Abrahamsfest in Filderstadt
Samstag, 28. und 29. Oktober 2000

 

Weiterer Vortrag ein Jahr später:

Abraham: Aufbrechen – Neues wagen

Zur Spiritualität interreligiöser Praxis

 

Prof. Dr. Karl-Josef Kuschel,
kath. Fakultät der Universität Tübingen, Stiftung Weltethos

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zunächst eine persönliche Vorbemerkung machen. Es waren jetzt für mich schon zwei sehr bewegende Tage. Ich bin ja nun  seit gestern von Anfang an dabei gewesen und habe die meisten Veranstaltungen erleben dürfen - als jemand der vor sechs Jahren - gewissermaßen das theologische Grundlagenbuch geschrieben hat "Streit um ABRAHAM"  - eine Theologie der abrahamischen Ökumene, so habe ich es genannt, also eines besonderen Miteinander von Juden, Christen und Muslimen - für den ist es etwas bewegendes zu sehen, wie diese theologische Grundlagenarbeit in der Praxis Früchte trägt. Durchaus im Sinne - sozusagen des Symbols das Sie da sehen, ein schönes Symbol der Gesellschaft für christlich-muslimische Zusammenarbeit - ein Symbol das ja bedeutet: "wir stehen noch ganz am Anfang" die Pflanze ist noch klein, sie ist sozusagen grade aus dem Boden gekommen und sie Bedarf unseres Schutzes und unserer Pflege. Ich würde mir nur wünschen, als Wunsch gewissermaßen für die Hoffnung, dass auch die dritte Hand dazukommt - nämlich die jüdische Hand. So wie ich mir's auch wünsche, dass diejenigen, die sich in der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit engagieren, sich immer wieder öffnen - das dialogische Öffnen zum trialogischen Öffnen.

Es war für mich etwas Bewegendes, als damals vor einem guten halben Jahr Michael BLUME zu mir kam, in mein Zimmer an der Universität Tübingen, und mir erzählte, hier im Raum Stuttgart solle ein ABRAHAMSFEST stattfinden. In mir kam soetwas wie "abrahamisches Gelächter" hoch. Ich dachte - ich hör nicht richtig - das soll es geben - plötzlich? Hier unmittelbar vor meiner Haustür?
Juden, Christen und Muslime wollen sich dafür engagieren, dass sie miteinander reden, einander kennenlernen, dass sie Projekte verabreden, dass sie über ihre Probleme reden, Schwierigkeiten austauschen, aber auch die Chancen ausloten?

Ich hab das kaum für möglich gehalten und die Tatsache, dass nun diese beiden Tage stattfinden, stattgefunden haben, betrachte ich als sowie ein kleines abrahamisches Wunder, als ein Geschenk - und das zeigt schon, wie wichtig es ist, meine Damen und Herren, dass wir uns an einer Gestalt wie ABRAHAM orientieren, denn was mir von vornherein eingeleuchtet, was ich von vornherein auch unterstützt habe, war die Tatsache: hier wollen wir nicht ein weiteres "multi-kulti" Fest an die vielen dranhängen, die es ohnehin gibt - wobei ich nichts gegen gut organisierte multi-kulturelle Feste habe, aber wir wollen hier einen anderen Akzent setzen - und er ist hier gesetzt worden. Akzent heißt: wir wollen zuerst einmal unsere Religionen in den Vordergrund stellen. Deshalb ist die Orientierung an ABRAHAM so wichtig, weil er der Vater unseres Glaubens ist - und wir wollen aus unseren Glaubensquellen heraus ausloten, was uns möglich ist für die Zukunft und wie unsere Gemeinsamkeit neu gestaltet werden kann. Das hat mir von vornherein eingeleuchtet und imponiert - und ich möchte all jenen danken, von meiner Seite, die sich für das Gelingen dieses Festes, für das Zustandekommen dieses Festes eingesetzt haben.

Es ist ein wichtiges Ereignis denke ich und wir dürfen die Signalwirkung, welche solch ein Ereignis für uns selber und für die Region hat überhaupt nicht kleinreden!
Überhaupt nicht bagatellisieren und mit irgendwelchen Zahlenspielchen meinen, dass das was hier aufgebrochen ist gewissermaßen relativieren. Ich sehe dies hier als ein ganz wichtiges Zeichen an, dass dies überhaupt möglich geworden ist.
Meine Aufgabe kann es nun nicht sein, hier etwa das, was in den vergangenen zwei Tagen gelaufen ist zusammenzufassen aber meine Aufgabe kann es vielleicht sein, das was hier in FILDERSTADT, das was hier in der Region passiert ist, in einen größeren Kontext zu stellen. Deshalb haben mich die Veranstalter gebeten, hier das Schlußwort zu reden - sozusagen die größeren Perspektiven aufzuzeigen und gleichzeitig vielleicht Perspektiven für eine nahe Zukunft zu entwickeln.

Ich möchte Sie daher zunächst daran erinnern, dass was hier entstanden ist, nämlich der Beginn, der zaghafte, oft noch hilflose, oft noch zögernde, sprachlose Versuch über Glaubensfragen zu reden - steht ja in einem globalen Kontext. Nicht nur die Wirtschaft macht ja Prozesse der Globalisierung durch, auch der interkulturelle und interreligiöse Austausch. Globales ökumenisches Bewußtsein ist ja etwas, was wir gelernt haben, sowohl im innerchristlichen, wenn ich an die ganzen Prozesse der konziliaren Bewegung denke  - für Frieden, Bewahrung der Schöpfung - das waren ja globale Prozesse. D.h. man hat sich betrachtet als im Zusammenhang der Menschheit befindlich, und gleichzeitig wissen wir, dass der interreligiöse Dialog interkontinental, international fungiert und gleichzeitig Widerstände natürlich von allen Seiten zu registrieren sind.
Wenn ich nur ganz wenige Daten in Erinnerung rufen darf, aus diesem Jahr nur, dem Jahr 2000, dann sehen Sie sofort, in welchem globalen Kontext sich das abspielt, was wir hier betreiben, in FILDERSTADT.

Im März dieses Jahres war JOHANNES PAUL II, das Oberhaupt der katholischen Kirche in PALÄSTINA, in ISRAEL - hat dort bewegende Ansprachen gehalten, welche der ganzen Welt durch TV übertragen wurden - hat sich, so wörtlich dafür ausgesprochen, dass die katholische Kirche aufrichtig die Fortsetzung des interreligiösen Dialogs mit Juden und Muslimen anstrebt. Ganz eindeutige Aussagen des Papstes, dass der interreligiöse Dialog in der Tat irreversibel ist.
Aber der gleiche Papst hat ein Dokument approbiert, das im September diesen Jahres veröffentlicht wurde, wo es heißt, dass das "Ziel des interreligiösen Dialogs die Bekehrung von Nichtchristen sei" und dass man nur durch Übertritt und Bekehrung zur katholischen Kirche "Heilsmöglichkeiten" habe und dass die Nichtchristen objektiv, d.h. vor Gott in einer schwer defizitären Situation leben. Das war für alle, die geglaubt haben, das was der Papst in JERUSALEM gesagt hatte, sei wörtlich zu nehmen. Ein "aufrichtiger interreligiöser Dialog" - das war für alle ein Kälteschock, denn dieses Dokument unterschlägt sehr vieles, läßt beiseite was in den Dokumenten des 2. Vatikanums, an positiven Aussagen, konstruktiven Aussagen über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen gesagt ist.

Meine eigene Kirche, die katholische - und das will ich damit signalisieren, hat ein Problem und es dient nur der Ehrlichkeit im interreligiösen Dialog, dieses Problem ehrlich zu benennen - wir stehen noch mitten in einer Auseinandersetzung darüber, welcher Konzeption wir aus katholischem Glaubensverständnis folgen sollen. Also einer Konzeption des interreligiösen Dialogs oder einer Konzeption der Missionstheologie, die auf Bekehrung des Nichtgläubigen, des Nichtchristen abzielt. Und ich sage dies deshalb so eindeutig selbstkritisch, meine Damen und Herren, weil ich denke es dient nur der Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit, auch im interreligiösen Dialog, Problemanzeige vorzunehmen und sage, wir haben die Dinge selber noch nicht gelöst, wir haben da noch vertiefte Studien vor uns, vor allem auch eine Auseinandersetzung, eine theologische Auseinandersetzung - und ich bin davon überzeugt, dass es in anderen religionen ähnlich ist.
Strukturell sind die Probleme analog. Im Judentum, auch im Islam auch da dürfen wir glaube ich uns keine Illusionen machen - niemand von Ihnen macht sich da Illusionen - dass auch da, die Frage: "Wie gehe ich mit dem jeweils anderen um" also eine "Theologie des ANDEREN" alles andere als konsensfähig ist zwischen den verschiedenen Gruppen - alles andere als ausdiskutiert - und ich denke es dient der interreligiösen Glaubwürdigkeit und Wahrhaftigkeit, wenn wir uns gegenseitig informieren darüber, dass unsere Traditionen mit einer konstruktiven "Theologie des Anderen" Probleme haben und dass wir weit davon entfernt sind, schon überzeugende Gesamtlösungen zu haben, die in den jeweiligen Glaubensgemeinschaften konsensfähig sind.

Ein zweites Beispiel möchte ich, ein für mich sehr bewegendes Datum möchte ich ansprechen - die Rede des Papstes in JERUSALEM war für mich ein bewegendes Datum - es war der 19. Juli 2000 - da fand der Besuch von Präsident Sayyed Muhammad CHATAMI in Weimar statt.
Wer hätte vor zwei, drei Jahren es noch für möglich gehalten, dass der Nachfolger von KHOMEINI die GOETHESTADT besuchen würde. Und seine Vorstellung des ISLAM zurückbindet, ganz bewußt, an die Wurzeln die in der deutschen Klassik gelegt wurden, nämlich bei LESSING, bei HERDER und bei GOETHE.

Wer hätte es für möglich gehalten, dass der Staatspräsident des IRAN bewußt ein Zeichen setzen würde für den interkulturellen, den interreligiösen Dialog, indem er dort, wo dieser Dialog vor 200 Jahren stattgefunden hat anknüpft - denkt man an den West-Östlichen Diwan, 1819 entstanden, in dem GOETHE einen einzigartigen Dialog mit den beiden größten persischen Dichtern des 13. Jahrhunderts geführt hat, mit SAADI und mit HAFIS.
Und wer hätte es für möglich gehalten, dass wir einmal aus dem Munde eines iranischen Staatspräsidenten die Verse aus dem West-Östlichen Diwan zitiert bekämen, die wir geflissentlich aus unserem kulturellen deutschen Bewußtsein zu verdrängen pflegen. GOETHE schreibt nämlich im West-Östlichen Diwan über die Auseinandersetzung der Religionen untereinander, dem Streit der Religionen untereinander:

"Närrisch, dass jeder in seinem Falle seine besondere Meinung preist
wenn ISLAM "gottergeben" heißt
im ISLAM leben und sterben wir ALLE"

Wir haben das geflissentlich verdrängt. Normalerweise gehen Staatspräsidenten die unser Land besuchen nicht nach WEIMAR, sondern SINDELFINGEN - aus wohlerwogenen Gründen - oder sie gehen nach HAMBURG um die Airbusindustrie zu besichtigen. D.h. sie schmeicheln uns mit dem, was wir den "Mercedespatriotismus" zu nennen gewohnt sind. Das sind andere Signale.

Ich möchte ein drittes Datum nennen, diesen Jahres. Den 24. Juli, nur 5 Tage später, nach dem Besuch von Präsident CHATAMI in WEIMAR und ich bin (nur in Klammer bemerkt, dass Sie mich nicht mißverstehen, der Allerletzte der nicht die immensen Schwierigkeiten sähe, die gegenwärtig auch nach wie vor in TEHERAN herrschen - und ob Präsident CHATAMI sich durchsetzen wird bleibt abzuwarten, aber auf das, was er dort gesagt hat, möchte ich ihn schon gern behaften und auch all diejenigen im IRAN ermutigen, die sich für eine Erneuerung in eben diesem Geiste einsetzen, ohne zu wissen, ob dieser Prozess sich durchhalten läßt.)

Der 24. Juli ist nämlich, wenn Sie so wollen, das Gegendatum - an diesem Datum scheiterte Camp DAVID II, mit den Folgen, die wir bis in diese Tage hinein spüren. Der Nahe-Osten ist mal wieder ein Brandherd, Katastrophenmeldungen, Meldungen von Erschießungen,von Aufständen, der Fortsetzung der Intifada, einer Koalition in ISRAEL, die jetzt wohl droht zwischen BARAK und SCHARON - vieles was wir alle nicht für möglich gehalten haben, die wir noch an Camp DAVID I geglaubt haben, als Präsident SADAT und Premierminister BEGIN unter der Schirmherrschaft von Präsident CARTER ihr historisches Abkommen unterzeichneten. Dieses Camp DAVID II ist gescheitert und wie man hört an der Frage JERUSALEM gescheitert, was ja nur signalisiert - und das sage ich ganz selbstkritisch an die Adresse der Religionen, ich werde mich hüten da irgendwelche politischen Ratschläge zu geben, ich sage das, was ich als glaubender Mensch zu verantworten habe in dieser Frage - wir haben 50 Jahre Staat ISRAEL leider Gottes nicht nutzen können, aus welchen Gründen auch immer, Juden Christen und Muslime, um eine Löseung des Status JERUSALEM geistig, theologisch vorzubereiten, die nun politisch ratifiziert werden könnte. Im Gegenteil, auch nach dem was ich von all meinen Freunden aus ISRAEL höre, hat jahrzehntelang Sprachlosigkeit geherrscht, Abwehrreaktion von beiden Seiten, Besitzstandsdenken, der Rhetorien festmachen, Oberhoheiten definieren, militärisch sich festsetzen - und man war nicht bereit im Geiste der Verständigung Lösungen vorzubereiten, die nun von den Politikern hätten ratifiziert werden sollen. Ich meinen nun, hier haben die Religionen eine "Bringschuld". Dass die Politiker gescheitert sind, scheitern mußten, ist auch eine Verantwortung derjenigen, die im religiösen Bereich Verantwortung tragen und deshalb ist es eine Aufgabe, der wir uns erneut zuwenden müssen. Denn die Erwartungen - und dies ist ein viertes Datum welches ich nennen möchte - die Erwartungen einer Weltgesellschaft an eine konstruktive Rolle der Religionen, sowohl in Sachen Weltgerechtigkeit und Weltfrieden ist noch nie so hoch gewesen.

Wenn ich daran denke, dass am 2. September dieses Jahres zum allerersten mal auf Einladung der UNO durch Kofi ANAN persönlich, es einen "PEACE-SUMMIT of RELIGIOUS LEADERS" gegeben hat, wo rund tausend Vertreter aller großen Religionen in NEW YORK versammelt waren, ein Manifest verabschiedet haben und sich verpflichtet haben auf: Zusammenarbeit, Verständigung, Gewaltabbau, Zurückdrängung von Fanatismus - dann zeigt das ja nur, was die Weltgemeinschaft von den Weltreligionen erwartet!
Es is ja noch nie vorgekommen, dass man sozusagen von der Spitze her, von einer Weltspitze her, einer politischen Spitze, wie es die UNO nun einmal darstellt, die Religionen auffordert nach NEW YORK zu kommen und zu erklären, was sie denn gedenken für den Weltfrieden und die Weltgerechtigkeit zu tun!

Es war offenbar höchste Zeit. Das einzige was ich selbst zutiefst bedauert habe, dass die Religionen selber nicht in der Lage waren, das zu tun. Dass es den Generalsekretär der Vereinten Nationen braucht, dass die Religionsführer der Welt begreifen, dass sie eine Verantwortung haben für die Weltgemeinschaft. Und dass es wesentlich von ihnen abhängt, dass es in dieser Welt friedlicher und gerechter zugeht. Die Erwartungen sind hoch und deshalb sind alle diese Dinge - meine Damen und Herren - die ich genannt habe auch Wiederspiegelungen der Situation vorort. Das was wir hier tun steht in einem weltweiten Zusammenhang. Und das was hier nicht eingeübt wird, hier vorort, im Mikrokosmos unserer Arbeitswelt, unserer Lebenswelt, funktioniert auf Weltgesellschaftsebene genauso wenig.

Also machen wir uns keine Illusionen und denken oder glauben wir nicht dass das was hier geschieht im Mikrokosmos unserer Region, sei gewissermaßen irrelevant in Hinblick auf die Weltprobleme. Im Gegenteil. Es gibt sozusagen den "Fluch der Dialektik" zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos, und was nicht im Mikrokosmos eingeübt wird und gelingt, gelingt im Makrokosmos nicht. Aber es kann natürlich, was auf Makroebene geschieht Wirkungen haben, Auswirkungen haben auf das was im Mikrokosmos geschieht und umgekehrt. Positiv und Negativ.

Deshalb meine ich gerade weil - ich habe Ihnen nun von der ambivalenten Situation kurz Rechenschaft gegeben was die Weltsituation angeht - mit Blick auf das was hier geschieht, deshalb brauchen wir, denke ich, ein geistige Konzeption, gerade auch um die gesellschaftlichen  und politischen Schwierigkeiten auch immer wieder in der richtigen Perspektive sehen zu können. Wer sich nur in kurzfristigem gesellschaftlichem, politischen Aktivismus macht oder Aktionismus, wird kurz oder lang scheitern, weil die Probleme so immens sind, die Widerstände so immens, dass man entweder wirklichkeitsblind wirkt und sie träumerisch überspielt oder resignativ wird, weil man keine Ergebnisse sieht. Ich meine damit diese Dimension, von der ich eingangs gesprochen habe, die Dimension des Glaubens, die Dimension der Spiritualität, die Dimension des Herzens - und von dem möchte ich sprechen hier zum Abschluß dieser zwei Tage und Ihnen Rechenschaft geben an dem Weg oder über den Weg den ich selber gegangen bin, um alle diejenigen zu bestärken und zu ermutigen, die sich bereits auf diesen Weg gemacht haben.
Für mich war - oft werde ich gefragt "wie sind Sie denn dazu gekommen als christlicher Theologe, sich dem Programm einer abrahamischen Ökumene zu verpflichten?" - da ist meine erste Antwort: "das geschah durch konkrete Begegnungen."

Im Jahr 1989 bekam ich Gelegenheit in einer Gruppe von christlichen, muslimischen und jüdischen Theologen und Theologinnen in den Vereinigten Staaten mitzuarbeiten. Zum ersten mal traf ich nicht nur jüdische Kolleginnen und Kollegen. Mit dem Judentum hatte ich mich schon in meinem Studium und dann auch in den 80er Jahren an der Universität in TÜBINGEN relativ intensiv beschäftigt, habe an der Eaton? Universität in JERUSALEM studiert, habe Dialogseminare durchgeführt mit Peter LEVINSON und anderen aber die islamische Theologie war mir völlig unbekannt. Nie wurde ich in meinem Theologiestudium - und ich weiß dass es allen meiner Generation so geht, ob als Pfarrerrinnen, als Pfarrer, ob im priesterlichen Dienst oder auf der Ebene des Religionsunterrichtes - nie wurde ich während meines theologischen Studiums angeleitet oder ermutigt, etwa den QUR'AN zu studieren, mich mit der großen Tradition der islamischen Philosophie so selbstverständlich auseinanderzusetzen, sie einzubeziehen in den Horizont des Nachdenkens über mein Christsein, wie ich dies etwa über die jüdischen Quellen gelernt habe. Ich merkte ich habe ungeheure Defizite, der ISLAM war gewissermaßen "terra incognita" und ich stellte umgekehrt fest, für sehr viele meiner muslimischen Kolleginnen und Kollegen war das CHRISTENTUM "terra incognita". Was wusste man schon aus der Geschichte des Christentums. Aus den großen Traditionen. Wir hatten gegenseitig ungeheure Defizite.

Nur eines ließ mich aufhorchen, geradezu elektrisiert fand ich heraus, es fiel immer wieder der Name ABRAHAM. Gerade meine muslimischen Gesprächspartner legten allergrößten Wert auf die Feststellung - ABRAHAM spielt gerade im Islam eine herausragende Rolle als Urvater, als Urmodell des Glaubens. "MILLAT IBRAHIM" (Volk, Partei, Gruppe des ABRAHAM) ist ja nun ein Ausdruck des Qur'an, HANIFA, also derjenige, der sich gewissermaßen Gott unterwirft und ABRAHAM ist sozusagen das Urmodell eines solchen HANIFA.

Als ich das begriff, dass auch für die Muslime ABRAHAM von geradezu konstitutiver Bedeutung ist, begann ich auch meine eigenen Quellen völlig neu zu lesen. Plötzlich stand mir eine dramatisch Geschichte vor Augen. Der ABRAHAM den ich in der Genesis kannte, der weit weg zu sein schien, der ABRAHAM, der im Neuen Testament eine Rolle spielt, der- ja - eine typisch christliche Reflexionsfigur ist, im Römerbrief des Apostel PAULUS oder im Galatherbrief oder JOHANNES Kap.8 wurde plötzlich in eine Dramaturgie überführt, weil Muslime da sind, die sich ebenfalls auf diese Wurzel berufen. Und dem konnte ich nachgehen. Es müsste doch möglich sein, dachte ich, wenn alle drei, Juden, Christen und Muslime sich auf ABRAHAM berufen, aus diesem gemeinsamen Wurzelwerk heraus, dieses Wurzelwerk freizulegen und daraus eine Bedeutung für heute abzuleiten. Und ich dachte, natürlich bin ich ja nicht der erste der auf dies Idee gekommen ist. Da gibt es ja zahlreiche Studien, eine Unzahl von Literatur, wenn schon nicht in deutscher Sprache, so doch in Französisch oder Englisch. Meine Entdeckung war - nein - niemand hatte sich die Mühe gemacht, das für heute herauszuarbeiten, was man mit Fug und Recht dieses ABRAHAMISCHE "Wurzelwerk" nennen kann, was uns drei ja verbindet.

So machte ich mich selber an die Arbeit.

Ich entdeckte, dass es einer der großen französischen Denker war, in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, mit Namen Louis MASSIGNON, der wohl als erster diese große Idee durchdacht hat. L. MASSIGNON der von 1883 bis 1962 lebte war ein tiefgläubiger Katholik, er ist vermutlich der bedeutendste westliche Orientalist des 20. Jahrhunderts mit bahnbrechenden Arbeiten zur islamischen Mystik - und er hat als einer der ersten Christen im vergangenen Jahrhundert seiner Kirche die Augen dafür geöffnet, dass der Islam für Christen, nicht wie bisher angenommen, eine Häresie, ein götzendienerischen Heidentum oder gar eine Macht des Antichristen ist, sondern ein Gottesglaube in Kontinuität zur biblischen Tradition, und sich selbst von der Wurzel ABRAHAMS her ableitet.

MASSIGNONs kleine Schrift "Die drei Gebete ABRAHAMS" im Jahre 1949, die Gebete für SODOM, für ISMAEL und für ISAAK kann man mit Fug und Recht als Gründungsurkunde der christlichen Thologie der "ABRAHAMISCHEN ÖKUMENE" bezeichnen - mit epochalen kirchengeschichtlichen Wirkungen. "Der Heilswille umfasst aber auch die, welche den Schöpfer anerkennen, besonders die Muslime, die sich zum Glauben ABRAHAMS bekennen und mit uns den EINEN GOTT anbeten, den BARMHERZIGEN, der die Menschen am Jüngsten Tag richten wird" dieser gestern schon zitierte, in diesem wunderbaren kleinen Theaterstück, das wir gestern abend gehört haben, dieser historisch beispiellose Satz des zweiten Vatikanischen Konzils wäre ohne das Werk MASSIGNONS nicht möglich gewesen.
Aber all diese Hinweise waren Einzelsignale. Ich wollte eine Gesamtvision entwerfen, eine sozusagen theologische Grundlegung dessen was ich ABRAHAMISCHE ÖKUMENE nenne - von Juden, Christen und Muslimen.

Während ich damals an meinem Abrahambuch schrieb 1993/94 drang im Februar eine Schar fanatischer jüdischer Siedler in die IBRAHIM Moschee in HEBRON ein, der legendären Grabstätte von ABRAHAM und SARAH. 29 dort betende Muslime wurden ermordet, blieben in Blutlachen am Boden liegen. All das geschah, um den so hoffnungsvoll begonnen Friedensprozess zwischen Israelis und Palästinensern zu torpedieren. Mord am Grabe ABRAHAMS durch die Kinder ABRAHAMS. Dieser Mord setzte eine neue Gewaltspirale in Gang, floss denn auch kurze Zeit später unschuldiges jüdisches Blut durch neue entsetzliche Terrorangriffe von Palästinensern.
Mir wurde klar, an welchem Stoff ich arbeitete. Von ABRAHAM erzählen hieß gleichzeitig die Trauergeschichte zwischen Juden, Christen und Muslimen aufarbeiten - eine Geschichte von Blut, Tränen und Gewalt - hieß aber auch eine Hoffnungsgeschichte festhalten, eine Geschichte vertrauenden Glaubens, der unerschütterbaren Hoffnung trotz allem.
Von ABRAHAM erzählen hieß vor allem Vergleiche anstellen zwischen einst und jetzt, und sich erschrocken erinnern, wie weit die Kinder ABRAHAMS das Erbe ihrer Stammeltern - ABRAHAM, HAGAR und SARAH verspielt haben.

Im Prozess des Schreibens wurde mir aber noch ein Zweites klar.
Wir erleben in Deutschland gegenwärtig religionspolitisch, religionsgeographisch in einer geschichtlich beispiellosen Situation. Es ist die Erfahrung eines dritten pluralisierenden Schubs, der in vielen Ländern EUROPAS sich vollzieht. Ich meine damit nach dem ersten Pluralisierungsschub der im 16. Jahrhundert die mittelalterliche kirchliche Einheit aufsprengte und den man einen konfessionellen innerkirchlichen Pluralismus nennen kann, haben wir seit dem 18. Jahrhundert einen zweiten Pluralisierungsschub überlebt - die Sprengung der immerhin noch überlebenden christlichen Einheit, die Aufspaltung der Gesellschaft in einen christlich-kirchlich gebundenen und ein säkular-humanistisch ausgerichteten Teil. Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts qaber zeichnet sich ein dritter Pluralisierungsschub in vielen  Ländern West-Europas ab. Man kann ihn den Pluralismus der Religionen nennen.

Mittlerweise leben wieder rund 100.000 Juden in Deutschland, in 83 Gemeinden, aber auch 3.000.000 Muslime. Die Präsenz einer so starken religiösen Minderheit hat es in Deutschland aber noch nie in seiner Geschichte gegeben. Selbst das Judentum, in Deutschland bekanntlich die bisher größte religiöse und kulturelle Minderheit, hatte bis in die 30er Jahre rund 600.000 Menschen umfasst. Noch nie also gab es in Deutschland eine religiöse Minderheit in der jetzigen Größenordnung und noch nie war diese Religion der Islam.
Das stellt unser Land, wie wir auch in diesen beiden Tagen gehört haben vor nie dagewesene gesellschaftliche und religiöse Herausforderungen und stellt diejenigen, die als Minderheiten bei uns leben, Juden und Muslime, ihrerseits vor erhebliche Spannungen und Herausforderungen.

Der religiöse Pluralismus ist eine Beunruhigung des bisherigen konfessionellen, wie säkular-humanistischen Status quo. Er stellt sowohl Vertreter des etablierten Christentums, wie des etablierten Säkularismus in Frage. Er löst Abwehrreaktionen aus, mentale Abschottung auf beiden Seiten, Verweigerung des Dialogs, Selbstgetthoisierung, Misstrauen und kulturelle Abwehr. Der dritte Pluralisierungsschub ist alles andere als gesellschaftlich gesichert. Deshalb brauchen wir eine neue interreligiöse Kommunikationspraxis in Deutschland und weltweit. Konkret heißt das:
 

1. Religionsgemeinschaften haben je dort wo sie leben - Verantwortung dafür, dass Gewaltbereitschaft und Totalitätsansprüche in ihren jeweiligen Gemeinschaften abgebaut werden. Hier müssen die Prozesse wechselseitig sein, damit die Friedlichen und Dialogbereiten in den Religionen nicht die "Dummen" sind.


Verstärken kann man diese Prozesse durch vertrauensbildende Maßnahmen zwischen den Religionen. Und wenn ich diesem Treffen hier - sagen wir - ein Stichwort zur Kennzeichnung leihen möchte, dann ist das ein Treffen im Kontext dieser vertrauensbildenden Maßnahmen. Und Vertrauen ist nach meiner Lebenserfahrung der Schlüssel zur Kommunikation, zum Dialog. Ohne Vertauen gibt es das nicht. Deshalb ist dies hier so wichtig.

Ein Testfall für die Glaubwürdigkeit jeder Religion ist die Behandlung von Minderheiten im jeweiligen Einflußbereich. Vertrauen untereinander wird in dem Maße wachsen, wie man sich zu Anwälten von Andersgläubigen im jeweiligen Herrschaftsgebiet macht.
 

2. Insbesondere brauchen wir in allen drei abrahamischen Religionen einen Wechsel der Mentalitäten. Überall gibt es noch ein Zuviel an selbstgerechtem Totalitätsanspruch, überall noch zuviel politisch-taktische Verstellung, um den Herrschaftsanspruch der eigenen Religion auf Kosten aller anderen durchzusetzen.


Erez Israel Fanatiker im Judentum gehören dazu genauso wie christliche Missionsfundamentalisten und muslimische Extremisten, die von einer Weltmacht Islam träumen, um mit einer dualistischen Ideologie von einem "Haus des Islam" und einem "Haus des Krieges" die Menschheit noch weiter spalten.

Das alles ist aber das Gegenteil von abrahamischer Ökumene, wie sie uns allen vorschwebt. Dies ist der Mißbrauch der Religionen, totalitäre Missionsansprüche, Weltbekehrungsphantasien, größenwahnsinnige Selbstüberschätzung. Die größte Blasphemie ist, so habe ich von einem meiner muslimischen Kollegen in den USA, Prof. Mahmud AYYUB gehört,  Idolatrie, also Götzenanbetung - und die schlimmste Form von Götzenanbetung ist die Selbstvergötzung des eigenen Staates, der eigenen Nation oder der eigenen Religion.
Im Namen des wahren Gottes sind solche blasphemischen Vergötzungsträume in allen Religionen radikal zu entmythologisieren und als das zu entlarven was sie sind - die religiöse Maskierung cruder  menschlicher Herrschaftsgelüste.

In allen Religionen aber haben sich Stimmen zu Wort gemeldet, die von vorne herein bereit sind aus der eigenen Glaubensüberzeugung heraus die Existenz der anderen Geschwister ABRAHAMS zu respektieren und als Bereicherung zu erfahren. Eine Ökumene der Kinder ABRAHAMS die ihren Namen verdient, wird es nämlich nur dann geben, wenn Juden, Christen, Muslime bereit sind Schluß damit zu machen, sich als Ungläubige, Abgefallene oder Überholte oder Defizitäre abzuqualifizieren. Und ob sie positiv bereit sind, sich als Brüder und Schwestern im Glauben an den Gott ABRAHAMS gegenseitig anzunehmen. Besonders beeindruckt haben mich dabei die Arbeiten eines angesehenen orthodoxen amerikanischen Rabbiners, den ich auf den vielen Trialogtreffen schätzen gelernt habe - Irving GREENBURG - gegenwärtig der Direktor des Holocaust Museums in WASHINGTON, nachdem er jahrelang als orthodoxer Rabbiner in WASHINGTON tätig war - beeindruckt hat mich sein Buch: "The Jewish Way - a theology of jewish festivals", eine Theologie jüdischer Feste. Hier arbeitet Rabbi GREENBURG mit dem Begriff des "open covenant", des "offenen Bundes" als Jude mit Blick auf Christentum und Islam. Und nachdem auch in der jüdischen Theologie wenig Bereitschaft vorherrscht, sich mit Christentum und Islam konstruktiv theologisch auseinanderzusetzen, ist dies für mich eine wichtige jüdische Stimme. Nach GREENBURGS Überzeugung werden Christenstum und Islam ihren Anspruch zurückweisen müssen, das Judentum überwunden zu haben und auch die Juden müssen mehr als früher anerkennen müssen, dass diese Religionen aus dem ursprünglichen Bund herausgewachsen sind. Christen und Muslime können also, auch nach heutigem, orthodox jüdischem Verständnis verstanden werden als lebendige Zeugen eines lebendigen Bundes Gottes mit ABRAHAM.

Auch in der christlichen Theologie ist die Grundlagenforschung mittlerweile intensiviert worden. In meinem Abrahambuch ist die Exegese der ISMAELtexte der Genesis - und das war ja auch gestern in dem Theaterstück wunderbar zu hören - von entscheidender theologischer Bedeutung zu einem jüdischen und christlichen Verständnis des Islam - das Nachdenken über den merkwürdigen Abrahamssohn, von seinem Vater mit dem Bundeszeichen der Beschneidung ausgestattet, dann von seinen Eltern der Vernichtung preisgegeben und von Gott errettet und mit Segen, Fruchtbarkeitssegen ausgestattet - merkürdige rätselhafte Figur - schon die Genesis wird mit diesem Abrahamssohn nicht fertig, theologisch - wo man ihn einzuordnen habe - eine "Zwitterfigur" -
Mittlerweile denken auch protestantische Kollegen über dieses Geheimnis des Abrahamssohns konstruktiv theologisch nach, so z.B. der im Wuppertal lebende protestantische Theologe Berthold KLAPPERT. Er schreibt: "Wenn die häbräische Bibel in dieser umfassenden Weise ISMAEL an den Segensverheissungen für ABRAHAM beteiligt sein läßt, ihn in den Bund GOTTES mit ABRAHAM sogar als ersten und erstbeschnittenen miteinbezieht - und wenn der GOTT ABRAHAMS mit dieser Sympathie, d.h. in diesem das Schreien der HAGAR erhörenden Mitleiden, sich ISMAEL und HAGAR offenbart, dann wäre zu fragen: "Warum bekennen wir uns heute in unseren Gottesdiensten (christlichen Gottesdiensten) den richtigen Hinweisen der feministischen Theologie folgend, zwar zum GOTT ABRAHAMS und SARAHS, zum GOTT ISAAKS und REBBEKAS, nicht aber auch in gleicher Weise zum GOTT ISMAELS und HAGARS?" Die Selbigkeit dieses GOTTES ABRAHAMS, des GOTTES ISAAKS und ISMAELS kann von der häbräischen Bibel nicht offengelassen werden. Der Abrahamssegen kann in dieser Mehrdimensionalität nur gemeinsam von Juden, Christen und Muslimen ergriffen und nur gemeinsam an die Menschen weitergegeben werden."

Ich zitiere dieses Beispiel nicht weil ich meine dies sei alles schon konsensfähig unter uns christlichen Theologen, sondern weil es endlich einmal auch ein protestantischer Theologe ausspricht, dass wir neu unsere biblischen Text zu lesen zu haben, im Blick auf die Existenz des Islam und auf die Existenz des lebendigen Judentums.
Das sind allererste Signale, wo die christliche Theologie zaghaft beginnt, sich diesen neuen Dimensionen zu öffnen. Ich weiß aber auch, dass es ähnliche Entwicklungen im Islam gibt. Auch diese Entwicklung beobachte ich mit größter Aufmerksamkeit. Die innere Pluralität, das was an intellektuellen Gärungen auch im Bereich des Islam, in Europa, den Vereinigten Staaten, muslimischen Stammländern stattfindet. Für meine Arbeit, ich gebe Ihnen nur ein kleines Beispiel, so wie für mich etwa ein Mann wie Schalom ben CHURIN ungeheuer wichtig wurde, dem sehr viel verdanke, vor allem als ich in JERUSALEM lebte - so wurde für mich die Lektüre des Buches von Muhammad Salim ABDULLAH wichtig, sein Buch "Islam für das Gespräch mit Christen" von 1992, dem Leiter des Islam-Zentralarchives in SOEST. M.S.ABDULLAH z.B. sieht Juden, Christen und Muslime als Dialoggemeinschaft, als Tischgemeinschaft, ja als Wettbewerbsgemeinschaft an. Von ihm habe ich zum ersten mal diesen Begriff "Wettbewerbsgemeinschaft" gehört und auch begriffen und gelernt, dass er sich dabei auf den Qur'an bezieht, auf Sure 5:48, und dass diese Assoziation, und dass die Idee des Wettbewerbs zwischen den drei Religionen qur'anischen Ursprungs ist, qur'anische Vorstellung, hat mich dann das Werk von LESSING völlig neu interpretieren lassen, sodass dann daraus, aus dieser Initialzündung eine Studie über LESSING und ISLAM entstanden ist. Ich möchte Ihnen ein Wort von Muhammad Salim ABDULLAH aus einem Gespräch von 1998 zitieren, was mir sehr wichtig ist: "Wir haben einen gemeinsamen Ursprung" sagt er, "der Prophet hat darauf verwiesen, dass seine Lehre eine Religion im biblischen Umfeld sei. Wir sind die Söhne ISRAELS, diesen ist verheißen, dass sie eines Tages an der Seite ihrer Brüder stehen werden. Der Qur'an sagt in der 5. Sure, dass alle drei Wege, Judentum, Christentum und Islam legitim seien. Die Vielfalt der Religionen ist gewollt, damit die Kinder ABRAHAMS darin im Guten miteinander wetteifern können. D.h. Gott wird mich danach beurteilen, wie ich mit Juden und Christen umgegangen bin und im jeweils umgekehrten Sinn ist es genauso."

In diesem Geist, meine Damen und Herren ist ABRAHAMISCHE Ökumene, also eine besondere Verbindung zwischen Juden, Christen und Muslimen, ohne dass die Differenzen verleugnet würden, keine schöne Illusion. Im Gegenteil, sie ist lebendige Wirklichkeit. Sie vollzieht sich an vielen Orten und in vielen Ländern und ich nenne beispielhaft Organisationen zu denen ich selber persönliche Verbindungen habe. Ich will damit all jene ermutigen, die vor lauter Problemen immer nur resigniert abwinken und vor allem diejenigen hier vor Ort unterstützen, die begonnen haben selber etwas aufzubauen.
Es gibt nämlich bereits überall auf der Welt Menschen, Gruppen, Organisationen, welche sich, allem Elnd zwischen den Religionen zum Trotz für eine Verständigung und Zusammenarbeit zwischen den Geschwistern ABRAHAMS einsetzen. Die ABRAHAMISCHE Ökumene ist keine virtuelle Realität im Gehirn eines Theologen, sie hat Adressen, Telefon, FAX und e-mail.

1. Seit 1967 leistet die "Fraternität d'ABRAHAM", die Bruderschaft ABRAHAM in  FRANKREICH interreligiöse Verständigungsarbeit im Geiste MASSIGNONS. .... bin ich dabei besonders verbunden. Unter der Schirmherrschaft der drei großen Traditionenmin FRANKREICH hat sich die Bruderschaft der Aufgabe verschrieben, die spirituellen, moralischen und kulturellen Werte aus der abrahamischen Tradition zu fördern und das Verständnis füreinander zu vertiefen.

2. 1977 wurde in LOS ANGELES die "Academy for todays Christian and Moslems Studies" gegründet, deren Arbeit ich im November 1997 kennenlernen konnte. 12 Mio. Menschen umfaßt eine Metropole wie LOS ANGELES. Neben Mio. Christen leben auch hunderttausende Juden und auch hunderttausende von Muslimen dort. Vom Gründervater dieser Akademie Dr. George GROWES zietiere ich gerne dieses Wort: "Judentum, Christentum und Islam haben miteinander zusammenhängende Bestimmungen. Sie sind getrennt und unterschieden, aber zusammengebunden. Sie werden zusammen handeln bis ans Ende der Tage". Diese Interaktion ist immer dreifach. Wenn es ein Zusammenspiel zwischen zweien gibt, wart' einen Moment, wart' einen Tag, warte tausend Jahre - der Dritte wird erscheinen.
Das heißt die Glaubensexistenz von Christen ist vom Kern her trialogisch strukturiert. Christen können ihr Glaubenszeugnis nicht ohne das jüdische und muslimische artikulieren und entfalten und umgekehrt weiß ich, dass viele Juden und Muslime ihrerseits ihr Glaubenszeugnis nicht ohne die jeweils anderen Geschwister reflektieren wollen. Das Glaubenszeugnis hat also für uns Kinder ABRAHAMS trialogische Strukturen.

3. Das hat man auch in SCHWEDEN erkannt und 1991 die "Children of ABRAHAM Foundation for religious and cultural coexistance" gegründet werden konnte. Diese Stiftung, deren Arbeit ich im März 1998 durch einen Besuch in STOCKHOLM konkret studieren konnte, hat sich vor allem der Arbeit in öffentlichen Schulen verschrieben. Der Arbeit also mit jüdischen und muslimischen Kindern in einer säkularisierten und nur noch teilweise noch christlichen Umgebung. Dorothea ROSENBLAAT, die jüdische Gründermutter, eine Frau die ich sehr bewundere, weil sie seit jahrzehnten für diese Idee, für diese Vision, diese Realität einer "Children of ABRAHAM foundation" steht.

4. Ebenso wichtig ist das "Three faith forum" in GROSSBRITANNIEN, die einzige Organisation, die interreligiöse Verständigungsarbeit konkret vor Ort in institutionalisierter Form mit Juden, Christen und Muslimen durchführt.

Wir sollten auch, meine Damen und Herren, und deshalb nenne ich  diese konkreten Beispiele, auch bei uns in DEUTSCHLAND anfangen, in Zusammenarbeit mit Politikern, mit all denjenigen Repräsentanten die dafür in Frage kommen, anfangen darüber nachzudenken, ob wir über Friedensgebete, Friedenswochen, Wochen der Brüderlichkeit hinaus, die es ja bereits gibt und wo ja Juden, Christen und Muslime auch mit Vertretern von anderen Religionen bereits vor Ort zusammenarbeiten - ob es nicht an der Zeit wäre, angesichts der veränderten gesellschaftlichen Situation von der wir eingangs sprachen, angesichts der Weltlage mit der wir konfrontiert sind, die Zusammenarbeit zwischen Juden, Christen und Muslimen vor Ort, wo sie verlangt wird, vor allem in den Ballungszentren institutionalisiern sollten nach dem Vorbild von "interreligious city-councils" in vielen amerikanischen und englischen Städten. Interreligiöse Foren, Netzwerke der Zusammenarbeit.
Ich muß nicht eigens ausführen, das ist ja heute Nachmittag hier im Saal zur Sprache gekommen, was das bedeuten würde, wenn wir ein institutionalisiertes abrahamisches Forum hätten, in der sich Juden, Christen und Muslime ihre Anteilnahme, Solidarität und Fürsorge gegenseitig versichern könnten. Darüber wäre nachzudenken. Und ich möchte alle ermutigen, die sich hier für dieses ABRAHAMSFEST eingesetzt haben zu überlegen, wie es weitergehen soll. Es wäre ein Jammer, wenn diese 2 Tage verpuffen würden wie eine Sylvesterrakete am nächtlichen Himmel. Es wäre jammerschade.

Ich möchte zum Schluß die Frage beantworten, die mir auch immer wieder gestellt wird, die Sie sicher auch beschäftigt: "WIE DURCHHALTEN?"
Wie durchhalten angesichts all dem, was an Mißbrauch mit unseren Religionen, Religionsgemeinschaften passiert?
Was hindert einen daran zynisch abzuwinken, wenn es um ein neues Engagement zu Gunsten der Kinder ABRAHAMS geht?
Was hindert einen daran zornig zu werden, obwohl man sieht, wie die Dialogbereitschaft oft mißbraucht wird?
Was läßt einen nicht resignieren, wenn man sieht, wie im Namen der Religion Menschrechte verletzt, Frauen diskriminiert, Indoktrination betrieben, Kriege legitimiert und Terror durchgeführt wird?

Wichtig sind als erste Antwort - konkrete Hoffnungszeichen aus der Praxis. Drei solche Zeichen will ich kurz nennen.

Im Herbst 1998 erhielt ich einen Besuch aus der vom Bürgerkrieg entsetzlich betroffen bosnischen Stadt  SARAJEVO. Ein protestantischer Pfarrer aus Deutschland Stadt hat dort eine Friedensinitiative ausgerechnet unter dem Namen "ABRAHAM" ins Leben gerufen. Ich konnte kaum glauben was er mir erzählte.Trotz allem war es ihm gelungen, insbesondere Jugendliche jüdischer, christlicher und muslimischer Herkunft zu gewinnen und über die Gräben des Hasses, Gewalt und der Zerstörung Brücken der Verständigung zu bauen. Der Name, der dem interreligiösen Anliegen Profil gab war kein anderer als ABRAHAM. Als Gegenzeichen gegen den Hass, gegen die Abgrenzung, Ausgrenzung und Ablehnung. Ich bin mittlerweile zweimal in SARAJEWO gewesen, vor wenigen Wochen das zweite mal, vor eineinhalb Jahren das erste mal, die Gräben zwischen den Religionen sind unbeschreiblich tief, alles ist darauf angelegt  die Ansprüche, sozusagen die territorialen, ethnischen Ansprüche zu behaupten, nicht Zusammenarbeit, sondern Abgrenzung, Ausgrenzung, Stabilisierung ist das Wort der Stunde der jüdischen Gemeinde, eine wunderbare, ergreifende Geschichte der jüdischen Gemeinde seit 500 Jahren in SARAJEWO. Ich habe den Vorsitzenden dieser Gemeinde kennengelernt, Synagogen, 4 Synagogen gab es in SARAJEWO. Die Gemeinde ist fast nicht existent obwohl sie im Bürgerkrieg eine wunderbare Rolle gespielt hat als Fürsorgerin für die gesamte Stadt. Medikamente, Nahrungsmittel - das kam von der jüdischen Gemeinde in SARAJEWO. Aber dort arbeitet eine Gruppe von jungen Menschen unter  geistiger Leitung, rethorischer Hilfe des dortigen Pfarrers, um Brücken zu bauen, die grade in einer solchen Stadt sehr schwierig sind.
Aber ABRAHAM, auch das haben mich meine Freund in BOSNIEN-HERZEGOWINA gelehrt, ABRAHAM ist eine Geschichte der Hoffnung - gegen alle Hoffnung. ABRAHAM ist keine menschliche Erfolgsgeschichte. Es ist eine göttliche Hoffnungsgeschichte, oft gegen unsere Resignation.

Ein zweites, mich ermutigendes Zeichen kam im August diesen Jahres aus HANNOVER. Ein Gymnasiallehrer nimmt mit mir Kontakt auf, um mich über ein interkulturelles und interreligiöses Theaterprojekt "NATHAN der WEISE" zu informieren. Ein Projekt mit deutschen Jugendlichen aus HANNOVER und jüdischen und arabischen Jugendlichen aus ISRAEL. Auch hier konnte ich meinen Ohren kaum trauen. Sollte es wirklich möglich gewesen sein, trotz aller politischen und religiöser Hindernisse, ein solches Projekt zu verwirklichen? Juden, Christen und Muslime über die Abgründe der Geschichte und Gegenwart hinweg zusammen zu bringen?
Es war möglich! Denn in dieser Woche haben 4 Aufführungen von "NATHAN der WEISE" mit dieser deutsch-israelischen Schülergruppe stattgefunden. Die jüdischen Figuren haben Jüdisch gesprochen, die muslimischen Figuren Arabisch und die deutschen, vor allem der Tempelherr haben Deutsch gesprochen. 4 Aufführungen in HANNOVER in dieser Woche.

Und das dritte Zeichen haben wir, was ich jetzt persönlich erlebt habe, das hab ich schon erwähnt - ist dieses ABRAHAMSFEST.

Die Antwort kann nur lauten, meine Damen und Herren - und das ist eine zweite, ein spirituelle - ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir nur dann durchhalten werden, wenn wir so etwas wie eine abrahamische Spiritualität entwickeln. Denn abrahamische Spiritualität heißt sich aufmachen ohne alle Sicherheiten, weil man sich von Gott auf einen Weg geschickt sieht - heißt unter Umständen loslassen dessen, was vertraut ist, Preisgabe dessen was zu festen Besitzständen zu gehören scheint. Heißt alles Irdische in Synagoge, Kirche und Ummah relativieren zu Gunsten des je größeren Gottes, was ja umgekehrt heißt, wenn es einen Verrat an ABRAHAM gibt, dann ist es die Seelenverhärtung, die Erstarrung in überkommenen Traditionen, die Resignation angesichts schier übermächtiger Probleme. Abrahamische Spiritualität nach meiner Überzeugung ist nach meiner Überzeugung das stärkste Gegengift gegen lähmenden Fatalismus - Sie können auch sagen, die Abrahamsgeschichten in Bibel und Qur'an sind die beste Zynismusprophylaxe.

Besonders ermutigt fühle ich mich durch das Zeugnis eines so weltweit angesehenen Staatsmannes wie Helmut SCHIDT. Auch sein Zeugnis kannt ich bereits, aber in seinen Erinnerungen "MENSCHEN und MÄCHTE" kann man ziemlich genau nachlesen, welche Bedeutung für ihn eine Begegnung mit einem Muslim hatte. Dem ägyptischen Staatspräsidenten ANWAR el SADDAT. Und immer wenn ich die Passage überdenke, die Helmut SCHMIDT diesem Ägypter gewidmet hat, wird mir bewußt, was interreligiöse Kommunikation im Tiefsten und Besten sein kann. Nämlich aufschließen des Herzen des Anderen und ihn freimachen für das Beste und Tiefste, was die eigene Tradition zu sagen hat.
Ich sag es nochmal. Was ist für mich interreligiöse Kommunikation im Besten und Tiefsten. "In der Begegnung den Anderen freimachen - vom Herzen her freimachen - das Beste und Tiefste zu sagen, was die eigene Tradition zu sagen hat". Darüber bin ich interessiert. Ich bin in einer interreligiösen Diskussion nicht interessiert, mich bestätigt zu finden, als Christ. Das ist schon intellektuell langweilig. Sondern ich möchte wissen: "Was hat der andere, die andere zu sagen was ich vielleicht nicht weiß, was mich weiterbringt, in eine Tiefe führt, vielleicht in eine Krise bringt". Das möchte ich wissen. Aber das, um das aus den Menschen sozusagen herauszulocken, dazu brauchts - na ja sokratische Hebammenkunst und das ist ein langer Prozess. Dafür muß man lange mit jemandem gesprochen haben, Vertrauen gebildet haben, dass er oder sie fähig ist das Beste und Tiefste zu artikulieren, was die eigene Tradition zu sagen hat. Und meine glücklichsten Stunden waren solche Momente wo ich das Gefühl hatte: "hier bekomme ich von einem jüdischen Gesprächspartner, jüdischen Gesprächspartnerin, einem muslimischen Gesprächspartner oder -partnerin das Beste und Tiefste was sie in ihrer eigenen Tradition gefunden hat.

Helmut SCHMIDT schreibt, und damit möchte ich dann schließen:
"Einmal führten wir in ÄGYPTEN mehrere Tage ein Gespräch über religöse Fragen. Wir fuhren mit dem Schiff nilaufwärts, schließlich bis nach ASSUAN. Die Nächte waren völlig sternenklar. Wir saßen stundenlang an Deck, hatten Unendlichkeit und Ewigkeit über uns und sprachen über GOTT. SADDAT hoffte auf eine große friedliche Begegnung zwischen Judentum, Christentum und Islam. Sie sollte symbolisch auf dem Berge SINAI stattfinden, dem MOSESBERG wie er im arabischen genannt wir. Dort sollten nebeneinander eine Synagoge, eine Kirche und eine Moschee gebaut werden um die Eintracht zu bezeugen.
Tatsächlich hat SADDAT 1979 zwei Jahre nach seiner Jerusalemreise dort einen Grundstein für die Gotteshäuser gelegt. Sein Friedenswille entsprang dem Verständnis und Respekt gegenüber den Religionen der Anderen. Von ihm habe ich gelernt LESSINGS Parabel von den drei Ringen voll zu begreifen. SADDAT hat LESSING wohl kaum gekannt, aber hat LESSINGS Mahnung auch nicht bedurft. Der Mord 6. Oktober 1981 setzte allen Vorhaben und Visionen dieses ganz und gar ungewöhnlichen Mannes ein Ende. Er war von einer, für Regierungschefs ungewöhnlichen Offenheit gewesen und niemals vorheroder nachher habe ich mit einem ausländischen Staatsmann derart ausführlich über Religion gesprochen. Ich habe ihn geliebt. Wir waren bis auf zwei Tage gleichaltrig. Unsere nächtlichen Unterhaltungen auf dem Nil gehören zu den glücklichsten Erinnerungen meines ganzen politischen Lebens.

Nun, meine Damen und Herren, eskommt sicherlich nicht alle Tage vor, dass ein Hamburger überhaupt eine Liebesbekenntnis öffentlich ablegt - und es kommt auch nicht alle tage vor, dass ein Sataatsmann öffentlich bekennt, erhabe einen anderen geliebt - ein Deutscher einen Ägypter und ein Christ einen Muslim.
Was ich Ihnen wünsche, dass Sie solche nächtlichen Erfahrungen machen - auf dem Nil oder auf dem Neckar - oder auf welchem Fluß auch immer.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Red. Bearbeitung: M.HANEL