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Bismillah

 

 

MUSLIMISCHE HEILIGE *

und MYSTIKER

http://www.islamheute.ch/hassan.html

Geschichten aus dem

Tadhkirat al-Auliya

(Erinnerung an die Heiligen)

von Fariduddin ATTAR

Übersetzt von M.M. Hanel

* (Heilige = Gottanvertraute)

 

aus:

Muslim Saints and Mystics

http://www.omphaloskepsis.com/ebooks/pdf/mussm.pdf

Episodes from the

Tadhkirat al-Auliya

(Memorial of the Saints)

by Farid al-Din Attar

Translated by A. J. Arberry

 

 

INHALT:

 

Hasan von Basra

 

Malek ibn Dinar

 

Habib al-Ajami

 

Rabe’a al-Adawiya

 

Al-Fozail ibn Iyaz

 

Ibrahim ibn Adham

 

Dhu ‘l-Nun al-Misri

 

Abu Yazid al-Bestami

 

 

 

 

 

Hasan von Basra

 

 

Al-Hasan ibn Abi ‘l Hasan al-Basri wurde im Jahr 21 n.H. (642 n.Chr.) als Sohn eines Sklaven, der in Maisan gefangen genommen wurde und später ein Auftraggeber von Zaid ibn Thabet, dem Sekretär des Propheten Muhammad gewesen war, in Medina geboren. In Basra erzogen, traf er viele der Gefährten des Propheten, und auch, so wird erzählt, siebzig von jenen, welche die Schlacht um Badr geschlagen hatten. Er wuchs auf, um eine der bedeutendsten Persönlichkeiten seiner Zeit zu werden und wurde für seine kompromisslose Frömmigkeit und der unverblümten Verurteilung der Weltlichkeit in den Palästen bekannt. Die Theologen der Mu’tazeliten vereinnahmen ihn als den Gründer ihrer Bewegung (‘Amr ibnObaid and Wasel ibn ‘Ata’ werden unter seine Schüler gezählt) und in den Sufi Analen wird er als einer der größten Heiligen des frühen Islams genannt. Er starb 110 (728) in Basra. Viele seiner Vorträge – er war ein brillanter Redner – und Aussprüche werden von arabischen Autoren zitiert und eine nicht geringe Anzahl seiner Briefe blieben erhalten.

 

Hasan von Basras Eintritt in den Islam

 

Der Beginn seines Eintritts in den Islam trug sich folgender­maßen zu. Er war ein Edelsteinhändler und wurde der „Perlen-Hasan“ genannt. Er trieb Handel mit Byzanz und hatte es dabei mit Caesars Generälen und Ministern zu tun. Als er einmal in Byzanz war, besuchte er den Premierminister und unterhielt sich eine Weile mit diesem.

„Wir gehen jetzt an einen bestimmten Ort, wenn du einverstanden bist“, sagte der Minister zu ihm.

„Wie du es bestimmst, bin ich damit einverstanden“, antwortete ihm Hasan.

Daraufhin ließ der Minister ein Pferd für Hasan bringen. Sie saßen auf und ritten fort. Als sie bis ins Wüstengebiet gelangt waren, erblickte Hasan ein Zelt aus feinstem byzantinischem Brokat, mit seidenen Seilen fest an goldenen Zeltpflöcken verankert. Sie hielten an dessen Seite und alsdann erschien eine mächtige Armee, in schwerer Kriegsrüstung, umrundete das Zelt und nachdem einige Worte gesprochen wurden, rückte sie wieder ab. Alsdann erschienen an die vierhundert Philosophen und Gelehrte, die ebenfalls das Zelt umrundeten, ein paar Worte sprachen und wieder verschwanden. Danach tauchten dreihundert weise, alte, weißbärtige Männer auf, auch sie umrundeten das Zelt, sprachen einige Worte und gingen wieder fort. Darauf hin kamen mehr als zweihundert schöne, mondgesichtige Jungfrauen, jede von ihnen trug ein goldenes, mit Silber und Endelsteinen geschmücktes Tablett und auch sie umrundeten das Zelt, sprachen einige Worte und wandten sich wieder fort.

Hasan erzählte, dass er völlig verblüfft und verwundert war und sich fragte, was das wohl auf sich gehabt hatte.

„Als wir absaßen“, so erzählte er weiter, „fragte ich den Minister.

Er sagte, dass der Caesar einen Sohn von unübertroffener Schönheit, gebildet in allen Wissen­schaf­ten und ohnegleichen in der Arena der Männlichkeit gehabt hatte, den er aus ganzem Herzen liebte.“

Unvermutet war dieser krank geworden - so erzählte Hasan gemäß des Ministers Bericht. Keinem der hoch qualifizierten Ärzten vermochte seine Heilung gelingen und schließlich verstarb er und wurde in genau diesem Zelt begraben und einmal im Jahr kämen die Leute hier heraus, um ihn zu besuchen. Zuerst marschiert die Armee auf, umrundet das Zelt und man spricht folgendes: „O Prinz, wenn das Übel, welches dich befallen hat im Krieg erschienen wäre, hätten wir alle unsere Leben für dich geopfert um dich zurück zu erobern. Doch die Umstände die dich trafen hält jener in Händen, gegen den wir nicht kämpfen können, den wir nicht herausfordern können.“ So sagen sie und kehren dann zurück.

Die Philosophen und Gelehrten, die anschließend erscheinen sprechen: „Gegen jenen, welcher deine Verfassung verursachte, kann all unsere Gelehrsamkeit, Philosophie, Wissenschaft und unser Denken nicht an. Denn alle Philosophen der Welt sind vor ihm machtlos und alle Gelehrten unwissend im Hinblick auf sein Wissen. Wäre es anders, hätten wir Heilmittel eingesetzt und Worte gesprochen, gegen die es in aller Schöpfung keinen Widerstand gegeben hätte.“ So ist ihre Rede und dann kehren sie zurück.

Als nächstes kommen die ehrwürdigen Alten und sagen folgendes: „O Prinz, wenn diese Umstände, die dich getroffen haben durch die Intervention der Ältesten zurecht gerückt hätten werden können, so hätte wir alle demütig darum gebeten und sie von dir abgewendet. Doch diese Umstände wurden von einem über dich gebracht, gegen den der Einwand eines Sterblichen nichts nützt.“ So sprechen sie und verlassen den Ort.

Nun erscheinen die schönen Jungfrauen mit ihren goldenen, mit Edelsteinen geschmückten Tellern, umrunden das Zelt und sagen: „Sohn des Caesar, wenn die Umstände welche dich betrafen durch Schönheit und Reichtum hätten von dir abgewendet werden können, hätten wir uns aufgeopfert und große Summen hingegeben und dich nicht im Stich gelassen. Doch der, welche diese Umstände über dich brachte, beachtet weder Reichtum noch Schönheit.“ Danach kehren auch sie zurück.

Dann betritt der Ceasar selbst mit seinen Ministern das Zelt und spricht: „O Auge und Licht deines Vaters, O Frucht deines Vaters Herzen, O du von deinem Vater innig Geliebter, was kann die Hand deines Vaters ausrichten? Dein Vater brachte ein mächtiges Heer, er brachte Wissenschaftler und Gelehrte, Fürsprecher und Berater, schöne Jungfrauen, Reichtum und allen erdenklichen Luxus. Wenn das alles irgendeinen Nutzen hätte, würde dein Vater alles tun, was in seiner Macht stünde. Doch diese Umstände wurden von einem über dich gebracht, gegenüber dem dein Vater, mit all seiner Macht, seinem Staatsapparat, seiner Armee und seinem Gefolge, seinem Luxus und Reichtum, gar nichts vermag. Friede sei mit dir, bis nächstes Jahr.“ Nachdem er dies gesagt hat, kehrt auch er zurück.

Diese Worte des Ministers bewegten Hasan so sehr, dass er ganz außer sich geriet. Sofort traf er Vorkehrungen für seine Rückkehr. In Basra angekommen, schwor er einen Eid nie wieder zu lachen, bis ihm sein endgültiges Schicksal klar geworden wäre. Er gab sich von da an mit einer Disziplin, die keiner seiner Zeit hätte aufrechterhalten können, aller Art von Andacht, Entbehrungen und Bußübungen hin.

 

Hasan von Basra und Abu Amr

 

Es wird erzählt, dass Abu Amr, die führende Autorität in der Rezitation des Qur’ans, als er eines Tages Qur’anunterricht gab, einen wunderschönen Knaben seine Klasse betreten sah. Abu Amr sah den Knaben auf unziemliche Art an und vergaß von diesem Moment an den gesamten Qur’an von A „Alles Lob“ bis zum nDschinn und der Menschen“. Ein Feuer ergriff ihn und er verlor völlig seine Beherrschung. In diesem Zustand rief er nach Hasan von Basra und beschrieb ihm seine üble Situation. „Meister“, weinte er bitterlich „so ist die Lage. Mir ist der komplette Qur’an entfallen.”

Hasan war verzweifelt, als er davon erfuhr.

“Es ist die Zeit für die Pilgerfahrt gekommen”, sagte er, „geh und verrichte sie und wenn du damit fertig bist, begib dich zur Moschee von Khaif. Dort wirst du einen alten Mann in der Gebetsnische sitzen finden. Verschwende seine Zeit nicht und warte bis er mit allem fertig ist. Dann bitte ihn, für dich zu beten.“

Abu Amr tat wie ihm gesagt war. Er saß also in einer Ecke der Moschee und sah einen ehrwürdigen alten Mann, der von einer Menge Leute umgeben war. Es verging einige Zeit, als ein Mann mit fleckenlos weißem Gewand eintrat. Die Leute machten ihm Platz, grüßten ihn und sprachen mit ihm. Als die Stunde des Gebets kam, verließ der Mann die Moschee und die Leute mit ihm, so dass der alte Mann alleine zurückblieb.

Abu Amr ging hin zu ihm und grüßte ihn.

„Im Namen Allahs, hilf mir“, flehte er und schilderte seine Not.

In höchster Anteilnahme richtete der alte Mann seinen Blick zum Himmel.

„Er hatte seinen Kopf noch nicht wieder gesenkt“, erinnerte sich Abu Amr, „als der Qur’an mir zurückkam. Voll Freude fiel ich ihm zu Füßen.“

„Wer hat mich dir empfohlen?“ fragte der ehrwürdige Alte.

„Hasan von Basra“, antwortete Abu Amr. “Jeder der Glauben (iman) hat wie Hasan”, bemerkte der alte Mann, “wie bedarf ein solcher eines anderen? Nun, Hasan hat mich aufgedeckt, so will ich das gleiche mit ihm tun. Er hat meinen Schleier zerrissen, so will ich denn auch seinen Schleier reißen. Dieser Mann“ fuhr er fort, „der im weißen Gewand, der nach dem Nachmittagsgebet bei uns eintrat und vor allen anderen wieder ging, den die anderen begrüßten – das war Hasan. Jeden Tag betet er das Nachmittagsgebet in Basra und kommt dann her, wir sprechen miteinander und dann kehrt er nach Basra für das Abendgebet zurück. Jeder der einen Glauben wie Hasan besitzt, warum sollte er mich um ein Gebet fragen?“

 

Hasan von Basra und der Feueranbeter

 

Hasan hatte einen Feueranbeter als Nachbar mit Namen Simeon. Simeon wurde todkrank und war knapp davor zu sterben. Freunde Hasans baten ihn, einen Nachbarn zu besuchen; er folgte diesem Ruf und suchte den Kranken auf, der in seinem Bett, mit Ruß geschwärztem Gesicht lag.

„Fürchte Gott“, war Hasans Rat. „Dein ganzes Leben hast du inmitten Feuer und Rauch verbracht. Nimm den Islam an, dass Gott mit dir Erbarmen haben möge.“

„Drei Dinge halten mich davon ab Muslim zu werden“, antwortete der Feueranbeter. „Das erste ist, dass du schlecht von der Welt sprichst und dennoch verfolgst du Tag und Nacht weltliche Angelegenheiten. Zweitens sagst du, der Tod wäre eine Tatsache, der man ins Auge blicken muss und dennoch triffst du keine Anstalten ihm zu begegnen. Und drittens sagst du, dass man Gottes Antlitz erblicken wird und dennoch tust du alles ganz im Widerspruch zu Seinem Wohlgefallen.“

„Dies ist das Merkmal jener, die wirklich wissen“, sagte Hasan. „Wenn Gläubige sich so verhalten wie es beschreibst, was hast du zu sagen? Sie bezeugen die Einzigkeit Gottes; wohingegen du dein Leben mit Feueranbeten verbracht hast. Du hast siebzig Jahre lang das Feuer verehrt und ich habe solches nie getan – und dennoch werden wir beide in die Hölle verbracht. Uns beide wird die Hölle verschlingen. Gott wird dich nicht beachten; doch so Gott will, wird das Feuer es nicht wagen, mir auch nur ein Härchen zu versengen. Denn das Feuer wurde von Gott erschaffen, und das Geschöpf ist dem Schöpfer untertan. Also komm, der du siebzig Jahre das Feuer verehrt hast, lass uns beide unsere Hände in das Feuer halten und darin belassen, dann wirst du mit eigenen Augen die Kraftlosigkeit des Feuers und die Allmacht Gottes erkennen.“

Mit diesen Worten hielt Hasan seine Hände ins Feuer. Nicht ein bisschen wurden sie verbrannt. Als Simeon dies sah, war er erstaunt. Der Morgen des wahren Wissens brach an.

„Siebzig Jahre lang habe ich das Feuer verehrt“, stöhnte er, „und jetzt verbleiben mir nur noch wenige Atemzüge. Was soll ich tun?“

„Werde Muslim“, war Hasans Antwort.

„Wenn du es mir schriftlich gibst, dass Gott mich nicht bestrafen wird“, sagte Simeon, „dann will ich glauben. Aber bevor ich es nicht schriftlich habe, werde ich nicht glauben.“

Hasan schrieb es nieder. „Nun lass aufrichtige Zeugen aus Basra kommen und ihre Beglaubigung darunter setzen.“ Dann vergoss Simeon eine Menge Tränen, bezeugte den Glauben und teilte Hasan seinen letzten Willen mit.

„Wenn ich sterbe, bitte sie mich zu waschen und dann mit eigenen Händen in die Erde zu legen und dieses Dokument in meine Hände zu legen. Dieses Dokument wird mein Beweis sein.“ 

Nachdem er Hasan zu all dem verpflichtet hatte, sprach er das Glaubenbekenntnis und verstarb. Sie wuschen seinen Körper, sprachen das Totengebet über ihm und begruben ihn mit dem Dokument in seiner Hand. Diese Nacht ging Hasan zu Bett und dachte lange darüber nach, was er getan hatte.

„Wie kann ich einem Ertrinkenden helfen, wenn ich selbst am Ertrinken bin? Habe ich doch nicht mal die Kontrolle über meinen eigenen Glauben, wie konnte ich es wagen, Gott vorzuschreiben, was Er zu tun hätte?“ Über diesen Gedanken schlief er ein. Im Traum sah er Simeon leuchten wie eine Kerze, mit einer Krone auf dem Haupt, in feinstes Gewand gekleidet, lächelnd im Paradiese wandeln.

„Wie geht es dir, Simeon?“ fragte Hasan.

“Warum fragst du? Du siehst doch selbst“, antwortete Simeon. “Gott der Allmächtige brachte mich in Seiner Güte in Seine Gegenwart und lies mich gnadenvoll Sein Antlitz schauen. Die Huld die Er mir entgegenbrachte sprengt jegliche Beschreibung. Du hast dich deines Versprechens als würdig erwiesen, so nimm dieses Papier zurück, ich brauche es nicht mehr.“

Als Hasan erwachte, fand er das Dokument in seiner Hand.

„Herr, Gott“, rief er „ich weiß sehr gut, dass was Du tust, das tust Du ohne es zu begründen, ausgenommen davon ist Deine Großzügigkeit. Wem sollte es an Deiner Tür an irgendwas ermangeln? Du gestattest es aufgrund eines einzigen Ausspruchs (des Glaubens­bekenntnisses) einem tapferen siebzigjährigen Mann in Deine Gegenwart zu gelangen. Wie willst Du dies dann einem siebzigjährigen Gläubigen verweigern?“

 

 

 

Malek ibn Dinar

 

 

Malek ibn Dinar al-Sami war der Sohn eines persischen Sklaven aus Sejestan (oder Kabul) und war ein Schüler des Hasan von Basra. Er findet als verlässlicher Überlieferer Erwähnung, der von Persön­lich­­keiten wie Anas ibn Malek und Ibn Sirin berichtete. Er war ein beachteter Qur’an Kalligraf und starb um 130 (748).

 

Wie Malek-e Dinar zu seinem Namen kam und die Geschichte seiner Reue

 

Als Malek geboren wurde, war sein Vater noch Sklave; so wenn er auch als Sklave geboren wurde, war er dennoch in beiden Welten frei von jeder Fessel.

Es wird erzählt, dass Malek-e Dinar einmal ein Schiff bestieg und als das Schiff schon weit draußen war, verlangten die Seeleute:

„Bezahle deine Überfahrt.“

„Ich hab nichts zu bezahlen“, war seine Antwort.

Darauf schlugen sie ihn zusammen, bis er ohnmächtig war. Als er wieder aufwachte, schrieen sie ihn wieder um das Fahrgeld an und der Dialog und die körperlichen Ausschreitungen wiederholten sich. Als er wieder zu sich kam, verlangten sie ein drittes Mal.

 „Bezahle deine Überfahrt.“

„Ich hab nichts zu bezahlen“, war auch diesmal seine Antwort.

„So lasst ihn uns bei den Füßen ergreifen und überbord werfen“, sagten sie zueinander.

Im selben Moment steckten alle Fische im Wasser ihren Kopf heraus und ein jeder von ihnen trug zwei Golddinare im Maul. Malek langte hinunter, nahm zwei Dinare von einem Fisch und gab sie den Seeleuten. Als diese das sahen, fielen sie vor ihm auf die Knie. Er aber stand auf und ging über das Wasser davon.

Darum wird er Malek-e Dinar genannt.

 

Sein Eintritt in den Islam wird uns wie folgt überliefert.

Er war ein sehr hübscher Mann, den weltlichen Dingen äußerst zugetan und einigermaßen vermögend. Er lebte in Damaskus, wo Mu’awiya eine imposante Moschee mit großzügiger Ausstattung hatte erbauen lassen. Malek wollte unbedingt der Verwalter dieser Moschee werden und so nahm er seinen Gebetsteppich, rollte ihn in einer Ecke der Moschee auf und verbrachte ein ganzes Jahr im Gottesdienst dort, in der Hoffnung, dass jeder der die Moschee betreten würde, ihn dort im Gebet sehen würde.

„Was bist du nur für ein Heuchler“, pflegte er zu sich selbst zu sagen.

So verging ein Jahr. In der Nacht verließ er gewöhnlich die Moschee, um seinen Vergnügungen nachzugehen. Als er in einer dieser Nächte sich der Musik hingegeben hatte und seine Kameraden bereits eingeschlafen waren, hörte er plötzlich eine Stimme aus der Laute kommen, die er gerade schlug.

„Malek, was fehlt dir, dass du nicht bereust?“

Als er das hörte, ließ er das Instrument fallen und lief völlig verwirrt in die Moschee zurück.

„Ein ganzes Jahr habe ich den Gottesdienst in der Manier der Heuchler verrichtet“, sprach er zu sich selbst. „Ist es denn nicht besser, Gott in Aufrichtigkeit zu verehren? Ich schäme mich daher. Was soll ich tun? Selbst wenn sie mir diesen Posten nun antragen sollten, werde ich ihn nicht annehmen.”

So beschloss er für sich und wandte sich nun in rechtem Bewusst­sein Gott zu. Diese Nacht verbrachte er seine Andacht mit einem reinen Herzen.

Nächsten Tag versammelten sich die Leute vor der Moschee wie sonst auch.

„Warum gibt es da Risse in der Moschee“, riefen sie. „Wir sollten eine Aufsichtsperson ernennen, die sich um solche Dinge kümmert und in Ordnung hält.“

Sie kamen einstimmig zum Schluss, dass niemand für diese Aufgabe besser geeignet wäre als Malek. So gingen sie zu ihm. Er war mitten im Gebet und sie warteten geduldig bis er damit fertig war.

„Wir sind zu dir gekommen, um dich zu bitten, diese Bestel­lung anzunehmen“, sagten sie.

„O Gott“, rief Malek, „ich habe Dir ein Jahr lang wie ein Heuchler gedient und keiner hat mich auch nur angesehen. Nun nachdem ich Dir mein Herz zugewandt habe und fest be­­schlossen habe, diese Berufung abzulehnen, schickst Du zwanzig Leute, mir diese Aufgabe aufzuer­legen. Bei Deiner Ehre, ich will sie nicht.“

Er lief aus der Moschee und wandte sich dem Dienst des Herrn zu und nahm ein Leben der Enthaltsamkeit und Disziplin auf. Er wurde deshalb dermaßen respektiert, dass, als ein reicher Bürger aus Basra starb und dieser eine liebreizende Tochter hinterließ, sie sich an Thabet-e Bonani wandte:

„Ich wünsche die Ehefrau des Malek zu werden“, teilte sie mit, „dass er mir in der Aufgabe beistünde, Gott zu gehorchen.“ Thabet überachte dies dem Malek.

„Ich habe mich von der Welt getrennt“, erwiderte Malek. „Diese Frau gehört zu dieser Welt von der ich mich getrennt habe. Ich kann sie nicht heiraten.“

 

Malek und sein liederlicher Nachbar

 

Ein bestimmter junger Mann lebte in Maleks Nachbarschaft, der in seinem Lebenswandel außerordentlich verderbt und liederlich war. Malek wurde durch sein schlechtes Verhalten ständig belästigt, doch geduldig wartete er darauf, dass jemand anders etwas sagen würde. Um es kurz zu machen, sprachen nach einiger Zeit weitere Nachbarn bei Malek vor, um sich über den jungen Mann zu beschweren. Malek erhob sich also, ging zu ihm und ersuchte ihn, sein Betragen zu bessern. Der Jüngling reagierte allerdings sehr uneinsichtig und in grober Weise.

„Ich bin ein Günstling des Sultans“, erwiderte er Malek. „Niemand hat das Recht mich zu beschränken oder mich von meinem Tun abzuhalten.“

„Ich werde mit dem Sultan reden“, drohte Malek.

„Dadurch wird sich der Sultan in seiner Zuneigung zu mir nicht abbringen lassen“, ließ der Junge wissen. „Was immer ich tue, er wird es gut heißen.“

„Nun gut, wenn der Sultan nichts wird ausrichten”, fuhr Malek fort, “werde ich mit dem Allmächtigen reden”, und zeigte gegen Himmel.

„Ha“, gab der Junge zurück, „der ist viel zu großzügig, um mich zur Verantwortung zu ziehen.“.

Da verschlug es Hasan die Sprache und er verließ den Jungen. In den nächsten Tagen schlug der junge Mann über alle Schranken und wieder kamen die Leute und beschwerten sich. Hasan erhob sich, um ihn zurechtzuweisen, doch auf dem Weg zu ihm hörte er eine Stimme.

„Hör auf damit, mein Freund.“ Erstaunt ging er weiter zu dem jungen Mann hin.

“Was ist passiert, dass du ein zweites mal kommst?“ wollte der Junge wissen.

„Ich bin dieses mal nicht gekommen, um dich zu schelten“, antwortete Malek. „Ich bin nur gekommen, um dir von dieser Stimme zu berichten.“

„Ah – wenn das so ist, so weihe ich meinen Palast Seinem Dienst“, gab der junge Mann zurück. Mein Vermögen will ich nicht länger achten.“ Nach diesen Worten ließ er alles zurück und zog aus in die Welt.

Malek erzählte, dass er diesen jungen Mann einige Zeit später in Mekka wieder traf, offensichtlich bettelarm und in den letzten Zügen. „Er ist mein Freund“, keuchte er. „Ich bin ausgezogen, um meinen Freund zu sehen.“ Und nach diesen Worten gab er seinen Geist auf.

 

Malek und seine Enthaltsamkeit

 

Jahre vergingen, ohne dass etwas Süßes oder Saures über Maleks Lippen gekommen wäre. Jede Nacht begab er sich zu einem Bäcker um zwei Laibe Brot zu kaufen, mit welchen er sein Fasten zu brechen pflegte. Manchmal war das Brot sogar noch warm, was ihm sehr gefiel und seinen Appetit anregte.

Eines Tages wurde er krank und ein unbändiges Verlangen nach Fleisch befiel sein Herz. Zehn Tage lang zügelte er dieses Verlangen, doch dann konnte er sich nicht mehr länger beherrschen und ging zu einem Feinkostladen und kaufte zwei oder drei Schafshaxen und steckte sie ein. Der Ladenbesitzer schickte ihm seinen Lehrling nach um zu erfahren, was er wohl damit anstellen würde. Nach kurzer Zeit kam der Junge mit Tränen in den Augen zurück.

„Von hier ging er zu einer einsamen Stelle“, berichtete er. „Dort nahm er die Schafsbeine heraus, küsste sie zwei, drei mal und sagte dann: „O meine Seele, mehr als dies kommt dir nicht zu.“ Dann gab er das Brot und die Schafsbeine einem Bettler und sagte: „O du mein schwacher Körper, glaube nicht, dass ich dir all dieses Leid aus Feindschaft auferlege. Viel eher sollst du am jüngsten Tag der Auferstehung nicht in der Hölle brennen. Sei noch einige Tage geduldig und vielleicht wird dann diese Versuchung enden und du wirst eines Segens gewärtig, der niemals enden wird.“

Ein anderes Mal sagte Malek: „Ich verstehe die Bedeutung des Ausspruchs nicht, dass, wenn ein Mann vierzig Tage kein Fleisch isst, sein Verstand abnimmt. Ich habe seit zwanzig Jahren kein Fleisch mehr gegessen und mein Verstand wird stärker jeden Tag.

Vierzig Jahre lebte er in Basra und aß niemals frische Datteln. Wenn die Zeit ihrer Reife kam pflegte er zu sagen: „Hört ihr Leute aus Basra, mein Bauch ist bislang nicht kleiner geworden, weil er keine reife Datteln zu essen bekam – und euer wurde nicht größer.“

Nach vierzig Jahren wurde er von einer gewissen Unruhe heimge­sucht. So sehr er sich auch bemühte, konnte er sein Verlangen nach frischen Datteln nicht mehr unterdrücken. Endlich, nach ein paar Tagen, während seine Lust auf frische Datteln immer größer geworden war und er sie dennoch ständig verleugnete, konnte er dem Druck seiner fleischlichen Seele nicht mehr widerstehen.

„Ich werde keinesfalls frische Datteln essen“, protestierte er, „ent­weder bring mich um, oder stirb selbst!“

In der Nacht vernahm er eine himmlische Stimme:

„Du musst ein paar Datteln essen. Befreie deine fleischliche Seele aus ihren Fesseln.“

Auf diese Reaktion hin, nutzte seine fleischliche Seele die Gelegen­heit und begann laut zu schreien.

„Wenn du Datteln willst“, sagte Malek, „dann faste eine Woche lang, ohne ein einziges mal das Fasten zu brechen, und bete die ganze Nacht. Dann werde ich dir ein paar geben.“

Dies stellte seine Seele ruhig und eine ganze Woche lang fastete er am Tag und die Nächte hindurch betete er. Alsdann ging er auf den Markt und kaufte einige Dattel, begab sich zur Moschee und wollte sie dort essen. Da rief ein Junge von einem Dach herunter.

“Vater! Ein Jude hat Datteln gekauft und geht in die Moschee um sie dort zu essen.“

„Was hat ein Jude in der Moschee verloren“, rief der Mann zurück und rannte, um zu sehen, wer dieser Jude wohl wäre. Als er Malek erkannte, fiel er auf die Knie.

„Was hat dieser Junge gerufen?” wollte Malek wissen.

„Verzeih ihm Meister“, bat der Vater des Jungen. “Er ist bloß ein Kind und versteht noch nichts. In unserem Viertel leben viele Juden. Wir fasten ständig und unsere Kinder sehen die Juden untertags essen. So glauben sie, dass jemand der untertags isst, ein Jude wäre. Was er sagte, sprach er aus Unwissenheit. Vergib ihm”.

Als Malek dies hörte, verschlang ein Feuer seine Seele. Er begriff, dass es Eingebung gewesen war, welches das Kind so hatte sprechen lassen.

„Herrgott“, rief er, „ich habe noch keine Datteln gegessen und Du nennst mich einen Juden durch den Mund eines unschuldigen Knaben. Wenn ich Datteln gegessen hätte, Du hättest mich einen Ungläubigen genannt. Bei Deiner Ehre, wenn ich jemals Datteln essen sollte“.

 

 

 

Habib al-Ajami

 

 

Habib ibn Mohammad al-‘Ajami al-Basri, ein Perser der sich in Basra niedergelassen hatte, war ein beachteter Überlieferer, der von Hasan al Basri, Ibn Sirin und anderen Persönlichkeiten berichtet hatte. Seine Bekehrung von einem bequemen Leben der Genusssucht war durch al Hasans Redekunst eingeleitet worden; er war ein häufiger Zuhörer seiner Vorträge und wurde einer seiner engsten Gefährten.

 

Die Geschichte von Habib dem Perser

 

Habib war ein vermögender Mann und ein Wucherer. Er lebte in Basra und machte jeden Tag seine Runde unter seinen Kunden, um sie zu dun. Wenn er kein Geld von ihnen bekam, stellte er ihnen den Abrieb seiner Ledersohlen in Rechnung. Auf diese Art verschaffte er sich seine Tageseinkünfte. Eines Tages ging er zu einem seiner Schuldner. Da er ihn nicht zu Hause antraf, verlangte er Entgelt für den Verschleiß seiner Schuhsohlen.

„Mein Mann ist nicht zu Hause“, erklärte ihm des Schuldners Frau“, und ich habe nichts was ich dir geben könnte. Wir haben ein Schaf geschlachtet und nur der Hals ist mehr übrig. Wenn du willst, gebe ich ihn dir.“

„Das ist zumindest etwas“, meinte der habgierige Mensch im Glauben, er könnte ihr den Hals abnehmen und mit nach Hause tragen. „Stell einen Topf aufs Feuer“.

„Ich habe weder Brennholz noch Brot“, antwortete die Frau.

“Na gut, ich werde beides besorgen”, erwiderte der Mann “und es wird zum Schuhleder dazugerechnet.”

Er ging und besorgte beides und die Frau stellte den Topf auf. Als alles fertig gekocht war und die Frau den Inhalt in eine Schale gießen wollte, klopfte ein Bettler an die Tür.

„Wenn wir dir geben was wir haben“, schrie in Habib an, „wirst du nicht reicher, aber wir werden selbst arm werden.“

Der Bettler, verzweifelt, bat die Frau doch etwas in die Schale zu schütten. Sie hob den Deckel des Kochtopfs und stellte fest, dass sich all sein Inhalt in schwarzes Blut verwandelt hatte. Weiß vor Schreck lief sie zu Habib und führte ihn zu dem Topf.

„Schau was uns nun wegen deiner verdammten Gier und Schrei­­er­ei passiert ist!“ rief sie. „Wie wird es uns jetzt in dieser Welt und ganz zu schweigen von der nächsten ergehen?“

Als er das sah, fühlte Habib in sich ein Feuer entflammen, welches nie wieder erlöschen sollte.

„Frau“, sagte er“, „ich bereue alles was ich getan habe.“

Nächsten ging er wieder auf seine Kundentour. Es war ein Freitag und die Kinder spielten auf den Strassen. Als sie Habib erblickten fingen sie zu rufen an.

„Da kommt Habib der Geizhals. Lauft weg, denn wenn sich sein Staub auf uns legt, werden wir so verdammt wie er!“

Durch diese Worte tief verletzt, ging Habib weiter zur Moschee wo gerade Hasan von Basra in einer Versammlung etwas sprach, was Habib gerade­wegs ins Herz traf und er fiel stracks darauf hin in Ohnmacht. Als er auf­wachte, war er von tiefer Reue überkommen. Hasan, der erkannt hatte was passiert war, nahm ihn bei der Hand und beruhigte ihn.

Als er von der Versammlung wegging, entdeckte ihn einer seiner Schuldner, der sich sofort davon machen wollte.

„Lauf nicht weg“, rief ihn Habib. „Bis heute war es so, dass du von mir weglaufen musstest; nun ist es so, dass ich von dir fliehen muss.“

Und er ging weiter und traf wieder auf die spielenden Kinder. Als diese Habib erblickten, begannen sie wieder zu rufen.

„Hier kommt Habib der Reumütige, lauft weg, damit unser Staub sich nicht auf ihm niederlässt, denn wir sind sündig im Gesicht Gottes.“

„Mein Herr und Gott!“ rief Habib „Aufgrund des heutigen Tages habe ich meinen Frieden mit Dir gefunden, Du hast die Trommeln der Herzen der Menschen für mich schlagen lassen und meinen Namen als tugendhaft verkünden lassen.“

Dann ließ er verlautbaren.

„Wer immer etwas von Habib begehrt, er trete vor und hole es sich.“

Also kamen die Leute und er verschenkte all seinen Besitz bis auf den letzten Cent. Da kam noch einer der etwas verlangte und Habib, der schon nichts mehr besaß, gab ihm den Umhang seiner Frau. Einem anderen gab er sein Hemd und blieb unbekleidet zurück. Er zog sich in die Einsiedelei in der Nähe des Euphrats zurück und gab sich dort ganz dem Gottesdienst hin. Tag und Nacht lernte er von Hasan, doch schaffte er es nicht die Qur’an Rezitation zu erlernen. Daher stammt sein Spitzname „der Barbar“.

Die Zeit verging und er war völlig mittellos geworden und eines Tages seine Frau verlangte unablässig Haushaltsgeld von ihm. So ging Habib aus dem Haus in seine Einsiedelei um seine Anbetungen wieder aufzunehmen. Als die Nacht anbrach, kehrte er nach Hause zu seiner Frau zurück.

„Wo hast du gearbeitet, dass du gar nichts mit nach Hause bringst?“ wollte seine Frau wissen.

„Der mit dem ich arbeitete, ist so großherzig“, erwiderte Habib, „dass ich es nicht wage, Ihn um etwas zu bitten. Wenn die rechte Zeit kommt, wird er mich auszahlen, denn er sagt, „Ich zahle alle zehn Tage den Lohn.““

Jeden Tag zog Habib sich also in seine Einsiedelei zur Andacht zurück, bis zehn Tage um waren. Am zehnten Tag, so um die Zeit des Mittagsgebets kam ihm ein Gedanke in den Sinn.

„Was werde ich heute mit nach Hause kommen, und was werde ich meiner Frau erzählen?“

Dieser Gedanke beschäftigte ihn sehr. Sofort schickte ihm der Allmächtige Gott einen Träger zu seinem Haus mit einer ganzen Eselladung Mehl, einer weiteren mit gehäuteten Schafen und noch einer mit Öl, Honig, Gewürzen und Früchten. Die Träger luden alles auf, die von einem hübschen jungen Mann begleitet wurden, der eine Börse mit dreihundert Silberdinaren mit sich trug. Vor Habibs Haus angekommen, klopfte dieser an die Eingangstür „Was wollt ihr?“ fragte Habibs Frau, die die Tür aufgemacht hatte.

„Der Meister hat all dies geschickt“ antwortete der hübsche Jüngling. „Richte Habib aus, „Steigere deine Ergebnisse und wir werden deinen Lohn erhöhen.““

Danach ging er fort. Am Abend machte sich Habib auf den Heimweg, ganz beschämt und betrübt. Als er zu seinem Haus kam, stieg ihm der Duft von Brot und Braten in die Nase. Seine Frau kam ihm grüßend entgegengelaufen, strich ihm zärtlich über das Gesicht und war nett zu ihm, wie noch niemals zuvor.

„Mann“ rief sie, „der Herr für den du arbeitest ist wirklich ein großzügiger und äußerst netter Mann. Sieh mal, was er durch einen feschen Jüngling schicken hat lassen. Und der junge Mann hat ausrichten lassen: „Wenn Habib nach Hause kommt, sag ihm, er soll seine Ergebnisse steigern, dann werden wir seinen Lohn erhöhen.““

Habib war erstaunt.

„Wundervoll“, rief er aus. „Ich arbeitete zehn Tage und er ließ mir dafür all diese Wohltaten zuteil werden. Wenn ich mich mehr anstrenge, wer weiß, was er dann tun wird?“

Er wandte darauf seine Aufmerksamkeit gänzlich weg von welt­lichen Dingen und gab sich vollständig dem Gottesdienst hin.

 

Habibs Wundertaten

 

Eines Tage kam eine alte Frau zu Habib, fiel ihm vor die Füße und weinte bitterlich.

„Ich habe einen Sohn, der nun lange Zeit von mir fort war. Ich kann seine Abwesenheit nicht mehr länger ertragen. Bete zu Gott.“ flehte sie Habib an. „Es könnte sein, dass durch den Segen deines Gebetes Gott ihn zu mir zurück schicken wird.”

„Hast du Geld?“ fragte Habib.

„Ja, zwei Dirham“, antwortete sie.

„Bring sie und gib sie den Armen.“

Und Habib sprach ein Gebet und sprach dann zu der Frau.

„Geh nach Hause, dein Sohn ist zu dir zurückgekehrt.“

Die alte Frau war noch nicht zuhause angelangt, als sie schon ihren Sohn erblickte. Unter Freudengeschrei brachte sie ihn zu Habib.

„Was ist passiert?“ wollte Habib von diesem wissen.

„Ich war in Kerman“ antwortete der Sohn „als mein Lehrer mich beauftragte etwas zu essen zu holen. Ich hatte das Essen in Empfang genommen, als mich ein Wind ergriff und ich eine Stimme vernahm,

„Wind, trag ihn nach Hause, bei Habibs Segen und der beiden Dirhams, die in Almosen ausgegeben wurden.““

 

Einmal wurde Habib am 8ten Dhul Hidjscha in Basra gesehen und am 9ten auf dem Berg Arafat in Mekka.

 

Einmal war der Hunger in Basra ausgebrochen. Habib kaufte viel an Lebensmittel auf Kredit und spendete diese als Almosen. Er nahm seine Börse und legte sie unter sein Kopfkissen. Als die Händler kamen und ihre Bezahlung forderten, nahm er die Börse heraus und sie war mit Dirhams gefüllt, mit denen er seine Verpflichtungen beglich.

Habib besaß in Basra ein Haus an einer Kreuzung. Er hatte auch einen Pelzmantel, den er Winter und Sommer trug. Als er einmal die rituelle Waschung zu vollziehen hatte, stand er auf und ließ seinen Mantel am Boden liegen. Hasan von Basra kam gerade vorbei und sah den Mantel achtlos am Boden hingeworfen.

„Diese Barbaren“, meinte er, „haben keine Vorstellung vom Wert eines solchen Mantels. Man sollte ihn nicht einfach hier liegen lassen, er könnte abhanden kommen.“

Also blieb er stehen und passte auf den Mantel auf. Kurz darauf kam Habib zurück.

„Imam der Muslime“, rief er, nachdem er gegrüßt hatte „warum stehst du hier?“

„Weißt du nicht“, erwiderte Hasan, dass so ein Mantel nicht unbe­wacht bleiben sollte. Er könnte fort kommen. In wessen Aufsicht hast du ihn hinterlassen? “

“Unter der Aufsicht Dessen, Der dich dazu bestimmt hat darauf aufzupassen“ war Habibs Antwort.

Eines Tages besuchte Hasan den Habib. Dieser setzte dem Hasan all sein Brote und ein wenig Salz vor. Hasan begann zu essen, als ein Bettler an der Tür erschien. Habib gab das ganze Brot und Salz diesem Bettler. „Habib“, bemerkte Hasan, „du bist ein würdiger Mann. Wenn du nur auch ein wenig Verstand hättest, wäre dies besser. Du hast das Brot unter der Nase deines Gastes weggeschnappt und alles diesem Bettler gegeben. Du hättest ihm einen Teil davon und den anderen Teil deinem Gast überlassen sollen.“

Habib blieb still und sagte gar nichts darauf. Kurz darauf erschien ein Sklave mit einem Korb auf dem Kopf. Darin war geröstetes Lamm, saftiges Fleisch, frisches Brot und fünfhundert Silber Dinare. All das stellte er vor Habib nieder. Der verteilte das Geld an die Armen und das Essen stellte er vor Hasan hin.

„Meister“, sagte er, nachdem Hasan etwas von dem gerösteten Fleisch gegessen hatte, „du bist ein guter Mann. Wenn du ein wenig mehr Glauben hättest, wäre das besser. Wissen muss von Glauben begleitet werden.“

Eines Tages suchten Beamte des Hajiaj nach Hasan, der sich in der Klause des Habib versteckt hatte.

„Hast du heute Hasan gesehen?“ wollten die Beamten von Habib wissen.

„Ich hab’ ihn gesehen“, antwortete Habib.

„Wo war das?“

„Hier in dieser Klaus.“

Die Beamten traten ein, doch sie konnten Hasan einfach nicht finden. (Siebenmal haben ihre Hände mich berührt, doch sie konnten mich einfach nicht sehen“, berichtete Hasan später.)

„Habib“, sagte Hasan, als er die Klause verließ, „du hast deine Pflicht gegen deinen Meister nicht erfüllt. Du hast mich verraten.“

„Meister“, gab Habib zurück, „weil ich die Wahrheit sagte, bist du entkommen. Hätte ich gelogen, wären wir beide verhaftet worden.“

„Was hast du gebetet, dass sie mich nicht gesehen haben“, wollte Hasan wissen.

„Ich habe den Thron Vers zehnmal gesprochen“, antwortete Habib. „Zehnmal sagte ich die Glaubenssätze des Gesandten und zehnmal sagte ich „Kull Huwa Allahu Ahad“. Dann sagte ich, „O Gott ich habe Hasan nun Dir überantwortet. Wache über ihn.““

Einmal wollte Hasan an einen bestimmten Ort gelangen. Er ging hinunter zum Ufer des Tigris und dachte nach, als Hasan des Weges kam.

„Imam“, fragte Habib, „was stehst du hier?“

„Ich will dort und dort hin“, antwortete Hasan, „und das Boot hat Verspätung.“

„Was ist los mit dir?“ wollte Habib wissen. „Alles was ich weiß habe ich von dir gelernt. Verbanne allen Neid aus deinem Herzen und verschließe es vor allen weltlichen Dingen. Wisse, dass Leiden ein kost­barer Preis zu zahlen ist und alles die Angelegenheit Gottes ist. Also setz deinen Fuß auf das Wasser und geh.“

Mit diesen Worten trat Habib vor und ging über das Wasser davon. Hasan fiel in Ohnmacht. Als er wieder zu sich gekommen war, fragten ihn die Leute.

„Imam der Muslime, was ist dir passiert?“

„Mein Schüler Habib hat mir gerade eine Lehre erteilt“, gab er Auskunft. „Und dann ist er einfach über das Wasser davon gegangen, während ich dies nicht zu tun vermag. Wenn sich morgen eine Stimme erhebt und ruft: „Schreite über dieses Feuer hinweg“ und ich bleibe dazu unfähig wie heute, was kann ich da tun?“

Später fragte Hasan Habib: „Wie hast du diese Fähigkeit be­kommen?“

„Ich mache mein Herz weiß, wohingegen du Papier schwärzt“, antwortet ihm Habib.

„Meine Gelehrsamkeit hat wohl anderen genutzt, doch nicht mir“, kommentierte Hasan dazu.

 

 

 

Rabe’a al-Adawiya

 

 

Rabe’a bint Esma’il al-‘Adawiya, war in bescheidene Verhält­nisse geboren und als Kind in die Sklaverei verkauft worden. Später ließ sie sich in Basra nieder, wo sie als Heilige und Predig­erin zu großer Bekanntheit gelangte und von vielen ihrer frommen Zeit­­ge­nossen hoch geachtet wurde. Der Zeitpunkt ihres Todes wird unterschiedlich mit 135 (752) oder 185 (801) angegeben. Sie lebte den Zölibat und ihr wird ein großer Anteil bei der Einführung der Thematik über die Göttliche Liebe in die Islamische Mystik zuge­schrieben. Ihr Grab wird in der Nähe von Jerusalem vermutet.

 

Rabe’a, ihre Geburt und Jugend

 

Wenn jemand die Frage stellt, warum Rabe’a nicht unter die Männer eingereiht wird, so ist die Antwort, dass der Prophet selbst sagte: „Gott achtet nicht auf eure äußere Formen.“ Der Kern dieser Aus­sage ist nicht die Form, sondern die Absicht, so wie der Prophet sagte: „Die Menschen werden gemäß ihrer Absichten auferstehen.“ Außerdem, wenn es angemessen ist, zwei Drittel unserer Religion aus den Händen Aishas zu empfangen, so ist es sicherlich auch zulässig, religiöse Belehrungen von einer Dienstmagd Aishas zu übernehmen. Wenn eine Frau auf dem Wege Gottes ein “Mann” wird, ist sie ein Mann und keiner kann sie mehr Frau nennen.

In der Nacht, als Rabe’a das Licht der Welt erblickte, war in ihres Vaters Haus rein gar nichts vorhanden; denn ihr Vater lebte in sehr ärmlichen Umständen. Er besaß nicht einmal einen Tropfen Öl um ihren Nabel zu salben; es gab weder Licht, noch eine Decke sie einzu­wickeln. Er hatte bereits drei Töchter und Rabe’a war die vierte; daher ihr Name.

„Geh zu unserem Nachbar so-und-so und bitte ihn um einen Tropfen Öl, so dass wir wenigstens Licht machen können“, bat ihn seine Frau. Nun hatte der Mann aber einen Schwur getan, keinen Sterblichen um irgendetwas zu bitten. So ging er nur nach draußen, lehnte seinen Kopf an seines Nachbars Tür und kehrte wieder zurück.

„Sie machen die Tür nicht auf“, berichtete er. Die arme Frau vergoss bittere Tränen. Betrübt legte der Mann seinen Kopf auf die Knie und schlief ein. Er träumte, dass er dem Propheten begegnete.

„Sei nicht traurig“, bat ihn der Prophet, „deine Tochter, die gerade das Licht der Welt erblickte ist eine Königin unter den Frauen, eine Fürsprecherin im Morgen für siebzigtausend aus meiner Gemeinde“, fuhr der Prophet fort, „geh zu Isa e-Zaidan, dem Verwalter von Basra. Gib ihm ein Blatt Papier auf welches du etwa folgendes geschrieben hast: „Jede Nacht sendest du mir hundert Segenswünsche und an einem Freitag vierhundert. Letzte Nacht war Feitag und du hast auf mich vergessen. Als Ersatz dafür übergib diesem Mann vierhundert ehrlich erworbene Dinare.““

Als Rabe’as Vater erwachte, brach er in Tränen aus. Er stand auf und schrieb auf, was ihn der Prophet geheißen hatte und sandte diese Nach­richt über einen Kammerdiener an den Verwalter.

„Gib zweitausend Dinar den Armen“, befahl der Verwalter als er das Sendschreiben gelesen hatte, „als Dankeschön an den Herrn für Seine Erinnerung an mich. Und dem Scheich gib auch vierhundert Dinar und sag ihm, dass ich wünsche, er möge zu mir kommen, denn ich will ich sehen, auch wenn ich es nicht für angebracht halte, dass ein Mann, wie er es ist sich zu mir begibt. Vielmehr sollte ich zu ihm kommen und mit meinem Bart seinen Staub kehren. Jedenfalls beschwöre ich ihn bei Gott, wenn er etwas braucht, bitte ich ihn inständig, es mich wissen zu lassen.“

Der Mann nahm das Gold und kaufte damit alles Nötige.

 

Als Rabe’a älter geworden war und ihre Eltern schon gestorben waren, brach eine Hungersnot in Basra aus und die Geschwister wurden getrennt. Rabe’a wagte sich aus dem Haus und wurde von einem verruchten Mann aufgegriffen und für sechs Dirham in die Sklaverei verkauft. Ihr Käufer benutzte sie für harte Arbeit.

Eines Tages ging sie die Strasse entlang, als sie ein Fremder erschreckte. Sie rannte davon, fiel hin und sich das Hand­gelenk verletzte.

„Gott, Herr“, schrie sie und beugte ihren Kopf zu Boden, „ich bin ein Fremder, ohne Vater und Mutter, ein hilfloser Gefangener mit gebrochener Hand. Dennoch will ich nicht klagen, weil alles was ich brauche ist Deine Zufriedenheit, zu wissen, ob Dein Wohlgefallen auf mir ruht oder nicht.“

„Sei nicht traurig“, vernahm sie eine Stimme, „morgen wirst du einen Platz einnehmen, um welchen dich die Cherubim beneiden.“

Also kehrte Rabe’a zu ihres Herrn Haus zurück. Untertags fastete sie und diente unablässig Gott und in der Nacht stand sie im Gottesdienst bis zum Tagesanbruch.  Eines Nachts wachte ihr Herr auf und sah durchs Fenster Rabe’a in Andacht niedergeworfen zu Gott beten:

„O Gott, Du weißt, dass es der Wunsch meines Herzen ist, in Überein­stimmung mit Deinem Befehl zu schlagen und das Licht meines Auges ist es, an Deinem Hof zu dienen. Wenn es an mir läge, nicht einen Moment unterbräche ich mein Gottesdienst, doch selbst hast mich in die Hand eines Geschöpfs gegeben.“

So war ihr Gebet. Ihr Herr nahm eine Laterne wahr, die über ihrem Kopf herunterhing, ohne irgendwo befestigt zu sein und dieses Licht erhellte das gesamte Haus. Als er dies sah, bekam er es mit der Angst zu tun und darüber nachsinnend, konnte bis zum Morgen nicht mehr einschlafen. Am nächsten Tag rief er nach ihr, war sehr freundlich zu ihr und ließ sie frei.

„Erlaube mir zu gehen“, sagte Rabe’a und nachdem er sie gehen ließ, verließ sie das Haus und ging in die Wüste. Danach zog sie sich in eine Klause zurück, wo sie sich eine Weile dem Gottesdienst hingab. Anschließend entschied sie die Pilgerreise zu unternehmen und brach in Richtung Wüste auf. Sie packte ihr Bündel einem Esel auf, doch mitten in der Wüste brach der Esel tot zusammen. Ihre Reisegefährten schlugen vor, ihre Last zu übernehmen.

„Geht nur weiter“, sagte sie, „ich bin nicht gekommen, um mich euch zu überlassen.“

So setzten die Männer ihre Reise fort und Rabe’a blieb alleine zurück.

„O Gott“, weinte sie, „behandeln Könige so eine Frau die alleine und machtlos ist? Du hast mich an Deinen Hof geladen und mitten unterwegs hast Du meinen Esel sterben und mich alleine zurück blei­ben lassen.“

Kaum hatte sie ihre Klage beendet, als sich der Esel bewegte und wieder auf die Beine kam. Sie lud ihm ihre Packen auf und setzte ihre Reise fort. (Der Erzähler dieser Geschichte berichtet, dass er den Esel wieder erkannte, als er auf einem Markt verkauft wurde.) Sie setzte ihre Reise einige Tage durch die Wüste fort bis sie Halt machte:
“O Gott“, rief sie, „mein Herz ist müde. Wohin gehe ich nur? Ich, ein Klumpen Lehm und Dein Haus aus Stein. Ich brauche Dich hier.”

Unmittelbar sprach Gott in ihrem Herzen.

Rabe’a du reist im Lebensblut von achtzehntausend Welten. Weißt du nicht, wie Moses um eine Vision Meiner gebetet hat? Ich habe ein paar Staubkörner der Offenbarung auf den Berg geworfen und der Berg zerfiel in vierzig Teile. Sei also zufrieden hier mit Meinem Namen!“

 

Geschichten über Rabe’a

 

Eines Nachts betete Rabe’a in ihrer Klause, als sie, von Müdigkeit überkommen, einschlief. Sie schlief so fest, dass sein nicht bemerkte, dass ein Halm der Matte auf der sie schlief, abbrach und ihr Auge blutig stieß. Ein Dieb war eingestiegen und hatte ihr Tuch entwendet. Als er sich davonstehlen wollte, fand er den Eingang für ihn ver­schlossen. Er ließ das Tuch fallen und verschwand, nachdem er nun die Türe wieder offen fand. Er kam zurück und griff wieder nach dem Tuch, worauf er wiederum nicht aus dem Haus kommen konnte. So ließ er das Tuch erneut fallen. Dies wiederholte sich siebenmal, als er eine Stimme aus einer Ecke der Klause vernahm.

„Mann, tu dir doch solchen Schmerz nicht an. Es sind nun viele Jahre, dass sie sich Uns anvertraut hat. Nicht einmal der Teufel wagt es, sich um sie herum zu treiben. Wie könnte ein Dieb es wagen, um ihr Tuch zu schleichen? Verschwinde Schuft, wenn ein Freund schläft, so ist der andere Freund wach und hält Wache.“

Zwei angesehene unter den Gläubigen kamen Rabe’a besuchen und beide hatten Hunger.

„Vielleicht gibt sie uns etwas zu essen“, sagten sie zueinander, „gewiss stammt ihr Essen aus einwandfreier Quelle.“

Als sie saßen, wurde ein Tuch mit zwei Laib Brot vor sie gesetzt. Da waren sie hochzufrieden, als just ein Bettler an der Tür erschien und Rabe’a gab ihm die beiden Brote. Die zwei religiösen Herr­schaften waren verärgert, sagten aber kein Wort. Nach einer Weile trat ein Dienst­mädchen mit einigen frischen, warmen Broten ein.

„Meine Herrin schickt dies“, erklärte sie. Rabe’a zählte die Brote. Es waren achtzehn Stück.

“Vielleicht war es nicht das, was sie schickte”, bemerkte Rabe’a. Soviel das Dienstmädchen auch darauf bestand, es half ihr nichts. So nahm sie das Brot und trug sie davon. Nun war es aber so, dass sie zwei davon für sich genommen hatte. Sie gestand dies ihrer Herrin, welche die beiden Brote ergänzte und sie wieder zurück schickte. Rabe’a zählte wieder und dieses Mal waren es zwanzig Stück. Nun nahm sie die Brote an.

„Das ist es, was mir deine Herrin wirklich geschickt hat“, sagte sie.

Sie brachte die Brote den beiden Herren, welche staunend davon aßen.“

„Was ist das Geheimnis hinter dieser Sache?“ fragten sie.

„Wir hatten Appetit auf deine Brote, doch die hast du uns weg­genommen und einem Bettler gegeben. Dann sagtest du, dass die achtzehn Brote nicht dir gehörten und als es zwanzig waren, hast du sie angenommen.“

„Ich wusste dass ihr hungrig wart, als ihr gekommen seid“, antwortete Rabe’a. „So sagte ich mir, wie kann ich zwei Brote so noblem Besuch auftischen? Als der Bettler kam, gab ich sie diesem und sagte zum Allmächtigen Gott „O Gott, Du hast versprochen zehnfach zu belohnen und daran glaubte ich fest. Nun habe ich, um Dir zu gefallen, zwei Stück gegeben, auf dass Du zwanzig zurück erstatten mögest.“ Und als nun achtzehn zu mir gebracht wurden, wusste ich, dass dabei irgendetwas nicht stimmte oder diese nicht für mich be­stimmt waren.“

Eines Tages wollte das Dienstmädchen Rabe’as ein Zwiebelgericht zubereiten, denn es war schon einige Tage her, dass sie zuletzt gekocht hatten. Da sie zuwenig Zwiebel hatten, sagte sie.

„Ich werde beim Nachbarn um welche bitten”.

„Vierzig Jahre habe ich nun ein Abkommen mit dem Allmächtigen Gott von niemandem auch nur etwas zu erbitten außer von Ihm, vergiss die Zwiebel“, antwortete Rabe’a.

Sofort kam ein Vogel geflogen, der einige geschälte Zwiebel im Schnabel trug und sie in den Topf fallen ließ.

„Ich bin mir nicht sicher, ob dies nicht ein Trick ist“, meinte Rabe’a und sie ließ den Eintopf und aß nur Brot.

Eines Tages war Rabe’a in die Berge aufgebrochen. Bald war sie umgeben von Bergziegen und Hirschen, Steinböcken und wilden Eseln, die sich ihr näherten. Da kam Hasan von Basra der Rabe’a er­blickte und darauf seine Schritte zu ihr hin lenkte. Als die Tiere Hasan bemerkten, stoben sie in alle Richtungen davon und Rabe’a blieb allein zurück. Die stürzte Hasan in Betroffenheit.

„Warum sind sie von mir fortgelaufen“, fragte Hasan, „und bei dir waren sie so zutraulich?“

„Was hast du heute gegessen?“ fragte Rabe’a den Hasan.

„Ein wenig Zwiebeleintopf!“

„Du hast ihr Fett gegessen“, merkte Rabe’a an, „sollten sie da nicht vor dir davon laufen?“

Ein anderes Mal ging Rabe’a bei Hasans Haus vorbei. Hasan hatte seinen Kopf aus dem Fenster gesteckt und vergoss bittere Tränen, welche Rabe’as Kleid benetzten. Sie blickte auf, in der Meinung es wäre Regen; doch als sie Hasan weinen bemerkte sagte sie zu ihm.

„Meister, dieses Weinen ist ein Zeichen spiritueller Schwäche. Achte auf deine Tränen und lass sie in deinem Inneren zu solch einem Meer anschwellen, dass dein Herz darin versinkt und du es nicht mehr finden magst, außer durch das Bewahren eines Allmächtigen Königs.“

Diese Worte schockierten Hasan, doch bewahrte er seine Fassung. Einige Zeit später sah er Rabe’a in der Nähe eines Sees. Er rollte seinen Gebetsteppich auf dem Wasser aus und rief.

Rabe’a komm her und lass uns zwei Ra’kas beten!“

„Hasan“, gab Rabe’a zurück, „wenn du spirituellen Kostbarkeiten auf diesem weltlichen Markt feilhältst, dann sollten diese von solcher Art sein, die deine Mitmenschen nicht besitzen.“

Mit diesen Worten warf sie ihren Gebetsteppich in die Luft und schwang sich darauf.

„Hasan“, rief sie, „komm her, wo uns die Leute sehen können!”

Hasan, der diese Fähigkeit noch nicht erworben hatte, blieb still und Rabe’a versucht ihn zu trösten.

„Hasan,“ sagte sie, „was du getan hast, machen Fische auch und was ich getan habe, können Fliegen auch tun. Das wirkliche Vermö­gen liegt außerhalb dieser beiden Tricks. Und diesem Geschäft muss man sich völlig hingeben.“

Eines Nachts besuchte Hasan mit zwei oder drei Freunden Rabe’a. In Rabe’as Haus gab es keine Laterne. Rabe’a blies ihre Fingerkuppen an und in dieser Nacht leuchteten ihre Finger wie Laternen bis zum Morgenlicht. Wenn jemand fragt, wie so etwas möglich ist, so antworte ich: „So wie mit der Hand von Moses.“ Und wenn eingewendete wird, dass Moses ein Prophet war, so sage ich: „Wer immer den Fußstapfen eines Propheten folgt, kann ein wenig von deren Gesandtschaft sein eigen nennen, denn der Prophet sagt: „Wer auch nur ein Gramm des Ungesetzlichen zurückweist, hat einen Grad der Prophetenschaft erworben“. Er hat auch gesagt: „Ein wahrer Traum ist ein vierzigstel der Prophetenschaft.““

Eines Tages sandte Rabe’a dem Hasan drei Dinge – ein Stück Wachs, eine Nadel und ein Haar.

„Sei wie Wachs“, sagte sie. „Erleuchte die Welt und brenne selbst. Sei wie eine Nadel und arbeite ständig völlig nackt. Wenn du diese beiden Dinge tust, sind tausend Jahre für dich wie ein Haar.“

„Willst du für uns beide dass wir heiraten?“ fragte Hasan Rabe’a. „Das Band der Hochzeit gehört für jene, die ein Sein besitzen“, antwortete sie. „In diesem Fall ist alles Sein verschwunden, denn mein Selbst ist zu nichts geworden und ich existiere nur durch Ihn. Ich gehöre ganz Ihm und ich lebe im Abglanz seiner Herrschaft. Du musst um meine Hand von Ihm bitten, nicht von mir.“

„Wie hast du dieses Geheimnis denn entdeckt?“ fragte Hasan.

„Ich habe alles „Entdeckte“ in Ihm verloren,“ antwortete Rabe’a.

“Wie kennst du Ihn?” fragte Hasan weiter.

„Du kennst das WIE und ich kenne das „WIE-LOSE““, sagte Rabe’a.

Einmal sah Rabe’a einen Mann mit einem Verband um seinen Kopf.

„Warum hast du diesen Verband umgebunden?“ fragte sie.

„Weil mich mein Kopf schmerzt“, gab der zurück.

„Wie alt bist du?“ wollte Rabe’a wissen.

„Dreißig“, antwortete er.

„Hast du den größeren Teil deines Lebens in Schmerz und Qual verbracht?“ fragte sie.

„Nein“, antwortete der Mann.

„Dreißig Jahre lang hast du dich guter Gesundheit erfreut“, merkte sie an“, und niemals in dieser Zeit hast du dir den Verband der Dankbarkeit umgebunden. Und wegen dieser einen Nacht, in der du Kopfweh hast, bindest du dir den Verband des Klagens um?“

 Ein anderes Mal gab Rabe’a einem Mann vier Silber Dinar.

„Kauf mir eine Decke“, sagte sie, „denn ich bin nackt.“

Der Mann ging, kam jedoch gleich wieder zurück.

„Herrin“, fragte er, „welche Farbe soll ich nehmen?“

„Was hat Farbe mit der Sache zu tun?“ wollte Rabe’a wissen, „gib mir mein Geld zurück.“ Und sie nahm das Geld und warf es in den Tigris.

An einem schönen Frühlingstag steckte Rabe’a einmal ihren Kopf aus ihrem Zimmer.

„Herrin“, sagte ihre Magd, „komm heraus und sieh, was der Macher (Gott) gefertigt hat.“

„Besser du kommst herein“, erwiderte Rabe’a, „und siehst den Macher. Die Betrachtung des Machers beansprucht mich gänzlich, sodass ich das, was er gemacht hat gar nicht beachte.“

Einige Leute kamen sie besuchen und sahen, wie sie ein Stück­chen Fleisch mit den Zähnen zerteilte.

„Hast du kein Messer das Fleisch zu zerschneiden?“ fragten sie.

„Ich hatte nie ein Messer im Haus, aus Angst abgeschnitten zu werden“, antwortete sie.

Einmal fastete Rabe’a eine ganze Woche lang, ohne zu essen oder zu schlafen. Die ganze Nacht verbrachte sie im Gebet und ihr Hunger überschritt alle Grenzen. Ein Besucher kam und brachte eine Schüssel mit Essen. Rabe’a nahm sie an und ging eine Lampe holen. Als sie zurück kam sah sie, dass die Katze die Schüssel umgeworfen hatte.

„Ich werde einen Krug holen und mein Fasten brechen“, sagte sie.

Als sie mit dem Krug kam musste sie bemerken, dass die Lampe verlöscht war. So versuchte sie im Dunkel aus dem Krug zu trinken, der ihr aber aus der Hand glitt und am Boden zerbrach. Sie brach so sehr in Klagen und Seufzen aus, dass man fürchten musste, das ganze Haus würde in Flammen vergehen.

„O Gott“, rief sie, „was treibst Du mit Deinem hilflosen Diener?“

„Pass auf“, vernahm sie eine Stimme, „wenn du willst, dass ich allen weltlichen Segen über dir ausgieße, so entferne alle deine Sorgen um Mich aus deinem Herzen. Denn die Sorge um Mich und welt­licher Segen kann in einem Herzen nicht zusammen sein. Rabe’a du begehrst eine Sache und Ich begehre eine andere. Mein Begehr und dein Begehr kann ein einzelnes Herz nicht fassen.“

„Als ich diese Zurechtweisung vernahm“, erzählte Rabe’a, „schnitt ich mein Herz ab von der Welt und beschnitt meine Wünsche, dass wann immer ich in den letzten dreißig Jahren gebetet habe, ich davon ausging, es wäre mein letztes Gebet.“

Eine Gruppe von Männern besuchte sie einmal um sie zu testen und sie bei einer unbedachten Äußerung zu ertappen.

„Alle Tugenden wurden auf die Köpfe der Männer verteilt“, sagten sie. „Die Krone des Prophetentums wurde auf ihre Köpfe gesetzt, mit dem Band des Adels wurden ihre Hüften gegürtet. Keine Frau war jemals eine Prophet.“

„Das ist alles richtig“, erwiderte Rabe’a, „doch Egoismus und die Anbetung des eigenen Ichs und „Ich bin euer Herr, der Allerhöchste“ drang niemals aus einer Frauen Brust. Keine Frau war jemals ein Hermaphrodite. Das alles sind die Eigenheiten der Männer.”

Einmal war Rabe’a sehr krank geworden. Sie wurde gefragt, was wohl der Grund dafür wäre.

„Ich erhaschte einen Blick auf das Paradies“, sagte sie, „und mein Herr wies mich zurecht.“

Hasan von Basra ging sie besuchen und er berichtete.

„Ich sah einen der noblen Herrn aus Basra in Tränen vor Rabe’as Tür stehen und ihr eine Börse voll Gold anbieten. Ich fragte ihn: „Herr warum weinst du?“ „Wegen dieser geheiligten Frau unserer Zeit“, antwortete er. „Wenn der Segen ihrer Anwesenheit die Menschheit verlässt, so werden die Menschen gewiss untergehen. Ich habe ihr etwas gebracht um ihre Pflege zu gewährleisten und ich fürchte sie wird es nicht annehmen. Willst du sie zur Annahme bewegen?“

Hasan trat ein und sprach mit ihr. Rabe’a blickte zu ihm auf und sagte,

„Er kümmert sich um jene, die Ihn beleidige, sollte Er sich um jene kümmern, die Ihn lieben? Seit ich Ihn kenne, habe ich Seinen Geschöpfen den Rücken gewandt. Ich weiß nicht ob das Vermögen irgendeines Mannes mir erlaubt ist; wie kann ich es dann annehmen? Bei dem Licht der Lampe der Welt habe ich ein Hemd genäht, welches ich nun zerrissen habe. Für kurze Zeit war mein Herz besorgt, bis ich erinnerte……

 

Abd al Wahid-e Amir erzählt folgendes.

Mit Sufiyan-e Thauri ging ich Rabe’a besuchen, als sie krank war, doch aus lauter Ehrfurcht vor ihr konnte ich sie nicht ansprechen.

„Sag du etwas“, sagte ich zu Sufiyan.

„Wenn du ein Gebet sprichst“, sagte Sufiyan zu Rabe’a, „dann wird dein Leiden gelindert.“

„Weißt du nicht Wessen Wunsch es ist, dass ich leide?“ wollte Rabe’a wissen, „ist es nicht Gott?“

„Ja“, stimmte Sufiyan zu.

„Wie kommt es, dass du das weißt“, wollte Rabe’a wissen, “und trotz­dem willst, dass ich das Gegenteil von dem wünsche, was Er will? Es ist nicht richtig, dem Freund zu widersprechen.“

„Brauchst du irgendetwas, Rabe’a“, wollte Sufiyan wissen.

Sufiyan, du bist ein gelehrter Mann. Warum redest du so? „Brauchst du irgendetwas.“ Bei der Ehre Gottes,“ warf Rabe’a ein, „zwölf Jahre sehne ich mich nach frischen Datteln und du weißt, dass in Basra frische Datteln nicht schwer zu kriegen sind und doch habe ich bislang keine gegessen; denn ich bin Sein Diener und was hat ein Diener zu verlangen? Wünschte ich und mein Herr wünscht nicht, wäre dies Untreue. Du musst nur wünschen was Er wünscht, um ein wahrhaftiger Diener Gottes zu sein. Wenn Gott von Sich aus gibt, ist dies eine andere Sache.“

Sufiyan schwieg betreten. Nach einer Weile sagte er,

„Da man also nicht über deine Situation sprechen kann, sag etwas über die meine.“

„Du bist ein guter Mann, doch wirklich liebst du diese Welt“, erwiderte Rabe’a. „Du liebst es die Überlieferungen zu zitieren.“ Dies erwähnte sie implizierend, dass dies eine hohe Sache wäre.

„Herr, Gott“, schrie Sufiyan tief bewegt, „Sei zufrieden mit mir!“

„Schämst du dich nicht“, unterbrach Rabe’a, „die Zufriedenheit von Einem zu verlangen, mit dem du selbst nicht zufrieden bist?“

Malek-e Dinar erzählt folgendes.

Ich ging Rabe’a besuchen und sah bei ihr einen gebrochenen Krug aus dem sie trank und mit dem sie die rituellen Waschungen vollzog, eine alte Schilf Matte und einen Ziegel, den sie gelegentlich als Polster benutzte. Ich war bestürzt.

„Ich habe reiche Freunde“, sagte ich ihr, „wenn du willst, lasse ich dir von ihnen einiges bringen.“

„Malik, du hast einen groben Fehler gemacht“, war ihre Antwort, „ist ihr und mein Versorger nicht ein und der selbe?“

„Ja“, antwortete ich.

„Und vergisst dieser Versorger die Armen weil sie arm sind? Oder gedenkt dieser Versorger der Reichen aufgrund ihres Reichtums?“

„Nein“, erwiderte ich.

„Dann“, fuhr sie fort, „kennt er doch meine Lage, warum sollte ich Ihn dann daran erinnern? So ist Sein Wille, und auch ich will, was Er will.“

Eines Tages gingen Hasan von Basra, Malek-e Dinar und Shaqiq Balkhi Rabe’a an ihrem Krankenbett besuchen.

„Der ist nicht wahrhaftig in seinem Anspruch“, begann Hasan, „der nicht tapfer die Peitsche seines Herrn erträgt.“

„Diese Worte stinken vor Egoismus“, kommentierte Rabe’a.

„Der ist nicht wahrhaftig in seinem Anspruch“, versuchte es Shaqia, „der nicht dankbar für den Hieb seines Herrn ist.“

„Wir brauchen etwas besseres als das“, bemerkte Rabe’a.

„Der ist nicht wahrhaftig in seinem Anspruch“, bot Malek-e Dinar an, „der sich nicht über den Hieb seines Herrn freut.“

„Wir brauchen etwas besseres als das“, wiederholte Rabe’a.

„Dann sag du“, drängten sie.

„Der ist nicht wahrhaftig in seinem Anspruch“, formulierte Rabe’a, „der beim Hieb seines Herrn nicht Seiner zu gedenken vergisst.“

Ein führender Gelehrter Basras besuchte Rabe’a an ihrem Kranken­­bett. Er saß neben ihrem Kopfkissen und schimpfte auf die Welt.

„Du liebst die Welt ziemlich viel“, bemerkte Rabe’a. „Liebtest du sie nicht, würdest du nicht so viel Aufsehens wegen ihr machen. Es ist immer der Käufer, der die Ware herabsetzt. Wenn du über die Welt  hinweg wärst, würdest du sie weder im Guten noch im Schlechten erwähnen. Doch so wie es ist, erwähnst du sie deswegen so häufig, wie das Sprichwort sagt, „wer ein Ding liebt, erwähnt es oft“.

Als die Zeit kam, dass Rabe’a sterben sollte, verließen die, welche an ihrem Sterbett standen den Raum und schlossen die Tür. Da wurde eine Stimme vernehmlich. „O du befriedete Seele, kehre zufrieden zu deinem Herrn zurück“. Einige Zeit verging und kein Laut war mehr aus dem Raum zu vernehmen, so öffneten sie die Tür, schauten hinein und bemerkten, dass Rabe’a ihren Geist aufgegeben hatte. Danach schauten sie einige im Traum und sie wurde gefragt. „Wie kamst du mit Munkar und Nakir zurecht?“ Sie antwortete.

„Diese Jugendlichen kamen zu mir und fragten: „Wer ist dein Herr?“ Ich antwortete ihnen. „Geht zu Gott zurück und sagt Ihm: „Unter so vielen tausenden und abertausenden Geschöpfen hast du eine so alte schwache Frau nicht vergessen. Ich, der ich nur Dich in der ganzen weiten Welt habe, werde Dich nie vergessen, Dir nie vergessen, dass Du mir jemanden schicktest, der mich fragte: „Wer ist dein Gott?““

 

Gebete der Rabe’a

 

O Gott, was immer du für mich an weltlichen Gütern für mich vorgesehen hast, gib dies Deinen Feinden; und was immer Du für mich in der nächsten Welt vorgesehen willst, gib es Deinen Freunden, denn Du bist mir genug.

O Gott, wenn ich Dich anbete aus Angst vor der Hölle, so verbrenne mich in ihr; und wenn ich Dich anbete aus Hoffnung auf das Paradies, so verwehre mir dies; doch wenn ich Dich wegen Deiner Selbst anbete, so versage mir nicht Deine ewige Schönheit.

O Gott, meine ganze Beschäftigung, all mein Sehnen in dieser Welt der weltlichen Dinge, ist Deiner zu gedenken; und in der nächsten Welt und unter allen Dingen der nächsten Welt, ist es, Dir zu begegnen. Das ist es, von meiner Seite – nun verfahre wie auch immer Du es wünscht.

 

 

 

Al-Fuzail ibn Iyaz

 

Abu ‘Ali al-Fuzail ibnIyaz al-Talaqani war in Khorasan geboren worden und hatte sich einen Namen als Wegelagerer gemacht. Nach seiner Bekehrung ging er zuerst nach Kufa und dann nach Mekka, wo er viele Jahre, bis zu seinem Tode 187 (803) auch blieb. Er brachte es zu beachtlichem Ansehen als Überlieferer und die Kühnheit seiner Predigten vor Harun al Raschid war weithin bekannt.

 

Fuzail der Wegelagerer und seine Bekehrung

 

Zu Beginn seiner Laufbahn schlug Fuzail seine Zelte im Herzen der Wüste zwischen Merv und Bavard auf. Er trug Sackleinen, eine wollene Mütze und eine Gebetskette um den Hals. Er hatte eine Menge Kumpane, alles Diebe und Räuber. Tag und Nacht waren sie plündernd auf Raubzug unterwegs und brachten die Beute dem Fuzail, denn er war der Älteste und ihr Anführer. Er verteilte sie dann unter den Banditen und behielt für sich was ihm gefiel. Er führte genau Buch und blieb keiner Versammlung fern. Jedes Mitglied welches einer Versammlung fernblieb schloss er aus der Bande aus.

Eines Tages lauerten sie einer großen Karawane auf. Einer der Reisenden hatte bereits Gerüchte über diese Wegelagerer gehört und als sie in Sicht waren, überlegte er, wie er seinen Beutel voll Gold verstecken könnte. Er verließ also die Route und stieß auf Fuzail, der vor seinem Zelt saß, ein Asket dem Aussehen und seiner Kleider nach. So vertraute er ihm seinen Goldbeutel an.

„Verstau’ ihn hinten im Zelt“, wies Fuzail ihn an.

Der Mann tat wie ihm geheißen und kehrte zum Rastplatz der Karawane zurück und stellte fest, dass sie bereits ausgeraubt worden war. Alle die Lasten waren weggebracht und die Reisenden an Hand und Fuß gefesselt. Der Mann band sie wieder los und sie sammelten die kläglichen Überreste ein und machten sich fort. Der Mann kehrte zu Fuzail zurück um seinen Goldbeutel abzuholen. Er sah ihn mitten unter den Gaunern hocken und die Beute aufteilen.

„Oje, ich habe mein Gold einem Räuber gegeben“, klagte der Mann. Fuzail der ihn in der Ferne entdeckt hatte, grüßte den Mann der näher gekommen war.

„Was willst du?“ fragte der.

„Hol dir dein Gold von wo du es hingetan hast“, forderte ihn Fuzail auf „und dann verschwinde.“

Der Mann lief in das Zelt, nahm seinen Beutel und rannte davon.

„Warum“, schrieen Fuzails Kumpane, „in der ganzen Karawane fanden wir keinen einzigen Dirham Bargeld und diese zehntaus­end Dirham gibst du jetzt zurück!?“

„Der Mann hatte eine gute Meinung von mir und ich habe immer eine gute Meinung von Gott, sodass er mir Vergebung gewähre“, erwiderte Fuzail. „Ich habe des Mannes Meinung gerechtfertigt, so­dass Gott die meine rechtfertigen möge.“

Am nächsten Tag hatten sie eine andere Karawane überfallen und trugen die Beute davon. Als sie zum Essen saßen, kam einer der Reisenden zu ihnen.

„Wer ist euer Anführer?“ fragte er.

„Er ist nicht hier“, antworteten die Räuber, „er ist dort hinter den Bäumen, am Ufer und betet.“

„Es ist aber nicht Zeit für das Gebet“, rief der Mann.

„Er erbringt eine Mehrleistung“, erklärten die Räuber.

„Und er isst nicht mit euch?“, bemerkte der Mann weiter.

„Nein, er fastet“, sagten sie.

„Aber es ist nicht Ramadhan“, wunderte sich der Mann.

„Wieder eine Mehrleistung“, sagten die Diebe.

Sehr verwundert näherte sich der Mann Fuzail, der in großer Demut betete. Er wartete bis Fuzail fertig war und sagte dann.

„Gegensätze stoßen einander ab“, sagt man, „wie kann einer fasten und rauben, beten und gleichzeitig Muslime ermorden?“

„Kennst du den Qur’an?“, fragte Fuzail.

„Ja“, antwortete der Mann.

„Also, sagt der Allmächtige Gott nicht: Und es gibt andere, die ihre Schuld bekennen. Sie vermischten eine gute Tat mit einer anderen, schlechten?“ (9:102)

Der Mann war sprachlos vor Erstaunen.

Es wird berichtet, dass Fuzail von Natur aus ein Kavalier und fein­sinnig  war und er keiner Frau, die mit einer Karawane reiste die er überfiel, ihr Eigentum nahm und auch plünderte er keinen, der nur sehr wenig Kapital besaß. Er ließ jedem Opfer einen Teil seiner Habe. Er war stets der guten Tat zugeneigt. Als er seine Raub­züge begann, war er leidenschaftlich in eine bestimmte Frau verliebt, der er immer seinen Anteil an der Beute überbrachte. Tagaus, tagein ging er in seiner Affenliebe zu dieser Frau buchstäblich schluchzend die Wände hoch. Eines Nachts zog eine Karawane vorbei, in deren Mitte ein Mann laut den Qur’an rezitierte. Der folgende Vers drang an Fuzails Ohr: „Ist nicht für die Gläubigen die Zeit gekommen, ihre Herzen zu demütigen vor der Ermahnung Allahs und vor der Wahrheit, die herabkam …?“ (57:16) Gleich einem Pfeil bohrte sich dieser Vers in Fuzails Seele, forderte ihn gleichsam heraus: „O Fuzail, wie lange noch willst du noch Reisenden auflauern? Die Zeit ist gekommen, dass Wir dir auflauern!“

Fuzail fiel von der Mauer und rief, „Wahrlich, es ist höchste Zeit, nein, es ist mehr als das!“

Völlig außer sich, verstört und beschämt versteckte er sich in einer Ruine, wo auch einige der Reisenden ihr Lager aufgeschlagen hatten. Sie sagten zu sich, „Lasst uns aufbrechen!“ Einer von ihnen gab zu bedenken, „Wir können nicht gehen, Fuzail liegt auf der Lauer.“

„Gute Nachrichten“, rief Fuzail, „er hat sich bekehrt.“

Mit diesen Worten verließ er den  Ort und war den ganzen Tag weinend unterwegs, seine Gegner zu entschädigen, bis nur mehr ein Jude in Bavard übrig geblieben war. Er suchte auch seine Vergebung, doch der Jude war mit keiner Genugtuung einverstanden.

„Heute können wir es diesen Mohammedanern zeigen“, stachelte er seine Genossen auf.

„Wenn du willst, dass ich deine Genugtuung annehme“, sagte er zu Fuzail, „dann schaffe diesen Haufen zur Seite.“

Er zeigte dabei auf einen Haufen Sand, den fort zu schaffen die Kräfte eines Mannes einfach überstieg, außer man arbeitete längere Zeit daran. Der unglückselige Fuzail schaufelte den Berg also Stück für Stück beiseite, doch wie lange sollte er dafür brauchen? Eines Morgens, Fuzail war schon völlig erschöpft, kam ein Wind auf, der den Rest vollstän­dig davon blies. Als der Jude dies sah, war er ziemlich verblüfft.

„Ich habe geschworen“, sagte er zu Fuzail, „dass ich deine Wiedergutmachung nicht annehmen werde, bis ich Geld von dir bekomme. Nun befindet sich unter diese Matte etwas Gold, hole eine handvoll davon hervor und gib es mir. Damit ist mein Schwur erfüllt und ich werde deine Genugtuung akzeptieren.“

Fuzail betrat also das Haus des Juden. Jetzt hatte dieser aber eine handvoll Erde unter die Matte gelegt. Fuzail griff unter den Teppich und brachte jedoch eine handvoll Dinare hervor, die er dem Juden übergab.

„Lade mich ein zum Islam“, rief dieser.

Fuzail lud ihn zum Islam ein, und der Jude wurde Muslim.

„Weißt du, warum ich Muslim geworden bin?“ fragte er Fuzail und fuhr fort. „Bis heute war ich nicht sicher, welches die wahre Religion ist. Doch heute wurde mir klar, dass der Islam die wahrhaftige Religion ist; denn ich habe in der Torah gelesen, dass wenn ein Mensch aufrichtig bereut und dieser dann seine Hand auf Erde legt, diese zu Gold wird. Und ich hatte Erde unter die Matte gelegt, um dich zu prüfen. Als du nun in die Erde fasstest und Gold aus ihr wurde, wusste ich, dass deine Reue echt und deine Religion wahr ist.“

„Um Gottes Willen“, bat Fuzail den Mann, „binde mich an Händen und Füssen und bringe mich vor den Sultan, damit er mich für meine vielen Schandtaten bestrafe.“

Der Mann tat wie ihm geheißen. Als der Sultan Fuzail in Augen­schein nahm, entdeckte er an ihm die Zeichen der Aufrichtigkeit und sagte.

„Ich kann dich nicht verurteilen“, und sandte ihn in Ehren in seine Unterkunft zurück. Als er dort ankam, brach ein lauter Schrei aus Fuzails Brust.

„Hört ihn schreien“, riefen die Leute.

„Sicherlich wurde er nun gezüchtigt.“

„Wahrhaftig wurde ich schwer gezüchtigt“, meinte Fuzail.

„Wo?“ fragten die Leute.

„In meiner Seele“, erklärte er.

Dann begab er sich zu seiner Frau.

„Frau“, kündigte er ihr an, „ich will mich zum Hause Gottes begeben, wenn du es wünscht, gebe ich dich frei.“

„Niemals werde ich dich verlassen“, erwiderte seine Frau. „Wo immer du dich befindest, will auch ich sein.“

So brachen sie gemeinsam auf und erreichten noch zur rechten Zeit Mekka, denn  der Allmächtige Gott hatte ihnen die Reise leicht gemacht. Dort kamen sie in der Nähe der Kaaba unter und traf einige der Heiligen. Er wurde für einige Zeit der Gefährte von Imam Abu Hanifa und viele Geschichten werden über seine außergewöhnliche Disziplin erzählt. In Mekka wurde ihm das Tor der Beredsamkeit eröffnet und die Leute drängten sich, seine Predigten zu hören. Bald sprach alle Welt von ihm, sodass seine Familie und Angehörigen von Bavard aufbrachen, um nach ihm zu sehen. Sie klopften an seine Tür, doch er öffnete ihnen nicht. Auch sie gingen nicht von der Tür fort. Darauf stieg Fuzail auf das Dach seines Hauses.

„Was seid ihr nur für Faulenzer“, rief er ihnen zu. „Gott hat euch eine Aufgabe und Arbeit gegeben!“

Dergleichen sprach er vieles zu ihnen, bis sie alle weinten und ganz außer sich waren. Letztlich konnten sie seine Gegenwart nicht mehr ertragen und verließen ihn. Er blieb dennoch auf dem Dach und ließ die Tür verschlossen.

 

Fuzail and Harun al-Rashid

 

Eines Nachts rief Harun al-Rashid den Barmakiden Fazl, seinen  vertrauten Wesir zu sich und bat ihn.

„Bring mich heute Nacht zu jemandem, der mir mein Selbst eröffnet. Mein Herz ist müde diesem ganzen Pomp und dieser Pracht gegenüber.“

Fazl brache den Harun an die Tür des Sufiyan-e Oyaina.

„Wer ist da?“ fragte der.

„Der Befehlshaber der Gläubigen“, gab Fazl zur Antwort.

„Warum stürzt dieser sich in solche Umstände?“ sagte Sufiyan. „Wenn ich verständigt worden wäre, wäre ich zu ihm gekommen.“

„Das ist nicht der, den ich suche“, bemerkte Harun. „Er schmeichelt mir wie alle anderen auch.“

Als Sufiyan über den Sachverhalt aufgeklärt worden war, sagte Sufiyan,

„Al-Fuzail ibn Iyaz ist der Mann, den du suchst. Du musst zu ihm gehen.“ Und er rezitierte folgenden Vers: „Oder glauben jene, die Schlechtes erwirken, dass Wir sie jenen gleichstellen, die gute Werke tun?“

„Es ist genug getan, wenn ich guten Rat suche“, meinte Harun.

Sie gingen an Fuzails Tür und klopften an.

“Wer ist da?” fragte der.

“Der Befehlshaber der Gläubigen”, antwortete Fazl.

“Was hat er mit mir zu schaffen und was habe ich mit ihm zu tun?” wollte Fuzail wissen.

„Ist es nicht verpflichtend, seiner Befehlsgewalt zu gehorchen?” erwiderte Fazl.

„Stört mich nicht“, rief Fuzail.

“Soll ich mit einer Erlaubnis oder auf mit Befehlsgewalt eintre­ten?” verlangte Fazl zu wissen.

„Es gibt da nicht so etwas wie Befehlsgewalt“, antwortete Fuzail

„Wenn ihr mit Gewalt eintretet, müsst ihr selber wissen, was ihr tut.“  

Darauf trat Harun ein. Als sie an Fuzail herantraten, blies dieser das Licht aus, damit sie sein Gesicht nicht erkennen konnte. Harun streckte seine Hand aus und traf auf die Fuzails.

„Wie sanft und weich diese Handfläche ist, wenn sie nur dem Höllenfeuer entkommen könnte!“ merkte Fuzail an.

Nach diesen Worten stand er auf und begab sich ins Gebet. Harun war sehr berührt und Tränen stiegen aus seiner Brust.

„Sag etwas zu mir“, bettelte er. Fuzail grüßte ihn und sagte dann.

„Dein Vorfahr, der Onkel des Propheten, verlangte einmal von ihm, ihn zum Befehlshaber über einige Leute zu ernennen. Der Prophet gab ihm zur Antwort. „Onkel, für einen Moment habe ich dich zum Befehlshaber über dich selbst gemacht“. Damit meinte er, wenn dieser nur einen einzigen Moment Gott gehorchte, wäre dies besser für ihn selbst, als wenn tausend Jahre lang die Leute ihm gehorchten. Der Prophet fügte hinzu „Befehlsgewalt ist ein Grund für Bedauern am Jüngsten Tag.““

„Sprich weiter“, bat Harun.

„Als Umar ibn Abd al-Aziz zum Kalifen bestimmt wurde“, erzählte Fuzail, „sagte er folgendes zu Salem ibn Abd Allah, Raja’ ibn HAbu Yazidat, und Mohammad ibn Ka’b. „Was soll ich tun? Denn ich weiß, dass dieses hohe Amt eine Versuchung ist, auch wenn die Menschen glauben, es wäre ein Segen.“ Einer der drei antwortete, „Wenn du morgen der Bestrafung Gottes entkommen willst, so betrachte jeden älteren Muslim, als wäre er dein Vater, jüngere Muslime erachte als deine Brüder und die Sprösslinge der Muslime sieh als deine Kinder an und behandle sie entsprechend.“

„Sprich weiter“, bat Harun erneut.

„Die Ländereien der Muslime sind wie dein eigenes Haus und deren Bewohner deine Familie“, sprach Fuzail. „Besuche deinen Vater, ehre deinen Bruder und sei gut zu deinem Sohn“. Ich fürchte, fügte er hinzu, „dein hübsches Gesicht wird ernsthaft Schaden durch das Feuer der Hölle nehmen. Fürchte Gott und gehorche Seinem Befehl. Sei achtsam und bedacht, denn am Tage des Gerichts wird dich Gott über jeden einzelnen Muslim befragen und gemäß deinem Verhalten ihnen gegenüber, wird Er dich beurteilen. Wenn eine alte Frau des nachts hungrig zu Bett gehen muss, wird sie dich an jenem Tag am Hemd fassen und gegen dich aussagen.“

Harun weinte so bitterlich, dass er fast das Bewusstsein verlor.

„Genug! Du hast den Befehlshaber der Gläubigen erschlagen“, schimpfte Fazl der Wesir.

„Sei still, Haman“, schrie Fuzail, „du und deinesgleichen sind es, die ihn vernichten und du sagst mir, ich brächte ihn um? Das ist Mord!“

Auf diese Worte hin weinte Harun noch leidenschaftlicher.

„Er nennt dich Haman“, klagte er zu Fazl gewandt, „denn er hat mich mit dem Pharao gleichgesetzt.“ Dann sagte er zu Fuzail,

„Bist du irgendwem etwas schuldig?”

„Ja“, gab Fuzail zur Antwort. „Ich bin Gott eine gehorsame Handlung schuldig. Wenn er mich deswegen zur Rechenschaft zieht, dann wehe mir!“

„Ich spreche von Schulden Menschen gegenüber, Fuzail“, sagte Harun.

„Gott sei Dank“, rief Fuzail, „Der mich so über alle Maßen gesegnet hat, dass ich über Seine Diener nicht zu klagen habe.“

Daraufhin stellte Harun eine Börse mit tausend Dinar vor ihn hin.

„Dies ist rechtmäßig erworbenes Geld aus meiner Mutter Vermächtnis“, sagte Harun.

„Befehlshaber der Gläubigen“, sagte Fuzail, „was ich zu dir ge­sprochen habe, war nicht des Profits wegen. Selbst jetzt hast du eine Übeltat begangen und Unrecht fortgesetzt.

„Welch üble Tat?“ wollte Harun wissen.

„Ich rufe dich zum Heil und du setzt mich der Versuchung aus! Das ist wahrlich eine üble Tat“, erklärte Fuzail. „Ich sage dir, gib was du besitzt, seinem rechtmäßigen Eigentümer zurück und du für deinen Teil gibst es jemandem, dem es nicht zukommt? Sinnlos ist es für mich, wenn ich weiter spreche.“

Mit diesen Worten stand er auf, warf das Gold aus der Tür und entfernte sich.

„O, was ist das nur für ein Mann“, rief Harun, als er Fuzails Haus verließ, „Fuzail ist in Wahrheit ein König der Menschen. Seine Überheb­lichkeit ist außerordentlich und die Welt in seinen Augen verachtenswert.“

 

Anekdoten über Fuzail

 

Eines Tages hielt Fuzail ein vierjähriges Kind in seinem Schoß und es geschah, dass er seinen Mund an des Kindes Wange drückte, wie Väter dies so zu tun pflegen.

„Vater, liebst du mich?“ fragte das Kind.

„Ich liebe dich“, antwortete Fuzail.

„Liebst du Gott?“

„Ja, ich liebe Gott“.

„Wie viele Herzen hast du?“ wollte das Kind wissen.

“Eines”, gab Fuzail zurück.

“Kannst du zwei mit einem Herz lieben?” verlangte das Kind zu wissen.

Da erkannte Fuzail, dass es nicht das Kind war, welches da sprach, sondern er eine göttliche Unterweisung erhielt. Eifersüchtig um Gottes Willen begann er sich den Kopf zu schlagen und bereute. Sein Herz gegenüber dem Kind verhärtend, übergab er es an Gott.

Eines Tages stand Fuzail am Berg Arafat. All die Pilger dort weinten und schluchzten, demütigten sich und baten Gott mit leiser Stimme.

„Ehre sei Gott“, rief Fuzail, „wenn so viele Menschen alle auf einmal zu einem Mann gingen und ihn um ein Silberstück bäten, was meint ihr? Würde der Mann sie alle enttäuschen?“

„Nein“, kam die Antwort.

„Gut“, sagte Fuzail, „sicherlich ist es für den Allmächtigen noch leichter, euch allen zu verzeihen, als für diesen Mann ist, das Geld zu geben. Denn er ist der Großzügigste unter den Großzügigen, also besteht große Hoffnung, dass Er allen vergeben wird.“

Einmal litt Fuzails Sohn an Harnverhalt. Fuzail kam und erhob seine Hände.

„O Herr“, betete er, „erlöse ihn von dieser Krankheit bei meiner Liebe zu Dir.“

Er hatte sich noch nicht von seinen Knien erhoben, als der Knabe bereits geheilt war.

Oft sagte Fuzail im Gebet: „Herr Gott, hab Erbarmen! Du kennst meine Reue; so strafe mich nicht, denn du hast alle Macht über mich.“ Dann sagte er noch, „O Gott, Du hältst mich hungrig und Du hältst meine Kinder hungrig. Du hältst mich nackt und Du hältst meine Kinder hungrig und Du gibst mir keine Lampe in der Nacht. All dies tust Du für Deine Freunde. Durch welchen spirituellen Rang hat Fuzail diese Glückseligkeit von Dir verdient?“

Vierzig Jahre lang hatte niemand Fuzail jemals lächeln gesehen, außer an dem Tag, an welchem sein Sohn verstarb, da lächelte er.

„Meister, was für eine Gelegenheit ist das, um zu lächeln?“, wurde er gefragt.

„Ich habe erkannt, dass es Gott wohl gefiel, dass mein Sohn sterbe“, antwortete er, „und ich lächelte um mit dem Wohlgefallen Gottes überein zustimmen.“

Fuzail hatte zwei Töchter. Als sein Ende nahe war, verlangte er von seiner Frau die Erfüllung eines letzten Wunsches.

„Wenn ich gestorben bin, nimm die beiden Mädchen und begebt euch zum Berg Qobais. Dort richte dein Antlitz gen Himmel und sprich: „Herr Gott, Fuzail hat mich mit seinem letzten Wunsch folgendes zu sagen beauftragt: „Während ich am Leben war, beschützte ich diese beiden Mädchen so gut ich nur vermochte. Da Du mich zum Gefangenen in der Enge des Grabes gemacht hast, gebe ich sie Deiner Obhut zurück.““

Als Fuzail begraben war, tat seine Frau, worum er sie gebeten hatte. Sie begab sich auf die Spitze des Berges und übergab Ihm dort ihre Töchter. Dann betete sie unter vielen Tränen und Klagen. Just in diesem Moment kam der Prinz von Jemen mit seinen beiden Söhnen dort vorbei.

Als er die Frauen derart weinen und klagen sah, wollte er wissen woher sie kämen und Fuzails Frau erklärte ihre Situation.

„Ich gebe diese beiden Mädchen, diesen, meinen beiden Söhnen zur Frau“, erklärte er, „und jeder der beiden bekommt eine Brautgabe von zehntausend Dinar. Bist du damit zufrieden?“

„Ich bin es“, erwiderte die Mutter.

Sofort statte der Prinz sie mit Schmuck, Teppichen und Gewändern von edlem Brokat aus und führte sie heim in den Jemen.

 

 

 

 

Ibrahim ibn Adham

 

Abu Ishaq Ibrahim ibn Adham, aus reinem arabischem Geblüt, geboren in Balkh, wird in den Sufi Geschichten als Prinz beschrieben, der auf sein Königreich verzichtete (so ähnlich wie der Buddha) und westwärts wanderte, um ein Leben in vollkommener Enthaltsamkeit zu führen und der bis zu seinem Tod im Jahre 165 (782) sein täglich Brot mit ehrlicher, manueller Arbeit in Syrien verdiente. In einigen histor­ischen Dokumenten wird festgehalten, dass er in einer See­schlacht gegen Byzanz getötet wurde. Die Geschichte seines Eintritts in den Islam ist klassisch für einen muslimischen Lebenslauf.

 

Die Geschichte des Ibrahim ibn Adham

 

Ibrahims Karriere der Heiligkeit begann folgendermaßen. Er war der König von Balkh und gleichsam eine ganze Welt stand unter seinem Befehl; vierzig goldene Schwerter und vierzige goldene Harnische wurden vor und hinter ihm hergetragen. Eines Nachts war er auf seiner königlichen Couch eingeschlafen. Um Mitternacht begann das Dach über seinem Zimmer so zu zittern, als würde jemand darüber laufen.

„Wer ist da?“ rief er.

„Ein Freund“, kam die Antwort, „ich habe ein Kamel verloren und suche es hier auf dem Dach.“

„Narr, suchst du ein Kamel auf dem Dach?“ rief Ibrahim.

„Du Unbedachter, suchst du Gott in silberdurchwirkten Kleidern, auf einer goldenen Couch?“

Diese Worte erfüllten sein Herz mit Furcht. Ein Feuer entzündete sich in seinem Inneren und er konnte nicht mehr einschlafen. Bei Tagesanbruch kehrte er zu seinen Geschäften zurück und setzte sich auf seinen Thron, gedankenvoll, verwirrt und achtsam. Die Minister standen auf ihren Plätzen, die Sklaven penibel aufgereiht; eine General­audienz war ausgerufen worden.

Da erschien ein Mann mit fürchterlichem Aussehen im Audienz­saal, so furchterregend sah er aus, dass sich keiner der königlichen Beamten und Diener ihn nach seinem Namen zu fragen getraute. Allen blieb ihre Zunge am Gaumen kleben. Langsam, in gemessen­em Schritt näherte er sich dem Thron, bis er vor ihm stand.

„Was wünscht du?“ wollte Ibrahim wissen.

„Ich habe ein Auge auf diese Karawanserei geworfen“, sagte der Mann.

„Dies ist keine Karawanserei, dies ist mein Palast. Du bist wohl verrückt“, schrie Ibrahim.

„Wem gehörte dieser Palast vor dir?“ fragte der Mann.

„Meinem Vater“, antwortete Ibrahim.

„Und vor ihm?“

„Meinem Großvater.“

„Und vor ihm?“

„Dem so-und-so.“

„Und wem davor?“

„Dem Vater des so-und-so.“

„Wo sind die alle hin verschwunden?“ fragte der Mann.

„Fort sind sie, sie sind gestorben“, antwortete Ibrahim.

„So ist das dann hier keine Krawanserei, wo der eine kommt und der andere geht?“

Mit diesen Worten verschwand der Mann. Es war Kidhr gewesen, der Friede sein mit ihm. Das innere Feuer, welches nun in ihm entzündet war, brannte immer heftiger in seiner Seele und seine innerliche Qual steigerte sich ins Unermessliche. Visionen untertags folgten Stimmen, die er des Nachts vernahm, gleichermaßen geheimnisvoll wie unfassbar.

„Sattelt mein Pferd“, rief Ibrahim letztendlich. “Ich will mich auf die Jagd begeben. Ich weiß nicht, wie mir heute geschieht. Herr, Gott, wie soll dies alles noch enden?“

Sein Pferd war gesattelt und er begab sich auf die Jagd. Kopflos, völlig außer sich, galoppierte er in die Wüste. In seiner Verwirrung wurde er von der  Jagdgesellschaft getrennt und da hörte er auf einmal eine Stimme.

„Wach auf!“

Er gab vor, nichts gehört zu haben und ritt weiter. Ein zweites Mal ertönte die Stimme, doch er beachtete sie nicht. Ein drittes Mal ertönte die Stimme, und wieder verschloss er sich ihr. Da ertönte die Stimme ein viertes Mal.

„Wach auf, bevor du hinweggefegt wirst!”

Nun verlor er völlig die Kontrolle über sich. Da sprang ein Wild vor ihm auf und Ibrahim machte sich zum Schuss bereit. Da richtete das Tier das Wort an ihn.

„Ich wurde geschickt, um dich zu jagen. Du kannst mich nicht treffen. Wurdest du dafür erschaffen oder folgst du einem Befehl?“

„O, was geschieht mir nun wieder“, rief Ibrahim.

Und er wandte sich von der Antilope ab. Daraufhin hörte er die gleichen Worte aus seinem Sattelknauf kommen. Angst und Furcht ergriffen ihn. Die Offenbarung wurde noch klarer, denn der Allmächtige Gott wollte sie zum Abschluss bringen. Ein drittes Mal hörte er die Stimme aus dem Kragen seines Umhangs kommen. Nun war die Offenbarung zu ihm durchgedrungen und die Himmel öffneten sich ihm. Gesicherter Glaube war ihm nun zu eigen geworden. Er stieg vom Pferd und all seine Kleider, selbst das Pferd waren voll mit seinen Tränen. Er bereute ehrlich und aufrichtig. Abseits des Weges erblickte er einen Schäfer, der Fellkleider und eine Fellmütze trug, welcher seine Schafe vor sich her trieb. Bei näherem Hinsehen erkannte er, dass es einer seiner eigenen Sklaven war. Diesem schenkte er seine reich bestickten Gewänder, seine juwelenbesetzte Kappe und die Schafe, die ihm ja gehörten. Vom Schäfer übernahm er dessen Gewand und Fellmütze und zog diese an. Alle engelhaften Zeugen standen um Ibrahim und blickten auf ihn.

„Welch Königreich ist dem Sohne Adhams zuteil geworden“, riefen sie, „das schmutzige Gewand der Welt hat er verworfen und das ruhmreiche Kleid der Armut hat er sich angetan.“

In diesem Zustand ging er zu Fuß weiter, über Berge und endlose Wüsten, über seine Sünden klagend, bis er nach Merv kam. Dort gewahrte er einen Mann, der gerade von einer Brücke fiel und von den Fluten fortge­spült zu werden drohte. Von weitem rief Ibrahim:

„O Gott, rette ihn!“

Der Mann blieb quasi in der Luft hängen, bis die Retter zu ihm gelangt waren und ihn wieder heraufziehen konnten. Völlig verblüfft waren sie über Ibrahim und sie riefen.

„Was für ein Mensch ist das?“

Ibrahim verließ diesen Ort und wandte sich gen Nishapur. Dort suchte er sich einen verfallenen Ort, an dem er sich der Gehorsamkeit Gottes widmen konnte. Letztlich bezog er die berühmte Höhle, die er für neun Jahre lang bewohnte; in jeder ihrer Kammern blieb er drei Jahre. Wer weiß, womit er die langen Tage und Nächte dort beschäftigt war? Es brauchte schon einen mächtigen, außerge­wöhn­lichen Mann, um dort alleine die Nächte zu verbringen.

Jeden Donnerstag stieg er über die Höhle hinaus und sammelte Feuerholz, welches er am nächsten Tag nach Nishapur trug, um es dort zu verkaufen. Um den Erlös kaufte er dann nach dem Besuch des Freitagsgebets Brot, von dem er die Hälfte an Bettler abgab und mit der anderen Hälfte brach er sein Fasten. So hielt er es jede Woche.

Einmal, es war Winter und empfindlich kalt, musste er das Eis im Krug zerbrechen, um sich waschen zu können. Die ganze Nacht verbrachte er bis zum Morgen zitternd im Gebet. Bei Sonnenaufgang war in Gefahr zu erfrieren. Zufällig kam im der Gedanke an Feuer in den Sinn und er sah einen Pelz am Boden liegen. Diesen wickelt er sich um und fiel in tiefen Schlaf. Als er erwachte, war es taghell und ihm war wieder warm geworden. Da sah er, dass das Fell ein Drache gewesen war, mit tellergroßen, blutunterlaufenen Augen. Da überkam ihn große Furcht.

„Herr Gott“, rief er, „dieses Ding hast Du mir in schöner Form geschickt, nun erblicke ich in ihm das Grauen, welches ich nicht ertragen kann.“

Sofort rückte der Drache von ihm ab, rieb sein Gesicht zwei-, dreimal am Boden und verschwand.

 

Ibrahim geht nach Mekka

 

Als sich die Kunde über Ibrahims Taten unter den Menschen verbreitete, floh er aus der Höhle und wandte sich nach Mekka. In der Wüste traf er auf einen der Großen des Glaubens, welcher ihn den Höchsten Namen Gottes lehrte und ihn dann verließ. Ibrahim rief Gott bei diesem Namen und sofort erschien Khidr, der Friede sei auf ihm.

„Ibrahim“, sagte Khidr, „das war mein Bruder David, der dich den Höchsten Namen Gottes lehrte.“ Viele Worte wechselten dann noch zwischen Khidr und Ibrahim. Folgendes erzählte Ibrahim über die nächste Station seiner Pilgerreise.

„Als ich nach Dhat al-‘Erq gekommen war, sah ich dort siebzig Männer in Flickenröcken gekleidet, tot auf der Erde liegen. Das Blut quoll ihnen aus Nasen und Ohren. Da bemerkte ich einen, in dem noch ein Funken Leben steckte. „Junger Mann“, rief ich, „was ist hier passiert?“

„Sohn des Adham“, antwortete er, „halte dich an das Wasser und die Gebetsnische. Geh nicht zu weit, auf dass du nicht verbannt wirst und komm nicht zu nahe, auf dass du nicht beschämt werdest. Lass keinen Menschen zu kühn vor dem Sultan erscheinen. Habe Furcht um dein Leben, vor dem Freund, der Pilger abschlachtet, als wären sie griechische Ungläubige und der Krieg gegen die Pilger führt. Wir sind eine Sufi Gemeinschaft, die in Gottvertrauen in die Wüste aufge­brochen war, bereit kein Wort zu verlieren, an nichts anderes, denn an Gott zu denken, sich fort zu bewegen und doch nur Gott im Auge und kein anderes Ziel, als Ihn im Sinn zu behalten. Als wir die Wüste durchschritten hatten und an den Ort gelangt waren, an dem sich die Pilger in Weiß kleiden, erschien Khidr, der Friede sei auf ihm, unter uns. Wir grüßten ihn und er erwiderte unseren Gruß, worauf wir sehr glücklich waren und sprachen: „Gelobt sei Gott, diese Reise ist gesegnet, der Verlangende hat sein Verlangen erreicht, denn solch eine heilige Person ist erschienen, um uns zu treffen.“ Da rief eine Stimme in unserem Inneren, „Ihr Lügner, ihr Heuchler, Mich habt ihr vergessen und euch mit anderen beschäftigt. Geht fort! Frieden werde Ich mit euch nicht machen, bis ich eure Seelen in Vergeltung von euch genommen habe und euer Blut mit dem Schwert des eifernden Zorns vergossen habe.“ Diese tapferen Männer, die du hier alle liegen siehst, sind die Opfer dieser Vergeltung. Hab Acht, Ibrahim. Auch du trägst die­selben Bestrebungen in dir. Halt ein oder geh weit fort von hier!“

“Warum haben sie dann dich verschont?” fragte ich tief verwun­dert ob dieser Worte.

„Sie sagten, „Diese hier sind reif, doch du bist noch roh. Bleib noch ein wenig am Leben und bald bist auch du reif und wenn du reif geworden bist, wirst du ihnen folgen.“ Mit diesen Worten gab er seinen Geist auf.“

Vierzehn Jahre lang zog Ibrahim durch die Wüste, ständig in Demut und im Gebet. Als er in die Nähe Mekkas gelangte, und die Ältesten davon Kunde erhielten, kamen sie vor die Stadt, um ihn zu begrüßen. Er eilte der Karawane voran, damit ihn keiner erkennen sollte. Ihre Diener waren den Ältesten vorausgegangen und sahen Ibrahim vor der Karawane gehen, doch sie erkannten ihn nicht, denn sie hatten ihn noch nie zuvor gesehen. Als sie bei ihm angelangt waren riefen sie: „Ibrahim ibn Adham ist in der Nähe. Die Ältesten des Haram sind gekommen um ihn zu treffen.“

„Was wollt ihr von diesem Häretiker?“ wollte Ibrahim wissen.

Sogleich drangen sie auf ihn ein und verprügelten ihn.

„Die Ältesten des Haram kommen um ihn zu begrüßen und du nennst ihn einen Häretiker?“ schrieen sie.

„Ich sage, er ist ein Häretiker“, wiederholte Ibrahim.

Als sie von ihm abließen, wandte Ibrahim sich zu sich selbst.

„Ha“, schimpfte er, „du wolltest, dass die Ältesten zu dir heraus­kämen und dich begrüßen. Nun gut, du hast ein paar Hiebe erhalten. Gepriesen sei Gott, dass ich Deinen Wunsch habe in Erfüllung gehen sehn!“

Ibrahim ließ sich dann in Mekka nieder und ein Kreis von Gefährten scharte sich um ihn und er verdiente sein Brot durch seiner Hände Arbeit als Zimmermann.

 

Ibrahim wird von seinem Sohn in Mekka besucht

 

Als Ibrahim ibn Adham Balkh verließ, hatte er einen Sohn im Säuglingsalter zurückge­lassen. Dieser, in der Zwischenzeit erwachsen geworden, fragte seine Mutter eines Tages nach seinem Vater.

„Dein Vater ist verschollen“, gab sie ihm Auskunft.

Daraufhin ließ der Sohn verlautbaren, dass alle sich versammeln mögen, welche die Pilgerfahrt unternehmen wollten. Viertausend kamen zusammen. Er erstattet ihnen allen die Reiseausgaben für Versor­gung und Reittiere und führte die Gruppe Richtung Mekka, in der Hoffnung, dass Gott ihm seinen Vater unter die Augen führen wollte. In Mekka angelangt, fanden sie am Tor zur Heiligen Moschee eine Gruppe Sufis in ihren Flickenröcken.

„Kennt ihr Ibrahim ibn Adham?“ wollte der Sohn wissen.

„Er ist ein Freund von uns“, antworteten sie, „er versorgt uns und ist gerade unterwegs, um Essen zu besorgen.“

Der Sohn verlangte, dass sie ihn zu ihm führen sollten. Sie folgten seiner Spur und so gelangte die Gruppe zum unteren Teil Mekkas und dort sah er seinen Vater barfuss und ohne Kopfbe­deckung mit einem Haufen Feuerholz des Weges kommen. Tränen stiegen in ihm hoch, doch er beherrschte sich und folgte seinem Vater bis zum Markt. Dort hub sein Vater an zu rufen:

„Wer will gutes Zeug für gutes Zeug kaufen?“

Ein Bäcker kaufte ihm das Holz für Brot ab. Ibrahim nahm das Brot und brachte es seinen Freunden.

„Wenn ich ihm sage wer ich bin“, fürchtete der Sohn, „wird er von mir fort laufen.“

So suchte er bei seiner Mutter Rat, wie er sich wohl seinem Vater am Besten nähern sollte. Seine Mutter empfahl ihm Geduld.

„Hab’ Geduld, bis wir die Pilgerfahrt erfüllt haben.“

Nachdem der Sohn sich entfernt hatte, nahm Ibrahim bei seinen Gefährten Platz.

Diesesmal sind Kinder und Frauen unter den Pilgern, nehmt eure Blicke in acht“, ermahnte er sie. Sie nahmen seine Mahnung an und als die Pilger den Platz um die Kaaba betraten und sie umkreisten, umrundeten Ibrahim und seine Gefährten ebenfalls das Heilige Haus. Ein hübscher Junge trat nahe an ihn heran und Ibrahim blickte ihn sehnsüchtig an. Seine Freunde bemerkten dies und wunderten sich darüber, doch warteten sie, bis sie die Umrundungen beendet hatten.

„Gott habe Erbarmen mit dir!“ sagten sie dann zu Ibrahim, „uns hast du befohlen nicht auf die Frauen oder Kinder zu blicken und du selbst starrst dann einen hübschen Jungen an.“

„Habt ihr das denn gesehen?“ rief Ibrahim.

„Wir haben es gesehen“, antworteten sie.

„Als ich Balkh verließ“, erzählte ihnen Ibrahim, ließ ich dort einen Sohn im Säuglingsalter zurück. Ich weiß, dieser Bursche ist dieser Sohn.“

Am nächsten Tag machte sich einer der Gefährten Ibrahims früher als dieser auf, um nach der Karawane aus Balkh zu sehen. Als er sie fand, erblickte er in deren Mitte ein Zelt, ganz mit Brokat bestickt. Im Zelt war ein Thron aufgestellt, auf welchem der Junge saß, der aus dem Qur’an rezitierte und dabei Tränen vergoss. Ibrahims Freund erbat die Erlaubnis eintreten zu dürfen.

„Woher kommst du?“ fragte er.

„Aus Balkh“, antwortete der Junge.

„Wessen Sohn bist du?“

Der Knabe schlug seine Hände vors Gesicht und schluchzte.

„Ich habe meinen Vater nie gesehen“, sagte er und legte den Qur’an zur Seite, „nie, bis auf gestern – und ich weiß nicht, ob er es war oder nicht und ich fürchte, dass, wenn ich ihn anspreche, er fortlaufen wird, wie er es schon einmal getan hat. Mein Vater ist Ibrahim ibn Adham, der König von Balkh.

Der Mann nahm in an der Hand, um ihn zu Ibrahim zu bringen. Auch seine Mutter erhob sich und begleitete ihren Sohn. Ibrahim saß mit seinen Gefährten am Jemeniter Eck, als sie ihn fanden. Von Ferne schon hatte er seinen Freund, den Knaben und seine Mutter erspäht. Sobald die Frau ihn erblickte, schrie sie laut auf und konnte nicht mehr länger an sich halten.

„Das ist dein Vater.“

Ein unglaublicher Tumult entstand. Die Freunde Ibrahims und alle Umherstehenden brachen in Tränen aus. Sobald sich der Knabe wieder gefasst hatte, grüßte er seinen Vater. Der Vater erwiderte seinen Gruß und umarmte ihn.

„Welcher Religion folgst du?“

“Der Religion des Islam”, antwortete sein Sohn.

„Gott sei gepriesen“, rief Ibrahim. „Kennst du den Qur’an?“

„Ja.“

„Gepriesen sei Gott. Hast du den Glauben studiert?“

“Ja, das habe ich.”

Nun wollte Ibrahim fort, doch der Knabe ließ ihn nicht gehen. Seine Mutter schluchzte lauthals. Sein Gesicht zum Himmel gewandt, schrie Ibrahim, „O Gott errette mich!“

Noch im gleichen Moment verstarb der Knabe in seinen Armen.

„Was ist passiert, Ibrahim?“ riefen seine Gefährten aus.

„Als ich ihn in die Arme nahm“, erklärte Ibrahim, „erwuchs in meinem Herzen große Liebe zu ihm und da sprach eine Stimme zu mir, „Ibrahim du behauptest Mich zu lieben, und doch liebst du jemanden anderen neben Mir. Du verpflichtest deine Gefährten keine fremde Frau oder fremdes Kind anzusehen und doch hast du dein Herz dieser Frau und diesem Kind geöffnet“ als ich dies hörte, betete ich, „Gott der Herrlichkeit, komm zu meiner Rettung! Er wird mein Herz so sehr in Beschlag nehmen, dass ich Dich zu lieben vergessen werde. Nimm entweder sein Leben oder meines.“ Sein Tod war die Antwort auf mein Gebet.“

Eines Tages wurde Ibrahim befragt, „Was ist über dich gekommen, dass du dein Königreich aufgegeben hast?“

„Man ließ mich eines Tages auf meinem Thron Platz nehmen“, erinnerte er sich, „und man brachte mir einen Spiegel. Ich blickte in diesen Spiegel und erkannte, dass meine Heimstatt mein Grab wäre und mich kein Freund dahin begleiten würde. Ich sah eine lange Reise vor mir und ich hatte keinerlei Proviant mit mir. Ich erblickte einen gerechten Richter und ich hatte keinerlei Verteidigung. So widerte mich mein Königtum an.“

„Warum bist du aus Khorasan geflohen?“ fragten sie.

„Ich hörte viel Gerede dort, vom wahren Freund“, antwortete er.

„Warum suchst du dir keine Frau?“ wurde er gefragt.

„Nimmt denn irgendeine Frau einen Mann, damit er sie hungrig und durstig hält?“ gab er zurück.

„Nein“, antworteten sie.

„Darum heirate ich nicht“, fügte er erklärend hinzu. “Jede Frau, die ich heiratete, würde hungrig und ohne Bekleidung bleiben. Wenn es mir nur möglich wäre, ließe ich mich scheiden. Wie könnte ich da eine andere an meinen Sattel binden?“

Dann wandte er sich an einen bei ihnen sitzenden Bettler. „Hast du eine Frau?“

„Nein“, antwortete der Bettler.

„Hast du ein Kind?“

“Nein”.

“Sehr gut”, rief Ibrahim.

„Warum sagst du das?“, fragte ihn der Bettler.

„Ein Bettler der heiratet ist wie einer, der ein Schiff betritt. Wenn die Kinder kommen, geht er unter.“

Eines Tages traf Ibrahim einen Bettler, der sein Schicksal be­weinte.

„Ich nehme an, du hast die Bettelei gratis erworben“, bemerkte er.

„Wieso, ist denn die Bettelei zu kaufen?“ wollte der Bettler erstaunt wissen.

„Natürlich“, antwortete Ibrahim. „ich habe es mit dem Königreich von Balkh gekauft, ich habe einen Handel abgeschlossen.“

Einmal brachte jemand Ibrahim eintausend Dinar.

„Nimm“, sagte der Mann.

„Ich nehme nichts von Bettlern“, erwiderte Ibrahim.

„Aber ich bin reich“, wandte der Mann ein.

„Willst du mehr, als du schon hast?“ fragte Ibrahim.

„Bestimmt“, rief der Mann aus.

„Dann nimm das Geld zurück“, sagte Ibrahim, „du bist der Chef der Bettler und wahrlich, das ist nicht Bettelei, sondern reinste Bedürf­tig­keit.

Man erzählte Ibrahim von einem ekstatischen jungen Mann, der außerge­wöhnliche Erfahrungen machte und sich selbst dabei ordent­lich disziplinierte.

„Bringt mich zu ihm, so dass ich ihn mir ansehen kann“, sagte Ibrahim.

So brachten sie ihn zu dem jungen Mann.

„Sei drei Tage mein Gast“, lud ihn der junge Mann ein.

Ibrahim blieb drei Tage lang und beobachtete den Zustand des Jungen aufmerksam. Alles war so, wie seine Freunde es geschildert hatten. Alle Nächte blieb er wach und ruhelos und schlief nicht einen Moment. Ibrahim verspürte eine gewisse Eifersucht.

„Ich bin so ruhig und er bleibt ohne Schlaf und Ruhe die ganze Zeit. Lasst uns herausfinden, ob irgendetwas Satanisches seinen Zu­stand beeinflusst oder dieser gänzlich rein ist, wie es sein sollte. Ich muss die Wahrheit darüber herausfinden“, sprach Ibrahim zu sich selbst, „Die Ursache und die Grundlage für alles liegt in dem, was einer isst.“

So beobachtete er, was der junge Mann zu sich nahm und fand heraus, dass es aus unreiner Quelle stammte.

„Großer Gott“, rief Ibrahim aus, „es ist teuflisch!“

„Ich war dein Gast drei Tage lang“, sagte er zu dem Jungen, „nun sei du mein Gast für vierzig Tage.“

Der junge Mann nahm an. Nun war die Nahrung, die Ibrahim aß aus rechtmäßiger Quelle, denn er verdiente es durch seine Hände Arbeit. Er nahm den Jungen mit nach Hause und setzte ihm sein eigenes Essen vor. Sofort verschwand seine Ekstase. All seine Span­nung und Leidenschaft war verschwunden. Seine Unruhe, Schlaf­losigkeit und Weinen waren wie weggeblasen.

“Was hast du mit mir gemacht?” rief er.

„Jawohl“, antwortete Ibrahim, „dein Essen war ungesetzlich. Satan ging ständig ein und aus bei dir. Sobald du rechtmäßiges Essen zu dir genommen hattest, zeigten sich deine ganzen Erscheinungen als das, was sie wirklich waren – Teufelswerk.“

Sahl ibn Ibrahim erzählte folgende Geschichte.

„Einmal war ich mit Ibrahim ibn Adham auf Reisen und unter­wegs wurde ich krank. Er verkaufte alles was er besaß und gab es für mich aus. Ich bat ihn um etwas und er verkaufte seinen Esel und gab den Erlös für mich aus.

„Wo ist der Esel?“ fragte ich, als ich wieder genesen war.

„Ich habe ihn verkauft“, antwortete er mir.

„Worauf soll ich denn nun reiten“, verlangte ich zu wissen.

„Bruder“, antwortete Ibrahim, „komm und steig auf meinen Rücken.“ Er nahm mich auf den Rücken und trug mich drei Stationen.“

Jeden Tag ging Ibrahim Lohnarbeit nach und arbeitet bis zum Abend. All seinen Verdienst gab er für seine Freunde aus. Doch bis er sein Abendgebet verrichtet hatte und etwas eingekauft hatte und zu seinen Freunden kam, war es immer schon spät geworden. Eines  Abends sagte einer seiner Gefährten: „Heute kommt er aber spät, lasst uns etwas Brot essen und schlafen gehen, das wird ein Hinweis für ihn sein, in Zukunft etwas früher zu kommen.“

So machten sie es auch. Als Ibrahim eintraf und sah, dass sie schon schliefen, dachte er, sie hätten noch nichts gegessen und so zündete er gleich ein Feuer an. Er hatte etwas Mehl mitgebracht und so buk er einige Fladen, die sie essen, wenn sie aufwachten und am nächsten Morgen ihr Fasten halten könnten. Als die Freunde aufwach­ten, sahen sie ihn mit seinem Bart am Boden, das Feuer anblasen und seine Augen waren voller Tränen vor lauter Rauch.

„Was machst du da?“, fragten sie.

„Ich sah, dass ihr schon schlafen gegangen wart“, antwortete Ibrahim, „und so sagte ich mir, dass ihr vielleicht nichts zu essen habt finden können und hungrig schlafen gegangen seid. So bereite ich etwas, das ihr essen könnt, wenn ihr aufwacht.

„Seht, wie wir an uns dachten, und wie wir über ihn dachten“, riefen sie aus.

„Seit du diesen Pfad betreten hast, hast du jemals Glückseligkeit erlebt?“ wurde Ibrahim gefragt.

„Mehrmals“, antwortete er. „Einmal war ich an Bord eines Schiffs und der Kapitän kannte mich nicht. Ich trug lumpige Kleider und mein Haar war ungepflegt und ich befand mich in einer geistlichen Ekstase, die keiner an Bord wahrnahm. Sie lachten und machten sich lustig über mich. Da war ein besonderer Spaßvogel auf dem Schiff, der mir immer die Haare auszupfte und mich auf den Nacken schlug. In diesen Momenten fühlte ich, dass ich mein Verlangen sich erfüllte und war glücklich, derart erniedrigt zu werden. Plötzlich kam eine große Welle und alle dachten, sie müssten untergehen. „Wir müssen einen überbord werfen“, rief der Maat, „dann wird das Schiff leichter.“ Sie ergriffen mich, um mich ins Meer zu werfen. Das Wasser beruhigte sich und das Schiff lag wieder ruhig. In dem Moment, als sie mich am Ohr ergriffen hatten, um mich ins Wasser zu werfen, fühlte ich mein Verlangen erfüllt und war glücklich.

Ein andermal ging ich zu einer Moschee, um dort zu schlafen. Man wollte mich dort nicht dulden, doch war ich so schwach und erschöpft, dass ich nicht aufstehen konnte. So packten sie mich an den Füßen und schleiften mich hinaus. Nun führen drei Stufen zu dieser Moschee und mein Kopf schlug auf jede dieser drei Stufen, sodass Blut davon floss. Auf jeder Stufe auf der ich aufschlug, offenbarte sich mir das Geheimnis einer ganzen Sphäre. Ich sagte, „Hätte diese Moschee doch mehr Stufen, um meine Glückseligkeit zu mehren!“

Ein anderes Mal war ich umhüllt im Zustand der Ekstase. Ein Witzbold pisste mich an. Auch da war ich glücklich. Und einmal hatte ich eine Pelzjacke an, die voller Fliegen war, die mich gnadenlos peinigten. Da erinnerte ich mich der feinen Gewänder, die ich in meiner Schatzkammer verwahrte. Meine Seele in mir schrie laut auf: „Warum – welche Pein ist das!“ Auch da fühlte ich mein Verlangen erfüllt.

Einmal reiste ich durch die Wüste, ganz auf Gott vertrauend. Einige Tage lang fand ich nichts zu essen. Da erinnerte ich mich an einen Freund, doch sagte ich mir, „wenn ich zu ihm gehe, verliere ich mein Vertrauen in Gott“ und mit folgenden Worten auf den Lippen betrat ich eine Moschee: „Mein Vertrauen lege ich in den Lebendigen, der niemals stirbt. Es gibt keinen Gott außer Ihm.“ Eine Stimme erschallte vom Himmel, „Gepriesen sei der Gott, welcher das Antlitz der Erde von jenen befreit hat, die ihr Vertrauen in Ihn legten“. Ich sagte: „Warum diese Worte?“ Die Stimme antwortete: „Wie kann dieser Mann, der eine lange Reise unternimmt, wegen einem Bissen Essen, den er von einem weltlichen Freund bekommen könnte,  wahrhaftig auf Gott vertrauen und dann verkünden. „Ich vertraue auf den Lebendigen, der nicht stirbt“? Du hast das Wort des Vertrauens als Lüge verkauft!““

„Einmal hatte ich einen Sklaven gekauft“, erinnerte sich Ibrahim.

„Wie heißt du?“ fragte ich ihn.

„So wie du mich rufst“, erwiderte er.

„Was isst du?“

„Was du mir zu essen gibst.“

„Welche Kleidung trägst du?“

„Womit du mich kleidest.“

“Was tust du?”

“Was du mir zu tun befiehlst.”

„Was wünscht du?“

„Was hat ein Diener zu wünschen?“ antworte er darauf.

„Du Verkommener“, sagte ich zu mir selbst, „dein ganzes Leben warst du ein Diener Gottes. Nun lerne, was es heißt ein Diener zu sein!“

„Und ich weinte solange, bis ich bewusstlos wurde.“

Niemand hat Ibrahim jemals mit gekreuzten Beinen sitzen gesehen.

Darüber befragt gab er Auskunft:

„Ich saß eines Tages auf diese Art, als ich eine Stimme aus der Luft vernahm, „Sohn des Adham, sitzen Diener so in der Gegenwart ihres Herrn?“ Sofort setzte ich mich aufrecht hin und bereute.“

„Einmal wanderte ich durch die Wüste, auf Gott vertrauend“, erzählte Ibrahim „und drei Tage lang fand ich nichts zu essen. Da kam der Teufel auf mich zu und versuchte mich: „Hast du dein Königreich und all den Luxus aufgegeben, um hungrig auf Pilgerfahrt zu gehen? Du kannst auch ordentlich auf Pilgerfahrt gehen und musst nicht derart leiden.“

Die Rede des Teufels vernehmend, richtete ich meinen Blick zum Himmel und rief:

„O Gott, hast Du Deinen Feind angewiesen, Deinen Freund solcherart zu quälen? Komm und rette mich, denn ich kann die Wüste ohne Deine Hilfe nicht durchqueren.“

„Ibrahim“, rief mir eine Stimme zu, „leere deine Taschen aus, damit Wir hervorbringen, was im Unsichtbaren ist.“

„Ich steckte meine Hand in die Tasche und fand drei Silber­münzen, die ich darin vergessen hatte. Sobald ich sie wegge­wor­fen hatte, floh der Teufel von mir und Versorgung für mich erschien aus dem Unsichtbaren.“

„Und einmal“, erinnerte sich Ibrahim, „sollte ich in einem Garten nach dem Rechten sehen. Der Eigentümer sagte zu mir, ich solle ihm einige süße Granatäpfel bringen. Ich brachte sie ihm, doch sie waren sauer.

„Ich will süße“, wiederholte der Besitzer. Ich brachte nochmals welche, doch auch diese waren sauer.

„Großer Gott“ rief der Besitzer, „jetzt warst du solange in einem Garten und kennst keine reifen Granatäpfel?“

„Ich sehe nach deinem Garten, doch weiß ich nicht, wie Granat­äpfel schmecken, denn ich habe nie welche probiert“, antwortete ich.

„Bei solcher Selbstverleugnung, habe ich den Verdacht, du bist Ibrahim ibn Adham“, sagte der Besitzer.

„Als ich das hörte, verließ ich diesen Ort.“

„Eines Nachts sah ich Gabriel in einem Traum mit einer Schrift­rolle in der Hand auf die Erde herabsteigen.“

„Was willst du?“ fragte ich ihn.

„Ich schreibe die Namen der Freunde Gottes nieder“, gab Gabriel zur Antwort.

„Schreib meinen Namen auf“, sagte ich.

„Du gehörst nicht dazu“, antwortete Gabriel.

„Ich bin ein Freund der Freunde Gottes“, wandte ich ein.

Gabriel dachte eine Weile nach und dann sagte er.

„Der Befehl ist ergangen „Schreib ein Ibrahims Name als erstes. Denn auf diesem Pfad erscheint Hoffnung aus der Verzweiflung.“

Eines Tages reiste Ibrahim durch die Wüste, als er von einem Soldaten angehalten wurde.

„Was bist du?“ fragte der.

„Ein Diener“ antwortete Ibrahim.

„Wo ist dein zuhause?“ fragte der Soldat weiter.

Ibrahim zeigte auf den Friedhof.

„Du treibst Scherze mit mir“, schrie der Soldat und schlug Ibrahim an den Kopf, so dass Blut spritzte. Sodann band der Soldat ein Seil um Ibrahims Hals und schleppte ihn fort. Leute, die vom nahen Dorf des Weges kamen, blieben dieses Aufzugs wegen stehen.

„Dummkopf“, riefen sie, „das ist doch Ibrahim ibn Adham, der Freund Gottes!“

Der Soldat fiel vor Ibrahim auf die Knie und flehte ihn an, ihm zu ver­geben und ihn von dem freizusprechen, was er ihm angetan hatte.

„Du hast mir doch gesagt, du wärst ein Diener“, flehte er.

„Wen gibt es denn, der kein Diener wäre?“ erwiderte Ibrahim.

„Ich habe deinen Schädel zerschlagen und du hast für mich gebetet“, klagte der Soldat.

„Ich betete darum, dass du dafür gesegnet würdest, wie du mich be­han­delt hast“, war Ibrahims Antwort. „Mein Lohn dafür, wie du mich behandelt hattest war das Paradies und ich wollte nicht, dass dein Lohn dafür die Hölle wäre.“

„Warum hast du mich an den Friedhof verwiesen, als ich nach deinem zuhause fragte?“ wollte der Soldat wissen.

„Weil jeden Tag der Friedhof voller wird und die Städte wüster werden“, antwortete Ibrahim.

Einmal ging Ibrahim bei einem Betrunkenen vorbei, dessen Mund gar schmutzig war. So holte Ibrahim Wasser und säuberte den Mund des Betrunkenen.

„Wenn du diesen Mund ungewaschen lässt, der doch den Namen Gottes ausgesprochen hat, wäre dies Pietätlosigkeit“, sagte Ibrahim zu sich.

„Der Asket aus Khorasan hat dir den Mund gewaschen“, erzählten die Leute dem Mann, als er wieder nüchtern war.

„Ich bereue jetzt auch“, erklärte der Mann.

Danach vernahm Ibrahim im Traum: „Du hast einen Mund um Meinetwillen gewaschen. Ich habe dein Herz gewaschen.“

„Eines Tages war ich mit Ibrahim an Bord eines Schiffes“, erzählte Raja, als plötzlich starker Wind aufkam und das Wasser dunkel wurde.

„Wehe, das Schiff sinkt“, schrie ich.

„Fürchte nicht den Untergang des Schiffes“, kam eine Stimme von oben, „Ibrahim ibn Adham ist bei dir.“

Sofort flaute der Wind ab und das Wasser hellte wieder auf.

Ibrahim wollt auf ein Schiff gehen, hatte aber kein Geld.

„Jeder hat einen Dinar zu bezahlen“, kam die Durchsage. Ibrahim betete zwei Rak’as und sprach: „O Gott, sie verlangen Geld von mir und ich habe keines.“

Sofort verwandelte sich das ganze Meer in Gold. Ibrahim nahm eine Handvoll und gab sie den Leuten.

Eines Tages saß Ibrahim am Ufer des Tigris und nähte an seinem abgetragenen Mantel. Da fiel ihm die Nadel in den Fluss.

„Du hast ein so gewaltiges Königreich aufgegeben. Was hast du dafür bekommen?“ fragte ihn jemand.

„Gib mir meine Nadel zurück“, rief Ibrahim und zeigte auf das Wasser.

Tausend Fische steckten darauf ihr Haupt aus dem Wasser, ein jeder hatte eine goldene Nadel im Maul. Ein unscheinbarer kleiner Fisch trug Ibrahims Nadel in seinem Maul.

„Dies ist das Geringste der Dinge, die ich dafür bekam, dass ich das Königreich von Balkh aufgab und von den übrigen kannst du dir nicht mal eine Vorstellung machen.“

Eines Tages kam Ibrahim an einen Brunnen. Er ließ den Kübel hinab, den er mit Gold vollgefüllt wieder heraufzog. Er leerte ihn aus und ließ ihn wieder hinunter. Diesmal kam er voller Perlen herauf. Vergnügt leerte er auch diesen.

„O Gott“, rief er, „Du bietest mir einen Schatz an. Ich weiß, Du bist allmächtig und Du weißt, dass ich von Solchem nicht irregeführt werde. Gib mir Wasser, damit ich meine Gebetswaschung verrichten kann.“

Einmal war Ibrahim in Gemeinschaft auf Pilgerfahrt.

„Keiner von uns hat ein Kamel oder sonst Verpflegung“, sagten seine Reisegefährten.

„Verlasst euch auf Gott, der euch versorgen wird“, sagte Ibrahim zu ihnen. Dann fügte er hinzu.

„Seht euch diese Bäume an! Wenn es Gold ist, was ihr euch wünscht, so werden sie zu Gold verwandelt.“

Alle Akazien die dort standen, wurden durch die Macht Gottes gleich in Gold verwandelt.

Einmal reiste Ibrahim mit einer Gruppe, als sie zu einer Festung kamen. Vor dieser Festung gab es viel Unterholz.

„Wir werden die Nacht hier verbringen“, sagten sie, „da gibt es genug Holz, um ein Feuer zu machen.“

Sie entzündeten ein Lagerfeuer und saßen in dessen Licht darum herum. Alle aßen sie Brot, wohingegen Ibrahim im Gebet stand.

„Wenn wir nur etwas gesetzlich einwandfreies Fleisch hätten, um es hier am Feuer zu rösten“, sagte einer.

Ibrahim beendete sein Gebet und sagte dann. „Gewiss ist Gott in der Lage, euch mit gesetzlich erlaubtem Fleisch zu versorgen.

Nachdem er dies gesagt hatte, begab er sich wieder ins Gebet. Da hörten sie das Gebrüll eines Löwen, der in der Nähe vorbeikam und einen wilden Esel im Maul trug. Sie nahmen den Esel, rösteten sein Fleisch und aßen es, während der Löwe an der Seite kauerte und ihnen dabei zusah.

 

 

 

Dhu ‘l-Nun al-Misri

 

Abu ‘l-Faiz Thauban ibn Ibrahim al-Misri, genannt Dhu ‘l-Nun, wurde zu Ekhmim in Oberägypten ca. 180 (796) geboren, studierte unter vielen Lehrern und bereiste ausgiebig Arabien und Syrien.  214 (829) wurde er wegen Häresie verhaftet und in Bagdad ins Gefängnis gewor­fen. Nach einer Untersuchung wurde er auf Befehl des Kalifen entlas­sen und nach Kairo zurück gebracht wo er 246 (861) starb. Sein Grab­stein ist bis heute erhalten geblieben. Legendären Ruf erwarb er sich als Alchemist und Thaumaturge und vermutlich war ihm das Geheimnis der ägyptischen Hieroglyphen bekannt. Eine Anzahl von Gedichten und einige kurze Abhandlungen werden ihm zugeschrieben, welche aller­dings als apokryph gelten.

 

Dhu ‘I-Nun der Ägypter und wie er bekehrt wurde

 

Dhu ‘l-Nun der Ägypter erzählte folgende Geschichte über seine Bekehr­ung.

„Ich hatte von einem gewissen Asketen gehört, der in einer Höhle lebte und beschloss ihn aufzusuchen. Als ich zu dieser Höhle kam, sah ich ihn von einem Baum herunterhängen.

„O Körper“, hörte ich ihn sagen, „hilf mir dabei, Gott zu gehor­chen, sonst lasse ich dich da hängen, bis du an Hunger stirbst.“

Du überkamen mich die Tränen und dieser Gottergebene hörte mein Weinen.

„Wer ist da?“ rief er, „wer hat da Mitleid mit einem, dessen Scham gering, doch dessen Vergehen viele sind?“

Ich näherte mich ihm und grüßte ihn.

„Was machst du denn hier?“ fragte ich.

„Dieser, mein Körper hier, gibt mir keinen Frieden in meinem Gehorsam gegen Gott“, gab er zur Antwort, „er will sich an anderen Menschen reiben.“

Ich schloss aus diesen Worten, er hätte das Blut eines Muslims vergossen oder ein andere Todsünde begangen.

„Hast du denn nicht bemerkt“, sagte der Asket weiter, „dass wenn du dich einmal mit anderen Menschen einlässt, alles andere folgt?“

„Was bist du nur für ein gewaltiger Asket“, rief ich.

„Willst du jemanden kennen lernen, der ein noch gewaltigerer Asket ist?“ frage er.

„Doch, schon“, meinte ich.

„Dann steige diesen Berg hinauf, dort wirst du ihn finden“, verriet er mir.

Ich machte mich also auf den Weg und fand einen jungen Mann suqatting in seiner Klause. Eines seiner Beine hatte er amputiert und aus der Behausung geworfen, wo es nun da lag und von den Würmern zerfressen wurde. Ich näherte mich ihm, grüßte ihn und fragte ihn nach seiner Geschichte.

„Eines Tages“, so erzählte er, „saß ich hier in meiner Klause, als eine Frau des Weges kam. Mein Herz flog ihr zu und mein Körper verlangte von mir ihr zu folgen. Als ich nun einen Fuß aus meiner Zelle setzte, vernahm ich eine Stimme, die zu mir sagte: „Schämst du dich nicht, nach dreißig Jahren gehorsamen Gottesdienst auf den Teufel zu hören und einem leichten Mädchen nachzulaufen?“ So habe ich mir diesen Fuß abgeschnitten, den ich aus meiner Klause heraus gesetzt hatte und nun sitze ich hier und warte was mit mir geschehen wird und was man mit mir machen wird. Und was hat dich bewogen solche Sünder aufzusuchen? Wenn du einen wahren Mann Gottes finden willst, so begib dich auf den Gipfel dieses Berges.“

Der Berg erschien mir viel zu hoch für mich zu sein und so wollte ich mehr über diesen Mann erfahren.

„Ja“, meinte der Einsiedler, „es ist nun schon eine geraume Zeit, dass dieser Mann mit Gottesdienst beschäftigt ist. Eines Tages kam ein Mensch zu ihm, zankte mit ihm und erklärte ihm, dass man sein täglich Brot verdienen müsse. Da legte der in Gott Ergebene einen Eid ab, dass er nichts mehr essen würde, welches den Besitz irgendwelcher weltlichen Güter erfordern würde. Viele Tage nahm er darauf nichts mehr zu sich. Dann sandte ihm der Allmächtige Gott einen Bienen­schwarm, der ihn ganz umhüllte und ihm Honig schenkte.“

Diese Dinge die ich da gesehen und gehört hatte hatten mich tief betroffen gemacht und bedrückten mein Herz. Ich hatte erkannt, dass, wenn jemand sein Vertrauen in Gott legt, Gott für ihn sorgt und er seine Schmerzen nicht vergeblich erträgt. Als ich so meinen Weg fortsetzte, entdeckte ich ein blindes Vöglein, welches von einem Baum herunter­flatterte.

„Woher soll diese kleine, hilflose Kreatur nun Nahrung und Wasser erhalten?“ rief ich laut.

Das Vöglein scharrte mit seinem Schnabel auf der Erde und zwei Schüsseln kamen zum Vorschein. Eine goldene, voll mit Körnern und die andere aus Silber mit Rosenwasser gefüllt. Das Vöglein stillte seinen Hunger und Durst und flog wieder auf seinen Baum zurück. Darauf hin verschwanden diese beiden Schüsseln.“

Überwältigt legte von da an Dhu ‘l-Nun sein Vertrauen vollständig in Gott. Er war noch ein gutes Stück weitermarschiert und als die Nacht anbrach, war er an den Rand einer Wüste gekommen. Da entdeckte er einen Topf, randvoll angefüllt mit Gold und Juwelen und bedeckt war der Topf mit einem Tablett, auf welchem der Name Gottes geschrieben stand. Seine Gefährten teilten das Gold und die Juwelen unter sich auf.

„Gebt mir nur dieses Tablett, auf welchem der Name meines Freundes geschrieben steht“, forderte Dhu ‘l-Nun.

Er nahm das Tablett und küsste es die ganze Nacht lang und den Tag darauf, bis der Segen dieses Tabletts ihn träumen ließ und er eine Stimme zu ihm sprechen hörte, „Alle anderen haben das Gold und die Juwelen begehrt, denn sie sind kostbar. Doch du hast etwas gewählt, was erhabener ist als diese, meinen Namen. Daher habe ich für dich das Tor des Wissens und der Weisheit geöffnet.“

Darauf kehrte Dhu ‘l-Nun in die Stadt zurück, wo seine Geschichte Fortsetzung fand.

„Eines Tages wandelte ich an den Ausläufen eines Flusses, als ich einen Pavillon entdeckte. Ich vollzog meine rituelle Waschung und dabei fiel mein Blick auf das Dach dieses Pavillons, auf welchem ein wunderschönes Mädchen stand. Ich wollte sie prüfen und daher fragte ich sie: „Mädchen, zu wem gehörst du?“

Dhu ‘l-Nun, als ich dich aus der Ferne kommen sah, dachte ich, du wärst ein Verrückter, als du näher kamst, dachte ich, du wärst ein Gelehrter, als du noch näher kamst, dachte ich, du wärst ein Mystiker. Nun sehe ich, dass du weder verrückt, noch ein Gelehrter und auch kein Mystiker bist.“

„Wie meinst du das?“ wollte ich überrascht wissen.

„Wärst du ein Verrückter“, gab sie zur Antwort, „hättest du nicht deine Gebetswaschung vollzogen. Wärst du ein Gelehrter, hättest du nicht angestarrt, was deinem Blick verboten ist und wärst du ein Mystiker, hättest du nichts anderes als Gott erblickt.“

Mit diesen Worten verschwand sie und ich erkannte, dass sie kein sterbliches Geschöpf gewesen, sondern als Warnung zu mir geschickt worden war. Ein Feuer entbrannte in meiner Seele und ich eilte hin zum Meer. Als ich ans Ufer gelangt war, erblickte ich eine Gruppe Menschen, die gerade ein Schiff bestiegen. Auch ich ging an Bord. Nachdem einige Tage vergangen waren, geschah es, dass einer der Händler einen Edelstein an Bord verloren hatte. Ein Passagier nach dem anderen wurde angehalten und durchsucht. Schließlich kamen sie einstimmig zur Auffassung, dass ich diesen Edelstein hätte. Sie beschimp­ften mich und behandelten mich zutiefst geringschätzig, doch ich schwieg zu all dem. Letztlich konnte ich diese Behandlung nicht mehr ertragen und rief:

„O mein Schöpfer, Du weißt die Wahrheit!“

Darauf erhoben tausende von Fischen ihre Köpfe aus dem Wasser, jeder mit einem Juwel im Maul.

Dhu ‘l-Nun nahm einen Edelstein von einem der Fische und gab ihn dem Kaufmann. Als sie dies sahen, fielen alle an Bord Dhu ‘l-Nun vor die Füße und flehten um seine Vergebung. So hoch war sein Ansehen unter den Menschen gestiegen und daher wurde er Dhu ‘l-Nun („der Fischmann“) genannt.

 

Dhu ‘l-Nun wird verhaftet und nach Bagdad gebracht

 

Als Dhu ‘l-Nun schon einen sehr hohen (geistigen) Rang bekleidete, war sich niemand seiner Größe bewusst. Die Leute aus Ägypten verleum­deten ihn ständig als Häretiker und informierten den Kalif Muttawakil über seine Taten. Muttawakil befahl seinen Schergen ihn zu verhaften und in Fesseln ihm vorzuführen. Als Dhu ‘l-Nun des Kalifen Hof betrat verkündete er,

„Heute habe ich den wahrhaften Islam durch eine alte Frau kennen gelernt und wahre Höflichkeit von einem Wasserträger.“

„Wie das?“ wurde er gefragt.

„Als ich an des Kalifen Hof gebracht wurde“, erwiderte er, „und dessen Pracht erblickte, mit all den Ordonanzen und Hofschranzen, welche durch die Gänge eilen, wünschte ich eine Verwandlung meines Aussehens. Da trat eine Frau mit einem Stab in der Hand an mich heran und sprach zu mir.

„Hab keine Angst vor dem Körper, vor den man dich nun bringen wird, denn er und du seid beide Diener des Einen Allmächtigen Herrn. Und wenn Gott es nicht will, können sie seinem Diener nichts anhaben.“

Und dann sah ich einen Wasserträger auf der Strasse, der mir einen Schluck Wasser reichte. Ich gab einem der mit mir war ein Zeichen, ihn zu bezahlen, doch dieser Wasserträger weigerte sich irgendeine Bezahl­ung anzu­nehmen.

“Du bist ein Gefangener in Ketten“, sagte er, „und es wäre keines­wegs anständig, von solch einem Gefangenen, einem Fremden in Ketten etwas abzuverlangen.““

Kurze Zeit darauf wurde befohlen, Dhu ‘l-Nun ins Gefängnis zu werfen. Vierzig Tage und Nächte verbrachte er eingekerkert und jeden Tag brachte ihm die Schwester von Bashr, dem Barfüssigen einen Laib Brot, den sie mit der Arbeit ihrer Spindel verdient hatte. Als er aus dem Gefängnis entlassen wurde, waren die vierzig Laib Brot noch immer unangetastet. Als Bashirs Schwester dies hörte, war sie sehr traurig.

„Du weißt“, sagte sie, „dass dieses Brot aus ehrlicher Quelle stammte. Warum hast du es nicht gegessen?“

„Weil der Teller unrein war“ antwortete Dhu ‘l-Nun und meinte, dass es durch die unreinen Hände des Kerkermeisters gegangen war. Als Dhu ‘l-Nun aus dem Kerker trat, stolperte er und schlug sich die Stirn wund. Es wird erzählt, dass obwohl viel Blut floss, nicht ein Tropfen in sein Gesicht, auf sein Haar oder sein Gewand fiel und alles Blut, welches auf den Boden tropfte, sofort, auf den Befehl des Allmächtigen Gottes verschwand.

Dann zerrten sie ihn vor den Kalifen, der ihm befahl, zu den Anschul­digungen Stellung zu nehmen. Er erklärte seine Lehre in solch besonderer Art, dass der Kalif in Tränen ausbrach und die Minister voller Erstaunen seine Beredsamkeit bewunderten. So wurde der Kalif sein Schüler und bedachte ihn mit hohen Ehren.

 

Dhu ‘l-Nun und der fromme Schüler

 

Dhu ‘l-Nun hatte einen Schüler, der vierzigmal die vierzigtägige Einkehr hinter sich gebracht, vierzigmal auf dem Berg Arafat gestanden hatte und vierzig Jahre lang die Nächte hindurch wach geblieben war. Vierzig Jahre lang hatte er einen Wächter über sein Herz gesetzt. Eines Tages kam er zu Dhu ‘l-Nun und sprach zu ihm.

„Vierzig Jahre lang habe ich all dies getan und dennoch spricht der Freund kein Wort mit mir und schenkt mir keinen einzigen Blick. Er beachtet mich weder, noch offenbart Er mir etwas aus der unsicht­baren Welt. All das sage ich nicht, um mich zu loben, sondern zähle nur Tatsachen auf. Alles habe ich getan, was mir Armseligen eben möglich war. Ich klage nicht gegen Gott. Ich führe nur die Tatsache an, dass ich mein ganzes Herz und meine Seele in Seinen Dienst stelle. Doch ich erzähle die traurige Geschichte meines bösen Glücks, die Geschichte meines Unglücks. Ich sage dies auch nicht, weil mein Herz der Gehor­sam­keit überdrüssig wurde. Ich fürchte nur, sollte ich noch weiterleben, dass es so weitergehen wird. Denn ein ganzes Leben habe ich an das Tor der Hoffnung geklopft und doch keine Antwort erhalten. Nun fällt es mir schwer, dies noch länger zu ertragen. Da du der Arzt der Unglücklichen bist, der höchste Rezeptschreiber der Weisen, behandle nun doch meine Verzweiflung.“

„Geh und iss dich satt heute Nacht“, riet ihm Dhu ‘l-Nun.

„Lass das Gebet vor dem Zubettgehen aus und schlafe die ganze Nacht durch. So kann es sein, dass, wenn sich der Freund nicht in Zu­wen­dung zeigt, Er sich doch wenigstens in Vergeltung zeigt; zeigt Er sich dir nicht in Vergebung, so vielleicht doch in Strenge.“

Der Derwisch verließ ihn und aß bis er endlich einmal satt war. Sein Herz gestatte ihm allerdings nicht, das Gebet zu vernachlässigen und so verr­ichtete der das Gebet und ging schlafen. Diese Nacht sah er den Propheten im Traum.

„Dein Freund grüßt dich“, sagte der Prophet, „Er sagt: „ein unglück­selig Ruchloser und Betrüger ist der, welcher an meinen Hof kommt und gleich zufrieden gestellt ist. Die Ursache dieser Angelegen­heit ist Aufrichtigkeit des Lebens und keine Vorwürfe. Gott der Allmächtige verkündet, Ich habe Deinem Herzen seine Wünsche vierzig Jahre erfüllt und gewähre dir alles, wonach du dich sehnst. Doch bestelle Dhu ‘l-Nun diesem Gauner, diesem Heuchler meine Grüße. Sag diesem Lügner und Betrüger, „wenn Ich deine Scham nicht vor der ganzen Stadt entblöße, bin Ich nicht dein Herr. Sieh zu, dass du die unglücklichen Liebenden an meinem Hofe nicht betrügst und sie von ihm wegscheuchst.““

Der Schüler erwachte tränenüberströmt und begab sich gleich zu Dhu ‘l-Nun und erzählte ihm was er gesehen und gehört hatte. Als Dhu ‘l-Nun die Worte: „Gott grüßt dich und bezeichnet Dich als Heuchler und Lügner“, geriet er aus Freude gänzlich aus der Fassung und völlig enthemmt begann er zu lachen, bis ihm die Tränen kamen.

 

Dhu ‘l-Nuns Anektoten

 

Dhu ‘l-Nun erzählte folgende Geschichte

„Ich war in den Bergen unterwegs und traf dort auf ein bedauerns­wertes Volk.

„Was ist euch denn zugestoßen?“ fragte ich.

„Ein Einsiedler lebt hier in seiner Klause“, antworteten sie, „und einmal im Jahr kommt er heraus und heilt mit seinem Atem die Leute. Dann kehrt er wieder in seine Klause zurück und erscheint erst wieder nach einem Jahr.“

Ich wartete geduldig bis dieser Einsiedler heraus kam und erblickte einen blassen Mann mit eingefallenen Augen. Sein Anblick ließ mich erzittern. Mitleidig überblickte er die Menge und dann erhob er die Augen zum Himmel und blies mehrmals über die bedauernswerten Menschen. Alle wurden geheilt.

Als er in seine Klause zurücktreten wollte, ergriff ich ihn bei seinem Hemd.

„Um der Liebe Gottes willen“, rief ich, „du hast die äußerlichen Krankheiten geheilt, so bete und heile die inwendige Krankheit.“

Dhu ‘l-Nun“ sagte er und starrte mich an, „nimm deine Hand von mir. Der Freund beobachtet uns von der höchsten Höhe der Macht und Majestät. Wenn er dich an jemand anderen klammern sieht, wird er dich dieser Person aus­liefern und diese Person dir ausliefern und ihr werdet beide aneinander zugrunde gehen.“

Mit diesen Worten verschwand er in seiner Zelle.“

Eines Tages fanden Freunde die Dhu ‘l-Nun besuchten ihn in Tränen aufge­löst.

„Warum weist du?“ fragten sie.

„Letzte Nacht, als ich mich im Gebet niederwarf“, gab er zur Antwort, „bin ich eingeschlafen. Ich erblickte den Herrn und er sprach zu mir, „O Abu `l-Faiz, Ich erschuf alle Lebewesen und sie trennten sich in zehn Teile. Ich bot ihnen die materielle Welt an und neun dieser zehn Gruppen wandten sich ihr zu und nur ein Teil blieb über. Diese Gruppe spaltete sich erneut in zehn Abteilungen. Ich bot diesen das Paradies an und neun von ihnen wandten sich ihm zu und eine Gruppe blieb übrig. Diese eine Gruppe spaltete sich wiederum in zehn Teile. Ich setzte die Hölle vor sie und sie alle flohen von ihr und zerstreuten sich vor lauter Angst vor ihr, nur eine Gruppe blieb über, nämlich jene, welche weder von der materiel­len Welt angezogen wurden, noch das Paradies begehrte und auch die Hölle nicht fürchtete. Ich sagte zu ihnen, „Meine Diener, ihr habt die materielle Welt nicht beachtet, das Paradies nicht begehrt, noch die Hölle gefürchtet. Wonach begehrt ihr?“ Sie erhoben die Häupter und riefen: „Du weißt am besten, wonach wir begehren.“

Eines Tages suchte ein Knabe Dhu ‘l-Nun auf und sagte, „Ich besitze hundert tausend Dinare und will sie in deinem Dienst ausgeben. Ich will dieses Gold für deine Derwische verwenden.

„Bist du schon erwachsen?“ fragte ihn Dhu ‘l-Nun.

„Nein“, gab dieser zur Antwort.

„Dann steht es dir nicht zu, solche Ausgaben zu tätigen“, belehrte ihn Dhu ‘l-Nun. „Warte geduldig bis du erwachsen geworden bist.“

Als die Zeit gekommen war, kehrte der Junge zu Dhu ‘l-Nun zurück, bereute in seinen Händen und gab all sein Gold den Derwischen bis nichts mehr von diesen hundert tausend Dinaren übrig war.

Nicht viel später geschah ein Unglück, doch nichts war den Derwischen geblieben, hatten sie doch das ganze Geld ausgegeben.

„Welch ein Pech, dass es nicht noch einmal hundert tausend gibt, damit ich sie für diese wunderbaren Männer ausgeben könnte“, sagte der Wohltäter.

Als Dhu ‘l-Nun ihn diese Worte sprechen hörte, erkannte er, dass der junge Mann noch nicht zur inneren Wahrheit des mystischen Lebens vorge­drungen war, da weltliche Güter noch immer von Bedeutung für ihn waren. Er rief den jungen Mann zu sich und wies in an, „Geh zu jenem Apotheker und sag ihm von mir, er soll dir für drei Dirham von der-und-der Medizin geben.“

Der Junge tat wie ihm geheißen und kehrte gleich darauf zurück.

„Gib die Sachen in den Mörser und zerreibe sie zu feinem Pulver“, befahl ihm Dhu ‘l-Nun. „dann füge etwas Öl dazu, damit es zu einer Paste wird. Forme daraus drei Kügelchen, durchstoße jedes mit einer Nadel und dann bringe sie mir.“

Der Junge tat wie ihm aufgetragen war und brachte ihm die Kügel­chen. Dhu ‘l-Nun rieb sie in seinen Händen und blies über sie und sie verwandelten sich in drei Rubine, so schön wie man es noch nie gesehen hatte.

„Nun nimm sie, bringe sie zum Marktplatz und lasse ihren Wert schätzen“, befahl ihm Dhu ‘l-Nun, „aber verkaufe sie nicht!“

Der Junge ging und jeder Stein wurde auf tausend Dinare geschätzt. Er ging zu Dhu ‘l-Nun zurück und berichtete ihm dieses Ergebnis.“

„Jetzt gib sie in diesem Mörser, zerstoße sie und wirf sie ins Wasser“, wies Dhu ‘l-Nun ihn an.

Der Junge führte getreulich aus, wie es ihm aufgetragen worden war.

„Mein Junge“, sagte Dhu ‘l-Nun, „diese Derwische sind nicht hungrig weil sie zuwenig Brot haben, sie haben sich dafür freiwillig ent­schieden.“

Der Junge bereute und seine Seele erwachte und fortan hatte die Welt keinen Wert mehr in seinen Augen.

Dhu ‘l-Nun erzählte folgende Begebenheit.

„Dreißig Jahre habe ich die Menschen zur Reue aufgerufen, doch nur eine einzige Person kam an den Hof Gottes in rechtem Gehorsam. Und dies begab sich folgendermaßen.

Eines Tages zog ein Prinz mit seinem Gefolge an mir vor der Moschee vorbei und ich sprach folgende Worte.

„Kein Mensch ist dümmer, als ein Schwächling, der sich mit den Starken anlegt.“

„Was soll dies bedeute?“ begehrte der Prinz zu wissen.

„Der Mensch ist ein Schwächling und doch legt er sich mit Gott an, der der Starke ist“, sagte ich.

Der junge Prinz wurde blass, stand auf und entfernte sich. Nächsten Tag kehrte er zurück.

„Welches ist der Weg zu Gott?“, verlangte er zu wissen.

„Es gibt den großen und den kleinen Weg“, antwortete ich, „welchen der beiden willst du? Wenn du nach dem kleinen begehrst, dann sage dich los von dieser Welt, den fleischlichen Gelüsten und sündigem Treiben. Willst du den großen, dann sage dich von allem los außer von Gott und entleere dein Herz aller Dinge.“

„Bei Gott“, sprach der Prinz, „ich wähle den großen Weg:“

Am nächsten Tag legte er das wollene Gewand an und begab sich auf den mystischen Pfad. Und auf rechtem Weg wurde er zu einem Heiligen.

Die folgende Geschichte erzählte Abu Ja’far der Uniyde.

Ich war mit Dhu ‘l-Nun und all seinen Gefährten zusammen und sie erzählten sich Geschichten über unbelebte Dinge, welche Befehle befolgten. Im Raum stand auch ein Sofa.

„Ein Beispiel“, sagte Dhu ‘l-Nun, „wäre, wenn ich diesem Sofa befehlen würde, um das Haus herumzulaufen und es diesem Befehl nachkäme.“

Dhu ‘l-Nun hatte noch nicht ausgesprochen als das Sofa sich in Bewegung setzte und das Haus zu umrunden begann und sich anschließend wieder auf seinen Platz zurück begab. Ein anwesender junger Mann brach in Tränen aus als er dies sah und gab darauf seinen Geist auf. Sie wuschen seinen Leichnam auf genau diesem Sofa und begruben ihn.

Eines Tages kam ein Mann zu Dhu ‘l-Nun und sagt, „Ich bin verschuldet und nicht in der Lage meine Schulden zu bezahlen.“ Dhu ‘l-Nun hob einen Stein vom Boden auf und gab ihn dem Mann. Dieser trug ihn zum Basar und verkaufte ihn um 400 Dirhams, denn er war zu einem Smaragd gewor­den und bezahlte seine Schulden.

Ein bestimmter junger Mann hetzte immerfort gegen die Sufis.

Eines Tages nahm Dhu ‘l-Nun seinen Ring vom Finger und überreichte ihn diesem Jungen.

„Bringe ihn auf den Markt und biete ihn um einen Dinar an“, sagte er zu ihm.

Der Junge trug den Ring zum Markt, doch keiner wollte mehr als einen Dirham dafür bezahlen. Mit dieser Nachricht kehrte der junge Mann zurück.

„Nun bringe ihn zu den Juwelieren und siehe auf welchen Wert sie ihn schätzen“, trug Dhu ‘l-Nun ihm auf.

Die Juweliere taxierten den Ring auf etwa eintausend Dinar.

„Du weißt über die Sufis in etwa so gut Bescheid“, sagte Dhu ‘l-Nun, „wie diese Stallbur­schen auf dem Markt über diesen Ring Be­scheid wissen.“

Der Junge bereute und legte sein Misstrauen gegenüber den Sufis ab.

Dhu ‘l-Nun hatte seit zehn Jahren Verlangen nach Sekbaj und doch diesem Begehren niemals nachgegeben. Nun war der Abend des Feiertages gekommen und seine Seele flüsterte ihm zu, „Na, wie wäre es, wenn du uns Morgen einen mundvoll Sekbaj als Feiertagsgeschenk vergönnen würdest?“

„Seele“, antwortete Dhu ‘l-Nun, „wenn du von mir verlangst, dir diesen Wunsch zu erfüllen, dann sei mit mir heute Nacht einverstanden in zwei Rakats den ganzen Qur’an zu rezitieren.“

Seine Seele war einverstanden. Am nächsten Tag bereitete Dhu ‘l-Nun Sekbaj vor und stellte es seiner Seele vor die Nase. Er wusch seine Finger und begab sich ins Gebet.

„Was geschah dann?“ wurde er gefragt.

In diesem Moment sagte meine Seele zu mir „Wenigstens nach zehn Jahren habe ich das Ziel meines Begehrens erreicht.“ „Bei Gott“, antwortete ich, „du wirst dieses Ziel nicht erreichen.“

Der Erzähler dieser Geschichte berichtete, dass einen Moment, nachdem Dhu ‘l-Nun dies gesagt hatte, ein Mann das Zimmer betrat und einen Topf Sekbaj vor ihn stellte.

„Meister“, sprach er, „ich komme nicht aus eigenem, sondern wurde gesandt. Lass es mich erklären. Ich verdiene meinen Lebensunterhalt als Lastenträger und habe Kinder. Seit einiger Zeit schon bitten sie mich  um Sekbaj zum Feiertag. Ich hatte also dafür gespart und letzte Nacht Sekbaj zum Feiertag zubereitet. Heute begegnete mir im Traum die weltentrückende Schönheit des Gesandten Gottes der zu mir sprach. „Bring dies dem Dhu ‘l-Nun und richte ihm aus, dass Muhammad, der Sohn des Abd Allah, der Sohn des Abd al-Muttalib ihn bittet, einen Moment Waffenstillstand mit seiner Seele schließen und einige Mund­voll davon zu nehmen.“

„Ich gehorche“, sagte Dhu ‘l-Nun unter Tränen.

Als Dhu ‘l-Nun auf seinem Sterbebett lag fragten ihn seine Freunde, „Was wünscht du?“

„Mein Wunsch ist“, antwortete er, „dass bevor ich sterbe, und sei es nur für einen kleinen Moment, ich Ihn erkennen könnte.“

Und dann sprach er folgende Verse.

Die Furcht hat mich verbraucht

Mein Sehnen hat mich aufgelöst

Die Liebe mich betört

Gott mich ins Leben hat zurückgebracht

Einen Tag später verlor er das Bewusstsein. Und an dem Tag, an welchem er diese Welt verließ, sahen siebzig Menschen den Propheten im Traum und alle berichteten, dass der Prophet gesagt hatte, „Der Freund Gottes kommt ich komme um ihn zu begrüßen.“

Als er starb erschienen in grüner Schrift folgende Worte auf seinen Augenbrauen, „Dies ist der Freund Gottes. Er starb in Liebe für Gott. Er ist das Opfer durch das Schwert Gottes.“

Als sie seinen Sarg zu Grabe trugen, war es sehr heiß. Die Vögel aus der Luft kamen angeflogen und fächelten mit ihren Flügeln kühlen Wind seinem Leichnam zu, bis er von seinem Haus zum Friedhof getragen worden war.

Als er nun auf seinem letzten Weg unterwegs war, rief ein Muezzin zum Gebet und als dieser zum Einheitsbekenntnis kam, hob Dhu ‘l-Nun seinen Finger aus dem Leichentuch.

„Er lebt!“ erschallte der Ruf und sie stellten den Leichnam nieder. Der Finger blieb erhoben, doch er war tot und wie sehr sie sich auch bemühten, sie konnten den Finger nicht zurück biegen. Als die Leute aus Ägypten davon Kunde erhielten, schämten sie sich für alles was sie ihm Übles angetan hatten. Sie verrichteten noch Dinge über seinem Staub, über die man gar nicht sprechen kann.

 

 

 

Abu Yazid al-Bistami

 

Abu Yazid Taifur ibn ‘Isa ibn Sorushan al-Bistami wurde als Enkel eines Zoroastriers in Bistam, im nordöstlichen Persien geboren, wo er auch 261 (874) oder 264 (877) starb. Sein Mausoleum steht immer noch dort. Als Begründer der ekstatischen (trunkenen) Schule im Sufitum ist er für die Kühnheit bekannt, mit welcher er den Zustand der vollkom­menen Auflösung in der göttlichen Sphäre zum Ausdruck brachte. Be­sonders die Beschreibung einer Reise in den Himmel (eine An­­­­­­­­­­lehnung an die Himmelfahrt des Propheten) wurde von Verfassern späterer Werke intensiv weiter bearbeitet und beeinflusste die Vorstellung jener, die nach ihm kamen ganz außerordentlich.

 

Abu Yazids Geburt und frühen Jahre

 

Abu Yazid al-Bistamis Großvater war ein Zoroastrer und sein Vater einer der führen­den Bürger Bistams. Abu Yazids außergewöhnliche Laufbahn begann bereits im Leib seiner Mutter.

„Jedes Mal wenn ich einen zweifelhaften Bissen in den Mund steckte,“ pflegte seine Mutter ihm zu erzählen, „hast du in meinem Bauch zu strampeln begonnen und erst wieder damit aufgehört, wenn ich diesen Bissen aus dem Mund nahm.“

Diese Geschichte wird von Abu Yazid selbst bestätigt.

„Was ist das Beste für einen Mann auf dem Weg?“ wurde er gefragt.

„Angeborenes Glück“, gab er zur Antwort.

„Und wenn dies fehlt?“

„Ein starker Körper.“

„Und wenn der schwach ist?“

„Ein aufmerksames Gehör.“

„Und ohne solches?“

„Ein wissendes Herz.“

„Und ohne dieses?“

„Ein sehendes Auge.“

„Und wenn dies auch fehlt?“

„Ein schneller Tod!“

Wie es sich gehörte, schickte ihn seine Mutter zur Schule. Er erlern­te dort den Qur’an und eines Tages erklärte sein Meister die Bedeutung eines Verses der Sure Luqman. „Seid Mir dankbar und euren Eltern.“ Diese Worte berührten Abu Yazids Herz.

„Meister“, sagte er und legte seine Tafel nieder, „erlaubt mir nach Hause zu gehen und einige Worte an meine Mutter zu richten.“

Der Lehrer erteilte die Erlaubnis und Abu Yazid ging nach Hause.

„Warum, Taifur“, rief seine Mutter, „warum bist du nach Hause gekommen? Haben sie dir ein Geschenk gemacht oder hat es irgend­einen anderen besonderen Grund?“

„Nein“, erwiderte Abu Yazid, „wir haben den Vers besprochen, in welchem mir Gott aufgetragen hat Ihm und Dir zu dienen. Ich kann doch nicht in zwei Häusern gleichzeitig den Dienst versehen und so hat es mich zu einem Entschluss gedrängt. Entweder bittest du Gott um mich, so dass ich völlig dir gehöre oder übergibst mich Gott, so dass ich vollkommen in Ihm wohnen kann.“

„Mein Sohn”, sagte darauf seine Mutter, „ich überlasse dich Gott und entbinde dich deiner Pflichten mir gegenüber. Geh und sei Gottes.“

„Die Aufgabe welche ich als die hintergründigste erachtete, erwies sich als die vordergründigste“, erinnerte sich Abu Yazid später.

„Und zwar war dies meiner Mutter zu gefallen. Dadurch dass ich meiner Mutter Ehre erwies, erreichte ich all das, was ich durch meine vielen Taten der Selbstdisziplinierung und gottesdienstlichen Handlungen zu erreichen suchte und dies trug sich zu wie folgt. Eines Nachts bat mich meine Mutter um ein Glas Wasser. Ich ging um welches zu holen, doch der Krug war leer. Ich nahm den Eimer, doch dieser war ebenfalls leer und so ging ich zum Fluss um den Eimer zu füllen. Als ich im Haus zurück war, war meine Mutter wieder eingeschlafen.

„Es war eine kalte Nacht. Ich behielt den Krug in meiner Hand und als meine Mutter erwachte, trank sie etwas Wasser und segnete mich. Da bemerkte sie, dass der Krug an meiner Hand angefroren war. „Warum hast du den Krug nicht beiseite gestellt?“ rief sie. „Ich hatte Angst dass du aufwachen würdest, wenn ich gerade nicht da wäre“, antwortete ich. „Lass die Tür halb offen“, sagte meine Mutter darauf.

Ich gab fast bis zur Morgendämmerung darauf acht, ob die Türe wohl auch halb offen bliebe und ich die Anordnung meiner Mutter nicht unbeachtet ließ. Und zur Stunde der Morgendämmerung, trat das was ich so inniglich und vielmals ersehnt hatte, durch diese Türe ein.“

Nachdem seine Mutter ihn Gott überlassen hatte, verließ Abu Yazid Bistam und zog vierzig Jahre im Land umher und disziplinierte sich selbst mit ununterbrochnem Wachsein und Hunger. Er suchte hundertdreizehn geistige Vorbilder auf und lernte von ihnen allen.

Unter ihnen war einer namens Sadiq. Er saß zu dessen Füßen, als ihn der Meister plötzlich aufforderte, „Abu Yazid bring mir das Buch, welches am Fenster liegt.“

„Fenster? Welches Fenster?“ fragte Abu Yazid.

“Was”, sagte der Meister, “jetzt bist du schon so oft hier her gekommen  und hast das Fenster nicht gesehen?“

„Nein,“ antwortete Abu Yazid, „was habe ich mit dem Fenster zu tun? Wenn ich hier her vor dich komme, verschließe ich meine Augen vor allem anderen und komme nicht dazu herumzuschauen.“

„Wenn das so ist“, sagte sein Lehrer, „geh zurück nach Bistam, deine Arbeit hier ist abgeschlossen.“

Man hatte Abu Yazid von einem herausragenden Lehrer an einem gewissen Ort erzählt. So ging er weit, um diesen aufzusuchen. Als er ganz in seiner Nähe war, sah er diesen in Richtung Mekka spucken und darauf hin kehrte er auf der Stelle um.

„Wenn er auch nur irgendetwas auf dem Pfad erreicht hätte“, merkte er an, „hätte er sich niemals der Überschreitung der Gesetzlich­keit schuldig gemacht.“

In diesem Zusammenhang wird erzählt, dass sein Haus vierzig Schritte von der Moschee entfernt war und er niemals aus Respekt vor der Moschee auf die Strasse spuckte.

Abu Yazid braucht zwölf ganze Jahre um die Kaaba zu erreichen. Dies deshalb, weil er an jedem Gebetsplatz anhielt, seinen Gebetsteppich ausrollte und zwei Rakats betete.

Dass ist nicht der Hof eines weltlichen Königs“, pflegte er zu sagen, „dass man in einem Stück gleich hinlaufen könnte.“

Letztlich erreichte er doch die Kaaba. Allerdings gelangte er im gleichen Jahr nicht mehr nach Medina.“

„Es wäre nicht gehörig, diesen Besuch einfach anzuhängen“, erklärte er, „ich werde eigene Pilgerkleider für die Reise nach Medina anlegen.“

Das nächste Jahr kehrte er wieder zurück, und legte das Pilgerkleid extra am Rande der Wüste an. Als er auf seiner Reise durch eine bestimmte Stadt kam, schlossen sich ihm eine Menge Leute an und zogen hinter ihm her.

„Wer sind diese Menschen?“ wollte er wissen mit einem Blick zurück.

„Sie wünschen in Deiner Gegenwart zu sein“, kam die Antwort.

„Herr und Gott!“ rief Abu Yazid, „ich bitte Dich, verberge Dich vor Deinen Geschöpfen nicht durch mich!“

Alsdann wollte er deren Liebe zu ihm aus ihren Herzen vertreiben und um das Hindernis seiner selbst aus ihrem Pfad zu entfernen, sprach er nach dem Abendgebet folgendes zu ihnen, „Wahrlich ich bin Gott; und es gibt keinen anderen Gott als mich; daher dienet mir!“

„Der Mann ist verrückt geworden“, schrieen sie und verließen ihn sofort.

Abu Yazid setzte seinen Weg fort und fand einen Schädel auf dem geschrieben stand: Taub, stumm und blind – sie verstehen nicht.

Mit einem Aufschrei hob er den Schädel auf und küsste ihn.

„Das scheint der Schädel eines Sufis zu sein“, murmelte er, „der in Gott aufgegangen ist - er hat kein Ohr die weltliche Stimme zu vernehmen, kein Auge die vergängliche Schönheit zu erblicken, keine Zunge die Erhabenheit Gottes zu preisen und keinen Verstand, um so viel wie eine Motte vom wahren Wissen um Gott zu begreifen. Dieser Vers beschreibt ihn.“

Eines Tages war Abu Yazid mit einem Kamel unterwegs, dem er einen Sattel mit seiner Verpflegung aufgebunden hatte.

„Armes kleines Kamel, das so schwer zu tragen hat“, rief jemand, „das ist wirklich grausam!“

Nachdem Abu Yazid dies immer wieder und wieder anhören musste, antworte schließlich.

„Junger Mann, es ist nicht das Kamel, welches diese schwere Last zu tragen hat.“

Der Mann kam, um betätigt zu sehen, dass natürlich das Kamel die Last zu tragen hatte. Er bemerkte jedoch, dass die Last eine Spanne über des Kamels Rücken schwebte und das Kamel kein bisschen davon verspürte.

„Ehre sei Gott, ein Wunder!“ rief der junge Mann.

„Wenn ich die Wahrheit vor dir verberge, dann zerreißt du deine Zunge in Widerrede“, sagte Abu Yazid, „und wenn ich sie dir offenbare, kannst du sie nicht ertragen. Was soll man mit einem wie dir machen?“

Nachdem Abu Yazid Medina besucht hatte, erhielt er den Befehl zurückzu­kehren und sich um seine Mutter zu kümmern. Sofort machte er sich auf den Weg nach Bistam, von einer Menge Leute begleitet. Die Nachricht verbreitete sich schnell in der Stadt und die Bewohner Bistams kamen eine gute Strecke vor die Stadt, um ihn zu begrüßen. Abu Yazid war nahe daran durch ihr Tun von seiner Gottesaufmerksamkeit abgelenkt zu werden. Als sie bei ihm angelangt waren, nahm er einen Laib Brot aus seinem Ärmel und begann zu essen, obgleich man den Monat Ramadhan schrieb. Als die Leute dies bemerkten, wendeten sie sich sofort wieder von ihm ab.

„Habt ihr gesehen“, wandte sich Abu Yazid an seine Begleiter, „ich habe mich an die Vorschrift des geheiligten Gesetzes gehalten und all diese Leute haben mich zurückgewiesen.“

Geduldig warte er bis zum Sonnenuntergang. Mitternacht betrat er Bistam, begab sich zu seiner Mutter Haus und blieb eine Weile lauschend davor stehen. Er hörte das Geräusch davon, dass seine Mutter die Gebetswaschung vollzog und sich ins Gebet begab.

„Herr und Gott, kümmere Dich um diesen Auswanderer. Mache die Herzen der Scheichs ihm gewogen und leite ihn an, alle Dinge gut zu verrichten.“

Abu Yazid weinte, als er diese Worte vernahm. Dann klopfte er an die Tür.

„Wer ist da?“ rief seine Mutter.

„Dein Auswanderer,“ gab er zur Antwort.

Mit Tränen in den Augen öffnete seine Mutter. Ihr Augenlicht war getrübt.

Taifur“, sprach sie ihren Sohn an, „weißt du, was mir das Augen­licht genommen hat? Meine vielen Tränen die ich vergossen habe, weil ich von dir getrennt war. Und mein Rücken ist zweifach gekrümmt von der Last der Sorge, welche ich ertragen habe.“

 

Die Erhebung Abu Yazids

 

Abu Yazid erzählt folgendes.

Ich blickte auf Gott mit dem Auge der Gewissheit, nachdem Er mich auf die Stufe der Unabhängigkeit von allen Geschöpfen erhoben und mein Herz mit Seinem Licht erleuchtet, mir die Wunder Seiner Geheim­nisse und die Erhabenheit seines ER-SEINS enthüllt hatte.

Nach der Betrachtung Gottes wandte ich den Blick auf mich selbst. Mein Licht war Dunkelheit im Vergleich zum Licht Gottes, meine Erhabenheit versank in Nichts im Gegensatz zu Gottes Größe und meine Ehre in Anmaßung im Vergleich zur Ehre Gottes. Hier war alles Rein­heit, alles ohne Makel.

Als ich erneut schaute, sah ich mein Selbst in Gottes Licht und ich verstand, dass mein Ruhm Seine Erhabenheit, Sein Ruhm war. Was immer ich tat, ich tat es durch Seine Allmacht. Was immer das Auge meines physischen Körpers erblickte, sah es durch Ihn. Ich schaute mit dem Auge der Gerechtigkeit und Wirklichkeit; all meine Anbetung geht von Gott aus, nicht von mir, obgleich ich immer angenommen hatte, dass ich es wäre, welcher den Gottesdienst verrichtete.

Ich sprach „Gott – was ist das?“

„All das bin Ich – es gibt nichts außer Mir.“

Dann drang Er in mein Auge ein, damit es der Welt nicht mehr gewahr wäre und unterrichtete meiner Augen Blick das Wesen der Dinge wahrzunehmen, das Sein Seines Seins. Er löschte mich meinem Selbst aus und machte mich ewig durch Seine Ewigkeit und erhob mich. Er offenbarte mir Sein eigenes Selbst, ungetrübt durch meine eigene Existenz. So hat Gott, die eine Wahrheit, in mir die Wirklichkeit ver­mehrt. Durch Gott erblickte ich Gott und gewahrte Seine Wirklichkeit. In diesem Zustand verweilte ich für eine Weile in höchster Freude. Mein angestrengtes Ohr machte ich dicht. Die Zunge der Sehnsucht steckte ich in die Kehle der Enttäuschung. Das erworbene Wissen schickte ich in die Verbannung und entfernte die Einmischung der Seele, welche sich um das Schlechte bemüht. Dann hielt ich still für eine Weile, und mit der Hand Gottes Güte, wischte ich alles Überflüssige vom Pfad der grundlegenden Prinzipien. Gott hatte Erbarmen mit mir und gewährte mir ewiges Wissen und pflanzte mir eine Zunge aus Seiner Güte ein Für mich erschuf Er ein Auge aus Seinem Licht und ich sah alle Geschöpfe durch Gott. Mit der Zunge Seiner Güte sprach ich mit Gott und aus dem Wissen Gottes bezog ich Wissen und durch Sein Licht erblickte ich Ihn.

Er sprach: „O du alles ohne allem, mit allem, ohne Mittel mit allen Mitteln!“

Ich sagte: „O Gott, lass mich durch solches nicht irregehen. Lass mich mit meinem eigenen Sein nicht selbstzufrieden werden, und mich nicht mehr nach Dir sehnen. Besser ist es, wenn Du mein ohne mich bist, als ich wäre mein ohne Dich. Besser ist es, dass ich zu Dir durch Dich spreche, als wenn ich zu mir selbst ohne Dich spräche.“

Er sprach, „Nun hör das Gesetzt und überschreite nicht Meine Gebote und Meine Verbote, dass deine Bemühungen Unseren Dank verdienen.“

Ich sagte, „Insoweit ich den Glauben bekenne und mein Herz ihn bestätigt, ist es besser, wenn Du Dir selbst dankst, denn Deinem Sklaven und wenn Du Vorwürfe machst, so bist Du frei von allem Vorwurf.“

Er sagte, „Von wem hast du gelernt?“

Ich sagte, „Der Fragende weiß darüber besser Bescheid als der Befragte, denn Er ist sowohl der Begehrende als auch der Begehrte, er ist der, dem die Antwort gegeben wird und der welcher die Antwort gibt.“

Nachdem Er die Reinheit meiner innersten Seele erkannte, vernahm meine Seele einen Ruf der Befriedigung Gottes; Er beschloss Sein Wohl­ge­fallen über mich. Er erleuchtete mich und befreite mich aus der Dunkelheit der fleischlichen Seele und der Verderbnis fleischlicher Natur. Ich wusste, dass ich durch Ihn lebte; durch Seine Gnade der Teppich der Glückseligkeit sich in meinem Herzen entrollte.

Er sagte, „Bitte worum du auch immer willst.“

Ich sagte, „Ich wünsche nur Dich, denn Du bist größer als jedes Geschenk, gewaltiger als jede Großzügigkeit und durch Dich habe ich habe ich die Zufriedenheit in Dir gefunden. Seit Du mein bist, habe ich meinen Wunschzettel zusammengefaltet. Halte mich nicht von Dir fern und biete mir nicht mir solches an, was geringer ist als Du.“

Eine ganze Weile bekam ich keine Antwort. Alsdann setzte Er mir die Krone der Freigebigkeit aufs Haupt und sprach, „Du sprichst die Wahrheit und die Wirklichkeit erstrebst du – und soweit hast du die Wirklichkeit gesehen und die Wahrheit gesprochen.“

Ich sagte, “Wenn ich gesehen habe, habe ich durch Dich gesehen und wenn ich gehört habe, so geschah dies durch Dich. Du bist der Erste der hört, dann erst hörte ich.“

Und auf mannigfaltige Weise pries ich Ihn. Daraufhin verlieh er mir die Flügel der Majestät, mit welchen ich in die Gefilde Seiner Erhaben­heit entschwebte und die Wunder Seiner Fertigkeiten betrachtete. In Kenntnis meiner Schwäche und Bedürftigkeit verlieh Er mir aus Seiner Kraft und umgab mich mit Seinem Schutz der Zierde.

Er setzte mir die Krone der Freigebigkeit aufs Haupt und eröffnete mir das Tor Seiner Ein- und Einzigkeit. Als Er erkannte, dass meine Eigen­schaften in den Seinen aufgegangen waren, schmückte Er mich mit einem der Namen Seiner Gegenwart und sprach mit Seinem Selbst an. Die Einzigkeit wurde wirklich und Dualität verschwand.

Er sagte, „Unser Wohlgefallen ist dein Wohlgefallen und dein Wohl­ge­fallen ist Unser Wohlgefallen. Deine Rede lässt kein Schändung zu und niemand zieht dich aufgrund Deiner Ich-heit zur Verantwortung.“

Dann ließ er mich den Stich der Eifersucht schmecken und alsdann belebte Er mich erneut und in Reinheit entstieg ich dem Schmelzofen der Prüfung. Dann sprach Er.

„Wessen ist das Königreich.“

Ich sagte, “Dein.”

“Wessen ist der Befehl?”

Ich sagte, “Dein.”

Er sagte, „Wessen ist die Entscheidung?“

Ich sagte, “Dein.”

Da diese Worte genau die gleichen waren, als jene zu Beginn dieser Unterhaltung, wünschte Er mir zu zeigen, dass, ginge Seine Barmherz­igkeit über alles, fände die Schöpfung keine Erlösung und wäre es nicht der Liebe willen, hätte die Allmacht vollkommene Zerstörung über die Schöpfung gebracht. Er betrachtete mich durch das Auge der Überwäl­ti­gung durch das Medium des Allbezwingenden, sodass erneut keinerlei Spur von mir selbst zu finden war.

In meiner Trunkenheit warf ich mich in jedes Tal. Ich schmolz meinen Körper in jedem feurigen Schmelztiegel Feuer der Eifersucht. Ich galoppierte auf dem Ross des Strebens über die Ebene der Wildnis

Ich fand keine bessere Jagdbeute als äußerste Bedürftigkeit, nichts Besseres fand ich als die völlige Unfähigkeit. Keine Lampe sah ich heller leuchten denn das Schweigen, keine bessere Rede vernahm ich als die der Sprachlosigkeit. Bewohner im Palast des Schweigens wurde ich; ich kleidete mich im Wams der Glückseligkeit, bis die Dinge ihre Ent­schei­dung fanden. Er fand mein Äußeres und Inneres bar des Mangels fleischlicher Natur. Er öffnete einen Riss der Erleichterung in meiner verdunkelten Brust und verlieh mir eine Zunge der Trennung und Einheit. So ist nun endlich die Zunge der ewiglichen Gnade mein, ein Herz göttlichen Lichts und ein Auge göttlicher Machart. Durch Seine Hilfe spreche ich, durch Seine Kraft greife ich. Und da durch Ihn ich lebe, werde ich niemals sterben.

Da ich diese Station erreicht habe, ist mein Merkmal ewiglich; mein Ausdruck für immer andauernd; meine Sprache die Sprache der Einheit, mein Geist der Geist der Vielheit und Trennung. Nicht aus eigenem rede ich, bloß als Erzähler, nicht aus eigenem rede ich, als ein sich bloß Erinnernder. Er bewegt meine Zunge, gerade wie es Ihm beliebt und in all dem bin ich nur ein Übersetzer. In Wahrheit ist Er der Redner und nicht ich.

Mich nun erhöht habend, sprach Er wieder.

„Die Geschöpfe sehnen sich danach dich zu sehen.“

Ich sprach „Ich sehne mich nicht danach sie zu sehen. Wenn Du beschließt, mich den Geschöpfen vorzuführen, so werde ich mich Dir nicht widersetzen. Hülle mich in Deine Einheit, sodass, wenn Deine Geschöpfe mich anblicken und Dein Handwerk erkennen, sie den Künstler erblicken und ich gar nicht vorhanden bin.“

Diesen Wunsch erfüllte Er mir; und er setzte mir die Krone der Freigebigkeit auf mein Haupt und veranlasste mich, den Zustand meiner fleischlichen Natur zu überwinden.

Dann sagte Er, „Tritt vor Meine Geschöpfe.“

So trat ich einen Schritt aus der Gegenwart und beim zweiten Schritt fiel ich kopfüber. Ich vernahm einen Ruf.

„Bringt Meinen Geliebten zurück, denn er kann ohne Mich nicht sein und auch kennt er keinen Weg außer den zu Mir.“

Abu Yazid erzählte auch folgendes.

Als ich das erste mal in die Einheit trat und sie erkannte – lief ich für viele Jahre in diesem Tal auf den Füssen des Verstehens, bis ich zu einem Vogel wurde, dessen Körper aus Einheit gemacht war und dessen Schwingen aus Ewigkeit bestanden. Ich flog lange durchs Firma­ment der Bedingungslosigkeit und als ich den geschaffenen Dingen ent­schwand, sprach ich.

„Ich bin zum Schöpfer gelangt.“

Darauf erhob ich meinen Kopf aus dem Tal der Herrschaft. Ich stürzte einen Becher hinunter gegen den Durst der in aller Ewigkeit nie gestillt wird. Dann flog ich dreißigtausend Jahre in der Weite Seiner Einheit und weitere dreißigtausend Jahre flog ich in Seiner Göttlichkeit und noch­mals dreißigtausend Jahre in Seiner Einzigkeit. Als neunzig­tausend Jahre vergangen waren, sah ich Abu Yazid und alles was ich sah, war – ich war alles.

Darauf durchquerte ich viertausend Wildnisse und kam ans Ende. Als ich aufblickte, erkannte ich mich am Anfang der Stufe der Prophet­en­­schaft. Eine ganze Weile bewegte ich mich in dieser Ewigkeit weiter bis ich sprach, „Niemand gelangte jemals höher. Erhabener als diese Position kann keine sein.“

Als ich genauer hinsah, bemerkte ich, dass mein Kopf sich unter der Fußsohle eines Propheten befand. Da erkannte ich, dass die höchste Stufe der Heiligen bis zum Anfang der Stufe der Propheten reicht. Der Zustand über der Stellung der Propheten kennt keine Bezeichnung.

Dann durchdrang mein Geist das ganze jenseitige Reich, und Himmel und Hölle erschienen ihm, doch nichts geschah, was er nicht ertragen konnte. An keiner Seele eines Propheten zog er vorbei, ohne ihm den Gruß zu entbieten und als er an die Seele des von Gott Erwählten kam, Friede sei mit ihm, erblickte er hunderttausend uferlose Meere aus Feuer und tausend Schleier aus Licht. Wäre ich auch nur mit einem Zeh in eines dieser Meere eingetaucht, so wäre ich der vollstän­digen Vernichtung überantwortet worden. Das erfüllte mich so mit Furcht und Verwirrung, dass rein gar nichts mehr von mir übrig blieb. Dennoch wünschte ich, nur den Zeltpflock von Muhammad, Gottes Gesand­ten, Pavillon sehen zu können. Ich getraute mich nicht. Obwohl ich an Gott gelangt war, hatte ich nicht den Mut, an Muhammad heran­zu­treten.

Dann sagte Abu Yazid. „O Gott, jedes Ding das ich sah, war ich. Es gibt keinen Weg zu Dir, solange dieses “ich” noch vorhanden ist. Es gibt keinen Weg für mich, mein Selbst zu überkommen. Was muss ich tun?“

Der Befehl kam, „Um aus Deiner „Duheit“ befreit zu werden, folge unserem Geliebten, dem Araber Muhammad. Salbe dein Auge mit dem Staub seiner Füße und folge ihm weiter nach.“

 

Abu Yazid und Yahya-e Mu’adh

 

Yahya-e Mu’adh schrieb einen Brief an Abu Yazid und fragte, „Was sagst du zu einem Mann, der einen Becher Wein geleert hat und von Ewigkeit zu Ewigkeit davon trunken wurde?“

Abu Yazid antwortete, „Das weiß ich nicht. Was ich aber weiß ist, dass es hier einen Mann gibt, der in einer einzigen Nacht, einem einzigen Tag all die Meere der Ewigkeit geleert hat und dann nach mehr verlangt hat.“

Yahya-e Mu’adh schrieb zurück, „Ich muss dir ein Geheimnis sagen, doch unser Treffen wird im Paradies stattfinden. Dort im Schatten von Tuba, will ich es dir sagen.“ Und mit dem Brief schickte er einen Laib Brot mit der Botschaft, „Der Scheich muss davon nehmen, denn ich habe es mit Zamzam Wasser geknetet.“

In seiner Antwort sagte Abu Yazid in Hinblick auf Yahyas Geheimnis, „Was das Treffen anlangt, das du erwähnst, ich erfreue mich schon jetzt – im Gedenken Seiner - des Paradieses und des Schatten des Baumes. Und was das Brot betrifft, so kann ich davon nicht nehmen. Du hast zwar erwähnt mit welchem Wasser du es geknetet hast, doch nicht aus welchem Samen, den du gesät hast.“

Yahya-e Mu’adh überkam nun ein großes Verlangen Abu Yazid zu besuchen. Er kam bei ihm eine Stunde vor dem Nachtgebet bei ihm an.

„Ich konnte den Scheich aber nicht stören,“ erinnerte sich Yahya, „doch gleichzeitig konnte ich mich nicht bis zum Morgen gedulden. Also begab ich mich an den Ort in der Wüste, an dem mir gesagt worden war, dass er sich befände. Dort sah ich den Scheich das Gebet vor dem Schlafengehen verrichten, doch er blieb bis zum Morgen auf seinen Zehen­spitzen stehen. Wie angewurzelt war ich voller Staunen und verfolgte die ganze Nacht hindurch seine Andacht. Als der Morgen anbrach, hörte ich ihn folgende Worte sprechen, „Ich nehme Zuflucht bei Dir, Dich um diese Position zu bitten.“

Yahya riss sich zusammen und grüßte Abu Yazid und fragte ihn, was ihm denn in dieser Nacht widerfahren wäre.

„Mehr als zwanzig Zustände wurden mir vorgeführt, „gab Abu Yazid ihm Auskunft, „doch ich begehre nicht einen von ihnen, denn sie sind alle Zustände der Verschleierung.“

„Meister, warum hast du Gott nicht um Gnosis gebeten, Er ist doch der König der Könige, der sagte: „Bittet Mich worum immer ihr wollt“? begehrte Yahya zu wissen.

„Sei still“, rief Abu Yazid, „ich bin auf mich selbst eifersüchtig, Ihn zu kennen, da ich nichts anderes wünsche, als dass nur Er sich Selbst kenne. Wo Sein Wissen ist, was habe ich dabei verloren? Das ist in Wirklichkeit Sein Wunsch, Yahiya, nur Er und niemand anders, soll Ihn kennen.“

„Bei der Erhabenheit Gottes,“ verlangte Yahya, „gib mir einen Teil jenes Gabe, welche dir letzte Nacht zuteil wurde.“

„Wenn dir gegeben wäre die Vorzüglichkeit Adams, die Heiligkeit Gabriels, die Freundschaft Abrahams, die Sehnsucht des Moses, die Reinheit Jesu und die Liebe Muhammads, „gab Abu Yazid zurück, “wäre dein Verlangen immer noch nicht gestillt. Nach mehr, welches alles übersteigt wäre dein Begehr. Halte deine hohe Vision aufrecht und steige nicht von ihr herab; denn wohin auch immer du dich herab begibst, von dem wirst du verdeckt.“

 

Abu Yazid und seine Schüler

 

Es gab zu Abu Yazids Zeit einen außergewöhnlichen Asketen, der als Heiliger Bistams galt. Er hatte seine eigenen Schüler und Bewunderer und gleichzeitig blieb er nie dem Kreis um Abu Yazid fern, hörte all seinen Reden zu und saß unter dessen Gefährten. Eines Tages sagte er zu Abu Yazid, „Meister, heute sind es dreißig Jahre, dass ich ununterbrochen das Fasten einhalte. Auch bete ich in der Nacht, sodass ich niemals schlafe, und dennoch entdecke ich keine Spur jenes Wissens von dem du sprichst. Ich glaube an dieses Wissen über alles und liebe es darüber zu hören.“

„Selbst wenn du dreihundert Jahre lang fastest“, antwortete Abu Yazid, „wirst du kein Fünkchen dieses Wissens entdecken.“

„Warum?“ fragte der Schüler.

„Weil du durch dein eigenes Selbst verhüllt bist“, gab Abu Yazid zurück.

„Was kann man dagegen tun?“ wollte der Mann wissen.

„Niemals wirst du dies annehmen,“ antwortete Abu Yazid.

„Doch das werde ich“, widersprach der Mann, „also sag es mir, damit ich mich entsprechend verhalte.“

„Also gut“, sagte Abu Yazid, „dann geh sofort und lasse dir deine Haare und deinen Bart abschneiden. Zieh diese Kleider aus, die du anhast und binde dir ein Hüfttuch aus Ziegenfell um. Hänge dir ein Säckchen voller Nüsse um den Hals, geh dann auf den Marktplatz, rufe alle Kinder zu dir und sag ihnen, dass du jedem von ihnen eine Nuss geben wirst der dich schlägt. Auf diese Weise gehe durch die ganze Stadt, besonders dorthin wo man dich kennt. Das ist dein Heilmittel.“

„Alles Lob gebührt Gott! Es gibt keinen Gott außer Gott“, rief der Schüler, als er diese Worte gehört hatte.

„Wenn ein Ungläubiger diese Worte gerufen hätte, würde er ein Gläubiger geworden sein“, merkte Abu Yazid an, „aber du bist durch deinen Ausruf zu einem Polytheist geworden.“

„Warum das?“ wollte der Schüler wissen.

„Weil du dich selbst als zu erhaben einschätzt um das zu tun, was ich dir gesagt habe“, erklärte Abu Yazid, „Dadurch bist du zu einem Polytheisten geworden. Du hast diesen Ausruf getan, um deine eigene Bedeutung hervorzuheben, nicht um Gott zu loben.“

„Das kann ich nicht tun“, protestierte der Mann, „gib mir eine andere Empfehlung.“

„Das Heilmittel für dich habe ich dir genannt“, erklärte Abu Yazid.

„Ich kann das nicht tun“, wiederholte der Mann.

„Habe ich dir nicht gleich gesagt, du würdest es nicht tun können, dass du mir nicht gehorchen würdest?“ sagte Abu Yazid.

 

Geschichten über Abu Yazid

 

„Zwölf Jahre lang“, sagte Abu Yazid, „war ich der Schmied meiner Seele. Ich warf sie in den Schmelzofen der Disziplin und ließ sie von brennender Anstrengung glühend rot werden., dann legte ich sie auf den Amboss des Wiederantritts und klopfte sie mit dem Hammer der Selbstanklage, bis ich aus meiner Seele einen Spiegel geschmiedet hatte. Fünf Jahre lang war ich mein eigener Spiegel, den ich mit jedem Mittel der guter Tat und des Gehorsams polierte. Danach betrachtete ich mein Spiegelbild ein Jahr lang und entdeckte um meine Hüften einen Gürtel des Selbstbetrugs, der Einbildung und Ichsucht, denn ich hatte mich auf meine guten Taten verlassen und mein Betragen gut geheißen. Weitere fünf Jahre hatte ich zu arbeiten, bis ich diesen Gürtel abgelegt hatte und wieder ein neuer Muslim geworden war. Ich betrachtete die Geschöpfe und entdeckte, dass sie tot waren. Ich sprach vier Allahu Akbar über sie und nachdem ich von ihren Totenfeiern zurückgekehrt war, ohne die Drängelei der Geschöpfe Gottes, gelangte ich zu Gott

Und Immer wenn Abu Yazid an eine Moscheetür gelangte, blieb er weinend eine Weile davor stehen.

„Warum tust du so?“ wurde er gefragt.

„Ich fühle mich wie eine menstruierende, die sich schämt die Moschee zu betreten“, antwortete er.

Eines Tages brach Abu Yazid auf eine Reise nach dem Hedjaz auf, doch kaum war er aufgebrochen, kehrte er auch schon wieder um.

„Niemals hast du bislang etwas nicht erreicht, was du dir vorge­nommen hattest. Warum dieses Mal?“  wurde er gefragt.

“Ich war gerade in Richtung Mekka aufgebrochen”, gab er zur Antwort, “da sah ich einen schwarzen Mann mit gezogenem Schwert „Wenn du nun umkehrst schön und gut. Wenn nicht, werde ich dir den Kopf abschlagen. Du hast Gott in Bistam zurückgelassen und bist ohne ihn zum geheiligten Haus aufgebrochen““

„Ein Mann sprach mich auf der Strasse an“, erinnerte sich Abu Yazid, „Wohin gehst du?“ wollte er wissen.

„Auf die Pilgerfahrt“, gab ich zur Antwort.

„Wie viel Geld hast du dabei?“

„Zweihundert Dirham.“

„Komm und gib sie mir“, verlangte der Mann, „ich habe Familie. Umkreise mich sieben Mal. Das sei deine Pilgerfahrt.“

„Genauso machte ich es und kehrte dann nach Hause zurück.“

Pir Omar berichtete, dass wenn Abu Yazid sich in die Abgeschie­den­heit zurückziehen wollte, um sich dem Gottesdienst oder der Meditation zu widmen, betrat er die Klause und verschloss sorgsam jede Öffnung.

„Ich fürchte, ich werde von irgendeinem Geräusch oder Stimmen gestört“, meinte er.

Das war aber eine Ausrede.

Isa-ye Bistami berichtete, „Dreizehn Jahre war ich mit dem Scheich zusammen und nie hörte ich den Scheich ein einziges Wort sprechen. Seine Angewohnheit war, seinen Kopf auf die Knie zu legen. Manchmal  hob er seinen Kopf, seufzte und kehrte wieder in seine Meditation zurück.“ Sahlagi meinte dazu, dass dies Abu Yazids Verhalten war, wenn er sich im Zustand des „Zusammenziehens“ befand. An den Tagen, wenn er sich im Zustand der „Ausdehnung“ befand, profitierte jedermann in höchstem Maße von seinen Ausführungen.

„Einmal,“ fuhr Sahlagi fort, „als er sich im Zustand des „Zurück­ziehens“ befand, sagte er folgendes, „Lob sei mir! Wie groß ist meine Würde.“ Wenn er wieder zu sich kam und seine Schüler ihm erzählten, welche Worte über seine Lippen gekommen waren, wie „Gott ist dein Gegenspieler und Abu Yazid ist dein Gegenspieler“, sagte er zu ihnen. „Wenn ich noch einmal solches von mir gebe, haut mich in Stücke.“ Und er gab jedem seiner Schüler ein Messer mit den Worten „Wenn solche Worte wieder über meine Lippen kommen, schlachtet mich mit diesen Messern.“

„Und es geschah, dass er solche Worte wieder sprach. Seine Schüler machten sich bereit ihn zu töten und es war, als ob Abu Yazid das ganze Zimmer ausfüllte. Abu Yazids Schüler brachen die Mauer auf und stachen mit ihren Messern auf ihn ein, aber es war, als stießen sie in Wasser. Kein Stich hatte auch nur die geringste Wirkung. Nach einer Zeit verflüchtigte sich Abu Yazids Form und er erschien klein wie ein Sperling, der in der Gebetsnische saß. Seine Gefährten betraten den Raum und erzählten ihm was passiert war. „Es ist Abu Yazid, den ihr jetzt seht“, meinte er, „vorher, das war nicht Abu Yazid.“

Einmal nach Abu Yazid einen roten Apfel in die Hand und betrachtete ihn.

„Ist das ein schöner Apfel“, sagte er.

Eine innere Stimme sprach zu ihm.

„Abu Yazid schämst du dich nicht, meinen Namen einer Frucht zu verleihen?“

Vierzig Tage lang war er danach Gottes Namen nicht bewusst.

„Ich habe einen Schwur getan“, erklärte der Scheich, „solange ich lebe, niemals eine Frucht aus Bistam zu essen.“

„Als ich eines Tages so da saß“, erinnerte sich der Scheich, „kam ich auf den Gedanken „Ich bin der Scheich dieser Zeit, der Heilige dieses Jahrhunderts.“ Im gleichen Moment wusste ich, dass ich einen gewaltigen Fehler gemacht hatte. Ich erhob mich und machte mich auf nach Khorasan. Ich gelangte in eine Herberge und beschloss diese nicht mehr zu verlassen, bis mich irgendwer wieder zu mir zurückbrachte.

Drei Tage und Nächte verweilte ich dort. Am vierten Tag sah ich einen Einäugigen auf einem Kamel auf die Herberge zukommen. Als ich ihn näher betrachtete, bemerkte ich an ihm die Zeichen der göttlichen Bewusstheit. Ich bedeutete dem Kamel stehen zu bleiben und sofort ging es in die Knie. Der Mann starrte mich an.

„Du lässt mich den ganzen Weg kommen“, sagte er, „um ein Auge zu öffnen, welches geschlossen war, eine Tür zu öffnen, welche versperrt war und um die Menschen aus Bistam zusammen mit Abu Yazid zu ertränken?“

Ich swooned aw Abu Yazid. „Seit wann bist du unterwegs?“ fragte ich. „Seit dem Moment, als du den Schwur getan hast, bin ich unterwegs. Dreitausend Lagen bin ich gereist.“ Dann fügte mein Besucher hinzu „Pass auf Abu Yazid! Pass auf dein Herz auf.“ Mit diesen Worten wandte er sich von mir ab und entfernte sich wieder.“

Dhul `l-Nun schickte dem Abu Yazid einen Gebetsteppich und Abu Yazid sandte ihm ihn wieder zurück.

„Wofür brauche ich einen Gebetsteppich?“ wollte er wissen. „Schick mir ein Polster, an welchen ich meinen Rücken stützen kann.“ (Er wollte damit zum Ausdruck bringen, dass er den Zustand über das Gebet hinaus und das Ziel erreicht hatte.)

Dhul `l-Nun sandte ihm ein schönes Polster. Abu Yazid schickte ihm auch dieses zurück, denn zu diesem Zeitpunkt war von Abu Yazid nichts mehr außer Haut und Knochen übrig geblieben.

„Jemand, der als Polster“, sagte er, „ die Güte und liebende Fürsorge Gottes besitzt, hat keinen Bedarf für ein Polster von einem der Geschöpfe Gottes.“

„Einmal verbrachte ich eine Nacht in der Wüste“, erinnerte sich Abu Yazid. „Ich wickelte meinen Kopf in mein Gewand und schlief ein. Da überkam mich ein nächtlicher Zustand (er meinte einen nächtlichen Samenerguss), welcher nach einem Bad verlangte. Nun war es extrem kalt in dieser Nacht und meine Seele war gar nicht begeistert, ein Bad in kaltem Wasser zu nehmen. „Warte bis die Sonne aufgegangen ist und dann geh ans Baden“, riet meine Seele.

„Als ich mir die Nachlässigkeit meiner Seele und ihren Widerwillen sich den religiösen Vorschriften zu beugen bewusst machte, brach ich mit meinem Gewand das Eis auf, wusch mich damit und wickelte mich dann in das gleiche Tuch ein, bis ich in Ohnmacht fiel. Als ich wieder zu mir kam, war der Umhang plötzlich getrocknet.“

Oft wanderte Abu Yazid zwischen den Gräbern. Eines Nachts kam Abu Yazid vom Friedhof zurück, als ihm ein Jüngling aus noblem Haus entgegenkam, der die Laute spielte.

„Gott behüte uns“, rief Abu Yazid. Der Jüngling hob die Laute und zerschmetterte sie auf Abu Yazids Kopf. Er war betrunken und wusste gar nicht, gegen wen er die Hand erhoben hatte.

Abu Yazid kehrte zu sich nach Hause zurück und wartete bis zum Morgen. Dann begab er sich zu seinen Gefährten und fragte. „Wie viel geben die Leute für eine Laute?“ Die Leute sagten es ihm und er wickelte diesen Betrag in ein Tuch, legte ein Stück Kuchen dazu und schickte alles an den jungen Mann.

„Sagt dem jungen Herrn“, trug er ihnen auf, „dass Abu Yazid ihn um Vergebung bittet. Sagt zu ihm „Letzte Nacht hast du mich mit einer Laute geschlagen und sie zerbrach. Nimm diese Wiedergutmachung an und kaufe dir eine neue. Der Kuchen ist, um dein Herz über den Verlust der Laute zu trösten.““

Als dem jungen Mann somit klar wurde, was er getan hatte, begab er sich zu Abu Yazid und bat ihn um Vergebung. Er bereute und viele jungen Männer bereuten mit ihm.

Eines Tages war Abu Yazid mit einigen seiner Schüler unterwegs. Die Gasse verengte sich stark und just in diesem Moment kam ein Hund von der anderen Seite. Abu Yazid blieb stehen und ließ dem Hund den Vortritt. Einem seiner Schüler gefiel dies gar nicht. „Der Allmächtige Gott hat den Menschen über alle anderen Geschöpfe erhoben und geehrt. Abu Yazid ist der „König, der mit geheiligtem Wissen Begnadeten“, mit all seiner Würde, die er innehat, mit all diesen Schülern die ihm folgen, macht er einem Hund Platz. Wie kann das sein?“

„Junger Mann“, gab Abu Yazid zur Antwort, „dieser Hund wandte sich schweigend an mich, „Was habe ich mir am Beginn der Zeit zuschulden kommen lassen, und welcher außerordentlicher Verdienst kam dir zu, dass ich mit dem Fell eines Hundes bekleidet bin und du im Ehrengewand des „Königs der Gnostiker“ des Weges kommst?“ Das war es, was ich denken musste, und deswegen machte ich dem Hund Platz.

Als Abu Yazid eines Tages unterwegs war, lief ein Hund neben ihm her. Abu Yazid zog sein Gewand näher zu sich.

„Wenn ich trocken bin, ist kein Schaden“, sagte der Hund. Wenn ich nass bin, werden sieben Wässer und sieben Erden Frieden zwischen uns stiften. Doch wenn du dein Gewand an dich raffst, wie ein Pharisäer, wirst du dadurch nicht rein und wenn du in sieben Meeren ein Bad nimmst.“

„Du bist äußerlich unrein“, gab Abu Yazid zurück, „und ich bin innerlich unrein. Komm, lass uns zusammenarbeiten, damit durch unsere ver­einten Bemühungen wir beide rein werden.“

„Du bist es nicht gut genug, mit mir zusammen unterwegs und mein Partner zu sein“, antwortete der Hund. „Denn ich werde von allen Menschen zurückgewiesen, wohingegen du von allen begrüßt wirst. Wer mir begegnet, wirft einen Stein nach mir, wer dir begegnet, nennt dich den „König der Gnostiker“. Niemals hebe ich mir einen Knochen für morgen auf und du hast einen ganzen Sack Mehl für morgen.“

„Ich bin nicht gut genug, um mit einem Hund unterwegs zu sein“, sagte Abu Yazid, „Wie sollte ich dann mit dem Ewigen unterwegs sein? Ehre sei Gott, der das beste Geschöpf durch das niedrigste Geschöpf belehrt!“

Abu Yazid fuhr fort, „Eine Traurigkeit überkam mich und ich zweifelte daran, ein gehorsamer Sklave Gottes zu sein. Ich sagte mir. „Ich werde mir auf dem Markt einen Gürtel (von einem Nicht-Muslim gewoben) kaufen und mir umbinden, damit mein Ansehen unter den Menschen schwindet.“ Also ging ich einen Gürtel suchen. Ich fand in einem Geschäft so einen Gürtel hängen und dachte mir „Den werden sie mir um nur einen Dirham verkaufen“. Ich fragte „Um wie viel gibst du mir diesen Gürtel?“ „Eintausend Dinar“, sagte der Verkäufer. Mir fiel der Kopf hinunter. Da hörte ich eine Stimme vom Himmel „Hast du nicht festgestellt, dass sie nicht unter eintausend Dinar jemandem wie dir einen Gürtel umbinden lassen?“ Mein Herz war erleichtert, denn ich wusste, dass Gott sich um seinen Sklaven kümmerte.“

Eines Nachts träumt Abu Yazid, dass die Engel des ersten Himmels hernieder stiegen.

„Erhebe dich“, sprachen sie zu ihm, „und uns gemeinsam Gottes gedenken“.

„Ich habe nicht die Zunge, Ihn zu lobpreisen“, antwortete er ihnen.

Die Engel des zweiten Himmels stiegen hernieder und sprachen die gleichen Worte. Auch die Antwort war die gleiche. So ging das weiter, bis die Engel des siebenten Himmels herab gestiegen waren.

„Nun gut, wann wirst du dann die Zunge haben, um Gott zu lobpreisen?“ fragten sie.

„Wenn die Bewohner der Hölle in der Hölle festgebunden sind und die Bewohner des Paradieses ihren Wohnort bezogen haben und die Auferstehung bereits geschehen ist – dann“, so sagte er, „dann wird Abu Yazid den Thron Gottes umkreisen und rufen „Allah, Allah!““

Ein Zoroastrer war der Nachbar Abu Yazids. Dessen Kind weinte regelmäßig, der keine Lampe im Haus war. Da brachte Abu Yazid mit eigenen Händen eine Lampe ins Haus und sofort war das Kind still.

„Seit Abu Yazids Licht in unser Haus kam, wäre es traurig für uns in unserer Dunkelheit zu beharren“.

So wurden sie Muslime.

Eines Nachts fand Abu Yazid keine Freude im Gottesdienst.

„Schaut mal ob sich da irgend etwas Wertvolles im Haus befindet“, sagte er.

Seine Schüler suchten und fanden ein halbes Bund Weintrauben.

„Nehmt sie und schenkt sie fort“, befahl Abu Yazid.

„Mein Haus ist kein Gemüsegeschäft.“

So gelangte er wieder seine übliche Verfassung.

Eines Tages berichtete ein Mann Abu Yazid. „In Tabarestan ist ein bestimmter Mann gestorben. Ich habe dich dort zusammen mit Khidr, der Friede sei mit ihm, gesehen. Er hatte seine Hand auf deinen Nacken gelegt und deine Hand ruhte auf seinem Rücken. Als die Leute vom Begräbnis zurückkamen, sah ich, wie du dich in Luft auflöstest.“

„Ja“, sagte Abu Yazid, „was du gesehen hast ist vollkommen richtig.“

Ein Mann, der nicht an Abu Yazid glaubte, kam zu ihm und wollte ihn prüfen.

„Gib mir die Antwort auf die-und-die Frage,“ sagte er.

Abu Yazid erkannte den Unglauben in ihm.

„In einem bestimmten Berg“, erzählte er ihm, „gibt es eine Höhle. In dieser Höhle lebt einer meiner Freunde. Frag ihn nach der Antwort”.

Eilig brach der Mann zu dieser Höhle auf. Dort erblickte er einen schrecklich großen Drachen. Vor Schreck fiel er in Ohnmacht und machte sich in die Hosen. Als er wieder zu sich kam, lief er so schnell davon, dass er seine Schuhe dabei verlor. Er begab sich zu Abu Yazid und bat ihn um Vergebung.

„Ehre sei Gott“, rief Abu Yazid, „du kannst aus lauter Furcht vor einem Geschöpf nicht auf deine Schuhe Acht geben, wie kannst du nach einer „Offenbarung“ suchen, die du in deinem Unglauben kamst zu finden?“

Eines Tages trat ein Mann bei Abu Yazid ein und befragte ihn in einer unverschämten Weise die nicht zu überbieten war. Abu Yazid antwortete ihm und der Mann wurde zu Wasser. Gerade in diesem Augenblick betrat ein anderer Mann den Raum und erblickte eine riesige Wasserlache am Boden.

„Meister, was ist das?“ fragte er.

„Ein Mann ist zu mir gekommen und hat mich über die Scham befragt“, antwortete Abu Yazid, „konnte meine Antwort nicht ertragen und verwandelte sich aus lauter Scham in Wasser.“

Hatim der Taube sagte zu seinen Schülern, „Wer am Tage der Aufer­stehung nicht für die Bewohner der Hölle Fürbitte leistet, ist keiner meiner Schüler.“

Diese Aussage wurde dem Abu Yazid überbracht.

„Ich sage“, erklärte Abu Yazid, „jener ist mein Schüler, der am brink der Hölle steht und jeden an der Hand nimmt, der in die Hölle geworfen wurde und in den Himmel bringt und dann seinen Platz in der Hölle einnimmt.“

Als die Armee des Islams sich im Krieg gegen Byzanz befand und nahe daran war besiegt zu werden, hörten sie plötzlich einen lauten Ruf, „Abu Yazid hilf!“ Sofort  kam eine Hitze aus der Richtung von Khorasan, sodass die Armee der Ungläubigen von Furcht befallen wurde und die Armee des Islams siegte an diesem Tag.

Abu Yazid wurde gefragt, „Wie hast diesen vollkommen Grad und diesen Rang erreicht?“

„Eines Nachts, als ich noch ein Kind war“, gab er zur Antwort „kam ich aus Bistam heraus. Der Moon schien hell und friedlich lag das Land da. Da nahm ich eine Gegenwart wahr, gegen welche achtzehntausend Welten wie eine Motte sind. Ein tiefes Gefühl überkam mich und eine gewaltige Ekstase übermannte mich. „Herr, Gott“, rief ich, „so ein riesiger Palast, und so leer! Werke so erhaben, und solche Einsamkeit!“ Eine Stimme vom Himmel rief mir zu, „Der Palast ist nicht leer, weil keiner zu ihm kommt; er ist leer weil Wir nicht wünschen und sundry, dass alle ihn betreten. Nicht jedes ungewaschene Gesicht ist es wert, diesen Palast zu bewohnen.“

„Ich beschloss für alle Geschöpfe zu beten. Dann kam mir der Gedanke, „Der Rang für andere Fürbitte zu leisten kommt Muhammad, Friede mit ihm, zu“, so benahm ich mich und eine Stimme sprach mich an, „wegen dieses einen guten Benehmens habe ich deinen Namen erhöht, so dass dich die Menschen bis zum Tage der Auferstehung den „König der Gnostiker“ nennen werden.““

„Als ich das erste Mal das Heilige Haus besuchte“, erklärte Abu Yazid, „sah ich das Heilige Haus. Das zweite Mal sah ich den Herrn des Hauses. Das dritte Mal sah ich weder das Haus, noch den Herrn des Hauses.“ Abu Yazid meinte damit, „Ich war so in Gott verloren, dass ich nichts mehr unterschied. Hätte ich etwas gesehen, so hätte ich Gott gesehen.“ Der Beweis für diese Auslegung liefert folgende Geschichte.

Ein Mann kam zur Tür Abu Yazids und rief laut.

„Wen suchst du?“ fragte Abu Yazid.

„Abu Yazid“, antwortete der Mann.

„Armer Kerl“, sagte Abu Yazid, „ich suche den Abu Yazid nun seit dreißig Jahren und kann nicht die geringste Spur von ihm entdecken.“

Dies erzählte man dem Dhu `l-Nun. Er merkte dazu an, „Gott erbarme sich meines Bruders Abu Yazids! Er ist verloren gegangen in der Gemeinschaft jener, die in Gott verloren sind.“

Abu Yazids Aufgehen in Gott war so vollkommen, dass jeden Tag, wenn ihn einer seiner Schüler rief, der seit zwanzig Jahren nicht von seiner Seite gewichen war, er zu sagen pflegte, „Mein Sohn, wie heißt du?“

„Meister“, sagte der Schüler eines Tages, „du nimmst mich auf den Arm. Zwanzig Jahre lang diene ich dir nun und jeden Tag fragst du mich nach meinem Namen.“ Mein Sohn“, antwortete Abu Yazid, „ich will dich nicht ärgern. Doch Sein Name hat mein Herz erreicht und alle anderen Namen daraus vertrieben. Sobald ich einen neuen Namen höre, vergesse ich ihn sofort wieder.“

„Der Allmächtige Gott“, sagte Abu Yazid hat mich in Seine Gegenwart in zweitausend Rängen verbracht und in jedem Rang hat Er mir ein Königtum angeboten, doch habe ich sie abgelehnt. Gott sprach zu mir, „Abu Yazid, was willst du?“ Ich gab zur Antwort, „Ich wünsche nicht zu wünschen!“

„Du wandelst auf dem Wasser“, so sagten sie.

„Nichts anderes tut ein Stück Holz“, gab Abu Yazid zurück.

„Du fliegst durch die Luft!“

„Das tut ein Vogel auch.“

„Du reist zur Kaaba in einer Nacht!“

„Jeder Zauberkünstler reist von Indien nach Demavand in einer Nacht.“

„Was ist dann eine angemessene Aufgabe für einen wahrhaftigen Mann?“ fragten sie.

„Ein wahrhaftiger Mann, schenkt sein Herz niemand anderem als Gott“, antwortete er.

„Dreimal habe ich mich von der Welt geschieden“, sagte Abu Yazid, „und reiste allein zu dem Alleinigen. Ich stand vor der Gegenwart und weinte, „Gott, ich verlange nach niemandem als nach Dir. Wenn ich Dich habe, habe ich alles.“

Als Gott meine Aufrichtigkeit bemerkte, war die erste Gabe die Er mir verlieh, dass er die Spreu des Selbst von vor mir entfernte.“

„Was ist der Thron?“ wurde Abu Yazid gefragt.

„Er ist ich“, antwortete er.

„Was ist der Schemel?“

„Ich.“

„Was ist die Tafel und der Griffel?“

„Ich.“

„Gott hat Sklaven wie Abraham und Moses und Jesus.“

„Alle sind ich.“

„Gott at Sklaven wie Gabriel und Michael und Seraphiel.“

„Alle sind ich.“

Nun schwieg der Mann.

„Wer immer in Gott ausgelöscht wurde“, sagte Abu Yazid, „und die Wirklichkeit alles Seienden erreicht – alles ist Gott.“

Es wird erzählt, dass Abu Yazid siebzig Mal die Nähe der Gegenwart Gottes erreichte. Jedes Mal wenn er davon zurückkam, band er einen Gürtel um und zerbrach ihn dann.

Als sich sein Leben dem Ende näherte, begab er sich in die Gebetsnische und band sich einen Gürtel um. Er zog seine Pelzjacke und seine Kappe verkehrt herum an. Dann sagte er, „O Gott ich habe mich ein ganzes Leben lang nicht gerühmt. Ich lasse nicht alle meine nächt­lichen Gebete vorüber ziehen. Ich spreche nicht über die vielen Fasten meines Lebens. Ich zähle nicht die vielen Male, die ich den Qur’an rezitierte. Ich erzähle nicht von meinen spirituellen Erlebnissen und An­näher­ungen. Du weißt, ich schaue auf nichts zurück und dass das, was meine Zunge benennt, sie nicht aus Stolz berichtet. Ich zähle es auf, weil ich mich schäme ob dessen, was ich alles getan habe. Du hast mich mit der Gnade bedacht, mich so zu sehen. All dies ist nichts, erachte es als nichtig. Ich bin ein alter Turkmene mit siebzig Jahren, dessen Haar in Heidentum weiß geworden ist. Nun komme ich aus der Wüste und rufe Tangri Tangri. Erst jetzt lerne ich Allah Allah zu sagen. Erst jetzt zer­breche ich meinen Gürtel. Erst jetzt trete ich ein in den Kreis des Islam. Erst jetzt bewegt sich meine Zunge nach dem Glaubensbekenntnis. Alles was Du tust, bedarf keiner Ursache. Du nimmst nicht aufgrund der Gehorsamkeit an und Du lehnst nicht aufgrund von Ungehorsamkeit ab. Alles was ich getan habe, zählt nicht mehr als Staub für mich. Was immer Du von mir gesehen hast, das Deiner Gegenwart nicht gefiel, wirf Deine Vergebung darüber und wasche den Staub der Ungehor­samkeit von mir, denn ich habe den Staub der Voreingenommenheit von mir gewaschen, dass ich Dir gehorcht hätte.“

 

TEIL II

 

 

 

     Hanel, Schweiz 2005