Podiumsgespräch am 8. Mai 2000
Schlussbetrachtung von Murat Aslanoglu
Nach dieser vielfältigen Gesprächsrunde darf ich Ihnen noch einige Worte mit nach Hause geben:
„I love you“
Haben Sie diese e-mail letzte Woche auch erhalten? Ich schon. Sie kam mir gleich ein wenig verdächtig vor. Eigentlich wollte ich die e-mail gar nicht öffnen. Aber Sie wissen ja wie das ist. Man ist neugierig, man will alles ganz genau wissen. So habe ich einige Sicherheitsvorkehrungen getroffen bevor ich sie geöffnet habe. Ein Mausklick – und innerhalb weniger Sekunden war mein PC infiziert. Kurz danach habe ich erfahren, dass auch das gesamte Netz in unserem Büro lahm gelegt wurde. So kann’s gehen. Am Abend auf der Heimfahrt habe ich dann im Radio gehört, dass dieser Virus auch viele andere Leute erwischt hat - bis hin zum Pentagon. Schaden in Milliarden-Höhe. Kein Wunder, die ganze Welt ist mittlerweile miteinander vernetzt. Entfernungen, die einst unüberbrückbar waren, Kontinente, die bis vor kurzem nur per Flugzeug erreicht werden konnten, sind heute also nur noch einen „Mausklick“ voneinander entfernt.
Ich vergleiche dieses menschliche Netzwerk mit dem Netz der Spinne. Wie viel Arbeit steckt die Spinne hinein, um ihr feingliedriges und scheinbar perfektes Netz zu stricken? Doch wie leicht kann es zerstört werden? Und wie das Netz der Spinne verletzlich ist, so zerbrechlich sind auch die Werke und Netze des Menschen. Auch wenn der Mensch meint, er wüsste bereits alles und wäre unverwundbar – eine einzige Sekunde, ein einziger Mausklick kann schon das Ende bedeuten.
Informationen überfluten die ganze Welt – über das Internet, im Briefkasten, den Fernseher, das Radio. Und wir alle stecken mittendrin. Nicht wenige Menschen sitzen vor ihrem Bildschirm, an ihrem Schreibtisch, in ihrem Zimmer – natürlich ganz alleine. Sie versenden schriftliche Botschaften per e-mail. Und wenn jemand keinen PC hat, dann verschickt er zumindest eine SMS-Nachricht über das Handy.
Die Kommunikation unter den Menschen stumpft ab. Viele leben zurückgezogen. Es bleibt wenig Zeit für echte Gefühle. Bei dieser unüberschaubaren Masse von Informationen und der rasanten Geschwindigkeit fehlt den Menschen die Orientierung. Umso anfälliger ist man dann für vermeintliche I love you-Botschaften aus dem Internet.
Einst wichtige Werte wie Familie, gemeinsame Beratung oder Wahrheitsliebe
mussten dem Geld, Positionsstreben oder Eigennutz weichen. Langfristige
Bestrebungen werden ersetzt durch kurzfristigen Profit und Konsum. Oft
scheint es mir so, als hätten manche einfach ihr Gehirn abgeschaltet.
Alles muss schnell gehen – Zeit ist Geld!
Die europäische Wirtschaft ist längst globalisiert. Täglich
gibt es neue Fusionen und Kooperationen. Die Finanzwelt rückt näher
zueinander. Die Börsen von Frankfurt und London schließen sich
zusammen. Sogar Menschen, die wenig davon verstehen, haben angefangen mit
Aktien zu spekulieren. Die gemeinsame Währung in Europa ist bald Realität.
Auch der Sport und die Musik sind kommerzialisiert und internationalisiert.
Die Politik zieht nach.
Und was machen die Menschen? In der Tat - räumlich kommt man sich näher. Europa ist der am dichtesten besiedelte Kontinent auf der Erde. Viele Menschen sind in den letzten Jahrzehnten hierher gezogen und werden es auch weiterhin tun. Alle diese Menschen bringen ihre eigene Religion, ihre Kultur, ihre Sprache mit. Die Vielfalt der Menschen auf der Erde spiegelt sich nun auch in Europa wieder.
Das Zusammenkommen der Wirtschaft und Politik wird als Bereicherung empfunden. Das Zusammenkommen der Religionen und Kulturen hingegen wird als Bedrohung empfunden.
Großkonzerne operieren in der ganzen Welt weil sie erkannt haben, dass ihre Existenz nur dann gesichert ist, wenn sie sich auch weltweit annähern. Die Mitarbeiter besuchen interkulturelle Seminare und nehmen an Austauschprogrammen teil. Briten lernen etwas darüber wie sich Spanier oder Portugiesen verhalten, schwedische Geschäftsleute erfahren einiges über die Gewohnheiten von Menschen aus Deutschland oder Frankreich. Man versucht sich gegenseitig kennen zu lernen, um im Guten miteinander reden zu können. Die jeweiligen Verhaltensweisen der Anderen werden dabei nicht bewertet oder gar verurteilt. Die Kenntnis darüber macht es schlicht einfacher, miteinander ins Geschäft zu kommen. Die Manager in der Wirtschaft haben es verstanden – der interkulturelle Austausch dient den Zielen ihres Unternehmens.
Doch haben wir aber auch den Zweck des Austausches der Religionen verstanden? Offensichtlich noch nicht genug, denn sonst würde viel mehr Dialog stattfinden als es heute der Fall ist. Der Zweck des Austausches der Religionen ist der Friede auf Erden. Das Ziel des Friedens in der Welt und in Europa ist uns allen hier Anwesenden sicher sehr wichtig.
Den Frieden erreicht man aber nicht zuerst in der großen Politik,
sondern im eigenen Umfeld, in der eigenen Nachbarschaft. Bevor es Frieden
in der Welt gibt, muss er in Europa vorhanden sein. Bevor Frieden in Europa
existiert, muss er in Deutschland, in Baden-Württemberg, in Stuttgart
vorgelebt werden. Deswegen haben wir als Christlich-Islamische Gesellschaft
– Region Stuttgart das heutige Gespräch gesucht und realisiert. Und
deswegen bereiten wir ein großes Abrahamsfest am letzen Oktober-Wochenende
in Filderstadt vor, zu dem Sie ebenfalls eingeladen sind. Wir freuen uns
sehr, dass Sie verehrte Gäste im Publikum, sich uns heute Abend angeschlossen
haben. Wir freuen uns auch sehr, dass wir zu uns ans Podium Gäste
aus nah und fern gekommen sind. Ihnen allen danken wir und möchten
Ihnen als Erinnerung an den heutigen Abend ein kleines Geschenk überreichen.
Lieber Muhammed, geehrter Bruder,
ich schreibe Dir, um Dich noch einmal zu Deiner Rede zu beglückwünschen
und zu danken. Gestern Abend hatte ich noch das Vergnügen mit einem
Freunde zu sprechen, der eigentlich dem Thema "Islam" -wie überhaupt
Glauben- bisher eher verschlossen war, der aber gemeint hat, Dein Vortrag
habe ihn doch stark beeindruckt und bewegt.
Deine klare Auslegung hin zur Ablehnung eines religiösen Monopols
ohne Preisgabe eines religiösen Standpunktes war schlicht, überzeugend
und ließ einen Strahl jener Wahrheit erkennen, die Gott der Allmächtige
den Menschen in ihr Herz schenkt.
Ich wünsche mir -so Gott es erlaubt- Dich einst wiedersehen zu
können, auch ist es mein Traum, Dich z.B. anhand unseres Abrahamsfestes
im Oktober noch einmal vor den -dann wahrscheinlich auch ganz überwiegend
jungen- Menschen sprechen zu lassen; denn Herzen zu öffnen ist, so
denke, unsere Aufgabe, die über das gedeihliche Zusammenleben und
gemeinsame Wachsen der Religionen in Europa entscheiden wird.
Ich wünsche Dir von Herzen alles Gute,
Gott segne Dich und die Deinen
Dein
Michael
PS: Diese EMail-Adresse ist meine persönliche - es wäre mir
eine Ehre, wenn Du sie benutzen möchtest.