Bismillah

MUSLIME UNTER GENERALVERDACHT?

Ahmad von Denffer

Vorbemerkungen zu Recht und Gesetz.

Wo Konflikte zwischen Menschen entstehen, gilt entweder das Recht des Stärkeren, oder es gibt für alle Beteiligten gültige Gesetze und damit ein allgemein gültiges Recht. Letzteres wird in der Regel als Kennzeichen zivilisierter Gesell­schaften angesehen. Auch Muslime und insbesondere Muslime in Deutschland sehen das so und halten sich darum an die in Deutschland gültige Rechtsordnung. Dabei können und dürfen Fragen nach einzelnen In­halten dieser Rechtsordnung durchaus gestellt werden. Eine Rechtsordnung wie die in Deutschland ist nicht statisch, sondern wird ständig fortentwickelt. Dies geschieht hierzu­lande auf dem üblichen gesetz­geber­ischen Weg mittels der Parlamente. Die in Aussicht gestellten Gesetze bezüglich der Bekleidung von Beamten bzw. Beamtinnen, also die so ge­nannten „Kopftuch-Gesetze", sind ein aktuel­les Beispiel dafür. Entscheidend ist, dass jeder jederzeit dem jeweils geltenden Recht unter­steht. So hat es erneut das Bundesverfassungs­gericht im Hinblick auf den Kopftuch-Streit festgestellt. Auch Muslime dürfen natürlich auf diesem Weg Gesetzesänderungen anstreben. Wenn sie das tun, verlangen sie damit kein „Sonderrecht", sondern stellen vielmehr unter Beweis, dass sie sich innerhalb der Rahmenbe­dingungen bewegen.

 

Ebenso hat man von muslimischer Seite kei­ne Einwände zu hören bekommen, wenn in Deutschland ein unabhängiges Gericht einen muslimischen Straftäter nach in Deutschland geltendem Recht verurteilte. Man kann sich zwar fragen, ob das nun als ein Zeichen von besonders großem Vertrauen in die deutsche Rechtsprechung anzusehen ist, oder ob nicht auch noch andere Faktoren dabei eine Rolle spielen, insbesondere auch die Tatsache, dass die Muslime im allgemeinen in ihrem Alltags­leben von Straftaten so weit entfernt sind, dass sie zu dem, was dann da vor Gericht verhan­delt wird, gar keinen wirklichen Bezug zu sich selbst erkennen können. Jedenfalls hat die Verurteilung von Metin Kaplan in der musli­mischen Öffentlichkeit ebenso wenig zu Reak­tionen geführt wie die von Mounir al­Moutassadeq, obwohl bei letzterem Verfahren offensichtlich außergewöhnliche Merkwürdig­keiten aufgetreten sind, die damit zusammen­hängen, dass dem Gericht die Möglichkeit verwehrt blieb, Aussagen von Zeugen zu be­rücksichtigen, die sich in US-amerikanischer Hand befinden, doch ist dieses Thema hier nicht Gegenstand der Erörterung.

 

Schweigen wozu?

Bedenklich ist dagegen, dass aber auch dann schon dann geschwiegen wird, wenn Men­schen nicht rechtmäßig verurteilt sind, son­dern lediglich beschuldigt werden, und dann von mancher Seite quasi in voraus­eilendem Gehorsam auch noch öffentlich wahrnehmbar Distanz gegenüber ihnen gezeigt wird. In sol­chen Fällen ist man also doch „voll integriert", indem man sich der Umkehrung des Rechts­grundsatzes „Im Zweifel für den Angeklagten" anschließt und der bereits erfolgten Vorverur­teilung noch zusätzliche Unterstützung ge­währt, wie dies im Falle verschiedener Ver­einsverbote zu beobachten war, nicht zuletzt im Fall der Hilfsorganisation „Al-Agsa".

Vielleicht ist aber die Reaktionslosigkeit und das mangelnde Rückgrat von Muslimen auch ein Hinweis darauf, dass sie im allgemeinen schon eingeschüchtert sind und infolgedessen keinen auch noch so geringfügigen Anlass geben möchten, in der vergeblichen Hoffnung, sich so dem General­verdacht zu entziehen, der heutzutage jedoch praktische alle Muslime trifft.

 

Hinweise auf Generalverdacht

Dafür, dass man heutzutage in der Tat von einem Generalverdacht gegen Muslime spre­chen kann, gibt es ausreichende Hinweise. Die Vorfälle des 11. September 2001, die hier nicht zum Gegenstand der Erörterung gemacht wer­den sollen, sind zwar bis heute nicht ausrei­chend geklärt, doch besteht seither in der Öf­fentlichkeit der Eindruck, unsere Sicherheit sei insbesondere durch Terrorakte von Menschen muslimischer Herkunft gefährdet. Denn bei allen Verdächtigungen und Vorsichtsmaßna­men, die mittlerweile Wirksamkeit zeigen, wird stets das Attribut „muslimisch" einbezo­gen, und zwar vorrangig. Das erste offensicht­liche Beispiel hierfür war die bundesweite Rasterfahndung, die nach dem 11. September erfolgte, bei der nicht alle Studenten der Luft­fahrttechnik, sondern eben alle muslimischen Studenten der Luftfahrttechnik und nicht alle Studenten ähnlicher Fachrichtungen ausge­leuchtet wurden, sondern eben alle muslimi­schen Studenten ähnlicher Fachrichtungen.

Mit dieser Art von Rasterfahndung und der entsprechenden Berichterstattung in den Me­dien über die so genannten „Schläfer" wurde natürlich auch der öffentlichen Meinung die Perspektive vorgezeichnet, dass Muslime all­gemein oder doch zumindest muslimische Studenten als potentielle Terroristen anzusehen sind. Andererseits wurde darüber kaum etwas berichtet, was diese Rasterfahndung am Ende an konkreten Ergebnissen gebracht hat, näm­lich praktisch gar nichts. Wäre dieses Ergebnis mit eben solchem Nachdruck über die Medien in den Blick der Öffentlichkeit gerückt worden wie die Rasterfahndung selbst, hätten einerseits die Muslime bzw. die muslimischen Studenten zumindest die Genugtuung einer gewissen Rehabilitation gehabt und andererseits die Öffentlichkeit ihre Befürchtungen gegenüber den Muslimen bzw. muslimischen Studenten zurückstellen können. Aber das ist nicht er­folgt, und der Generalverdacht besteht weiter. Daran hat auch die Tatsache nichts geändert, dass beispielsweise das Berliner Landgericht Anfang 2002 die Rasterfahndung für unrecht­mäßig erklärt hat. Denn dafür, dass nun Zug um Zug offenbar die gesamte muslimische Bevölkerung durchleuchtet werden soll, spricht eine Bemerkung des Präsidenten des Bundes deutscher Kriminalbeamter Klaus Jansen: „Derweil sind wir noch damit beschäftigt, die Ergebnisse der Rasterfahndung abzuarbeiten" ... Allein in Frankfurt am Main hätten seine Kollegen noch tausend Spuren zu verfolgen, und viele dieser Spuren führten auf eine neue. Bloß kaum auf die richtige, so Jansen. Das Raster, mit dem im Herbst 2001 in der musli­mischen Bevölkerung nach versteckten Schlä­fern gesucht wurde, entsprach dem Profil eines zweiten Mohammed Atta: akademisch, viel­sprachig, wohlhabend. Der neue Tätertypus ist aber ein ganz anderer: ungebildet, nicht integ­riert, sozialhilfeabhängig. Die Unverdächtigen von einst sind die Verdächtigen von heute." (Die Zeit, 27.11.03)

 

Verdachtsunabhängige Kontrollen

In München hat die Polizei eine eigene Ermittlungsgruppe gegründet, die ausschließ­lich Straftaten mit islamistisch-extremisti­schem Hintergrund bekämpfen soll. Verdäch­tige Vereine und Organisationen sollen durch­

leuchtet und Personenkontrollen verstärkt wer­den. Außerdem setzt die Polizei auf Hinweise aus der Bevölkerung ... Polizei und Innenmi­nisterium bemühten sich gestern, die Muslime nicht unter Generalverdacht zu stellen. „Es ist nicht das Ziel, jetzt ohne jeglichen Anlass wahllos Muslime zu kontrollieren, sagte Minis­teriums-Sprecher Michael Ziegler dieser Zei­tung. Die Kontrollen sollten auf Orte und Ein­richtungen beschränkt sein, von denen man wisse, dass dort extremistisches Gedankengut verbreitet werde. Die Polizei ließ jedoch durchblicken, dass auch verstärkt verdachts­unabhängige Kontrollen auf Münchens Stras­sen geplant sind..." (Münchener Merkur, 31.10.02). Natürlich fragt man sich hier, inwie­fern ein Generalverdacht nicht besteht, wenn verdachtsunabhängige Kontrollen durchgeführt werden.

 

Einzelverdächtigungen

Die verschiedenen Aktionen gegen Muslime, an denen sich der Generalverdacht ablesen lässt, können hier nicht vollständig dargestellt werden, doch ist anhand von Beispielen er­kennbar, dass ihnen jeweils unterschiedliche Ursachen zugrunde liegen. Nicht zuletzt gehö­ren dazu auch Verdächtigungen seitens einzel­ner Mitmenschen, die wohl vor allem durch die ständige Medienpräsenz des Themas ausgelöst werden. Wären die Folgen für die betroffenen Menschen nicht so bedauerlich gewesen, könn­te man die Vorgeschichte, die im Juli 2002 zur Polizeiaktion gegen eine Moschee in Frankfurt führte, eigentlich nur als Witz bezeichnen: „Anlass für den Einsatz war ein Hinweis, der am Samstag bei der Bonner Polizei einging. Wie Harry Kolbe von der Polizeipressestelle in Bonn berichtet, sei von einem Zeugen in der Nähe von Bonn im Erft-Kreis ein Auto beo­bachtet worden, in dem mehrere „verdächtige Personen" saßen. Der Zeuge habe erklärt, in einem der Fahrzeuginsassen Osama bin Laden erkannt zu haben." (Frankfurter Rundschau, 18.7.02).

 

In der diesbezüglichen Presseerklä­rung der Islamischen Gemeinschaft in Deutschland hieß es dann dazu: „Am Samstag, dem 13.07.02 um 19.40 Uhr, drangen ca. 40 Beamte eines Polizeisondereinsatzkommandos gewaltsam in die Moschee der Islamischen Gemeinschaft in Deutschland in der Ei­chenstrasse 41 in Frankfurt ein. Sie zerstörten beim Eindringen verschiedene Türen und Fenster, verschmutzten den Gebetsraum durch Betreten der Gebetsflächen mit Straßenschu­hen, durchsuchten das gesamte Objekt, ohne jedoch den von ihnen gesuchten Osama bin Ladin zu finden..." (Presseerklärung der IGD, 15.7.02) Nachdem die Islamische Gemein­schaft Klage gegen die Polizeiaktion erhoben hatte, wurde vom Amtsgericht Frankfurt fest­gestellt, dass die Behörden hier rechtswidrig vorgegangen sind. (Frankfurter Rundschau, 12.11.01)

 

Journalisten und Medien

Aktionen von Behörden werden darüber hinaus auch durch von Journalisten über die Medien verbreitete Anschuldigungen ausge­löst. So behauptete das ARD-Magazin Pano­rama, ein Prediger habe beim Freitagsgebet in der Moschee der Fahd-Akademie zum „dschi­had gegen die Ungläubigen" aufgerufen. Zum Beweis dafür wurde eine kurze mit versteckter Kamera aufgenommene Szene vorgeführt, bei dem der Prediger auf der Kanzel steht und etwas auf Arabisch von sich gibt, das wegen der schlechten Aufnahmequalität allerdings kaum zu verstehen war. Den Wortlaut dieser Predigt oder auch nur dieses Auszuges hat die Presse bislang allerdings nicht veröffentlicht. „Panorama" berichtete auch, „die Akademie habe Kontakt zur „Islamischen Gemeinschaft in Deutschland" (IGD), die vom Verfassungs­schutz beobachtet wird. Im Falle einer Schließung der Akademie gehe das Vermögen an die IGD über. Der Chef des nordrhein­westfälischen Verfassungsschutzes, Hartwig Möller, sprach von einem „Alarmzeichen". Einige Mitglieder der IGD unterhielten „enge Beziehungen zu terroristischen Organisatio­nen." (Tagesschau, 23.10.03). Eine Presseer­klärung der IGD, mit der diese einen derartigen Vorwurf zurückwies, ließen die Medien völlig unbeachtet. In der Folge erschienen dann Pressemeldungen wie „Bonner König-Fahd­ Akademie droht Schließung" (Spiegel Online 23.10.03), weil die Akademie „wegen mögli­cher Kontakte zu AI-Qaida und dem in ihrem Umfeld registrierten vermehrten Zuzug von mutmaßlichen Islamisten nach Bonn ins Visier der Sicherheitsbehörden geraten" sei. Mit der Überschrift „Fahd-Akademie: Kontakt zu Ter­roristen?" meldete dies alles auch die Kölni­sche Rundschau (23.10.03) und zahlreiche weitere Medien. Von Bundeskanzler Schröder, der in diesen Tagen auf Geschäftsreise in Sau­di-Arabien war, wurde der forsche Satz zitiert: „Die Sache wird abgestellt!" und jedermann erwartete nun, dass die Akademie, wie es auch die Kölner Bezirksregierung schon angekün­digt hatte, demnächst geschlossen werde. (Pa­norama, 23.10.03)

Bisher wurde allerdings weder die Sache abgestellt noch die Schule geschlossen, und man fragt sich, was am Ende tatsächlich von den diversen Verdächtigungen und Anschuldigungen als Wahrheit übrig bleibt.

Ein Beispiel dafür, wie Journalisten durch Verschweigen von relevanten Informationen Vorurteile verstärken, ist die Meldung „Terro­risten sollen EU-Gelder erhalten haben ... Fördergelder der EU-Kommission sollen auf Umwegen an terroristische, islamische Grup­pen geflossen sein." In dieser Meldung heißt es: „Nach Informationen des Stern sollen Brüs­seler Subventionen an den von Innenminister Otto Schily im vergangenen Jahr verbotenen Al-Aqsa-Verein in Aachen geflossen sein. Ihm wird vorgeworfen, die palästinensische Terror­organisation Hamas unterstützt zu haben." (Stern, 27.11.03) Der Stern verschweigt dabei, dass das Verbot durch Herrn Schily vom Bun­desverwaltungsgericht Leipzig bis zur Haupt­verhandlung außer Kraft gesetzt wurde, mit der Begründung, dass ausreichende Gründe für ein Verbot nicht vorgebracht wurden. „Über die Spenden sagen die Richter: „Beweise dafür, dass diese zweckwidrig für militante (terroris­tische) Aktivitäten verwendet wurden, liegen nach Auskunft des Bundesnachrichtendienstes nicht vor." (Berliner Morgenpost, 28.8.03) Während also höchstrichterlich festgestellt ist, dass zumindest bis zum Abschluss des ordent­lichen Gerichtsverfahrens von einer derartigen Beschuldigung des Al-Aqsa Vereins nicht ausgegangen werden darf, lässt der Stern seine Leser im Unklaren darüber und sie zu dem Schluss kommen, Al-Aqsa sei in der Tat verbo­ten und habe in der Tat die Hamas unterstützt.

 

Politische Absichten

Aber auch Politiker nutzen offenbar derartige Möglichkeiten, um sich in Szene zu setzen, und man wird den Eindruck nicht los, dass sogar manche der Polizeiaktionen im Zusam­menhang mit bevorstehenden Wahlen durchge­führt werden, damit die Medien darüber be­richten und die zuständigen Politiker ihr Image als fähige Garanten für die innere Sicherheit unter Beweis stellen können. So erfolgte die Verhaftung des so genannten „Terroristenpär­chens von Heidelberg" kurz vor den Wahlen 2002 (Monitor, 26.9.02), und obwohl die Akti­on in Baden Württemberg stattfand, nutzte auch der bayerische Innenminister Beckstein die Gelegenheit, auf diesen fahrenden Zug aufzuspringen und entblödete sich, vor laufen­den Fernsehkameras mitzuteilen: „Es gibt bis­lang keinen konkreten Hinweis, aber ich gehe davon aus, dass es sich auf jeden Fall um eine Gruppe handelt.

 

Ebenso ließ Bundesinnenminister Schily kurz vor den Bundestagswahlen 2002 seine Polizeiaktion gegen die schon erwähnte Hilfs­organisation „Al-Aqsa" durchführen und diese mit der Begründung verbieten, sie biete so ge­nannten „Märtyrerfamilien" in Palästina finan­zielle Unterstützung an und erleichtere damit den Selbstmordattentätern gewissermaßen ihren Entschluss, weil sich diese so zumindest darauf verlassen könnten, dass ihre Hinterblie­benen nicht unversorgt zurückbleiben. Dass dem Bundesinnenminister danach gerichtlich bescheinigt wurde, er habe hierfür keine aus­reichenden Beweise vorgelegt, wurde schon erwähnt, aber zumindest war es Schily gelun­gen, von sich nicht nur das Bild als strammer Terroristenjäger zu zeichnen, sondern auch als vorsorglicher Beschützer der unschuldigen Opfer in Israel.

 

Selbstläufer der Behörden

Daneben gibt es aber auch Maßnahmen, die offenbar durch die Behörden selbst und teil­weise völlig ohne konkreten Verdacht initiiert werden. Manche davon beruhen vielleicht ein­fach nur auf Fehlern bei den Ermittlungen, andere sind nach eigenem Bekunden der Be­hörden aber ganz bewusst als „Abschre­ckungsmassnahmen" geplant.

Die zahlreichen Fälle von auf Ermittlungs­fehlern und Fehlein­schätzungen beruhenden Aktionen können hier schon allein aus Mangel an Raum nicht aufgeführt werden. Manches davon würde durchaus in die bekannte Fern­sehserie „Pleiten, Pech und Pannen" passen, aber andererseits muss man sich auch ernsthaft fragen: Wie ist es denn wirklich mit unserer aller Sicherheit bestellt, wenn unsere Sicher­heitsorgane auf einem solch kläglichen Niveau operieren? Es muss hier genügen, daran zu erinnern, dass beispielsweise im Juli 2002 eine groß angelegte Aktion gegen einen muslimi­schen Buchladen „At-Tauhid" in Hamburg erfolgte oder dass im Oktober 2002 mehrere Wohnungen von Muslimen in Cottbus, Groß­ Gerau und Leinfelden-Echterdingen durch­sucht wurden. Davon, dass es sich bei diesen und anderen Fällen kaum um vorzeigbare Er­folge der Behörden handelte, wurde zwar an­schließend in den Medien gelegentlich berich­tet (Taz, 28.9.02; Frankfurter Rundschau, 30.9.02), doch nimmt die öffentliche Meinung derartige Klarstellungen kaum wahr.

 

Recht gebrochen, Ziel erreicht

In Stuttgart hatten im letzten Jahr 250 Poli­zeibeamte mit Kräften des Spezialeinsatz­kommandos die Moschee abgeriegelt, an­schließend mit 100 Mann den Gebetsraum gestürmt und 255 Personen kontrolliert, die sich dort zum Freitagsgebet aufhielten. Viele Moscheebesucher seien von der Polizei mit Plastikbändern gefesselt worden, darunter auch ein 77- jähriger Mann, der anschließend noch in Polizeigewahrsam gekommen sei, weil er keinen Pass dabei gehabt habe, sein Rentenbe­scheid habe nicht genügt. (Stuttgarter Nach­richten, 16.12.02; 18.12.02)

 

Bemerkenswert war in diesem Zusammen­hang der Kommentar des Integrationsbeauf­tragten der Stadt Stuttgart zu dieser Polizeiak­tion. „Ich bin in die Ermittlungen des Innenmi­nisteriums nicht involviert", sagte Gari Pavko­vic gestern. Für die Stadt jedenfalls sei die Islamische Gemeinschaft in Deutschland kein Kooperationspartner, weil sie vom Verfas­­sungs­­schutz beobachtet werde und ein Auf­fangbecken für konserva­tive islamische Grup­pen biete. (Stuttgarter Nachrichten, 18.12.02)

 

Da ist er also wieder, der Generalverdacht: Der Verfassungs­schutz entscheidet sich, aus welchen Gründen auch immer, eine muslimi­sche Organisation zu beobachten, die damit als „Kooperationspartner" nicht mehr in Frage kommt, auch wenn gegen sie erwiesenermaßen und in jedem Verfassungsschutzbericht offiziell bestätigt nichts strafrechtlich Relevan­tes vorliegt, und Menschen, die mit dieser Or­ganisation möglicherweise gar nichts zu tun haben, sondern nur in diese Moschee kommen, weil sie in der Nähe liegt, dürfen auf solch üble Weise von der Polizei behandelt werden, ohne dass der Integrations­beauftragte der Stadt An­lass zur Kritik sieht.

Im Rahmen derselben Aktion seitens des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg wa­ren darüber hinaus auch zwei Moscheen in Mannheim und Freiburg Ziel dieser Polizei­maßnahmen. Die Union der Türkisch ­Islamischen Kulturvereine in Europa (ATIB) teilte mit, dass der Vorsitzende des Ausländer­beirats der Stadt Dortmund und Vorstandsmit­glied von Atib Yusuf Güclü bei einem Polizei­einsatz vor seiner Haustür verletzt wurde und ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. (Presseerklärung ATIB, 15.12.02)

 

Gegen die polizeiliche Durchsuchung der Moschee in Stuttgart Bad Canstatt am 13.12. 02 hatte die IGD Beschwerde eingelegt. Das Landgericht Stuttgart stelle daraufhin fest, dass diese Durchsuchung rechtswidrig war, weil „bei zutreffender rechtlicher Würdigung be­reits von Anfang an kein Anlass für den einge­reichten Durchsuchungsantrag bestand." Von der Landespolizei­behörde seien nur Tatsachen vorgetragen worden, die allenfalls eine abs­trakte Gefahr begründen könnten, so z. B., dass sich in der Moschee möglicherweise eine Per­son oder Sache befände, die die Voraussetzun­gen einer Ingewahr­samnahme oder Beschlag­nahmung erfüllen könnte, ohne jedoch irgend­eine Person oder Sache genau bezeichnen zu können, nach der gefahndet oder gesucht wur­de. Dies sei daher nicht ausreichend, um eine Durchsuchung für Räume zu gestatten, die auch als Wohnraum, z.B. zur Übernachtung von gelegentlichen Gästen, dienen." (Presseer­klärung des Vorstands der IGD, 13.6.03)

 

Rechtliche Klärung wirkungslos

Allerdings führen derartige Gerichts­urteile ganz offensichtlich nicht dazu, den General­verdacht aufzuheben. Ein Beispiel dafür, dass die Behörden sich weiterhin über das rechtlich zuge­lassene Maß hinwegsetzen und durch die Gerichte gerügt werden müssen, ist die Poli­zeimaßnahme gegen eine Moschee in Braun­schweig vom 10.10.03, bei der die Moschee während des Freitagsgebets von der Polizei umstellt wurde,. alle Personen überprüft, zum Ausfüllen eines Formulars genötigt und die Autokennzeichen aufgenommen wurden. Das Landeskriminalamt Nieder­sachsen wies darauf hin, „dass es sich um eine Maßnahme zur Be­kämpfung des islamistischen Terrorismus han­dele. Auf die Frage, ob man denn straftat­bestandlich relevante Hinweise gehabt hätte, hieß es, solche Maßnahmen würden präventive Wirkung haben." (Presseerklärung IGMG 10.10.03)

Das Verfahren ist also klar: Es besteht Gene­ralverdacht gegen Moscheebesucher, zumin­dest von Moscheen der IGD, der IGMG und anderer Verbände, die schon von derartigen Polizeimaßnahmen betroffen waren. Dieser Genera­lverdacht berechtigt die Polizei zum Zweck der Prävention, so sieht sie es zumin­dest, sich ohne rechtlich zutreffende Begrün­dung von der unteren Instanz einen Durchsu­chungsbefehl zu beschaffen. Dass dann even­tuell dagegen geklagt und dabei die Unrecht­mäßigkeit der Polizeimaßnahme festgestellt wird, behindert die Polizei dabei nicht, denn sie hat ihre „präventive Maßnahme" dann ja schon längst durchgeführt und ihre Zwecke erreicht, nämlich einerseits eine gewisse all­gemeine Abschreckung, und andererseits die konkrete Aufnahme der Personal­daten von Personen, die sich an den durchsuchten Orten aufgehalten haben. So entsteht natürlich im Laufe der Zeit ein immer vollständigeres Ver­zeichnis von Muslimen, die zu Gottesdiensten in Moscheen kommen, d.h. Menschen, die zur Ausübung ihrer Religion einen gewissen Auf­wand treiben und dafür auch gewisse Opfer an Zeit und Geld erbringen und damit wohl auch eher solchen Kreisen zugerechnet werden kön­nen, die sich für den Islam einsetzen, als ande­re, die in Moscheen nicht anzutreffen sind.

 

Jeder ist betroffen

Aber letztendlich werden wohl auch solche, die auch nach eigenem Bekunden nur noch dem Namen nach als Muslime gelten wollen, von dem Generalverdacht gegen Muslime nicht ausgeschlossen bleiben. Lehrreiche Bei­spiele hierfür sind der schon erwähnte „Terro­rist" von Heidelberg, der angeblich einen Sprengstoffanschlag gegen eine amerikanische Einrichtung plante (taz, 7.5.03) oder der kürz­lich zu vier Jahren Haft verurteilte Palästinen­ser Shadi Abdallah, der zu einer vermuteten Terrorgruppe namens At-Tawhid gehören soll. In beiden Fällen handelte es sich um Personen, die ihrem allgemeinen Verhalten und ihrer Lebensweise nach dem Islam eigentlich sehr fern standen, dann aber auf irgend welchen Wegen doch mit Muslimen in Verbindung zu sehen waren und am Ende als Terroristen gel­ten durften. In der Konsequenz bedeutet das: Jeder Muslim ist ein potentieller Terrorist, und das bestätigt noch einmal auf eindrucksvolle Weise den General­verdacht. Ganz unmissver­ständlich wurde dies nicht zuletzt im Verfas­sungsschutzbericht von Nordrhein-Westfalen mitgeteilt, in dem es heißt: „Damit kann nie ganz ausgeschlossen werden, dass eine zurzeit nicht militant auftretende Organisation, in de­ren ideologischem Repertoire die Anwendung von Gewalt als legitimes Mittel zur Erreichung der eigenen politischen Interessen vorhanden ist, sich ganz oder in Teilen zu einer terroristi­schen Organisation entwickelt. Ein derartiger Wandel islamistischer Organisationen ist auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland jedoch unwahrscheinlich. Weder hat eine isla­mistische Gruppierung in der Vergangenheit hier einen solchen Wandel vollzogen, noch gibt es Anzeichen für einen derartigen Rich­tungswechsel. Eine aufmerksame Beobachtung der Entwicklung ist dennoch erforderlich." (Verfassungsschutzbericht des Landes Nord­rhein-Westfalen 2002, S. 27-28).

Tablighi Dschamaat

Welches Ausmaß der Generalverdacht gegen die Muslime in der Tat erreicht, lässt sich nicht zuletzt auch daran abmessen, dass der Verfas­sungsschutz in Bayern inzwischen sogar mit der Tabligh Dschamaat eine muslimische Be­wegung beobachtet, zu deren unbedingten Grundsätzen es gehört, wie unter Muslimen allgemein bekannt ist, dass in ihren Kreisen politische Fragen ausgeklammert bleiben und man sich allein auf das religiöse Leben konzentriert. Damit hat die Tabligh Dschamaat, so ihre innermuslimischen Kritiker, praktisch die Trennung von Religion und Politik vollzogen und ist der klassische Fall einer den Säkularismus befördernden Strömung. Im Verfassungsschutzbericht Bayerns liest man stattdessen: „Ziel der Tablighi Jamaat ist die Islamisierung der Gesellschaft über Angehörige dieser Vereinigung ... Über die Islamisierung des Alltagslebens und die Schaffung eines islami­schen Gesellschafts­bewusstseins wird an der Etablierung eines islamischen Staatswesens gearbeitet. Dabei verlangt die Tablighi Jamaat von den Muslimen ein konsequentes Leben gemäß Koran und Sunna, postuliert die Un­veränderlichkeit und Unabdingbarkeit musli­mischer Familienrechte, sowie in Konsequenz daraus eine Abgrenzungspolitik zu Nicht­ Muslimen. Diese Bestrebungen wirken in nicht-muslimischen Gesellschaften zwangsläu­fig desinte­grierend, so dass eine dauerhafte und ernsthafte Hinwendung zu westlichen Gesellschaftsordnungen, Wertvorstellungen und Integrationsmodellen nicht möglich ist. Obwohl die Organisation Gewalt ablehnt, be­steht durch die gemeinsame ideologische Basis mit militanten Gruppierungen die Gefahr, dass die weltweiten Strukturen der Bewegung für Hilfsdienste terroristischer Netzwerke miss­braucht werden." (Verfassungsschutzbericht Bayern 2002, S. 172-173)

 

Was bedeutet Integration?

Die Eckpunkte hier sind also „Leben nach Koran und Sunna", internationale Kontakte und damit die Gefahr, von Terroristen „miss­braucht" zu werden. Von besonderer Wichtig­keit ist an dieser Stelle aber auch der Hinweis darauf, was denn von Muslimen erwartet wird, damit sie nicht als extremistisch oder isla­mistisch gelten, nämlich statt einer „Abgren­zungspolitik zu Nicht-Muslimen ... eine dau­erhafte und ernsthafte Hinwen­dung zu westli­chen Gesellschafts­ordnungen, Wertvorstellun­gen und Integrationsmodellen." Wer „private Koranschulen" betreibt oder „die Pflicht für Frauen und Mädchen, Kopftücher zu tragen" vertritt, „trägt zur bewussten Abgrenzung von westlichen Lebensgewohnheiten bei." (Verfas­sungsschutzbericht 2000 Bayern, S. 152).

 

Berücksichtigt man diese Ausgangslage, versteht man vielleicht auch besser, weshalb die Kopftuch­frage für die Politik von so großer Bedeutung ist und nun sogar zu neuer Gesetz­gebung führt. Und man versteht auch besser, warum Kritiker den Bundesinnenminister Schi­ly mit Bezug auf den bayrischen Innenminister Beckstein gelegentlich als einen „geklonten Beckstein" bezeichnet haben. Denn von Schily stammt die Ansicht, die beste Integration sei die Assimilation, und „Assimilierung heißt wörtlich Anähnlichung. Das kann in sehr un­terschiedlichen Formen vor sich gehen. Aber am Ende werden sich die Menschen in einem gemeinsamen Kulturraum ähnlicher." (Süd­deutsche Zeitung, 27.6.02)

 

Darüber, dass Schily genau das meinte, was er sagte, kann auch der klägliche Versuch der „Ehrenrettung" Schilys durch islam.de nicht hinwegtäuschen. Etwas anderes anzunehmen, hieße ja, Schily als Depp hinzustellen. Trotz­dem fragte islam.de tatsächlich: „Hat Innen­minister Otto Schily Assimilierung gesagt und Integration gemeint?" (Der ursprünglich unter islam.de veröffentliche Kommentar ist inzwi­schen dort offenbar nicht mehr zu finden, vgl. aber www.gazeten.com/archiv/almanya (Zugriffsrechte erforderlich)

Dabei hat es sich zudem gar nicht um einen einmaligen Ausrutscher von Otto Schily ge­handelt. Vielmehr hat er diese Sicht auch schon in einem früheren Interview vertreten: Hinsichtlich der Integration von Ausländern stellte er fest: „Ich hätte auch nichts dagegen, wenn sich die Leute assimilieren" und antwor­tete auf die Rückfrage: „Wenn sie sich also anpassen, dass sie von ansässigen Deutschen nicht mehr zu unterscheiden sind?" mit „Wenn sie das wollen. Aber wir werden sie nicht zwingen" und auf Insistieren „Halten Sie es wirklich für wünschenswert, dass die vielen Ausländer, die wir hier haben, sich alle assimi­lieren?" sagte Schily: „ich fände es besser ..." (Süddeutsche Zeitung, 10.7.01)

 

(Wird inschallah fortgesetzt)