Rede des Präsidenten Alija
Izetbegovic im Iran,
beim 8. Treffen der islamischen Konferenz.
Teheran, 11. 12. 1997
„Der Islam ist das Beste, aber wir sind es nicht.“
Ich betrachte es als großes Privileg, daß mir die Möglichkeit gegeben
worden ist, hier auf diesem für die muslimischen Länder so wichtigen Treffen
etwas zu sagen.
Ich komme gerade von einer Konferenz aus Bonn, das war eine speziell Bosnien
gewidmete Konferenz, wo für die heutige Situation meines Landes einige wichtige
Entscheidungen getroffen worden sind.
Leider konnte ich nicht wie vorgesehen gestern hier erscheinen, wegen einer
Konferenz in Bosnien. Danke nochmals für diese außerordentliche Möglichkeit.
Ich werde mich in meiner Ansprache kurz einem Thema widmen, um nicht zu sehr Ihre geschätzte Zeit zu beanspruchen. Die Idee zu diesem Thema fand ich während meiner letzten noch andauernden Reise. In dieser Woche die schon zu Ende geht, bin ich von Bosnien nach Saudia Arabien geflogen, auf eine Konferenz über Weiterbildung. Danach auf eine Konferenz in Europa über Bosnien und heute wie Sie sehen können, in Teheran auf der islamischen Konferenz. Das ist also von Osten - Westen - Osten. Ich denke, daß ich diese zwei Erdteile relativ gut kenne.
Auf meiner Reise lernte ich einige neue Tatsachen kennen - gute und
schlechte. Eine von den ermutigenden Nachrichten die ich gehört habe, ist daß
es in Saudia Arabien 5 Millionen Studenten gibt, aber traurig ist dafür, daß es
in einem anderen islamischen Land mehr als 68 % Analphabeten gibt.
Die nächste gute Nachricht, die ich gerade gehört habe, ist daß im Iran ca. 20
Millionen Menschen eine von ihren Schulen besuchen, aber schlecht ist, daß fast
in allen muslimischen Ländern der Analphabetismus der Frauen zu hoch ist. Die
Frauen sind die andere Hälfte unseres Geschlechts. Eine ungebildete Frau kann
keine Kinder groß ziehen, die imstande wären, uns ins 21. Jahrhundert zu
führen. Verzeiht mir, wenn ich ganz offen spreche. Auch schöne Lügen helfen
nicht, aber die bittere Wahrheit kann viel heilvoller sein.
Der Westen ist weder verdorben noch degeneriert. „Fauler Westen“ -
diese Floskel hat das kommunistische System teuer bezahlt. Der Westen ist nicht
verfault. Er ist stark, gebildet und organisiert. Seine Schulen sind besser als
unsere und seine Städte sind sauberer als unsere. Das Niveau der Menschenrechte
ist im Westen höher, die soziale Sorge für die Armen und anderen
Benachteiligten ist besser organisiert. So sind meine Eindrücke und Erfahrungen
mit ihnen.
Ich weiß auch von der Schattenseite ihres Fortschrittes, ihrer Erziehung und
dieses verliere ich auch nicht aus den Augen.
Der Islam ist das Beste - das ist wahr, - aber wir sind nicht die
Besten. Das sind zwei verschiedene Sachen die wir oft verwechseln.
Anstatt den Westen zu hassen, sollten wir mit ihm wetteifern. Hat der Qur'an
uns nicht angeordnet: „Wetteifert um das Gute !“ ?
Mit der Hilfe des Glaubens und der Wissenschaft können wir auch jetzt eine Kraft schaffen, die wir benötigen. Wahr ist es schon, daß es ein langer und schwerer Weg ist - ein Erklimmen eines Berges, aber einen anderen Weg haben wir nicht. Darum sollten wir überall Stiftungen für die Weiterbildung gründen, auf daß keines unserer Kinder ohne Schulausbildung bleibt. Die reichen muslimischen Staaten sollten dabei die ärmeren unterstützen. Das sollten wir heute schon tun oder dafür eine spezielle Konferenz einberufen.
Nun werde ich paar Sätze über Bosnien sagen. Ich erwähnte den Osten und den Westen. Bosnien befindet sich genau auf der großen Grenze, wie es manche in ihren Büchern schreiben. Jeder zehnte Bosnier ist im vergangenen Krieg gefallen. Diesen großen Preis haben wir für unser Überleben und die Freiheit bezahlt. Darum laßt nicht zu, daß Bosnien ein weiteres Mal Unrecht getan wird. Teilt allen mit, daß Bosnien für euch ein heiliges Land ist, weil es mit dem Blut unschuldiger Menschen getränkt ist, die euere Brüder im Glauben sind. Manche westlichen Länder sind unsere Freunde. Erkennen werdet ihr sie an dem, wie sie sich für den Erhalt unseres Landes einsetzen. Arbeitet zusammen mit ihnen an diesem historischen Auftrag, denn er ist unendlich wichtig - aus mehreren Gründen für uns und euch und der Rest der zivilisierten Welt. Bosnien ist ein großes Experiment, was jeden Mann und jede Frau angeht. Der unglücklichere Teil unseres Volkes ist schon seit langer Zeit außerhalb der Grenzen Bosniens verblieben, wo sie heute als Minderheiten leben, in Serbien oder Jugoslawien, in der Region des Sandzak. Ich apelliere an euch, daß ihr den bosnischen Muslimen des Sandzak ein Status einer muslimischen Minderheit auf dieser islamischen Konferenz verleiht.
Am Schluß möchte ich mich bei der iranischen Regierung für die
Gastfreundlichkeit bei der Konferenz bedanken, dem großen iranischen Volk
speziell, das uns während unseres Krieges sehr geholfen hat und all Ihnen, die
alles getan haben, um uns in der schwersten Zeit unserer Geschichte zu helfen.