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Bismillah

Die menschliche Natur
Imam Al Ghazzali -

Muhammad M. HANEL übersetzt aus:
"SOME MORAL & RELIGIOUS TEACHINGS OF AL - GHAZZALI" by SYED NAWAB ALI
Published by:
SH. MUHAMMAD ASHRAF, Pakistan
 

Obwohl der Mensch mit den anderen Tieren äußere und innere Sinne teilt, so ist er doch mit zwei Eigenschaften behaftet, die nur ihm eigen sind - nämlich zu WISSEN und zu WOLLEN (Bewusstsein und Wille). 

Mit Bewusstsein ist die Fähigkeit zur Verallgemeinerung, Abstraktion von Gedanken und der Besitz intellektueller Wahrheiten gemeint. 
Mit dem Willen ist der starke Wunsch etwas zu erreichen gemeint, was nach der Überlegung und Abschätzung seiner Auswirkung durch den Verstand als gut angesprochen wird. 
Dies ist tatsächlich etwas ganz anderes als animalisches Begehren. Vielmehr ist es manchmal sogar dessen Gegenteil. 

Zu Beginn lassen auch Kinder diese beiden Eigenschaften vermissen. Sie besitzen zwar Leidenschaften, Ärger und all die anderen inneren und äusseren Sinne, doch der Wille findet erst später seinen Ausdruck. 

Wissen unterscheidet sich nach der Möglichkeit es als solches aufzufassen, gemäß dem Menschen inneliegenden latenten Kräften (Fähigkeiten). Daher gibt es die unterschiedlichsten Rangstufen unter den Propheten, den Gelehrten, den Sufis und Philosophen. Ja, es gibt sogar noch weitere Stufen, denn göttlichem Wissen sind keine Grenzen gesetzt. Der höchste Rang wird von jenem erreicht, dem alle Wahrheiten und Wirklichkeiten intuitiv offenbart werden, der durch die Kraft seiner erhabenen Position sich der direkten gemeinschaftlichen Nähe und engen Verbindung mit dem Heiligsten erfreut. 

Die tatsächliche Natur dieses Ranges ist nur jenen bekannt, die diesen auch tatsächlich genießen.  Wir bestätigen diesen durch den Glauben. 
Ein Kind hat keine Ahnung von den Vermutungen eines Erwachsenen. Ein Erwachsener ist sich den Errungenschaften eines Gelehrten nicht bewußt und gleichermaßen ist ein Gelehrter der auserwählten Gemeinschaft der Propheten, wie auch der Güte die jenen zuteil wird, nicht gewahr. Obwohl der göttliche Segen frei herabsteigt, sind nur jene die geeigneten Empfänger dafür, deren Herzen rein und IHM vollständig ergeben sind. 

„Wahrlich“ sagt ein Hadith Qudsi:  „das Begehren der Tugendhaften ist ihre Vereinigung mit Mir, und Ich sehne Mich danach sie zu sehen.“ 
„Wer sich  Mir einen Schritt nähert, dem nähere Ich Mich drei Schritt.“

Göttliche Güte wird nicht zurückgehalten, jedoch kann sie von solchen Herzen, welche durch Unreinheiten getrübt sind, nicht empfangen werden. 
„Wäre es nicht, daß sich die Teufel um die Herzen der Menschen herumtrieben, so sähen sie die Herrlichkeit des himmlischen Königreiches."
Die Überlegenheit des Menschen besteht in seiner Kenntnis von den göttlichen Eigenschaften und göttlichen Wirkens; darin liegt seine Vollkommenheit, durch welche er würdig werden kann, in die göttliche Gegenwart zu gelangen. 

Der Körper dient der Seele als ein Gefährt und die Seele dient dem Wissen als Zuhause, welches ihren eigentlichen Charakter prägt. Das Pferd und der Esel sind beides Lasttiere, aber die Überlegenheit des ersten liegt darin, daß es auch anmutig an den Kriegsdienst angepaßt werden kann. Ist ein Pferd dazu nicht geeignet, so fällt es in den Rang der Esel, d.h. gewöhnlicher Lasttiere zurück. (Gleichermaßen bei den Menschen) In gewissen Dingen gleicht der Mensch einem Pferd und einem Esel, aber sein - von ihnen sich unterscheidenden - Wesenszug macht seine Teilhaberschaft an der Natur der Engel aus; er hat also die "Mittelstellung" zwischen Tieren und den Engeln. 
Was die Art und Weise seiner Ernährung und seines Wachstums anbelangt, findet er sich zur pflanzlichen Welt gehörig. 
Was die Kraft seiner Bewegung und seine Impulsivität betrifft, ist er ein Bewohner des Tierreiches. 
Die Unterscheidungsfähigkeit seines Wesens erhebt ihn in die himmlische Regionen, wenn es ihm gelingt diese Fähigkeiten zu entwickeln und in die Tat umzusetzen. Anderenfalls ist er nicht besser als ein grunzendes Schwein, ein knurrender Hund, ein geifernder Wolf oder ein gerissener Fuchs. 
Wenn es ihn nach wahrer Glückseligkeit verlangt, so lass ihn den Verstand als König betrachten, der über dem Herzen thront, die Vorstellungskraft als seinen Botschafter, das Gedächtnis als den Schatzmeister, die Rede als Dolmetscher, die Glieder als Angestellte und die Sinne als Spione im Reich der Farben, des Tons, Geruchs usw. Wenn alle diese Eigenschaften ihre ihnen zugewiesenen Pflichten erfüllen, wenn jede Fähigkeit ausübt, wozu sie geschaffen wurde - und dieses Tun ist - was "Gott danken" bedeutet - so ist das letzte Ziel dieses Zwischenaufenthaltes in dieser Welt erreicht. 

Die Natur des Menschen setzt sich aus 4 Elementen zusammen, nämlich dem tierischen, dem brutalen, dem satanischen und dem göttlichen. Im Menschen findet man manchmal etwas vom Schwein, vom Hund, vom Teufel und vom Heiligen. 

Das Schwein ist nicht wegen seiner Form zurückzuweisen, sondern vielmehr wegen seiner triebhaften Lust und Unmäßigkeit. 

Der Hund ist die Leidenschaft. Er bellt, beißt und verletzt andere . 

Der Teufel ist jene Eigenschaft, welche die beiden vorigen anstachelt und bestärkt und die Sicht der Vernunft, welche den Heiligen ausmacht, trübt. 

Göttliche Vernunft, rechtens gebraucht, würde das Schlechte durch die Bloßstellung dessen Charakters zurückweisen. Sie würde den Appetit und die Leidenschaft im Zaum halten, aber wenn es dem Menschen nicht gelingt den Befehlen der Vernunft zu folgen, so werden die drei anderen Eigenschaften übermächtig und verursachen seinen Untergang und Ruin. 
Solcherlei Menschen gibt es viele. Wie traurig ist es doch, daß jene, welche solche Leute kritisieren, die "Steine" anbeten, ihrerseits das "Schwein" und den "Hund" in sich selbst anbeten? 
Sie sollten sich schämen ob ihres beklagenswerten Zustandes und „ihr lasst nichts unversucht diese schädlichen Eigenschaften zu beherrschen“:

Das Schwein der Lust erzeugt Schamlosigkeit, Verlangen und Verleumdung und ähnliches.
Der Hund der Leidenschaft erzeugt Stolz, Eitelkeit, Hohn, Zorn und Gewaltherrschaft. 
Diese beiden von satanischer Macht  beherrscht, erzeugen Betrug, Treulosigkeit, Falschheit, Gemeinheit usw. 
Wenn jedoch "Göttlichkeit" im Mensch die Überhand hat, so werden Wissen, Weisheit, Glaube und Wahrheit erreicht. 

Wisset, daß der Verstand wie ein Spiegel ist, der Bilder reflektiert. Aber geradeso wie ein Spiegel, das Bild und die Reflexionsweise drei verschieden Dinge sind, so sind der Verstand, die Dinge und die Art und Weise zu wissen, ebenfalls unterschiedlich. 

Es gibt 5 Gründe welche die Dinge abhalten vom Spiegel abgebildet zu werden. 

  1. Ein Fehler im Spiegel.
  2. Etwas außerhalb des Spiegels verhindert die Reflexion.
  3. Das Ding befindet sich nicht vor dem Spiegel.
  4. Etwas befindet sich  zwischen dem Spiegel und dem Ding.
  5. Man weiß nicht wo sich das Ding befindet, so daß der Spiegel nicht ordentlich plaziert werden kann. 
Gleicherweise gibt es fünf Gründe, welche den Verstand abhalten Wissen zu erlangen. 
  1. Der Verstand ist fehlerhaft oder unvollkommen. 
  2. Sünde und Schuld verdunkeln den Verstand und werfen einen Schleier über ihn.
  3. Der Verstand wird von der Sache abgelenkt.
  4. Ein Mensch ist gehorsam und gut, aber anstatt höher, nach Wahrheit und  Gottesbesinnungzu streben, ist er mit körperlicher Eigenheit und der Beschaffung des Lebensunterhaltes zufrieden. Solch ein Verstand, obwohl rein, wird das göttliche Bild nicht wiedergeben, denn das Ziel seiner Gedanken ist etwas anderes. Wenn dies der Zustand solch eines Verstandes ist, bedenkt wie der Zustand eines Verstandes ist, welcher mit der Befriedigung seiner zügellosen Begierden beschäftigt ist! 
    Ein Hindernis befindet sich zwischen dem Spiegel und dem Objekt. 
    Manchmal hat ein Mann seine Begierden unterworfen und trotzdem fehlt es ihm an wahrer Erkenntnis, bedingt durch blindes Nachahmen oder dem Folgen von Vorurteilen. Sogar tugendhafte Menschen fallen diesem Umstand zum Opfer und sind blind ihren Dogmen verhaftet.
  5. Man befindet sich in Unkenntnis über die Mittel die Wahrheit zu finden. 
    Zum Beispiel möchte jemand seinen Rücken im Spiegel betrachten. Wenn er den Spiegel vor sich hat, wird ihm das wohl nicht gelingen. Läßt man ihn jedoch einen zweiten Spiegel nehmen und beide so aufstellen, dass der eine das Bild des anderen reflektiert und er sich zwischen beiden in geeigneter Weise aufstellt, so wird es schaffen seinen Rücken zu betrachten. Gleicherweise ist das Wissen um die geeigneten Mittel der Schlüssel vom Gewussten zum Anerkannten (gewisslich Erkanntem).
Die göttlichen Gaben kommen ganz frei auf uns, aber aus oben erwähnten Gründen ist der Verstand oft nicht in der Lage sie zu empfangen. Dennoch ist die Fähigkeit an göttlichen Gnaden und Gaben teilzuhaben und zur Wahrheit zu gelangen, angeboren. 
Der Qur'an sagt: 
„Wahrlich haben wir den Pfand den Himmeln und der Erde angeboten, und der Erde und den Bergen aber sie waren abgeneigt es zu nehmen und fürchteten sich davor und der Mensch nahm es an. Wahrlich ist er nicht selbstgerecht und unwissend?" (33:72). 
In diesem Vers wird diese angeborene Fähigkeit angedeutet und es wird auf die geheime Kraft des Gottesbewusstseins hingewiesen, welche latent im Menschen vorhanden ist, durch deren Wirksamkeit die Menschen den Vorrang vor der anderen Schöpfung inne haben. 

Der Prophet (a.s.s) sagte:
„Jedes Kind wird im rechten (islamischen) Zustand (Fitra) geboren, aber dessen Eltern machen aus ihm einen Juden, Christen oder Hindu.“ 
Und weiter: 
„Wäre es nicht, dass die bösen Geister sich um das Herz des Menschen trieben, so sähe er das Königreich des Himmels.“
Von Umar (r.a.) wird berichtet, dass der Prophet einmal gefragt wurde, wo man Gott finden könne, auf der Erde oder im Himmel. 
"Er IST in den Herzen seiner gläubigen Diener." antwortete der Prophet. 

Es ist bestimmt nicht unangebracht, wenn wir uns an diesem Ort mit ein paar Ausdrücken beschäftigen, die des öfteren unklar, also nicht eindeutig gebraucht werden, wenn man sich mit der Frage nach der menschlichen Natur beschäftigt. 

1. Qalb (das Herz) hat zwei Bedeutungen:

  • Ein besonders geformtes Stück Fleisch in der Brust, welches das Blut durch den Körper pumpt; die Ursache des animalischen Geistes. Man findet es in allen Tieren. Das Herz gehört daher zur äusseren Welt und kann mit den Augen betrachtet werden. 

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  • Eine geheimnisvolle göttliche Substanz, die mit dem materiellen Herzen angeblich so verbunden ist, wie das Haus mit seinem Bewohner oder der Handwerker mit seinem Werkzeug. Dieses allein ist empfindend und verantwortlich. 
2. Ruh (Geist) bezeichnet:
  • Eine flüchtige Substanz, welche vom materiellen Herz ausgeht und den ganzen Körper belebt. Sie ist wie eine Lampe in einem Haus, welche ihr Licht im ganzen Haus verbreitet.

  • Und es bedeutet die Seele - im Qur'an als „göttlicher Befehl“ bezeichnet (17:85)  und wird im gleichen Sinn wie die zweite Bedeutung von Qalb verwendet. 
3. Nafs (das Selbst) bedeutet:
  • Die Grundlage für Triebe und Leidenschaften.
    Die Sufis nennen diese Verkörperung das Laster.

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  • Das Ego, welches gemäß den Eigenschaften aus dem Wechsel der Situationen seine verschiedenen Bezeichnungen erhält. 
    Wenn durch die Beherrschung der Leidenschaften die Meisterschaft über sie erlangt wurde, wird es „das friedvolle Selbst (Nafsi mutmaina)“ genannt. 

  • Wenn es dem Menschen seine Handlungen vorhält, wird es „Bewußtsein (Nafsi lauwama)" genannt.
    Wenn es sich frei in der Befriedigung seiner Leidenschaften ergeht, wird es das "zügellose Selbst (Nafsi Ammara)" genannt. 
Hanel 1993/2001