Juden, Christen, Muslime – gemeinsam Europa bauen.
Eva FRENZEN
Bis vor 10-15 Jahren wäre ein solcher Titel kaum möglich gewesen. Juden und Christen mögen über einen Dialog nachgedacht haben und in einigen Nischen fand dieser auch statt, aber über unsere muslimischen Nachbarn haben wir uns damals noch so gut wie keine Gedanken gemacht. Sie existierten, das war dann auch schon alles.
Ich selber habe vor etwa 17 Jahren angefangen mich im interreligiösen Dialog zu engagieren. Damals hieß das für mich jüdisch-christlicher Dialog. Erst vor etwa 6-7 Jahren kam ich dann zum jüdisch-christlich-muslimischen Dialog. Ich glaube, das hatte viel damit zu tun, dass ich selber wachsen musste (nicht nur im Alter) sondern v.a. in der Auseinandersetzung mit dem Anderen und der Herausforderung, die immer an einen selber gestellt wird, wenn man sich auf etwas Neues und Fremdes einlässt. Oft führt eine solche Auseinandersetzung dazu sich selbst zu hinterfragen oder anzuzweifeln und manchmal auch dazu sich permanent verteidigen zu müssen. Erst als ich in meiner eigenen Kultur und Religion gefestigt genug war um sowohl mit ihren Fehlern aber v.a. mit all ihrem Reichtum offen umgehen zu können, konnte ich auch die Herausforderung eines weiteren Dialogs mit meinen muslimischen Mitmenschen annehmen.
Heute arbeite ich im europäischen Ausland, in London, in einer multikulturellen und multireligiösen Umgebung. Als ich vor 17 Jahren anfing im interreligiösen Dialog zu arbeiten, so fand dieser Dialog zumeist auf einer theologischen Ebene statt. Juden und Christen und dann später Muslime trafen und treffen sich in den verschiedensten Einrichtungen um sich gegenseitig kennen zu lernen und über ihre kulturellen und religiösen Hintergründe auszutauschen. In meinem Zentrum im Norden Londons sind die Hintergründe des Zusammenarbeitens sehr viel praktischer und pragmatischer. Hindus aus dem Gujerat (Indien), Christen aus Afrika und der Karibik und Muslime aus Somalia haben sich zusammengetan und ein Zentrum gegründet. Ausgangspunkt: inadäquate Räumlichkeiten.
Das dies nicht ohne Probleme zu verwirklichen war war uns allen klar, dass aber die Bereitschaft aller Gruppen so groß war, dass wir bis heute keine großen Auseinandersetzungen hatten, überacht uns alle immer noch. Auf allen Seiten war die Bereitschaft vorhanden, dem Anderen zuzuhören, zu lernen, dass Hindus keine Speisen zu sich nehmen, die Leben vernichten, oder verhindern (d.h. kein Fleisch, kein Fisch, keine Eier), dass Muslime keinen Alkohol trinken und ihre Speisen Halal sind.
Heute haben wir drei Kühlschränke in der Küche, einen vegetarischen, einen Halal und einen ohne jede Begrenzungen. Die christliche Gruppe setzte sich dafür ein, dass kleine Duscheinsätze in die Toiletten eingebaut wurden um den Muslimen die Möglichkeit zu geben ihre rituellen Wachungen vorzunehmen. Zu unseren religiösen Festen laden wir uns gegenseitig ein und meine Synagoge hat ihren Jom Kippur Gottesdienst dieses Jahr zum zweiten Mal in unserem Zentrum.
Besucher unseres Zentrums sind oft beeindruckt von der freundlichen
Atmosphäre, ihnen fällt aber auch auf, dass die Wände sehr
kahl ind. Damit haben sie recht. Es ermöglicht uns aber offen für
alle zu sein. Keine Religionsgemeinschaft hat das Gefühl sie könnten
ihre Gottesdienste nicht in unseren Räumen feiern, weil da es da ein
Bild, Symbol oder eine Statue gibt, die ihren Glaubensgrundsätzen
widerspricht.
Der Hindutempel verschwindet in einem einfachen gehaltenen weißen
Schrank, nachdem er nicht mehr gebraucht wird. Die Gebetsteppiche werden
aufgerollt und in einem Vorratsschrank verstaut. Die christlich gehaltenen
Bilder lassen sich ganz einfach umdrehen.
Ich erzähle dies, weil ich es immer wichtiger finde auch im Alltag Wege zu finden, wie wir zusammen leben und arbeiten können und uns nicht nur in Ausnahmesituationen, wie es oft auf Tagungen vorkommt, treffen können.
Ich denke es kommt in Europa v.a. darauf an den/die Andere/n wahrzunehmen, lernen uns gegenseitig zuzuhören und oft Toleranz zu zeigen auch wenn es schwer fällt. Ich habe auch gelernt, dass Religion zum gemeinsamen Gespräch führen kann. Als ich vor zwei Jahren meine Arbeit antrat wurde ich gewarnt, dass ich mit den Somalis meine Probleme bekommen würde, da ich eine Frau sei. Es stellte sich heraus, das wir durch unsere Religion eine gemeinsame Basis hatten auf der wir uns verständigen konnten, und dass viel mehr die Angst bestand, dass ich die Kultur und Religion der Somalis nicht berücksichtigen würde.
Es ist ein spannendes Unterfangen dem wir da entgegengehen. Es wird
nie einfach sein auf diesem Weg, aber was wir aus unseren Anstrengungen
mitnehmen können, was wir aus ihnen lernen können, ist meiner
Meinung nach unbezahlbar.