Sehr geehrte Redaktion! Sehr geehrter Herr Chefredakteur Dr. Unterberger!

 

Sie haben gestern (22. 10.) einen Gastkommentar des Herrn Korkisch abgedruckt, der eigentlich den Tatbestand der Religionshetze und der Hetze gegen eine religiöse Minderheit erfüllt. Für mich ist es kaum verständlich, dass Die Presse einen solchen Kommentar abdruckt, auch wenn die Pressefreiheit ein hohes Gut ist und nicht angetastet werden soll. Doch auch hier sind Grenzen der Seriosität und Ausgewogenheit zu beachten. Auf einen solchen Artikel einzugehen hieße seine Ernsthaftigkeit zu akzeptieren und seinen Autor als Gesprächspartner anzuerkennen. Doch Hetzer unter dem Deckmantel der Pressefreiheit oder der ‚politischen Wissenschaft’ können nicht als Dialogpartner firmieren, selbst wenn sie im Verteidigungsministerium sitzen und als Politologen auftreten, die aber  offenbar mehr die Interessen Amerikas im Auge haben als jene Österreichs.

Ich gebe zu bedenken, ob Sie einen Gastkommentar abdrucken würden, der sich, wenn gleich faktenbezogen, mit allen vergangenen und gegenwärtigen Untaten Israels beschäftigen und den Einfluss israelischer Lobbys auf die amerikanische und europäische Politik darlegen würde.

Zumindest eines sollten Sie allerdings den Muslimen zugestehen, auch wenn Sie diese ablehnen, nämlich zum Thema ‚Ohnmacht des Westens’ bzw. ‚Gefährdung des Westens durch den Islam’ einen ‚Gastkommentar’ abzudrucken. Ich möchte hiermit beginnen: 

 

Die Islamische Bedrohung – eine Fata Morgana als neues Feindbild für die Mobilisierung des Westens

 

Es ist bekannt, dass seit dem Zusammenbruch des Kommunismus dem Westen, insbesondere Amerika ein Feindbild abhanden gekommen ist. Ein Feindbild hat viele wichtige Funktionen: wirtschaftliche – die Rüstungsindustrie braucht Aufträge; politisch-militärische – divergierende Interessen sind leichter unter einen (NATO-)Hut zu bringen; aber auch ideologische – die Schicksalsgemeinschaft kann im Namen gemeinsamer Anschauungen mobilisiert und die ‚Verteidigung’ der ‚westlichen Werte ’ glaubwürdiger gefordert werden.

Eine Zeit lang versuchte man es mit Japan, doch seit dessen großen wirtschaftlichen Problemen verzichtet man auf diesen ‚Feind ’. Viel eher bietet sich natürlich der Islam bzw. seit dem 11. September 01‚der islamische Terrorismus’ an. Die Propagandisten dieses Feindbildes, das noch dazu so bequeme historische Wurzeln hat, sitzen nicht nur in Washington, nein, überall auch in Europa, sogar im noch neutralen Österreich spuken sie durch die politische und Medienlandschaft. Man kann sich allerdings des Eindrucks nicht erwehren, dass es alte ‚Kalte Krieger’ im neuen Gewand sind, die etwas arbeitslos geworden sind und sich angesichts der Kriegspolitik Washingtons wieder mehr heraustrauen, vor allem medial. Sie liegen als Liebkinder der US-Politik so schön auf der Linie des clash of civilisations, welche viele Trittbrettfahrer hat.

 

Warum scheint sich der Islam so gut als neues Feindbild zu eignen?

Abgesehen von den genannten historischen Gründen wenden sich viele islamische Bewegungen politisch gegen den Westen, besonders gegen Amerika. Man vergisst dabei allerdings, dass viele islamische Länder äußerst negative Erfahrungen mit diesem Land gemacht haben und die USA heute noch immer den Großteil der muslimischen Welt beherrschen – Wo ist hier die Ohnmacht des Westens? Muslimische Regierungen, die nicht mit den USA verbündet  oder von ihnen abhängig sind, lassen sich sehr schnell aufzählen, denn es gibt fast keine. Wo ist also die ‚islamische Gefahr’? Stehen vielleicht ‚islamische’ Kriegsschiffe in der Nordsee oder im Golf von Mexiko oder nicht vielmehr die amerikanische Flotte im Persischen Golf und Truppen in Saudiarabien und jetzt massiert in Qatar, ganz zu schweigen von Afghanistan, Pakistan, Usbekistan, auf den Philippinen usw. Oder bedrohen ‚islamische’ Truppen oder gar Atombomben Europa? Weil Marokko kurzfristig die Petersilinseln besetzt hat? Kabarettisten könnten mit so einer ‚Bedrohung des Westens’ Lachstürme hervorrufen, wenn es nicht so ernst wäre.  Abgesehen davon, dass die muslimische Welt vielfach zersplittert und gespalten ist,  gibt Amerikas, die einzig verbliebene Supermacht allein mehr für die Rüstung aus als die übrige Welt zusammen? Aber die israelischen Atombomben bedrohen die Nachbarländer täglich real oder nicht? Es gibt keinerlei internationale Kontrolle, keinen Proliferationsvertrag, nicht einmal eine Visite der Atomanlagen durch die IAEA, gar nichts; wohl aber offene Drohungen Israels, diese Atombomben einzusetzen und die Atomanlagen von anderen zu zerstören, was die Israelis bekanntlich schon einmal gemacht haben, natürlich wie bei den 28 missachteten UNO-Resolutionen ohne jede Sanktion.   

 

Oder sind die Muslime im Westen eine Bedrohung für dessen Sicherheit? Die meisten dieser Muslime, kulturell oft benachteiligt und orientierungslos, gehören der Unterschicht an und sind froh, wenn sie eine Arbeit bekommen und überleben können, sind durch gesetzliche Maßnahmen leicht zu kontrollieren und zur Not auch abzuschieben oder auszubürgern, wenn Populisten das wollen. Aber in der  muslimischen Welt hocken neben den Truppen an wichtigen Positionen amerikanische ‚Berater’, Kontrolleure an den Schalthebeln der Macht und direkt in den Regierungen, Inspektoren nach Bedarf, etc. und die Muslime sollen sich das alles gefallen lassen? Und wenn sie sich dagegen wehren, denunzieren sie die ‚Bedrohten’ als ‚Islamisten’, ‚Fundamentalisten’ oder gar ‚Terroristen’ gemäß dem Horrorvokabular der westlichen medialen Übermacht. Oder sind auch die Medien vom Islam bedroht, weil diese den Islam für so mächtig, gefährlich und aggressiv darstellen, damit sich alle fürchten?

Es ist bekannt, dass sich alle maßgeblichen islamischen Organisationen in Europa und Amerika von Osama bin Laden und seiner zwielichtigen (CIA-nahen) Al Kaida strikt distanziert und diese als Schädling des Islams bezeichnet haben, leiden sie doch am meisten unter den Folgen des 11. September, (genauso wie einst und jetzt unter den Folgen der tyrannischen Politik des langjährigen US-Freundes Saddam Hussein, der jetzt seine amerikanische Pflicht nicht mehr zu erfüllen erscheint).  Einhellig haben sie betont, dass für den Islam der Friede neben der Gerechtigkeit zu den höchsten Werten zählt.  Oder ist die Forderung nach Gerechtigkeit und Frieden gar eine Bedrohung Amerikas?

 

Jeder wache Europäer sollte wissen, wie töricht und haltlos dieses islamische Feindbild ist und wem diese Fata Morgana wirklich nützt. Sicherlich nicht den Muslimen und auch uns allen in Europa nicht. Den Terrorismus mit Augenmaß zu bekämpfen und ihm seinen Nährboden zu entziehen, darauf kommt es jetzt an. Ein Krieg im Nahen Osten nützt sicher nicht der islamischen Welt, aber auch nicht Europa. Die Friedenstaube braucht für das Überleben einen abendländischen und einen morgenländischen Flügel. Wer sie töten will, der spricht von der ‚islamischen Bedrohung’ und von der ‚Ohmacht des Westens’, weil er den Krieg will. Goethe hat uns aber schon vor fast zwei Jahrhunderten gesagt: Wer sich selbst und andere kennt  wird erkennen, Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen.

 

Mag. Josef Lanzl

(Leiter des Islamischen Bildungs- und Kulturzentrums  Österreich, ehem. AHS-Lehrer)