WAS ist POLITISCHER ISLAM? Eine Frage von Schweizer
Nichtmuslimen an die Muslime. Eine Frage, welche offenbar die Gesellschaften
interessiert. Nicht leicht zu
beantworten ist sie überdies, gilt es doch als allgemeines Wissensgut: "Der
Islam trennt nicht Religion von Politik". Also kann es eigentlich nur politischen Islam
geben, oder nicht? An dieser Stelle soll nun
dieser Frage aus muslimischer Sicht, aber auch aus der Sicht jener
nachgegangen werden, die als Nichtmuslime herrlich definieren, was unter
"politischem Islam" zu verstehen sei. Beginnen wir mit einer
Recherche im Netz: http://hpd.de/node/6849 Ein Buch, ein Titel:
Handlungsstrategien des politischen Islamismus. Der Sammelband, „Politischer
Islam im Vorderen Orient. Zwischen
Sozialbewegung, Opposition und Widerstand“ enthält allgemeine Analysen
und Länderstudien zur Entwicklung
des Islamismus. Ohne
lange auf Einzelheiten und den diffusen Gerbrauch unklar, mehrdeutig
definierter Begriffe einzugehen, wird sofort klar und ersichtlich, WIE
gedacht, WIE publiziert wird: Politischer Islam entwickelt den ISLAMISMUS. Man spricht über "politischen Islam" und
meint "Islamismus".
Man spricht über Islamismus und meint Islam (politisch oder nicht – aber
eigentlich schon ...). In obigem Artikel (siehe Link) heißt es dann weiter: „Islamisten
sind nicht als Akteure sui generis zu begreifen; vielmehr sind sie rationale
Akteure, die zwar ihren ideologischen
Bezugspunkt in der Religion des Islam
finden, unter anderen Aspekten aber durchaus mit ideologisch anders
ausgerichteten Gruppen vergleichbar sind." "Dies gilt insbesondere
für die Deutung des Islamismus als soziale Bewegung, die sich sowohl gegen autoritäre Herrschaft wie gesellschaftliche Probleme richtet." Hier bekommen wir das
nächste Stichwort, "ideologisch".
Nicht finden die
Islamisten ihren theologischen Bezugspunkt in der Religion, sondern ihren ideologischen. Damit sollte man doch
arbeiten können. In Wikipedia finden wir
zum Stichwort Ideologie: Der Ausdruck Ideologie
(griechisch ἰδεολογία – Lehre von der Idee bzw. Vorstellung, von gr. ἰδέα (idea), Erscheinung, und λόγος
(logos), Lehre) hat zwei grundsätzlich verschiedene Bedeutungen[1]:
Im allgemeinen
Sprachgebrauch ist Ideologie ein System von Ideen, Vorstellungen,
Werturteilen und Begriffen und kann synonym zu „Weltanschauung“ Verwendung finden. Zum wertfreien Begriff: Wenn eine Gruppe, welche
gleiche (religiöse, moralische, wirtschaftliche, etc.) Interessen teilt, als
Interessensgruppe angesehen werden kann – und zweifellos kann die
Gemeinschaft der Muslime als solch eine Interessensgruppe angesehen werden,
auch wenn ihre Vorstellungen, WIE diese Interessen im Speziellen ausgeprägt sein
mögen (Rechtsschulen) oder WER sie umzusetzen hätte (Schiiten/Sunniten) so
KÖNNEN die Muslime von NICHTMUSLIMEN als ideologische Gruppe in westlichem
Sinne und Sprachgebrauch definiert werden. (Gleichwohl Muslime sich selbst
nicht als ideologische Gruppe definieren, weil der Unterschied zwischen
Religion und Ideologie, das Fehlen eines transzendenten Elements in letzerem
ist.) Somit wird der Islam vom
Westen STETS mit Ideologie verbunden werden und somit zwangsläufig mit
ISLAMISMUS vermengt und gedeutet werden (müssen). Für weitere detailliertere
Ausführung siehe: ISLAM - ISLAMISMUS -
FUNDAMENTALISMUS - TERROR, eine Assoziationskette - fatal &
ununterbrochen Hier noch zu POLITIK & ISLAM ein
kurzer Artikel von mir aus 1997
(aktueller denn je …) (Sowohl Muslime als auch Nichtmuslime wären jedoch hier aufgefordert, zu unterscheiden zwischen Islam als dem
ewigen und unveränderbaren Glaubenssystem (Din) Allahs einerseits und den
Reaktionen der Muslime innerhalb einer
politischen Welt andererseits, welche gewachsen ist aus kolonialistischen
Eroberungen, dem kapitalistischen Marktwirtschaftssystem (kurz der Globalisierung) sowie dem
gesamten ideologischen „Überbau“ (Marx), der jener „modernen Welt“ zu eigen
ist und der seine Wurzeln ausschließlich im Westen als treibender Kraft
dieser Moderne hat. Es ist dies eine subtile Unterscheidungsarbeit und
analytische Feinarbeit, die jedoch
unbedingt nötig ist, um auf beiden Seiten einen klaren und weniger
emotionsgeladenen Standpunkt
einzunehmen. ) Zum Marx'schen
Ideologie Begriff: Da den Muslimen
unterstellt wird (und teilweise glauben tatsächlich auch bestimmte Muslime
daran), dass Ihnen die Weltherrschaft zu erringen aufgetragen ist – so wird
der Islam, resp. das Betragen d(ies)er Muslime pauschal auch mit diesem
Begriff assoziiert. Dies umso mehr, als im Marx'schen Sinne die Religion
ohnehin Opium – also Rauschmittel für das Volk ist, welches ihnen von einer
machtgierigen Priesterschaft eingegeben wird, um die Gläubigen von dieser
Kaste abhängig zu machen. An dieser Stelle muss nun
die Frage erlaubt sein: Hat sich schon mal jemand Gedanken darüber gemacht,
warum man im Islam KEINE Priesterschaft kennt (selbst wenn der schiitische Islam
im Iran diesen Anschein erwecken könnte)? Und gleich eine weitere
Frage: Ist es wirklich nicht
klar, dass dieses, "unser" Ideologieverständnis aus westlicher,
christlicher, historisch entwickelter Denkungsart entspringt und mit
islamischem Denken längst nicht vollumfänglich kompatibel ist? Und als dritte Frage: Warum kann solch
"paralleles" Denken nicht als Segen, als komplementärer Beitrag zur
Gestaltung der Einheit in der Vielfalt verstanden werden?
Ich will hier noch kurz an
Beispielen aus dem heiligen Qur’an erläutern, dass es tatsächlich NICHT
religiöser Auftrag im Islam, d.h. für die Muslime ist, die Weltherrschaft zu
erringen, sondern in seinem Einflussgebiet soziale Ordnung, Gerechtigkeit und
Frieden zu schaffen. Die erste qur'anische Erklärung dazu lautet: Und Gott
wird gewiss jenem zum Sieg verhelfen, der für Seinen Sieg eintritt. Gott ist wahrlich Allmächtig, Erhaben.
[22:40] Die meisten Menschen,
selbstverständlich darunter auch Muslime, haben ganz allgemein ein sehr
oberflächliches Verständnis und verstehen den obigen Vers lieber als: Und Gott
wird gewiss jenem zum Sieg verhelfen, der für seinen Sieg eintritt. Gott ist wahrlich Allmächtig, Erhaben.
[22:40] Ein nicht zu hörender, fast nicht zu bemerkender Unterschied, aber
vollständig konträr in der Bedeutung! Es geht im Qur'an eben
nicht darum, dass die MUSLIME (als Menschen und Machtausübende die
Herrschaft, den SIEG erringen, sondern Gott! Was kann dann damit
gemeint sein, wenn Gott doch ohnehin als allmächtig verstanden wird? Wie sollte der Mensch dazu
beitragen, GOTT zu Seinem Sieg zu verhelfen? Natürlich durch nichts
anderes, als durch die Anerkennung der RELIGION Gottes, ders ISLAM als
GÜLTIG, als ECHT. Das ist schon alles. Der Sieg Gottes ist dann
erreicht, wenn es als rechtmäßig
gilt, an IHN aus FREIEN STÜCKEN
glauben zu dürfen, sowie sein Leben und Handeln nach Seinen Geboten
ausrichten zu dürfen. Wenn es nicht nur als rechtmäßig gilt, an IHN nach
christlicher oder jüdischer Facon zu glauben oder nach atheistischer Weise
nicht an Gott zu glauben, sondern eben auch nach muslimischem Auffassung und
islamischem Selbstverständnis, in Ruhe, in Frieden, zum Wohle von Gottes
Schöpfung. Nicht einmal dominant muss
der Islam daher als befolgte Religion sein (siehe weiter unten 22:39-40)! Es bedarf absolut keiner
weltumspannenden Dominanz des Islam, damit Islam für sich bestehen kann – und
ein anerkanntes Gegenüber darstellen kann. Der Islam und die Muslime
müssen als zugelassene Partner, Konkurrenten im Wettlauf um das GUTE anerkannt sein und wahrgenommen werden. Dass diese
Anerkennung in der heutigen Welt tatsächlich nicht gegeben ist, bedarf wohl
nicht näherer Erläuterung. Als kleiner Hinweis möge genügen: Im Islam sind
alle christlichen und jüdischen theologisch relevanten Persönlichkeiten als
solche theologisch anerkannt. Muhammad (Friede mit ihm) im Gegensatz dazu bei
den Juden und Christen bestenfalls als Feldherr, aber vielmehr als Räuber und
machtbesessener Epileptiker. Und zweitens: Der entscheidende Vers,
der von den Verfechtern der Islam Weltherrschaftsübernahme
Verschwörungstheorie zitiert wird, lautet: "Und kämpft
gegen sie, bis es keine Verwirrung
(mehr) gibt und die Religion Allah gehört" [2:193] nach der Lesart von
Muhammad ASAD und meiner Übersetzung, kann die Bedeutung auch wie folgt
wiedergegeben werden: Dennoch,
kämpfet gegen sie, bis es keine Unterdrückung
mehr gibt und aller Gottesdienst Gott alleine gewidmet ist;[1] wenn sie allerdings davon abstehen, soll
alle Feindseligkeit ruhen, außer gegen jene, die absichtlich Unrecht tun. Wobei Unterdrückung
einerseits die Unterdrückung der
Wahrheit, die Verdrehung der
Wahrheit meint, wodurch völlige Orientierungslosigkeit, also Verwirrung entsteht, wie auch
Unterdrückung als Machtausübung gegenüber anderen Menschen, welche sich
dieser Macht durch freiwillige Anerkennung nicht beugen mögen. Und weiters das Wort,
"Gott
alleine gewidmet ist", doch so zu verstehen ist,
dass alleine Gott es verdient, verehrt, angebetet und gedient zu werden, Der
doch sagt: ERLAUBNIS [zu kämpfen] ist jenen
gegeben, gegen welche unrechtmäßigerweise Krieg geführt wird[2] - und, wahrlich, Gott hat wirklich die Macht sie zu besiegen -: jenen, welche aus ihren Heimatländern gegen jegliches Recht
vertrieben wurden, aus keinem anderen Grund, als weil sie sagen, "Unser
Erhalter ist Gott!" Denn, hätte Gott die Leute nicht ermächtigt sich
gegen andere zu verteidigen,[3] wären [alle] Klöster und
Kirchen und Synagogen und Moscheen – in [all] denen Gottes Name reichlich
hoch gelobt wird – [schon] zerstört
worden. [22:39-40] Womit
eindeutig klar gemacht ist, dass es NICHT
um die MUSLIME und deren
VORHERRSCHAFT geht, sondern um das GEDENKEN GOTTES und darum, die menschliche
Aggression als solche im Zaum zu
halten! Und weiter an anderer
Stelle: Und wenn
Gott es den Menschen (nicht steht hier "Muslimen") nicht ermöglichte, sich vor einander zu verteidigen, hätte sicherlich Verderben die Welt überkommen: doch Gott ist gegenüber allen
Welten grenzenlos in Seiner Güte. [2:251] Auch
dieser Vers macht unmissverständlich klar, dass es NICHT Auftrag der Muslime
sein KANN, die Weltherrschaft anzustreben, sondern dass ihr Auftrag in der
Befolgung des prophetischen Vorbilds
lautet: O Prophet,
Wir haben dich als einen Zeugen, als Bringer froher Botschaft und als Warner
entsandt. [33:45] Und
noch viel deutlicher und eindeutig: Und sprich:
"Die Wahrheit [ist nun] von eurem Erhalter [gekommen]: lass ihn, der
will, daran glauben, und lass ihn, der
will, sie ablehnen." [18:29] und
in 27:92 heißt es: ... Wer
also dem rechten Weg folgt, der folgt ihm nur zu seinem eigenen Besten;
(wenn) er irregeht, so sprich „Ich bin
nur einer der Warner.“
Dem
Muslim liegt es fern, andere Menschen – unbedingt – am Heil, an der
„Erlösung“ teilhaben lassen zu müssen und ihn mit mehr oder weniger Gewalt
"heim ins Reich Gottes" zu führen. Da
aber westliches Denken seit vielen hundert Jahren solches Denken und
Verhalten pflegt, mag es den westlichen Gesellschaften einfach nicht
gelingen, dieses Denkmuster anderen Menschen NICHT überzustülpen. Daraus
ergibt sich eine unheilvolle Spirale des Misstrauens, der Vereinnahmung, des
Präventivschlags und der Vergeltung, des Eroberns und Rückeroberns. All
dies spielt natürlich auf POLITISCHER Ebene – über Territorialgrenzen,
Verträge, Diplomaten, Armeen. Der
Muslim handelt aber selbst in dieser Hinsicht NICHT primär politisch, sondern
einfach als Mensch, welcher die religiöse Erlaubnis von Gott hat, sich, sein
Land, sein Eigentum, seine SELBSTSTÄNDIGKEIT gegen jedwede Aggression zu
verteidigen und sich dabei ebenfalls natürlicherweise, politischer
Instrumente zu bedienen. Womit wir wieder bei
obigem Zitat angelangt sind: "Dies gilt
insbesondere für die Deutung des Islamismus
als soziale Bewegung, die sich sowohl gegen
autoritäre Herrschaft wie gesellschaftliche
Probleme richtet." Gleiches
gilt, wie einsichtig zu machen die Absicht war, eben auch für die Muslime und
nicht nur für Islamisten, wie weisgemacht wird. Der Mensch, der Muslim, der
Hindu, der Schweizer, die Yanomami
dürfen sich gegen autoritäre, ungerechte Herrschaft zur Wehr setzen
und haben gesellschaftliche Probleme tatkräftig anzugehen und zu lösen. WIE
soll also der Muslim sich vom Verdacht reinwaschen können, KEIN ISLAMIST zu
sein? Nun zur dritten WIKIPEDIA Erklärung zum Begriff
IDEOLOGIE: Im allgemeinen Sprachgebrauch ist Ideologie ein
System von Ideen, Vorstellungen, Werturteilen und Begriffen und kann synonym
zu „Weltanschauung“
Verwendung finden. Niemals
anders habe Muslime ihre Religion anders als eine WELTANSCHAUUNG verstanden. Der ISLAM, der Din, die
Lehre des ISLAM erlaubt den Menschen eine definierte Sicht auf das Diesseits und auf das Jenseits, auf
Transzendentes und Immanentes, auf
das Materielle, Emotionale, Geistige und
Seelische. Diese Lehre, diese Anschauung erlaubt ihnen eine differenzierte,
aber eben auch eine einheitliche – heute spricht man von holistischer – Sicht
auf das Universum in und außerhalb des Menschen. Ist der ISLAM deshalb eine
IDEOLOGIE? Wenn wir uns der
westlichen Begrifflichkeit bedienen, ist dieser zwingenden Zuordnung nicht zu
entkommen. Und deshalb ist der Konflikt zwischen den "Welten" unvermeidbar,
wenn man diese Welten, diese, ja auch begrifflich verschiedenen Welten nicht NEBENEINANDER
in FRIEDEN und GELASSENHEIT existieren und einander befruchten
lässt. Ich erinnere mich gerne an
meine diesbezüglichen Diskussionen mit Dr. Ahmad Abdelrahimsai (Gott hab ihn
selig), ob denn der Islam nun eine Ideologie wäre oder eben nicht, die ihn zu
folgender Definition veranlasste: ISLAM ist KEINE IDEOLOGIE sondern basiert auf religiöser, sozialer und wirtschaftlicher Ordnung. Mir gefällt an dieser
Definition so gut, dass sie sich nicht auf eine alternative Definition
einlässt und sagt: "der ISLAM ist …", sondern Abdelrahimsai ließ
sich auf eine definitive, starre Definition – welche letztlich einem
lebendigen, sich stets entwickelnden System NIE passend werden KANN – gar
nicht ein, sondern bestimmte die Ordnung, im weitesten Sinn die Gott gegebene
NATÜRLICHE Ordnung im Universum als kennzeichnendes Merkmal für den ISLAM. Daher sei abschließend zu ISLAM – IDEOLOGIE gesagt: Zu behaupten, der Islam
wäre eine IDEOLOGIE führt in eine Sackgasse. Viel richtiger aus islamischer, muslimischer Sicht
und zielführender ist es, frei nach Zaid Shakir zu sagen: Es gibt die wachsende
Tendenz unter Muslimen und natürlich erst recht unter Nichtmuslimen,
unsere grundlegenden, islamischen
Texte politisch und nicht theologisch zu lesen. Solche Lesarten
verschieben die Betonung unserer Religion vom Jenseits hin zu einer verzerrten
Perspektive auf diese Welt. Die politisierte Lesart unserer Texte kann als Teil einer
wachsenden Tendenz verstanden werden, den Islam auf eine politische Ideologie
zu reduzieren. Die Folgen eben jener Reduktion sind schwerwiegend. Vielleicht
die schlimmste davon ist der Wechsel der Perspektive des Islam vom Geist oder
der Seele und seine Neuausrichtung auf die Welt, wobei das Verständnis
spiritueller Inhalte auf das bloß Materielle reduziert wird. Die Gründe,
warum wir dieser Neuausrichtung Widerstand leisten sollten, werden
deutlicher, wenn wir über das Wesen von Ideologien nachdenken. Der politische
Philosoph, Roger Scruton, definiert eine Ideologie wie folgt: „Jede systematische und allumfassende politische
Lehre, die beansprucht, eine komplette und allgemein anwendbare Theorie vom
Menschen und der Gesellschaft anzubieten. Und daraus ein Programm des
politischen Handelns ableitet.“ Werfen wir noch einen kurzen Blick auf die
Definitionen des Politischen Islam im 20. Jahrhundert, von der deutschen
Bundezentrale für politische Bildung
http://www.bpb.de/publikationen/ZFTQZH,0,Politischer_Islam_im_20_Jahrhundert.html …Im Laufe der Jahrhunderte haben sich in den
Gebieten der islamischen Welt, die teilweise Tausende Kilometer auseinander
liegen, verschiedene Traditionen entwickelt, so dass, bis auf die oben
genannten grundlegenden Gemeinsamkeiten, kaum mehr von einem einheitlichen
Islam die Rede sein konnte. Es ist genau die Akzeptanz oder Ablehnung dieser verschiedenen
Ausprägungsformen des Islam, die einen traditionellen Muslim von einem
Islamisten unterscheidet. So wird ein traditioneller Muslim in Ägypten
den Islam so annehmen, wie er sich in seinem Land über die Jahrhunderte
hinweg entwickelt hat, ein ägyptischer Islamist hingegen nicht. Es ist wohl jedem
denkenden Menschen klar, dass DIESE (und auch die anderen im gleichen Text
verwendete) Formulierungen eher nicht geeignet sind, einen so genannten
"bösen" Islamisten von einem "normalen" Muslim zu
unterscheiden. Viel eher wird hier ein
konservativer, nationaler, um nicht zu sagen nationalistischer Mensch als
"traditioneller, normaler" Muslim bezeichnet – obgleich
Nationalismus gerade kein Merkmal traditionellen Islamverständnisses ist. Und
ein Mensch, welcher die ursprüngliche, lebendige und flexible Kraft des
Islams, welche durch träge Traditionen und Gewohnheiten, territoriale, individuelle
und durch völkische Machtansprüche verdeckt und missbraucht wurde, für sich
wieder zu entdecken wünscht und in – um einen modernen Ausdruck zu gebrauchen
– internationaler Brüderlichkeit wieder zu entwickeln wünscht, wird mehr oder
weniger versteckt oder offen als politischer Islamist (Fundamentalist und
letztlich Terrorist) bezeichnet. Solch einem Verständnis
kann sich ein FREI denkender Mensch, verstehe er sich als Gottergebener
(Muslim) oder den materialistischen Verbindlichkeiten und Beschränkungen
ausgeliefertes menschliches Wesen (Materialist), kaum anschließen. Ist es
doch zu eindeutig, dass mit solchen sprachlichen Verwirrspielen weder ein
klares noch kein Feindbild definiert, sondern die Möglichkeit geschaffen
wird, jedweden politischen Gegner in böses Licht zu stellen. Ich denke, ein ganz
normaler Mensch wird sich solch einer von außen aufgezwungenen Definition
erwehren und sie von sich weisen. Ist dieser normale Mensch
erklärter Muslim … so bleibt es ihm allerdings nicht erspart, als politisch
agierender Islamist bezeichnet zu werden. Als Muslim bleibt mir also zum ideologischen Begriff
"politischer Islam" an dieser Stelle nur mehr zu sagen: Politischer Islam ist im
Grunde also nichts anderes, als das mit diesem Begriff bezeichnete weltliche Handeln eines grundsätzlich
spirituell ausgerichteten Menschen, wobei diesem Handeln seitens
nichtmuslimischer Kritiker des Islams jegliche spirituelle Komponente
abgesprochen wird und ihm nur materialistische, politische Motive zuerkannt
werden. Dem Individuum, als grundsätzlich freies Geschöpf, wird dabei die
Entwicklung jeglichen eigenständigen (spirituellen) Potentials, abseits von traditionellen,
historischen politischen Machtstrukturen, frei gewählte soziale (und somit in
gew. Sinne politische) Wege zu gehen, abgesprochen und verweigert. (Hier sähe eine Kollegin,
Schwester im Islam, welcher ich das Skript zum Kommentar zu lesen gab, eher
lieber folgendes stehen: jeglichen
eigenständigen (spirituellen) Potentials, über traditionelle,
historische und politische Machtstrukturen hinaus aberkannt, die Möglichkeit,
frei gewählte soziale (und somit in gew. Sinne politische) Wege zu gehen, abgesprochen. Ich kann dieses
Verständnis schon teilen, will aber mit "abseits" auf einen unbeachteten Aspekt hinweisen. Und einer
der Brüder schrieb mir zum Thema: "Politischen Islam
gibt es nicht. Denn was andersgläubige oder westliche Menschen als
politischen Islam definieren, ist lediglich das Bestreben eines Muslim bei
der Gestaltung einer Gesellschaft
mitzuwirken und gemäß seinem Verständnis Gutes zu bewirken, sowie Schlechtes
zu verwerfen. Menschliches Zusammenleben, Weltgeist und Gemeinschaftsdenken
waren schon vor der westlichen Definition von Politik Bestandteil
unseres Wesens.") Selbstverständlich (um
nicht zu sagen, "fast
ausschließlich") wird mit politischem Islam auch all jenes
kriegerische oder terroristische Treiben bezeichnet, mit welchem sich
Menschen, welche sich als Muslime sehen, gegen politische, militärische,
religiöse, wirtschaftliche und kulturelle Fremdbestimmung zur Wehr setzten oder ihre persönlichen,
selbstherrlichen Machtgelüste
umzusetzen suchen. Dass dies nicht eine der
Beliebigkeit entsprungene Behauptung ist, lässt sich leicht daraus ableiten,
dass vielleicht nicht jegliche, so doch manch andere kriegerische Handlung
nicht als politisches Christentum
oder politischer Hinduismus, etc.
bezeichnet wird. Ob solch gewaltvolles
Vorgehen im Einzelnen mit der islamischen Lehre zu rechtfertigen ist oder
nicht, spielt hierbei keinerlei weitere Bedeutung. Strategisch wichtig bei
dieser sprachlichen Vereinnahmung ist, den Konnex zwischen Islam, Gewalt und
Terror aufrecht zu erhalten, um letztlich die Religion ganz allgemein, aber
vordergründig den Islam und die Muslime im Speziellen in den Augen der materialistisch,
kapitalistisch ausgerichteten Gesellschaften gesellschaftsunfähig
darzustellen. Zur islamischen Sicht zu
Gewalt und Terror sei in diesem
Zusammenhang allerdings doch noch auf folgende Werke verwiesen: Shaykh Muhammad Afifi al-Akiti - Fatwa gegen Angriffe auf
Zivilisten "orthodoxer sunnitischer Standpunkt" - Amal Press 2005; Übersetzung 8/2006: M.M. Hanel
Übersetzung: M.M. Hanel http://www.islamheute.ch/Gewaltfrage.htm September 2005. Übersetzung M.M. Hanel http://www.islamheute.ch/Isna.htm Hanel, 28.12.09 Für weitere Fragen: m.hanel@gmail.com PS: Zitat: Für einen Islamangehörigen, der den Koran wortwörtlich übernimmt, ihn als ewig gültiges Wort des Allahs auslegt und ihn uninterpretierbar ansieht, ist es quasi nicht möglich, sich in
eine westliche Gesellschaft zu integrieren, die Demokratie zu verinnerlichen, die rechtsstaatlichen
Regelungen und die Herrschaft des
Volkes zu akzeptieren. Eine andere
Interpretation wird nicht geduldet und ist für sie ein Tabu. Zitat
Ende. Erkennt niemand den Schwachsinn oder die
Hintertriebenheit solcher Veröffentlichungen?
|
[1][1] Wörtl., "und Religion Gott [alleine]
gehört" – d.h. bis Gott ohne Angst vor Verfolgung angebetet werden kann
und niemand mehr gezwungen wird, sich in Ehrfurcht vor einem Menschen zu
beugen. (Siehe auch 22:40) Der Ausdruck din
ist in diesem Zusammenhang passender mit "Gottesdienst" übersetzt, da
dieser als solcher hier sowohl die Aspekte der Lehre, wie auch der Moral der Religion beinhaltet: will
heißen, sowohl des Menschen Glauben,
wie auch seine, sich aus dem Glauben
ergebenden Verpflichtungen.
[2][2] [Wörtl.,
"insofern als ihnen Unrecht geschieht". In Verbindung mit dem
Versprechen aus dem vorigen Vers, "Gott
wird alles [Übel] von jenen fernhalten, welche zum Glauben gelangt sind",
spricht dieser Vers die Erlaubnis zum physischen Kampf in Selbstverteidigung
aus. Alle relevanten Überlieferungen (im Besonderen von Tabari und Ibn Kathir
zitiert,) zeigen, dass dies die früheste qur'anische Referenz auf das Problem des
Krieges überhaupt ist. Gemäß Abd Allah ibn Abbas, wurde dies unmittelbar
nach dem Verlassen des Propheten Mekkas nach Medina offenbart, d.h., zu Beginn
des Jahres 1 n.H. Das Prinzip der Selbstverteidigung – und nur
Selbstverteidigung – wurde in Al- Baqarah,
welche ungefähr ein Jahr später offenbart worden war (siehe 2:190-193 und die entsprechende Anmerkung dazu)
dargelegt.
[3][3] Wörtl.,
"wäre es nicht, dass Gott einige Leute durch andere abwehrt (und zurückschlägt)"
(vgl. den gleichen Ausdruck im zweiten Absatz von 2:251). Womit auch gesagt
wird, dass die Verteidigung religiöser Freiheit der wichtigste Grund für das
Erheben der Waffen darstellen mag – ja darstellen muss (siehe 2:193 und die
entsprechende Anmerkung dazu), oder anders, wie in 2:251, "würde
gewisslich Verderben die Erde überkommen".