Es
ist mir eine Freude und eine Ehre, dass ich anlässlich der Verleihung
der Solidaritätspreise dieses Jahres im Steinernen Saal des Landhauses
in Linz einen Beitrag leisten darf.
Das
hat
zwei Gründe:
Erstens
freue ich mich, weil das hier, eher symbolisch gemeint, immer noch Heimatboden
ist. Auch wenn ich seit Jahrzehnten in Wien lebe, auch wenn es mich inzwischen
weit in der Welt herumgetragen hat und ich erkennen durfte, dass ich mich
überall dort zu Hause fühle, wo Menschen als Kinder Gottes solidarisch
miteinander leben, so bleibt doch der Wurzelgrund dieses Landes Oberösterreich
und dieser Diözese wichtig für mein Leben.
Zweitens
freue ich mich, dass die Linzer Kirchenzeitung den Begriff SOLIDARITÄT
vor den von ihr gestifteten Preis gesetzt hat. – Denn darum geht es! –
In einer Zeit, in der es ein wirtschaftliches und politisches System darauf
angelegt hat, Menschen zu isolieren, in die Geiselhaft von Konkurrenzdenken
zu treiben, den einen gegen die andere auszuspielen, den Stärkeren
gegen die Schwächere und so einer Art Neodarwinismus zu huldigen;
in einer Zeit, in der nur noch Geld und Geldwert die Gesellschaften zu
bestimmen scheinen, ist es hoch an der Zeit, ja ein Gebot der Stunde, jenen
Menschen und Gruppen Mut zu machen, die sich der Solidarität mit den
Randständigen verschrieben haben, wie das nach meinen knappen Informationen
bei den diesjährigen Preisträgern der Fall ist, die das noch
dazu nicht erst seit vorgestern, sondern seit Jahren betreiben.
Solche
Menschen müssen heute bestärkt und auch in das Licht der Öffentlichkeit
gestellt werden, um auch anderen Mut zu machen, solche Wege zu beschreiten,
statt zu Hause vor ihren Fernsehgeräten im Schrecken über die
Gewaltberichte zu verstummen.
Der
Begriff SOLIDARITÄT hat es in unserer Welt, auch im kirchlichen Bereich,
nicht immer leicht gehabt. Ich erinnere mich noch sehr gut, als ich mit
meinen ersten Berichten aus Afrika, Asien und Lateinamerika zurückgekommen
bin und Solidarität mit den Ausgegrenzten dieser Welt eingefordert
habe. Da haben mir zwar die einen, meist die Kleinen, tatkräftig geholfen,
die anderen aber haben mich marxistischen Gedankengutes bezichtigt. Als
ich in Südafrika an Diskussionen teilgenommen habe und tätige
Solidarität mit den Schwarzen in ihren Townships und Homelands angemahnt
habe, nannte man mich eine Kommunistin. Erst als die päpstliche Formulierung:
„Solidarität ist das neue Wort für Liebe“ die Runde machte und
der Begriff SOLIDARITÄT quasi getauft worden ist, hat sich das nicht
sofort, aber doch langsam geändert.
Heute,
allgemein akzeptiert, wenn auch nicht praktiziert, gerät dieser Begriff
einer lokalen, regionalen und internationalen Geschwisterlichkeit, einer
Mitverantwortung füreinander in Gefahr missbraucht zu werden. Für
mich persönlich ist SOLIDARITÄT ein Begriff, der mich als Mensch,
als Frau und Christin, in den Auftrag Jesu hineinnimmt, mich an die Seite
der Armen, der Schwachen, der an und über den Rand Geschobenen zu
stellen und tätig zu werden, zu versuchen mich mit Gleichgesinnten
zusammenzutun, um wirksamer zu werden und auch um jene zu ermutigen, die
sich abseits halten und sich in ihrer vermeintlichen Ohnmacht suhlen, weil
Engagement eben auch unbequem sein kann.
Was
aber seit den schrecklichen Ereignissen vom 11. September antönt,
stimmt mich bedenklich. Da ist der Begriff der solidarischen, mitmenschlichen,
ja mitkreatürlichen Haltung – wenn man so sagen kann – kräftig
angepatzt worden. Ich meine, wir alle haben die furchtbaren Bilder von
den brennenden, qualmenden Türmen des World-Trade-Centers und der
weitläufigen Zimmerfluchten des Pentagon vor Augen und in unsere Seelen
eingebrannt. Aber wir haben auch die schrillen Forderungen nach Rache und
Vergeltung im Ohr: Man werde einen Kreuzzug führen und die Nester
der Terroristen ausräuchern. Amerika, so hieß es, werde der
Welt zeigen, was die Wahrheit ist. „Welche Wahrheit?“, habe ich mich schon
in der ersten Nacht gefragt. – Amerika, so hieß es, werde das Böse
mit der Wurzel ausreißen: „Welches Böse?“ habe ich mich gefragt
und frage mich noch. Mir gefallen beide Fratzen nicht, weder jene der Administration
der verbliebenen Supermacht, noch jene der islamistischen Fanatiker, die
einander in wechselseitigem blutrünstigem Gesang vorwerfen, die wahren
Terroristen zu sein.
Die
Kamikaze-Flieger vom 11. September, die Passagierflugzeuge zu tödlichen
Bomben umfunktioniert haben, sind ohne Zweifel Terroristen gewesen. Aber
inzwischen haben sich weder 156 Abgeordnete der Vollversammlung der Vereinten
Nationen noch die Abgeordneten des Europaparlaments auf eine Definition
des Begriffs Terrorismus einigen können. Also wird man sich doch wohl
fragen dürfen, ob nicht auch das Terrorismus ist, was Papst Johannes
Paul II. „STRUKTUREN DER SÜNDE“ nennt. Das sind jene wirtschaftlichen,
politischen und sozialen Strukturen, die die Mehrheit der Menschen zu Globalisierungsverlierern
machen, ihnen jedes Lebensrecht, jede menschliche Würde absprechen.
Ich
kenne die Todesumstände – wie Bischof Erwin Kräutler das nennt
–, in denen unsere Schwestern und Brüder vegetieren und versuchen
von einem zum nächsten Tag irgendwie zu überleben. Ich habe sie
in den Dürregebieten Afrikas ebenso gefunden wie in den Slums der
Megastädte, in den abrutschenden Hütten an den Kanälen Manilas,
in den rauchenden Müllhalden Kairos wie an den Küsten Indiens,
deren Fischgründe ausgebeutet worden sind von den riesigen Fangflotten
der internationalen Konzerne. Ich habe sie in den erbärmlichen Dörfern
der Dalits ebenso gefunden wie unter den Arbeiterinnen der Maquiuadores,
der sogenannten freien Produktionszonen in Mexiko, Honduras und in den
Philippinen. Sie sind mir in den Elendsviertel von Soul ebenso begegnet
wie in den steilen Bergtälern von Chiappas. Sie sind es, die unsere
Solidarität brauchen, und nicht die stärkste Militärmacht
der Welt, so schwer sie immer getroffen sein mag von wahnsinnigen Attentätern,
die sich von einer ihre Religion missbrauchend Ideologieen, dazu verführen
lassen, sich selbst und andere zu töten.
Ich
habe von diesen Lazarussen der Welt aber auch erfahren, dass sie für
uns zu Lehrmeistern der SOLIDARITÄT werden können, wenn sie das
wenige miteinander teilen, einander Mut machen, den gewaltlosen Kampf gegen
Ungerechtigkeit und für Frieden nicht aufzugeben. Und ich werde das
Gesicht der kleinen Indiofrau Maria Gomez niemals vergessen, die mich auf
meine Frage, ob sie die Männer denn hasse, die neun ihrer engsten
Familienangehörigen ermordet haben, aus großen Augen anschaute
und meinte: „Que es odio – was ist Hass?“ Dann fügte sie hinzu: „Mein
Herz tut sehr weh und die Wunden werden lange brauchen um zu heilen, aber
sie werden heilen, denn Gott verlässt mich und mein Volk niemals.
Er ist uns auch in diesen schweren Stunden ganz nahe und wird unsere verwüsteten
Gärten wieder aufbauen.“
Ist
das, was diesen Menschen tagtäglich angetan wird, nicht auch Terrorismus?
Ist es nicht auch Terrorismus, wenn jeden Tag 100.000 Menschen vor der
Zeit, wenn pro Jahr mindestens 4 Millionen Kinder an Hunger oder an den
Folgen von Mangel- und Fehlernährung sterben, während 20 Prozent
der Menschheit im Überfluss lebt?
Unmittelbar
nach den Attentaten vom 11. September war der deutsche Biologe und Politiker
Ernst Ulrich von Weizsäcker in Wien und hat es auf den Punkt gebracht,
wenn er sagte: „Es geht nicht darum, dem Terror den Krieg zu erklären,
sondern darum, alles zu versuchen um eine Solidarisierung der Armen mit
den Terroristen zu verhindern.“ – Das aber – so Weizsächer – sei nicht
mit Bomben, Marschflugkörpern, Kriegsschiffen und Panzern zu bewerkstelligen,
sondern nur mit den Waffen der Gerechtigkeit. Die heutige sogenannte neue
Weltordnung nach amerikanischem Muster bewirke das Gegenteil und treibe
die armen, von der Wirtschaft ausgegrenzten Menschen den Terroristen nachgerade
in die Arme.Das dem so ist, konnten
wir in den vergangenen Wochen und in diesen Tagen sehen, hören und
lesen, soweit wir außer Propaganda auch echte Nachrichten bekommen.
Jedenfalls haben die über Afghanistan abgeworfenen Care-Pakete nichts
mit der von Weizsäcker geforderten Gerechtigkeit zu tun, sondern sind
ein Hohn in Anbetracht des unsagbaren Leidens dieses geschundenen Volkes.
Würde man die gigantischen Summen, die dieser amerikanisch-britische
Militäreinsatz kostet, in die Infrastruktur des Landes am Hindukusch
investieren, würden dem Menschen verachtenden und verbrecherischen
Taliban-Regime vielleicht eher der Boden entzogen werden als so. Welcher
Aufwand, um einen Mann zu fangen, auch wenn der Osama Bin Laden heißt!
Besser verständlich wird das schon, wenn man bedenkt, dass die amerikanische
Administration und die hinter ihr stehenden Lobys an einem leichter zugänglichen
oder sagen wir leichter käuflichen Afghanistan interessiert sind,
damit sie endlich die lang geplante Öl- und Erdgas-Pipeline aus Turkmenistan
in den Persischen Golf bauen können, die mitten durch dieses Land
führen soll.
Wenn
der Putschgeneral und Präsident Pakistans von „unverbrüchlicher
Solidarität“ mit den USA und Großbritannien redet, so wird mir
ebenso übel wie bei dem beinahe hysterischen Sicherheitsgezeter der
europäischen Politiker. Sicherheit wird es erst dann geben können,
wenn den Unterdrückten und Ausgegrenzten, den Armen und Elenden der
Welt ein Leben n Würde ermöglicht sein wird. Ein Krieg kann dies
niemals erreichen, aber, so erinnere ich mich an einen Ausspruch von Rabbi
Tovia Ben Chorin, Sohn des legendären Shalom Ben Chorin: „Der Frieden
und die Gerechtigkeit sind ihnen immer zu teuer, niemals aber dem Krieg.“
Es
schaut also nicht danach aus, als wäre von den Reichen und Mächtigen
viel für den Aufbau einer weltweiten Solidarität, einer geschwisterlichen
Gesellschaft zu erwarten. Es wird also weiterhin bei den Kleinen bleiben,
sich um die Armen und Schwachen zu kümmern. Gottlob gibt es diese
kleinen oder größeren, geduldigen und aktiven Gruppen und Bewegungen
auch überall auf der Welt. Wo solche Menschen solidarisch um der anderen
willen zusammenwirken, beginnen die Blumen der Liebe zu blühen, die
auch den härtesten Boden durchwachsen und fruchtbar machen können,
im wörtlichen wie im übertragenen Sinn. Sie sind es, die den
Samen für eine mögliche Zukunft aussäen.
Vor
wenigen Tagen hat der brasilianische Befreiungstheologie Leonardo Boff
ein MANIFEST FÜR DEN FRIEDEN veröffentlicht, aus dem ich hier
zitieren möchte:
„Wir
erfahren in diesen Tagen mit Bestürzung und Unwillen das Hereinbrechen
menschlichen Wahnsinns. Lassen wir ihm nicht das letzte Wort. Erwecken
wir in uns die uns eingestiftete Mitmenschlichkeit, die jenseits aller
Rassen, Ideologien und Religionen wirksam werden kann, um nicht dem Wahnsinn,
sondern der Solidarität das letzte Wort zu erteilen. Sie ist es, die
uns anleitet, gemeinsam zu weinen, gemeinsam zu beten, gemeinsam nach Gerechtigkeit
zu streben und sie zu tun, gemeinsam den Frieden zu errichten und der Rache
und Vergeltung zu entsagen.
Terrorismus
kann den Terrorismus nicht besiegen, Hass nicht den Hass. Nur Liebe besiegt
den Hass und zur Liebe hat Jesus uns verpflichtet. Nur unermüdlicher
Dialog, großzügige Verhandlungen und gerechte Lösungen
reißen die Mauern des Terrorismus ein und begründen den Frieden,
den diese Welt so bitter nötig hat.“ –
„Die
Zeit drängt“ – so Leonardo Boff, dem am 7. Dezember dieses Jahres
einer der Alternativen Nobelpreise verliehen wird – „Löscht es aus,
das Wort Feind. Nur Angst schafft Feinde. Reißen wir die Angst aus
unseren Herzen, indem wir im anderen einen Nachbarn und im Nachbarn einer
Bruder, eine Schwester erkennen. Jeder und jede Einzelne ist gefordert,
seinen, ihren Baustein für die Errichtung eines Heiligtums des Friedens
beizusteuern. Der Geist Gottes möge die Wege unserer Geschichte mit
seinem Licht und seiner Wärme begleiten, wenn wir aus ehrlichem Herzen,
aus der Kraft der Solidarität bereit sind, unseren Beitrag zum Aufbau
einer fairen Welt für alle, also Reich-Gottes-Arbeit zu leisten.
Ich
möchte mit dem Text eines Weihnachtsliedes aus Bethlehem schließen,
in dem das angesprochen ist, worum es in Jesu Verkündigung geht, wenn
er sagt: Was ihr dem Geringsten meiner Brüder, meiner Schwestern getan
habt, habt ihr mir getan, was ihr aber ihnen verweigert habt, habt ihr
mir verweigert.
In
diesem Sinn erklingt das Lied aus einem besetzten Land, das seinen Bewohnern
zum Gefängnis geworden ist:
Nacht
der Geburt – der Hass wird überwunden,
Nacht
der Geburt – die Erde wird erblühen,
Nacht
der Geburt – der Krieg wird begraben,
Nacht
der Geburt – die Liebe erstrahlt.
Wenn
wir einem Durstigen einen Becher Wasser geben, dann ist Weihnacht.
Wenn
wir einem Nackten ein Kleid der Liebe schenken, dann ist Weihnacht.
Wenn
wir die Tränen der anderen trocknen, dann ist Weihnacht.
Wenn
wir die Herzen mit neuer Hoffnung füllen, dann ist Weihnachten
angekommen.
– Nacht der Geburt.
In
diesem Sinne, meine Damen und Herrn, liebe Preisträgerinnen und Preisträger,
möchte ich Ihnen herzlich zur Auszeichnung der Linzer Kirchenzeitung
gratulieren und Ihnen Mut, Ausdauer und den Beistand des Heiligen Geistes
für Ihren weiteren Weg, für Ihr weiteres Engagement wünschen.