Islam,
Hort des Fundamentalismus - Oder
altes neues Feindbild?
Von Amir Zaidan
(in Freitagsblatt 5/1; 6/99, Zeitung von Muslimen in Hessen; freitag@irh-info.de)
Definition von Fundamentalismus:
"Fundamentalismus bezeichnet allgemein, das kompromißlose
Festhalten an politischen, ideologischen, religiösen, u.a.
Grundsätzen".
Im Christentum bezeichnet Fundamentalismus eine am Ende des 19. Jahrhunderts
entstandene Bewegung des amerikanischen Protestantismus zur Abwehr des
Liberalismus. Nach Prof. Beyerhaus stammt die älteste Definition des
Fundamentalismus aus dem Jahre 1920.
Demnach ist ein Fundamentalist ein Mensch, der für die Fundamentalien
des Glaubens kämpft.
Diese sind:
- Die Irrtumslosigkeit der Bibel
- Die Gottheit Christi und seine jungfräuliche Geburt
- Der stellvertretende Sühnetod Christi am Kreuz als eine Notwendigkeit
wegen universaler Verlorenheit der Menschen.
- Die leibliche Auferstehung und Himmelfahrt Christi
- Die persönliche Wiederkunft Christi zum Gericht
Der Ursprung des Fundamentalismus liegt
(also) in den USA. Er stellte die Reaktion auf die liberale christliche
Theologie, den Modernismus und den Säkularismus
dar; d. h. auf den Versuch, die Lehre des Neuen Testaments ganz und völlig in
den sozialethischen Bereich zu übersetzen, wobei bestimmte Glaubensüberzeugungen
aufgegeben oder relativiert wurden.
Die Bezeichnung für diese Bewegung setzt sich zusammen aus >Fundament<
(Grundlage) und der Endung >ismus<, welche
allgemein Ideologien charakterisiert, die bestimmte Merkmale aufweisen. Im
Zusammenhang mit der o. g. christlichen Bewegung erhält die Endung >ismus< eine negative Komponente und weist auf eine
extreme Beziehung hin.
Obwohl der Begriff Fundamentalismus
ursprünglich nur diese christliche extreme Ideologie bezeichnete, wird er
heutzutage in der Öffentlichkeit und in den Medien fast ausschließlich nur
noch im Zusammenhang mit Muslimen verwendet. Es hat also ein Bedeutungswandel
statt gefunden. Weiterhin fand eine Bedeutungsverschiebung statt zum
Negativen und zudem eine Bedeutungsverengung zum ausschließlich Negativen.
Der Bedeutungsinhalt war zwar wegen der Kompromisslosigkeit seiner Anhänger
auch ursprünglich mit einer negativen Komponente behaftet, es gab jedoch auch
positive Komponenten.
Heutzutage assoziiert man mit dem Wort
Fundamentalismus nur noch Muslime und nur noch negative Komponenten, wie
z.B.: Gewalt, Terror, Gefahr, Bedrohung, Irrationalität. So ist
Fundamentalismus in Bezug auf Muslime zum Synonym geworden und zum Synonym
für: Terrorismus und Gewalt.
Im Vokabular und im Denken der
Mehrheitsgesellschaft wird mittlerweile fast jeder, der eine islamische
Lebensweise praktiziert, als Fundamentalist disqualifiziert und als eine Bedrohung
empfunden. Auf der anderen Seite werden Fundamentalisten bzw. gewalttätige
gefährliche Verfechter einer irrationalen Ideologie in anderen Kulturkreisen
in der Öffentlichkeit und in den Medien nicht mehr als solche bezeichnet,
sondern mit neuen, mit anderen, nicht so extrem negativ behafteten Begriffen
belegt.
Die Fundamentalisten in Japan heißen
"Anhänger der Aun-Sekte".
Die Fundamentalisten in Serbien bezeichnen die Medien als Extremisten bzw.
Nationalisten.
Fundamentalisten der Meschegen -Miliz heißen
Rechtsextremisten.
Die Fundamentalisten in Israel nennt man jüdische Orthodoxe.
Charakteristika, die mit
Fundamentalismus assoziiert werden:
- Engstirnigkeit
bei der Auslegung der Schriften, d.h. Berücksichtigung
- äußerer Formen und Vorschriften ohne den dahinter liegenden Sinn ins Auge
zu fassen.
- Radikalität, Inflexibilität und
- Übertriebenheit bei der religiösen Praxis (d. h. extreme Erschwerung des
Lebens)
- Ignoranz und Intoleranz gegenüber Andersdenkenden, d. h. andere zur eigenen
Meinung zwingen, wenn nötig mit Gewalt.
- Unfähigkeit zum bzw. Ablehnung von Dialog.
Frage, Beinhaltet der Islam derartig
negative Elemente?
Die Antwort lautet NEIN!
Islamische Umgangs-Prinzipien:
Bezüglich des Umgangs mit anderen Menschen
bzw. mit Andersgläubigen beruht das allgemeine Verständnis des Islam auf
folgenden Grundregeln:
- Bewahrung menschlicher Würde
- Kooperation der Völker
- größtmögliche Gerechtigkeit
- garantierte Religionsfreiheit
1. Bewahrung der Menschenwürde
Allah (ta'ala) hat den Menschen als das beste
Geschöpf erschaffen und in ihn von Seinem Geist eingehaucht. Deshalb ist es
unabdingbar, die Würde aller Menschen (Muslime und Nichtmuslime) zu schützen,
un-abhängig von Hautfarbe, Sprache oder Nationalität. Der Qur'an beinhaltet
unzählige Ayat (Verse), welche die Menschen in
ihrer Gesamtheit als menschliche Geschöpfe ansprechen ( ...
ihr Menschen, Ihr die Kinder Adams ...), ohne dabei irgendwelche Unterschiede
zwischen ihnen zu machen.
"Der jedes Ding gut machte, das Er erschuf, und Der die
Schöpfung des Menschen erstmals aus Lehm begann. Dann machte Er seinen
Nachwuchs aus einer geringen Menge mindergeschätzter
Flüssigkeit. Dann formte Er ihn, und Er hauchte in ihn von Seinem Geist
ein"(32:7-9)
"ihr Menschen, habt Taqwa (Ehr-furcht) eurem Herrn gegenüber,
der euch aus einem einzigen Wesen er-schuf." (4: 1)
"Und Wir erwiesen gewiß den
Kindern Adams Ehre, und ließen sie auf dem Lande und dem Meer tragen, und
versorgten sie mit den guten Dingen, und begünstigten sie ein-deutig
gegenüber vielen von denje-nigen, die Wir
erschufen." (17:70)
Deshalb ist der Mensch wertvoller und kostbarer als jede materielle
Sache und als jeder materielle Wert. Er darf als Gegenleistung für die
Bereitstellung von materiellem Wert oder materiellem Gegenstand nicht
gedemütigt werden.
Muhammad (salla lahu 'alaihi wa sallam)
sagte: "Allah, Du bist unser Herr und der Herr aller Dinge und Du bist
ihr König. Ich bezeuge, dass alle Deine Diener untereinander Geschwister
sind."
(Ü.v. Ibn Hanbal)
"Ihr seid die Kinder Adams und
Adam stammte aus Erde. Keinen Vorrang hat der Araber vor dem Nichtaraber oder
Nichtaraber vor dem Araber oder der Schwarze vor dem Roten (Weißen) oder der
Rote (Weiße) vor dem Schwarzen, es sei denn durch die Ehrfurcht"
(Ü.v. Muslim)
2. Begegnung der Völker
Der Islam fordert die Völker auf, aufeinander zuzugehen.
Er lädt sie dazu ein, einander kennen zulernen und sich gemeinsam für das
Güte einzusetzen,
"Ihr Menschen! Wir erschufen euch von einem männlichen
und von einem weiblichen Wesen, und machten euch zu Völkern und Stämmen,
damit ihr euch kennenlernt. Der Angesehenste
von euch bei Allah ist der Ehrfürchtigste." (49:13)
"Allah untersagt euch nicht mit denjenigen, die euch
nicht wegen der Religion bekämpfen und euch nicht heraustreiben
aus euren Heimstätten, dass ihr mit ihnen die Kontakte pflegt und sie
gerecht behandelt, Allah liebt ja die Gerechten." (60:8)
Das bedeutet, dass der Islam die Muslime dazu auffordert, Kontakte und
Begegnungen mit Nichtmuslimen zu haben und mit ihnen freundschaftliche und
nachbarschaftliche Beziehungen zu pflegen.
3. größtmögliche Gerechtigkeit
Der Islam fordert größtmögliche Gerechtigkeit beim Umgang unter den Menschen.
"Ihr, die den Iman
verinnerlichten, seid Handelnde für Allah und Zeugen in Gerechtigkeit, und
die Abneig-ung gegenüber Leuten darf euch nicht
dazu bringen, dass ihr nicht gerecht handelt - handelt gerecht, das ist näher
an der Ehrfurcht." (5:8)
Der Gesandte Muhammad (sal-la
lahu-'alaihi wa sallam) sagte: "Unterstütze deinen Bruder, sei
er Unrechthandlender oder un-ter
Unrecht Leidender. Dann sagte ein Mann: "Gesandter Allahs! Ich
unterstütze ihn als unter Unrecht Leidenden. je-doch
als Unrechthandlenden, wie soll ich ihn unterstützen Der Gesandte (salla lahu 'alaihi
wa sall-lam) sagte:
"Indem du ihn daran hin-derst, weiter
ungerecht zu handeln; denn das ist die Unterstützung für ihn."
(Ü. v. Buchari)
4. garantierte Religionsfreiheit
"Es gibt keinen Zwang im Din (Lebensweise), das rechte Handeln ist klar geworden
gegenüber dem Fehlgehen." (2:256)
"Und wenn dein Herr wollte gewiß
alle den Imaan verinnerlicht wer auf der Erde ist,
alle, - und zwingst du die Menschen etwa, Mumin zu
sein?" (10:99)
,Erinnere! Du bist ein Erinnernder. Du hast
über sie keine Verfügung." (88:21-22)
Islamische
Position zu Charakteristika,
die mit Fundamentalismus assoziiert werden:
1. Engstirnigkeit
Engstirnigkeit im Sinne von kleinlicher Berücksichtigung äußerer Formen und
Vorschriften, ohne den dahinter liegenden Sinn ins Auge zu fassen, verstößt
eindeutig gegen das Scharia-Prinzip der
"Beurteilung der Taten nach den Absichten" "Jedem gebührt, was
er beabsichtigt hat."
Also der Sinn zählt, der hinter einer Tat steht, und nicht umgekehrt.
Erwähnenswert ist es, dass der Islam nur Handlungen billigt, die mit seinen Prinzipien
vereinbar sind und von der richtigen Absicht begleitet werden.
Diese Scharia-Regelung impliziert die Aufforderung
zum selbständigen Denken und verantwortungsbewussten Handeln.
2. Radikalität, Inflexibilität,
Übertreibung bei religiöser Praxis
Inflexibilität und Übertreibung im Sinne von Maßlosigkeit und übermäßiger
Praxis und dadurch verursachte unnötige Erschwerung des Lebens verstoßen
gegen das Scharia-Prinzip der 'Erleichterung'.
Diese Scharia-Regel impliziert Mäßigung bei allen
Handlungen und die Pflicht zur Inanspruchnahme von Ausnahmeregelungen in
Ausnahmesituationen zur Vereinfachung und Erleichterung. Die Grundlagen des
Prinzips der Erleichterung findet man im Qur'an und in der Sunna.
"Allah gebot euch nichts, was euch schwer fallen
könnte." (5:6)
"und Er (Allah) gebot euch in dem Din
(Lebensweise) nichts, was euch schwer fallen könnte." (22:78)
"Allah gewährt euch Erleichterung. Der Mensch ist gewiß als schwaches (Wesen) erschaffen." (4:28)
Der Gesandte (salla-Ilahu
'alaihi wa sallam) sagte: "Macht es leicht und erschwert
nicht; bringt frohe Botschaft und schreckt nicht ab." (Ü.v.Buchari)
Entsprechend den qur’anischen
Anweisungen entwickelten die islamischen Rechtsgelehrten die Regel:
'Beschwerlichkeit zieht Erleichterung nach sich'.
Zusammenfassend kann man sagen, dass der Islam eine große Anzahl unterschiedlicher
Erleichterungsgründe bei der Praxis gottesdienstlicher Handlungen in
Ausnahmesituationen anerkennt (Krankheit, Reisen, Zwang, Irrtum, Vergessen,
usw.).
Radikalität im Sinne von 'Unnachgiebigkeit',
'Kompromisslosigkeit', 'Rücksichtslosigkeit' und im Sinne von 'zu häufiges
und intensives Betreiben von etwas' verstößt gegen das Scharia-Prinzip der 'schrittweisen Umsetzung des Islam'.
Dieses Scharia-Prinzip impliziert Kompromissbereitschaft
und Flexibilität.
Beispiele für dieses Prinzip:
1. Die stufenweise Einführung des
Pflicht-Gebets:
Zunächst bestanden die Gebete lediglich aus je zwei Gebetseinheiten (Rakat), dann erfolgte die Erhöhung auf je vier Rakat für das Mittags-, Nachmittags- und Nachtgebet. Für
Ausnahmefälle, wie Reisen blieb es bei je zwei Rakat.
2. Die stufenweise Einführung des Pflicht-Fastens:
Das rituelle Pflicht--Fasten wurde in 3 Phasen eingeführt:
a) In der 1. Phase wurde das freiwillige Fasten empfohlen (2:184)
b) In der 2. Phase wurde das Fasten zur Pflicht (Fardh)
(2:185).
c) In der 3. Phase folgte die Erleichterung der bis dahin geltenden Fastenvorschriften. Essen, Trinken und Geschlechtsverkehr
wurden nun von Sonnenuntergang bis zum nächsten Morgenlicht erlaubt. In den
ersten beiden Phasen war Essen, Trinken und Geschlechtsverkehr nur ab
Sonnenuntergang bis zum Schlafengehen erlaubt (2:187).
3. Die stufenweise Einführung von Zakat:
Zunächst war die Höhe der Zakat und der Zeitpunkt
der Abgabe freigestellt später wurden genaue verbindliche Richtlinien
erlassen.
4. Die stufenweise Einführung des
Alkoholverbots:
Zunächst erklärt der Qur'an die Vor- und Nachteile des Alkohols und stellt
fest, dass die Nachteile größer sind als die Vorteile. Später wird ein Verbot
erlassen, im Rauschzustand das Gebet zu verrichten. In der letzten Stufe wird
Alkohol gänzlich verboten.
3. Ignoranz und Intoleranz gegenüber
Andersdenkenden
Ignoranz und Intoleranz im Sinne von gewaltsames Aufzwingen einer Meinung
widerspricht dem Scharia-Prinzip der 'Glaubens- Meinungs -und Religionsfreiheit'.
Dieses Prinzip impliziert das Verbot, in religiösen und Glaubens-Angelegenheiten
jedweden Zwang oder Druck auszuüben. Der Islam verlangt weiterhin von den
Muslimen Toleranz und fordert von ihnen die religiöse, politische, kulturelle
und soziale Vielfalt innerhalb und außerhalb der eigenen Gemeinschaft
anzuerkennen. Diese Toleranz versteht sich nicht als gönnerhaftes Dulden und
Ertragen, sondern als Respekt im Sinne von Anerkennung und Bejahen. Diese
Toleranz wird sogar auf theologischer Ebene praktiziert, nämlich in den
islamischen Fiqhschulen. Nichtmuslime genießen nach
der islamischen Rechtsordnung vollständige Autonomie in religiösen Fragen.
4. Unfähigkeit zum bzw. Ablehnung von
Dialog.
Eine derartige Verhaltensweise verstößt eindeutig gegen das Scharia-Prinzip der 'Kommunikation-'
Der Islam fördert nicht nur den Dialog im Sinne von interreligiösem und
interkulturellem Austausch, sondern er verlangt auch, dass dieser Austausch
bzw. der Dialog auf die beste Art und Weise geführt wird.
Jeder Muslim ist verpflichtet, im Rahmen
seiner Fähigkeiten und Möglichkeiten zum Islam einzuladen, d. h. den Islam
bekannt zu machen und über den Islam zu informieren. Als die islamisch
empfohlene beste Art der Einladung/ Da'wa gilt das
gute Vorbild.
Qur'an-Verse geben uns die Rahmenbedingungen für den
richtigen Umgang.
"Rufe zum Weg deines Herrn mit Weisheit und guter
Ermahnung und disputiere mit ihnen auf bester Art." (16:125)
"Und wer ist besser im Wort als wer zu Allah ruft und
Rechtschaffenes tut und sagt: 'Ich bin einer von den Gottergebenen'. Die gute
Tat und die schlechte Tat sind nicht gleich, -wehre ab mit dem, was besser
ist; dann ist derjenige, wo zwischen dir und zwischen ihm Feindschaft war,
als ob er ein enger Beistandleistender wäre." (41:33-34)
"Und disputiert nur auf die beste Art mit den
Buch-Angehörigen, außer mit den Ungerechten unter ihnen, und sagt: "Wir
verinnerlichen den Imaan an das, was uns offenbart
und was euch offenbart wurde und unser Gott und euer Gott ist einer, und wir
sind Ihm ergeben."(29:46)
Die Tatsache, dass dieser Qur'an-Vers (29:46) in Mekka offenbart wurde, d. h. in
einer Zeit bevor die Muslime mit Christen oder Juden zusammenlebten und bevor
sich die Frage des richtigen Umgangs mit ihnen erstmals praktisch ergab, ist
ein Beweis für die dem Islam immanente prinzipielle Offenheit und
Dialogbereitschaft. Der Pluralismus der Menschen und Meinungen in Form von
Multikulturalität und Multireligiosität wird vom Islam nicht als Problem,
sondern als Bereicherung des Lebens betrachtet, die in dieser Vielfalt vom
Schöpfer so gewollt ist.
Nach dieser kurzen Darstellung
grundlegender Prinzipien des Islam und unter Berücksichtigung der historischen
Fakten - nämlich die Untermauerung der Umsetzbarkeit dieser Theorie in die
Praxis - das 800 Jahre gelebte Beispiel islamischer Prinzipien auch auf
europäischem Boden (Andalusien) - stellen sich viele Fragen.
Fragen vor allem und besonders nach dem
Umgang des Westens mit dem Islam und den Muslimen. Fragen danach, ob die
ablehnende Haltung des Westens gegenüber dem Islam berechtigt ist.
1. Wird heute ein neues
Feinbild Islam gebraucht und aufgebaut als Ersatz für nicht mehr existierende
Feindbilder? Oder dient ein neues Feindbild vielleicht als Rechtfertigung
verfehlter westlicher Politik in und mit den Regimen
von Staaten mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung?
Petra Kappert:
"Die westliche Welt hat ihren großen Angstgegner, den Sozialismus in
Form des Kommunismus verloren, und ist auf der Suche nach einem neuen Feindbild.
Es gibt eine Menge Definitionen, warum ein Feindbild existieren muß, wozu wir es brauchen. (...) >Feindbilder sind
Klischees des anderen, die mehr der eigenen seelischen Stabilisierung als der
realistischen Orientierung dienen< Auf ein solches Feindbild zu
verzichten, fällt einer Gesell-schaft, die mit sich
selber nicht so sehr im reinen ist, sehr schwer Es muß
ein neues Feindbild her. Das ist der Islam, und dafür ist er sehr willkommen.
"
Robin Wright:
Da unterstützen wir (der Westen) ja die Scheichtümer die Öl besitzen, und
blockieren alles, was die Entwicklung eines Pluralismus fördern könnte. Wir
verletzen dort alles, was wir selber predigen: Menschenwürde,
Menschenrechte, Meinungsäußerungsfreiheit. Wir ermutigen demokratische Ausdrucksformen
nicht. "
Robert Leicht:
"Was folgt daraus? Nicht die Frage ob der Islam modern und aufgeklärt
ist, sondern die Frage ist, ob unser eigener politischer Prozess aufgeklärt
modern und in der Lage ist, die Kompliziertheit der Welt zu verstehen und
ohne Vorurteile und Klischees Interessen und Politik zu definieren. "
(Zitate aus: Die Zeit Nr. 14 April 93)
2. Wird ein Islam-Feinbild
aufgebaut, weil der Westen den Islam als Konkurrenz betrachtet, weil er eine
echte Alternative zum westlichen Demokratie-Verständnis darstellt
?
Bei der Kritik am Islam übersieht man im
Westen meist die historischen Fakten. Man übersieht bzw. man ignoriert, dass
Muslime mit ihrer Religion eine andere Geschichte haben, als der Westen mit
seiner Kirche.
Der Islam baut auf einer Synthese zwischen allen Lebensbereichen (religiös
und weltlich) auf Das islamischen Wertesystem verbindet alle Aspekte des
Lebens auf die vollkommenste Art und Weise, es verbindet auf harmonische Art
Göttliches mit Weltlichem und bezieht den Gottesdienst ganz
selbstverständlich in den Alltag ein.
Die islamische Geschichte beweist, dass dieses islamische Modell praktikabel
ist.
Während der Blütezeit der islamischen Zivilisation wurde ein fruchtbares
Zusammenspiel zwischen Religion und Wissenschaft, Religion und
Menschenrechten, Minderheitenrechten und Freiheiten des Menschen ermöglicht.
Das Beispiel Andalusiens ist Beweis dafür, dass diese Synthese jahrhundertelang sehr erfolgreich zum Wohle aller Bürger,
der muslimischen Mehrheit und aller Minderheiten praktiziert wurde. Der
Untergang der islamischen Zivilisation begann als von diesem Verständnis
abgewichen wurde.
3. Wird der Islam als
Bedrohung wahrgenommen, weil die Länder des islamischen Kulturkreises einen
großen Teil der Weltrohstoffe besitzen und der Westen befürchtet seinen
Einfluss und seine Verfügungsgewalt über die Verteilung dieser Güter zu
verlieren?
4. Oder wird zudem eine Veränderung
der Macht- und Einflussverhältnisse befürchtet?
Bei derartigen Überlegungen, muss man
ebenfalls die historischen Fakten berücksichtigen.
Fakt ist, dass die meisten Kriege und bewaffneten Auseinandersetzungen des
letzten Jahrhunderts nicht von Muslimen angezettelt wurden.
Fakt ist, dass der Westen aus all diesen Kriegen direkt oder indirekt
profitiert hat, durch Erweiterung seiner Einflusssphäre, durch materielle
Gewinne wie z. B. Waffenverkäufe
meist an beide Konfliktparteien, Wiederaufbau der zerstörten Staaten durch
westliche Baufirmen, Wiederaufbaukredite von westlichen Regierungen und
Banken usw..
Altbundeskanzler Helmut Schmidt.
"Erstens - Das christliche Bekenntnis und die ganze westliche
Kultur haben Westeuropa, Osteuropa, Nordamerika nicht gehindert, sich in
diesem Jahrhundert zweimal in grausamen Kriegen zu engagieren und sich,
durchaus - fundamentalistisch, gegenseitig als Todfeinde zu bekämpfen.
Zweitens - Der Islam und das muslimische Bekenntnis bieten
weder in Südostasien noch in Südwestasien, weder in Zentralasien, im Nahen Osten,
noch in Afrika einen Anlass,
eine ähnlich tragische Konfrontation mit islamischen Staaten
wahrscheinlich zu halten, wie die Christen sie unter sich in zwei blutigen
Weltkriegen und in einem kalten Weltkrieg ausgefochten haben.
Drittens - Wohl aber besteht die Gefahr, dass sich der Westen
nach Fortfall des bolschewistischen Imperialismus aus Unkenntnis ein neues
Feindbild schafft, das islamische Völker Eliten und Führer zu einer
Konfrontation provozieren kann .
Viertens - Wer einen derartigen Konflikt vermeiden will, der
muss versuchen, die politischen und ökonomischen Hoffnungen und Erwartungen
der Muslime in vier Kontinenten zu verstehen und zu differenzieren, von Land
zu Land, je nach ihrer wirtschaftlichen, politischen, kulturellen und
religiösen Entwicklung. Nur aus dem Dialog kann Verständnis entstehen.
Schließlich: Im 21. Jahrhundert ist die Menschheit primär
gefährdet durch partielle Armut, durch globale Bevölkerungsexplosion und
durch globale Umweltzerstörung, besonders durch globale Erwärmung. Aus diesen
Gründen sind ökonomische und politische Kooperation zwischen den Staaten und
Selbstdisziplin jedes einzelnen Staates, jeder einzelnen Gesellschaft von größerer
Bedeutung als jemals zuvor in der Geschichte der Menschheit. ( .. ) Und über
all dem muss die religiöse kulturelle und ideologische Toleranz stehen und die
Würde der einzelnen Person."
- (Zitat aus: Die Zeit Nr. 14 April 93)
5. Wird der Islam als
Bedrohung wahrgenommen, weil man davon ausgeht, dass der Islam
fortschritts-feindlich, reformunfähig, völlig inflexibel und mittelalterlich
sei?
Auch hier werden oft die historischen
Fakten verdreht und die eigenen negativen Erfahrungen mit der eigenen
Religion auf den Islam projiziert.
Volker Nienhaus:
Ich wage einmal die These, dass der Islam geradezu das Vehikel der
Modernisierung, der Entwicklungen der islamischen Weit ist.
Modernisierung ist für mich nicht nur ein technischer Begriff, Modernisierung
bedeutet auch sozialen Wandel, Umstrukturierung der Gesellschaft,
Umstrukturierung der Wirtschaft. ( .. ) Erforderlich ist, um in einer
Gesellschaft Modernisierung durchzusetzen, eine positive Einstellung zum
Wandel. ( .. ) Der Islam, wenn er entsprechende Konzepte entwickelt,
ermöglicht eine Identifikation mit dem Wandel.
- (Zitat aus: Die Zeit Nr. 14 April 93)
Bemerkenswert ist vor allem, dass der
Westen beim Umgang mit dem Islam seine eigenen Prinzipien verrät.
Einerseits wird im Westen die Moderne beschworen, die Aufklärung
hochgehalten, der kritische und mündige Gebrauch der Vernunft proklamiert,
die Forderung erhoben, alle überkommenen Thesen und Ansichten kritisch zu
hinterfragen und mit allen alten Traditionen zu brechen und andererseits wird
die jahrhundertealte irrationale feindliche Ansicht und Haltung des Westens
gegenüber dem Islam kaum in Frage stellt kaum kritisch hinterfragt, und es
wird kaum Bereitschaft gezeigt diese zu überdenken oder gar zu revidieren.
Beim Umgang mit dem Islam werden im Westen Objektivität und Rationalität
meist ausgeklammert.
Beispiel:
Die stereotype Frage westlicher Kritiker des Islam nach "den Rechten von
Minderheiten im Islamischen Staat" wird trotz der historischen Fakten
immer noch und immer wieder gestellt.
Die Fragestellung an sich ist Beweis für die Ignoranz und die eingeschränkte
Weltsicht der Fragesteller und für ihre erschreckende Unkenntnis des Verlaufs
der Weltgeschichte außerhalb des christlich -
abendländischen Kulturkreises.
Die Fragesteller ignorieren, dass Muslime mit ihrer Religion eine andere
Geschichte haben, als der Westen mit der Kirche; dass der Verlauf der
Geschichte in den Ländern des islamischen Kulturkreises eine ganz andere ist
als die westlich-abendländische mit ihren dunklen Kapiteln in Bezug auf
Minderheiten.
Die Fragesteller projizieren die eigenen
(westlichen) historischen Fehler und Versäumnisse auf den Islam, um den
eigenen Überlegenheitsanspruch nicht in Frage stellen zu müssen.
In Europa bis heute unbekannte bzw. ignorierte historische Fakten sind z.B.
- dass Minderheitenrechte und Glaubensfreiheit dem islamischen Wertesystem
seit mehr als 1.400 Jahren immanente Faktoren sind.
- dass der Schutz aller Minderheiten und die Gewährung von Glaubensfreiheit
seit jeher zu den Pflichten des islamischen Staates gehören.
- dass Respekt, Achtung und Toleranz gegenüber allen Minderheiten z.B. in
Andalusien von den Muslimen bzw. vom islamischen Staat jahrhundertelang
den Europäern vorgelebt wurde.
- dass die in Europa religiös verfolgten Minderheiten, z.B. die europäischen
Juden wegen der bekannten Toleranz der Muslime in die islamisch regierten
Staaten flüchteten.
- dass diese europäischen Juden in den islamischen Staaten aufgenommen wurden
und unter dem Schutz des islamischen Staates frei leben konnten.
- dass die in den letzten Jahren nach Israel ausgewanderten marokkanischen
Juden vermehrt nach Marokko zurückkehren, weil sie dort ihre Religion
ungehindert leben und gleichberechtigte Bürger sind.
- dass die religiösen Minderheiten in den islamischen Staaten nicht verfolgt
wurden, dort ihre Religion frei ausüben konnten und dort bis heute und seit
mehr als 1400 Jahren überlebt haben.
Die Fragesteller gehen in einer
unerträglichen Arroganz davon aus, dass der Gedanke der Religionsfreiheit und
der Minderheitenrechte ein rein europäisches Produkt der Aufklärung sei und
im Verlauf der gesamten Weltgeschichte erstmals von den Europäern praktiziert
worden sei. Eine derartige Verdrehung der historischen Fakten ist nicht zu
vereinbaren mit der europäischen Rationalität.
Im Zeichen der Globalisierung und der
weltweiten Öffnung muss Europa endlich den Mut aufbringen und damit beginnen,
die historischen Fakten zur Kenntnis zu nehmen und zu würdigen.
Am Vorabend des christlichen 21. Jahrhunderts braucht das christliche
Europa eine neue Aufklärung.
In einem neuen Lernprozess müssen die historischen Vorurteile dem Islam
gegenüber revidiert werden. Ohne diese Offenheit laufen wir Gefahr, die
historische Chance eines respektvollen und gleichberechtigten Miteinanders zu
verpassen.
Wir können es uns nicht länger leisten in alten Denkstrukturen verhaftet
zu bleiben und durch Ignoranz und Arroganz den Frieden unter den Völkern,
Religionen und Kulturen aufs Spiel zu setzen.
Resümee:
"Wegen seiner Unklarheit, seiner Dehnbarkeit und seiner überwiegend
negativen Besetzung sollte man den Begriff "Fundamentalismus" in
Zukunft tunlichst vermeiden."
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