fum - forum unabhängiger Muslime
24.11.2002
PRESSEERKLÄRUNG
zu der von Terre Des Femmes
initiierten Kampagne "Stoppt Zwangsheirat - Nein zu Gewalt an Frauen"
Am 25. November startet
Terre Des Femmes eine Kampagne gegen die zwangsweise Verheiratung von Frauen.
Das besondere Augenmerk richtet sich dabei auf islamische Länder sowie auf in
Deutschland lebende muslimische Migrantinnen.
In der Tat bilden
innerfamiliäre physische und psychische Gewalt - wozu die Zwangsverheiratung
zweifellos gehört - in vielen muslimischen Ländern und innerhalb der
westeuropäischen muslimischen Communities ein gravierendes Problem, das bisher
allzu oft verleugnet, verdrängt und banalisiert wurde. Wir begrüßen daher
Initiativen, solchen Mißständen durch Aufklärung sowie durch Beratungs- und
Hilfsangebote für die Opfer entgegenzuwirken. Von der jetzt beginnenden
Kampagne sind nach unserer Einschätzung allerdings kaum Fortschritte zu
erwarten, denn sie propagiert als Alternative den Bruch mit der Familie und mit
den von Eltern und Großeltern mitgebrachten Traditionen (abgesehen vielleicht
von ein paar folkloristischen Relikten, die das hiesige arbeitsam-graue Leben
bunter und ab-wechslungsreicher machen und die sich problemlos in ein
"modernes" Frauenleben integrieren lassen). Dies aber ist für die
meisten betroffenen Frauen, vor allem für die religiös orientierten, keine
akzeptable Perspektive.
Terre Des Femmes weist
darauf hin, daß keine der Weltreligionen - gemeint sind wohl Judentum,
Christentum und Islam - die Zwangsverheiratung von Frauen legitimiert. Vielmehr
sei diese Praxis auf patriarchale Strukturen und Traditionen zurückzuführen.
Die geplanten Aktivitäten und angebotenen Info-Materialien, nicht zuletzt auch
die E-Mail-Adresse, unter der man weitere Informationen anfordern kann, bringen
jedoch ganz klar zum Ausdruck, um was es hier geht: um islamisch
geprägte Traditionen und Lebensweisen. Dabei bleibt die auf abstrakter Ebene
vorgenommene Differenzierung zwischen Islam einerseits und frauenfeindlichen
Traditionen andererseits ein der political correctness geschuldetes
Lippenbekenntnis.
Es wird auch nicht weiter
erläutert, was überhaupt mit Zwangsverheiratung gemeint ist: reicht dafür die
unter Muslimen verbreitete Sitte arrangierter Ehen oder müssen Drohungen
und/oder Gewalt hinzukommen? Die pauschale Etikettierung junger Frauen, die
infolge Heirat aus der Türkei und anderen muslimischen Ländern nach Deutschland
kommen, als "Importbräute", wie dies im Flyer von Terre Des Femmes
geschieht, bedeutet eine Diskriminierung all jener, die diese Form der
Eheschließung und Lebensführung als "normal" betrachten und sich auf
das Zusammenleben mit ihrem Mann in Dortmund oder Köln sogar freuen. Daß solche
Ehen auch glücklich oder zumindest befriedigend verlaufen können, scheint aus
dieser Perspektive undenkbar, was sich wiederum in der Wahrnehmung und
Bewertung von Konflikten niederschlägt, die dann tatsächlich oft in solchen
Ehen entstehen und manchmal dramatisch eskalieren. Darauf sind weder die junge
Frau noch ihr Ehemann noch die Familie, in die sie hineingeheiratet hat,
vorbereitet. In der Regel bemühen sich zwar Familienangehörige und die
ethnische oder muslimische Community um Schlichtung und Vermittlung, doch
erweisen sich ihre Möglichkeiten und Kompetenzen oft als unzureichend. Die Beratungs-
und Hilfsangebote deutscher Organisationen und Institutionen werden dagegen oft
abgelehnt oder erst in lebensbedrohlichen Situationen in Anspruch genommen.
Warum ist das so?
Sprachprobleme, Informationsdefizite, Einschüchterung durch die Familie und
sonstige Ängste reichen unseres Erachtens als Erklärung nicht aus. Vielmehr
wird von deutscher Seite - und so auch von Terre Des Femmes mit dieser Kampagne
- ignoriert, daß ein Großteil der betroffenen Frauen sich selbst als
Musliminnen verstehen und ungeachtet ihrer aktuellen Lebenssituation eine
positive Einstellung zu den islamisch geprägten Traditionen haben, mit denen
sie aufgewachsen sind. Allerdings mangelt es ihnen häufig an Kenntnissen über
die ihnen nach dem Islam zustehenden Rechte sowie an Handlungsstrategien und
schließlich an der nötigen Unterstützung, um diese Rechte in die Praxis
umzusetzen. Es fehlen also für diesen Personenkreis aus dem Islam entwickelte
bzw. mit dem Islam in Einklang stehende Beratungs- und Hilfsangebote. Das
jedoch liegt offensichtlich weit außerhalb des Vorstellungshorizontes von Terre
Des Femmes, denn die Kampagne enthält zwar Vorschläge für die Gestaltung einer
christlichen Andacht, nicht aber für die Zusammenarbeit mit religiös
orientierten Musliminnen und Muslimen bzw. muslimischen (Frauen-)Gruppen und
Organisationen, die sich aus einer islamisch fundierten Position für die
Abschaffung von Missständen wie der zwangsweisen Verheiratung von Frauen (und
Männern, was TDF völlig ausgeblendet) einsetzen oder aber für solche
Aktivitäten aufgeschlossen sind. So verkörpert die Kampagne selbst etwas, das
sie eigentlich bekämpfen will: den Geist patriarchaler, abendländischer
Überheblichkeit. Und es ist zu befürchten, daß sie nicht nur den Betroffenen
wenig Nutzen bringen, sondern auch noch dazu beitragen wird, das ohnehin
populäre Klischee vom "frauenfeindlichen Islam" zu bestätigen und zu
verstärken.
Wir möchten deshalb dazu
anregen, die von uns prinzipiell für sinnvoll und unterstützenswert erachteten
Aspekte der von Terre Des Femmes ins Leben gerufenen Kampagne noch einmal
kritisch zu überdenken. Zur Überwindung der heutigen Situation halten wir
folgende Maßnahmen für erforderlich:
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gez. Irmgard Pinn
für weitere Informationen
stehen Ihnen gerne zur Verfügung
Marlies Wehner Tel./Fax
0228/660464 E-Mail wehner.chakkour@freenet.de
Irmgard Pinn Tel.
0241/506403 E-Mail irmgard.pinn@gmx.net
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