Die Frau im Islam
Carla Amina Baghajaii


"Die Frau im Islam " ist ein Thema, das sich in einem Kurzreferat kaum erschöpfend behandeln läßt, gilt es doch zu unterscheiden zwischen grundsätzlichen islamischen Aussagen, die die Stellung der Frau betreffen und ihrer Situation in islamischen Gesellschaften, wie sie sich tatsächlich darstellt. "Theorie", bzw. "islamische Lehre" und Praxis müssen in der Realität aber nicht immer das gleiche bedeuten.

Wir wollen uns hier vor allem mit der Position der Frau nach islamischem Verständnis beschäftigen, basierend auf den beiden großen Quellen- Qur'an und Sunna (Überlieferungen aus dem für jeden Muslim beispielhaften Leben des Propheten Muhammad). Im Dialog zwischen den Religionen sei es erlaubt, nach dem Geist, dem ideellen Gerüst der verschiedenen Weltanschauungen fragend, zu einer Einschätzung zu gelangen, wie auch die Islamforschenin Annemarie Schimmel in ihrer Rede anläßlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels forderte.
Ein Blick auf die Weise, wie sich das- negative- Image des Islam immer wieder an Bildern und Klischees von Musliminnen festmacht, verdeutlicht zudem das Bedürfnis, dem Thema "Frau im Islain" nachzugehen. Hier scheint eine Chance zu liegen, durch mehr Differenzierung zu besserem Verständnis zu gelangen.

Welche Position kommt der Frau nun nach dem Qur'an zu, in welcher Weise wird von ihr gesprochen?-
Allgemein auffällig scheint, Wie sie als direkte Adressatin der für die Muslime göttlichen Offenbarungen genauso wie der Mann als Gläubige und Teil der islamischen Gemeinschaft einbezogen wird. In diesem Zusammmenhang steht dann auch, daß ihr damit die gleichen Aufgaben im Gottesdienst zukommen.

Dies sind in erster Linie die "fünf Säulen des Islam"- das Bekenntnis des Einen, Einzigen Gottes und seines letzten Propheten Muhammad, tägliches fünfmallges Gebet zu bestimmten Tageszeiten, Fasten im Monat Ramadan, jährliche Sozialsteuer auf ihr Vermögen (ca. 2,5 %, arab. zakat) und die Pilgerfahrt nach Mekka, so es ihre Umstände erlauben. Erwähnenswert ist dabei, daß ihr gewisse Erleichterungen zugesprochen sind. Beispielsweise sind Schwangerschaft und Stillzeit Gründe, das Fasten zu verschieben. Während der Menstruation oder im Wochenbett betet und fastet die Frau nicht, was sie im Übrigen keineswegs aus der Nähe Allahs entfernt, weil sie etwa weniger "leiste" oder "unrein" sei. Von der Vermögensabgabe ist ihr ständig getragener Schmuck ausgenommen.

Neben diesen grundlegenden Stützen eines praktizierten Islam- der Hinwendung zu Gott- ist die Frau gleich dem Manne aufgerufen, ständig an ihrer Weiterbildung zu arbeiten- Dieses Suchen nach Wissen ist für den Muslim geradezu Pflicht, soll er doch von den ihm geschenkten Fähigkeiten zum Nutzen und in Würdigung der Schöpfung Gebrauch machen.
Immer wieder treffen wir im Qur'an auf Frauengestalten. Maryam (= Maria), der Mutter des im Islam hochverehrten Propheten Isa (= Jesus), ist sogar der Titel einer Sure gewidmet, die von ihrer Geschichte und vor allem ihrem Gottvertrauen angesichts einer feindlichen Umwelt berichtet, die der unverheirateten Mutter mit Skepsis begegnet. Das Baby Isa selbst wird Zeuge ihrer Unschuld und spricht zu den Zweiflern von seinem Prophetentum.
Die Gattin des Pharao, Asiah, hält in einer von Willkürherrschaft und Götzendienst geprägten Umwelt am Monotheismus fest und rettet Musa (=Moses) als Säugling das Leben. Mutig nimmt sie gegen die Tyrannei ihres Mannes Stellung.
Hagar heißt die afrikanische Mutter Ismails, dessen Vater Ibrahim (= Abraham) ist. In der Wüste alleingelassen gerät sie nicht in Panik, sondern sucht und findet Wasser, eine Quelle, die bis heute nicht versiegt ist und aus der Millionen Mekkapilger trinken. Ihrem Andenken ist einer der zentralen Riten der Pilgerfahrt gewidmet, ihr, die als Sklavin den Stammvater der Araber gebar. Die Muslime sind stolz darauf, die Magd und nicht die Herrin in ihr zu ehren.

Auch Bilqis sei erwähnt, eine für ihr Volk vorbildliche, gerechte Herrscherin, die Königin von Saba. Sie stand in Dialog mit dem Propheten Suleiman (Salomon).

Ein besonderes Augenmerk möchte ich endlich der Figur Evas schenken. In der Qur'anischen Darstellung des sogenannten "Sündenfalls" übergeht sie gemeinsam mit Adam Gottes Gebot. Sie bereuen ihre Tat und Allah wendet sich den beiden barmherzig wieder zu und bestimmt ihnen die Erde zu Wohnstatt und Nutznießung für eine Dauer. Auch wenn die moderne christliche Theologie die Rolle Evas als Verführerin des Mannes, durch die die "Erbsünde" in die Welt gekommen sei, relativiert, bleibt die historische Tatsache, daß die muslimische Frau nie mit solchen Schuldzuweisungen, die sie als "von Natur aus schlecht" abqualifizierte, leben mußte.
Tatsächlich ist dem Islam der Gedanke der "Erbsünde" fremd. Die Verfehlung des Paares, die von Allah so rasch vergeben wurde, erhält eine positive Dimension, indem dem Menschen von nun an die Möglichkeit der Unterscheidung zwischen Gut und Böse offensteht.

Der Islam legt auf die praktische Wirkung des Glaubens im Alltag Wert und mißt der Entscheidungsmöglichkeit- des Menschen große Bedeutung zu. 'Das Gute gebieten, das Schlechte verwehren", ist ein bekanntes Gebot, wie auch der Ausspruch Muhammads, nachdem man dem Unrecht zu begegnen habe. Dies kann durch Taten geschehen, durch das Wort oder durch bloße Mißbilligung, die die schwächste Form darstellt- Selbstverständlich sind Mann und Frau gleichermaßen gefordert aktiv in der sie umgebenden Gesellschaft mitzuwirken. Zivilcourage ist
eine dem Muslim abverlangte Haltung, so daß gefügige Passivität angesichts von Mißständen auch im Leben einer Frau keinen Platz haben sollte.

Das Augenmerk richte sich im folgenden auf eine Reihe rechtlicher Aspekte, die die Belange der Frau betreffen. Vor allem. in der vierten Sure "Die Frauen" findet sich eine Fülle solcher Regelungen.
So steht der Frau ein unbedingtes Eigentumsrecht zu. Voll geschäftsfähig verfügt sie über ihr Vermögen frei. Bekanntes Beispiel für eine im Wirtschaftsleben stehende Persönlichkeit ist Chadidscha, die erste Gattin Muhammads, die als Leiterin eines Handelsuntemehmens Chefin des wesentlich jüngeren Muhammad war.

Von großer Bedeutung ist weiters, daß die Frau, selbst wenn sie ein eigenes Einkommen bezieht, für den Unterhalt der Familie keine Verantwortung trägt. Für das Auskommen ist einzig der Mann zuständig, der nach dem Prinzip der Gütertrennung nicht nach ihrem Vermögen greifen darf. Ferner ist die Frau erbberechtigt, was in einem komplizierten System für die verschiedenen Verwandtschaftsverhältnisse aufgeschlüsselt ist. Sie erhält in der Regel die Hälfte des Betrages eines entsprechenden männlichen Familienmitglieds- Vor dem Hintergrund der männlichen Unterhaltspflicht wird dieser Umstand verständlich, muß sie doch von ihrem Vermögen nichts abgeben, während ein Mann automatisch nicht nur für seine Frau und Kinder finanziell aufkommen muß, sondern auch für eventuell unversorgte andere weibliche Angehörige. Von einer Herabsetzung des Stellenwerts einer Frau wegen dieser Tatsache, kann also keine Rede sein.

Vor dem Strafgesetz sind Mann und Frau gleichgestellt; bei gleichen Vergehen würden sie auch die gleichen Sanktionen treffen.
Was die Ehe betrifft, so ist diese ein Zivilvertrag, der die Einwilligung beider zukünftiger Eheleute zur Voraussetzung hat. In diesem ist die Aussetzung eines gewissen individuell zu bestimmenden Betrags für die Frau verpflichtend vorgeschrieben. Dies ist nicht mit einem Brautpreis zu verwechseln, sondern als Absicherung im Scheidungsfall gedacht, kann aber auch bei der Eheschließung zur Ganze an sie entrichtet werden. In jedem Fall steht das Geld einzig und allein ihr zu. In einem Ehevertrag hat die Frau auch die Möglichkeit, Vorkehrungen für persönliche Angelegenheiten zu treffen. Beispielsweise kann sie ihren Anspruch auf Fortführung einer Ausbildung schriftlich fixieren oder auch ein Einspruchsrecht bei dem Wunsch des Ehegatten nach einer zweiten Frau darlegen.

An dieser Stelle seien einige Worte zum Stichwort "Polygamie" eingefügt. Der Islam gibt dem Mann zwar theoretisch die Möglichkeit, bis zu vier Ehefrauen zu nehmen, macht aber die strenge Voraussetzung, daß er gerecht alle gleich behandeln müsse. Dies erstreckt sich auf alle Bereiche des Zusammenlebens. Er müßte genausoviel Zeit bei der einen wie der anderen verbringen und gleich Geschenke und Ausgaben machen. Zahlreiche große Gelehrte, wie der berühmte Historiker und Theologe At-Tabari, betrachten von diesen hohen, kaum zu erfüllenden Forderungen ausgehend, die Einehe als empfohlen- Sie wird im Islam favorisiert und die Mehrehe als Ausnahmesituation unter besonderen sozialen Umständen zugestanden, nach einem Krieg, der viele Frauen zu Witwen machte, beispielsweise. (Vgl. Bahnassawi )

Doch zurück zu weiteren, die Ehe betreffenden Regelungen.- Nach der Heirat führt die Frau ihren Namen weiter, was Zeichen ihrer Eigenständigkeit ist und dokumentiert, daß sie nicht etwa in allem nur mehr dem Gatten zugehört.
Hausarbeit ist für die Ehefrau keine selbstverständliche Pflicht, sondern wird als ein von ihr geleistetes "Almosen" betrachtet, also als eine freiwillige gute Tat. Demzufolge kann sie von ihrem Mann eine Unterstützung beanspruchen.
Im Bereich des Sexuellen hat der Mann auf die Bedürfnisse seiner Frau Rücksicht zu nehmen und darauf zu achten, daß ein befriedigendes gemeinsames Geschlechtsleben erreicht wird.

Kinder werden im Islam sehr begrüßt, andererseits kann die Frau Geburtenkontrolle praktizieren. Auch Abtreibung ist kein Tabu, wenn für die Frau erschwerende Umstände eintreten, wie z.B. Gefahr für ihr körperliches Wohlergehen. Der Eingriff sollte allerdings möglichst rasch vorgenommen werden. Es werden auch Fristen angegeben, die je nach Rechtsauffassung bei 40 oder 120 Tagen liegen. Das Leben der Mutter ist in jedem Fall vorrangig vor dem des Kindes.
Die Scheidung, die von den "erlaubten Dingen als das von Gott am meisten verabscheute" bezeichnet wird, steht Mann wie Frau als Ausweg aus einem nicht tragbaren Eheverhältnis offen. Es sollten zuvor Vermittlungsversuche unternommen worden sein. Auch das Modell einer stufenweisen Trennung ist als Prüfung bekannt, ob nicht doch noch ein Einverständnis erreicht werden könnte.

Nachdem wir von der eher allgemeinen Wertschätzung der Frau und der Absicherung wichtiger sie betreffender Interessen im islamischen Recht gehört haben, stellt sich als nächstes die Frage, in welcher Weise sie neben dem Mann eingeschätzt wird und in welchem Verhältnis sie zueinander stehen.

Die Frau gilt als die "Zwillingshälfte" des Mannes. Daß sie gleichwertig nebeneinander stehen, läßt sich auch aus dem bisher Gesagten ableiten. Beiden steht das Paradies gleichermaßen offen. Gleichwertigkeit bedeutet für den Islam aber nicht Gleichartigkeit. Die Frau ist in ihrer Natur anders und kann darum teilweise in anderer Funktion tätig sein. Ihrer möglichen Rolle als Mutter wird allerhöchste Achtung entgegengebracht. Die Kinder schulden ihr ein Leben lang besondere Zuwendung und Aufmerksamkeit. Daß ein funktionierendes Familienleben als Keimzelle einer gesunden Gesellschaft im Islam hochgehalten wird, schließt eine mögliche Berufstätigkeit der Frau dabei nicht aus.

Immer wieder wird der Mann ermahnt, seiner Frau gegenüber gutes Verhalten an den Tag zu legen. Aussprüche des Propheten wie "Derjenige ist am besten unter euch, der am besten zu den Frauen ist", geben Zeugnis dafür. Das Verhältnis der Eheleute sollte von gegenseitiger Achtung und Verständnis getragen sein. Die Loyalität und Treue der Frau geht nur so weit, als sich der Mann in seinen Wünschen an sie im Rahmen der islamischen Gesetze und Werte hält. Wir haben bereits gehört, ein welch umfassender Katalog an Rechten der Frau zugute kommt. So soll ausgeschlossen werden, daß der Mann zum Nachteil der Frau ihre Stellung herrschsüchtig untergräbt.
Mann und Frau sind in respektvollem Umgang miteinander angeregt, ihr Anderssein auszugleichen. In gemeinsamer Kommunikation, Mäßigung und einem Miteinander können Schlüssel zum Erlernen von Toleranz und das Erreichen einer Art Balance liegen. Dies entspricht dem Ideal eines "Wegs der Mitte", wie ihn der Islam immer wieder propagiert. ( Vgl. Özelsel)

Vollziehen wir nun einen großen Sprung aus dem Bereich der theoretischen Konzeption islamischer Lehre in die Realität. Inwieweit können islamische Muster der Wirklichkeit standhalten? oder erweisen sich die Klischees einer unfreien, willenlos vom Mann gelenkten Frau als doch nicht so unberechtigt?

Es versteht sich von selbst, daß eine Einschätzung bei der Vielfalt der Länder, deren Bevölkerung mehrheitlich muslimisch ist, nur schwer zu treffen sein wird. All diese Länder- von Marokko über den Iran, die Türkei bis Indonesien, bringen ganz verschiedene Kulturen ein, Mentalitäten und natürlich soziale und wirtschaftliche Bedingungen, die kein einheitliches Bild zulassen. Oftmals machen Traditionen, die noch aus vorislamischer Zeit stammen, einen für die Frauen negativen Einfluß geltend. Diese uralten Gebräuche konnte nicht einmal der Islam völlig zurückdrängen, der für die Situation der Frauen zu Muhammads Zeiten revolutionär war. Andererseits ist im Vergleich zum rechtlosen Schicksal einer Frau vorislamischer Zeit, die bei der gängigen Praxis des Lebendigbegrabens neugeborener Mädchen noch für ihr Leben dankbar sein mußte, ein deutlicher Fortschritt erreicht. Freilich darf dies nicht zu einer willkommenen Ausrede werden, die Augen vor so offensichtlichen Mißständen wie einem Vorenthalten des Erbrechts, Zwangsverheiratung mit einem Unbekannten oder Ausschluß von Bildungseinrichtungen zu verschließen. Hingewiesen werden sollte auch auf die unbefriedigenden politischen Verhältnis sein vielen muslimischen Staaten, die oft unter Diktaturen oder bestenfalls Pseudodemokraten zu leiden haben. Welches Land kann für sich schon in Anspruch nehmen, islamisch regiert zu werden? Allzu oft hält männlicher Chauvinismus der Frau ihre im Islam verbürgten Rechte vor.

Wenn die hiesigen Medien sich dann mit Genuß in Schauergeschichten von Blutrache und ähnlichem ergehen, als wollten sie der durch Doppelbelastung gestressten Europäerin beruhigend vermitteln, sie dürfe angesichts solcher Realitäten froh über ihre Lebensweise sein, hat der für das Elend verantwortlich gemachte Islam gerade damit nichts zu tun.

Ist der Islam also nichts als eine Utopie?
Greifen wir dazu in die Frühzeit islamischer Geschichte zurück und suchen Beispiele für damalige Frauenleben. Hier begegnen uns starke Persönlichkeiten, die ihren Einfluß im öffentlichen Leben wie selbstverständlich wahrnahmen. Für die vielen Frauen, von denen Chroniken berichten, sei stellvertretend etwa die Gattin Muhammads Aischa genannt, der wir zahlreiche Überlieferungen verdanken, die für die religiöse Praxis eine wichtige Rolle spielen. Sie hatte nach dem Tod ihres Mannes eine politisch bedeutende, nicht immer spannungsfreie Position inne, weil sie zur Tagespolitik Stellung nahm und die Männer in flammenden Briefen zu beeinflussen suchte. Eine andere Prophetengattin und Tochter des späteren zweiten Kalifen Omar, Hafsa, war die Hüterin des ersten schriftlich niedergelegten Qur'anexemplars. Fatima, eine Tochter Muhammads, die mit dem nachmaligen vierten Kalifen Ali verheiratet war, setzte sich in einer Art Wahlkampagne für ihren Mann ein. Wichtig ist aber vor allem, daß auch die Frauen, die nicht aus dem unmittelbaren Kreis um den Propheten stammten, am öffentlichen Leben teilhatten.
Wir wissen, daß sie in der Moschee als dem zentralen Versammlungsort und Umschlagplatz für Neuigkeiten anwesend waren und auch ihre Stimme erhoben, um Fragen zu stellen. Beim Zusammenschluß der jungen muslimischen Gemeinde leistete jede einzelne von ihnen Muhammad persönlich eine Art Treueeid.

Die weitere Geschichte kannte Frauen in der Richterfunktion, als Marktinspektorin und Gelehrte, zu der Männer in der Bitte um Unterrichtung kamen. Auch eine große Mystikerin, Rabia, ist in dieser Reihe zu nennen, die formulierte, daß all ihr Gottesdienst nicht aus Angst, sondern nur aus der Liebe zu Allah erwachsen möge.

Erst im Zeitalter der Abassiden scheint sich ein Bruch zu vollziehen, der islamische Forderungen und Alltag ins Ungleichgewicht brachte. In diese Zeit fällt auch eine Aussage des Philosophen Averroes, arabisch Ibn Rushd, der hier als Wegbereiter der Renaissance und Mitinitiator Kantscher Philosophie Achtung genießt. Mit Bedauern konstatiert er in seinen "Anmerkungen zu Platon", daß die Gesellschaft nichts von den Fähigkeiten der Frauen wisse und sie nur zum Dienst am Ehemann und Betreuung des Nachwuchses brauche. Er wünscht sich bessere Schulung, damit Frauen womöglich gleiche Arbeiten wie die Männer verrichten.

Die Moderne kennt Frauen, die nach Bildung streben und aus dem Rahmen rein hausfraulicher Tätigkeit auszubrechen suchen, wobei sie sich ihre islamische Identität doch bewahren wollen. Dies ist ein Beispiel dafür, daß die These Armut plus Unwissen gleich Religiösität nicht immer haltbar ist. Sehr bewußt entscheiden sich solche jungen Studentinnen, Krankenschwestern, Lehrerinnen usw. für den Islam, auch weil sie ihre Interessen darin vertreten sehen. Oft werden sie als "Fundamentalistinnen" und Rückständlerinnen schlechtgemacht, wobei man übersieht daß gerade sie es sind, die mit ihrem Wissen und Überzeugungen einem Traditionalismus die Stirn bieten können.
Mit islamischen Argumenten können sie Männern begegnen, die Frauen nicht den gebührenden Platz einräumen wollen. Viele von ihnen sehen eine Möglichkeit, den Herausforderungen der Moderne auf der Ebene der islamischen Prinzipien zu begegnen, die ihnen nicht nur ihre Rechte garantieren, sondern einen praktizierbaren Weg darstellen.

Zum Abschluß der Überlegungen, inwieweit Islam in der Realität verwirklicht ist, möchte ich auf die vielen muslimischen Familien verweisen, von denen wegen ihrer medienunwirkamen Unauffälligkeit die Presse keine Notiz nimmt. Sie leben in den islamischen Ländern oder auch mitten unter uns und sind täglich bemüht, ihren Islam bewußt zu leben.
 

Aus dem Qur'an

Im Namen Allahs, des Allerbarmers, des Barmherzigen!

Diejenigen aber, die handeln, wie es recht ist - sei es Mann oder Frau - und dabei gläubig sind, werden ins Paradies eingehen und nicht im geringsten Unrecht erleiden. (4/123)

Wahrlich, die muslimischen Männer und die muslimischen Frauen, die gläubigen Männer und die gläubigen Frauen, die gehorsamen Männer und die gehorsamen Frauen, die wahrhaftigen Männer und die wahrhaftigen Frauen, die geduldigen Männer und die geduldigen Frauen, die demütigen Männer und die demütigen Frauen, die Männer, die Almosen geben, und die Frauen, die Almosen geben, die Männer, die fasten, und die Frauen, die fasten, die Männer, die ihre Keuschheit wahren, und die Frauen, die ihre Keuschheit wahren, die Männer, die Allahs häufig gedenken, und die Frauen, die Allahs häufig gedenken - Allah hat ihnen allen Vergebung und großen Lohn bereitet. (33/35)

Dem, der recht handelt - sei es Mann oder Frau - und gläubig ist, werden wir gewiß ein gutes Leben gewähren: und Wir werden gewiß solchen Leuten ihren Lohn nach der besten ihrer Taten bemessen. (16/97)

Da erhörte sie ihr Herr und sprach: " Seht, Ich lasse kein Werk der Wirkenden unter euch verloren gehen, sei es von Mann oder Frau; die einen von euch sind von den anderen. ... (3/195)

Und Wir sprachen: V Adam, verweile du und deine Gattin im Paradies und esset uneingeschränkt von seinen Früchten, wo immer ihr wollt.' Kommt jedoch diesem Baum nicht nahe, sonst würdet ihr IZ u den Ungerechten gehören" (35) Doch Satan ließ sie dort straucheln und brachte sie aus dem Zustand heraus, in dem sie waren. Da sprachen Wir: " Geht hinunter.' Der eine von euch sei des anderen Feind. Und ihr sollt auf der Erde Wohnstätten und Versorgung auf beschränkte Dauer haben. " (36) Da empfing Adam von seinem Herrn Worte, worauf Er ihm verzieh; i4,-ahrlich Er ist der Allverzeihende, der Barmherzige. (2. Sure/37)

Und erwähne im Buch Maria. Als sie sich von ihrer Familie nach einem östlichen Ort zurückzog. (16) Und sich vor ihr abschirmte, da sandten Wir Unseren Engel Gabriel zu ihr, und er erschien ihr in der Gestalt eines vollkommenen Menschen (17); und sie sagte: " Ich nehme meine Zuflucht vor dir bei dem Allerbarmer, laß ab von mir, wenn du Gottesfurcht hast. " (18) er sprach: "Ich bin der Bote deines Herrn. Er hat mich zu dir geschickt, auf daß ich dir einen reinen Sohn beschere. " (19) Sie sagte: "Wie soll mir ein Sohn geschenkt werden, wo mich doch kein Mann je berührt hat und ich auch keine Hure bin? " (20) Er sprach. "So ist es,- dein Herr aber spricht: "Es ist Mir ein leichtes, und Wir machen ihn zu einem Zeichen für die Menschen und zu unserer Barmherzigkeit, und dies ist eine beschlossene Sache. " (2 1)
 

Evangelische Christen und Muslime im Gespräch
Studientag "Religiöse Minderheiten im Gespräch« in der Volks-hochschule Ottakring

"Wie ich nach Europa gekommen bin, bin ich erschrocken, daß meine Religion hier für viele ein Feindbild ist". Diese Äußerung eines Teilnehmers am Studientag, der vom Evangelischen Bildungswerk A. B. Wien und der Volkshochschule Ottakring am 28.Oktober 1995 veranstaltet wurde, macht deutlich, wie notwendig ein christlich-islarnischer Dialog ist, aber auch mit welchen Schwierigkeiten er zu kämpfen hat. Muslime und Muslimas leiden unter dem verzerrten Bild, das die Massenmedien vermitteln. Der Islam werde vorwiegend mit massiver Intoleranz, Unterdrückung der Frau oder mit politischem Terrorismus in Zusammenhang gebracht.
Demgegenüber wird im Qur'an ausdrück-lich den Gläubigen Toleranz geboten, wie der islamische Religionslehrer Prof. Anas Schakfeh in seinem Einleitungsreferat betonte, der Islam von Anfang an mit der Präsenz von Juden und Christen konfrontiert war, hat er auch Modelle entwickelt, wie Muslime mit Angehörigen anderer Religionen zusammenleben können.

Am Studientag wurden in Arbeitsgrup-pen einige viel diskutierte Themen, wie "Islam und Politik" und "Die Frau im Islam", aufgegriffen und von muslimischen Referentinnen - Mag. Lise J. Abid und Carla Baghajati - behandelt. In beiden Bereichen ist es wichtig, jeweils zwischen den grundsätzlichen islamischen Aussa-gen und ihrer jeweiligen Verwirklichung in islamischen Gesellschaften zu unter-scheiden.

So bestehe heute kein islamischer Staat-, der das islamische Ideal einer gerechten Gesellschaftsordnung wirklich repräsen-tiere. Dennoch werde ein Weg in diese Richtung gesucht. Eine Säkularisierung - wie die Trennung von Kirche und Staat im Westen - lehne der Islam grundsätz-lich ab, weil er die ethischen Prinzipien der Religion in allen Lebensbereichen verwirklicht sehen will. Geistliches und Weltliches soll nicht voneinander getrennt werden.

Für die Frau hat der Qur'an, wie Frau Bag-hajati ausführte, im Vergleich zum voris-lamischen Arabien in vieler Hinsicht eine wesentliche Verbesserung gebracht. Wo Frauen heute gegen ihren Willen verhei-ratet oder auch von Bildungseinrichtung.

In der Begegnung mit dem Islam läßt sich überraschend Neues, aber auch überraschend Vertrautes entdecken. Gottesdienst, so Prof. Schakfeh, umfasse für die Muslime nicht nur die täglichen Gebete und das Glaubensbekenntnis. das Fasten und die Wallfahrt nach Mekka, sondern auch die religiös- soziale Pflichtabgabe und "überhaupt alles Handeln. das gut und im Sinne Gottes ist".

Gottesdienst schließt also verantwor-tungsvolles Handeln ein - genauso hat auch der Apostel Paulus im Römerbrief vom "vernünftigen Gottesdienst im Alltag der Welt" geschrieben und Martin Luther vom "täglichen Gottesdienst" in unserem Beruf gesprochen.
Das radikale Verbot jeder Darstellung Gottes im Islam bewahrt das tiefe Wissen, daß Gott der "ganz Andere" ist, und entspricht darin dem Bilderverbot in den Zehn Geboten. Dieser "ganz andere" Gott ist uns aber "näher als unsere Halsschlagader". wie es im Qur'an heißt.

Besonders erfreulich an diesem Studientag war. daß er von etwa gleich viel Muslimen wie Christen besucht war. Die Ge-sprächsinitiative ist auf viel positives Echo gestoßen. Andererseits kam auch Skepsis auf, ob ein solcher Dialog wirklich die Wahrnehmung des Islams in der Gesellschaft verbessern könne.

Der katholische Religionspädagoge Dr. Martin Jäggle stellte an den Anfang sei-nes Referates die Frage: "Was erwarten Sie selbst für Ihr Christsein bzw. Muslimsein (bzw. auch Menschsein) vom Dia-log zwischen Christen und Muslimen?" Es komme ja wesentlich darauf an. mit welchen Erwartungshaltungen wir in den Dialog eintreten und was wir uns von ihm erhoffen: eine Bestätigung für die Überlegenheit der eigenen Religion; eine Erfüllung für die eigene Suche nach Wahrheit; eine Aussöhung einander widersprechender Aussagen des Christentums und des Islams oder auch ein neues Verstehen meiner andersgläubigen Nachbarn.

Die Motive können unterschiedlich sein und sind manchmal wohl gar nicht be-wußt. Sie können sich auch im Laufe der Begegnung ändern. Wichtig ist, so Jäggle, daß für einen Dialog keine Vorbedingungen gestellt werden, daß jeder und jede in ihn eintreten kann, so wie er oder sie ist - mit seinen Vorbehalten und Ängsten, aber auch mit seiner Faszination für Neues und seiner Freude an Begegnungen.

Die bewußte Begegnung und Auseinan-dersetzung mit Muslimen bedeutet für die meisten evangelischen Gemeinden in Wien etwas Neues. Sie wird von der positiven Vermutung begleitet, daß evangelische Christen aufgrund ihrer eigenen Geschichte als Minderheit vielleicht besonders befähigt sein könnten, auf Ange-hörige der islamischen Minderheit zuzugehen und sie in ihrem Glauben verstehen zu lernen.

Der Studientag war der Auftakt für den Dialog zwischen evangelischen Christen und Muslimen in Wien. Er wird mit -Abenden der Begegnung- in den evan-gelischen Gemeinden Wien-Ottakring und Wien-Simmering weitergeführt, die den "Festen im Islam" gewidmet sind. Eine Abschlußtagung im Juni 1996 wird die Ergebnisse dieser Gespräche vorstellen und mit anderen Erfahrungen im christlich-islamischen Dialog verglei-chen. Vielleicht lassen sich daraus hilf-reiche Perspektiven für das Zusammen-leben von Christen und Muslimen entwickeln.

Alfred Garcia Sobreira - Majer Wien