"ISLAM und EUROPA"
Prof. Dr. Mahmoud ZAKZOUK

Islamische Religionspädagogische Akademie IRPA (Wien) 2000


Es ist mir eine große Freude, wieder einmal an einer Veranstaltung der Wiener Islamischen Religionspädagogischen Akademie teilzunehmen. Nebenbei gesagt, ist dies seit meiner Teilnahme an der Eröffnung dieser Akademie im letzten Jahr meine erste deutsche Rede, da ich alle anderen Einladungen aus Zeitgründen absagen mußte.

 

Das Thema dieser Tagung ist sehr wichtig und dringender je zuvor, da die Probleme für die Muslime in Europa sich von Tag zu Tag vervielfachen. Dies ist nicht zuletzt deswegen, weil immer noch das in den Massenmedien propagierte Bild von den Muslimen häufig sehr negativ ist.

 

In Europa leben heutzutage über 10 Millionen Muslime. Ihr Hauptproblem - das auch ihre Gastländer sehr beschäftigt, besteht zweifellos für viele von ihnen in der Frage ihrer Integrierung in die westlichen Gesellschaften. Sie bemühen sich trotzalledem weiterhin um eine Anpassung, welche ihnen aber gleichwohl die Beibehaltung ihres Glaubens ermöglicht. Das Land Österreich spielt in diesem Zusammenhang eine positive Rolle, da hier der Islam seit langem rechtlich anerkannt ist und der Religionsdialog gepflegt wird. Diese Tatsache ermöglichte ja auch die Gründung der Islamischen Religionspädagogischen Akademie in Wien.

 

Von der Geschichte der Beziehungen zwischen der westlichen und der islamischen Kultur her betrachtet, steht jedenfalls grundsätzlich einer Anpassung der Muslime in Europa nichts im Wege. Die Aufklärung hierüber und im Zusammenhang damit die notwendigen Bildungsbemühungen könnten daher sehr viel leisten.

Beide Kulturen blicken auf eine lange Geschichte gegenseitiger Beeinflussung zurück und weisen bei näherer Betrachtung doch weitaus mehr Gemeinsamkeiten als Verschiedenheiten auf. Daher möchte ich zunächst einen kurzen Blick auf die Geschichte der Beziehungen dieser beiden Welten werfen. Vom Boden der Kultur her gesehen wird tatsächlich ein besseres Verständnis der Situation der Muslime in Europa möglich. Es gab ja nicht nur Kriege zwischen Europa und den islamischen Ländern, sondern auch starke kulturelle  Beziehungen zwischen ihnen, welche bleibende Einflüsse ausübten.

Als die Muslime ihre Kultur aufbauten, wurde ihnen dies möglich, weil sie aufgeschlossen und tolerant waren und ständig in einem regen Austausch mit anderen Kulturen standen, vor allem auch mit der griechischen Kultur. Sie übersetzten bekanntlich die griechischen philosophischen und wissenschaftlichen Werke ins Arabisch und unterzogen sie gleichzeitig auch einer wissenschaftlichen Kritik.


Europa hat dann seinerseits im Mittelalter, zur Zeit der Hochblüte der islamischen Kultur, die islamischen wissenschaftlichen Werke ins Lateinische übersetzt, welche im Gefolge einen großen Einfluß auf das europäische mittelalterliche Denken ausübten.
Vor allem in Spanien, aber auch in Sizilien, gab es fruchtbare kulturelle Begegnungen zwischen dem islamischen Osten und dem Westen. Es ist eine interessante Tatsache, daß Europa die griechische Philosophie doch erst auf dem Wege über die arabischen Übersetzungen kennenlernte.
Wie auch die beiden französischen Gelehrten Carra de Vaux und Renan lehrten, wäre der Rationalismus in Europa zur Zeit der Renaissance ohne den Einfluß der rezipierten islamischen Wissenschaften nicht möglich gewesen.

Dieser kurze Hinweis auf die wechselseitigen starken Einflüsse zwischen dem Westen und der islamischen Welt soll in diesem Zusammenhang genügen.

 

Im letzten Jahrhundert gab es ein ganz neues Phänomen in den Beziehungen beider Kulturen. Nach dem 2. Weltkrieg kamen viele Muslime als Arbeitskräfte nach Europa. Sie halfen mit ihrer Arbeit, Europa wieder aufzubauen. Für diese Muslime selber aber entwickelten sich zunehmend mehr Probleme, vor allem bezüglich der Ausübung ihrer Religion, der Erziehung ihrer Kinder und ganz allgemein der Integrierung in die westlichen säkularisierten Gesellschaften. Schwerpunkte dieser problematischen Situation der Muslime in Europa, die in dieser Tagung diskutiert werden, sind vor allem ihre wirtschaftliche, soziale, politische und rechtliche Situation, die Ausübung ihres Glaubens, die Erziehung der muslimischen Kinder, der islamische Religionsunterricht an den Schulen sowie  das Bild Bild der Muslime in den westlichen Massenmedien.

Die Muslime in Europa sehen es als ihre Aufgabe, sich in den Gastländern, für die  sie arbeiten, zwar anzupassen, aber in einer solchen Weise, daß sie ihren Glauben und ihre traditionellen Werte nicht aufzugeben haben. Sie dürfen sich nicht als eine subkulturelle Gruppe isolieren und ins Ghetto gehen. Damit wäre beiden Seiten nicht gedient.


Von dieser Problemlage her gesehen, sind zweifellos Tagungen wie die heutige Veranstaltung sehr wichtig, damit auf sachliche Weise die Hindernisse für eine fruchtbare Integration der Muslime in Europa studiert und durch gemeinsame Bemühungen beseitigt werden können. Vor allem sollte die Aufmerksamkeit darauf gerichtet sein, die Auffassungen der anderen Seite zu klären und richtig zu verstehen.

Die Frage ist also, wie die Muslime in Europa in Harmonie mit  ihrer Umwelt leben können und wie es ihnen möglich gemacht werden kann, der Gefahr, Außenseiter der Gesellschaft zu werden, aus dem Weg zu gehen.
Es gibt keinen Zweifel daran, daß eines der Haupthindernisse für die meisten Muslime in Europa die vielen islamischen Splittergruppen darstellen, d.h. die Tatsache, daß sie sich häufig nicht hinreichend organisieren.


Die Lösung der vielen Probleme der Muslime in den westlichen Ländern ist auch, wie schon gesagt, eine Priorität für die Gastländer selber. Daher sind sachliche und intensive Dialoge zwischen beiden Seiten von großer Bedeutung. Nur so wird eine positive Bewältigung der Zukunft, die immer schneller auf uns zukommt, möglich.

Zweifellos gibt es immer noch viele Vorurteile auf beiden Seiten - zum Teil durch die Massenmedien hochgezüchtet - die aber abgebaut werden müssen, damit die notwendige Atmosphäre für ein besseres gegenseitiges Verständnis geschaffen werden kann.