Lise J. Abid
Februar 2000
Über Probleme und Chancen bei der Integration von Muslimen
in Wien.
http://www.wienerjournal.at/GESELL53.HTM
In Wien ist die religiöse Minderheit der Muslime - wie sich die Anhänger des Islam selbst nennen - zur zweitgrößten Religionsgemeinschaft geworden.
Angesichts ihres nicht-christlichen kulturellen und sozialen Hintergrundes
taucht oft die Frage auf, ob und wie weit sie bereit sind, sich in
unsere
Gesellschaft zu integrieren. Erst in letzter Zeit sind die Muslime
selbst
auf diese Frage eingegangen und setzen nun Schritte zum besseren
gegenseitigen Verständnis. Diese späte Reaktion ist einerseits
dadurch zu
erklären, daß Sprachbarrieren bestanden (und teils noch
bestehen), weshalb
auf muslimischer Seite nur wenige Ansprechpartner zur Verfügung
standen.
Auch mußten die muslimischen Zuwanderer selbst zunächst
ihr christlich
geprägtes Umfeld kennen lernen. Andererseits wird der Islam als
nicht-abendländische Kultur oft als Feindbild betrachtet. All
dies hat auf
beiden Seiten zu Vorurteilen und Mißverständnissen geführt
- doch auch
Bestrebungen, zu einem besseren gegenseitigen Verständnis zu gelangen,
haben
in Wien Tradition.
Beispielsweise dient das Afro-Asiatische Institut seit seiner Gründung
Ende
der 50er Jahre als Zentrum des Dialogs zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen.
Eine der Hauptaufgaben war der interkulturelle Erfahrungsaustausch,
der
unbelastet von den damals vorherrschenden Ideologien stattfinden sollte.
Das
Institut beherbergt bis heute Andachtsräume für verschiedene
Religionen,
darunter einen kleinen islamischen Gebetsraum.
Moschee im Lagerraum
In den folgenden Jahrzehnten war Kardinal König in die Bemühungen
um einen
Dialog involviert. Einer seiner wichtigsten Gesprächspartner war
Dr. Smail
Balic, ein bosnisch-muslimischer Intellektueller, der in seinen Büchern
und
Schriften einen »islamischen Humanismus« vertritt.
Schon in der Zwischenkriegszeit lebten in Wien viele Bosnier, die nach
dem
Ende der Donau-Monarchie hier ihre Bleibe gefunden hatten. Die Integration
fiel diesen Menschen nicht besonders schwer, da sie kulturell flexibel
und
meist beruflich spezialisiert waren. Bosnische Gastarbeiter erwarben
in den
siebziger Jahren im 6. Wiener Gemeindebezirk einen kleinen Lagerraum
und
richteten ihn als Gebetsraum ein. Als Mitte der 90er Jahre zahlreiche
Flüchtlinge aus Bosnien eintrafen, diente diese kleine Moschee
mehr als 2000
Flüchtlingen als Erstunterkunft mit Verpflegung.
Voraussetzung für die Errichtung muslimischer Gebetsstätten
(ohne
öffentliche Förderung) war die Anerkennung der Islamischen
Glaubensgemeinschaft im Jahre 1979. Für den Bau der Wiener Moschee
am
Hubertusdamm kaufte die islamische Religionsgemeinde Anfang der 70er
Jahre
von der Stadt Wien ein Grundstück. 1979 wurde das Gebetshaus,
zu dem auch
Bibliothek und Vortragssaal gehören, eröffnet. Dieses Bauwerk
ist das
einzige in ganz Österreich, welches die architektonischen Merkmale
einer
Moschee zeigt.
Die Glaubensgemeinschaft ist auch für die Organisation des islamischen
Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen zuständig. Derzeit
werden in
ganz Österreich etwa 30.000 muslimische Kinder von über 200
Religionslehrern
und -lehrerinnen betreut. Um die Qualität des Unterrichts vor
allem in
pädagogischer Hinsicht zu verbessern, wurde vor knapp zwei Jahren
die
Islamische Religionspädagogische Akademie in Wien gegründet.
Sie schließt
mit der Lehramtsprüfung für den Religionsunterricht an Pflichtschulen
ab. In
den religiösen Fächern unterrichten Professoren der Kairoer
Al-Azhar
Universität. Diese ist eine der bekanntesten und traditionsreichsten
Lehrstätten des Islam, die eine gemäßigte Richtung
vertritt.
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Ein Teil der Skyline von Wien: die Moschee am Hubertusdamm
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Integration statt Assimilation
Das Projekt kam nicht zuletzt durch den Einsatz von Anas Schakfeh, dem
geschäftsführenden Vorsitzenden der Islamischen Glaubensgemeinschaft,
zustande. Prof. Schakfeh hat selbst Erfahrung im Religionsunterricht
an
Gymnasien in Wien und ist mit den Problemen der muslimischen Jugendlichen
vertraut. »Ich befürworte die Integration der Muslime, wünsche
mir aber
keine Assimilation«, sagt er, der aus Syrien stammt und seit
den 60er Jahren
mit seiner Familie in Wien lebt.
In den letzten Jahren hat sich eine gute Gesprächsbasis sowohl
zwischen der
katholischen wie auch der evangelischen Kirche und den Muslimen entwickelt.
Kontakte gab es auch zwischen muslimischen Frauen und dem »Österreichischen
Frauenforum feministische Theologie«.
In letzter Zeit haben die muslimischen Frauen durch eigenständige
Initiativen auf sich aufmerksam gemacht. Das mag überraschend
klingen, wenn
man das Bild der verhüllten muslimischen Frau vor Augen hat -
doch der Islam
ist keineswegs so frauenfeindlich, wie es den Anschein hat. Das Kopftuch
ist
kein Zeichen der Unterwürfigkeit der Frau; der Zweck der islamischen
Kleidung ist, daß die Schönheit der Frau niemand anderem
als ihrem Ehemann
(und nahen Verwandten) ins Auge fallen soll. In anderen Bereichen,
wie
Eigentum, Bildung, gesellschaftlichen Aktivitäten und Berufstätigkeit
schränkt der Islam die Frau viel weniger ein, als häufig
angenommen wird.
Allerdings gibt es Frauen, die seit 15 Jahren in Österreich leben
und nur
wenig Deutsch sprechen. Gerade diese werden von Kritikern als »Opfer
islamischer Unterdrückung« geortet. Doch meist spielt dabei
der soziale
Hintergrund des ländlichen Milieus und vor allem fehlende Bildung
eine
größere Rolle als die Religion.
Gebildet heißt nicht säkularisiert
Andererseits gibt es Gastarbeiter-Familien, die streng »islamisch«
leben,
aber ihren Töchtern ein Studium ermöglichen. In diesen Fällen
fördert das
Elternhaus sowohl die religiöse wie auch die fachliche Bildung
der Mädchen
(meist Ärztinnen, medizinische Berufe, (Religions-)Lehrerinnen,
aber auch
technische Berufe). Die fachliche Bildung allein führt aber nicht
zwangsläufig zu einem säkularen Weltbild und einer westlichen
Lebensweise.
Es darf nicht verschwiegen werden, daß es unter den muslimischen
Frauen auch
Problemfälle gibt. Ehestreitigkeiten werden häufiger öffentlich
ausgetragen
als dies früher der Fall war, deshalb kann der Eindruck entstehen,
daß sich
in den letzten Jahren die Probleme häufen. Familiäre Probleme
gab es aber
immer (und überall), jedoch nehmen heute muslimische Frauen ihre
rechtlichen
Möglichkeiten bewußter und stärker wahr als früher.
Gleiches gilt auch für
die Einforderung islamischer Frauenrechte, auf die sich immer mehr
Frauen
auch in der islamischen Welt berufen. Längerfristig wird dies
auch einen
Lernprozeß bei den Männern bewirken und es gibt positive
Anzeichen dafür,
daß dieser Lernprozeß bereits im Gange ist.
In dieser Situation kann man unter den muslimischen Frauen zwei Hauptgruppen
unterscheiden: jene, die westliche Frauenrechte für sich fordern
und zum
Teil verwirklichen, und jene, die das Gleiche (oder Gleichwertige)
durch
islamische Frauenrechte erreichen wollen. Das hat auch Auswirkungen
auf die
Integration - vor allem dann, wenn es den europäischen
Geschlechtsgenossinnen an Verständnis und Wissen zum Thema Frau
im Islam
mangelt. Musliminnen, die oft sehr selbstbewußt sind, wollen
- wie eine
Studentin sagte - »nicht nur danach beurteilt werden, ob sie
ein Kopftuch
tragen oder nicht, sondern nach dem, was sie im Kopf haben.«
Auch der Wiener Integrationsfonds ist aktiv geworden, um sich der besonderen
Probleme muslimischer Frauen anzunehmen. Dr. Ursula Eltayeb, die das
Büro
des Integrationsfonds in Wien 10 leitet, bezieht sich auf den Auftrag,
zu
einem besseren Zusammenleben beizutragen, ungeachtet von Herkunft,
Geschlecht oder Religion. Eine der Bedingungen dafür - die durchaus
nicht
immer erfüllt werde - sei die Gleichbehandlung: »Wir stoßen
immer wieder auf
Fälle von Diskriminierung, die vor allem Kopftuch-tragende muslimische
Frauen betrifft«, berichtet sie.
Probleme auf dem Arbeitsmarkt
Bei der Arbeitssuche sind Probleme vorprogrammiert, da das Kopftuch
kaum ein
Arbeitgeber akzeptiert. Weder eine gute Ausbildung, noch die Bereitschaft,
anspruchslose Jobs zu verrichten, scheinen daran etwas zu ändern.
Dabei
könnte man meinen, daß z.B. eine Regalbetreuerin mit Kopftuch
kein Problem
in einem Supermarkt sein sollte, wo doch nicht wenige Kundinnen beim
Einkauf
ebenfalls ein solches tragen. Immerhin geben Bundesbetriebe, die Post
oder
der Magistrat auch Frauen mit Kopftuch eine Beschäftigung - meist
in
unauffälliger Position.
»An den von uns organisierten Treffen nahmen zunächst Frauen
teil, die
einfach ihren õFrustã loswerden wollten, die wegen ihrer
Kleidung
Beschimpfungen und Belästigungen, z.B. in öffentlichen Verkehrsmitteln,
ausgesetzt waren«, erzählt Dr. Ursula Eltayeb. In den Gesprächen
kam auch
zum Ausdruck, daß assimilierte, bewußt nicht praktizierende
Muslime zwar
zahlreiche kulturelle Barrieren zu ihrer Umgebung abgebaut haben, aber
dennoch »Ausländer« bleiben. - Bald kamen jedoch Ideen
zu konkreten
Projekten, um den Integrationsprozess zu fördern. Dazu gehört
auch eine
Informationsbroschüre für Volksschulklassen, die helfen soll,
Vorurteile
unter den Kindern abzubauen.
Mittlerweile ist im Rahmen des Wiener Integrationsfonds eine »Initiative
für
mehr gegenseitiges Verständnis und Toleranz« entstanden,
der auch
österreichische KonvertitInnen angehören. Bei den etwa 8000
ÖsterreicherInnen, die zum Islam konvertiert sind, kann man nicht
von
Integration sprechen - sie spielen jedoch eine nicht unbedeutende
Mittler-Rolle.
Kinder und Jugendliche aus muslimischen Zuwandererfamilien haben
Identitätsprobleme, die man jedoch nicht überbewerten sollte.
Positiv ist
nach Aussagen von Schulpsychologen zu vermerken, daß sie meist
aus intakten
Familienverhältnissen kommen.
Muslimische Familien vertreten bezüglich der schulischen Integration
ihrer
Kinder sehr unterschiedliche Positionen. Es gibt fließende Übergänge
zwischen jenen, die mit der Teilnahme an christlichen Festen, aber
auch an
Schul- und Sportveranstaltungen (Schikurs, Sportwoche) einverstanden
sind,
und anderen, die Bedenken wegen der Einhaltung der islamischen Speisegebote,
aber auch wegen Kontakten zwischen Burschen und Mädchen haben
- vor allem in
höheren Klassen. Manche der Kinder oder Jugendlichen sind daher
eher
isoliert und schließen kaum Freundschaften. Allerdings liegt
es nicht nur an
den muslimischen Familien, ob ihre Kinder erfolgreich schulisch integriert
werden können. Zum Teil hat in den letzten Jahren unter Wiener
Schulkindern
eine aggressive Ausdrucksweise zugenommen, die ausländische Kinder
wegen
ihres Aussehens stigmatisiert und ausgrenzt. Wenn die Schule als
gesellschaftsbildende Instanz wirksam werden soll, müssten hier
Erziehungsmaßnahmen greifen.
Selbstbild und Klischee
Ein Anknüpfungspunkt könnten die Feste anderer Religionen
und Kulturen sein;
bisher werden diese in Kindergärten und Schulen praktisch nicht
thematisiert, höchstens in Ausnahmefällen. Alle Kinder werden
einheitlich in
unser festliches Geschehen mit einbezogen.
Ein weiterer Punkt ist, daß die Darstellung des Islam in den
österreichischen (und europäischen) Schulbüchern lange
Zeit von Klischees
überlagert war, was erst relativ spät kritisch unter die
Lupe genommen
wurde. 1995 gab Prof. Susanne Heine das Buch »Islam zwischen
Selbstbild und
Klischee - eine Religion im österreichischen Schulbuch«
heraus. Darin
hinterfragt sie wertende Aussagen und ihre psychologischen Auswirkungen.
Die
Wissensvermittlung über die jeweils andere Religion sollte jedoch
nicht auf
Islam und Christentum beschränkt bleiben; ein Erfahrungsaustausch
zwischen
allen anerkannten Religionen wäre von Vorteil.
Im letzten Jahr wurde im 15. Wiener Gemeindebezirk ein privates islamisches
Gymnasium eröffnet. Diese Schule folgt dem österreichischen
Lehrplan und hat
größtenteils österreichische Lehrkräfte, die keine
Muslime sind. Die Klassen
sind gemischt, nur beim Sportunterricht sind Buben und Mädchen
getrennt, wie
es auch an öffentlichen Schulen der Fall ist. Jene Mädchen,
die ein Kopftuch
tragen, tun es freiwillig, wird betont. Der Direktor, Mag. Ludwig Sommer,
erklärt, daß die Idee dieser Schule nicht für, sondern
gegen
eine »Ghetto-Bildung« wirken soll. Durch den Zugang zu
höherer Bildung soll
den Kindern aus muslimischen Familien, die ihre religiöse Tradition
weiterhin pflegen wollen, die spätere Integration und der Weg
in den Beruf
erleichtert werden.
Direktor Sommer verweist auf die geistesgeschichtlichen Unterschiede,
aber auch auf die Berührungspunkte zwischen europäischem »Abendland«
und
muslimischem »Morgenland«: der Islam hat in seiner geistigen
und
sozio-politischen Geschichte einen lebhaften und fruchtbaren Pluralismus
aufzuweisen. Vielleicht besteht gerade durch die in Westeuropa lebenden
Muslime die Chance, das historisch-philosophische Erbe des Islam als
eine
dynamische Kraft zu begreifen. Dieses könnte im Zuge von Dialog
und
Migration, deren Rückwirkung und der durch sie ausgelösten
Interaktion die
Muslime zu Partnern in einer künftigen Weltgesellschaft machen.
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Lise J. Abid ist Journalistin und Wissenschafterin in Wien.