MEMRI Special Dispatch - 25. April 2003
Qaradawi: "Eine Reise des Ehemannes ist ohne Zustimmung der Frau verboten"

Die in London erscheinende arabischsprachige Frauenzeitung Laha
veröffentlichte kürzlich einen Bericht über eine Fatwa des islamischen
Gelehrten Yussuf al-Qaradawi, mit der er Reisen von Ehemännern ohne
Zustimmung der Ehefrauen verbot. Laha gibt verschiedene Reaktionen
islamischer Gelehrter und arabischer Wissenschaftler zu diesem Urteil
wieder.
Der Artikel von Ahmad Djamal erschien am 26. März 2003:

"In einer Zeit, in der sich ein großer Teil der Fatwas und Gesetze mit dem
Thema Frauen - darunter das Gesetz, dass eine Frau keinen Reisepass ohne
Zustimmung des Ehemannes erhält - beschäftigen, veröffentlichte der
islamische Gelehrte Dr. Yussuf al-Qaradawi eine mutige Fatwa. In dieser
Fatwa wird dem Ehemann verboten, ohne Einwilligung seiner Ehefrau zu reisen,
und zwar insbesondere, sollten sich daraus Nachteile für sie oder ihre
Kinder ergeben. Wenn er ohne ihre Zustimmung reist, dann sei dies Sünde.
Was genau steht in dieser Fatwa, was sind ihre Grundlagen und was meinen die
islamischen Religions- und Rechtsgelehrten dazu?

Yussuf al-Qaradawi beginnt damit, die rechtlichen Belege für seine mutige
Fatwa darzulegen. Er erklärt: "Das Eheleben ist ein heiliger Bund auf der
Grundlage eines ,bindenden Vertrages', wie es im Koran beschrieben wird.'
Jeder der Eheleute hat legitime Rechte gegenüber dem Anderen und genauso
Pflichten, die er ihm gegenüber zu erfüllen hat [.].

Dies bestimmt der heilige Koran mit den Worten des Erhabenen: ,Die Frauen
haben (in der Behandlung von Seiten der Männer) dasselbe zu beanspruchen,
wozu sie (ihrerseits den Männern gegenüber) verpflichtet sind, (wobei) in
rechtlicher Weise (zu verfahren ist).' Und er fährt fort: ,Und die Männer
stehen (bei alledem) eine Stufe über ihnen.' [Koran 2:228]

Gemeint ist eine Stufe, ein Schritt [höher] in der Vormundschaft und
Verantwortung bei der Führung der Familie in Rechtschaffenheit.
Vormundschaft ist hier eine Verpflichtung, keine Auszeichnung. Aus ihr
resultiert große Verantwortung im Hinblick auf die Familie und er [der Mann]
ist vor Gott dafür verantwortlich. So bestimmt es der Hadith des Propheten,
in dem der Gesandte Gottes - Gott segne ihn und schenke ihm Heil -  erklärt:
,Jeder von euch ist ein Hirte und verantwortlich für seine Herde. Der
Befehlshaber der Leute ist ihr Hirte und für sie verantwortlich, und der
Ehemann ist der Hirte seines Haushaltes und verantwortlich für ihn, und die
Frau ist Hirtin des Hauses ihres Gatten und seiner Nachkommen und für sie
verantwortlich. Ist nicht jeder euch Hirte und verantwortlich für seine
Herde?'

Aus diesem Grunde ist es dem Ehemann nicht erlaubt, seine Familie dem
Untergang zu überlassen, umher zu streichen und zu reisen, ohne sich mit den
Angehörigen darüber zu verständigen und Gott wird ihn zur Verantwortung
ziehen. [.]'

Der islamische Denker Muhammad 'Imara erklärte seine Zustimmung zu der
Interpretation der Rechtsquellen durch Qaradawi. Er sagte: "Der Islam hat
die Ehe bereits in den Zeichen Gottes [dem Koran] berücksichtigt. Gott ist
weise und verfolgt Ziele für die Ehepartner. Der Erhabene sagt: ,Und zu
seinen Zeichen gehört es, dass er euch aus euch selber Gattinnen geschaffen
hat (indem er zuerst ein Einzelwesen und aus ihm das ihm entsprechende Wesen
machte), damit ihr bei ihnen wohnet (oder: ruhet). Und er hat bewirkt, dass
ihr (d.h. Mann und Frau) einander in Liebe und Erbarmen zugetan seid. Darin
liegen Zeichen für Leute, die nachdenken.' [Koran 30: 21]

Wenn der Mann ohne Wissen der Ehefrau oder ohne ihr Einverständnis, das
einer vernünftigen und nicht starrsinnigen Diskussion entspringt, verreist,
dann vernachlässigt er seine Familie, seine Frau könnte auf Abwege kommen
und seine Kinder könnten verwahrlosen. In diesem Fall wird der Mann zum
Sünder, weil er diejenigen vernachlässigte, die Gott ihm anvertraute. Das
islamische Eheleben birgt gemeinsame Verantwortlichkeiten der Ehepartner und
jedem von ihnen obliegt es, seine Aufgaben innerhalb der Familie zu
erfüllen.

Wenn wir die allgemeine göttliche Orientierung betrachten, die das Leben der
Gläubigen leitet, finden wir in den Worten des Erhabenen [Folgendes]: ,Und
die gläubigen Männer und Frauen sind untereinander Freunde (und bilden eine
Gruppe für sich). Sie gebieten, was recht  ist und verbieten, was
verwerflich ist, verrichten das Gebet, geben die Almosensteuer und gehorchen
Gott und seinem Gesandten. Ihrer wird sich Gott (dereinst) erbarmen. Gott
ist mächtig und weise.' [Koran 9: 71]

Wenn dies das Verhalten von Gläubigen im Allgemeinen ist, was kümmert es uns
dann, ob die Gläubigen verheiratet sind, denn sie sind vor allem anderen
Gehorsam gegenüber Gott und seinem Propheten schuldig."

Der islamische Gelehrte 'Abd al-Sabur Shahin fordert von jedem Ehemann, bei
allen Entscheidungen, die seine Familie betreffen, gottesfürchtig zu handeln
und die Familie bei den Entscheidungen zu konsultieren. Dies würde seine
Männlichkeit nicht schmälern, sondern wäre vielmehr die Vollendung der
Männlichkeit und des Gehorsams gegenüber Gott - dem Großartigen und
Starken -, weil er - gepriesen sei Er - die Beziehung zwischen den beiden
Geschlechtern [mit den Worten] beschrieb: ,Ihr gehört (als Gläubige)
zueinander' [Koran 4: 25] und der Gesandte Gottes - Gott segne ihn und
schenke ihm Heil - sagte: ,Die Frauen sind die Zwillingshälften der Männer'.
Der Mann, den Hochmut und Verblendung gegenüber seiner Familie überwältigt
haben, sollte die Biographie des Propheten - Gott segne ihn und schenke ihm
Heil - lesen und sich dessen Umgang mit seinen Ehefrauen anschauen, denn er
stand im Dienste seiner Familie. Zu seinen letzten [geistigen]
Hinterlassenschaften vor seinem Ableben an die Männer gehörte es, Gott durch
die [gute Behandlung der] Frauen zu fürchten. Er war derjenige, den Gott -
gepriesen sei Er, der Erhabene - mit seinen Worten beschrieb: ,Du bist eine
gewichtige Persönlichkeit' [Koran 68: 4] und er befahl uns ihm nachzueifern,
indem der Erhabene sagte: ,Im Gesandten Gottes habt ihr doch ein schönes
Beispiel - (alle haben ein schönes Beispiel), die auf Gott hoffen und sich
auf den jüngsten Tag gefasst machen.' [Koran 33: 21]

Der islamische Bekehrer [da'iyya] Abd al-Azim al-Mut'ani, Professor an der
al-Azhar-Universität, erklärt: "Uns wurde die Beratschlagung [al-shura] in
allen Angelegenheiten unseres Lebens befohlen, dem Vorbild des Propheten -
Gott segne ihn und schenke ihm Heil - folgend, zu dem Gott sprach: , [U]nd
ratschlage mit ihnen über die Angelegenheit!' [Koran 3: 159]. Er
charakterisierte die Beziehung unter den Gläubigen mit den Worten des
Erhabenen: ,die sich untereinander beraten' [Koran 42: 38] und verpflichtet
die Eheleute in allen Angelegenheiten des Lebens zur Beratung untereinander,
ja sogar bei der [Brust-] Entwöhnung der Kinder, denn der Erhabene sagte:
,Und wenn die beiden (d.h. Vater und Mutter) nach gegenseitiger Übereinkunft
und Beratung (das Kind vor der angegebenen Zeit) entwöhnen wollen, ist es
keine Sünde für sie (dies zu tun).' [Koran 2: 233]

Bereits in der prophetischen Biographie wird festgehalten, dass der Prophet
seine Ehefrau Umm Salma beim Angriff gegen Hudaibiyya konsultierte und ihrer
Ansicht folgte, weil sie gut und vernünftig war. [Auch] einige
Prophetengefährten nahmen Rücksicht auf die Gefühle ihrer Ehefrauen. So
erklärte Umar bin al-Khattab [Prophetengefährte und zweiter islamischer
Kalif]: ,Sie lieben an sich (selbst), was ihr an euch (selbst) liebt' und
,In der Zeit der Unwissenheit [vorislamische Zeit] zählten uns die Frauen
nichts, als aber der Islam erschien, gedachte Gott ihrer' [.].

Abdallah ibn Abbas [ebenfalls Prophetengefährte und wichtiger Überlieferer
der Hadithe] sagte: ,Wahrlich, ich liebe es genauso von meiner Frau
geschmückt zu werden wie ich es liebe, sie zu schmücken.' Der Prophet - Gott
segne ihn und schenke ihm Heil - traf ein entschiedenes Urteil, als er
sagte: ,Gott fragte jeden Hirten, ob sich das, was er hütet, in einem guten
oder schlechten Zustand befindet.' Trägt die Reise eines Ehemannes ohne das
Einverständnis seiner Frau und Kinder also zum Erhalt der Familie bei, oder
nicht?"

Dr. Su'ad Saleh, Leiterin der Abteilung für islamische Rechtslehre [fiqh] an
der al-Azhar, die auch als ,Mufti der Frauen' bezeichnet wird, bekräftigte,
dass Gott dem Eheleben eine allgemeine Grundlage gegeben habe und den
Männern die Verpflichtung auferlegt, Sicherheit und Stabilität für die
Familie zu schaffen. Der Erhabene erklärte: ,Und geht gut mit ihnen um!'
[Koran 4: 19] [.]

Der Erhalt der Familie verwirkliche sich zweifelsohne durch die Präsenz
beider Ehepartner oder wenn das Fehlen einer der beiden im gegenseitigen
Einvernehmen beschlossen wurde. Auch wenn es ein Interesse für den Mann und
seine Familie für eine Reise [des Mannes] gäbe, so muss dieser Grundsatz als
entscheidendes Kriterium in Konflikten gelten. Der Ehemann nimmt eigene
Nachteile zur Verhinderung von Nachteilen für die Allgemeinheit in Kauf.
,Nachteile für die Allgemeinheit' beziehen sich hier zweifellos auf die
eheliche Beziehungen und das Verlassen der Ehefrau, wodurch die Frau vom
rechten Weg abkommen und die Kinder verwahrlosen könnten, wenn die Frau
alleine nicht in der Lage ist, dass ,Schiff der Familie' zu steuern.

Von daher kam die göttliche Weisung: ,Ihr Gläubigen, nehmt euch selber und
eure Angehörigen vor einem Feuer in acht' [Koran 66: 6] Der Schutz vor dem
Feuer liegt in der Erhaltung der Familie, ihrer Unterrichtung in religiösen
Angelegenheiten und in der Sorge um ihr Wohlergehen. ,Verlasse das Kamel
nicht, während es schleppt.'"

Über die gesellschaftliche Perspektive jener mutigen Fatwa erklärt Hana Abu
Shahba, Dozentin für Soziologie an der al-Azhar Universität: "Wenn man sich
viele gesellschaftliche Probleme anschaut, wird man erkennen, dass eine
wesentliche Ursache der Probleme in der fehlenden Verständigung zwischen den
Ehepartnern und in ihrem Unwissen über die religiösen Lehren liegt, die die
Rechte und Pflichten eines jeden verdeutlichen und zeigen, dass es jedem der
Partner obliegt, seine Pflichten zu erfüllen, bevor er nach seinen eigenen
Rechten strebt. Zweifellos setzt die Abwesenheit des Mannes von seiner
Familie die Kinder und die Frau den Gefahren aus, vom rechten Weg
abzukommen - als Folge des fehlenden Schutzes, den besonders der Mann
gewährleisten muss. Wir leben in patriarchalischen Gesellschaften, in denen
sich eine Frau, die keinen Mann hat, der sie beschützt und verteidigt,
zwischen zwei Feuer begibt. Denn sie wird zur Beute für Wölfe in
Menschengestalt, von denen jeder Einzelne versucht, sie mit allen Mitteln zu
verführen. Oder sie benötigt Geld und emotionale Zuwendung, wodurch sie
gegenüber den Versuchungen der Wölfe schwach wird. Wird die Frau schwach, so
verdirbt die Familie, denn sie alleine ist nicht in der Lage, das Schiff des
Lebens zu steuern, nachdem der Mann die ihm übertragene Rolle aufgegeben
hat.

Was ist leichter als jene ungerechten Anschuldigungen, die Einzelne in der
Gesellschaft gegen die Frau erheben, sie habe, wenn sie mit einem Mann
spricht, eine sündige Beziehung, oder wenn sie arbeitet, arbeite sie nur, um
Männer aus niedrigen Motiven zu treffen. Diese gesellschaftlichen
Beschuldigungen sind erbarmungslos, denn würde ein Ehemann, der sich für
seine Familie einsetzt, seine Familie solchen Gefahren aussetzen, um Geld zu
verdienen? Er würde damit seine ganze Familie opfern, sie moralischer
Abweichung, Verwahrlosung und kriminellem Verfall überlassen.

Deshalb ist es das Beste, wenn sich der Mann mit seiner Familie berät - und
sollte diese [sein Vorhaben] ablehnen, dann muss er bei ihr bleiben und ihr
Schutz bieten, selbst wenn ihr Einkommen bescheiden ist. Das allgemeine
Interesse geht dem persönlichen vor."

Eine psychologische Analyse der Frage bietet Mahmud al-Far, Dozent für
Psychologie an ägyptischen Universitäten. Er bekräftigt, psychologische und
soziologische Studien hätten gezeigt, dass ein großer Teil der Familien, in
denen der Ehemann ohne Einverständnis der Familien abwesend ist, heftigen
seelischen Erschütterungen ausgesetzt wird. Dies sei eine Folge des
Orientierungsverlustes und des Fehlens emotionaler Geborgenheit sowie
seelischer und sozialer Sicherheit. Deshalb litten sie an einem Mangel
psychischer Ausgeglichenheit, was [wiederum] zu einem Gefühl von Verlust und
fehlender Behütung führe. Dies macht die einzelnen Familienmitglieder zu
einer leichten Beute für üble Zeitgenossen, die sie an der Hand nähmen, sie
moralisch irreführten, zur Sucht verleiteten und sie von der Schule
abhielten.

Der Vater, der aus Egoismus und persönlichem Interesse seine familiäre
Verantwortung aufgebe, liefere seine gesamte Familie dem Verderben und
Verlust aus und bringe sie in eine schlimmere Lage als Waisen.

Der Mensch lebt nicht von Geld allein, denn die seelische und soziale
Stabilität ist die Voraussetzung für Erfolg und wahres Glück im Leben. Geld
wird zum Verhängnis, wenn es, während der Vater von der Familie abwesend
ist, falsch verwendet wird. Wie viel Sucht und sittliche Verbrechen gibt es,
deren Ursache in der Abwesenheit des Vaters liegen?"

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