Abrahamsfest in Filderstadt
Samstag, 28. und
29. Oktober 2000
Weiterer
Vortrag ein Jahr später:
Abraham: Aufbrechen – Neues wagen
Zur Spiritualität interreligiöser Praxis
Prof.
Dr. Karl-Josef Kuschel,
kath. Fakultät der
Universität Tübingen, Stiftung Weltethos
Meine Damen und Herren,
lassen Sie mich zunächst eine persönliche Vorbemerkung machen. Es waren jetzt
für mich schon zwei sehr bewegende Tage. Ich bin ja nun seit gestern von
Anfang an dabei gewesen und habe die meisten Veranstaltungen erleben dürfen -
als jemand der vor sechs Jahren - gewissermaßen das theologische Grundlagenbuch
geschrieben hat "Streit um ABRAHAM" - eine Theologie der
abrahamischen Ökumene, so habe ich es genannt, also eines besonderen
Miteinander von Juden, Christen und Muslimen - für den ist es etwas bewegendes
zu sehen, wie diese theologische Grundlagenarbeit in der Praxis Früchte trägt.
Durchaus im Sinne - sozusagen des Symbols das Sie da sehen, ein schönes Symbol
der Gesellschaft für christlich-muslimische Zusammenarbeit - ein Symbol das ja
bedeutet: "wir stehen noch ganz am Anfang" die Pflanze ist noch
klein, sie ist sozusagen grade aus dem Boden gekommen und sie Bedarf unseres
Schutzes und unserer Pflege. Ich würde mir nur wünschen, als Wunsch
gewissermaßen für die Hoffnung, dass auch die dritte Hand dazukommt - nämlich
die jüdische Hand. So wie ich mir's auch wünsche, dass diejenigen, die sich in
der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit engagieren, sich immer
wieder öffnen - das dialogische Öffnen zum trialogischen Öffnen.
Es war für mich etwas
Bewegendes, als damals vor einem guten halben Jahr Michael BLUME zu mir kam, in
mein Zimmer an der Universität Tübingen, und mir erzählte, hier im Raum
Stuttgart solle ein ABRAHAMSFEST stattfinden. In mir kam soetwas wie
"abrahamisches Gelächter" hoch. Ich dachte - ich hör nicht richtig -
das soll es geben - plötzlich? Hier unmittelbar vor meiner Haustür?
Juden, Christen und Muslime wollen sich dafür engagieren, dass sie miteinander
reden, einander kennenlernen, dass sie Projekte verabreden, dass sie über ihre
Probleme reden, Schwierigkeiten austauschen, aber auch die Chancen ausloten?
Ich hab das kaum für
möglich gehalten und die Tatsache, dass nun diese beiden Tage stattfinden,
stattgefunden haben, betrachte ich als sowie ein kleines abrahamisches Wunder,
als ein Geschenk - und das zeigt schon, wie wichtig es ist, meine Damen und
Herren, dass wir uns an einer Gestalt wie ABRAHAM orientieren, denn was mir von
vornherein eingeleuchtet, was ich von vornherein auch unterstützt habe, war die
Tatsache: hier wollen wir nicht ein weiteres "multi-kulti" Fest an
die vielen dranhängen, die es ohnehin gibt - wobei ich nichts gegen gut
organisierte multi-kulturelle Feste habe, aber wir wollen hier einen anderen
Akzent setzen - und er ist hier gesetzt worden. Akzent heißt: wir wollen zuerst
einmal unsere Religionen in den Vordergrund stellen. Deshalb ist die
Orientierung an ABRAHAM so wichtig, weil er der Vater unseres Glaubens ist -
und wir wollen aus unseren Glaubensquellen heraus ausloten, was uns möglich ist
für die Zukunft und wie unsere Gemeinsamkeit neu gestaltet werden kann. Das hat
mir von vornherein eingeleuchtet und imponiert - und ich möchte all jenen
danken, von meiner Seite, die sich für das Gelingen dieses Festes, für das
Zustandekommen dieses Festes eingesetzt haben.
Es ist ein wichtiges
Ereignis denke ich und wir dürfen die Signalwirkung, welche solch ein Ereignis
für uns selber und für die Region hat überhaupt nicht kleinreden!
Überhaupt nicht bagatellisieren und mit irgendwelchen Zahlenspielchen meinen, dass
das was hier aufgebrochen ist gewissermaßen relativieren. Ich sehe dies hier
als ein ganz wichtiges Zeichen an, dass dies überhaupt möglich geworden ist.
Meine Aufgabe kann es nun nicht sein, hier etwa das, was in den vergangenen
zwei Tagen gelaufen ist zusammenzufassen aber meine Aufgabe kann es vielleicht
sein, das was hier in FILDERSTADT, das was hier in der Region passiert ist, in
einen größeren Kontext zu stellen. Deshalb haben mich die Veranstalter gebeten,
hier das Schlußwort zu reden - sozusagen die größeren Perspektiven aufzuzeigen
und gleichzeitig vielleicht Perspektiven für eine nahe Zukunft zu entwickeln.
Ich möchte Sie daher
zunächst daran erinnern, dass was hier entstanden ist, nämlich der Beginn, der
zaghafte, oft noch hilflose, oft noch zögernde, sprachlose Versuch über
Glaubensfragen zu reden - steht ja in einem globalen Kontext. Nicht nur die
Wirtschaft macht ja Prozesse der Globalisierung durch, auch der interkulturelle
und interreligiöse Austausch. Globales ökumenisches Bewußtsein ist ja etwas,
was wir gelernt haben, sowohl im innerchristlichen, wenn ich an die ganzen
Prozesse der konziliaren Bewegung denke - für Frieden, Bewahrung der
Schöpfung - das waren ja globale Prozesse. D.h. man hat sich betrachtet als im
Zusammenhang der Menschheit befindlich, und gleichzeitig wissen wir, dass der
interreligiöse Dialog interkontinental, international fungiert und gleichzeitig
Widerstände natürlich von allen Seiten zu registrieren sind.
Wenn ich nur ganz wenige Daten in Erinnerung rufen darf, aus diesem Jahr nur,
dem Jahr 2000, dann sehen Sie sofort, in welchem globalen Kontext sich das
abspielt, was wir hier betreiben, in FILDERSTADT.
Im März dieses Jahres war
JOHANNES PAUL II, das Oberhaupt der katholischen Kirche in PALÄSTINA, in ISRAEL
- hat dort bewegende Ansprachen gehalten, welche der ganzen Welt durch TV
übertragen wurden - hat sich, so wörtlich dafür ausgesprochen, dass die
katholische Kirche aufrichtig die Fortsetzung des interreligiösen Dialogs mit
Juden und Muslimen anstrebt. Ganz eindeutige Aussagen des Papstes, dass der
interreligiöse Dialog in der Tat irreversibel ist.
Aber der gleiche Papst hat ein Dokument approbiert, das im September diesen
Jahres veröffentlicht wurde, wo es heißt, dass das "Ziel des
interreligiösen Dialogs die Bekehrung von Nichtchristen sei" und dass
man nur durch Übertritt und Bekehrung zur katholischen Kirche "Heilsmöglichkeiten"
habe und dass die Nichtchristen objektiv, d.h. vor Gott in einer schwer
defizitären Situation leben. Das war für alle, die geglaubt haben, das was der
Papst in JERUSALEM gesagt hatte, sei wörtlich zu nehmen. Ein "aufrichtiger
interreligiöser Dialog" - das war für alle ein Kälteschock, denn
dieses Dokument unterschlägt sehr vieles, läßt beiseite was in den Dokumenten
des 2. Vatikanums, an positiven Aussagen, konstruktiven Aussagen über das
Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen gesagt ist.
Meine eigene Kirche, die
katholische - und das will ich damit signalisieren, hat ein Problem und es
dient nur der Ehrlichkeit im interreligiösen Dialog, dieses Problem ehrlich zu
benennen - wir stehen noch mitten in einer Auseinandersetzung darüber, welcher
Konzeption wir aus katholischem Glaubensverständnis folgen sollen. Also einer
Konzeption des interreligiösen Dialogs oder einer Konzeption der
Missionstheologie, die auf Bekehrung des Nichtgläubigen, des Nichtchristen
abzielt. Und ich sage dies deshalb so eindeutig selbstkritisch, meine Damen und
Herren, weil ich denke es dient nur der Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit, auch im
interreligiösen Dialog, Problemanzeige vorzunehmen und sage, wir haben die
Dinge selber noch nicht gelöst, wir haben da noch vertiefte Studien vor uns,
vor allem auch eine Auseinandersetzung, eine theologische Auseinandersetzung -
und ich bin davon überzeugt, dass es in anderen religionen ähnlich ist.
Strukturell sind die Probleme analog. Im Judentum, auch im Islam auch da dürfen
wir glaube ich uns keine Illusionen machen - niemand von Ihnen macht sich da
Illusionen - dass auch da, die Frage: "Wie gehe ich mit dem jeweils
anderen um" also eine "Theologie des ANDEREN" alles
andere als konsensfähig ist zwischen den verschiedenen Gruppen - alles andere
als ausdiskutiert - und ich denke es dient der interreligiösen Glaubwürdigkeit
und Wahrhaftigkeit, wenn wir uns gegenseitig informieren darüber, dass unsere
Traditionen mit einer konstruktiven "Theologie des Anderen" Probleme
haben und dass wir weit davon entfernt sind, schon überzeugende Gesamtlösungen
zu haben, die in den jeweiligen Glaubensgemeinschaften konsensfähig sind.
Ein zweites Beispiel möchte
ich, ein für mich sehr bewegendes Datum möchte ich ansprechen - die Rede des
Papstes in JERUSALEM war für mich ein bewegendes Datum - es war der 19. Juli
2000 - da fand der Besuch von Präsident Sayyed Muhammad CHATAMI in Weimar
statt.
Wer hätte vor zwei, drei Jahren es noch für möglich gehalten, dass der
Nachfolger von KHOMEINI die GOETHESTADT besuchen würde. Und seine Vorstellung
des ISLAM zurückbindet, ganz bewußt, an die Wurzeln die in der deutschen
Klassik gelegt wurden, nämlich bei LESSING, bei HERDER und bei GOETHE.
Wer hätte es für möglich
gehalten, dass der Staatspräsident des IRAN bewußt ein Zeichen setzen würde für
den interkulturellen, den interreligiösen Dialog, indem er dort, wo dieser
Dialog vor 200 Jahren stattgefunden hat anknüpft - denkt man an den
West-Östlichen Diwan, 1819 entstanden, in dem GOETHE einen einzigartigen Dialog
mit den beiden größten persischen Dichtern des 13. Jahrhunderts geführt hat,
mit SAADI und mit HAFIS.
Und wer hätte es für möglich gehalten, dass wir einmal aus dem Munde eines
iranischen Staatspräsidenten die Verse aus dem West-Östlichen Diwan zitiert
bekämen, die wir geflissentlich aus unserem kulturellen deutschen Bewußtsein zu
verdrängen pflegen. GOETHE schreibt nämlich im West-Östlichen Diwan über die
Auseinandersetzung der Religionen untereinander, dem Streit der Religionen
untereinander:
"Närrisch,
dass jeder in seinem Falle seine besondere Meinung preist
wenn ISLAM "gottergeben" heißt
im ISLAM leben und sterben wir ALLE"
Wir haben das
geflissentlich verdrängt. Normalerweise gehen Staatspräsidenten die unser Land
besuchen nicht nach WEIMAR, sondern SINDELFINGEN - aus wohlerwogenen Gründen -
oder sie gehen nach HAMBURG um die Airbusindustrie zu besichtigen. D.h. sie
schmeicheln uns mit dem, was wir den "Mercedespatriotismus" zu nennen
gewohnt sind. Das sind andere Signale.
Ich möchte ein drittes
Datum nennen, diesen Jahres. Den 24. Juli, nur 5 Tage später, nach dem Besuch
von Präsident CHATAMI in WEIMAR und ich bin (nur in Klammer bemerkt, dass Sie
mich nicht mißverstehen, der Allerletzte der nicht die immensen Schwierigkeiten
sähe, die gegenwärtig auch nach wie vor in TEHERAN herrschen - und ob Präsident
CHATAMI sich durchsetzen wird bleibt abzuwarten, aber auf das, was er dort
gesagt hat, möchte ich ihn schon gern behaften und auch all diejenigen im IRAN
ermutigen, die sich für eine Erneuerung in eben diesem Geiste einsetzen, ohne
zu wissen, ob dieser Prozess sich durchhalten läßt.)
Der 24. Juli ist nämlich,
wenn Sie so wollen, das Gegendatum - an diesem Datum scheiterte Camp DAVID II,
mit den Folgen, die wir bis in diese Tage hinein spüren. Der Nahe-Osten ist mal
wieder ein Brandherd, Katastrophenmeldungen, Meldungen von Erschießungen,von
Aufständen, der Fortsetzung der Intifada, einer Koalition in ISRAEL, die jetzt
wohl droht zwischen BARAK und SCHARON - vieles was wir alle nicht für möglich
gehalten haben, die wir noch an Camp DAVID I geglaubt haben, als Präsident
SADAT und Premierminister BEGIN unter der Schirmherrschaft von Präsident CARTER
ihr historisches Abkommen unterzeichneten. Dieses Camp DAVID II ist gescheitert
und wie man hört an der Frage JERUSALEM gescheitert, was ja nur signalisiert -
und das sage ich ganz selbstkritisch an die Adresse der Religionen, ich werde
mich hüten da irgendwelche politischen Ratschläge zu geben, ich sage das, was
ich als glaubender Mensch zu verantworten habe in dieser Frage - wir haben 50
Jahre Staat ISRAEL leider Gottes nicht nutzen können, aus welchen Gründen auch
immer, Juden Christen und Muslime, um eine Löseung des Status JERUSALEM
geistig, theologisch vorzubereiten, die nun politisch ratifiziert werden
könnte. Im Gegenteil, auch nach dem was ich von all meinen Freunden aus ISRAEL
höre, hat jahrzehntelang Sprachlosigkeit geherrscht, Abwehrreaktion von beiden
Seiten, Besitzstandsdenken, der Rhetorien festmachen, Oberhoheiten definieren,
militärisch sich festsetzen - und man war nicht bereit im Geiste der
Verständigung Lösungen vorzubereiten, die nun von den Politikern hätten
ratifiziert werden sollen. Ich meinen nun, hier haben die Religionen eine
"Bringschuld". Dass die Politiker gescheitert sind, scheitern mußten,
ist auch eine Verantwortung derjenigen, die im religiösen Bereich Verantwortung
tragen und deshalb ist es eine Aufgabe, der wir uns erneut zuwenden müssen.
Denn die Erwartungen - und dies ist ein viertes Datum welches ich nennen möchte
- die Erwartungen einer Weltgesellschaft an eine konstruktive Rolle der
Religionen, sowohl in Sachen Weltgerechtigkeit und Weltfrieden ist noch nie so
hoch gewesen.
Wenn ich daran denke, dass
am 2. September dieses Jahres zum allerersten mal auf Einladung der UNO durch
Kofi ANAN persönlich, es einen "PEACE-SUMMIT of RELIGIOUS LEADERS"
gegeben hat, wo rund tausend Vertreter aller großen Religionen in NEW YORK
versammelt waren, ein Manifest verabschiedet haben und sich verpflichtet haben
auf: Zusammenarbeit, Verständigung, Gewaltabbau, Zurückdrängung von Fanatismus
- dann zeigt das ja nur, was die Weltgemeinschaft von den Weltreligionen
erwartet!
Es is ja noch nie vorgekommen, dass man sozusagen von der Spitze her, von einer
Weltspitze her, einer politischen Spitze, wie es die UNO nun einmal darstellt,
die Religionen auffordert nach NEW YORK zu kommen und zu erklären, was sie denn
gedenken für den Weltfrieden und die Weltgerechtigkeit zu tun!
Es war offenbar höchste
Zeit. Das einzige was ich selbst zutiefst bedauert habe, dass die Religionen
selber nicht in der Lage waren, das zu tun. Dass es den Generalsekretär der
Vereinten Nationen braucht, dass die Religionsführer der Welt begreifen, dass
sie eine Verantwortung haben für die Weltgemeinschaft. Und dass es wesentlich
von ihnen abhängt, dass es in dieser Welt friedlicher und gerechter zugeht. Die
Erwartungen sind hoch und deshalb sind alle diese Dinge - meine Damen und
Herren - die ich genannt habe auch Wiederspiegelungen der Situation vorort. Das
was wir hier tun steht in einem weltweiten Zusammenhang. Und das was hier nicht
eingeübt wird, hier vorort, im Mikrokosmos unserer Arbeitswelt, unserer
Lebenswelt, funktioniert auf Weltgesellschaftsebene genauso wenig.
Also machen wir uns keine
Illusionen und denken oder glauben wir nicht dass das was hier geschieht im
Mikrokosmos unserer Region, sei gewissermaßen irrelevant in Hinblick auf die
Weltprobleme. Im Gegenteil. Es gibt sozusagen den "Fluch der
Dialektik" zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos, und was nicht im
Mikrokosmos eingeübt wird und gelingt, gelingt im Makrokosmos nicht. Aber es
kann natürlich, was auf Makroebene geschieht Wirkungen haben, Auswirkungen
haben auf das was im Mikrokosmos geschieht und umgekehrt. Positiv und Negativ.
Deshalb meine ich gerade
weil - ich habe Ihnen nun von der ambivalenten Situation kurz Rechenschaft
gegeben was die Weltsituation angeht - mit Blick auf das was hier geschieht,
deshalb brauchen wir, denke ich, ein geistige Konzeption, gerade auch um die
gesellschaftlichen und politischen Schwierigkeiten auch immer wieder in
der richtigen Perspektive sehen zu können. Wer sich nur in kurzfristigem
gesellschaftlichem, politischen Aktivismus macht oder Aktionismus, wird kurz
oder lang scheitern, weil die Probleme so immens sind, die Widerstände so
immens, dass man entweder wirklichkeitsblind wirkt und sie träumerisch
überspielt oder resignativ wird, weil man keine Ergebnisse sieht. Ich meine
damit diese Dimension, von der ich eingangs gesprochen habe, die Dimension des
Glaubens, die Dimension der Spiritualität, die Dimension des Herzens - und von
dem möchte ich sprechen hier zum Abschluß dieser zwei Tage und Ihnen
Rechenschaft geben an dem Weg oder über den Weg den ich selber gegangen bin, um
alle diejenigen zu bestärken und zu ermutigen, die sich bereits auf diesen Weg
gemacht haben.
Für mich war - oft werde ich gefragt "wie sind Sie denn dazu gekommen als
christlicher Theologe, sich dem Programm einer abrahamischen Ökumene zu
verpflichten?" - da ist meine erste Antwort: "das geschah durch
konkrete Begegnungen."
Im Jahr 1989 bekam ich
Gelegenheit in einer Gruppe von christlichen, muslimischen und jüdischen
Theologen und Theologinnen in den Vereinigten Staaten mitzuarbeiten. Zum ersten
mal traf ich nicht nur jüdische Kolleginnen und Kollegen. Mit dem Judentum
hatte ich mich schon in meinem Studium und dann auch in den 80er Jahren an der
Universität in TÜBINGEN relativ intensiv beschäftigt, habe an der Eaton? Universität
in JERUSALEM studiert, habe Dialogseminare durchgeführt mit Peter LEVINSON und
anderen aber die islamische Theologie war mir völlig unbekannt. Nie wurde ich
in meinem Theologiestudium - und ich weiß dass es allen meiner Generation so
geht, ob als Pfarrerrinnen, als Pfarrer, ob im priesterlichen Dienst oder auf
der Ebene des Religionsunterrichtes - nie wurde ich während meines
theologischen Studiums angeleitet oder ermutigt, etwa den QUR'AN zu studieren,
mich mit der großen Tradition der islamischen Philosophie so selbstverständlich
auseinanderzusetzen, sie einzubeziehen in den Horizont des Nachdenkens über
mein Christsein, wie ich dies etwa über die jüdischen Quellen gelernt habe. Ich
merkte ich habe ungeheure Defizite, der ISLAM war gewissermaßen "terra
incognita" und ich stellte umgekehrt fest, für sehr viele meiner
muslimischen Kolleginnen und Kollegen war das CHRISTENTUM "terra
incognita". Was wusste man schon aus der Geschichte des Christentums. Aus
den großen Traditionen. Wir hatten gegenseitig ungeheure Defizite.
Nur eines ließ mich
aufhorchen, geradezu elektrisiert fand ich heraus, es fiel immer wieder der
Name ABRAHAM. Gerade meine muslimischen Gesprächspartner legten allergrößten
Wert auf die Feststellung - ABRAHAM spielt gerade im Islam eine herausragende
Rolle als Urvater, als Urmodell des Glaubens. "MILLAT
IBRAHIM" (Volk, Partei, Gruppe des ABRAHAM) ist ja nun ein Ausdruck
des Qur'an, HANIFA, also derjenige, der sich gewissermaßen Gott unterwirft und
ABRAHAM ist sozusagen das Urmodell eines solchen HANIFA.
Als ich das begriff, dass
auch für die Muslime ABRAHAM von geradezu konstitutiver Bedeutung ist, begann
ich auch meine eigenen Quellen völlig neu zu lesen. Plötzlich stand mir eine
dramatisch Geschichte vor Augen. Der ABRAHAM den ich in der Genesis kannte, der
weit weg zu sein schien, der ABRAHAM, der im Neuen Testament eine Rolle spielt,
der- ja - eine typisch christliche Reflexionsfigur ist, im Römerbrief des
Apostel PAULUS oder im Galatherbrief oder JOHANNES Kap.8 wurde plötzlich in
eine Dramaturgie überführt, weil Muslime da sind, die sich ebenfalls auf diese
Wurzel berufen. Und dem konnte ich nachgehen. Es müsste doch möglich sein,
dachte ich, wenn alle drei, Juden, Christen und Muslime sich auf ABRAHAM
berufen, aus diesem gemeinsamen Wurzelwerk heraus, dieses Wurzelwerk
freizulegen und daraus eine Bedeutung für heute abzuleiten. Und ich dachte,
natürlich bin ich ja nicht der erste der auf dies Idee gekommen ist. Da gibt es
ja zahlreiche Studien, eine Unzahl von Literatur, wenn schon nicht in deutscher
Sprache, so doch in Französisch oder Englisch. Meine Entdeckung war - nein -
niemand hatte sich die Mühe gemacht, das für heute herauszuarbeiten, was man
mit Fug und Recht dieses ABRAHAMISCHE "Wurzelwerk" nennen kann, was
uns drei ja verbindet.
So machte ich mich selber
an die Arbeit.
Ich entdeckte, dass es
einer der großen französischen Denker war, in der ersten Hälfte des 20.
Jahrhunderts, mit Namen Louis MASSIGNON, der wohl als erster diese große Idee
durchdacht hat. L. MASSIGNON der von 1883 bis 1962 lebte war ein tiefgläubiger
Katholik, er ist vermutlich der bedeutendste westliche Orientalist des 20.
Jahrhunderts mit bahnbrechenden Arbeiten zur islamischen Mystik - und er hat
als einer der ersten Christen im vergangenen Jahrhundert seiner Kirche die
Augen dafür geöffnet, dass der Islam für Christen, nicht wie bisher angenommen,
eine Häresie, ein götzendienerischen Heidentum oder gar eine Macht des
Antichristen ist, sondern ein Gottesglaube in Kontinuität zur biblischen
Tradition, und sich selbst von der Wurzel ABRAHAMS her ableitet.
MASSIGNONs kleine Schrift
"Die drei Gebete ABRAHAMS" im Jahre 1949, die Gebete für
SODOM, für ISMAEL und für ISAAK kann man mit Fug und Recht als Gründungsurkunde
der christlichen Thologie der "ABRAHAMISCHEN ÖKUMENE" bezeichnen -
mit epochalen kirchengeschichtlichen Wirkungen. "Der Heilswille umfasst
aber auch die, welche den Schöpfer anerkennen, besonders die Muslime, die sich
zum Glauben ABRAHAMS bekennen und mit uns den EINEN GOTT anbeten, den
BARMHERZIGEN, der die Menschen am Jüngsten Tag richten wird" dieser
gestern schon zitierte, in diesem wunderbaren kleinen Theaterstück, das wir
gestern abend gehört haben, dieser historisch beispiellose Satz des zweiten
Vatikanischen Konzils wäre ohne das Werk MASSIGNONS nicht möglich gewesen.
Aber all diese Hinweise waren Einzelsignale. Ich wollte eine Gesamtvision
entwerfen, eine sozusagen theologische Grundlegung dessen was ich ABRAHAMISCHE
ÖKUMENE nenne - von Juden, Christen und Muslimen.
Während ich damals an
meinem Abrahambuch schrieb 1993/94 drang im Februar eine Schar fanatischer
jüdischer Siedler in die IBRAHIM Moschee in HEBRON ein, der legendären
Grabstätte von ABRAHAM und SARAH. 29 dort betende Muslime wurden ermordet,
blieben in Blutlachen am Boden liegen. All das geschah, um den so hoffnungsvoll
begonnen Friedensprozess zwischen Israelis und Palästinensern zu torpedieren.
Mord am Grabe ABRAHAMS durch die Kinder ABRAHAMS. Dieser Mord setzte eine neue
Gewaltspirale in Gang, floss denn auch kurze Zeit später unschuldiges jüdisches
Blut durch neue entsetzliche Terrorangriffe von Palästinensern.
Mir wurde klar, an welchem Stoff ich arbeitete. Von ABRAHAM erzählen hieß
gleichzeitig die Trauergeschichte zwischen Juden, Christen und Muslimen
aufarbeiten - eine Geschichte von Blut, Tränen und Gewalt - hieß aber auch eine
Hoffnungsgeschichte festhalten, eine Geschichte vertrauenden Glaubens, der
unerschütterbaren Hoffnung trotz allem.
Von ABRAHAM erzählen hieß vor allem Vergleiche anstellen zwischen einst und
jetzt, und sich erschrocken erinnern, wie weit die Kinder ABRAHAMS das Erbe
ihrer Stammeltern - ABRAHAM, HAGAR und SARAH verspielt haben.
Im Prozess des Schreibens
wurde mir aber noch ein Zweites klar.
Wir erleben in Deutschland gegenwärtig religionspolitisch,
religionsgeographisch in einer geschichtlich beispiellosen Situation. Es ist
die Erfahrung eines dritten pluralisierenden Schubs, der in vielen Ländern
EUROPAS sich vollzieht. Ich meine damit nach dem ersten Pluralisierungsschub
der im 16. Jahrhundert die mittelalterliche kirchliche Einheit aufsprengte und den
man einen konfessionellen innerkirchlichen Pluralismus nennen kann, haben wir
seit dem 18. Jahrhundert einen zweiten Pluralisierungsschub überlebt - die
Sprengung der immerhin noch überlebenden christlichen Einheit, die Aufspaltung
der Gesellschaft in einen christlich-kirchlich gebundenen und ein
säkular-humanistisch ausgerichteten Teil. Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts
qaber zeichnet sich ein dritter Pluralisierungsschub in vielen Ländern
West-Europas ab. Man kann ihn den Pluralismus der Religionen nennen.
Mittlerweise leben wieder
rund 100.000 Juden in Deutschland, in 83 Gemeinden, aber auch 3.000.000
Muslime. Die Präsenz einer so starken religiösen Minderheit hat es in
Deutschland aber noch nie in seiner Geschichte gegeben. Selbst das Judentum, in
Deutschland bekanntlich die bisher größte religiöse und kulturelle Minderheit,
hatte bis in die 30er Jahre rund 600.000 Menschen umfasst. Noch nie also gab es
in Deutschland eine religiöse Minderheit in der jetzigen Größenordnung und noch
nie war diese Religion der Islam.
Das stellt unser Land, wie wir auch in diesen beiden Tagen gehört haben vor nie
dagewesene gesellschaftliche und religiöse Herausforderungen und stellt
diejenigen, die als Minderheiten bei uns leben, Juden und Muslime, ihrerseits
vor erhebliche Spannungen und Herausforderungen.
Der religiöse Pluralismus
ist eine Beunruhigung des bisherigen konfessionellen, wie
säkular-humanistischen Status quo. Er stellt sowohl Vertreter des etablierten
Christentums, wie des etablierten Säkularismus in Frage. Er löst
Abwehrreaktionen aus, mentale Abschottung auf beiden Seiten, Verweigerung des
Dialogs, Selbstgetthoisierung, Misstrauen und kulturelle Abwehr. Der dritte
Pluralisierungsschub ist alles andere als gesellschaftlich gesichert. Deshalb
brauchen wir eine neue interreligiöse Kommunikationspraxis in Deutschland und
weltweit. Konkret heißt das:
1. Religionsgemeinschaften haben je dort wo sie leben - Verantwortung dafür, dass Gewaltbereitschaft und Totalitätsansprüche in ihren jeweiligen Gemeinschaften abgebaut werden. Hier müssen die Prozesse wechselseitig sein, damit die Friedlichen und Dialogbereiten in den Religionen nicht die "Dummen" sind.
Verstärken kann man diese Prozesse durch vertrauensbildende Maßnahmen zwischen
den Religionen. Und wenn ich diesem Treffen hier - sagen wir - ein Stichwort
zur Kennzeichnung leihen möchte, dann ist das ein Treffen im Kontext dieser
vertrauensbildenden Maßnahmen. Und Vertrauen ist nach meiner Lebenserfahrung
der Schlüssel zur Kommunikation, zum Dialog. Ohne Vertauen gibt es das nicht.
Deshalb ist dies hier so wichtig.
Ein Testfall für die
Glaubwürdigkeit jeder Religion ist die Behandlung von Minderheiten im
jeweiligen Einflußbereich. Vertrauen untereinander wird in dem Maße wachsen,
wie man sich zu Anwälten von Andersgläubigen im jeweiligen Herrschaftsgebiet
macht.
2. Insbesondere brauchen wir in allen drei abrahamischen Religionen einen Wechsel der Mentalitäten. Überall gibt es noch ein Zuviel an selbstgerechtem Totalitätsanspruch, überall noch zuviel politisch-taktische Verstellung, um den Herrschaftsanspruch der eigenen Religion auf Kosten aller anderen durchzusetzen.
Erez Israel Fanatiker im Judentum gehören dazu genauso wie christliche
Missionsfundamentalisten und muslimische Extremisten, die von einer Weltmacht
Islam träumen, um mit einer dualistischen Ideologie von einem "Haus des
Islam" und einem "Haus des Krieges" die Menschheit noch weiter
spalten.
Das alles ist aber das
Gegenteil von abrahamischer Ökumene, wie sie uns allen vorschwebt. Dies ist der
Mißbrauch der Religionen, totalitäre Missionsansprüche,
Weltbekehrungsphantasien, größenwahnsinnige Selbstüberschätzung. Die größte
Blasphemie ist, so habe ich von einem meiner muslimischen Kollegen in den USA,
Prof. Mahmud AYYUB gehört, Idolatrie, also Götzenanbetung - und die
schlimmste Form von Götzenanbetung ist die Selbstvergötzung des eigenen
Staates, der eigenen Nation oder der eigenen Religion.
Im Namen des wahren Gottes sind solche blasphemischen Vergötzungsträume in
allen Religionen radikal zu entmythologisieren und als das zu entlarven was sie
sind - die religiöse Maskierung cruder menschlicher Herrschaftsgelüste.
In allen Religionen aber
haben sich Stimmen zu Wort gemeldet, die von vorne herein bereit sind aus der
eigenen Glaubensüberzeugung heraus die Existenz der anderen Geschwister
ABRAHAMS zu respektieren und als Bereicherung zu erfahren. Eine Ökumene der
Kinder ABRAHAMS die ihren Namen verdient, wird es nämlich nur dann geben, wenn
Juden, Christen, Muslime bereit sind Schluß damit zu machen, sich als
Ungläubige, Abgefallene oder Überholte oder Defizitäre abzuqualifizieren. Und
ob sie positiv bereit sind, sich als Brüder und Schwestern im Glauben an den
Gott ABRAHAMS gegenseitig anzunehmen. Besonders beeindruckt haben mich dabei
die Arbeiten eines angesehenen orthodoxen amerikanischen Rabbiners, den ich auf
den vielen Trialogtreffen schätzen gelernt habe - Irving GREENBURG -
gegenwärtig der Direktor des Holocaust Museums in WASHINGTON, nachdem er
jahrelang als orthodoxer Rabbiner in WASHINGTON tätig war - beeindruckt hat
mich sein Buch: "The Jewish Way - a theology of jewish festivals",
eine Theologie jüdischer Feste. Hier arbeitet Rabbi GREENBURG mit dem Begriff
des "open covenant", des "offenen Bundes" als Jude mit
Blick auf Christentum und Islam. Und nachdem auch in der jüdischen Theologie
wenig Bereitschaft vorherrscht, sich mit Christentum und Islam konstruktiv
theologisch auseinanderzusetzen, ist dies für mich eine wichtige jüdische
Stimme. Nach GREENBURGS Überzeugung werden Christenstum und Islam ihren
Anspruch zurückweisen müssen, das Judentum überwunden zu haben und auch die
Juden müssen mehr als früher anerkennen müssen, dass diese Religionen aus dem
ursprünglichen Bund herausgewachsen sind. Christen und Muslime können also,
auch nach heutigem, orthodox jüdischem Verständnis verstanden werden als
lebendige Zeugen eines lebendigen Bundes Gottes mit ABRAHAM.
Auch in der christlichen
Theologie ist die Grundlagenforschung mittlerweile intensiviert worden. In
meinem Abrahambuch ist die Exegese der ISMAELtexte der Genesis - und das war ja
auch gestern in dem Theaterstück wunderbar zu hören - von entscheidender
theologischer Bedeutung zu einem jüdischen und christlichen Verständnis des
Islam - das Nachdenken über den merkwürdigen Abrahamssohn, von seinem Vater mit
dem Bundeszeichen der Beschneidung ausgestattet, dann von seinen Eltern der
Vernichtung preisgegeben und von Gott errettet und mit Segen,
Fruchtbarkeitssegen ausgestattet - merkürdige rätselhafte Figur - schon die
Genesis wird mit diesem Abrahamssohn nicht fertig, theologisch - wo man ihn
einzuordnen habe - eine "Zwitterfigur" -
Mittlerweile denken auch protestantische Kollegen über dieses Geheimnis des
Abrahamssohns konstruktiv theologisch nach, so z.B. der im Wuppertal lebende protestantische
Theologe Berthold KLAPPERT. Er schreibt: "Wenn die häbräische Bibel in
dieser umfassenden Weise ISMAEL an den Segensverheissungen für ABRAHAM
beteiligt sein läßt, ihn in den Bund GOTTES mit ABRAHAM sogar als ersten und
erstbeschnittenen miteinbezieht - und wenn der GOTT ABRAHAMS mit dieser
Sympathie, d.h. in diesem das Schreien der HAGAR erhörenden Mitleiden, sich
ISMAEL und HAGAR offenbart, dann wäre zu fragen: "Warum bekennen wir uns
heute in unseren Gottesdiensten (christlichen Gottesdiensten) den richtigen
Hinweisen der feministischen Theologie folgend, zwar zum GOTT ABRAHAMS und
SARAHS, zum GOTT ISAAKS und REBBEKAS, nicht aber auch in gleicher Weise zum
GOTT ISMAELS und HAGARS?" Die Selbigkeit dieses GOTTES ABRAHAMS, des
GOTTES ISAAKS und ISMAELS kann von der häbräischen Bibel nicht offengelassen
werden. Der Abrahamssegen kann in dieser Mehrdimensionalität nur gemeinsam von
Juden, Christen und Muslimen ergriffen und nur gemeinsam an die Menschen
weitergegeben werden."
Ich zitiere dieses Beispiel
nicht weil ich meine dies sei alles schon konsensfähig unter uns christlichen
Theologen, sondern weil es endlich einmal auch ein protestantischer Theologe
ausspricht, dass wir neu unsere biblischen Text zu lesen zu haben, im Blick auf
die Existenz des Islam und auf die Existenz des lebendigen Judentums.
Das sind allererste Signale, wo die christliche Theologie zaghaft beginnt, sich
diesen neuen Dimensionen zu öffnen. Ich weiß aber auch, dass es ähnliche
Entwicklungen im Islam gibt. Auch diese Entwicklung beobachte ich mit größter
Aufmerksamkeit. Die innere Pluralität, das was an intellektuellen Gärungen auch
im Bereich des Islam, in Europa, den Vereinigten Staaten, muslimischen
Stammländern stattfindet. Für meine Arbeit, ich gebe Ihnen nur ein kleines
Beispiel, so wie für mich etwa ein Mann wie Schalom ben CHURIN ungeheuer
wichtig wurde, dem sehr viel verdanke, vor allem als ich in JERUSALEM lebte -
so wurde für mich die Lektüre des Buches von Muhammad Salim ABDULLAH wichtig,
sein Buch "Islam für das Gespräch mit Christen" von 1992, dem
Leiter des Islam-Zentralarchives in SOEST. M.S.ABDULLAH z.B. sieht Juden,
Christen und Muslime als Dialoggemeinschaft, als Tischgemeinschaft, ja als
Wettbewerbsgemeinschaft an. Von ihm habe ich zum ersten mal diesen Begriff
"Wettbewerbsgemeinschaft" gehört und auch begriffen und gelernt, dass
er sich dabei auf den Qur'an bezieht, auf Sure 5:48, und dass diese
Assoziation, und dass die Idee des Wettbewerbs zwischen den drei Religionen
qur'anischen Ursprungs ist, qur'anische Vorstellung, hat mich dann das Werk von
LESSING völlig neu interpretieren lassen, sodass dann daraus, aus dieser
Initialzündung eine Studie über LESSING und ISLAM entstanden ist. Ich möchte
Ihnen ein Wort von Muhammad Salim ABDULLAH aus einem Gespräch von 1998
zitieren, was mir sehr wichtig ist: "Wir haben einen gemeinsamen
Ursprung" sagt er, "der Prophet hat darauf verwiesen, dass
seine Lehre eine Religion im biblischen Umfeld sei. Wir sind die Söhne ISRAELS,
diesen ist verheißen, dass sie eines Tages an der Seite ihrer Brüder stehen
werden. Der Qur'an sagt in der 5. Sure, dass alle drei Wege, Judentum,
Christentum und Islam legitim seien. Die Vielfalt der Religionen ist gewollt,
damit die Kinder ABRAHAMS darin im Guten miteinander wetteifern können. D.h.
Gott wird mich danach beurteilen, wie ich mit Juden und Christen umgegangen bin
und im jeweils umgekehrten Sinn ist es genauso."
In diesem Geist, meine
Damen und Herren ist ABRAHAMISCHE Ökumene, also eine besondere Verbindung
zwischen Juden, Christen und Muslimen, ohne dass die Differenzen verleugnet
würden, keine schöne Illusion. Im Gegenteil, sie ist lebendige Wirklichkeit.
Sie vollzieht sich an vielen Orten und in vielen Ländern und ich nenne
beispielhaft Organisationen zu denen ich selber persönliche Verbindungen habe.
Ich will damit all jene ermutigen, die vor lauter Problemen immer nur
resigniert abwinken und vor allem diejenigen hier vor Ort unterstützen, die
begonnen haben selber etwas aufzubauen.
Es gibt nämlich bereits überall auf der Welt Menschen, Gruppen, Organisationen,
welche sich, allem Elnd zwischen den Religionen zum Trotz für eine
Verständigung und Zusammenarbeit zwischen den Geschwistern ABRAHAMS einsetzen.
Die ABRAHAMISCHE Ökumene ist keine virtuelle Realität im Gehirn eines
Theologen, sie hat Adressen, Telefon, FAX und e-mail.
1. Seit 1967 leistet die
"Fraternität d'ABRAHAM", die Bruderschaft ABRAHAM in FRANKREICH
interreligiöse Verständigungsarbeit im Geiste MASSIGNONS. .... bin ich dabei
besonders verbunden. Unter der Schirmherrschaft der drei großen Traditionenmin
FRANKREICH hat sich die Bruderschaft der Aufgabe verschrieben, die
spirituellen, moralischen und kulturellen Werte aus der abrahamischen Tradition
zu fördern und das Verständnis füreinander zu vertiefen.
2. 1977 wurde in LOS
ANGELES die "Academy for todays Christian and Moslems Studies"
gegründet, deren Arbeit ich im November 1997 kennenlernen konnte. 12 Mio.
Menschen umfaßt eine Metropole wie LOS ANGELES. Neben Mio. Christen leben auch
hunderttausende Juden und auch hunderttausende von Muslimen dort. Vom
Gründervater dieser Akademie Dr. George GROWES zietiere ich gerne dieses Wort:
"Judentum, Christentum und Islam haben miteinander zusammenhängende
Bestimmungen. Sie sind getrennt und unterschieden, aber zusammengebunden. Sie
werden zusammen handeln bis ans Ende der Tage". Diese Interaktion ist
immer dreifach. Wenn es ein Zusammenspiel zwischen zweien gibt, wart' einen
Moment, wart' einen Tag, warte tausend Jahre - der Dritte wird erscheinen.
Das heißt die Glaubensexistenz von Christen ist vom Kern her trialogisch
strukturiert. Christen können ihr Glaubenszeugnis nicht ohne das jüdische und
muslimische artikulieren und entfalten und umgekehrt weiß ich, dass viele Juden
und Muslime ihrerseits ihr Glaubenszeugnis nicht ohne die jeweils anderen
Geschwister reflektieren wollen. Das Glaubenszeugnis hat also für uns Kinder
ABRAHAMS trialogische Strukturen.
3. Das hat man auch in
SCHWEDEN erkannt und 1991 die "Children of ABRAHAM Foundation for
religious and cultural coexistance" gegründet werden konnte. Diese
Stiftung, deren Arbeit ich im März 1998 durch einen Besuch in STOCKHOLM konkret
studieren konnte, hat sich vor allem der Arbeit in öffentlichen Schulen
verschrieben. Der Arbeit also mit jüdischen und muslimischen Kindern in einer
säkularisierten und nur noch teilweise noch christlichen Umgebung. Dorothea
ROSENBLAAT, die jüdische Gründermutter, eine Frau die ich sehr bewundere, weil
sie seit jahrzehnten für diese Idee, für diese Vision, diese Realität einer
"Children of ABRAHAM foundation" steht.
4. Ebenso wichtig ist das
"Three faith forum" in GROSSBRITANNIEN, die einzige Organisation, die
interreligiöse Verständigungsarbeit konkret vor Ort in institutionalisierter
Form mit Juden, Christen und Muslimen durchführt.
Wir sollten auch, meine
Damen und Herren, und deshalb nenne ich diese konkreten Beispiele, auch
bei uns in DEUTSCHLAND anfangen, in Zusammenarbeit mit Politikern, mit all
denjenigen Repräsentanten die dafür in Frage kommen, anfangen darüber nachzudenken,
ob wir über Friedensgebete, Friedenswochen, Wochen der Brüderlichkeit hinaus,
die es ja bereits gibt und wo ja Juden, Christen und Muslime auch mit
Vertretern von anderen Religionen bereits vor Ort zusammenarbeiten - ob es
nicht an der Zeit wäre, angesichts der veränderten gesellschaftlichen Situation
von der wir eingangs sprachen, angesichts der Weltlage mit der wir konfrontiert
sind, die Zusammenarbeit zwischen Juden, Christen und Muslimen vor Ort, wo sie
verlangt wird, vor allem in den Ballungszentren institutionalisiern sollten
nach dem Vorbild von "interreligious city-councils" in vielen
amerikanischen und englischen Städten. Interreligiöse Foren, Netzwerke der
Zusammenarbeit.
Ich muß nicht eigens ausführen, das ist ja heute Nachmittag hier im Saal zur
Sprache gekommen, was das bedeuten würde, wenn wir ein institutionalisiertes
abrahamisches Forum hätten, in der sich Juden, Christen und Muslime ihre
Anteilnahme, Solidarität und Fürsorge gegenseitig versichern könnten. Darüber
wäre nachzudenken. Und ich möchte alle ermutigen, die sich hier für dieses
ABRAHAMSFEST eingesetzt haben zu überlegen, wie es weitergehen soll. Es wäre
ein Jammer, wenn diese 2 Tage verpuffen würden wie eine Sylvesterrakete am
nächtlichen Himmel. Es wäre jammerschade.
Ich möchte zum Schluß die
Frage beantworten, die mir auch immer wieder gestellt wird, die Sie sicher auch
beschäftigt: "WIE DURCHHALTEN?"
Wie durchhalten angesichts all dem, was an Mißbrauch mit unseren Religionen,
Religionsgemeinschaften passiert?
Was hindert einen daran zynisch abzuwinken, wenn es um ein neues Engagement zu
Gunsten der Kinder ABRAHAMS geht?
Was hindert einen daran zornig zu werden, obwohl man sieht, wie die
Dialogbereitschaft oft mißbraucht wird?
Was läßt einen nicht resignieren, wenn man sieht, wie im Namen der Religion
Menschrechte verletzt, Frauen diskriminiert, Indoktrination betrieben, Kriege
legitimiert und Terror durchgeführt wird?
Wichtig sind als erste
Antwort - konkrete Hoffnungszeichen aus der Praxis. Drei solche Zeichen will
ich kurz nennen.
Im Herbst 1998 erhielt ich
einen Besuch aus der vom Bürgerkrieg entsetzlich betroffen bosnischen
Stadt SARAJEVO. Ein protestantischer Pfarrer aus Deutschland Stadt hat
dort eine Friedensinitiative ausgerechnet unter dem Namen "ABRAHAM"
ins Leben gerufen. Ich konnte kaum glauben was er mir erzählte.Trotz allem war
es ihm gelungen, insbesondere Jugendliche jüdischer, christlicher und
muslimischer Herkunft zu gewinnen und über die Gräben des Hasses, Gewalt und
der Zerstörung Brücken der Verständigung zu bauen. Der Name, der dem
interreligiösen Anliegen Profil gab war kein anderer als ABRAHAM. Als
Gegenzeichen gegen den Hass, gegen die Abgrenzung, Ausgrenzung und Ablehnung.
Ich bin mittlerweile zweimal in SARAJEWO gewesen, vor wenigen Wochen das zweite
mal, vor eineinhalb Jahren das erste mal, die Gräben zwischen den Religionen
sind unbeschreiblich tief, alles ist darauf angelegt die Ansprüche,
sozusagen die territorialen, ethnischen Ansprüche zu behaupten, nicht
Zusammenarbeit, sondern Abgrenzung, Ausgrenzung, Stabilisierung ist das Wort
der Stunde der jüdischen Gemeinde, eine wunderbare, ergreifende Geschichte der
jüdischen Gemeinde seit 500 Jahren in SARAJEWO. Ich habe den Vorsitzenden
dieser Gemeinde kennengelernt, Synagogen, 4 Synagogen gab es in SARAJEWO. Die
Gemeinde ist fast nicht existent obwohl sie im Bürgerkrieg eine wunderbare
Rolle gespielt hat als Fürsorgerin für die gesamte Stadt. Medikamente,
Nahrungsmittel - das kam von der jüdischen Gemeinde in SARAJEWO. Aber dort
arbeitet eine Gruppe von jungen Menschen unter geistiger Leitung,
rethorischer Hilfe des dortigen Pfarrers, um Brücken zu bauen, die grade in
einer solchen Stadt sehr schwierig sind.
Aber ABRAHAM, auch das haben mich meine Freund in BOSNIEN-HERZEGOWINA gelehrt,
ABRAHAM ist eine Geschichte der Hoffnung - gegen alle Hoffnung. ABRAHAM ist
keine menschliche Erfolgsgeschichte. Es ist eine göttliche Hoffnungsgeschichte,
oft gegen unsere Resignation.
Ein zweites, mich
ermutigendes Zeichen kam im August diesen Jahres aus HANNOVER. Ein
Gymnasiallehrer nimmt mit mir Kontakt auf, um mich über ein interkulturelles
und interreligiöses Theaterprojekt "NATHAN der WEISE" zu informieren.
Ein Projekt mit deutschen Jugendlichen aus HANNOVER und jüdischen und
arabischen Jugendlichen aus ISRAEL. Auch hier konnte ich meinen Ohren kaum
trauen. Sollte es wirklich möglich gewesen sein, trotz aller politischen und
religiöser Hindernisse, ein solches Projekt zu verwirklichen? Juden, Christen
und Muslime über die Abgründe der Geschichte und Gegenwart hinweg zusammen zu
bringen?
Es war möglich! Denn in dieser Woche haben 4 Aufführungen von "NATHAN der
WEISE" mit dieser deutsch-israelischen Schülergruppe stattgefunden. Die
jüdischen Figuren haben Jüdisch gesprochen, die muslimischen Figuren Arabisch
und die deutschen, vor allem der Tempelherr haben Deutsch gesprochen. 4
Aufführungen in HANNOVER in dieser Woche.
Und das dritte Zeichen
haben wir, was ich jetzt persönlich erlebt habe, das hab ich schon erwähnt -
ist dieses ABRAHAMSFEST.
Die Antwort kann nur lauten,
meine Damen und Herren - und das ist eine zweite, ein spirituelle - ich bin
zutiefst davon überzeugt, dass wir nur dann durchhalten werden, wenn wir so
etwas wie eine abrahamische Spiritualität entwickeln. Denn abrahamische
Spiritualität heißt sich aufmachen ohne alle Sicherheiten, weil man sich von
Gott auf einen Weg geschickt sieht - heißt unter Umständen loslassen dessen,
was vertraut ist, Preisgabe dessen was zu festen Besitzständen zu gehören
scheint. Heißt alles Irdische in Synagoge, Kirche und Ummah relativieren zu
Gunsten des je größeren Gottes, was ja umgekehrt heißt, wenn es einen Verrat an
ABRAHAM gibt, dann ist es die Seelenverhärtung, die Erstarrung in überkommenen
Traditionen, die Resignation angesichts schier übermächtiger Probleme. Abrahamische
Spiritualität nach meiner Überzeugung ist nach meiner Überzeugung das stärkste
Gegengift gegen lähmenden Fatalismus - Sie können auch sagen, die
Abrahamsgeschichten in Bibel und Qur'an sind die beste Zynismusprophylaxe.
Besonders ermutigt fühle ich
mich durch das Zeugnis eines so weltweit angesehenen Staatsmannes wie Helmut
SCHIDT. Auch sein Zeugnis kannt ich bereits, aber in seinen Erinnerungen
"MENSCHEN und MÄCHTE" kann man ziemlich genau nachlesen, welche
Bedeutung für ihn eine Begegnung mit einem Muslim hatte. Dem ägyptischen
Staatspräsidenten ANWAR el SADDAT. Und immer wenn ich die Passage überdenke,
die Helmut SCHMIDT diesem Ägypter gewidmet hat, wird mir bewußt, was
interreligiöse Kommunikation im Tiefsten und Besten sein kann. Nämlich aufschließen
des Herzen des Anderen und ihn freimachen für das Beste und Tiefste, was die
eigene Tradition zu sagen hat.
Ich sag es nochmal. Was ist für mich interreligiöse Kommunikation im Besten und
Tiefsten. "In der Begegnung den Anderen freimachen - vom Herzen her
freimachen - das Beste und Tiefste zu sagen, was die eigene Tradition zu sagen
hat". Darüber bin ich interessiert. Ich bin in einer interreligiösen
Diskussion nicht interessiert, mich bestätigt zu finden, als Christ. Das ist
schon intellektuell langweilig. Sondern ich möchte wissen: "Was hat der
andere, die andere zu sagen was ich vielleicht nicht weiß, was mich
weiterbringt, in eine Tiefe führt, vielleicht in eine Krise bringt".
Das möchte ich wissen. Aber das, um das aus den Menschen sozusagen herauszulocken,
dazu brauchts - na ja sokratische Hebammenkunst und das ist ein langer Prozess.
Dafür muß man lange mit jemandem gesprochen haben, Vertrauen gebildet haben, dass
er oder sie fähig ist das Beste und Tiefste zu artikulieren, was die eigene
Tradition zu sagen hat. Und meine glücklichsten Stunden waren solche Momente wo
ich das Gefühl hatte: "hier bekomme ich von einem jüdischen
Gesprächspartner, jüdischen Gesprächspartnerin, einem muslimischen
Gesprächspartner oder -partnerin das Beste und Tiefste was sie in ihrer eigenen
Tradition gefunden hat.
Helmut SCHMIDT schreibt,
und damit möchte ich dann schließen:
"Einmal führten wir in ÄGYPTEN mehrere Tage ein Gespräch über religöse
Fragen. Wir fuhren mit dem Schiff nilaufwärts, schließlich bis nach ASSUAN. Die
Nächte waren völlig sternenklar. Wir saßen stundenlang an Deck, hatten
Unendlichkeit und Ewigkeit über uns und sprachen über GOTT. SADDAT hoffte auf
eine große friedliche Begegnung zwischen Judentum, Christentum und Islam. Sie sollte
symbolisch auf dem Berge SINAI stattfinden, dem MOSESBERG wie er im arabischen
genannt wir. Dort sollten nebeneinander eine Synagoge, eine Kirche und eine
Moschee gebaut werden um die Eintracht zu bezeugen.
Tatsächlich hat SADDAT 1979 zwei Jahre nach seiner Jerusalemreise dort einen
Grundstein für die Gotteshäuser gelegt. Sein Friedenswille entsprang dem
Verständnis und Respekt gegenüber den Religionen der Anderen. Von ihm habe ich
gelernt LESSINGS Parabel von den drei Ringen voll zu begreifen. SADDAT hat
LESSING wohl kaum gekannt, aber hat LESSINGS Mahnung auch nicht bedurft. Der
Mord 6. Oktober 1981 setzte allen Vorhaben und Visionen dieses ganz und gar
ungewöhnlichen Mannes ein Ende. Er war von einer, für Regierungschefs
ungewöhnlichen Offenheit gewesen und niemals vorheroder nachher habe ich mit
einem ausländischen Staatsmann derart ausführlich über Religion gesprochen. Ich
habe ihn geliebt. Wir waren bis auf zwei Tage gleichaltrig. Unsere nächtlichen
Unterhaltungen auf dem Nil gehören zu den glücklichsten Erinnerungen meines
ganzen politischen Lebens.
Nun, meine Damen und
Herren, eskommt sicherlich nicht alle Tage vor, dass ein Hamburger überhaupt
eine Liebesbekenntnis öffentlich ablegt - und es kommt auch nicht alle tage
vor, dass ein Sataatsmann öffentlich bekennt, erhabe einen anderen geliebt -
ein Deutscher einen Ägypter und ein Christ einen Muslim.
Was ich Ihnen wünsche, dass Sie solche nächtlichen Erfahrungen machen - auf dem
Nil oder auf dem Neckar - oder auf welchem Fluß auch immer.
Ich danke Ihnen für Ihre
Aufmerksamkeit.
Red. Bearbeitung: M.HANEL