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von Hodschato-lislam Reza Ramezani,
dem Leiter des Islamischen Zentrums Imam Ali - Wien
Gerechtigkeit ist wohl einer der schönsten Begriffe, die der Mensch kennt und verwendet. Zugleich ist diesem Begriff aber auch wie keinem anderen Unrecht widerfahren, denn alle Menschen sprechen von Gerechtigkeit, doch bei deren Verwirklichung scheint es, als ob eine Gruppe sich dem Kampf gegen die Gerechtigkeit gewidmet hätte. Aus diesem Grund war die Verwirklichung und Instandsetzung von Gerechtigkeit, Frieden und Freundschaft unter den Menschen auch die wichtigste gesellschaftliche Aufgabe der Propheten. Zu diesen Propheten zählen unter anderem die großen Propheten Moses (as.), Jesus (as.) und Muhammad (s.a.).
Der heilige Koran, als heilige Schrift der Muslime und als ewiges Wunder des heiligen Propheten führt die Gerechtigkeit als eine der wichtigsten Angelegenheiten der menschlichen Gesellschaft an. Der heilige Koran verwendet für die Gerechtigkeit die beiden Begriffe „Adl“[1] und „Qist“.[2] Der Begriff „Adl“ findet sich im heiligen Koran 14mal. Wir finden den Begriff „Adl“ (Gerechtigkeit) in unveränderter Form in sieben verschiedenen Suren, aufgeteilt auf 12 verschiedene Verse. Darüber hinaus finden auch verschiedenen Abwandlungen des Begriffs „Adl“ im heiligen Koran Verwendung. Diese finden 14mal in 13 verschiedenen Versen, aufgeteilt auf 7 Suren, Verwendung. Der Begriff „Qist“, der in der Bedeutung der Gerechtigkeit Verwendung findet, kommt im heiligen Koran 15mal vor. Daneben finden sich auch verschiedene Abwandlungen dieses Begriffs. Insgesamt finden wir diesen Begriff mit all seinen Abwandlungen 23mal in 15 verschiednen Suren, aufgeteilt auf 21 Verse.
Die beiden Begriffe „Adl“ und „Qist“ finden dabei in verschiedenen Bedeutungen Verwendung. Diese umfassen:
1. Gesetzliche Gerechtigkeit
2. Gerechte Aufteilung
3. Gerechter Teil
4. Anstand
5. Maßhalten
6. Ausgewogenheit
7. Einer Sache gerecht zu sein
8. Gleichen Teil gewähren
9. Recht
10. Wahrheit
11. Aufrichtigkeit
12. Einen Mittelweg halten
13. Mitte
14. Absicht
15. Die Welt
16. Gerechtigkeit walten lassen
17. Einer der Namen Gottes
Als Definition der Gerechtigkeit finden wir unter anderem die folgende Definition, in der es heißt: „Die Gerechtigkeit ist das, was in der Ansicht der Menschen von Beständigkeit und Wahrheit ist.“
Aufgrund
dessen, was wir über den Begriff Gerechtigkeit angeführt haben, kann man sagen,
dass die Gerechtigkeit als „Aufrichtigkeit“, „Beständigkeit“ und „gerader Weg“
gedeutet werden kann. Aus diesem Grund haben auch einige Korankommentatoren
„den Weg“ bzw. „den geraden Weg“ als „Gerechtigkeit“ gedeutet. Aus diesem Grund
stellt die Gerechtigkeit die Bewegung auf dem geraden Weg dar. Sie entspricht
der inneren natürlichen Veranlagung (Al-Fitrah) sowie der Struktur der wahren
Existenz des Menschen. Aus diesem Grund findet der Begriff Gerechtigkeit auch
in der Bedeutung von „Gleichstellung“, „Gleichberechtigung“, „der Einhaltung
dessen, was dem anderen gebührt“, „dem Geben dessen, was dem anderen an Recht
zusteht“ als auch in der Bedeutung „der Einhaltung dessen, was dem anderen
gebührt“ Verwendung. Er findet aber auch in der Bedeutung der „Einhaltung
dessen, was den anderen gebührt bei der Gabe von Existenz sowie dem nicht
Verwehren der richtigen Gabe“ und „dem Verwenden von jedem Ding, dort wo es ihm
gebührt“ Verwendung.[3]
Die Frage der Gerechtigkeit, auf dessen Basis das gesellschaftliche Leben des Menschen steht, stellt eine der wesentlichsten Richtlinien des Menschen im Laufe der Geschichte dar. Dieses Bestreben ist nicht nur ein äußerliches, sondern ein Bestreben, das der inneren Veranlagung des Menschen entspringt. Es entspringt der inneren Veranlagung, basiert aber gleichzeitig auch auf der Vernunft des Menschen und gibt dem menschlichen Dasein erst seine wahre Bedeutung.
Die Gerechtigkeit ist eine Gunst, durch welche die menschliche Gesellschaft, wenn sie davon Gebrauch macht, Beständigkeit, Gleichstellung, Ausgewogenheit und Freiheit erreicht. Wenn die Gesellschaft davon aber keinen Gebrauch macht, machen sich Ungleichheit, Ungerechtigkeit, Verdorbenheit, Unfrieden und Feindschaft breit. Es ist also nur auf der Basis der Gerechtigkeit möglich, dass eine Gesellschaft gerechtigkeitsliebend und deren Gesetze ein Schutz für die Gerechtigkeit sind.
Das Errichten von Gerechtigkeit, Frieden und Freundschaft stellt einen der wichtigsten gesellschaftlichen Aufträge der göttlichen Propheten dar. Aus diesem Grund heißt es im heiligen Koran:
لَقَدْ
أَرْسَلْنا
رُسُلَنَا بِٱلْبَيِّنَاتِ
وَ
أَنْزَلْنا
مَعَهُمُ ٱلْكِتَابَ
وَ ٱلْمِيزَانَ
لِيَقُومَ ٱلنَّاسُ
بِٱلْقِسْطِ
...
„Wahrlich, wir haben unsere Gesandten mit
den klaren Beweisen gesandt und mit ihnen die Schrift und die Waage (die
Richtlinie) herabkommen lassen, damit die Menschen für Gerechtigkeit sorgen
würden…“ [4]
Somit stellt die Verwirklichung der Gerechtigkeit in der menschlichen Gesellschaft als auch in den Menschen selbst eine der höchsten Ziele der göttlichen Religionen dar. Wir sind der Ansicht, dass es die Gerechtigkeit ist, die dem Leben des Menschen ihre wahre Bedeutung gibt.
Bei einer genauen Untersuchung der Gegenstände der Gerechtigkeit im heiligen Koran gelangen wir zum Ergebnis, dass die Gerechtigkeit im weiteren Sinn alle Fragen, die den Menschen betreffen umfasst. Auf diese Weise umfasst die Gerechtigkeit also Bereiche vom Denken und der Moral bis hin zur Kultur, Wirtschaft, Politik und der Gesellschaft. Es ist deshalb nicht unangebracht, auf einige der Gegenstände der Moral ganz kurz einzugehen.
1. Die Einhaltung der Ausgewogenheit sowie des Mittelweges im Leben als auch der Verwaltung der individuellen und gesellschaftlichen Angelegenheiten. Hier gibt der heilige Koran z. B. folgenden Hinweis:
وَ
الَّذِينَ
إِذا
أَنْفَقُوا
لَمْ يُسْرِفُوا
وَ لَمْ
يَقْتُرُوا
وَ كانَ
بَيْنَ ذلِكَ
قَواماً
„Und (jene Leute) die, wenn sie Spenden
geben, weder verschwenderisch noch knauserig sind und was dazwischen liegt, ist
richtig (beständig).“ [5]
2. Die Stütze auf Rat und Beratung in politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Angelegenheiten der Gesellschaft, also die Stütze auf die eigene sowie die Vernunft der anderen.
3. Die Respektierung der Menschenrechte. Die Respektierung der Rechte der Entrechteten, der Unterdrückten, der Frauen, Kinder und aller anderen schwachen, unterdrückten Gesellschaftsschichten. Sowie die Respektierung der Rechte der Körperorgane des Menschen.
4. Die Ablehnung jeglicher Machtbestrebungen sowie Übertretungen in den Bereichen Wirtschaft, Politik und Kultur.
5. Die Ablehnung jeglicher Überheblichkeit, Eigennützigkeit, Selbstherrlichkeit, falschen Stolzes und falschen Fanatismus’.
6. Die Ablehnung von jeglichem luxuriösen Lebensstil, von Verschwendung sowie dem Hang zum Weltlichen.
7. Die Respektierung der Rechte der Tiere, Pflanzen und Dinge.
8. Mitgefühl sowie Unterstützung den Unterdrückten und Schwachen der Gesellschaft gegenüber.
9. Die gerechte Aufbewahrung und Zurückerstattung des Anvertrauten sogar Anders- oder Ungläubigen gegenüber.
10. Der Dienst an der Menschheit sowie der Kampf (Dschihad) zur Befreiung der Menschen aus Unterdrückung.
11. Die Ablehnung jeglicher Ungerechtigkeit.
12. Die Respektierung der Gerechtigkeit bei der Regierung über das Volk sowie die Ausübung der Gerechtigkeit bei der Erhebung eines Rechtsanspruchs der Entrechteten und Unterdrückten.
13. Die Ablehnung der unrechtmäßigen Einverleibung des Vermögens anderer:
وَ
لاَ
تَأْكُلُوا
أَمْوَالَكُمْ
بَيْنَكُمْ
بِٱلْبَاطِلِ...
„Und bringt euch nicht untereinander in
betrügerischer Weise um euer Vermögen…“ [6]
14. Die Beständigkeit auf dem Weg der Wahrheit:
فَاسْتَقِمْ
كَما
أُمِرْتَ
„Sei nun standhaft, wie es dir befohlen
worden ist.“ [7]
15. Sich in gerichtlichen Angelegenheiten nicht von jenen beeinflussen zu lassen, die einen überschwänglichen Lebensstil führen und die Gesetze übertreten (At-Taghut):
...يُرِيدُونَ
أَنْ
يَتَحاكَمُوا
إِلَى الطَّاغُوتِ
وَ قَدْ
أُمِرُوا
أَنْ
يَكْفُرُوا بِهِ...
„…sie wollen sich in ihren
gerichtlichen Entscheidungen an das Überschwängliche (At-Taghut) wenden,
während ihnen befohlen wurde, es zu verleugnen…“ [8]
16. Die Respektierung der Gerechtigkeit im Umgang mit Gegnern:
وَ
لا
يَجْرِمَنَّكُمْ
شَنَآنُ
قَوْمٍ عَلى
أَلاَّ
تَعْدِلُوا
اعْدِلُوا
هُوَ أَقْرَبُ
لِلتَّقْوى
„…Und der Hass, den ihr gegen Leute
hegt, soll euch ja nicht dazu bringen, dass ihr nicht gerecht seid. Seid
gerecht! Das entspricht eher der Gottesfurcht…“ [9]
17. Das Verbot, sich das Vermögen der Waisen unrechtmäßig einzuverleiben.
18. Das Verbot, auf der Erde Verderben anzurichten:
وَ
الَّذِينَ ...
وَ
يُفْسِدُونَ
فِي الْأَرْضِ
أُولئِكَ
لَهُمُ
اللَّعْنَةُ
وَ لَهُمْ سُوءُ
الدَّارِ
„Diejenigen aber, die … auf der Erde
Unheil anrichten, die haben den Fluch (Allahs) und die schlimme Behausung (der
Hölle) zu erwarten.“ [10]
19. Das Verbot, Sünden zu begehen sowie Üblen und Schlechten, wie z.B. Mord und Diebstahl, nachzugehen.
20. Das Verbot, Unterdrücker zu unterstützen:
وَ
لا
تَرْكَنُوا
إِلَى
الَّذِينَ
ظَلَمُوا
“Und sucht nicht bei denen Anlehnung,
die Unrecht tun!“ [11]
21. Das Verbot, den Bund mit Gott zu brechen sowie das zu trennen, bei dem Gott die Aufrechterhaltung seiner Verbindung befohlen hat:
وَ
الَّذِينَ
يَنْقُضُونَ
عَهْدَ
اللَّهِ مِنْ
بَعْدِ
مِيثاقِهِ وَ
يَقْطَعُونَ
ما أَمَرَ
اللَّهُ بِهِ
أَنْ يُوصَلَ
... أُولئِكَ
لَهُمُ
اللَّعْنَةُ
وَ لَهُمْ
سُوءُ الدَّارِ
“Diejenigen aber, die eine
Verpflichtung gegen Allah brechen, nachdem sie abgemacht war, und zerreißen,
was nach Allahs Gebot zusammengehalten werden soll, …die haben den Fluch und
die schlimme Behausung zu erwarten.“[12]
22. Das Verbot, andere zu betrügen, zu veruntreuen, Verrat zu üben, Unheil und Angst zu verbreiten usw.:
وَ
ما كانَ
لِنَبِيٍّ
أَنْ يَغُلَّ
وَ مَنْ يَغْلُلْ
يَأْتِ بِما
غَلَّ يَوْمَ
الْقِيامَةِ
„Und kein Prophet darf veruntreuen.
Wenn jemand veruntreut, wird er das, was er veruntreut hat, am Tag der
Auferstehung (mit sich) bringen.“ [13]
Die Punkte, die hier angeführt wurden, sind Beispiele dafür, welchen Wert der heilige Koran auf die Gerechtigkeit legt. Natürlich finden wir im heiligen Koran auch Anweisungen dazu, wie die Gerechtigkeit in die Tat umgesetzt werden kann. Es handelt sich bei den Aussagen des heiligen Korans also nicht nur um Aussagen, in denen die Gerechtigkeit gelobt und gutgeheißen wird, sondern jeder Einzelne ist dazu aufgerufen, zur Verwirklichung der Gerechtigkeit in seiner wahren Bedeutung und in seinen verschiedenen Bereichten beizutragen.
Das Thema unseres Seminars bezieht sich auf die Erretter der Menschheit aus der Sicht des Islams und des Christentums. Aus diesem Grund ist es angebracht, die Sicht des Propheten des Islams über die Gerechtigkeit darzulegen, damit wir die Anordnungen dieses von Gott geleiteten Menschen und Erretter der Menschheit besser kennen lernen.
Wir sind der Überzeugung, dass der heilige Prophet (s. a.) die Gerechtigkeit in Person ist. Gemäß der Ansicht des heiligen Propheten (s. a.) stellt die Gerechtigkeit das Fundament der Existenz dar, indem die Schöpfung der Himmel und der Erde auf der Basis der Gerechtigkeit stattgefunden hat. In einer Aussage des heiligen Propheten (s. a.) heißt es dazu:
وَ
بِٱلْعَدْلِ
قَامَتِ ٱلسَّمَـٰوَاتُ
وَ ٱلْأرْضُ
Durch die
Gerechtigkeit bestehen die Himmel und die Erde.[14]
Gemäß dieser Aussage stellt die Gerechtigkeit die Basis zur Schöpfung aller Existenz dar. Durch die Gerechtigkeit bekommt alles Sinn und Existenz. Jedes lebende Geschöpf ist auf der Basis der Gerechtigkeit erschaffen und strebt daher seine ihm eigene Vollkommenheit an. Auf der Basis der Gerechtigkeit leitet Gott alle Dinge im existenziellen Bereich seinen ihm eigenen Weg. So heißt es im heiligen Koran:
الَّذِي
خَلَقَ
فَسَوَّىٰ وَ ٱلَّذِي
قَدَّرَ
فَهَدَىٰ
[Gott ist
es,] der geschaffen und wohl geformt hat, und der ein Maß gesetzt und
rechtgeleitet hat,[15]
Aus diesem Grund nennt der heilige Prophet (s. a.) die Gerechtigkeit als Richtlinie Gottes auf Erden und ihre Einhaltung als Faktor zur Errettung der Menschen:
الْعَدْلُ
مِيزَانُ
اللَّهِ فِي
الْأَرْضِ
فَمَنْ
أَخَذَهُ
قَادَهُ
إِلَى
الْجَنَّةِ
وَ مَنْ
تَرَكَهُ
سَاقَهُ
إِلَى
النَّارِ
Die
Gerechtigkeit ist die Richtlinie Gottes auf Erden. Wer sie akzeptiert, den
leitet Er [oder auch sie, die Gerechtigkeit]ins Paradies, und wer sie nicht
akzeptiert, den leitet Er [oder auch sie, die Gerechtigkeit] ins Feuer.[16]
Aus diesem Grund stellt die Gerechtigkeit aus der Sicht des heiligen Propheten (s. a.) die Richtlinie aller individuellen sowie gesellschaftlichen Angelegenheiten dar. Sie ist Richtlinie für alles Materielle, Geistige, Körperliche, Psychische, Politische, Wirtschaftliche… Sie muss sich in den Gefühlen, den Gedanken, in den Aussagen, im Handeln, im Benehmen der Menschen widerspiegeln. Der Mensch und auch die Gesellschaft müssen gerecht empfinden, gerecht denken, gerecht sprechen, sich gerecht verhalten… Kurz gesagt, die Gerechtigkeit muss in allen Angelegenheiten des menschlichen Lebens regieren. Aus diesem Grund sagt Gott:
...وَ
إِذا
حَكَمْتُمْ
بَيْنَ
النَّاسِ
أَنْ تَحْكُمُوا
بِالْعَدْلِ...
„…und wenn
ihr zwischen den Menschen richtet, dass ihr in Gerechtigkeit richtet…“ [17]
Aus diesem Grund sind die Menschen verpflichtet dazu, sich die Gerechtigkeit unter allen geistigen sowie körperlichen Zuständen zur Richtlinie zu machen, sie in allen Bereichen des menschlichen Lebens zu befolgen und keinen Augenblick von ihr abzugehen.
Aus verschiedenen Aussagen des heiligen Propheten (s. a.) lassen sich Grundsätze erkennen, die zur Verwirklichung der Gerechtigkeit notwendig sind. In diesem Abschnitt gehen wir auf einige dieser Grundsätze ein.
Der heilige Prophet (s. a.) weist darauf hin, dass alle Menschen, gleich von welcher Rasse sie sind, im Ursprung ihrer Schöpfung gleichgestellt sind und sich nicht unterscheiden. Die Menschen unterscheiden sich also durch nichts außer durch die Gottesfurcht. Auf diese Tatsache weist der heilige Prophet (s. a.) in der Abschiedswallfahrt kurz vor seinem Tod hin, indem er sagt:
أَيُّهَا
النَّاسُ
إِنَّ
رَبَّكُمْ
وَاحِدٌ وَ إِنَّ
أَبَاكُمْ
وَاحِدٌ
كُلُّكُمْ
لِآدَمَ وَ
آدَمُ مِنْ
تُرَابٍ
إِنَّ
أَكْرَمَكُمْ
عِنْدَ
اللَّهِ
أَتْقَاكُمْ
وَ لَيْسَ لِعَرَبِيٍّ
عَلَى
عَجَمِيٍّ
فَضْلٌ إِلَّا
بِالتَّقْوَى
„Ihr
Leute! Euer Herr ist einer und euer Stammvater ist einer. Ihr alle seid alle
von Adam, und Adam ist aus Erde. Der edelste von euch ist der Gottesfürchtigste
von euch. Es gibt keine Auszeichnung für die Araber vor den Nichtarabern, außer
durch die Gottesfurcht.“ [18]
In einer anderen Überlieferung sagt der heilige Prophet (s. a.):
النَّاسُ
كَأَسْنَانِ
الْمُشْطِ
سَوَاءٌ
„Die
Menschen sind [einander] gleich wie die Zähne des Kammes“[19]
Aus diesem Grund sind alle Menschen aus der Sicht der Religion in ihrer Verbindung zu Gott auf den Stellenwert des Dieners Gottes gleichgestellt. Alle sind die Geschöpfe und Diener Gottes. In einer Überlieferung des heiligen Propheten (s. a.) heißt es:
الْخَلْقُ
كُلُّهُمْ
عِيَالُ
اللَّهِ فَأَحَبُّهُمْ
إِلَى
اللَّهِ
عَزَّ وَ
جَلَّ أَنْفَعُهُمْ
لِعِيَالِهِ
“Die
Geschöpfe sind alle die ‚Angehörigen’ Gottes, der beliebteste bei Gott ist also
der, der seinen Angehörigen am meisten nützt.“ [20]
Natürlich unterliegt der
Glaube gewissen Kriterien. Jeder Mensch besitzt gewisse Fähigkeiten und
Grenzen. Wer nun von seinen Fähigkeiten, zu glauben bzw. gottesfürchtig zu sein,
Gebrauch macht, der empfindet die Anwesenheit Gottes viel stärker als jemand,
der davon keinen Gebrauch macht.
Hier ist es notwendig, darauf
hinzuweisen, dass mit jener Gleichstellung, die wir als Grundsatz der
Gerechtigkeit bezeichnen, die Gleichstellung in der Schöpfung gemeint ist. Das
bedeutet also, dass vom Ursprung der Schöpfung her alle „Menschen“ sind. Es
gibt also aufgrund einer schwarzen oder weißen Hautfarbe keine auserwählte
Rasse auch nicht wegen der arabischen oder nichtarabischen Abstammung. Es ist
also nicht so, dass jemand, nur deshalb weil er z. B. ein Araber ist, ein
besserer Mensch ist. Das Erreichen einer höheren Würde bzw. höherer Werte ist
nur auf der Basis der Gottesfurcht erreichbar und unterliegt somit dem freien
Willen des Menschen. Von der Schöpfung her sind also alle Menschen gleich. Sie
sind Menschen wie jeder andere auch. Von der Schöpfung her gibt es keine
Auszeichnung unter den Menschen. Es kann und darf also niemand behaupten, dass
er aufgrund seiner Rasse besser sei als die anderen.
Ein weiterer Grundsatz der Gerechtigkeit ist die Freiheit. Ein großartiges Geschenk, das allen Menschen zuteil geworden ist. Alle Menschen haben also das Recht, bei der Veränderung bzw. Bestimmung ihres Schicksaals mitzuwirken. Hier darf den Menschen nichts aufgezwungen werden. Kein Mensch darf seiner Freiheit beraubt und als Sklave eines anderen betrachtet werden. Der heilige Prophet (s. a.) weist in einer sehr schönen Aussage auf den Grundsatz der Freiheit hin. Er weist darauf hin, dass niemand auf dem Weg zu seiner Vollkommenheit durch innerliche oder äußerliche Hindernisse eingeschränkt bzw. behindert werden darf, sondern er muss gegen diese Hindernisse ankämpfen, damit er in den Genuss der gesellschaftlichen und geistigen Freiheit gelangt.
Ein weiterer Grundsatz der Gerechtigkeit ist die Brüderlichkeit der Menschen untereinander. Da die Menschen alle von einer unendlichen, existenzgebenden Quelle abhängen, muss zwischen ihnen eine göttliche Verbindung herrschen. Die Menschen müssen sich dieser nahen Verbindung zueinander bewusst sein. Die Menschen müssen darauf achten, dass auf dem Weg zur Vollkommenheit Frieden und Ruhe vorherrscht. Sie müssen gegen jene, die andere am Erreichen der Vollkommenheit behindern, ankämpfen, weil diese versuchen diese göttliche Verbindung zu stören. Sie dürfen nicht erlauben, dass Frieden und Freundschaft aus der Beziehung der Menschen untereinander verschwindet. Natürlich gibt es leider eine Gruppe von selbstherrlichen Regenten, die aufgrund ihres ausbeuterischen Machtstrebens fortwährend versuchen, unter den Menschen Zwietracht zu stiften und sie gegeneinander aufzustacheln. In diesem Sinn versuchen sie die Basis zur Entzweiung zu schaffen. So ist es an den Menschen, wachsam zu sein und diese Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Die Errichtung einer Gesellschaft, die auf dem Fundament der gegenseitigen Hilfeleistung in allen Bereichen basiert, zählt also zu den Vorbedingungen der Verwirklichung der gesellschaftlichen Gerechtigkeit. Die Menschen müssen sich in jeder Situation dessen bewusst sein, dass sie zueinander Brüder und füreinander verantwortlich sind. Der heilige Prophet (s. a.) sagt in diesem Zusammenhang:
اُنصُرْ
أَخَاکَ
ظَالِماً
اَوْ مَظْلُوماً
إِنْ يَکُ
ظَالِماً فَٱرْدِدْهُ
عَنْ
ظُلْمِهِ وَ
إِنْ يَکُ
مَظْلُوماً
فَٱنْصُرْهُ
„Hilf
deinem Bruder, ob er Unrecht tut oder ihm Unrecht widerfährt. Wenn er Unrecht
tut, dann halt ihn davon ab, Unrecht zutun. Wenn ihm Unrecht widerfährt, dann
unterstütze ihn.“ [21]
Eine weitere Grundlage der Gerechtigkeit ist es, um die anderen bemüht zu sein. Der Mensch muss danach streben, dieses Empfinden in sich zum Leben zu erwecken. Das spiegelt sich darin wider, dass der Mensch das, was er für sich selbst will, auch für die anderen möchte und dass er das, was er für sich selbst nicht will, auch für die anderen nicht will.
Wenn sich alle Menschen über diesen Grundsatz bewusst sind, wird sicherlich kein Problem mehr die Gesellschaft bedrohen. Unter diesem Umstand werden die Menschen niemals gegeneinander Intrigen schmieden, ja nicht einmal daran denken, Intrigen zu schmieden. Dass einige Menschen sich dazu verleiten lassen, Intrigen gegen andere auszuhecken, liegt daran, dass sie sich von der Bahn der Gerechtigkeit und Menschlichkeit entfernt haben. Dabei kann es natürlich sein, dass einige Personen zwar mit dem Mund nach Gerechtigkeit rufen, sich aber kein bisschen für deren Verwirklichung einsetzen. Der heilige Prophet (s. a.), als Erretter der Menschheit, sagt in diesem Zusammenhang:
وَ
أَعْدَلُ
النَّاسِ
مَنْ رَضِيَ
لِلنَّاسِ
مَا يَرْضَىٰ
لِنَفْسِهِ
وَ كَرِهَ
لَهُمْ مَا
يَكْرَهُ لِنَفْسِهِ
„Der
gerechteste Mensch ist jener, der für die Menschen das will, was er für sich
selbst will, und der für die Menschen das meidet, was er für sich selbst
meidet.“ [22]
Ein weiterer
Grundsatz der Gerechtigkeit, auf den der heilige Prophet (s. a.) mit Nachdruck
hingewiesen hat, ist die Barmherzigkeit und Liebe zu den Menschen sowie das
wohltätige Verhalten den Wohltätern und Nichtwohltätern gegenüber. Das stellt
sogar nach dem Glauben an Gott die Basis der Vernunft dar. [23] Dabei sind die schlechtesten Menschen sind jene, die gegen die Menschen
Feindschaft hegen. [24]
Kurz gesagt,
die Respektierung von Gerechtigkeit, Frieden und Freundschaft unter den
Menschen sind ernsthafte Anweisungen des heiligen Propheten (s. a.). In
verschiedenen Ansprachen wies er auf diese Punkte hin. Er wies darauf hin, dass
die menschliche Gesellschaft ohne Gerechtigkeit ihre wirklichen Rechte nicht
erreichen kann. Die Basis der Gerechtigkeit muss also auf allen Ebenen
geschaffen werden, damit niemandem Unrecht widerfährt. Dabei geht der heilige
Prophet (s. a.) soweit, dass er sogar jene, die jemanden, der Unrecht tut, in
seinem Unrecht unterstützen oder auch nur das, was er gegen die Gerechtigkeit unternimmt,
unterstützen oder darüber schweigen, als Übeltäter bezeichnet. Der heilige
Prophet (s. a.) weist alle Regenten an, den Menschen niemals Unrecht zu tun.
Die Regenten sollen sogar in ihren Aussagen nichts weiter als die Wahrheit
sprechen und ihre Versprechen einhalten. [25]
Die Gerechtigkeit bedeutet beim heiligen Propheten (s. a.), dass jedes Ding an jenen Ort gelang, der ihm gebührt. Wir sind als aufgerufen dazu, die Menschen als gleichwertig bzw. gleichgestellt zu betrachten und uns in keinem Maß besser als die anderen Menschen zu betrachten. Diese Ansicht muss zu unserer inneren Überzeugung werden, damit wir darauf basierend in unserem persönlichen wie gesellschaftlichen Benehmen für die anderen das wollen, was wir auch für uns selber wollen und für sie das meiden, was wir auch für uns meiden.
Gemäß unserer Überzeugung hat Jesus (a. s.) zur Verwirklichung der Gerechtigkeit sowohl die Menschheit zu diesem Grundrecht aufgerufen als auch jene, die gegen Gerechtigkeit gestanden sind und den Menschen Unrecht zugefügt haben, bekämpft. Mit Sicherheit ist jene Ansicht, die einige wenige Personen Jesus zuschrieben, dass er sich nicht besonders gegen das Unrecht eingesetzt habe, falsch. Aus diesem Grund setzen sich sicherlich auch die Anhänger Jesus und die Führer des Christentums so wie wir Muslime für die Verwirklichung der Gerechtigkeit ein. Auch sie verurteilen wie wir Muslime jegliches Unrecht und Unterdrückung und treten dem entgegen. In der heutigen Welt sind gläubige Menschen, ob Christen oder Muslime, aufgerufen, sich gegen Unrecht und Unterdrückung unschuldiger Menschen zu stellen, dies zu verurteilen und den Unterdrückten zu Hilfe zu eilen. Dass Gerechtigkeit zu unserem Grundprinzip gemacht werden soll, ist für jeden logisch denkenden Menschen zu begreifen und bedarf sicherlich keiner hochtrabenden Argumentation. Basierend auf dieser Grundlage kann Frieden und Freundschaft basierend auf Gerechtigkeit unter den Gesellschaften der Welt zu neuem Leben erweckt werden. Frieden zu schaffen und ihn zu erhalten kann sicherlich nicht mit Schweigen gegenüber Unrecht und Unterdrückung einhergehen. In der heutigen Welt ist es mehr als zu jeder andern Zeit notwendig, die Menschen, besonders die unterdrückten Völker der Welt, auf ihre Grundrechte aufmerksam zu machen, damit sie bei der Bestimmung und Veränderung ihres eigenen Schicksaals mitwirken und durch das Abhalten freier Wahlen die Verwaltung der Angelegenheiten ihres Landes geeigneten, zuverlässigen und verantwortungsbewussten Personen übertragen.
Gebe Gott, dass die menschlichen Gesellschaften versuchen, sich an das Benehmen und Verhalten der göttlichen Propheten, wie Noah, Abraham, Moses, Jesus und Muhammad (a. s.) anzunähern, damit die Voraussetzung zur Verwirklichung von Gerechtigkeit, Gleichheit und Freundschaft in ihren wahren Bedeutungen geschaffen werden kann. Gebe Allah, dass die gesamte Menschheit in den Genuss der Gerechtigkeit und seiner Wirkungen gelangt, Unrecht und Unterdrückung in der ganzen Welt ausgemerzt werden und alle Völker in den Genuss ihrer Grundrechte kommen.
Wa-Salam-u alaikum wa Rahmat-ul-llah
Vortrag aus der Veranstaltung:
„Jesus
und Muhammad – Retter der Menschheit auch in der heutigen Zeit!
Die Verkünder von Gerechtigkeit und Frieden sowie von
Freiheit und Brüderlichkeit“
Freitag,
10. November 2006, 18 Uhr
Islamisches Bildungs- und Kulturzentrum – Österreich
Laudongasse
56/1 A - 1080 Wien Tel. 01-95 67 848
www.ibikuz.net office@ibikuz.net
Programmablauf
- Koranrezitation
mit deutscher Übersetzung
-
Begrüßung durch Mag. Muhammad
Lanzl, Obmann des Islamischen Bildungs- und Kul-turzentrums
-
Einleitende Worte von Muhammad Reza
Nezamdoust, Botschaftsrat für kulturelle Ange-legenheiten der Botschaft der
Islamischen Republik Iran in Wien
-
Vortrag in persischer Sprache (die
deutsche Übersetzung wird ausgeteilt) von Hodschato-lislam Reza Ramezani, dem
Leiter des Islamischen Zentrums Imam Ali - Wien
[1]
عدل
[2]
قسط
[3]
Mutahhari, Muteza; Adle Elahi, S. 66-73.
[4] Surah Al-Hadid (57), Vers 25.
[5] Surah Al-Furqan (25), Vers 67.
[6] Surah Al-Baqarah (2), Vers 188.
[7] Surah Hud (11), Vers 112.
[8] Surah An-Nisa’ (4), Vers 60.
[9] Surah Al-Ma’idah (5), Vers 8.
[10] Surah Ar-Ra’d (13), Vers 25.
[11] Surah Hud (11), Vers 113.
[12] Surah Ar-Ra’d (13), Vers 25.
[13] Surah Al-u Imran (3), Vers 161.
[14]
Al-Faiz Al-Kaschani, Muhsin; Tafsir Al-Safi. B. 5, S. 107.
[15] Surah Al-A’la (87), Vers 2-3.
[16] Al-Muhaddis An-Nuriy,
Mustadrak-ul-Wasa’il, B. 11, S. 318
[17] Surah An-Nisa’ (4), Vers 58.
[18] Al-Harati, Abu Muhammad Hassan Ibn Ali; Tuhaf-ul-Uqul. S. 33.
[19] Asch-Scheich As-Saduq, Muhammad
ibn-u Ali Al-Qommi, man la yahdhuru-hu-l-Faqih, B. 4, S. 379
[20] Al-Hurr Al-Ameli, Muhammad ibn Al-Hassan, Wasa’il-usch-Schi’ah, B. 16, S. 344
[21] Nahj-ul-Fasahah; S. 265-266, Überlieferung Nr. 561.
[22] Madschlisi, Muhammad Baqir; Bihar-ul-Anwar, B. 77, S. 114
[23] Nahj-ul-Fasahah; S. 496-497, Überlieferung Nr. 1636.
[24] Nahj-ul-Fasahah; S. 535, Überlieferung Nr. 1796.
[25] Al-Harati, Abu Muhammad Hassan Ibn Ali; Tuhaf-ul-Uqul. S. 56.
Madschlisi, Muhammad Baqir; Bihar-ul-Anwar, B. 77, S. 162.