Chancen und Probleme eines Dialoges von Christen und Muslimen
Das Besondere an diesem Tag ist noch, daß gerade heute vor dreißig
Jahren das 11. Vatikanische Konzil die Erklärung über das Verhältnis
der Kirche zu anderen Religionen beschlossen hat. Diese Veranstaltung des
Evangelischen Bildungswerkes ist kombiniert mit der Erinnerung an den Tag,
an dem die katholische Kirche erstmals offiziell und für alle Katholiken
verbindlich gesagt hat:
"Mit Hochachtung betrachtet die Kirche die Muslime" (Nostra aetate
Nr.3). Gerade an diesem Tag eingeladen zu sein, ist für mich eine
besondere Auszeichnung und Freude, nachdem es ja keine offizielle Veranstaltung
der katholischen Kirche in Österreich ausdrücklich zur Frage
Christen -Muslime anläßlich dieses Dekretjubiläums gibt.
Bevor ich mit meinen Überlegungen nun beginne, will ich Sie mit einer Aufgabe konfrontieren. Sie soll Ihnen helfen, Erwartungen zu klären, weil bestimmte Fragen können nur Sie für sich lösen. Da kann ich Ihnen nicht weiterhelfen. Ich lade Sie ein, sich einer zentralen Frage persönlich einmal ganz kurz stellen. Dafür haben Sie eine gute Minute Raum. Sie werden hier nicht öffentlich nach Ihrer Antwort gefragt, aber ich halte es für wichtig, daß Sie für sich eine Antwort suchen auf die Frage-
Was erwarten Sie sich persönlich für Ihr Christseinlfür Ihr Muslimsein oder wenn Sie sich selber nicht als gläubig verstehen, auch für Ihr Menschsein in dieser Gesellschaft von dem Gespräch Christen - Mustime?
Am Ende des Tages können Sie auf Ihre Antwort noch einmal zurückkommen und so für sich Bilanz ziehen,
Zuerst werde ich das Konzilsdekret in seinen zentralen Aussagen referieren und aufmerksam machen, wo dessen Grenzen und die Schwierigkeiten liegen im Verständnis und auch im Gespräch Christen - Muslime. Die Stärke des Dekrets ist gleichzeitig auch seine Schwäche.
Es formuliert generell im Verhältnis zu nichtchristlichen Religionen,
daß die katholische Kirche
"nichts von alldern ablehnt, was in diesen Religionen wahr und heilig
ist' (NA 2).
Die katholische Kirche anerkennt somit, daß in anderen Religionen
Wahrheit und Wort Gottes präsent ist. Eine solche Aussage war bis
zu diesem Zeitpunkt in dieser Verbindlichkeit undenkbar und einige Jahre
später hat auch der Ökumenische Rat der Kirchen ähnliche
Formulierungen gefunden. Die katholische Kirche anerkennt in diesem Dekret,
daß die anderen Religionen "einen Strahl jener Wahrheit erkennen
lassen, die alle Menschen erleuchtet" und ermutigt mit Klugheit und Liebe
den Dialog mit Angehörigen anderer Religionen aufzunehmen und mit
ihnen zusammenzuarbeiten. Ohne die Vorgeschichte näher erläutern
zu können, muß doch daran erinnert werden, daß angesichts
der vorkonziliaren Ausgangslage und der ersten Textentwürfe diese
Aussagen nicht zu erwarten waren.
Eine Äußerung des Konzils ausdrücklich zum Islam wurde
besonders von arabischen Christen eingefordert. Im Anschluß an den
Prolog "Mit Hochachtung betrachtet die Kirche die Muslime" führt das
Dekret dann konkret aus, was sie an Muslimen so besonders schätzt-.
den Glauben an den einen Gott, an die Propheten, die Bedeutung, die Jesus
als Prophet für Muslime hat, das Jüngste Gericht, das Leben danach,
die religiöse und sittliche herausragende Praxis der Muslime ( fasten,
beten und die allgemein herausragende Sittlichkeit).
In diesem Dokument bittet die Kirche aufrichtig, um ein gegenseitiges
Verständnis bemüht zu sein, und ermutigt zur Zusammenarbeit zum
Nutzen aller: gemeinsam einzutreten für Schutz und Förderung
der sozialen Gerechtigkeit, der sittlichen Güter und des Friedens
und der Freiheit für alle Menschen.
Dies ist ein gutes Programm, weil es nicht nur vom Verstehen spricht, sondern auch zur Zusammenarbeit auffordert und weil es von einem grundlegenden Respekt getragen ist.
Es ist aber auch ein Programm mit Schwächen: Das Wort Islam wird nicht erwähnt und auch das Wort Koran hat keine Aufnahme gefunden, wie auch das Wort Muhammad vermieden wird. Zentrale Fragen werden somit ausgeklammert. Kann aber unter Ausklammerung zentraler Fragen ein Gespräch fruchtbarer werden?
Es wäre ein grundlegendes Mißverständnis, wenn Dialog
hieße, sich auf das Minimum, das einander verbindet, zu beschränken.
Mit der Konzentration auf das "verbindende" Allgemeine wird das jeweils
Konkrete, Spezifische, Einmalige als störend zur Seite geschafft.
Es gibt eine gesellschaftliche Tendenz, von unserer Konkretheit abzusehen,
z.B. daß wir in unserem Namen einmalig sind, in unserer kulturellen
Tradition, in unserem religiösen Bekenntnis. Gerade im Appell an das
Allgemeine läge die Chance des Zusammenlebens, meinen viele. Für
mich selbst war es eine Schlüsselerfahrung, als eine Wiener Journalistin
in einem Gespräch sagte: "Ja, ihr anerkennt mich als Mensch, vielleicht
auch als Frau, aber ich will als Jüdin anerkannt sein. Und das bringt
ihr nicht rüber. Und ihr könnt mich als Jüdin gar nicht
anerkennen, weil ihr gar nicht wißt, was das heißt." Das hat
sich tief in meinem Gedächtnis eingegraben angesichts einer Gesellschaft,
die anonymisiert, in der jeder seine Versicherungsnummer hat und seine
Steuernummer und am Ende zur Nummer wird in einer Namenlosigkeit, wo selbst
die Computer so eingestellt sind, daß sie nicht mehr die Korrektheit
jedes Namens wiedergeben können, und die Namensschreibung sich nach
den Möglichkeiten des Computers richten muß. In einer solchen
Gesellschaft ist auf Sicht gesehen kein Dialog möglich, weil in diesem
Dialog des Allgemeinen nichts Konkretes einfließt, weil gerade das
Besondere und Einmalige als störend d'raußenbleiben muß.
Aber die Chance des Dialogs besteht im Vertrautwerden mit dem Einmaligen.
Die Chance des Gesprächs besteht in der Nichtaustauschbarkeit
der Gesprächspartner und -partnerinnen.
Dies ist ja auch spezifisch islamische und christliche, aber auch jüdische
Tradition: Die Einmaligkeit und Unaustauschbarkeit der konkreten Menschen.
Davon müßte letztlich auch der Dialog bestimmt sein. Ein Dokument,
das harte Kerne ausblendet, ist eigentlich unzulänglich.
Nun weiß ich natürlich so wie Sie, daß vieles, was
unser Zusammenleben bestimmt, uns fremd ist, daß wir einander fremd
sind. Für manche ist das Fremde faszinierend, für manche ist
es bedrohlich, Angst machend.
Beide Einstellungen sind meiner Meinung nach legitime Einstellungen.
Niemand sollte in dem Sinne seine Angst ausgeredet werden: "Deine Angst
ist nicht legitim." In der Geschichte vom "Sturm auf dem See" sagt Jesus
auch nicht: "Den Sturm gibt es gar nicht. Den bildet ihr euch nur ein,"
sondern er sagt-. "Habt ihr denn kein Vertrauen?" Die Frage ist nur, welche
Konsequenz jemand aus der Angst zieht, wozu diese Angst legitimiert?
In unserer Gesellschaft gibt es Menschen, die vor Fremden Angst haben.
Jetzt ist nicht die Möglichkeit, sozio-kulturelle Aspekte herauszuarbeiten,
die Gründe und die Vorgeschichte, daß gerade Fremdes Angst macht
- und manche meinen, es gehöre sogar spezifisch zum Menschsein dazu.
Ich bestreite dies, meine aber, daß Angst auch etwas Positives sein
kann. Denn Angst mobilisiert, intensiviert die Wahrnehmung, führt
zu einer erhöhten Aufmerksamkeit. Von daher gesehen hat Angst auch
ein elektrisierendes Moment. Andererseits kann Angst blockieren, lähmen
oder pathologisch sein. Für den Dialog wäre es. schlecht, bestimmte
Voraussetzungen zu fordern und etwa zu sagen: "Erst, wenn du keine Angst
hast, können wir mit dem Gespräch beginnen."
Es gilt vielmehr-. "Ich darf in den Dialog einsteigen, so wie ich bin
und nicht so, wie ich sein sollte." Gerade darin käme eine gegenseitige
Akzeptanz zum Ausdruck. Denn Angst ist ja nicht nur ein Kennzeichen von
Menschen, die schon länger in Wien leben als andere.
Die Begriffe von Inländem und Ausländern sind für Wien kaum zutreffend, weit fast alle, die hier leben, in ihrer Familiengeschichte einmal Ausländer waren. Mein Vater war Schwabe, meine Mutter hieß Horacek. Ich selber stelle in meiner familiären Geschichte ein Stück dieses Ausländer-gewesen-Seins und Inländer-Werdens dar.
Im Gespräch Christen - Muslimen gibt es eine verständliche
Angst der Muslime.
An erster Stelle verweise ich auf die Erfahrung vieler Muslime, in
dieser Gesellschaft gleichsam nichts und niemand, im Alltag oft faktisch
rechtlos zu sein. Für viele drückt sich dies in den vorenthaltenen
politischen Rechten aus, für viele auch darin, daß ihre religiösen
Rechte zwar gesetzlich garantiert, aber ins Private abgedrängt sind.
Dazu kommen etwa die Wohnverhältnissen, von denen viele Muslime betroffen
sind. Die Liste ließe sich verlängern.
Ein Beispiel nur:
Gemessen am Bevölkerungsanteil der Muslime in Wien müßten
mehrere Gemeinderatsabgeordnete oder Bezirksräte Muslime sein. Sie
wissen auch, daß dies nicht der Fall ist. Ich weiß gar nicht,
ob unter den einigen hundert Kandidaten für den Gemeinderat überhaupt
Muslime zu finden sind. Ist diese politische und gesellschaftliche Situation
ein legitimer Grund für Angst? Für die Angst, daß nur ein
Gespräch gesucht wird, um Muslime als Gemeinschaft ruhig zu stellen?
Eigentlich gebe es ja guten Grund, massiv politisch unruhig zu sein.
Ein anderer Grund, warum Muslime in einem solchen Gespräch legitimerweise
Angst haben könnten, ist, daß in kirchlichen Dokumenten und
oft wenn Christen von Dialog reden, dies wiederholt im Kontext von Mission
steht.
Ist da nicht Dialog eine sublime Form von Missionierung?
Ich meine zwar, daß diese Angst unbegründet wäre, aber sie existiert. Dazu kommt noch die Erfahrung von Muslimen, daß Europa merkwürdig religionslos und gottlos erscheint. Für die realen wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse dieser Welt, die auf Kosten der Mehrheit der Menschen gehen, haben die sogenannten christlichen Ländern eine besondere Verantwortung. Auch in der christlichen Tradition entscheidet die Praxis über die Frage der Gläubigkeit - und nicht die Theorie. Wenn die Praxis so gottlos erscheint, wie ist denn dann überhaupt Gläubigkeit erkennbar?
Schließlich soll auf noch einen Grund für die Angst von Muslimen vor dem Gespräch mit Christen verwiesen sein, nämlich daß Christen und christliche Geschichte so eng mit der Säkularisierung verbunden sind, daß sich in den Dialog mit Christen einzulassen bedeute, sich auf einen Prozeß der Verweltlichung einzulassen, in dem nicht mehr absehbar ist, ob ein legitimer Platz für Religion bleibe. Noch dazu haben zentrale Elemente modernen Denkens gerade auch in die christliche Theologie Eingang gefunden wie etwa die historisch-kritische Methode, die alles in Frage zu stellen scheint, und deren Anwendung auch für den Koran gefordert wird. So kann es verständlich sein, wenn Muslime mit größter Vorsicht an Gesprächen mit Christen teilnehmen. Schließlich scheint für Muslime schwer erkennbar zu sein, was Christen in ein Gespräch mit ihnen Positives einzubringen hätten. Diese Ausgangslage auf muslimischer Seite sollte bewußt gesehen werden.
Es gibt aber eine Ausgangslage auf christlicher Seite, die hier auch zu benennen ist. Christen sind bei uns nicht mit dem Islam vertraut. Erschwerend kommt hinzu, daß sie Vorurteile für Kenntnisse halten, ohne erkennen zu können, daß ihre Kenntnisse Vorurteile sind, historisch und kulturell bedingte.
Das Jahr 1683 ist in Wien ein Schlüsseljahr für das Verständnis
des Islam. Daß bei den Belagerern vor Wien christliche Gottesdienste
gefeiert wurden, ist völlig ausgeblendet, ebenso wie die historische
Konstellation, daß die Belagerung Wiens nur möglich war, weil
die Gegenreformation - dies hier bei einer Tagung des evangelischen Bildungswerkes
zu erwähnen, ist sicher legitim -, die rabiate Art der Durchführung
der Gegenreformation in Ungarn den Aufstand der ungarischen Adeligen mitbewirkt
hat und die Türken zu ihren Bündnispartner machte.
Prof. Heinrich Lutz von der Universität Wien hat mit seinen Forschungsarbeiten
gerade auch als Christ zu einer sachgemäßeren Betrachtung des
Jahres 1683 beigetragen. Um zu zeigen, wie rabiat die Gegenreformation
war: Die Pastoren der Slowakei wurden wenige Jahre vor 1683 zum Tode verurteilt
und zu lebenslanger Arbeit auf den kaiserlichen Galeeren in Neapel begnadigt.
In dieser Atmosphäre fand die Belagerung Wiens statt. Aber wer weiß
das schon, der das österreichische Bildungssystem absolvierte?
Ein anderer Bereich, wo Vorurteile für Kenntnisse gehalten werden, ist die angebliche Verbreitung des Islam mit Feuer und Schwert. Auf das größte islamische Land - in der Regel ist es als solches niemandem bekannt -, Indonesien, kann die "Feuer und Schwert"-Ideologie überhaupt nicht zutreffen.
Es ist unter anderem auch ein Verdienst von Hans Zirker, wiederholt darauf aufmerksam zu machen, daß der Islam geschichtlich gesehen eine Revision des Christentums darstellt, aber eine Revision des Christentums, die das Christentum selbst nicht zur Kenntnis genommen hat, und schwer mit seinem Selbstverständnis, keiner Revision zu bedürfen, in Einklang zu bringen ist. Für die Ausbreitung des Islams - ich meine auch für die Entstehung - war die Zerstrittenheit und Zerrissenheit der Christen ein wesentliches Ferment. Wobei die dogmatischen Kontroversen dermaßen von politischen Interessen überlagert und auch mit ihnen verknüpft waren, daß vielen ein Zusammenleben miteinander nicht mehr möglich war, so grundlegend verfeindet waren Christen. Der Islam wurde von vielen damals als Befreiung erlebt, weil alle dogmatischen Streitigkeiten damit außer Kraft waren. Eine Stadt, die sich den arabischen Erobern ergab, behielt alle religiösen Freiheiten. Der Islam hat ein Modell entwickelt, wie das Zusammenleben verschiedener Religionen in seinem Herrschaftsgebiet organisiert werden kann. Ob dies die beste Form des Zusammenlebens darstellt, ist eine andere Frage, aber es ist jedenfalls jene Form, in der Christen seit der Entstehung des Islam in seinem Herrschaftsgebiet gelebt und auch überlebt haben. Im Herrschaftsgebiet des Christentums war dies Muslimen - von regionalen und temporären Ausnahmen abgesehen - bis vor kurzem nicht möglich. Ich will damit überhaupt nicht leugnen, daß Krieg auch ein Element der Geschichte war. Aber die Charakterisierung der Ausbreitung des Islam "mit Feuer und Schwert" ist zu relativieren.
Das Gespräch wird auch dadurch erschwert, daß die Christen bereits auf bestimmte Formen der Kritik eingestellt sind. Mit der Religionskritik, mit der Kirchenkritik, mit vielen Formen der Kritik mußten Christen lernen zu leben. Und es ist nicht wenig, was Christen schon an Kritik erlebt haben, ständig erleben und über die Medien auch serviert bekommen. Es ist oft schmerzhaft, aber viele Krankheiten sind schmerzhaft oder manchmal notwendig im Blick auf eine Gesundung. Aber das Christentum hat noch nie gelernt, mit der Kritik durch eine andere Religion zu leben. Das ist das Neue, dem sich das Christentum durch religiöse und kulturelle Homogenität, jedenfalls im europäischen Bereich jahrhundertelang entziehen konnte. Heute steht es vor dem Problem, wie es mit dieser Kritik durch eine andere Religion umgehen könne, einer Kritik, die es in seinem Anspruch nach Wahrheit und nach universaler Geltung in Frage stellt. Teilweise besteht immer noch ein Schock darüber, teilweise Sprachlosigkeit und manchmal beginnt ein vorsichtiges Herantasten. Denn Hans Zirker ist zuzustimmen, daß beide Religionen einen universalen Anspruch nach Gültigkeit und nach Wahrheit haben, es aber nicht absehbar ist, daß die Ansprüche beider Religionen geschichtlich einmal entschieden sein werden. Damit müssen beide Religionen leben lernen. Nur der Islam hat in seiner Geschichte eine etwas bessere Ausgangslage, war er doch von Anfang an mit dem Christentum konfrontiert und fand im Koran Richtlinien vor, wie er mit den Christen umzugehen habe, nämlich ohne Zwang und mit größter Wertschätzung. "In der Liebe sind die Christen den Muslimen am nächsten." Während der Islam die bisherigen jüdischen und christlichen Traditionen respektiert, auch das Schätzenswerte in den Vordergrund rückt und außerdem definiert, daß es einen gemeinsamen Wetteifer geben soll im Guten, und anderen Religionen Lebensraum gibt, steht das abendländische Christentum vor dem Problem, das erst leisten zu müssen. Insofern hat das Christentum eine schlechtere Ausgangsposition in diesem Gespräch. Es ist vielmehr davon irritiert und gleichzeitig ist für das Christentum das Gespräch dringlicher als für Muslime, die schon eine Art Lebensregel für den Umgang mit anderen haben.
Eine große Gefahr wäre allerdings eine Entwicklung, in der sich eine Art Schulterschluß von Christen und Muslimen als Allianz gegen alle Andersdenkenden ergäbe.
Und ein Problem wäre, wenn das Gespräch dadurch schon Schiffbruch erleidet, weil eine unterschiedliche theologische Vorbildung in diesem Gespräch besteht. Wenn also ein österreichischer Arbeiter christlicher Tradition konfrontiert ist mit einem muslimischen Theologen, dann hat dieses Gespräch schon eine schiefe Ebene. Aber genauso schief wäre die Gesprächsebene, wenn ein österreichischer Arbeiter islamischer Tradition in einen christlichen Religionsunterricht eingeladen wird und dort von einem theologisch gebildeten Religionslehrer "aufgemacht" wird, gegen den er sich legitimieren und argumentieren muß. Die Unterschiedlichkeit, seinen Glauben darlegen, begründen, reflektieren zu können, muß respektiert werden. Und letztlich bleiben für das Gespräch zu beachten jene "klassische Dinge", die man einander vorhalten kann: den Heiligen Krieg, die Situation der Frauen, etc. Wie geht es den Christen, wenn das Gespräch zu allererst bestimmt ist von Kreuzzügen, Inquisition, Nordirland, Bosnien etc.? Können Christen dann antworten, damit hätten sie nichts zu tun, das wäre nicht ihre Geschichte. Haben Christen keine Vorgeschichte?
Und nun möchte ich kurz noch Chancen des Gesprächs Christen-Muslime beschreiben - besonders angesichts der bereits vom Vorredner erläuterten fünf Säulen des Islams.
Zuerst geht es sicher darum, Fremdes und Fremde kennenzulernen, mit Fremdem und Fremden vertraut zu werden. Dann gilt es aber auch das Fremde und die Fremden als Frage nach mir verstehen zu lernen. Es geht also nicht darum, sich das Fremde solange anzueignen, bis es mein Eigenes geworden ist, vielleicht gar so weit, daß ich es auch beherrsche und mich seiner bemächtige. Es ist völlig legitim, daß das Fremde auch fremd sein kann und bleiben kann, nicht nur toleriert.
Und dann stellt etwa die Verpflichtung zum Glaubensbekenntnis bei den
Muslimen die Frage nach meiner Verpflichtung zum Glaubensbekenntnis.
Dann stellt die muslimische Gebetstradition die Frage nach meiner Gebetstradition.
Dann stellt der Ramadan die Frage nach dem Fasten bei mir oder stellt die
Friedenszeit des Ramadan die Frage nach der Friedenszeit bei mir.
Dann stellt die Sozialpflichtigkeit des Muslim die Frage nach der Sozialpflichtigkeit
bei mir. Dann stellt die Wallfahrtspflicht der Muslime, des Sich-Aufmachens
und des Vertrautes-Verlassens die Frage des Sich-Aufmachens und des Vertrautes-Verlassens
auch bei mir. Das Fremde und Sich-dem-Fremden-Stellen ermöglicht eine
Wertschätzung und macht deutlich, daß das Eigene nicht alles
ist. Aber letztlich bleibt die Frage nach mir. Nicht die Frage: Wer ist
besser und was ist besser und was ist vergleichbar? Sondern die Frage nach
mir und meinem Leben bleibt am Ende. Auf diese Frage muß ich eine
Antwort finden. Und dann gibt es - ganz sicher auch im Sinne des Korans
- ein Wetteifern im Guten.
Man möge nicht vergessen, daß Jesus, wenn er die Frage des Glaubens auf die Spitze treiben wollte, diese stets am Beispiel Andersgläubiger präzisiert hat, wie etwa am barmherzigen Samariter. Wenn Jesus zeigen wollte, was Glaube ist, was wahrer Glaube ist, dann hat er immer die Praxis von Andersgläubigen genommen, sogar von andersgläubigen Feinden. Wir mögen in dieser Hinsicht in die Schule Jesu gehen und uns im positiven Sinn ein Beispiel gerade von den Andersgläubigen nehmen, die Andersgläubige sind. Dann vermögen wir gemeinsam Zeugnis zu geben, von dem Einen, dem Grund von Friede und Gerechtigkeit.
Aber es gibt sicher Menschen, die das alles unter schöne Worte einstufen und auf die Realität des Islam verweisen. Wer so blauäugig rede und die Bedrohung, die uns Scholl-Latour so dramatisch vor Augen führt, einfach negiere, der könne kein seriöser Gesprächspartner sein.
Mit Blauäugigkeit ist die Härte des Alltags nicht zu bestehen. Aber hat nicht eine christlich-islamische Konsultation bei Genf 1976 in der Frage der Religionsfreiheit konstatiert, "...daß Muslime und Christen die volle Freiheit haben zu überzeugen und überzeugt zu werden und ihren Glauben zu leben"?
Und hat nicht eine Konferenz islamischer Organisationen vor zwanzig Jahren bereits beschlossen, daß eine echte Partnerschaft von Christentum und Islam natürlich und gottgewollt ist?
Von daher denke ich, könnten wir uns auf den Weg machen, das Natürliche und Gottgewollte ansatzweise versuchen zu realisieren.
Der Text ist eine redigierte und gekürzte Fassung
der Tonbandabschrift des Vortrages vom 28. Okt. 1995
Quellen u.a.:
Peter Antes: Chancen des christlich-muslimischen Dialoges.
Neue Perspektiven in sich wandelnden Situationen für Muslime im "Westen",
in: Religionen unterwegs. Mitteilungen der Kontaktstelle für Weltreligionen
in Österreich 1.Jg.(1994) Nr.0, S.8-11
Hans Zirker: Islam. Theologische und gesellschaftliche
Herausforderungen, Düsseldorf 1993
Evangelische Christen und Muslime im Gespräch
Studientag "Religiöse Minderheiten im Gespräch« in
der Volks-hochschule Ottakring
"Wie ich nach Europa gekommen bin, bin ich erschrocken, daß meine
Religion hier für viele ein Feindbild ist". Diese Äußerung
eines Teilnehmers am Studientag, der vom Evangelischen Bildungswerk A.
B. Wien und der Volkshochschule Ottakring am 28.Oktober 1995 veranstaltet
wurde, macht deutlich, wie notwendig ein christlich-islarnischer Dialog
ist, aber auch mit welchen Schwierigkeiten er zu kämpfen hat. Muslime
und Muslimas leiden unter dem verzerrten Bild, das die Massenmedien vermitteln.
Der Islam werde vorwiegend mit massiver Intoleranz, Unterdrückung
der Frau oder mit politischem Terrorismus in Zusammenhang gebracht.
Demgegenüber wird im Qur'an ausdrück-lich den Gläubigen
Toleranz geboten, wie der islamische Religionslehrer Prof. Anas Schakfeh
in seinem Einleitungsreferat betonte, der Islam von Anfang an mit der Präsenz
von Juden und Christen konfrontiert war, hat er auch Modelle entwickelt,
wie Muslime mit Angehörigen anderer Religionen zusammenleben können.
Am Studientag wurden in Arbeitsgrup-pen einige viel diskutierte Themen, wie "Islam und Politik" und "Die Frau im Islam", aufgegriffen und von muslimischen Referentinnen - Mag. Lise J. Abid und Carla Baghajati - behandelt. In beiden Bereichen ist es wichtig, jeweils zwischen den grundsätzlichen islamischen Aussa-gen und ihrer jeweiligen Verwirklichung in islamischen Gesellschaften zu unter-scheiden.
So bestehe heute kein islamischer Staat-, der das islamische Ideal einer gerechten Gesellschaftsordnung wirklich repräsen-tiere. Dennoch werde ein Weg in diese Richtung gesucht. Eine Säkularisierung - wie die Trennung von Kirche und Staat im Westen - lehne der Islam grundsätz-lich ab, weil er die ethischen Prinzipien der Religion in allen Lebensbereichen verwirklicht sehen will. Geistliches und Weltliches soll nicht voneinander getrennt werden.
Für die Frau hat der Qur'an, wie Frau Bag-hajati ausführte, im Vergleich zum voris-lamischen Arabien in vieler Hinsicht eine wesentliche Verbesserung gebracht. Wo Frauen heute gegen ihren Willen verhei-ratet oder auch von Bildungseinrichtung.
In der Begegnung mit dem Islam läßt sich überraschend Neues, aber auch überraschend Vertrautes entdecken. Gottesdienst, so Prof. Schakfeh, umfasse für die Muslime nicht nur die täglichen Gebete und das Glaubensbekenntnis. das Fasten und die Wallfahrt nach Mekka, sondern auch die religiös- soziale Pflichtabgabe und "überhaupt alles Handeln. das gut und im Sinne Gottes ist".
Gottesdienst schließt also verantwor-tungsvolles Handeln ein -
genauso hat auch der Apostel Paulus im Römerbrief vom "vernünftigen
Gottesdienst im Alltag der Welt" geschrieben und Martin Luther vom
"täglichen Gottesdienst" in unserem Beruf gesprochen.
Das radikale Verbot jeder Darstellung Gottes im Islam bewahrt das tiefe
Wissen, daß Gott der "ganz Andere" ist, und entspricht darin dem
Bilderverbot in den Zehn Geboten. Dieser "ganz andere" Gott ist uns aber
"näher
als unsere Halsschlagader". wie es im Qur'an heißt.
Besonders erfreulich an diesem Studientag war. daß er von etwa gleich viel Muslimen wie Christen besucht war. Die Ge-sprächsinitiative ist auf viel positives Echo gestoßen. Andererseits kam auch Skepsis auf, ob ein solcher Dialog wirklich die Wahrnehmung des Islams in der Gesellschaft verbessern könne.
Der katholische Religionspädagoge Dr. Martin Jäggle stellte an den Anfang sei-nes Referates die Frage: "Was erwarten Sie selbst für Ihr Christsein bzw. Muslimsein (bzw. auch Menschsein) vom Dia-log zwischen Christen und Muslimen?" Es komme ja wesentlich darauf an. mit welchen Erwartungshaltungen wir in den Dialog eintreten und was wir uns von ihm erhoffen: eine Bestätigung für die Überlegenheit der eigenen Religion; eine Erfüllung für die eigene Suche nach Wahrheit; eine Aussöhung einander widersprechender Aussagen des Christentums und des Islams oder auch ein neues Verstehen meiner andersgläubigen Nachbarn.
Die Motive können unterschiedlich sein und sind manchmal wohl gar nicht be-wußt. Sie können sich auch im Laufe der Begegnung ändern. Wichtig ist, so Jäggle, daß für einen Dialog keine Vorbedingungen gestellt werden, daß jeder und jede in ihn eintreten kann, so wie er oder sie ist - mit seinen Vorbehalten und Ängsten, aber auch mit seiner Faszination für Neues und seiner Freude an Begegnungen.
Die bewußte Begegnung und Auseinan-dersetzung mit Muslimen bedeutet für die meisten evangelischen Gemeinden in Wien etwas Neues. Sie wird von der positiven Vermutung begleitet, daß evangelische Christen aufgrund ihrer eigenen Geschichte als Minderheit vielleicht besonders befähigt sein könnten, auf Ange-hörige der islamischen Minderheit zuzugehen und sie in ihrem Glauben verstehen zu lernen.
Der Studientag war der Auftakt für den Dialog zwischen evangelischen Christen und Muslimen in Wien. Er wird mit -Abenden der Begegnung- in den evan-gelischen Gemeinden Wien-Ottakring und Wien-Simmering weitergeführt, die den "Festen im Islam" gewidmet sind. Eine Abschlußtagung im Juni 1996 wird die Ergebnisse dieser Gespräche vorstellen und mit anderen Erfahrungen im christlich-islamischen Dialog verglei-chen. Vielleicht lassen sich daraus hilf-reiche Perspektiven für das Zusammen-leben von Christen und Muslimen entwickeln.
Alfred Garcia Sobreira - Majer Wien