Evangelische religionspädagogische Ausbildung im Pluralismus
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, vielen Dank für die Einladung, für die freundlichen Worte!
Alle die mit dem österreichischen Schulwesen, mit der Verwaltung vertraut sind und damit zu tun haben, werden erahnen können, was es heißt, hier eine Schule zu leiten - und das in der Gründungsphase. Ich habe Sie wirklich in dem vergangenen Jahr nie beneidet und war gerne, so weit es möglich hilfreich mit vielen Kleinigkeiten, die vielleicht dann ein Ganzes ergeben.
Es ist meine Aufgabe, Ihnen einen Beitrag zu bieten, aus der Sicht der
Evangelischen Religionspädagogischen Akademie und damit vielleicht
auch ein Stück weit aus den Erfahrungen, welche die Evangelischen
in diesem Land gemacht haben. Ich möchte es tun, unter der Voraussetzung,
daß Sie damit einverstanden sind, daß ich nicht alles das,
was ich auf meine Blätter geschrieben habe, Ihnen jetzt zum Besten
gebe, sondern versuche, anhand von wenigen Punkten darzustellen, worum
es mir geht und was ich gerne einbringen möchte.
Evangelische religionspädagogische Ausbildung im Pluralismus.
Evangelische Religionslehrerinnen und Religionslehrer werden auf dreifache
Art und Weise ausgebildet.
Entweder sie absolvieren die Lehramtsausbildung an der Universität
oder sie absolvieren das Studium an der Evangelischen RPA oder sie erlangen
die Lehrbefähigung über den zusätzlichen Fachgegenstand
an der Pädagogischen Akademie.
Damit hat die Evangelische Kirche es erreicht, daß seit einigen
Jahren ihre ReligionslehrerInnen so ausgebildet werden, wie andere Lehrer
und Lehrerinnen in anderen Gegenständen auch. Das hat allerdings ganz
bestimmte Konsequenzen und ich erlaube mir zu erzählen, was das bedeuten
könnte, für eine kleine Kirche oder Glaubensgemeinschaft.
Die Evangelischen haben im 16. Jahrhundert begonnen, ihr Anderssein zu dem was hier in diesem Land an Religion und Glaubensleben da war auch dadurch auszudrücken, daß sie Schulen gegründet haben. Ein sehr differenziertes und wie wir heute sagen können, ein sehr modernes Schulwesen. Es ist davon nicht viel übrig geblieben - Sie kennen die Geschichte Österreichs gut genug, um zu wissen, daß hier nicht zuletzt durch diese vereinheitlichende Idee des Reiches durch das Haus Habsburg die Evangelischen und viele, die als anders empfunden und definiert wurden, keinen Platz hatten. So kann es wohl als erstes sein, daß ich Ihnen sagen muß, daß Religion oft nicht der Integration dient, sondern oft genau dem Gegenteil - der Desintegration, der Auswanderung, der Verketzerung, der Abwanderung, der Verdrängung in den Untergrund. Und es war ein langer, und man kann wohl sagen auch ein mühevoller Prozeß, bis es den Evangelischen gegeben war, nicht mehr in irgendeiner Form so am Rande zu stehen. Kein Vergleich mit dem Geschick, was andere Gruppen in diesem Lande miterleben mußten, ich bin ja noch nicht der letzte an der Reihe hier zu sprechen. Aus dieser Geschichte heraus haben meine Glaubensschwestern und -brüder eine Identität als Verfolgte entwickelt - ein Stück weit. Gleichzeitig hat aber die Geschichte mit sich gebracht, daß sie gegenüber Jüdinnen und Juden selbst zu Verfolgern wurden. Eine doppelte Identität. Verfolgte und Verfolgende.
Das hat dazu geführt, daß in diesem Jahrhundert die Evangelischen versucht haben, den Religionsunterricht gegen zwei Richtungen abzugrenzen.
Auf der einen Seite gegenüber der großen Katholischen Mehrheitskirche
in diesem Land. Da haben wir die Regelung, die wir jetzt für den Religionsunterricht
in Österreich haben, die professionelle Bindung von Lehrern, Inhalten
und Schülern und Schülerinnen als sehr positiv, als sehr minderheitenfreundlich
empfunden, bis heute. Auf der anderen Seite aber auch, das kann man sagen,
gegenüber all jenen, die gemeint haben, der Religionsunterricht ist
überhaupt etwas, dessen Sinn für die Schule, für die öffentliche
Schule nicht einzusehen ist und deshalb besser außerhalb der Schule,
in unseren Räumen als Glaubensgemeinschaft, als Kirche stattfinden
sollte. Ich erwähne nur hier in Wien, stellvertretend für viele,
den Namen des großen Schulreformers Otto GLÖCKL. In dieser doppelten
Profilierung haben die Evangelischen dann gedacht, der Religionsunterricht
könnte hauptsächlich etwas sein, das die Kinder vertraut macht
mit dem Leben der Evangelischen Kirche, sie hinein führt auch in diese
Kirche. Religionsunterricht haben wir lange Zeit verstanden als Kirche
in der Schule. Und es mag auch so sein, daß es da und dort bei
den Evangelischen noch so verstanden wird.
Das bedeutet, daß plötzlich in den 60er Jahren dieses Konzept
nicht mehr gegriffen hat. Warum, was ist geschehen?
Ich versuche Ihnen zu beschreiben, wie es den Evangelischen erging.
In den 60er Jahren entdecken die Evangelischen Religionslehrer und Religionslehrerinnen,
daß dieses Konzept, Kirche in der Schule plötzlich auftrifft
auf eine Situation in der Gesellschaft, die gekennzeichnet ist, daß
in der Schulklasse die einen aus einem Elternhaus kommen, in welchem das
tägliche Gebet praktiziert wird, der sonntägliche Kirchgang selbstverständlich
ist und die anderen in der selben Gruppe in der Schule sitzen und noch
nie den Namen JESU gehört haben. Religiöse Sozialisation,
religiöse Erziehung, die früher selbstverständlich in
der Familie stattgefunden hat, von Generation zu Generation weitergegeben,
ist nicht mehr von der Familie zu erwarten. Sie ist auch nicht mehr
zu erwarten von der Kirche, denn die wenigsten nehmen am Leben der
Kirche teil.
Ist sie deshalb übertragbar auf den Religionsunterricht in der
Schule?
Nein.
Der Religionsunterricht in der Schule kann das mit seiner einen,
maximal zwei Wochenstunden nicht leisten., was die Familie und die Kirche
nicht mehr tun können. D.h. er beginnt sich neu zu verstehen. Nicht
mehr im Sinne von religiöser Sozialisation, sondern im Sinne von
religiöser Bildung. Als Hilfe, als kompetente Hilfe, damit die
Menschen ihre eigene religiöse Entscheidung treffen können.
Gleichzeitig hat die Religionslehrerin entdeckt, daß sie selbst
in ihrem eigenen täglichen Lebenslauf nicht immer einlinig der Kirche,
dem Glauben zugeneigt war - vielleicht. Daß es auch in ihrem eigenen
Lebenslauf Brüche gibt, daß es in ihrem eigenen Lebenslauf so
etwas gibt wie Pluralität. Sie hat dann später in der Entwicklungspsychologie
oder in der Religionspädagogik gelesen, daß das normal ist und
daß das heute zu den humanwissenschaftlichen Grundbedingungen dazugehört
wie wir unsere Religion verstehen. Vielfalt, Pluralität. Und schließlich
hat die evangelische Religionslehrerin es erlebt, daß es nicht nur
katholisch und evangelisch gibt, sondern zum Glück auch islamisch
und jüdisch, buddhistisch und syrisch orthodox - zwölf Kirchen
und Religionsgesellschaften sind staatlich anerkannt und davon haben in
Wien elf Religionsunterricht an öffentlichen Schulen.
Was heißt das?
Das heißt daß wir Evangelischen den Religionsunterricht
nicht mehr so verstehen wollen, als wäre er die Verlängerung
unserer kirchlichen Arbeit in der Schule. Wir müssen den Religionsunterricht
verstehen aus der Schule heraus - schulisch begründen. Wir können
nicht mehr zurück in die Zeit davor - und wir wollen es auch nicht
mehr.
Das heißt, was heute schon angesprochen wurde, wir versuchen Vielfalt
positiv zu verstehen und bemühen uns den Religionsunterricht als
einen Ort zu profilieren, an dem Kinder und Jugendliche den Umgang mit
religiöser Pluralität lernen können. Religiöse Pluralität
lernen können.
Warum dann noch Ausbildung durch die Evangelische Kirche, weil, davon
bin ich überzeugt, und diese Überzeugung teile ich mit anderen
auch, was Religion ist, am kompetentesten die aussagen und erklären
können, die Religion auch leben, vorleben können. Religion gibt
es abstrakt nicht. Religion gibt es nur in Religionen.
Wie können wir auf die Pluralität antworten?
Ich komme zum letzten Teil und ich erwähne drei Stichworte.
Wir können auf die Pluralität antworten, indem wir "monoreligiös"
vorgehen. "Monoreligiös" würde heißen: Es genügt
mein Religionsunterricht. Es genügt der evangelische, der katholische,
es genügt der muslimische usw.
Der "monoreligiöse" Religionsunterricht wird natürlich wohlwollend
für Toleranz eintreten, wird auch Unterrichtseinheiten vorsehen, die
unter der Überschrift "Weltreligionen" stehen. Er wird aber diese
Weltreligionen und die anderen immer aus dem eigenen Blickwinkel bringen,
darstellen und wohl auch bewerten, das läßt sich nicht vermeiden.
Ich gestehe es offen, daß wir noch ein Stück weit dort stehen, "monoreligiös" denken, eingestellt sind und handeln, aber es zeichnen sich schon neue Entwicklungen ab.
Direkt dagegen steht das "Multireligiöse".
"Multireligös" würde heißen, wir praktizieren allgemeine
Religionskunde, geben uns nicht mehr der Mühe hin, daß die einzelnen
Religionsgemeinschaften sich hier einbringen. Die Gefahr des "multireligiösen"
Modells könnte sein:
Ist das denn noch Religion, wenn keine authentisch gelebte Religion
mehr dahinter steht?
Wenn das "monoreligiöse" nur die "ICH - Perspektive"
verfolgt, verfolgt das "mutlireligiöse" nur die "ES - Perspektive".
Aber ist Religion ganz objektivierbar?
Ich bin auch im Zweifel ob Religion - ich nehme etwas auf, was
Sie ganz am Anfang gesagt haben, Herr Professor, ob Religion mit Ethik
vergleichbar ist als Schulfach? Es gibt Berührungspunkte natürlich,
aber auch - denke ich - qualitative Unterschiede.
Die Religionsgemeinschaften würden sich zurückziehen aus
der Schule, dabei tut ihnen das so gut, sich in der Öffentlichkeit
darstellen zu müssen, und ihr Verständnis, Sprachfähigkeit
unter Beweis zu stellen.
Ich komme zum Dritten und Letzten. Ich denke dies ist das, wo die Evangelische
Religionspädagogik hin tendiert - das Interreligiöse.
Interreligös wie immer das Schwierigste. Es würde statt nach
der reinen "ICH-", statt der reinen "ES- Perspektive" sich um die "ICH
- DU - ES - Perspektive" bemühen. Die Teilnehmenden am interreligiösen
Lernen erhalten auch durch praktische Begegnung, durch praktischen Vollzug
die Fähigkeit, die eigene Religion nicht nur aus der eigenen Perspektive,
sondern auch aus der der anderen zu sehen, und die andere Religion nicht
nur aus der eigenen Perspektive, sondern auch aus der der anderen zu erfahren.
Das Eigene geht durch das Fremde hindurch und verändert sich.
Das Fremde geht durch das Eigene hindurch und verändert sich.
Ich zitiere Susanne HEINE:
"Da sind vertrauensbildende Maßnahmen und Kooperationen
notwendig, viele mühsame Schritte.
Das gemeinsame Erstellen der Lehrpläne, die notwendige Revision
von Lehrbüchern, das Bereitstellen von entsprechendem Material hätte
natürlich auch Konsequenzen für die Ausbildungsfrage und würde
bedeuten, daß kirchliche und religionsgesellschaftliche Ausbildungsstätten
auf allen Ebenen zusammenarbeiten."
Ich wünsche mir eine solche Zusammenarbeit. Ich kann
nur berichten, daß es über die Maßen spannend ist, wenn
das, was wir Evangelischen bislang als Unterrichtsmaterial über den
Islam, die Weltreligionen unbesehen verwendet haben, plötzlich dem
Blick von Muslimas ausgesetzt wird, die rückmelden, wie das auf sie
wirkt. Und ich würde mir dies wünschen, daß wir auf diesem
Weg gemeinsam lernen und diesen Weg auch gemeinsam gehen können und
wünsche der IRPA alles Gute für die Arbeit.