeigte dich Gott mir und den Engeln. Gott sagte, „Sieh, Josef! Du bist der Josef, der sich Zulaikha zuneigte, nur um sie zurückzuweisen. Dies ist der Josef, der sich der Tochter des Königs der Araber nicht zuneigte und floh.“ Gott Selbst hat mich und die Engel geschickt, um dich zu besuchen. Er sendet Dir die gute Nachricht, dass du ein Erwählter Gottes bist.“

Dann fügte Josef hinzu, „In jedem Zeitalter gibt es ein Zeichen. Das Zeichen dieser Zeit ist Dhu‘l-Nun al Misri. Er wurde des Höchsten Namens Gottes teilhaftig. Begib dich zu ihm.“

Als Yusuf erwachte, (so setzt die Geschichte fort) litt er an großen Schmerzen. Eine mächtige Sehnsucht überkam ihn und er wandte sich nach Ägypten im Wunsch, Gottes Höchsten Namen zu kennen. Bei der Moschee des Dhu‘l-Nun angekommen, entbot er seinen Gruß und nahm Platz. Dhu‘l-Nun erwiderte seinen Gruß. Ein ganzes Jahr lang, blieb Yusuf in einer entfernten Ecke der Moschee sitzen ohne es zu wagen, Dhu‘l-Nun eine Frage zu stellen.

Nach einem Jahr fragte Dhu‘l-Nun, „Von wo ist der junge Mann?“

Er antwortete, „von Rayy.“

Ein weiteres Jahr richtete Dhu‘l-Nun kein Wort an ihn und Yusuf blieb stumm in seiner Ecke.

Am Ende des zweiten Jahres fragte Dhu‘l-Nun, „In welcher Angelegenheit ist der junge Mann gekommen?“

„Um dich zu besuchen“, antwortete Yusuf.

Ein weiteres Jahr des Schweigens folgte. Dann fragte er, „Wünscht er etwas?“

„Ich bin gekommen, dass du mich den Höchsten Namen lehrtest“, antwortete Yusuf.

Für ein weiteres Jahr blieb Dhu‘l-Nun schweigsam. Dann übergab er Yusuf ein bedecktes hölzernes Gefäß.

„Überquere den Nil“, trug er ihm auf. „An einem bestimmten Ort wohnt ein ehrwürdiger Alter. Bringe ihm dieses Gefäß und merke dir, was er dir zu sagen hat.“

Yusuf nahm das Gefäß und machte sich auf den Weg. Als er eine Weile unterwegs war, überkam ihn die Versuchung.

„Was bewegt sich da in diesem Gefäß?“ fragte er sich und öffnete es. Eine Maus sprang heraus und war dahin. Yusuf war verwirrt.

“Was soll ich nun tun? Soll ich weiter gehen oder zu Dhu‘l-Nun zurückkehren?“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

remember whatever he tells you.”

Yusof took the bowl and set forth. When he had

gone a part of the way, a temptation assailed him.

“What is this moving about in this bowl?”

He uncovered the bowl. A mouse jumped out and

ran away. Yusof was filled with bewilderment.

yusof ibn al-hosain 249

“Where am I to go? Shall I go to this elder, or return

to Dho ‘l-Nun?”

Finally he proceeded to the elder, carrying the empty

bowl. When the elder beheld him, he smiled.

“You asked him for God’s Great Name?” he asked.

“Yes!” Yusof replied.

“Dho ‘l-Nun saw your impatience, and gave you a

mouse,” the elder said. “Glory be to God! You cannot

look after a mouse. How then will you keep the

Greatest Name?”

Put to shame, Yusof returned to the mosque of Dho

l-Nun.

“Yesterday I asked leave of God seven times to teach

you the Greatest Name,” Dho ‘l-Nun told him. “God

did not give permission, meaning that the time is not

yet. Then God commanded me, ‘Make trial of him

with a mouse.’ When I made trial of you, this is what

happened. Now return to your own city, till the proper

time comes.”

“Before I leave, give me a testament,” Yusof

begged.

“I will give you three testaments,” said Dho ‘l-Nun,

one great, one middling, and one small. The great testament

is this, that you forget all that you have read,

and wash away all that you have written, so that the

veil may be lifted.”

250 yusof ibn al-hosain

“This I cannot do,” said Yusof.

“The middling testament is this, that you forget me

and tell my name to no man,” said Dho ‘l-Nun. “To

say that my monitor declared this or my shaikh

ordered that is all self-praise.”

“This too I cannot do,” said Yusof.

“The small testament is this,” said Dho ‘l-Nun, “that

you counsel men and call them to God.”

“This I can do, God willing,” said Yusof.

“On condition, however,” Dho ‘l-Nun added, “that

in counselling men you do not have men in sight.”

“So I will do,” Yusof promised.

Then he proceeded to Rayy. Now he came from the

nobility of Rayy, and the citizens came out to welcome

him. When he began his preaching, he expounded the

mystic realities. The people, accustomed to exoteric

doctrine, rose up in anger against him, for in that time

only formal learning was current. Yusof fell into disrepute,

to such an extent that no one came to his lectures.

One day he turned up to preach as usual, but seeing

no one in the hall he was about to return home. At that

moment an old woman called to him.

“Did you not promise Dho ‘l-Nun that in counselling

men you would not have them in sight, and

would speak only for God’s sake?”

yusof ibn al-hosain 251

Astonished at her words, Yusof began to preach.

Thereafter he continued so for fifty years, whether anyone

was present or no.

Yusof ibn al-Hosain and Ebrahim-e Khauwas

Ebrahim-e Khauwas became a disciple of Yusof ibn al-

Hosain. Through the blessing of his companionship he

attained to such remarkable spiritual advancement that

he would travel through the desert without provision

and mount. It is to him that we owe the following

story.

One night (Ebrahim said) I heard a voice which said

to me, “Go and say to Yusof-e Hosain, ‘You are of the

rejected’.” So grievous were these words for me to hear,

that if a mountain had been flung on my head that

would have been easier to bear than that I should

repeat what I had heard to him.

Next night I heard in even more menacing tones,

“Say to him, ‘You are of the rejected’.” Rising up, I

washed and begged God’s forgiveness, and sat in meditation

till the third night, when the same voice came to

me. “Say to him, ‘You are of the rejected’. If you do not

deliver this message, you will receive such a blow that

you will not rise again.”

So full of sorrow I rose up and went to the mosque,

where I saw Yusof seated in the prayer-niche.

252 yusof ibn al-hosain

“Do you remember any verse?” he asked me when

he saw me.

“I do,” I replied. I recollected a verse in Arabic

which I recited to him. Delighted, he rose up and

remained on his feet for a long while, tears as if flecked

with blood streaming from his eyes. Then he turned to

me.

“Since first light till now,” he said, “they have been

reciting the Koran before me, and not one drop came

to my eyes. Now through that single verse you spoke

such a state has manifested —a veritable torrent has

flowed from my eyes. Men are right when they say I am

a heretic. The voice of the Divine Presence speaks truly,

that I am of the rejected. A man who is so affected by

a verse of poetry, while the Koran makes no impression

whatever upon him—he is surely rejected.”

I was bewildered by what I saw and heard. My belief

in him was shaken. Afraid, I rose up and set my face

towards the desert. By chance I fell in with Khezr, who

addressed me.

“Yusof-e Hosain has received a blow from God. But

his place is in the topmost heights of Heaven. A man

must stride so far and manfully upon the path of God,

that even if the hand of rejection is struck against his

forehead, yet his place is in the topmost heights of

Heaven. If he falls on this path from kingship, yet he

will not fall from the rank of minister.”

yusof ibn al-hosain 253

Yusof ibn al-Hosain and the handmaiden

A certain merchant in Nishapur bought a Turkish

handmaiden for a thousand dinars. He had a creditor

living in another town, and wanted to go in haste and

recover his money from him. In Nishapur there was no

one in whom he trusted sufficiently to commit the girl

to his keeping. So he called on Abu ‘Othman-e Hiri and

explained his predicament to him. At first Abu

‘Othman refused, but the merchant implored him

earnestly.

“Admit her into your harem. I will return as soon as

possible.”

So finally he consented, and the merchant departed.

Involuntarily Abu ‘Othman’s glance fell upon the girl

and he fell uncontrollably in love with her. Not knowing

what to do, he rose up and went to consult his

teacher Abu Hafs-e Haddad.

“You must go to Rayy, to consult Yusof ibn al-

Hosain,” Abu Hafs told him.

Abu ‘Othman set out at once towards Iraq. When he

reached Rayy he enquired where Yusof-e Hosain was

living.

“What have you to do with that damned heretic?”

they asked him. “You look a religious man yourself.

His society will be bad for you.”

They said many such things to him, so that Abu

‘Othman regretted having come there and returned to

Nishapur.

254 yusof ibn al-hosain

“Did you see Yusof-e Hosain?” Abu Hafs asked him.

“No,” he replied.

“Why not?”

“I heard that he was such and such a man,” Abu

‘Othman related what the people of Rayy had told

him. “So I did not go to him, but returned.”

“Go back and see him,” Abu Hafs urged.

Abu ‘Othman returned to Rayy and again asked for

Yusof’s house. The people of Rayy told him a hundred

times as much as before.

“But I have important business with him,” he

explained.

So at last they indicated the way to him. When he

reached Yusof’s house, he saw an old man seated there.

A beardless and handsome boy was before him, laying

before him a bowl and a goblet. Light streamed from his

face. Abu ‘Othman entered and spoke the greeting and

sat down. Shaikh Yusof began to speak, and uttered

such lofty words that Abu ‘Othman was amazed.

“For God’s sake, master,” he cried, “with such

words and such contemplating, what is this state that

is on you? Wine, and a beardless boy?”

“This beardless boy is my son, and very few people

know that he is my son,” Yusof replied. “I am teaching

him the Koran. A bowl happened to be thrown into

this dustbin. I picked it out and washed it and filled it

with water, so that anyone who wished for water might

drink, for I had no pitcher.”

yusof ibn al-hosain 255

“For God’s sake,” Abu ‘Othman repeated, “why do

you act so that men say of you what they say?”

“I do it for this reason,” Yusof answered, “so that no

one may send a Turkish handmaiden to my house as a

confidant.”

When Abu ‘Othman heard these words he fell down

at the shaikh’s feet. He realized that the man had

attained a high degree.

256 yusof ibn al-hosain

 

 

 

 

 

 

 

 

 

TEIL I

 

 

 

     Hanel, Schweiz 2006