Interview mit dem Präsidenten der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, Prof. Anas SCHAKFEH
Anlaß: Syposiums „ISLAM & EUROPA“ in WIEN vom 12.-14. Mai 2000

Sehr geehrter Herr Präsident!
Der Islam ist, wenn man so sagen darf, eine relativ junge Religion in Europa – welche Beiträge können vom Islam kommen, um Europa zu bereichern?
Viele glauben, der Islam sei etwas völlig europafremdes. Dieses Symposium, unter dem Thema „ISLAM und EUROPA“ schlägt ein neues Kapitel auf; welche Rolle wird der Islam in Österreich, in Europa ausüben?

Der Islam ist eine ziemlich „neue“ Religion in Westeuropa, wohingegen in Ost- und Südeuropa der Islam schon längst beheimatet ist. Aber auch in Westeuropa hat der Islam eine lange Tradition. Denken Sie an Spanien, Portugal, Südfrankreich, .. aber gut – jetzt kann man von einer „neuen“ Religion sprechen.
Der Islam hat sich nun seit einigen Jahrzehnten in Europa etabliert. Man schätzt die Zahl der Muslime auf etwa 18 bis 20 Millionen. Das sind Bürger von westeuropäischen Staaten.
In erster Linie will das Symposium die Stellung der Muslime in Europa darlegen und die Selbstverständlich-keiten dieser Minderheiten in Europa näher definieren.
Tatsächlich haben wir als Minderheiten uns noch sehr intensiv mit uns selbst zu beschäftigen und dann in nächster Zeit werden wir dann bereit sein, in unseren Gesellschaften wirksam zu sein und diese zu bereichern.
Ich glaube, der Islam als eine ziemlich alte Religion, als alte Kulturreligion hat ziemlich viel zu geben. Z.B. wir können sagen, wir können ohne Stolz von uns behaupten, daß wir noch Hüter mancher Werte sind, welche schon ziemlich in Vergessenheit geraten sind, wo wir wahrscheinlich mit unserer Schwesterreligion, der Christenheit in ihren verschiedenen Schattierungen, gemeinsame Werte haben, die jetzt in Westeuropa weniger bedeutend geworden sind, wie z.B. die Werte der Familie, der Ehe. Bei uns sind diese Werte noch sehr lebendig und durch das Wirken der islamischen Gemeinschaften können diese Werte wieder neu entdeckt werden.

Ist es nicht so, daß die Menschen welche aus den islamischen Ländern hierher kommen, in erster Generation und dann in zweiter Generation bedroht sind, diese Werte selbst zu verlieren? Daß der Assimilationsdruck zu stark wird?

Das ist richtig, dieser Gedanke ist uns auch nicht fremd. Wir verlieren auch Substanz, das ist sicher, nur – wir glauben, wenn wir das Thema intellektuell, sagen wir – auch vernünftig behandeln, dann können wir erstens viel von unserer Substanz erhalten und schützen und gleichzeitig, wenn wir die Infrastrukturen für unsere Religion in Europa aufgebaut haben, können wir so in der Gesellschaft wirken, daß diese Werte nicht verloren gehen, sondern, wie gesagt, neu entdeckt werden.

Der Islam ist eine Religion, die eine Einheit darstellt, der Imam ist geistiger und politischer Führer – in Europa ist diese Trennung durch die Aufklärung vollzogen worden. Fehlt dem Islam die Aufklärung?

Nein, die Aufklärung fehlt dem Islam nicht. Ich meine, wie Sie richtig gesagt haben, der Islam sollte theoretisch den Menschen als eine Einheit sehen und betreuen. Allerdings hat sich gezeigt, daß in den sogenannt islamischen Ländern diese Trennung zwischen religiösen und staatlichen Angelegenheiten schon längst eine Realität ist. In Europa, als Minderheiten können wir von vornherein feststellen und auch betonen, daß die hier praktizierte Trennung für uns nicht nur auch akzeptabel, sondern förderlich ist. Denn hätten wir diese Trennung nicht gehabt, hätten wir hier eine Staatskirche und wären wir unter Umständen eine sekundäre oder tertiäre Religionsgesellschaft. Aber aufgrund der vorhandenen Trennung sind wir mit den anderen Religionen und Kirchen gleichgestellt. Selbstverständlich stellen wir die Rolle der jeweils herrschenden Kirche in einem europäischen Land nicht in Frage. z.B. in Österreich die Katholische Kirche. Ich glaube, das ist nicht eine Geste der Freundlichkeit, sondern geschieht vielmehr aus dem historischen Verständnis, daß die kulturelle und religiöse Prägung eines Landes eine Sache ist, welche langsam wächst und sich im Laufe der Jahrhunderte verankert. Diese vorhandene Prägung wollen wir auch gar nicht in Frage stellen. Somit kann ich der Katholischen Kirche in Österreich die Stellung eines, sagen wir „Primus inter Pares“ durchaus zusprechen. Das beeinträchtigt in keiner Weise die rechtliche Gleichstellung in der Gesellschaft.

Trotzdem gibt es sehr viele Vorurteile, unter anderem, daß die Muslime in einer vorwiegend christlich geprägten Gesellschaft ein fremdes Element sind. Es gibt ohnehin eine relativ starke Ausländerfeindlichkeit. Viele Ihrer Leute werden abgelehnt, weil Frauen Kopftuch tragen, oder weil Männer Bärte haben und so... das schreckt viele Leute. Warum ist das so und was kann man dagegen tun?

Das verstehen wir auch. Ich meine, alles was neu ist, wirkt befremdend und wird zum Teil abgelehnt. Das gilt auch für uns. Aber wir tun etwas dagegen, aber nicht indem wir uns beschweren, sondern indem wir mit den Menschen reden, indem wir den Dialog pflegen, den Menschen erklären, was wir sind, was wir wollen. Wir wollen diese Gesellschaften jetzt einander nicht wirklich entfremden, wir wollen die Kultur, die herrschende Kultur nicht „auf den Kopf“ stellen. Das wollen wir alles nicht. Was wir wollen ist, daß wir uns in den jeweiligen Gesellschaften integrieren, aber auch m- und hier betone ich – unter Beibehaltung der religiösen und kulturellen Merkmale. Diese religiösen und kulturellen Merkmale sind uns wichtig. Wir wollen uns nicht auflösen – wir wollen uns aber integrieren.

Europa, Amerika das ist die Kultur von Madonna, von Hamburger, von irgendwelchen esoterischen Religionen, da haben die traditionellen Religionen keinen Platz hört und spürt man immer wieder. Ist diese Amerikanisierung für den Islam kein Problem?

Ich würde nicht die Wahrheit sagen, wenn ich sage, „das ist für uns kein Problem“. Nein, wir sehen diesen Problemen ins Auge, wir ignorieren sie nicht. Dies ist ein Problem, aber nicht ein so riesiges, daß wir sagten, dieses Problem sei nicht lösbar. Wir glauben, daß diese Dinge, Madonna oder was immer, sind Erscheinungen der Zeit. Das sind Phänomene, welche nicht von langem Dauer sind, sie vergehen, während wir Religionen, die sogenannten „alten" Religionen zwar uralt sind aber immer noch lebendig und Millionen und zig- Millionen bekennen sich zu diesen Religionen und erwarten von ihren Religionen, daß sie Antworten auf die Fragen der Zeit geben. Und wenn die Religionen imstande sind, Antworten auf die Fragen der Zeit richtig zu geben, vernünftig zu geben, dann werden die Religionen auch in den nächsten Jahrhunderten vorhanden sein, wenn diese Zeiterscheinungen schon längst vorbei und vergessen sind.

Wo gibt es denn Anknüpfungspunkte zwischen dem Islam und Europa? Es sind ja doch sehr unterschiedliche Kulturen, mit sehr unterschiedlichen Gewohnheiten. Die Menschen sind wirklich ganz anders. Ich möchte jetzt keine Absichtserklärung von Ihnen, aber wenn Sie jetzt sagen, wo soll man sich denn da näher kommen, jeder ist, bleibt doch er selbst?

Sicherlich – und jeder soll auch er selbst bleiben. Nur, wir glauben nicht, daß diese zwei Kulturen wirklich grundverschieden sind. Vordergründig scheint es so, aber in der Tat, diese zwei Kulturen, besser gesagt zwei Religionen haben ursprüngliche Gemeinsamkeiten und diese ursprünglichen Gemeinsamkeiten müssen entdeckt werden, neu entdeckt werden. Durch den Dialog, das Gespräch können wir das, aber auch wenn wir von der griechischen, hellenistischen Kultur sprechen, die auch eine Grundlage für die europäische Kultur ist, dann muß man auch sagen – das haben wir auch heute bei der Eröffnung des Symposiums gehört – daß diese hellenistische Kultur uns Muslimen nicht fremd ist, weil wir waren die Vermittler dieser hellenistischen Kultur. Wir haben diese Kultur, diese Philosophie nach Europa gebracht. Das heißt, wir sind damit vertraut und wir müssen einiges sicherlich an Ballast aufgeben und wir haben hier in Europa in letzter Zeit einiges aufgenommen, was nicht substantiell, nicht grundsätzlich ist – aber dies wird auch vergehen – und wir werden uns bei gemeinsamen Werten treffen. Wir wollen keine – sagen wir – „pseudoeuropäische Christen“ werden und wir verlangen von den Europäern nicht, daß sie jetzt den Islam annehmen. Aber wir wollen daß die Muslime und die Christen ihre Werte, gemeinsamen Werte jetzt sich vor Augen halten, darüber reden, Wege der Verständigung, der Zusammenarbeit finden – und das wird nicht schwer sein.

Was ist das größte Problem Ihrer Gemeinschaft hier in Österreich?

Das größte Problem unserer Gemeinschaft hier in Österreich – ich nenne zwei.
Erstens, daß wir neu sind und wir haben noch nicht die Infrastrukturen, die das Gemeindeleben irgendwie in Ordnung bringen. Das ist etwas, was wir nachholen müssen und das braucht Mittel, welche wir noch nicht zu Verfügung haben. Das ist das erste.
Das zweite Problem ist, daß wir jetzt in unseren Kreisen das neue Verständnis auch einprägen müssen, daß nicht der Staat für die Religion zuständig ist, sondern die eigene Religionsgesellschaft, die eigene „Kirche“ und das braucht mehr Anstrengung, damit wir das religiöse Leben gemeinsam pflegen können, ohne Bevormundung des Staates.

Noch eine andere Frage. Wenn sich die Muslime immer wieder vereinigen, zum Beten in eigenen Häusern, in welchen es auch ein eigenes soziales Leben gibt; man kauft dort islamische Lebensmittel ein usw. bis hin zum Friseursalon – heißt dann Islam für die Menschen dann nicht „Bewahrung der Herkunft“ und Angst vor der „Neuen Welt“?

Das kann so interpretiert werden, für die erste Generation von „Gastarbeitern“, die nach Österreich, nach Deutschland kamen. Sie kamen nicht von großen Städten in der „islamischen Welt“, nicht von Metropolen, sondern vom Land. Also sie waren ein einfaches Leben, sagen wir, schlichtes Leben gewohnt und wußten wenig von der Welt. Und deswegen, bis sie sich an das neue Leben gewöhnt haben, an die neue Gesellschaft, die neue Umgebung, das brauchte Zeit und deswegen brauchen sie einander in dieser Zeit als Stärkung in der jeweiligen Situation. Sie trösten sich sozusagen in der Fremde. Aber das wird nicht die Zukunft sein. Die Zukunft gehört den neuen jungen Generationen und die zweite, dritte Generation ist schon da und für sie wird das Leben anders laufen.

Noch eine Frage: Was ist denn das Trennende? Was man auch bewahren sollte?

Gut, das Trennende, ich meine, ich kann in Fachsymposien und Fachdialogs- und diskussionsrunden über auch trennende Grundsätze und solche trennende Elemente auch sprechen. Dies jedoch nicht für die große Öffentlichkeit, denn wir wollen zuerst das Einende in den Vordergrund stellen. Sicherlich, jede Religion, der Islam, das Christentum und das Judentum und jede andere Religion, hat unverzichtbare und unaufgebbare Grundsätze, die wir alle beibehalten wollen – und das unter Umständen trennt uns – und das ist nicht schlecht. Sonst haben wir einen Spagat von einer sogenannten „Einheitsreligion“, die niemand haben will. Nein – das Grundsätzliche muß bleiben und kann unter Umständen auch trennen und das ist auch nicht schlecht. Wir wollen eine „multikulturelle“ Gesellschaft, wir wollen Pluralismus in der Gesellschaft und nicht eine monolitische Gesellschaft, die für niemanden gut oder förderlich ist. Wir sind nicht die Apostel solcher monolitischer oder monokultureller Gesellschaft.

Warum gibt es diese Vorurteile in der österreichischen Gesellschaft gegenüber dem Islam? Woher kommt das? Kommt das noch aus der Türkenzeit oder – woher kommt das?

Ja, das ist richtig. Es gibt Vorurteile und diese Vorurteile sind nicht von gestern. Wir haben eine lange gemeinsame Geschichte und diese lange gemeinsame Geschichte war nicht immer eine friedliche. Es gab Konfrontationen, es gab Kriege, es gab natürlich Propaganda und Gegenpropaganda und bis vor kurzem hat man noch gedacht, na ja gut, es muß einfach einen Feind geben – und gut – wir haben einen gemeinsamen historischen Feind. Aber ich hoffe, daß diese Zeiten vorbei sind. Jetzt sprechen wir alle vom Frieden, von einer globalen Welt, die klein geworden ist und niemand kann sich Konfrontation mehr leisten, Konfrontation im Sinne der Menschen auf der Straße, im Sinne zwischen den Staaten der Welt, im Sinne zwischen den Religionen. Wir müssen miteinander reden, um solche Vorurteile zuerst zu erkennen, zu analysieren und auch richtig stellen. Denn wir wollen nicht mehr Propaganda und Gegenpropaganda betreiben, sondern Aufklärung und Information.

Danke vielmals.

Vielen Dank.