HERMES TRISMEGISTOS

KYBALION

 

Geleitwort

 

Dieses - mir schon seit längerem bekannte - Büchlein ist eine literarische Besonderheit. Es erschien erstmalig 1908 in englischer Sprache in Chicago. Stil und Zeitkritik ge­hören jener Zeit der Jahrhundertwende an, woran auch in der vorliegenden Übertragung nichts geändert wurde. Die Verfasser bleiben anonym; in der alten Ausgabe wird diese Anonymität noch mit einem gewissen Pathos unterstrichen und begründet, indem es dort heißt: Von drei Eingeweihten! Immerhin, der Inhalt des Buches ist durchaus im­stande, dieses Pathos zu rechtfertigen. Denn es handelt sich hier - dem Text nach - um nichts Geringeres als um eine erstmalige direkte Einführung in die Grundsätze der ur­alten, bis dato streng geheim gehaltenen hermetischen Philosophie.

 

Das ist freilich eine Behauptung, die sich auf der sonst üblichen Basis von Quellennachweisen in keinerlei aus­reichender Form belegen  lässt. Gibt es doch überhaupt kaum beglaubigte Unterlagen zu dieser Thematik, nachdem eben bislang die geheime Weitergabe dieser Lehren nur - wie es traditionell heißt – „von Lippe zu Ohr“ erfolgte. Es ist im Übrigen so, dass lange Zeiten hindurch die Existenz die­ser Geheimtradition weniger strikt als ihr Inhalt ver­borgen gehalten wurde. Angefangen bei den Mysterien von Memphis und Theben  lässt sich dies über Antike und Mittel­alter bis zur französischen Revolution verfolgen. Von da ab allerdings gibt es bis zum Erscheinen des vorliegenden Buches praktisch kein aktuelles Zeugnis mehr, das irgend­welche Bezüge auf eine noch lebende Tradition enthält. So kommt es, dass heute, wenn von “Hermetik“ die Rede ist, darunter vielfach sogar etwas völlig anderes verstanden wird. Man meint dann in der Regel das Wesen und das mythologische Bild des griechischen Götterboten, den die Römer Mercurius nannten, und die heute damit verbunde­nen religionspsychologischen Aspekte. Und nur wenige be­rücksichtigen noch, dass ursprünglich die legendäre Gestalt des HERMES TRISMEGISTOS, des „Dreimal Großen, des „Meisters aller Meister, des „Schriftgelehrten der Götter usw. im frühgeschichtlichen Ägypten dieser Götterfigur vor­ausgegangen war. Dieser HERMES, von den alten Agyptern Theut oder Thot genannt, soll als Weiser ca. 3000 v. Chr. gelebt haben. PLATON sagt von ihm, er habe Zahl und Maß, auch die Unterscheidung von Sprachlauten und andere kul­turelle Grundlagen entwickelt. Auch die Sternkunde und die Alchymie werden auf ihn zurückgeführt. Der Karthager TERTULLIAN nennt ihn „magister omnium physicorum“, d. i. „Lehrmeister aller Naturforscher. Die „Eingeweihten be­richten von einer Sage, nach welcher er Zeitgenosse ABRA­HAMS gewesen sei und von diesem einen Teil seines esoteri­schen Wissens übernommen habe. Grundsätzlich aber sehen sie in ihm den erhabenen Vater der okkulten Weisheit den größten unter den Adepten und Meistern des frühen Menschengeschlechtes. So erscheint seine überragende Ge­stalt als die personifizierte Quelle der hermetischen Lehren und es wird darüber hinaus behauptet, dass nachfolgend deren geheime Verbreitung alle großen Religionen und Philosophien des Orients wie des Okzidents in ihren wesent­lichsten Ansätzen maßgeblich beeinflusst hätte.

 

Soweit der kulturgeschichtliche Untergrund, auf dem der Inhalt des Büchleins gesehen werden muss. Es bleibt einem freigestellt, die mangelnde Nachprüfbarkeit dieses Untergrundes hinzunehmen oder als obskur oder gar suspekt zu empfinden.

 

Aber darauf kommt es im Grunde gar nicht an! Denn wie dem auch sei, kann sich doch jede echte Kritik immer nur an die Qualität und das Niveau dessen halten, was hier substantiell geboten wird. Und das ist zweifels­ohne bestechend, auch diesmal unabhängig davon, ob man sich bereit findet, die Dinge so anzunehmen, wie sie im Zuge der Abhandlungen beschrieben werden, oder nicht.

 

 Die vorliegende Schrift beschäftigt sich in der Hauptsache mit den sieben hermetischen Prinzipien, die als Grund­lage des hermetischen Denkens schlechthin aufzufassen sind. Diese Prinzipien beinhalten, dass das All - das nach seiner Natur nicht definiert werden kann als „Geist deklariert dem Universum als seiner Schöpfung zwangsläufig das Prädikat „geistig“ zuweist, dass also - vom All her ge­sehen - alles Geist und - von der Schöpfung und vom Geschöpf her gesehen - alles geistig ist; dass alles - weil letztlich aus dieser gleichen Wurzel stammend - unterein­ander Entsprechungen aufweist und dass sich Entsprechungs­ebenen von der dichtesten Materie bis in die höchsten For­men reinen Geistes fortlaufend durch das ganze Universum errichten lassen; dass alles in Schwingung und fortlaufender Bewegung ist und sich daher die Entsprechungsebenen durch ihre jeweilige Schwingungshöhe voneinander unterscheiden; dass alles seine Polarität, seine Gegensätzlichkeit hat, die aus der gleichen Natur bei unterschiedlichen Schwingungs­graden als etwas relativ Fixierbares hervortritt; dass alles - seinem Wesen nach ja Schwingendes, also Dynamisches rhythmischen Gezeiten unterliegt, denen eine kompensa­torische Bedeutung innewohnt; dass - durch alle Ebenen hindurch - alles dem Zusammenhang von Ursache und Wirkung unterworfen ist; und schließlich, dass alles ein bipo­lares Geschlecht zeigt und darin sein schöpferisches Wesen offenbart. Aus diesen Prinzipien und ihren Anwendungs­möglichkeiten im Erkennen wie im aktiven Vorgehen zeich­net sich eine Philosophia Magna als gültige höhere Wissensform sowie eine konkrete Kunst geistigen Handelns ab, was beides - richtig verstanden und aufgebaut - zu einer fortschreitenden Bewusstseinssteigerung und gestraff­ten Eigenentwicklung, zu einer mit den höheren Gesetzen und Realitäten in Einklang stehenden Lebensgestaltung und ebensolchen Erfüllung der gegebenen Sinngehalte des Seins zu führen vermag. Auf alle Fälle erziehen diese Aspekte zu einer Nachdenklichkeit und Stellungnahme weit über die üblichen Grenzen der Lebensbetrachtung hinaus und sind dabei so gehalten, dass sie - trotz der geradlinigen Einbeziehung eines reellen Okkultismus bis an den Rand des Ansprechbaren - an keiner Stelle auch nur irgendwie jene fatale Atmosphäre aufkommen lassen, die so viele okkulte Offenbarungen von Halbwahrheiten in mehr oder weniger schwülstigen Formen kennzeichnet. Im Gegenteil ist hier alles klar, nüchtern und sauber in Absicht und Ge­dankenführung in einer souveränen Würde und Übersicht vorgetragen, unbestechlich in sich ruhend und letztlich un­tangiert von der Frage, ob und wieweit der Leser sich dazu positiv einstellt.

 

Es bleibt noch nachzutragen, dass der Name „Kybalion“ die traditionelle Bezeichnung einer mündlich überlieferten Sammlung grundsätzlicher hermetischer Lehren ist. Vieles davon ist - nach Angabe der Eingeweihten“ - aus dem absichtlich undurchsichtig gehaltenen Originaltext in diesem kleinen Buch in leichter verständlicher Form ausgeführt und im Sinne einer Einführung erläutert. Wir haben uns bemüht, Euch in diesem kleinen Werk eine Idee der grund­sätzlichen Lehren des Kybalion und der wirkenden Prin­zipien zu geben, und überlassen ihre Anwendung Euch selbst, statt den Versuch zu machen, die Lehre im Einzelnen aus­zuarbeiten. So ist die Verwendung des Namens Kyba­lion auch für den Titel des Buches gerechtfertigt.

 

Nachdem die amerikanische Originalausgabe des vor­liegenden Buches längst vergriffen und praktisch verschollen ist, gebührt dem Verfasser der ausgezeichneten Übertragung ins Deutsche wie dem Verleger wirklicher Dank für diese Neuerscheinung. Beide haben sich damit in besonderem Maße - wie man in Indien zu formulieren pflegt - „Ver­dienst erworben“, nämlich Verdienst an einer Thematik, an der man nicht ohne weiteres vorübergehen sollte.

 

 H. E. HELMRICH

 

 

Einleitung

 

Wir erlauben uns, die Aufmerksamkeit von Schülern und Forschern der geheimen Lehren auf dieses kleine Werk zu lenken, das auf den uralten hermetischen Lehren beruht. Es ist über diesen Gegenstand, abgesehen von den zahllosen Bezugnahmen auf diese Lehren, in den vielen Wer­ken über Okkultismus so wenig geschrieben worden, dass die vielen ernsthaften Sucher nach den „arkanischen Weishei­ten“ zweifellos das Erscheinen des vorliegenden Buches be­grüßen werden.

 

Die Absicht dieses Werkes ist nicht die Verkündigung irgendeiner besonderen Philosophie oder Lehre, sondern der Wunsch, den Schülern eine Feststellung der Wahrheit zu geben, die dazu dienen soll, die vielen Teile okkulten Wissens miteinander in Einklang zu bringen, die sie vielleicht in sich aufgenommen haben, die aber augenscheinlich zueinander in Gegensatz stehen, eine Tatsache, die oft dazu führt, Anfänger beim Studium zu entmutigen oder abzu­schrecken. Unsere Absicht ist nicht, einen neuen Tempel des Wissens zu errichten, sondern in die Hände des Schülers einen Hauptschlüssel zu legen, der die vielen inneren Tore des mystischen Tempels zu öffnen vermag, den er durch seine Eingangspforten bereits betreten hat.

 

Kein Teil der okkulten Lehren, die die Welt besitzt, ist so fest behütet worden wie die Bruchstücke der hermetischen Lehren, die uns im Laufe der Jahrtausende überliefert wurden, die seit den Lebzeiten ihres Gründers verflossen sind, des HERMES TRISMEGISTOS, des „Schriftgelehrten der Götter, der im alten Ägypten lebte zu Zeiten, wo das heu­tige Menschengeschlecht sich in seiner frühesten Kindheit befand. Zeitgenosse von ABRAHAM und, wenn die Legenden wahr sein sollten, Lehrer dieses verehrungswürdigen Weisen, war und ist HERMES auch heute noch die große zentrale Sonne des Okkultismus, deren Strahlen die zahl­reichen Lehren erleuchtet haben, die seit seinen Zeiten ver­kündet worden sind. Alle grundlegenden Wahrheiten, die in den esoterischen Lehren aller Rassen enthalten sind, kön­nen auf HERMES zurückgeführt werden. Sogar die ältesten Lehren Indiens haben ihre Wurzeln in den ursprünglichen hermetischen Lehren.

 

Vom Lande des Ganges wanderten viele fortgeschrittene Okkultisten in das Land Ägypten und saßen zu Füßen des Meisters. Von ihm erhielten sie den Hauptschlüssel, der ihre verschiedenartigen Standpunkte klärte und in Ein­klang brachte. So wurde die geheime Lehre fest begründet. Auch von anderen Ländern kamen Gelehrte, die alle HER­MES als den Meister aller Meister betrachteten. Sein Einfluss war so groß, dass, obwohl die Lehrer in diesen ver­schiedenen Ländern im Laufe der Jahrhunderte vom Wege abwichen, dennoch eine gewisse grundsätzliche Ähnlichkeit und Übereinstimmung der vielen oft ganz verschiedenen Theorien festgestellt werden kann, die heute von den Ok­kultisten dieser Länder aufrechterhalten und gelehrt wer­den. Der Student vergleichender Religionswissenschaft wird in jeder der Menschheit bekannten Religion, die diesen Namen verdient, den Einfluss der hermetischen Lehren be­merken können, ganz gleich, ob es sich um eine tote Religion handelt oder um eine, die heute noch in voller Kraft steht. Eine gewisse Übereinstimmung ist immer vorhanden, trotz äußerlicher Gegensätze. Die hermetische Lehre wirkt hier als der große „Versöhner“.

 

Es scheint das Lebenswerk von HERMES gewesen zu sein, die große fundamentale Wahrheit auszusäen, die emporwuchs und zu so vielen seltsamen Formen erblühte, und das viel mehr als eine Philosophenschule zu gründen, die be­rufen gewesen wäre, das Denken der Welt zu beherrschen. Dessen ungeachtet sind die von ihm gelehrten Wahrheiten in ihrer ursprünglichen Reinheit in jedem Zeitalter von einigen wenigen Männern erhalten worden, die auf eine große Anzahl halbentwickelter Schüler und Anhänger verzichteten und, dem hermetischen Brauch folgend, ihre Wahrheit für die Wenigen aufbewahrten, die in der Lage waren, sie zu verstehen und zu meistern. Von Lippe zu Ohr wurde die Wahrheit unter den Wenigen weitergegeben. Es gab im­mer einige Eingeweihte in jeder Generation in den ver­schiedenen Ländern der Erde, die die heilige Flamme der hermetischen Lehre am Leben erhielten und die geringeren Leuchten der äußeren Welt wieder entzündeten, wenn das Licht der Wahrheit trüb wurde. Es gab immer einige We­nige, die den Altar der Wahrheit treu hüteten, über dem die ewige Flamme der Weisheit in ihrem Leuchten erhalten wurde. Diese Mahner weihten ihr Leben dem Werk der Liebe, wie der Dichter es so schön sagt:

 

„Oh, lasst die Flamme nie verlöschen, die durch Jahrhunderte umhegt in ihrer Höhle Dunkel, in ihren heil’gen Tempeln treu umhegt genährt wird von der Liebe reinen Priestern. Lasst nie verlöschen sie, die Flamme.“

 

Diese Männer haben niemals öffentliche Anerkennung ge­sucht oder zahlreiche Anhänger. Sie stehen diesen Dingen gleichgültig gegenüber, denn sie wissen, wie wenige es in jeder Generation gibt, die für die Wahrheit bereit sind oder sie erkennen würden, wenn man sie ihnen darböte. Sie be­wahren „das Fleisch für kräftige Männer“ auf, während andere „die Milch für Babys“ liefern. Sie reservieren die „Perlen“ der Weisheit für wenige Auserwählte, die ihren Wert erkennen und sie in ihren Kronen tragen, statt sie vor die „Säue“ des gemeinen Materialismus zu werfen, die sie in den Schmutz treten und sie mit ihrer abscheulichen gei­stigen Nahrung vermischen. Aber niemals haben diese Männer die ursprüngliche Lehre des HERMES vergessen, die Werke der Wahrheit weiterzugeben an diejenigen, die be­reit sind, sie zu empfangen. Diese Lehre spricht das „Kyba­lion“ folgendermaßen aus:

 

„Überall, wo der Meister erscheint, öffnen sich die Ohren derjenigen weit, die bereit sind für seine Lehren.“

Und:

„Wenn die Ohren des Schülers bereit sind zu hören, dann kommen die Lippen, sie mit Weisheit zu füllen.“

 

Aber im Allgemeinen richtet sich ihre Haltung ganz nach dem anderen hermetischen Satz, den das „Kybalion“ aus­spricht:

 

„Die Lippen der Weisheit sind verschlossen, nur nicht für die Ohren des Verständnisses.“

 

Man hat diese Haltung der Hermetiker kritisiert und be­hauptet, dass sie mit ihrer Politik der Abschließung und Verschwiegenheit nicht den richtigen Geist zum Ausdruck bringen. Aber ein flüchtiger Rückblick auf die Seiten der Geschichte zeigt die Weisheit der Meister, welche wussten, dass der Versuch töricht ist, die Welt etwas zu lehren, was sie weder bereit noch willens ist, zu empfangen. Die Her­metiker haben niemals gewünscht, Märtyrer zu werden. Statt dessen saßen sie schweigend beiseite mit einem mit­leidigen Lächeln auf ihren verschlossenen Lippen, während „um sie herum die Heiden lärmten und rasten“ bei ihrem gewohnheitsmäßigen Vergnügen, die ehrlichen, aber missgeleiteten Enthusiasten zu Tode zu foltern, die sich einbil­deten, sie könnten einem Geschlecht von Barbaren mit Ge­walt eine Weisheit aufdrängen, die nur von Auserwählten verstanden werden konnte, die schon fortgeschritten waren auf dem „rechten Wege“.

 

Der Geist der Verfolgung ist im Lande noch nicht aus­gestorben. Es gibt gewisse hermetische Lehren, die, wenn sie öffentlich verbreitet würden, über die Lehrer einen ge­waltigen Sturm der Entrüstung und der Schmähung bei der Menge hervorrufen würden, und wieder würde sie schreien:

 

 „Kreuzige, kreuzige!“

 

Wir haben uns bemüht, Euch in diesem kleinen Werk eine Idee der grundsätzlichen Lehren des „Kybalion“ und der wirkenden Prinzipien zu geben und überlassen ihre Anwendung Euch selbst, statt den Versuch zu machen, die Lehre im Einzelnen auszuarbeiten. Bist Du ein rechter Schüler, dann wirst Du in der Lage sein, den Sinn dieser Prinzipien zu lösen und sie anzuwenden. Wenn nicht, dann musst Du einer werden, denn sonst werden die hermetischen Lehren für Dich nichts anderes sein als „Worte, Worte, Worte...“.

 

I. Kapitel

 Die hermetische Philosophie

 

„Die Lippen der Weisheit sind verschlossen, nur nicht für die Ohren des Verständnisses.“

 „Kybalion“

 

Vom alten Ägypten sind die grundsätzlichen esoterischen und okkulten Lehren überkommen, weiche die Philosophien aller Rassen, Nationen und Völker einige tausend Jahre lang so stark beeinflusst haben. Ägypten, das Land der Pyramiden und der Sphinx, der Geburtsort der verborge­nen Weisheiten und der mystischen Lehren. Alle Nationen haben aus seinen geheimen Lehren geschöpft, Indien Per­sien, Chaldäa, Medien, China, Jalsan, Assyrien, das alte Griechenland und Rom und andere Länder des Altertums nahmen großzügig teil an dem Festmahl des Wissens, das die Hierophanten und Meister des Isislandes so freigiebig für diejenigen bereiteten, die bereit waren, an den aufgespeicherten mystischen und okkulten Lehren teilzunehmen, die die großen Geister dieses alten Landes zusammengetragen hatten.

 

Im alten Ägypten wohnten die großen Adepten und Meister, die in den Jahrtausenden, die seit den Tagen des großen HERMES verflossen sind, niemals übertroffen und selten erreicht worden sind. In Ägypten war der Sitz der Großen Loge der Mystiker. Ihre Tempel betraten die No­vizen, die später als Hierophanten, Adepten und Meister in alle Teile der Welt wanderten und das kostbare Wissen mit sich trugen, das sie bereit und willens waren, denen zu über­mitteln, die ebenso bereit waren, es zu empfangen. Alle Schüler des Okkultismus wissen, was sie den verehrungs­würdigen Meistern dieses alten Landes schulden.

 

Aber unter diesen großen Meistern des alten Ägyptens lebte einst einer, den sie als Meister aller Meister anerkann­ten. Dieser Mann - wenn er wirklich ein Mensch war - wohnte in den frühesten Tagen in Ägypten. Er war bekannt als HERMES TRISMEGISTOS. Er war der Vater der okkulten Weisheit, der Begründer der Astrologie und der Entdecker der Alchimie. Die Einzelheiten seines Lebens, das so weit zurückliegt, sind nicht überliefert, obgleich mehrere alte Länder sich die Ehre streitig machen, vor Tausenden von Jahren sein Geburtsland gewesen zu sein. Das Datum seines Aufenthaltes in Ägypten, d.h. seine letzte Inkarnation auf diesem Planeten, ist nicht bekannt. Aber man hat es auf die ersten Anfänge der ältesten ägyptischen Dynastien fest­gelegt, lange vor den Tagen des MOSES. Autoritäten auf diesem Gebiet halten ihn für einen Zeitgenossen von ABRA­HAM und einige jüdische Überlieferungen gehen so weit, zu behaupten, dass ABRAHAM einen Teil seines mystischen Wissens von HERMES selbst empfangen habe.

 

Als die Jahre vergingen, nachdem er dieses Leben ver­lassen hatte (den Überlieferungen zufolge soll er 300 Jahre im Fleische gelebt haben), machten die Ägypter HERMES zu einem ihrer Götter und nannten ihn Thoth. Später er­hoben ihn die alten Griechen ebenfalls zu einem ihrer vie­len Götter mit dem Namen „Hermes, Gott der Weisheit. Die alten Ägypter ehrten sein Andenken noch viele Jahr­hunderte, ja Jahrtausende lang. Sie nannten ihn den „Schriftgelehrten der Götter und verliehen ihm seinen alten Titel Trismegistos, d.h. „der dreimal Große, der ganz Große, der Allergrößte usw.

 

In allen alten Län­dern wurde der Name Trismegistos verehrt und dieser Name war gleichbedeutend mit „Quelle der Weisheit“. So­gar bis zum heutigen Tag benutzen wir den Ausdruck „her­metisch“ im Sinne von „geheim, versiegelt, so dass nichts entschlüpfen kann“ usw. und dies aus dem Grunde, weil die Nachfolger von HERMES stets das Prinzip der Geheimhal­tung bei ihren Lehren beobachteten. Sie hielten nichts da­von, „Perlen vor die „Säue“ zu werfen, sondern hielten sich vielmehr an die Lehre: „Milch für Babys, Fleisch für starke Menschen“, Grundsätze, die beide den Lesern christ­licher Schriften vertraut sind, die aber beide von den Ägyp­tern Jahrhunderte vor der christlichen Ära schon angewandt wurden. Und diese Politik sparsamer Ausstreuung der Wahrheit hat die Hermetiker stets charakterisiert, selbst bis zum heutigen Tage. Die hermetische Lehre findet sich in allen Ländern, unter allen Religionen, aber niemals identi­fiziert mit einem bestimmten Lande noch mit einer be­stimmten religiösen Sekte. Und dies wegen der Mahnung der alten Lehrer, man dürfe die geheime Lehre nie zu einem Glaubensbekenntnis kristallisieren lassen. Die Weisheit dieser Vorsicht ist für alle diejenigen, die Geschichte stu­dieren, augenscheinlich.

 

Der alte Okkultismus Indiens und Persiens ist degeneriert und nahezu verloren gegangen, weil die Lehrer Priester wurden und so Theologie und Philoso­phie vermischten. Die Folge war, dass der Okkultismus In­diens und Persiens allmählich verloren ging in der Masse von Aberglauben, religiösen Kulten, Glaubensbekenntnis­sen und Göttern. So ging es auch im alten Griechenland und Rom. So war es auch mit den hermetischen Lehren der Gnostiker und des frühen Christentums, die zur Zeit KON­STANTINS verloren gingen, dessen eiserne Hand die Philo­sophie mit dem Dämpfer der Theologie erstickte, wodurch die christliche Kirche das verlor, was ihr eigentliches Wesen und ihr Geist war, und sie mehrere Jahrhunderte lang her­umtappte, bevor sie den Weg zum alten Glauben zurückfand. Für alle sorgfältigen Beobachter in diesem 20. Jahr­hundert ist es augenscheinlich, dass die Kirche darum kämpft, zu ihren alten mystischen Lehren zurückzugelangen.

 

Aber immer gab es einige treue Seelen, die die Flamme am Leben erhielten, sie sorgfältig hüteten und es nicht zuließen, dass das Licht verlöschte. Und dank dieser starken Herzen und furchtlosen Geister lebt die Wahrheit noch heute unter uns. Aber sie findet sich nicht in Büchern von größerem Umfang. Sie wurde weitergegeben vom Meister zum Schüler, vom Eingeweihten zum Hierophanten, von Lippe zu Ohr. Wenn sie überhaupt niedergeschrieben wurde, war ihr Sinn verhüllt in Ausdrücke der Alchimie und Astro­logie, so dass nur der sie richtig lesen konnte, der den Schlüssel dazu besaß. Das war notwendig, um den Verfol­gungen durch die Theologen im Mittelalter zu entgehen, die gegen die geheime Lehre mit Feuer und Schwert fochten, mit Pfahl, Galgen und Kreuz. Selbst bis zum heutigen Tage kann man nur wenige zuverlässige Bücher über die herme­tische Philosophie finden, obgleich es in vielen Büchern, die über die verschiedenen Phasen des Okkultismus geschrieben wurden, zahllose Bezugnahmen auf sie gibt. Und doch ist die hermetische Philosophie der einzige Hauptschlüssel, der alle Tore der okkulten Lehre öffnen kann.

 

In frühester Zeit gab es eine Sammlung gewisser grund­sätzlicher hermetischer Lehren, die von den Lehrern an die Schüler weitergegeben wurden, die unter dem

Namen „Kybalion“ bekannt war, ein Ausdruck, dessen Bedeu­tung seit mehreren Jahrhunderten verloren gegangen ist. Die Lehre jedoch ist vielen bekannt, denen sie überkommen ist von Mund zu Ohr und immer so weiter die Jahrhunderte hindurch. Diese Lehren sind, soweit wir wissen, niemals niedergeschrieben oder gedruckt worden. Es war nur eine Sammlung von Grundsätzen und Vorschriften, die unver­ständlich für Außenstehende waren, die aber leicht von den Schülern verstanden wurden, den Grundsätzen und Vorschriften gemäß, die den Novizen durch die hermetischen Eingeweihten erklärt und durch Beispiele belegt wurden. Diese Lehren legten tatsächlich die grundsätzlichen Prin­zipien der „Kunst der hermetischen Alchimie“ fest, welche im Gegensatz zur allgemeinen Auffassung viel mehr die Beherrschung der geistigen Kräfte als der materiellen Ele­mente betrieb - der Verwandlung einer Art geistiger Schwingungen in andere, anstatt ein Metall in ein anderes zu verwandeln. Die Legenden von dem „Stein der Weisen“, der unedle Metalle in Gold verwandeln kann, waren eine Allegorie über die hermetische Philosophie, die leicht von allen Schülern des wahren Hermetizismus verstanden wurde.

 

Wir laden unsere Schüler ein, in diesem kleinen Buch, dessen erste Lektion dies ist, die hermetischen Lehren zu untersuchen, wie sie im „Kybalion“ dargelegt und von uns bescheidenen Schülern der Lehre erklärt wurden, die zwar den Titel von Eingeweihten tragen, sich aber immer noch als Schüler zu Füßen des HERMES, des Meisters, betrachten. Wir geben Euch darin viele Grundsätze und Vorschriften des „Kybalion“, begleitet von Erklärungen und Beispielen, die wir für geeignet halten, den neuen Schülern die Lehre leichter verständlich zu machen, besonders da der Original­text absichtlich in dunkle Ausdrücke verhüllt ist.

 

Die ursprünglichen Grundsätze und Vorschriften des „Kybalion“ sind in Anführungszeichen gedruckt, um sie ge­bührend hervorzuheben. Unsere eigene Arbeit ist in ge­wöhnlicher Weise gedruckt. Wir hoffen, dass die vielen Schüler, denen wir dies kleine Werk jetzt anbieten, so viel Vorteil aus dem Studium dieser Zeilen ziehen werden wie die vielen, die damit schon früher begonnen haben. Sie wandern den gleichen Pfad zur Meisterschaft im Laufe der Jahrhunderte, die seit den Zeiten von HERMES TRISMEGISTOS verflossen sind, des Meisters aller Meister, des ganz Großen. Mit den Worten des „Kybalion“:

 

„Wohin die Fußstapfen des Meisters fallen, öffnen sich die Ohren derjenigen weit, die bereit sind für seine Lehren.“

 Und:

 „Wenn die Ohren des Schülers bereit sind, zu hören, dann kommen die Lippen, sie mit Weisheit zu füllen.“

 

So wird die Lehre gemäß der Weitergabe dieses Buches an solche, die bereit sind für die Unterweisung, die Auf­merksamkeit derer erregen, die vorbereitet sind, die Lehre zu empfangen. Und gleichermaßen, wenn der Schüler bereit ist zu empfangen, dann wird auch dies kleine Buch zu ihm oder zu ihr kommen. So will es das Gesetz. Das hermetische Prinzip von Ursache und Wirkung wird nach dem Gesetz der Anziehung Lippe und Ohr zusammenbringen - Schüler und Buch gleichermaßen.

So möge es sein!

 

II. Kapitel

Die sieben hermetischen Prinzipien

 

„Es gibt sieben Prinzipien der Wahrheit; derjenige, der sie kennt mit vollem Verständnis, besitzt den magischen Schlüssel, bei dessen Be­rührung alle Tore des Tempels sich öffnen.“

„Kybalion“

 

Die sieben hermetischen Prinzipien, auf denen die ganze hermetische Philosophie begründet ist, sind folgende:

 

1.     Das Prinzip der Geistigkeit.

2.     Das Prinzip der Entsprechung.

3.     Das Prinzip der Schwingung.

4.     Das Prinzip der Polarität.

5.     Das Prinzip des Rhythmus.

6.     Das Prinzip von Ursache und Wirkung.

7.     Das Prinzip des Geschlechts.      

 

Diese sieben Prinzipien sollen in den folgenden Lektionen besprochen und erklärt werden. Eine kurze Erklärung eines jeden soll jedoch schon jetzt erfolgen:

 

 

 Die geistige Verwandlung

„Geist (sowie Metalle und Elemente) kann ver­wandelt werden von Zustand zu Zustand, von Grad zu Grad. von Lage zu Lage, von Pol zu Pol, von Schwingung zu Schwingung.“

Das All

„Unter und hinter dem Universum von Zeit, Raum und Wechsel findet man immer die sub­stantielle Realität - die fundamentale Wahr­heit.“

Das geistige Universum

„Das Universum ist geistig - gehalten im Geiste des Alls.“

Das göttliche Paradoxon

„Der Halbweise, der die verhältnismäßige Un­wirklichkeit des Universums erkennt, glaubt, seine Gesetze missachten zu können - das sind eitle und eingebildete Narren, sie werden gegen die Felsen geschleudert und entzwei gerissen durch die Elemente auf Grund ihrer Narrheit. Die echten Weisen, die die Natur des Univer­sums kennen, verwenden Gesetz gegen Gesetz, das Höhere gegen das Niedrigere, und durch die Kunst der Alchimie verwandeln sie das, was unerwünscht ist, in das Wertvolle und ge­winnen so die Herrschaft. Meisterschaft besteht nicht in anomalen Träumen, Visionen und phantastischen Einbildungen und phantastischem Leben, sondern in der Verwendung höherer Kräfte gegen die niedrigeren und darin, dass man den Qualen niedrigerer Ebenen durch Schwingung auf der höheren entgeht. Umwand­lung, nicht anmaßende Verneinung ist die Waffe des Meisters.“       

 

 

 

1. Das Prinzip der Geistigkeit:

 

„Das All ist Geist, das Universum ist geistig.“

„Kybalion“

 

 

Dieses Prinzip enthält die Wahrheit: „Alles ist Geist“. Es erklärt, dass das All das die substantielle Realität ist, welche allen äußerlichen Manifestationen und Erscheinun­gen zugrunde liegt, die wir unter den Bezeichnungen ,.ma­terielles Universum“, „Erscheinungsformen des Lebens“, „Materie“, „Energie“ kennen, kurz alles, was für unsere materiellen Sinne in Erscheinung tritt - dass das All, sagten wir, Geist ist, der selbst unerkennbar und unerklärbar ist, der aber als universaler, schöpferischer Geist angesehen und gedacht werden kann. Das erklärt auch, dass die ganze Er­scheinungswelt oder das Universum nur eine geistige Schöp­fung des Alls ist, unterworfen den Gesetzen aller geschaf­fenen Dinge, und dass das Universum als Ganzes und auch in seinen Teilen und Einheiten seine Existenz im Geiste des Alls hat, in welchem Geiste wir „leben, uns bewegen und unser Dasein haben“. Dieses Prinzip erklärt, indem es die geistige Natur des Universums festlegt, leicht alle die ver­schiedenen geistigen und seelischen Phänomene, die die öffentliche Aufmerksamkeit in so großem Maße beschäfti­gen und die ohne solche Erklärung unverständlich sind und sich wissenschaftlicher Behandlung entziehen. Das Ver­ständnis dieses großen hermetischen Prinzips der Geistig­keit befähigt den Menschen, die Gesetze des geistigen Uni­versums leichter

zu begreifen und sie zu seinem Wohlbe­finden und Vorwärtskommen anzuwenden. Der hermetische Schüler ist in der Lage, die großen geistigen Gesetze ver­ständnisvoll anzuwenden, anstatt ihre Anwendung dem Zu­fall zu überlassen. Mit dem Hauptschlüssel in der Hand kann der Schüler die vielen Tore des geistigen und psychi­schen Tempels des Wissens öffnen und ihn frei und ver­ständnisvoll betreten. Dieses Prinzip erklärt die wahre Na­tur von „Energie“, „Kraft“, „Stoff“ und warum und wie sie alle der Herrschaft des Geistes unterworfen sind. Vor langer Zeit schrieb einer der hermetischen Meister:

 

„Derjenige, der die Wahrheit der geistigen Natur des Universums begreift, ist weit auf dem Wege zur Meister­schaft fortgeschritten.“

 

Und diese Worte sind heute so wahr wie damals, als sie zum ersten Male geschrieben wurden. Ohne diesen Haupt­schlüssel ist Meisterschaft unmöglich und der Schüler pocht vergeblich an die vielen Tore des Tempels.

 

 

2.  Das Prinzip der Entsprechung:

 

„Wie oben, so unten; wie unten, so oben.“

„Kybalion“

 

 

Dieses Prinzip enthält die Wahrheit, dass es zwischen den Gesetzen und Erscheinungsformen der verschiedenen Ebenen des Seins und Lebens eine Entsprechung gibt. Der alte her­metische Grundsatz lautete: „Wie oben, so unten; wie unten, so oben“. Und das Begreifen dieses Prinzips gibt einem die Mittel in die Hand, manchen unklaren Widerspruch zu lösen und manch verborgenes Geheimnis der Natur. Es gibt Ebenen jenseits unseres Wissens, aber wenn wir das Prinzip der Entsprechung auf sie anwenden, können wir viel ver­stehen, was sonst unbegreiflich für uns wäre. Dieses Prinzip tritt auf den verschiedenen Ebenen des materiellen, geisti­gen und rein geistigen Universums in Anwendung und Er­scheinung - es ist ein universales Gesetz.

 

Die alten Hermetiker betrachteten dieses Prinzip als eines der wichtigsten geistigen Werkzeuge, mit denen der Mensch die Hindernisse beiseite räumen konnte, die das Unbekannte dem Blick entzogen. Seine Anwendung zog sogar den Schleier der Isis so weit beiseite, dass man für einen Augenblick das Antlitz der Göttin erblicken konnte. Wie die Kenntnis des Prinzips der Geometrie den Menschen be­fähigt, weit entfernte Sonnen und ihre Bewegungen - in seinem Observatorium sitzend - zu erkennen, so befähigt die Kenntnis des Prinzips der Entsprechung den Menschen, verständnisvoll vom Bekannten zum Unbekannten seine Schlüsse zu ziehen. Indem er die Monade erforscht, lernt er den Erzengel verstehen.

 

 

3.  Das Prinzip der Schwingung:

       

„Nichts ist in Ruhe, alles bewegt sich, alles ist in Schwingung.“

„Kybalion“

 

 

Dieses Prinzip enthält die Wahrheit, dass „alles in Be­wegung ist, alles schwingt, nichts in Ruhe ist“, Tatsachen, denen die moderne Wissenschaft beipflichtet und die jede neue wissenschaftliche Entdeckung zu bestätigen neigt. Und doch war dieses hermetische Prinzip schon vor Tausenden von Jahren von den alten ägyptischen Meistern verkündet wor­den.

 

Dieses Prinzip erklärt, dass alle Unterschiede zwischen den verschiedenen Manifestationen des Stoffes, der Energie, der Gedanken und sogar des Geistes im weitesten Maße von den verschiedenen Graden der Schwingung abhängen. Vom „All“, das reiner Geist ist, bis herunter zur gröbsten Form der Materie ist alles in Schwingung, - je höher die Schwin­gungszahl, desto höher die Position in der Skala. Die Schwingung des Geistes hat einen so unendlichen Stärkegrad und eine solche Schnelligkeit, dass sie sich praktisch in Ruhe befindet - genau so wie ein sich reißend schnell be­wegendes Rad bewegungslos zu sein scheint. Und am an­deren Ende der Skala sind die groben Formen der Materie, deren Schwingungen so langsam sind, dass auch sie in Ruhe zu sein scheinen. Zwischen diesen Polen gibt es Millionen über Millionen verschiedener Grade von Schwingung. Vom Körperlichen im Elektron, Atom und Molekül zu Welten und Universen ist alles in schwingender Bewegung. Dies ist auch auf den Ebenen von Energie und Kraft - die nur ver­schiedenartige Grade von Schwingung sind - wahr, ebenso auf den geistigen Ebenen - deren Zustände von der Schwingung abhängen - und schließlich auf den rein gei­stigen Ebenen. Das Verständnis dieses Prinzips befähigt die hermetischen Schüler unter Anwendung der entsprechenden Vorschriften - Formeln -, ihre eigenen geistigen Schwin­gungen sowie die anderer zu beherrschen. Die Meister wen­den dieses Prinzip auch in verschiedener Weise an, um Naturphänomene zu überwinden.

 

„Derjenige, der das Prinzip der Schwingung versteht, hat das Zepter der Macht ergriffen“, schrieb einer der alten Meister.

 

 

4.  Das Prinzip der Polarität:

 

 

„Alles ist zwiefach, alles hat zwei Pole, alles hat sein Paar von Gegensätzlichkeiten; gleich und ungleich ist dasselbe; Gegensätze sind identisch in der Natur, nur verschieden im Grad; Extreme berühren sich; alle Wahrheiten sind nur halbe Wahrheiten; alle Widersprüche können miteinander in Einklang gebracht werden.“

„Kybalion“

 

 

Dieses Prinzip enthält die Wahrheit: „Alles ist zwiefach; alles hat zwei Pole; alles hat sein Paar von Gegensätzlich­keiten“ - alles dies sind hermetische

Grundsätze. Es erklärt die alten Paradoxe, die so viele in Erstaunen gesetzt haben und die folgendermaßen aufgestellt wurden: These und Antithese sind identisch in der Natur; Gegensätze können in Einklang gebracht werden; Extreme berühren sich; alles ist und ist nicht zu gleicher Zeit; alle Wahrheiten sind bloß halbe Wahrheiten; jede Wahrheit ist zur Hälfte falsch; je­des Ding hat zwei Seiten usw. Es erklärt, dass in allem zwei Pole sind oder gegensätzliche Aspekte und dass die Gegen­sätze in Wirklichkeit nur die Extreme ein und desselben Dinges sind mit verschiedenen Graden dazwischen. z.B. Hitze und Kälte, obgleich „Gegensätze“, sind in Wirklich­keit dasselbe, die Unterschiede bestehen lediglich in den ver­schiedenen Graden desselben Dinges. Sieh Deinen Thermo­meter an und schau, ob Du entdecken kannst, wo die „Hitze“ aufhört und die „Kälte“ beginnt. Es gibt nicht so etwas wie „absolute Hitze“ oder „absolute Kälte“, die beiden Aus­drücke „Hitze“ und „Kälte“ bezeichnen lediglich verschie­dene Grade desselben Dinges und dieses „selbe Ding“, das als „Hitze“ und „Kälte“ in Erscheinung tritt, ist nur eine Form bzw. ein Grad der Schwingung. So sind „Hitze“ und „Kälte“ nur die beiden Pole dessen, was wir „Wärme“ nennen - und die Erscheinungen, die sich daraus er­geben, sind nur Manifestationen des Prinzips der Polarität.

 

Wo hört die Dunkelheit auf und beginnt das Licht? Was ist der Unterschied zwischen „groß“ und „klein“, zwi­schen „hart“ und „weich“, zwischen „schwarz“ und „weiß“, zwischen „scharf“ und „stumpf“, zwischen „laut“ und „leise“, zwischen „hoch“ und „niedrig“, zwischen „positiv“ und „negativ“? Das Prinzip der Polarität erklärt diese Widersprüche und kein anderes Prinzip kann es ersetzen. Dasselbe Prinzip wirkt auf der geistigen Ebene. Nennen wir ein radikales und extremes Beispiel - das von „Liebe“ und „Hass“, zwei geistige Zustände, die augenscheinlich völlig verschieden sind. Und doch gibt es Grade von „Liebe“ und „Hass“ und einen mittleren Punkt, wo wir die Ausdrücke „Zuneigung“ und „Abneigung“ gebrauchen, die so allmäh­lich ineinander übergehen, dass wir manchmal in Verlegen­heit sind, zu wissen, ob wir „gern mögen“ oder „nicht mögen“ oder „keines von beiden“. Alles dies sind lediglich Grade desselben Dinges, was man erkennt, wenn man nur ein wenig nachdenkt.

 

Und mehr als das - und was von den Hermetikern für noch wichtiger gehalten wird -, es ist möglich, die Schwingungen von Hass in Schwingungen von Liebe zu verwandeln, bei sich und bei anderen. Viele von Euch, die diese Zeilen lesen, haben persönliche Erfah­rungen über den unfreiwillig schnellen Übergang von Liebe in Hass und umgekehrt, bei Euch selbst und bei anderen. Und Ihr werdet darum die Möglichkeit erkennen, dass dies durch Inanspruchnahme des Willens bewirkt werden kann, unter Anwendung der hermetischen Formeln. „Gutes“ und „Böses“ sind nur die Pole ein und desselben Dinges, und der Hermetiker versteht die Kunst, Böses in Gutes zu verwan­deln unter Anwendung des Prinzips der Polarität. Kurz, die „Kunst der Polarisation“ ist ein Teil der „geistigen Alchi­mie“, gekannt und angewandt von den alten und neuen hermetischen Meistern. Das Verständnis dieses Prinzips be­fähigt einen, seine eigene Polarität zu ändern, sowie die von anderen. falls man die Zeit und das Studium darauf verwendet. diese Kunst zu lernen.

 

 

5. Das Prinzip des Rhythmus:

 

„Alles fließt aus und ein, alles hat seine Ge­zeiten, alle Dinge steigen und fallen, das Schwingen des Pendels zeigt sich in allem; das Maß des Schwunges nach rechts ist das Maß des Schwunges nach links; Rhythmus kompensiert.“

„Kybalion“

 

Dieses Prinzip enthält die Wahrheit, dass sich in allem eine abgemessene Bewegung zeigt, hin und her; ein Hin- und Zurückfließen, eine pendelgleiche Bewegung, eine ge­zeitengleiche Ebbe und Flut, ein hoher und ein niedriger Stand, das alles zwischen den beiden Polen, die gemäß dem Prinzip der Polarität bestehen. das soeben beschrieben wurde. Es gibt immer eine Aktion und Reaktion, ein Vor­wärtsschreiten und ein Zurückgehen, ein Steigen und Fallen. Und dies in den Geschehnissen des Universums, der Son­nen, der Welten, der Menschen, Tiere, des Geistes, der Energie und der Materie. Dieses Gesetz offenbart sich im Entstehen und Vergehen von Welten; im Aufstieg und Un­tergang von Nationen; im Leben aller Dinge; in den geistigen Zuständen der Menschen und im Hinblick auf letztere fin­den die Hermetiker das Verständnis dieses Prinzips ganz besonders wichtig.

 

Die Hermetiker haben dieses Prinzip er­kannt und gefunden, dass es allgemein angewandt wird, und sie haben auch die Mittel entdeckt, die Wirkung des­selben auf sie selbst zu überwinden durch den Gebrauch entsprechender Formeln und Methoden. Sie wenden das geistige Gesetz der „Neutralisation“ an. Sie können das Prinzip nicht annullieren oder bewirken, dass seine Aus­übung aufhöre, aber sie haben durch Beherrschung des Prinzips gelernt, der Wirkung auf sie selbst bis zu einem gewissen Grade zu entgehen. Sie haben gelernt, es auszu­nutzen, statt von ihm ausgenutzt zu werden. Auf dieser und ähnlichen Methoden beruht die Kunst der Hermetiker. Der hermetische Meister polarisiert sich selbst an dem Punkt, wo er zu ruhen wünscht, und dann neutralisiert er den rhyth­mischen Schwung des Pendels, der ihn sonst zum andern Pol hintragen würde.

 

Alle Menschen, die ein gewisses Maß von Selbstbeherrschung erreicht haben, tun dies bis zu einem gewissen Grade mehr oder weniger unbewusst, der herme­tische Meister aber tut das bewusst und unter Anwendung seines Willens und erreicht damit eine Gewichtigkeit und geistige Festigkeit, die den Massen nahezu unmöglich er­scheint, die hin- und hergeschwungen werden wie ein Pen­del. Dieses Prinzip und das der Polarität sind von den Hermetikern besonders studiert und die Methoden der Ge­genwirkung, des Neutralisierens und Ausnutzens, bilden einen wichtigen Teil der hermetischen geistigen Alchimie.

 

 

6. Das Prinzip von Ursache und Wirkung:

 

„Jede Ursache hat ihre Wirkung; jede Wirkung ihre Ursache; alles geschieht gesetzmäßig. Zu­fall ist nur der Name für ein unbekanntes Ge­setz. Es gibt viele Ebenen der Ursächlichkeit, aber nichts entgeht dem Gesetz.“

„Kybalion“

 

Dieses Prinzip enthält die Tatsache, dass es für jede Wir­kung eine Ursache gibt und für jede Ursache eine Wirkung. Es erklärt: alles geschieht gesetzmäßig, nichts ereignet sich zufällig, es gibt nicht so etwas wie Zufall; es gibt verschie­dene Ebenen von Ursache und Wirkung, die höheren be­herrschen die niederen Ebenen und doch kann nichts völlig dem Gesetz entgehen. Die Hermetiker verstehen die Kunst, sich über die gewöhnliche Ebene von Ursache und Wirkung zu erheben, indem sie geistig sich zu einer höheren Ebene erheben, werden sie Ursache statt Wirkung. Die Massen des Volkes werden dahingetragen, sind ihrer Um­gebung untertan. Wille und Wünsche der andern sind stär­ker als sie. Und andere äußere Ursachen bewegen sie wie Figuren auf dem Schachbrett des Lebens. Aber die Meister beherrschen, indem sie sich auf eine höhere Ebene erheben, ihre Stimmungen, ihren Charakter, ihre Eigenschaften und Kräfte sowie ihre Umgebung und werden Spieler statt Figuren. Sie helfen, das Spiel des Lebens zu spielen, anstatt dass mit ihnen gespielt wird und sie durch einen andern Willen oder durch ihre Umgebung bewegt werden. Diese Feststellung birgt einen Reichtum hermetischen Wissens. Entnehme ihn, wer kann!

 

 

7.  Das Prinzip des Geschlechts:

 

„Geschlecht ist in allem, alles hat männliche und weibliche Prinzipien, Geschlecht offenbart sich auf allen Ebenen.“

„Kybalion“

 

Dieses Prinzip enthält die Wahrheit, dass sich das Ge­schlecht in allem offenbart. Die männlichen und weiblichen Prinzipien sind immer am Werk. Dies ist nicht nur auf der physischen Ebene wahr, sondern auch auf den geistigen und sogar den rein geistigen Ebenen. Auf der physischen Ebene offenbart sich das Prinzip als Geschlechtlichkeit, auf den höheren Ebenen nimmt es höhere Formen an, aber das Prinzip ist immer dasselbe. Keine Schöpfung physischer, geistiger oder rein geistiger Art ist möglich ohne dieses Prinzip. Das Verständnis dieses Gesetzes wirft Licht auf manche Frage, die die Menschen in Erstaunen gesetzt hat. Das Prinzip des Geschlechts arbeitet stets in der Richtung der Zeugung, Wiedererzeugung und Schöpfung. Jedes Ding, jede Form enthält die zwei Elemente oder Prinzipien oder, besser gesagt, dieses große Prinzip in sich. Alles Männliche besitzt auch das weibliche Element, jedes Weibliche enthält auch das männliche Prinzip. Wenn man die Philosophie der geistigen und rein geistigen Schöpfung, Zeugung und Wie­dererzeugung verstehen will, muss man dieses hermetische Prinzip kennen und

studieren. Es enthält die Lösung vieler Mysterien des Lebens. Wir bitten Euch, zu beachten, dass dieses Prinzip keine Beziehung zu den vielen niedrigen, zer­störenden und erniedrigenden lüsternen Theorien, Lehren und Praktiken hat, die unter märchenhaften Titeln gelehrt werden und die eine Entweihung des großen natürlichen Prinzips des Geschlechts bedeuten. Solch niedrige Wiederaufstehungen der alten schändlichen Form des Phallizismus neigen dazu, Geist, Körper und Seele zu verderben, und die hermetische Philosophie hat stets ihre warnende Stimme erhoben gegen die erniedrigenden Lehren, die sich an die Lüstemheit, Wollust und Umkehrung der natürlichen Prin­zipien wenden. Wenn Ihr solche Lehren meint, so müsst Ihr woanders suchen - der Hermetizismus enthält nichts für Euch in diesen Zeilen. Dem Reinen ist alles rein, dem Ge­meinen sind alle Dinge gemein.

 

 

 

III. Kapitel

 Die geistige Verwandlung

 

„Geist (sowie Metalle und Elemente) kann ver­wandelt werden von Zustand zu Zustand, von Grad zu Grad. von Lage zu Lage, von Pol zu Pol, von Schwingung zu Schwingung.“

„Kybalion“

 

Wie wir festgestellt haben, waren die Hermetiker die ursprünglichen Alchimisten, Astrologen und Psychologen, nachdem HERMES der Gründer dieser Schulen des Denkens war. Aus der Astrologie ist die moderne Astronomie, aus der Alchimie die moderne Chemie, aus der mystischen Psy­chologie die moderne Psychologie (der Schulen) entstanden. Aber man darf nicht annehmen, dass den Alten nicht das bekannt war, was die modernen Schulen als ihr ausschließ­liches und besonderes Eigentum ansehen. Die Steinzeich­nungen im alten Ägypten zeigen klar, dass die Alten ein voll umfassendes Wissen über Astronomie hatten; gerade der Bau der Pyramiden zeigt die Verbindung zwischen ihrem Entwurf und dem Studium der astronomischen Wissenschaft. Auch in der Chemie waren sie nicht unwissend, denn die Fragmente alter Schriften zeigen, dass ihnen die chemischen Eigenschaften der Dinge bekannt waren. Tatsächlich wer­den die alten Theorien über Physik langsam durch die letz­ten Entdeckungen der modernen Wissenschaft bestätigt, bemerkenswerterweise durch diejenigen, die die Zusammen­setzung der Materie betreffen. Man darf auch nicht annehmen, dass sie so unwissend auf dem Gebiete der so genannten modernen Entdeckungen in der Psychologie ge­wesen sind - im Gegenteil, die Ägypter waren kundig in der Wissenschaft der Psychologie, besonders in den Zwei­gen, die die modernen Schulen nicht beachten, welche aber nichtsdestoweniger unter dem Namen „Seelenkunde“ aufgedeckt wurden. Überrascht und zögernd gibt die heutige Psychologie zu, dass „da doch etwas daran sein könnte“.

 

Die Wahrheit ist, dass die Alten über die materielle Che­mie, Astronomie und Psychologie hinausgehend Kenntnisse besaßen über transzendentale Astronomie, genannt Astro­logie, über transzendentale Chemie, d. h. Alchimie, und transzendentale Psychologie, genannt mystische Psycholo­gie. Sie besaßen sowohl das innere wie das äußere Wissen; die modernen Wissenschaftler besitzen nur das letztere. Unter den vielen geheimen Wissensgebieten, die die Her­metiker beherrschten, war auch das, welches als geistige Transmutation bekannt ist und das Thema dieser Lektion bildet.

 

„Verwandlung“ ist eine Bezeichnung, die gewöhnlich ge­braucht wird, um die alte Kunst der Verwandlung von Metallen zu bezeichnen, besonders von unedlen Metallen in Gold. „Verwandeln“ heißt verändern, von einer Natur, Form, Substanz in eine andere „umbilden“ (WEBSTER). Dementsprechend heißt „geistige Verwandlung“ die Kunst, geistige Zustände, Formen, Bedingungen in andere zu ver­ändern und umzuformen. So kann man sehen, dass „geistige Verwandlung“ die Kunst der geistigen Chemie ist. Man kann auch sagen - eine Form praktischer mystischer Psy­chologie.

Aber das bedeutet viel mehr, als es oberflächlich erscheint. Verwandlung!

Alchimie oder Chemie auf der geistigen Ebene ist zwar bedeutend genug in ihren Wirkungen, und wenn die Kunst hier halt machte, so würde sie schon eines der bedeutendsten Forschungsgebiete sein, das die Menschen kennen. Aber das ist erst der Anfang. Wir wollen sehen, warum.

 

Das erste der sieben hermetischen Prinzipien ist das der Geistigkeit, dessen Grundsatz heißt: „Das All ist Geist, das Universum ist geistig“, d.h. die dem Universum zu Grunde liegende Realität ist Geist; das Universum selbst ist geistig, d.h. es besteht im schöpferischen Geiste des Alls. Wir wer­den dieses Prinzip in den folgenden Lektionen behandeln, wollen es aber jetzt schon mit der Voraussetzung betrachten, es sei wahr.

 

Wenn das Universum seiner Natur nach geistig ist, dann muss geistige Umwandlung die Kunst sein, die Bedingungen des Universums auf den Gebieten von Materie, Kraft und Geist zu verändern. Man sieht also: geistige Verwandlung ist wirklich die „Magie“, über die die alten Schriftsteller in ihren mystischen Werken so viel zu sagen hatten und über die sie so wenig praktische Anweisungen gegeben haben. Wenn das All wirklich geistig ist, dann muss die Kunst, die geistigen Bedingungen zu verändern, den Meister zum Be­herrscher aller materiellen und der im Allgemeinen geistig genannten Zustände machen.

 

Tatsächlich sind nur fortgeschrittene geistige Alchimisten in der Lage gewesen, das Maß von Kraft zu erreichen, das notwendig ist, um die gröberen physischen Zustände zu be­herrschen, wie die Beherrschung der Elemente der Natur, das Hervorrufen und Besänftigen von Stürmen, Erdbeben und anderen großen physikalischen Erscheinungen. Aber, dass solche Menschen wirklich gelebt haben und auch heute wirklich existieren, davon sind alle fortgeschrittenen Ok­kultisten aller Schulen ernsthaft überzeugt. Dass die Meister existieren und diese Kräfte haben, das versichern die besten Lehrer ihren Schülern, weil sie Erfahrungen gemacht ha­ben, die diesen Glauben rechtfertigen. Diese Meister stellen ihre Kräfte nicht öffentlich zur Schau, sondern suchen Ab­geschiedenheit von der großen Masse, um auf dem Wege zum Ziel besser vorwärts zu kommen. Wir erwähnen hier ihr Dasein lediglich, um Eure Aufmerksamkeit auf die Tat­sache zu lenken, dass ihre Macht ausschließlich geistig ist, auf der Ebene höherer geistiger Umformung wirkt, unter dem hermetischen Prinzip der Geistigkeit.

 

„Das Universum ist geistig.“

 

Auch Schüler und Hermetiker niedrigerer Grade als Mei­ster - die Eingeweihten und Lehrer - sind in der Lage, auf der geistigen Ebene geistige Transmutationen frei aus­zuführen. Tatsächlich arbeitet alles, was wir „psychische Phänomene“, „geistige Einflüsse“, „Geisteswissenschaft“ usw. nennen, auf derselben allgemeinen Linie, denn in al­lem ist nur ein Prinzip enthalten, ganz gleich, welchen Na­men man ihm gibt.

 

Der Schüler und Praktiker geistiger Verwandlung arbei­tet auf der geistigen Ebene, indem er geistige Zustände usw. in andere verwandelt gemäß verschiedenen mehr oder we­niger wirksamen Vorschriften. Die Tatsache ihrer verschie­denartigen Behandlung - Bestätigung oder Verneinung - durch die Schulen geistiger Wissenschaft zeigt, dass es sich hier nur um ganz unvollkommene und unwissenschaftliche Formeln der hermetischen Kunst handelt. Die Mehrheit der

modernen Praktiker ist ganz unwissend im Vergleich zu den alten Meistern, denn es fehlen ihnen die grundlegenden Kenntnisse, auf denen das Werk beruht.

 

Man kann aber nicht nur die geistigen Zustände bei sich selbst durch die hermetischen Methoden verwandeln, son­dern auch bei andern. In gleicher Weise geschehen oft gei­stige Verwandlungen, meist unbewusst, oft aber auch bewusst durch Menschen, die die Gesetze und Prinzipien gar nicht verstehen, an anderen Unerfahrenen, denen die Prin­zipien des Selbstschutzes ebenso unbekannt sind. Und mehr als das; wie viele Schüler und Praktiker der modernen Geisteswissenschaften wissen, kann jeder materielle Zu­stand, der von der geistigen Einstellung anderer Leute ab­hängt, geändert oder verändert werden durch den ernsten Willen seitens der Person, die diese veränderten Lebens­bedingungen wünscht. Die Öffentlichkeit ist heute im all­gemeinen über diese Dinge unterrichtet, so dass wir es nicht für notwendig halten, sie des längeren zu erwähnen. Unsere Absicht ist lediglich, hier das hermetische Prinzip und die Kunst aufzuweisen, die all diesen verschiedenen guten und bösen Praktiken zu Grunde liegt, denn die Kraft kann auf verschiedene Seiten hin angewandt werden, gemäß den hermetischen Prinzipien der Polarität.

In diesem kleinen Buch wollen wir die Grundprinzipien der hermetischen Transmutation festlegen, damit alle, die es lesen, die zugrunde liegenden Prinzipien begreifen und so den Hauptschlüssel besitzen, der die vielen Tore des Prinzips der Polarität erschließt.

 

Wir wollen jetzt zu einer Betrachtung des ersten der sie­ben hermetischen Prinzipien übergehen, des Prinzips der Geistigkeit, in dem die Wahrheit erklärt wird: „Das All ist Geist, das Universum ist geistig“, nach den Worten des „Kybalion“. Wir fordern größte Aufmerksamkeit und sorg­sames Studium dieses bedeutenden Prinzips seitens unserer Schüler, denn es ist wirklich das Grundprinzip der ganzen hermetischen Philosophie und der hermetischen Kunst gei­stiger Umwandlung.

 

 

IV. Kapitel

 Das All

 

„Unter und hinter dem Universum von Zeit, Raum und Wechsel findet man immer die sub­stantielle Realität - die fundamentale Wahr­heit.“           

„Kybalion“

 

 „Substanz“ heißt das, was allen äußerlichen Offenbarun­gen zugrunde liegt, die „Essenz“, die „essentielle Realität“, das ,Ding an sich“ usw. „Substantiell“ heißt: „der Zustand, wirklich zu sein’., „mehr, dauernd, wirksam, fest, bestimmt, gegenwärtig sein“ usw.

 

Unter und hinter allen äußeren Erscheinungen und Offen­barungen muss es immer eine „substantielle Realität“ geben. So ist das Gesetz. Wenn der Mensch das Universum, von dem er ein Teil ist, betrachtet, sieht er nichts als den Wan­del in der Materie, in den Kräften und geistigen Zuständen. Er sieht, dass nichts in Wirklichkeit ist, sondern dass alles wird und sich ändert. Nichts steht still, alles wird geboren, wachst und stirbt - in demselben Augenblick, wo ein Ding seinen Höhepunkt erreicht, beginnt sein Niedergang. Das Gesetz des Rhythmus ist in dauernder Tätigkeit, es gibt keine Realität, keine dauernde Eigenschaft, keine unver­änderte Wesenheit in irgendetwas - nichts ist dauernd als der Wechsel. Er sieht, wie alle Dinge sich aus anderen Din­gen entwickeln und sich zu anderen Dingen auflösen: eine dauernde Aktion und Reaktion, ein Ein und Aus, Aufbauen und Niederreißen, Schöpfung und Zerstörung, Geburt, Wachstum und Tod. Nichts dauert als der Wechsel. Als denkender Mensch erkennt er, dass all diese wechselnden Dinge äußere Erscheinungen - Offenbarungen - einer ihnen zugrunde liegenden Kraft - einer substantiellen Re­alität - sein müssen.

 

Alle Denker in allen Ländern und zu allen Zeiten haben die Notwendigkeit zugegeben, die Existenz dieser substan­tiellen Realität zu fordern. Alle Philosophien, die dieses Namens wert sind, wurden auf diesem Gedanken aufge­baut. Die Menschen haben dieser substantiellen Realität viele Namen gegeben; einige haben sie - unter vielen Ti­teln - mit Gottheiten bezeichnet, andere nannten sie die „unendliche und ewige Energie“, andere haben versucht, sie „Materie“ zu nennen - aber alle haben ihre Existenz anerkannt. Sie ist selbstverständlich und bedarf keines Be­weises.

 

In diesen Lektionen sind wir dem Beispiel einiger der größten Denker der Welt gefolgt, des Altertums sowohl wie der Neuzeit - den hermetischen Meistern - und ha­ben diese zugrunde liegende Kraft - diese substantielle Realität - mit dem hermetischen Namen „das ALL“ be­nannt, welche Bezeichnung die verständlichste von den vie­len andern ist, die die Menschen dem gegeben haben, was Namen und Bezeichnungen übersteigt. Wir akzeptieren und lehren die „Schau“ der großen hermetischen Denker aller Zeiten und auch jener erleuchteten Seelen, die bereits höhere Ebenen des Seins erreicht haben, die alle versichern, dass die innere Natur des „Alls“ unerkennbar ist. Das muss so sein, denn nichts als das All kann seine eigene Natur und sein Dasein verstehen.

Die Hermetiker glauben und lehren, dass das All „an sich“ unerkennbar ist und immer unerkennbar bleiben muss. Sie betrachten alle Theorien, Annahmen und Spekulationen der Theologen und Metaphysiker, die innere Natur des Alls betreffend, nur als kindliche Versuche sterblicher Gei­ster, das Geheimnis des Unendlichen zu begreifen. Solche Versuche sind immer fehlgeschlagen und werden immer fehlschlagen, gerade aus der Natur der Aufgabe heraus. Einer, der solche Fragen verfolgt, geht immer rund herum in dem Labyrinth der Gedanken, bis er für alle vernünfti­gen Überlegungen, Tätigkeiten und Verhalten verloren und völlig unbrauchbar für die Arbeit des Lebens geworden ist. Er ist wie ein Eichhörnchen, das wahnsinnig immerzu auf dem kreisenden Rad der Tretmühle seines Käfigs entlangläuft, immer in Bewegung und nie ein Ziel erreichend - am Ende immer noch gefangen an derselben Stelle, wo es begann.

 

Und noch vermessener sind diejenigen, die versuchen, dem All Persönlichkeit. Eigenschaften, charakterliche Merk­male ihrer selbst beizulegen, indem sie dem All mensch­liche Emotionen, Gefühle und Eigenschaften bis herunter zu den geringsten Eigenschaften der Menschheit beilegen, wie Eifersucht, Empfänglichkeit für Schmeicheleien und Lob, Wünsche hinsichtlich Opfergaben und Verehrung und all die andern Überbleibsel aus den Tagen der Kindheit des Menschengeschlechts. Solche Ideen sind erwachsenen Män­nern und Frauen nicht würdig und müssen beschleunigt abgelegt werden.

 

Wir halten es für richtig, hier festzustellen, dass wir einen Unterschied zwischen Religion und Theologie, zwischen Philosophie und Metaphysik machen. Religion ist für uns jene intuitive Erkenntnis der Existenz des Alls und die Be­ziehung der Menschen zu ihm, während Theologie den Ver­such der Menschen bedeutet, ihm Persönlichkeit, Eigenschaf­ten und Merkmale beizulegen, sowie ihre Theorien seine Angelegenheiten, seinen Willen, seine Wünsche, Pläne und Absichten betreffend, ferner ihren Anspruch auf ein Amt von „Mittlern“ zwischen dem All und den Menschen. Philo­sophie bedeutet für uns das Suchen nach dem Wissen er­kennbarer und denkbarer Dinge, während Metaphysik den Versuch bedeutet, das Suchen über die Grenzen hinaus in unerkennbare und undenkbare Gebiete zu tragen mit der­selben Absicht wie die Theologie. Wir bestehen nicht dar­auf, dass unsere Schüler diese Erklärungen annehmen, wir erwähnen sie nur, um unsere Stellung zu zeigen. Jedenfalls werdet Ihr sehr wenig über Theologie und Metaphysik in diesen Lektionen hören.

 

Während nun die wesentliche Natur des Alls unerkenn­bar ist, so gibt es doch gewisse Wahrheiten, die mit ihrer Existenz in Verbindung stehen, die der menschliche Geist sich gezwungen sieht, anzunehmen. Eine Prüfung dieser Berichte bildet den rechten Gegenstand des Forschens, be­sonders, da sie mit den Berichten der Erleuchteten auf hö­heren Ebenen übereinstimmen. Zu dieser Forschung laden wir Euch jetzt ein:

 

„Für das, was die fundamentale Wahrheit ist - die sub­stantielle Realität -, ist Menschenwort zu arm, aber der Weise nennt sie „das ALL.“

„Im Kern seines Wesens ist das All unerkennbar.“

„Aber die Äußerungen der Vernunft müssen willkom­men geheißen und mit Achtung behandelt werden.“

 

Die menschliche Vernunft, deren Äußerungen wir an­nehmen müssen, solange wir überhaupt denken, unterrich­tet uns wie folgt über das All, und dies ohne zu versuchen, den Schleier des Unerkennbaren zu lüften:

 

1. Das All muss alles sein, was wirklich existiert. Es kann außerhalb des Alls nichts existieren, sonst wäre eben das All nicht das All.

 

  2. Das All muss unendlich sein, denn es gibt nichts, was das All genau bestimmen, begrenzen, beschränken kann. Es muss unendlich sein in der Zeit oder ewig, es muss immer ununterbrochen existiert haben, denn es gibt sonst nichts, was es geschaffen haben könnte, es kann etwas sich nicht aus nichts entwickeln und wenn es jemals „nicht gewesen“ wäre, nicht einmal für einen Augenblick, würde es jetzt nicht „sein“ - es muss ununterbrochen für ewig existieren, denn es gibt nichts, was es zerstören kann, und es kann nie­mals „nicht sein“, nicht einmal für einen Augenblick, denn niemals kann etwas zu nichts werden. Es muss unendlich sein im Raum - es muss überall sein, denn es gibt keinen Ort außerhalb des Alls, es kann nicht anders sein als kon­tinuierlich im Raum ohne Unterbrechung, ohne Aufhören, ohne Teilung, denn es gibt nichts, das seinen Zusammen­hang teilen oder unterbrechen könnte, und nichts, was die Lücken ausfüllen könnte. Es muss unendlich sein an Kraft, denn es gibt nichts, was es begrenzen, einschränken, stören oder bedingen könnte - es ist keiner andern Kraft unter­worfen, denn es gibt keine andere Kraft.

 

3. Das All muss unwandelbar sein und kann in seiner wahren Natur keinem Wechsel unterworfen sein, denn es gibt nichts, was eine Wandlung auf dasselbe ausüben könn­te, nichts, wozu es verwandelt werden oder wovon es ver­wandelt sein könnte. Es kann nicht addiert noch subtrahiert, vermehrt oder vermindert, größer oder geringer werden in irgend einer Hinsicht. Es muss immer gewesen sein und muss immer bleiben, was es gerade jetzt ist - das All -, es gab, gibt und wird sonst nichts geben, worin es sich ver­wandeln kann.

 

Da das All unendlich, absolut, ewig und unveränderlich ist, so muss daraus folgen, dass alles, was endlich, wandel­bar, fließend und bedingt ist, nicht das All sein kann. Und da in Wirklichkeit außerhalb des Alls nichts sein kann, so können alle solche endlichen Dinge in Wirklichkeit gar nicht bestehen. Nun seid nicht verwirrt oder erschreckt - wir versuchen keineswegs, Euch unter dem Deckmantel der her­metischen Philosophie auf das Gebiet der „Christlichen Wissenschaft“ zu führen. Es gibt eine Versöhnung der an­scheinend widersprechenden Lage der Dinge. Seid gedul­dig, wir werden noch rechtzeitig dahin kommen.

 

Wir sehen um uns das, was man Materie nennt, welche die physische Grundlage aller Formen bildet. Ist das All lediglich Materie? Keineswegs! Materie kann Leben oder Geist nicht offenbaren, und da Leben und Geist im Uni­versum offenbart sind, kann das All nicht Materie sein, denn nichts steigt höher als seine eigene Quelle - nichts wird jemals offenbart in einer Wirkung, die nicht in der Ursache liegt - nichts entwickelt sich als Folge, was nicht schon im Vorhergehenden enthalten ist. Überdies sagt uns die moderne Wissenschaft, dass es in Wirklichkeit so etwas wie Materie gar nicht gibt; das, was wir Materie nennen, ist lediglich unterbrochene Energie oder Kraft, d.h. Ener­gie oder Kraft in einem niedrigen Schwingungsgrad. Wie kürzlich ein Schriftsteller es ausdrückte: „Die Materie hat sich in ein Mysterium aufgelöst“. Sogar die materielle Wissenschaft hat die Theorie von der Materie verlassen und beruht jetzt auf der Grundlage der Energie. Dann ist also das All bloße Energie oder Kraft? Nein, nicht Energie oder Kraft in dem Sinne, wie die Materialisten diese Be­zeichnung gebrauchen, denn Energie oder Kraft sind blinde, mechanische Dinge ohne Leben und Geist. Leben oder Geist können sich niemals aus blinder Energie oder Kraft ent­wickeln aus dem soeben angeführten Grunde: „Nichts kann höher als seine eigene Quelle steigen“. Nichts entwickelt sich, was nicht schon enthalten ist, nichts zeigt eine Wirkung, die nicht bereits in der Ursache vorhanden ist. So kann also das All nicht bloße Energie oder Kraft sein, denn wenn es so wäre, dann würden solche Dinge wie Leben und Geist nicht existieren. Aber wir wissen es besser, denn wir sind am Leben und benutzen unseren Geist gerade jetzt, um die Frage zu überlegen, so - wie diejenigen, die behaup­ten, dass Energie und Kraft alles wären.

 

Was gibt es denn höheres als Materie oder Energie im Universum? Leben und Geist! Leben und Geist in ihren verschiedenen Graden von Entfaltung. Dann fragt Ihr: Wollt Ihr also damit sagen, dass das All Leben und Geist ist? Ja und nein ist unsere Antwort. Wenn Ihr Leben und Geist meint, so wie wir armen kleinen Sterblichen sie ken­nen, sagen wir nein. Das ist das All nicht! Aber was für eine Art Leben und Geist meint Ihr? so fragt Ihr wieder. Die Antwort ist: „Lebender schöpferischer Geist“, so weit über dem, was Sterbliche unter diesen Worten kennen, wie Leben und Geist höher sind als mechanische Kräfte oder Stoff - unendlicher, lebender, schöpferischer Geist ver­glichen mit endlichem Leben und Geist. Wir meinen das, was die erleuchteten Seelen meinen, wenn sie verehrungsvoll das Wort aussprechen: reiner Geist. Das All ist unend­licher, lebender Geist, die Erleuchteten nennen ihn: reiner Geist!

 

 V. Kapitel

 Das geistige Universum

 

„Das Universum ist geistig - gehalten im Geiste des Alls.“

„Kybalion“

 

Das All ist reiner Geist! Aber was ist reiner Geist? Diese Frage kann nicht beantwortet werden, weil ihre Definition praktisch diejenige des Alls ist, welches weder erklärt noch bestimmt werden kann. Reiner Geist ist nur der Name, den die Menschen diesem höchsten Begriff von unendlichem, lebendem Geist gegeben haben. Er bedeutet „die wirkliche innere Essenz“ - er bedeutet lebenden Geist, der Leben und Geist, wie wir sie kennen, so sehr überlegen ist, wie diese der menschlichen Energie und der Materie. Reiner Geist übersteigt unser Verständnis und wir benutzen diesen Ausdruck nur, damit wir an das All denken und davon sprechen können. Zum Zwecke des Denkens und Verstehens sind wir berechtigt, uns den reinen Geist als unendlichen lebenden Geist zu denken, indem wir zu gleicher Zeit zu­geben, dass wir ihn nicht voll verstehen können. Wir müs­sen dies tun oder überhaupt aufhören, darüber nachzu­denken.

 

Wir wollen jetzt fortfahren in der Betrachtung der Na­tur des Universums als Ganzen und in seinen Teilen. Was ist das Universum? Wir haben gesehen, dass es nichts außer­halb des Alls gibt. Dann ist das Universum das All? Nein, das kann nicht sein, denn das Universum scheint aus Vie­lem zusammengesetzt zu sein und ist in dauernder Wandlung und andererseits erreicht es nicht die Vorstellungen, die wir über das All annehmen müssen, wie wir in unserer letzten Lektion feststellten. Wenn nun aber das Universum nicht das All ist, so ist es nichts - das ist die unvermeidliche Schlussfolgerung des Verstandes beim oberflächlichen Nach­denken. Das befriedigt uns aber nicht, denn wir empfinden ja die Existenz des Universums. Wenn also das Universum nicht das All ist, aber doch vorhanden ist, was kann es sein? Wir wollen diese Frage prüfen.

 

Wenn das Universum überhaupt besteht oder zu bestehen scheint, dann muss es auf irgendeine Weise aus dem All hervorgehen. Es muss eine Schöpfung des Alls sein. Aber da niemals etwas aus nichts geboren werden kann, woraus könnte das All es geschaffen haben? Viele Philosophen ha­ben diese Frage beantwortet, indem sie sagten, dass das All das Universum aus sich selbst erschaffen hat, d.h. aus dem Sein und Wesen des Alls. Aber das ist nicht möglich, denn vom All kann nichts abgezogen noch abgeteilt werden, wie wir gesehen haben, und wiederum, wenn es so wäre, würde jedes Teilchen des Universums sich bewusst sein, dass es das All ist - das All kann niemals sein Wissen über sich selbst verlieren noch tatsächlich ein Atom oder blinde Kraft werden oder ein niedriges Lebewesen. In der Tat haben einige Menschen, die feststellten, dass das All wirklich alles sei und dass auch sie wirklich existierten, sich zu der Folge­rung aufgeschwungen, dass sie und das All identisch seien, und sie haben die Luft erfüllt mit ihren Rufen „Ich bin Gott“ zum Vergnügen der Menge und zur Sorge der Wei­sen. Der Anspruch eines kleinsten Körperchens, Mensch zu sein, wäre im Vergleich damit bescheiden zu nennen.

 

Aber was ist nun wirklich das Universum, wenn es nicht das All ist, noch vom All durch Teilung seiner selbst ge­schaffen wurde? Was kann es sonst sein und wovon sonst kann es geschaffen sein? Das ist die große Frage. Wir wol­len sie sorgfältig prüfen. Wir werden finden, dass das Prin­zip der Entsprechung uns hier zu Hilfe kommt (siehe erste Lektion). Der alte hermetische Grundsatz „Wie oben, so unten“ soll hier in unseren Dienst gestellt werden. Wir wol­len versuchen, wenigstens einen Schimmer der Tätigkeit auf höherer Ebene zu erhalten, indem wir sie auf der unsrigen untersuchen. Das Prinzip der Entsprechung muss sich hier wie bei andern Problemen anwenden lassen.

 

Wir wollen sehen! Wie erschafft der Mensch auf seiner eigenen Daseinsebene? Nun, erstens, er kann erschaffen, in­dem er etwas aus irgendeinem außerhalb liegenden Material herstellt, aber das geht nicht an, denn es gibt keine Gegen­stände außerhalb des Alls, womit er es erschaffen könnte. Nun denn, zweitens, der Mensch erzeugt oder wiedererzeugt seine Art durch den Prozess der Begattung, welche eine Selbstvervielfältigung ist durch Übertragung eines Teils seiner Substanz an seine Nachkommenschaft. Aber auch das geht nicht an, weil das All einen Teil von sich selbst weder über­tragen noch abziehen kann, noch kann es sich wiedererzeu­gen oder vervielfältigen; im ersten Falle würde es eine Hinwegnahme, im zweiten eine Vervielfältigung oder Hin­zufügung für das All bedeuten, beides völlig absurde Ge­danken. Gibt es denn keine dritte Art, wie der Mensch schöpferisch tätig sein kann? Ja, es gibt eine - er erschafft geistig! Und indem er dies tut, verwendet er kein außer­halb liegendes Material, noch vervielfältigt er sich selbst und doch durchdringt sein Geist die geistige Schöpfung.

 

Indem wir dem Prinzip der Entsprechung folgen, sind wir berechtigt anzunehmen, dass das All das Universum geistig erschafft, in einer Art, die dem Prozess gleicht, wie der Mensch „geistige Bilder“ erschafft. Und hier stimmen die Aussagen der Vernunft genau zu denen der Erleuchte­ten, wie sie sich in ihren Lehren und Schriften zeigen. So sind die Lehren der Weisen. So war die Lehre des HERMES. Das All kann in keiner anderen Weise als geistig erschaf­fen, ohne von irgendeinem Material Gebrauch zu machen (und es gibt auch keines, was es gebrauchen könnte) oder sich wieder zu erzeugen (was ebenso unmöglich ist). Man kann dieser Folgerung der Vernunft nicht entschlüpfen, die, wie wir sehen, mit den höchsten Lehren der Erleuchteten übereinstimmt. Genau wie Du, Schüler, ein Universum in Deiner eigenen Geistigkeit erschaffen kannst, so erschafft das All Universen in seiner eigenen Geistigkeit. Aber Dein Universum ist eine Schöpfung eines endlichen Geistes, wo­hingegen das des Alls die eines unendlichen Geistes ist. Die beiden sind ähnlich in der Art, aber unendlich verschieden dem Grade nach. Wir werden genau den Prozess der Schöp­fung und Offenbarung prüfen, wenn wir weitergehen. Aber auf dieser Stufe angelangt, müsst Ihr den Gedanken in Eurem Geiste für immer festhalten: Das Universum und alles, was es enthält, ist eine geistige Schöpfung des Alls. Sehr wahr in der Tat, alles ist Geist!

 

„Das All erschafft in seinem unendlichen Geist zahllose Universen, die Äonen lang bestehen, und doch ist für das All die Erschaffung, Entwicklung, der Niedergang und Tod von Millionen von Universen wie das Blinzeln eines Auges.“

 „Der unendliche schöpferische Geist des Alls ist der Schoß von Universen.“

 

Das Prinzip des Geschlechts (siehe die erste und noch fol­gende Lektionen) offenbart sich auf allen Ebenen des Le­bens körperlich, geistig und rein geistig. Aber, wie wir schon sagten, Geschlecht bedeutet nicht Geschlechtlichkeit - Ge­schlechtlichkeit ist nur eine materielle Offenbarung des Geschlechts. „Geschlecht“ heißt „Beziehung zu Zeugung und Erschaffung“. Wo auch immer etwas erzeugt oder erschaf­fen wurde, gleich auf welcher Ebene, muss sich das Ge­schlechtsprinzip offenbaren. Und das trifft sogar bei der Erschaffung von Universen zu.

Nun folgert aber nicht gleich daraus, dass wir die Exi­stenz eines männlichen und weiblichen Gottes oder Schöp­fers lehren. Diese Idee ist lediglich eine Verzerrung der alten Lehren über diesen Gegenstand. Die wahre Lehre sagt, dass das All an sich jenseits des Geschlechts ist, wie es jen­seits jedes anderen Gesetzes ist, einschließlich derer von Zeit und Raum. Es ist das Gesetz, von dem alle Gesetze aus­gehen, aber es ist ihnen nicht unterworfen. Aber wenn das All sich nur auf der Ebene von Zeugung und Erschaffung offenbart, dann handelt es nach Gesetz und Grundsatz, denn es bewegt sich auf einer niedrigeren Daseinsebene. Infolge­dessen offenbart sich natürlich das Geschlechtsprinzip in seiner männlichen und weiblichen Form auf der geistigen Ebene.

 

Diese Idee mag einigen von Euch befremdend erscheinen, wenn Ihr sie zum ersten Mal hört, aber Ihr alle habt sie in Euren alltäglichen Begriffen ohne Widerstand tatsächlich angenommen. Ihr sprecht von der Vaterschaft Gottes, von der Mutterschaft der Natur, von Gott, dem göttlichen Vater, von der umfassenden Mutter Natur - und habt so instink­tiv das Geschlechtsprinzip im Universum anerkannt. Ist es nicht so?

 

Aber die hermetische Lehre enthält nicht eine wirkliche Zweiheit - das All ist Eins -, die beiden Aspekte sind lediglich Offenbarungen des Alls. Die Lehre besagt, dass das männliche Prinzip, in dem sich das All offenbart, in einer Weise abseits steht von der tatsächlichen geistigen Schöpfung des Universums. Es überträgt seinen Willen auf das weibliche Prinzip (das man Natur nennen kann), worauf letzteres das tatsächliche Werk der Entwicklung des Uni­versums beginnt. Von einfachen Zentren der Aktivität hin­auf zum Menschen und immer höher hinauf - alles gemäß wohl gegründeten und fest durchgeführten Gesetzen der Natur. Wenn Ihr die alten Gedankenbilder vorzieht, mögt Ihr beim männlichen Prinzip an Gott denken, den Vater, und beim weiblichen an die Natur als die allumfassende Mutter, aus deren Schoß alle Dinge geboren sind. Das ist mehr als ein poetisches Wortbild. Es ist eine Idee von dem tatsächlichen Prozess der Schöpfung des Universums. Aber erinnert Euch immer, dass das All nur Eins ist und dass in seinem unendlichen schöpferischen Geist das Universum er­zeugt, geschaffen wurde und besteht. Es kann Euch vielleicht helfen, die richtige Vorstellung zu bekommen, wenn Ihr das Gesetz der Entsprechung auf Euch selbst und Euern eigenen Geist anwendet. Ihr wisst, dass in gewissem Sinne der Teil von Euch, den Ihr „Ich“ nennt, beiseite steht und die Erschaffung geistiger Bilder in Eurem Geist beobachtet. Der Teil Eures Geistes. in wel­chem die geistige Schöpfung vor sich geht, mag „Mich“ ge­nannt werden zur Unterscheidung von dem „Ich“, das bei­seite steht und beobachtet und die Gedanken, Ideen und Sinnbilder des „Mich“ prüft.

 

„Wie oben, so unten“ erinnere Dich und die Erscheinungen auf einer Ebene können ver­wandt werden, um die Rätsel höherer und niedrigerer Ebe­nen zu lösen. Ist es ein Wunder, dass Du, das Kind, jene instinktive Verehrung für das All empfindest, ein Gefühl, das wir Religion nennen - jene Achtung für den Vater-Geist? Ist es ein Wunder, dass Dich, wenn Du die Werke und Wunder der Natur betrachtest, ein starkes Gefühl überkommt, das seine Wurzeln tief unten in Deinem innersten Sein hat? Es ist der Mutter-Geist, an den Du Dich fest anpresst, wie der Säugling an die Mutterbrust.

 

Macht nicht den Fehler, anzunehmen, dass diese kleine Welt, die Ihr um Euch herum seht - die Erde, welche nur ein Stäubchen im Universum ist -, das Universum selbst sei. Es gibt Millionen und Abermillionen solcher Welten, die größer sind. Und es bestehen Millionen und Abermillionen solcher Universen innerhalb des unendlichen Geistes des Alls. Und selbst in unserem kleinen Sonnensystem gibt es Regionen und Lebensgebiete, die höher sind als die unse­rigen, und Geschöpfe, im Vergleich zu denen wir erdge­bundenen Sterblichen wie schleimige Lebensformen auf dem Meeresgrund sind, wenn man sie mit den Menschen vergleicht. Es gibt Wesen mit Kräften und Eigenschaften, die höher sind als die, welche der Mensch in seinen kühnsten Träumen den Göttern zugeschrieben hat. Und doch waren diese Geschöpfe einmal so wie Ihr und noch niedriger. Und Ihr werdet einmal so wie sie sein und noch höher, denn das ist die Bestimmung des Menschen, wie die Erleuchteten uns berichten.

 

Auch der Tod ist nicht wirklich, nicht einmal im über­tragenen Sinne - er ist nur die Geburt zu einem neuen Leben - und Ihr werdet weiter und immer weiter fort­schreiten in immer höhere Ebenen des Lebens in Äonen über Äonen der Zeit. Das Universum ist Eure Heimat und Ihr werdet seine fernsten Winkel erforschen vor dem Ende der Zeiten. Ihr wohnt in dem unendlichen Geiste des Alls und Eure Möglichkeiten und Gelegenheiten sind unendlich in Zeit und Raum. Und am Ende des großen Zyklus von Äonen, wenn das All all seine Schöpfungen in sich zurückziehen wird, werdet Ihr glücklich dahingehen, denn dann werdet Ihr die ganze Wahrheit des Eins-Seins mit dem All erkennen können. So lautet der Bericht der Erleuchteten, derer, die weit vorgeschritten sind auf dem Pfad.

 Inzwischen bleibt ruhig und heiter, Ihr seid sicher im Schutze der unendlichen Kraft des Vater-Mutter-Geistes.

 

„Im Vater-Mutter-Geist sind sterbliche Kinder zuhause.“

„Kein Einziger ist vater- oder mutterlos im Universum.“

  

 

VI. Kapitel

 Das göttliche Paradoxon

 

 „Der Halbweise, der die verhältnismäßige Un­wirklichkeit des Universums erkennt, glaubt, seine Gesetze mißachten zu können - das sind eitle und eingebildete Narren, sie werden gegen die Felsen geschleudert und entzwei gerissen durch die Elemente auf Grund ihrer Narrheit. Die echten Weisen, die die Natur des Univer­sums kennen, verwenden Gesetz gegen Gesetz, das Höhere gegen das Niedrigere, und durch die Kunst der Alchimie verwandeln sie das, was unerwünscht ist, in das Wertvolle und ge­winnen so die Herrschaft. Meisterschaft besteht nicht in anomalen Träumen, Visionen und phantastischen Einbildungen und phantastischem Leben, sondern in der Verwendung höherer Kräfte gegen die niedrigeren und darin, dass man den Qualen niedrigerer Ebenen durch Schwingung auf der höheren entgeht. Umwand­lung, nicht anmaßende Verneinung ist die Waffe des Meisters.“       

 „Kybalion“

 

 Das Paradox des Universums entsteht aus dem Prinzip der Polarität, das sich offenbart, wenn das All zu erschaffen beginnt - horche darauf, denn es zeigt den Unterschied zwischen Halbwissen und Weisheit. Während für das un­endliche All das Universum und seine Gesetze, seine Kräfte, sein Leben und seine Äußerungen wie Dinge erscheinen, die im Zustande der Meditation oder des Traumes wahrgenom­men werden, muss doch für alles, was endlich ist, das Universum als Wirklichkeit behandelt werden und Leben, Tätigkeit und Gedanken müssen darauf entsprechend ein­gestellt werden, wenn auch mit einem steten Verständnis der höheren Wahrheit. Jedes gemäß seiner eigenen Ebene und ihren Gesetzen!

 

Sollte das All sich vorstellen, dass das Universum tatsächlich Wirklichkeit wäre, dann wehe dem Universum, denn dann gäbe es kein Entschlüpfen, empor vom Niedrigeren zum Höheren, dann würde das Universum etwas Stetiges werden und aller Fortschritt würde unmög­lich. Und wenn ein Mensch infolge seines unvollkommenen Wissens so handelt und lebt und denkt, als ob das Univer­sum nur ein Traum wäre (so wie seine eigenen endlichen Träume), dann wird es das tatsächlich für ihn und wie ein Schlafwandler stolpert er immer rundherum im Kreise, ohne vorwärts zu kommen, schließlich fällt er über die Ge­setze der Natur und erwacht zerquetscht und blutend. Richtet Eure Gedanken immer nach oben, aber lasst Eure Augen über Eure Schritte wachen, damit Ihr nicht in den Sumpf geratet wegen Eures Schauens nach oben. Denkt immer an das göttliche Paradox, das „ist“, auch wenn das Universum nicht ist. Denkt immer an die zwei Pole der Wahrheit, den absoluten und den relativen. Hütet Euch vor halben Wahr­heiten!

 

Was die Hermetiker als das Gesetz des Paradoxon kennen, ist eine Erscheinung des Prinzips der Polarität. Die herme­tischen Schriften sind gefüllt mit Bezugnahmen auf das Er­scheinen des Paradoxen bei Betrachtung der Probleme des Lebens und Seins. Die Lehrer warnen dauernd ihre Schüler vor dem Irrtum, die andere Seite jeder Frage zu vergessen. Und ihre Warnungen sind besonders auf die Probleme des Absoluten und Relativen gerichtet, die alle Schüler der Phi­losophie überraschen und die so viele veranlassen, gegen das im Handeln und Denken zu verstoßen, was man allgemein den gesunden Menschenverstand nennt. Wir er­mahnen alle Schüler, auf jeden Fall das göttliche Paradox vom Absoluten und Relativen zu erfassen, damit sie nicht im Sumpfe der halben Wahrheiten versinken. In diesem Sinne ist diese besondere Lektion geschrieben worden. Lest sie sorgfältig.

 

Der erste Gedanke, der dem denkenden Menschen kommt, wenn er die Wahrheit erkennt, dass das Universum eine geistige Schöpfung des Alls ist, ist der, dass das Universum und alles, was es enthält, eine reine Illusion ist, eine Un­wirklichkeit, eine Idee, gegen die sich seine Instinkte auf­lehnen. Aber man muss diese, wie alle andern großen Wahrheiten, von beiden Standpunkten, dem absoluten und dem relativen aus betrachten. Vom absoluten Standpunkt aus ist natürlich das Universum seiner Natur nach eine Illu­sion, ein Traum, ein Trugbild im Vergleich zum All an sich. Wir erkennen das sogar in unserer gewöhnlichen Vorstel­lung, denn wir sprechen von der Welt als einer vergäng­lichen Sache, die kommt und geht, geboren wird und stirbt, denn das Element der Vergänglichkeit und des Wechsels, der Endlichkeit und Wesenlosigkeit muss stets mit der Idee des Universums verbunden sein, wenn man es mit der Idee des Alls in Gegensatz bringt, ganz gleich, wie unsere Auf­fassung über die Natur beider ist. Philosophen, Metaphy­siker, Wissenschaftler und Theologen, alle stimmen in dieser Idee überein und dieser Gedanke findet sich in allen Formen philosophischer und religiöser Vorstellungen so­wohl wie in den Theorien der entsprechenden Schulen der Metaphysik und Theologie.

 

So predigen die hermetischen Lehren die Substanzlosig­keit des Universums in Ausdrücken, wie sie Euch schon ver­traut sind, wenn Euch auch die Darstellung des Gegenstan­des Aufsehen erregend scheinen mag. Alles, was einen Anfang und ein Ende hat, muss irgendwie unwirklich und un­wahr sein und auf das Universum trifft das zu bei allen Schulen des Denkens. Vom absoluten Standpunkt aus ist nichts wirklich als das All, ganz gleich, welchen Ausdruck wir dafür benützen, wenn wir über das Thema nachdenken oder uns darüber aussprechen. Sei das Universum aus Ma­terie geschaffen oder sei es eine geistige Schöpfung aus dem Geiste des Alls, es ist substanzlos, vergänglich, eine Sache von Zeit, Raum und Wechsel. Wir bitten Euch, Euch diese Tatsache genau zu vergegenwärtigen, bevor Ihr ein Urteil über die hermetische Vorstellung der geistigen Natur des Universums abgebt. Überdenkt alles und jedes von den an­dern Begriffen und seht, ob dies nicht auch von ihnen zu­trifft.

 

Aber der absolute Gesichtspunkt zeigt nur eine Seite des Bildes - die andere Seite ist die relative. Absolute Wahr­heit wurde definiert als „Dinge, wie Gottes Geist sie kennt“, relative Wahrheit als „Dinge, wie die höchste Vernunft der Menschen sie versteht“. Und während so für das All das Universum unwirklich, illusionär sein muss, ein bloßer Traum oder das Ergebnis von Meditation, ist nichtsdesto­weniger für den irdischen Geist, der einen Teil des Univer­sums bildet und es vom sterblichen Gesichtspunkt aus sieht, dieses Universum sogar sehr real und muss so betrachtet werden. Trotz der Erkenntnis des absoluten Standpunktes dürfen wir nicht den Fehler machen, die Tatsachen und Er­scheinungen des Universums, wie sie sich unseren sterb­lichen Sinnen darstellen, zu ignorieren oder zu verneinen - bedenkt: wir sind nicht das All!

 

Um einfache Beispiele zu nehmen: Wir alle nehmen die Tatsache, dass Materie existiert, durch unsere Sinne wahr - es würde uns schlecht ergehen, wenn wir das nicht täten. Und doch, selbst unser endlicher Geist versteht die wissenschaftliche Feststellung, dass es vom wissenschaftlichen Standpunkt aus so etwas wie Materie nicht gibt - das, was wir Materie nennen, wird lediglich als eine Ansammlung von Atomen betrachtet und die Atome selbst sind nichts an­deres als eine Gruppierung von Krafteinheiten, die man Elektronen oder Ionen nennt, und die sich in dauernder Schwingung und kreisender Bewegung befinden. Wir sto­ßen an einen Stein und fühlen den Stoß - er scheint wirk­lich zu sein, trotzdem er nur das ist, was wir im Vorher­gehenden festgestellt haben. Aber denkt daran, dass unser Fuß, der den Stoß vermittels unseres Gehirns fühlt, auch Materie ist, zusammengesetzt aus Elektronen, und ebenso unser Gehirn. Und wenn unser Geist nicht wäre, würden wir vom Fuß oder Stein überhaupt nichts wahrnehmen.

 

Ferner erscheint dem Künstler das Ideal, das er in Stein oder auf der Leinwand darzustellen versucht, durchaus wirklich. Das ist auch beim Autor oder Dramatiker der Fall hinsichtlich der Charaktere, die er so darzustellen versucht, dass andere sie erkennen können. Und wenn das für unsern endlichen Geist zutrifft, welchen Grad der Wirklichkeit müssen dann die geistigen Bilder haben, die vom Geist des Unendlichen geschaffen wurden? Oh Freunde, für Sterb­liche ist dieses geistige Universum in der Tat außerordent­lich real - es ist das Einzige, das wir ja erkennen können, obgleich wir in ihm höher von Ebene zu Ebene steigen. Um es anders zu erkennen, durch tatsächliche Erfahrung, müssten wir das All selbst sein. Allerdings, je höher wir in der Skala steigen, je näher wir „dem Geiste des Vaters“ kom­men, desto augenscheinlicher wird die eingebildete Natur der endlichen Dinge, aber erst wenn das All schließlich uns in sich zurückzieht, dann erst schwindet die Vision tatsächlich.

 

So brauchen wir bei den äußerlichen Zügen der Illusion nicht zu verweilen. Lieber wollen wir, nachdem wir die wahre Natur des Universums erkannt haben, versuchen, seine geistigen Gesetze zu verstehen und sie so nutzbringend wie nur möglich für unsere Aufwärtsentwicklung im Leben zu verwenden, denn wir wandern von einer Daseinsebene zur andern. Auch die Gesetze des Universums sind wegen seiner geistigen Natur durchaus „eiserne Gesetze“, alles außer dem All ist an sie gebunden. Was im unendlichen Geist des Alls besteht, ist wirklich nur einen Grad geringer als die Wirklichkeit. die der Natur des Alls selbst verliehen ist. Darum seid nicht unsicher oder in Sorge - wir alle wer­den sicher gehalten im unendlichen Geiste des Alls und es gibt nichts, was uns wehe tun könnte oder wovor wir uns fürchten müssten. Es gibt keine Kraft außerhalb des Alls, die auf uns wirken könnte, darum können wir ruhig und sicher sein. In dieser Erkenntnis, hat man sie erst einmal gewonnen, liegt eine Welt von Trost und Sicherheit. Dann schlafen wir wirklich ruhig und friedlich wie gewiegt von des Meeres Wogen, ruhen sicher im unendlichen Geiste des Alls. So ist es wirklich: wir leben, bewegen uns und haben unser Dasein im All.

 

Materie ist nichtsdestoweniger Materie für uns, während wir auf der stofflichen Ebene leben, wenn wir auch wissen, dass sie nur eine Ansammlung von Elektronen oder von Teilchen von Kraft ist mit sehr hoher Schwingungszahl, die Atome bilden, umeinander kreisen - die Atome ihrerseits, ebenfalls im schnellsten Schwingen und Kreisen, bilden Moleküle, die als solche den größeren Teil der Materie for­men. Materie wird auch deshalb nicht weniger Materie, wenn wir die Untersuchung noch weiter führen und von den hermetischen Lehren erfahren, dass „Kraft“, von der die Elektronen nur Einheiten sind, lediglich eine Offenbarung des Geistes des Alls ist und wie alles andere im Universum rein geistig in ihrer Natur ist. Solange wir uns auf der stofflichen Ebene bewegen, müssen wir ihre Erscheinungen zur Kenntnis nehmen - wir können die Materie beherrschen (wie das alle Meister höherer oder niedrigerer Grade tun), aber wir können das nur, indem wir die höheren Kräfte an­wenden. Wir begehen einen Fehler, wenn wir versuchen, die Existenz der Materie in relativer Beziehung zu leugnen. Wir können ihre Herrschaft über uns leugnen - und mit Recht -, aber wir sollten nicht versuchen, sie in relativer Beziehung nicht zu beachten, wenigstens solange wir uns auf dieser Ebene befinden.

 

Auch werden die Naturgesetze nicht weniger konstant oder wirksam, wenn wir wissen, dass sie gleichfalls aus­schließlich geistigen Ursprungs sind. Sie sind auf den ver­schiedenen Ebenen in voller Wirkung. Wir überwinden die niedrigeren Gesetze durch Anwendung höherer - und nur in dieser Weise. Aber wir können dem Gesetz nicht ent­gehen oder uns gänzlich darüber erheben. Nur das All kann dem Gesetz entgehen - weil das All selbst das Gesetz ist, aus dem alle anderen Gesetze entspringen. Die am höchsten gestiegenen Meister können Kräfte anwenden, die im all­gemeinen von den Menschen den Göttern zugeschrieben werden, und es gibt zahllose Stufen des Seins in der großen Hierarchie des Lebens, deren Kraft und Dasein sogar in einer für Sterbliche undenkbaren Weise diejenige der höch­sten menschlichen Meister übersteigt; aber selbst der höchste Meister und das höchste Lebewesen müssen sich dem Gesetz beugen und sind wie Nichts in den Augen des Alls. Wenn also selbst diese höchsten Geschöpfe, deren Kräfte diejeni­gen übersteigen, die die Menschen ihren Göttern zuschrei­ben, wenn sogar diese durch das Gesetz gebunden und ihm unterworfen sind, dann stelle man sich die Anmaßung eines Sterblichen vor, vom Grade unseres Menschengeschlechts, wenn er wagt, die Naturgesetze als „unwirklich“, visionär und illusorisch zu betrachten, weil er zufällig die Wahrheit begreifen konnte, dass die Gesetze ihrer Natur nach geistig sind und eine bloße geistige Schöpfung des Alls.

 

Die Ge­setze, die das All zu herrschenden Gesetzen macht, darf man nicht missachten oder hinwegdeuteln. Solange das Uni­versum besteht, solange werden auch sie bestehen - denn das Universum besteht durch diese Gesetze, die seinen Rah­men bilden und es zusammen halten. Das hermetische Prin­zip der Geistigkeit, das die wahre Natur des Universums durch das Prinzip: „alles ist geistig“ ausdrückt, ändert nichts an den wissenschaftlichen Vorstellungen vom Universum, vom Leben oder von der Entwicklung. In der Tat. Die Wissen­schaft bestätigt nur die hermetische Lehre. Letztere lehrt nur, dass die Natur des Universums geistig ist, während die moderne Wissenschaft gelehrt hat, dass es „Materie“ oder nach den neuesten Untersuchungen „Energie“ ist.

 

Die her­metische Lehre findet keinen Fehler in Herbert SPENCERS Grundprinzip, das die Existenz einer „unendlichen und ewigen Energie“ fordert, „aus der alle Dinge hervorgehen“. Tatsächlich erkennen die Hermetiker in SPENCERS Philoso­phie die höchste von außen kommende Feststellung von der Arbeit der Naturgesetze, die jemals verkündet wurde, und sie halten SPENCER für eine Reinkarnation eines Philoso­phen des Altertums, der im alten Ägypten vor Tausenden von Jahren wohnte und der später als der griechische Philo­soph HERAKLIT reinkarniert wurde, der 500 v. Chr. lebte. Sie betrachten seine Feststellung von der „unendlichen und ewigen Energie“ als in gleicher Linie liegend mit der her­metischen Lehre, allerdings immer mit dem Hinzufügen ihres eigenen Grundsatzes, dass seine „Energie“ die Ener­gie des Geistes des Alls ist. Mit dem Hauptschlüssel der hermetischen Philosophie wird der Schüler SPENCERS die vielen Tore der inneren philosophischen Vorstellungen des großen englischen Philosophen öffnen können, dessen Werk die Erfolge der Vorbereitungen seiner früheren Inkarna­tionen zeigt. Seine Lehren betreffend Entwicklung und Rhythmus befinden sich in fast völliger Übereinstimmung mit der hermetischen Lehre über das Prinzip des Rhythmus. Darum braucht der hermetische Schüler keine lieb gewonnene wissenschaftliche Ansicht über das Universum beiseite legen.

 

Alles, was man von ihm verlangt, ist, das grundlegende Prinzip zu begreifen: „ Das All ist Geist, das Uni­versum ist geistig, gehalten im Geiste des Alls“. Er wird finden, dass die anderen sechs von den sieben Prinzipien in seine wissenschaftlichen Erfahrungen hineinpassen und da­zu dienen werden, dunkle Punkte auszumerzen und Licht in dunkle Winkel zu werfen. Das ist nicht verwunderlich, wenn wir den Einfluss der hermetischen Gedanken auf die früheren Philosophen der Griechen bedenken, auf deren grundsätzlichen Gedanken die Theorien der modernen Wissenschaft zum großen Teil beruhen.

 

Die Annahme des ersten hermetischen Prinzips der Geistigkeit ist der einzige wichtige unterschiedliche Punkt zwischen der modernen Wissenschaft und den hermetischen Schülern, aber die Wissenschaft bewegt sich allmählich auf die hermetische Stellung zu und ist bemüht, einen Weg aus dem Labyrinth zu finden, in das sie auf ihrer Suche nach Wahrheit ge­raten war.

 

Es ist die Absicht dieser Lektion, unsern Schülern die Tatsache eindringlich zu machen, dass bei unserer Auffas­sung das Universum und seine Gesetze und Erscheinungen genau so wirklich sind, wie sie es unter der Hypothese des Materialismus oder Energismus wären. In seinem äußeren Erscheinungsbild dagegen ist das Universum unter jeder Hypothese wechselnd, immer im Fluss und vergänglich und darum ohne Wesenheit und Wirklichkeit. Aber (merke auf den andern Pol der Wahrheit!) unter jeder dieser Hypo­thesen müssen wir handeln und leben, als ob die wechseln­den Dinge wahr und wesenhaft wären; nur mit dem Unter­schiede zwischen diesen verschiedenen Hypothesen, dass unter dem alten Standpunkt die geistige Kraft als eine Naturkraft nicht beachtet wurde, während sie unter dem Gesichtspunkt des Mentalismus die größte Naturkraft überhaupt wird. Und dieser eine Unterschied revolutioniert das Leben für diejenigen, die das Prinzip und die aus ihm sich ergebenden Gesetze und ihre Anwendung verstehen.

 

Darum, Ihr Schüler, ergreift den Vorteil des Mentalismus und lernt die Gesetze, die auf ihm beruhen, damit Ihr sie anwenden und nutzen könnt. Aber gebt der Versuchung nicht nach, die, wie das „Kybalion“ feststellt, die Halbweisen überkommt, die wie hypnotisiert sind von der augen­scheinlichen Unwirklichkeit der Dinge. Die Folge davon ist, dass sie wie Träumer herumgehen, in einer Traumwelt le­ben, praktische Arbeit und Leben missachten und schließlich „von den Elementen gegen die Felsen geworfen und zerris­sen werden auf Grund ihrer Narrheit“. Folget lieber dem Beispiel der Weisen, die, wie die gleiche Quelle besagt, „Gesetz gegen Gesetz“ gebrauchen, „das Höhere gegen das Niedrigere, und durch die Kunst der Alchimie das, was un­erwünscht ist, in das, was wertvoll ist, verwandeln und so den Sieg davontragen“. Wir wollen dem „Kybalion“ folgen und alles halbe Wissen meiden, das die Wahrheit nicht ach­tet: „Meisterschaft besteht nicht in anomalen Träumereien, Visionen, phantastischer Einbildung oder Lebensführung, sondern in der Anwendung der höheren Kraft gegen die niedrigere, um so den Qualen der niedrigeren Ebenen zu entgehen durch Schwingung auf der höheren.“ Der Schüler möge sich immer daran erinnern: „Verwandlung, nicht an­maßende Verneinung, ist die Waffe des Meisters.“ Die oben zitierten Aussprüche sind aus dem „Kybalion“, sie sind wert, dem Gedächtnis des Schülers einverleibt zu werden.

 

Wir leben nicht in einer Traumwelt, sondern in einem Universum, das, wenn auch relativ, so doch wirklich ist, so­weit es unser Leben und unsere Handlungen betrifft. Un­sere Aufgabe im Universum ist nicht, seine Existenz zu ver­neinen, sondern zu leben, indem wir die Gesetze benutzen, um vom Niederen zum Höheren zu steigen, unter den Um­ständen, die jeden Tag neu erscheinen, das Beste zu tun und unsern höchsten Ideen und Idealen nachzuleben. Der wahre Sinn des Lebens ist den Menschen zum mindesten auf dieser Ebene nicht bekannt - aber die höchsten Meister und unser eigenes Gefühl lehren uns, dass wir recht tun, wenn wir soweit wie möglich versuchen, unser Leben zu dem Besten, was in uns ist, zu erhöhen und so die Tendenz des Universums in gleicher Richtung zu verwirklichen, trotz anscheinend gegensätzlicher Tatsachen.

 

Wir sind alle auf dem „ Pfad“, der immer aufwärts führt mit häufigen Ruhepunkten. Lest die Botschaft des „Kybalion“ und folgt dem Beispiel der „Weisen“, indem Ihr die Fehler der „Halbweisen“ ver­meidet, die durch ihre Torheit verderben.

 

 

VII. Kapitel

 Das All in Allem

  

„Wenn Alles im All ist, so ist es in gleicher Weise wahr, dass das All in Allem ist.  Derjenige, der diese Wahrheit richtig versteht, hat ein großes Wissen erlangt.“

 „Kybalion“

 

Wie oft hat die Mehrzahl der Menschen die Feststellung wiederholen gehört, ihre „Gottheit“ (genannt mit vielen Namen) wäre „Alles in Allem“, und wie wenig hat man vermutet, dass hinter diesen gedankenlos ausgesprochenen Worten die innere geheime Wahrheit verborgen ist. Diese gewöhnlich gebrauchte Redewendung ist ein Überrest des oben zitierten hermetischen Grundsatzes. Wie das „Kyba­lion“ sagt: „Derjenige, der diese Wahrheit richtig versteht, hat ein großes Wissen erlangt“. Und da dies so richtig ist, wollen wir diese Wahrheit suchen, deren Verständnis so viel bedeutet. In dieser Feststellung, in diesem hermetischen Grundsatz, ist eine der größten philosophischen, wissen­schaftlichen und religiösen Wahrheiten verborgen.

 

Wir haben Euch die hermetische Lehre, die geistige Na­tur des Universums betreffend, gegeben, die Wahrheit:

 

„Das Universum ist geistig - gehalten im Geiste des Alls“.

 Darum sagt das „Kybalion“ in dem oben erwähnten Satz:

 „Im All ist Alles“.

 

Aber merkt Euch die damit verbundene Feststellung: es ist ebenso wahr, dass das All in Allem ist. Die anscheinend gegensätzlichen Feststellungen sind ver­einbar unter dem Gesichtspunkt des Paradoxon. Es ist überdies eine genaue hermetische Angabe der Beziehungen, die zwischen dem All und seinem geistigen Universum bestehen. Wir haben gesehen: Alles ist im All; lasst uns nunmehr die andere Seite der Frage prüfen.

Die hermetischen Lehren besagen, dass das All dauernd in seinem Universum enthalten ist und zwar in jedem Teil oder Teilchen, in jeder Einheit oder zusammengesetzten Form innerhalb des Universums. Diese Feststellung wird gewöhnlich von den Lehrern durch die Bezugnahme auf das Prinzip der Entsprechung erläutert. Der Lehrer lehrt den Schüler, ein geistiges Bild von irgend einer Sache, Person, Idee oder von etwas zu bilden, das eine geistige Form hat, wobei das bewusste Beispiel dasjenige eines Autors oder Dramatikers ist, der eine Idee seiner Charaktere formt, oder eines Malers oder Bildhauers, der das Bild des Ideals formt, das er durch seine Kunst auszudrücken wünscht. In jedem Falle wird der Schüler erkennen, dass, während das Bild lediglich in seinem eigenen Geist existiert, er, der Schüler, Autor, Dramatiker, Maler oder Bildhauer auch in gewissem Sinne immanent darinnen ist, darin bleibt, ihm verhaftet ist. Mit anderen Worten, dass die ganze Wirksamkeit, Le­ben, Geist, - Wirklichkeit nur als geistiges Bild aus dem immanenten Geist des Denkers herstammt. Überlegt dies einen Augenblick, bis Ihr den Gedanken begriffen habt.

 

Um ein modernes Beispiel zu nehmen, wollen wir sagen, dass Othello, Jago, Hamlet, Lear, Richard III. zur Zeit ihres Erdachtwerdens oder ihrer Erschaffung lediglich im Geiste SHAKESPEARES existierten. Und doch existierte auch SHAKE­SPEARE in jedem dieser Charaktere und gab ihnen ihre Lebenskraft, ihren Geist und ihre Handlungen. Wessen „Geist“ haben die Charaktere, die wir als Miwcaber, Oliver Twist, Uriah Heep kennen - ist es DICKENS’ Geist oder hat jeder dieser Charaktere einen persönlichen Geist, unab­hängig von ihrem Schöpfer? Haben die Venus von Medici, die Sixtinische Madonna, der Apoll von Belvedere eigenen Geist oder eigene Wirklichkeit oder repräsentieren sie die geistige und gedankliche Kraft ihres Schöpfers? Das Gesetz des Paradoxon erklärt, dass beide Annahmen wahr sind, vom richtigen Standpunkt betrachtet. Miwcaber ist sowohl Miwcaber als auch DICKENS. Aber während von Miwcaber gesagt werden kann, er sei DICKENS, ist DICKENS doch nicht identisch mit Miwcaber. Menschen wie Miwcaber können ausrufen: „Der Geist meines Schöpfers wohnt in mir und doch bin ich nicht er.“ Wie verschieden ist dies von der an­stößigen Halbwahrheit, die so laut von gewissen Halbweisen verkündet wird, die die Luft mit ihrem heiseren Geschrei erfüllen: “Ich bin Gott!“ Denkt Euch den armen Miwcaber oder den Schleicher Uriah Heep ausrufen: „Ich bin Dickens!“ oder irgendeinen erbärmlichen Tölpel in einem SHAKESPEARESchen Stück großsprecherisch verkünden: „Ich bin Shakespeare!“ Das All ist im Regenwurm, aber der Regenwurm ist weit davon entfernt, das All zu sein. Und doch bleibt das Wunder, wenn auch der Regenwurm ein ganz geringes Geschöpf ist, das nur im Geiste des Alls ge­schaffen wurde und sein Dasein hat, dass doch das All immerhin in dem Regenwurm und den Teilchen ist, die ihn bilden. Kann es überhaupt ein größeres Mysterium geben als dies: Alles im All und das All in Allem?

 

Der Schüler muss sich natürlich darüber klar sein, dass die obigen Beispiele notwendigerweise unvollkommen und un­angemessen sind, denn sie veranschaulichen die Schöpfung geistiger Bilder in endlichen Geistern, während das Uni­versum eine Schöpfung des unendlichen Geistes ist. Der Unterschied zweier Pole trennt sie! Doch ist dies nur eine Sache des Grades - das gleiche Prinzip ist hier am Werk, das Prinzip der Entsprechung offenbart sich in beiden:

 

„Wie oben so unten, wie unten so oben“

 

In dem Grade, wie der Mensch erkennt, dass der „inne­wohnende (göttliche) Geist“ immanent ist in seinem Sein, wird er in der geistigen Skala des Lebens steigen. Das ist es, was man unter geistiger Entwicklung zu verstehen hat - das Erkennen, das Begreifen und die Offenbarung des rei­nen Geistes in uns. Versucht, diese letzte Erklärung zu be­halten - die von der geistigen Entwicklung. Sie enthält die Wahrheit der „wahren Religion“.

 

Es gibt viele Ebenen des Seins - viele Unterebenen des Lebens - viele Grade des Daseins im Universum. Und alle hängen ab vom Fortschritt der Geschöpfe in der Skala. Auf dieser Skala ist der niedrigste Punkt die gröbste Materie, während das höchste Geschöpf nur durch eine ganz dünne Scheidewand von dem Geiste des Alls getrennt ist. Und auf- und vorwärts auf dieser Stufenleiter des Lebens be­wegt sich alles. Alle sind auf dem „Pfad“, dessen Ende das All ist. Jeder Fortschritt ist Heimkehr. Alles ist ein Auf­wärts und Vorwärts, trotz aller gegensätzlichen Erscheinun­gen. Das ist die Botschaft der Erleuchteten.

 

Die hermetischen Lehren über den Prozess der geistigen Schöpfung des Universums besagen, dass am Anfang eines Schöpfungszyklus das All, im Aspekt des „Seins“, seinen Willen auf den Aspekt des „Werdens“ überträgt, und damit beginnt der Prozess der Schöpfung. Er besteht in der Herab­setzung der Schwingungen, bis ein sehr geringer Grad der Schwingungsenergie und somit die gröbste Form der Ma­terie erreicht ist. Dieser Prozess wird das Stadium der In­volution genannt, in dem das All in seine Schöpfung hinein­gehüllt wird. Die Hermetiker glauben, dass dieser Prozess in gewisser Weise dem geistigen Prozess entspricht, in dem ein Künstler, Schriftsteller oder Erfinder in seine geistige Schöpfung bis zu einem gewissen Grade eingehüllt wird, so dass man beinahe seine eigene Existenz vergisst, wo er zu Lebzeiten gewissermaßen in seiner Schöpfung lebt. Wenn wir statt „eingehüllt“ den Ausdruck „versunken“ verwen­den, wird man vielleicht noch besser verstehen, was ge­meint ist.

 

Dieses Stadium der Involution der Schöpfung wird auch manchmal das „Ausgießen“ der göttlichen Energie genannt, so wie das der Evolution das „Einziehen“ genannt wird. Der äußerste Pol des Schöpfungsprozesses wird als der am weitesten vom All entfernte angesehen, während der Be­ginn des evolutionären Stadiums als Beginn des Zurück­schwingens des rhythmischen Pendels betrachtet wird - die Idee der Heimkehr, an der in allen hermetischen Lehren festgehalten wird. Die Lehren gehen dahin, dass während des „Ausgießens“ die Schwingungen immer niedriger wer­den, bis schließlich der Impuls aufhört und das Zurückschwingen beginnt. Nur mit dem Unterschiede, dass während des „Ausgießens“ die schöpferischen Kräfte sich als kom­pakt und als Ganzes offenbaren, dagegen vom Beginn der Evolution an das Gesetz der Individualisierung in Erschei­nung tritt, d.h. die Neigung, sich in Teilkräfte zu spalten, so dass schließlich das, was das All als unindividualisierte Energie verließ, zu seinem Ursprung in Form unzähliger hoch entwickelter Einheiten des Lebens zurückkehrt, nachdem diese in der Stufenleiter durch physische, geistige und rein geistige Evolution immer höher gestiegen waren.

 

Die alten Hermetiker benutzen das Wort „Meditation“, wenn sie den Prozess der geistigen Schöpfung des Universums im Geiste des Alls beschreiben wollen. Doch wird auch das Wort „Be­trachtung“ häufig gebraucht. Aber der Gedanke, dem hier Ausdruck gegeben werden soll, ist die Anwendung der gött­lichen Aufmerksamkeit: „Attention“ ist ein Wort, das aus einer lateinischen Wurzel abgeleitet wurde, und heißt so viel wie Ausdehnung, Ausstrecken, und so ist ein Akt der Atten­tion wirklich ein geistiges Ausstrecken, ein Ausdehnen gei­stiger Energie, so dass die zugrunde liegende Idee leicht ver­standen werden kann, wenn wir die wirkliche Bedeutung von Attention prüfen.

 

Die hermetischen Lehren über den Prozess der Evolution besagen, dass das All, nachdem es über den Anfang der Schöpfung meditiert und so die materiellen Grundlagen des Universums gelegt - sie erdacht habe, - dass das All all­mählich aus seiner Meditation erwacht und damit den Prozess des Einziehens auf der materiellen, geistigen und rein geistigen Ebene nacheinander ordnungsgemäß in Erschei­nung treten  lässt. So beginnt die Bewegung nach aufwärts, alles beginnt sich zu vergeistigen, die Materie wird weniger grob, die Einheiten treten ins Dasein, die Verbindungen bilden sich, das Leben erscheint und offenbart sich in immer höheren Formen und, da die Schwingungen immer höher werden, tritt immer mehr das Geistige in Erscheinung. Kurz, der ganze Prozess der Evolution in all seinen Phasen be­ginnt und schreitet fort nach den festgelegten Gesetzen des Einziehungs­prozesses. All dies benötigt Äonen über Äonen menschlicher Zeitrechnung, jedes Äon zahllose Millionen von Jahren umfassend, doch die Erleuchteten sagen uns, dass die ganze Schöpfung eines Universums einschließlich Involution und Evolution vor dem All nicht mehr bedeutet als ein Augenblinzeln. Am Ende der zahllosen Zyklen von Äonen zieht das All seine Aufmerksamkeit - seine Be­trachtung und Versenkung - von den Universen zurück, denn das große Werk ist beendet und alles ist wieder auf­genommen vom All, aus dem es hervorging. Aber - welch höchstes Mysterium! - der Geist jeder Seele wird nicht vernichtet, sondern hat sich bis zur Unendlichkeit erweitert - Geschöpf und Schöpfer sind ineinander aufgegangen. So berichten die Erleuchteten.

 

Obige Erläuterung der Medita­tion des Alls und das daraus erfolgende „Erwachen aus der Meditation“ ist natürlich nur ein Versuch der Lehrer, den unendlichen Prozess mit einem endlichen Beispiel zu be­schreiben. Und doch: Wie unten, so oben. Der Unterschied liegt nur im Grade. Und so, wie das All sich aus seiner Meditation über das Universum erhebt, so hört der Mensch auch zur gegebenen Zeit auf, sich auf der materiellen Ebene zu betätigen, und zieht sich immer mehr in den in ihm wohnenden Reinen Geist zurück, der fürwahr das göttliche Ich ist.

 

Noch von etwas anderem möchten wir in dieser Lektion sprechen, und das grenzt sehr nahe an das metaphysische Gebiet der Spekulation, obgleich wir damit nur die Unzu­länglichkeit solcher Spekulationen zeigen wollen. Wir spie­len an auf die Frage, die allen Denkern aufstößt, die wa­gen, die Wahrheit zu suchen. Diese Frage ist: Warum schafft das All Universen? Diese Frage kann in verschiedenen Formen gestellt werden, aber die obige Formulierung trifft am besten den Kern der Untersuchung.

 

Die Menschen haben hart um die Beantwortung dieser Frage gerungen, doch gibt es darauf keine richtige Antwort. Einige haben sich eingebildet, das All habe dadurch irgend­etwas zu gewinnen, aber das ist absurd, denn was könnte das All gewinnen, was es nicht schon besäße. Andere haben die Antwort in dem Gedanken gesucht, dass das All etwas zu lieben wünsche, andere, dass es erschüfe zu seiner Freude oder um seine Kraft zu bekunden, alles kindliche Erklärun­gen und Gedanken, die einer unreifen Periode des Denkens angehören.

 

Andere haben versucht, das Mysterium durch die An­nahme zu erklären, das All fühle sich durch seine eigene innere Natur, durch seinen schöpferischen Instinkt getrie­ben, zu erschaffen. Dieser Gedanke ist schon ein Fortschritt gegenüber dem andern, aber sein schwacher Punkt liegt in der Annahme, dass das All durch irgendetwas Innerliches oder Äußerliches getrieben sei, etwas zu tun. Wenn seine innere Natur oder sein schöpferischer Instinkt es triebe, et­was zu tun, dann würde seine innere Natur oder sein schöp­ferischer Instinkt das Absolute sein anstatt das All. Und so fällt dieser Teil des Vorschlages. Und doch schafft und offenbart sich das All und scheint darin eine Art von Be­friedigung zu empfinden, und es ist schwer, der Schlussfolgerung zu entgehen, dass es in irgendeinem unendlichen Grade so etwas haben müsse, was einer inneren Natur oder einem schöpferischen Instinkt beim Menschen entspricht mit entsprechendem unendlichem Wunsch und Willen. Es würde nicht handeln, wenn es nicht zu handeln wünschte; und alle diese Dinge würden zu einer inneren Natur gehören und könnten als existierend gefordert werden gemäß dem Ge­setz der Entsprechung. Aber dennoch ziehen wir vor, uns vorzustellen, dass das All gänzlich frei von jedem inneren und äußeren Einfluss handelt. Das ist das Problem, das die­ser Schwierigkeit - und die Schwierigkeit, die diesem Pro­blem zugrunde liegt.

 

Genau genommen kann nicht gesagt werden, dass irgendein Grund für das All besteht, zu handeln. Denn ein Grund verlangt eine Ursache und das All ist jenseits von Ursache und Wirkung, ausgenommen es will eine Ursache werden; in diesem Augenblick wird das Prinzip in Gang gesetzt. So seht Ihr, dieser Gegenstand ist undenkbar, so wie das All unerkennbar ist. So wie wir sagen, dass das All eben ist, so sind wir gezwungen, zu sagen, dass es „handelt, weil es handelt“. Schließlich, das All trägt alle Gründe in sich selbst, und man kann getrost sagen: das All ist seine eigene Begründung, sein eigenes Gesetz, seine eigene Tat oder noch weiter: dass das All, seine Begründung, sein Handeln, sein Gesetz eins sind, alles Namen für ein und dasselbe. Nach Meinung derer, die Euch diese Lektion geben, ist die Ant­wort in dem inneren Selbst des All eingeschlossen zusam­men mit seinem Geheimnis des Seins. Das Gesetz der Ent­sprechung reicht unserer Ansicht nach nur bis zur Erschei­nungsform des Alls, die wir die des „Werdens“ nennen können. Jenseits dieser ist die Erscheinungsform des Seins, in der alle Gesetze sich in ein Gesetz auflösen, alle Prinzi­pien zu einem verschmelzen und - All, Prinzip, Sein sind identisch, ein und dasselbe. Darum ist metaphysische Speku­lation über diesen Punkt unzulänglich. Wir sind an die Frage nur deshalb herangetreten, um zu zeigen, dass wir sie wohl klar erkennen, aber auch die Sinnlosigkeiten der gewöhn­lichen Antworten der Metaphysiker und Theologen.

 

Zum Abschluss mag es für unsere Schüler von Interesse sein, zu hören, dass einige der alten und neuzeitlichen her­metischen Lehrer dahin neigten, das Prinzip der Entspre­chung auf diese Frage anzuwenden, mit dem Resultat der Folgerung einer „inneren Natur“, dass aber der Überliefe­rung nach HERMES, der Große, die Frage seiner fortge­schrittenen Schüler beantwortet haben soll, indem er seine Lippen fest zusammenpresste, ohne ein Wort zu sagen, um auszudrücken, dass es auf diese Frage keine Antwort gäbe, es mag auch sein, dass er beabsichtigte, den Grundsatz sei­ner Philosophie anzuwenden, der da lautet:

„Die Lippen der Weisheit sind verschlossen, nur nicht für die Ohren des Verständnisses“.

Und dass er glaubte, dass selbst seine fort­geschrittenen Schüler nicht das Verständnis besäßen, das sie zu einer Belehrung berechtigt hätte. Jedenfalls, wenn HER­MES das Geheimnis besaß, so hat er es nicht mitgeteilt und, soweit es die Welt betrifft, sind die Lippen von HERMES hierüber geschlossen. Und wo der große HERMES zögerte zu sprechen, welcher Sterbliche dürfte da zu lehren wagen?

 

Aber was auch immer die Antwort auf dieses Problem sei - wenn es überhaupt eine Antwort gibt -, denkt daran, dass die Wahrheit bestehen bleibt:

 

„Während Alles im All ist, ist es gleichermaßen wahr, dass das All in Allem ist“.

 Auf diesen Punkt legt die Lehre besonderen Wert, und wir zitieren dazu abschließend die Worte:

 „Wer diese Wahr­heit versteht, hat ein großes Wissen erlangt“.

 

 

 

VIII. Kapitel

Die Ebenen der Entsprechungen

  

„Wie oben, so unten; wie unten, so oben“.

Kyba!ion

 

Das zweite große hermetische Prinzip enthält die Wahr­heit, dass Harmonie, Übereinstimmung und Entsprechung zwischen den verschiedenen Erscheinungsebenen von Leben und Sein bestehen. Diese Wahrheit ist wirklich Wahrheit, weil alles, was im Universum enthalten ist, aus demselben Ursprung herrührt; und dieselben Gesetze, Prinzipien und Merkmale passen auf jede Einheit oder Verbindung von aktiven Einheiten, denn jede offenbart ihre eigenen Er­scheinungen auf ihrer eigenen Ebene.

 

Aus Gründen der Bequemlichkeit des Denkens und For­schens hält die hermetische Philosophie es für zweckmäßig, das Universum in drei große Klassen von Erscheinungs­formen einzuteilen und zwar in:

 

1.     die große physikalische Ebene,

2.     die große geistige Ebene,

3.     die große rein geistige Ebene,

 

die unter dem Namen der drei großen Ebenen bekannt sind. Die Einteilung ist mehr oder weniger künstlich und willkür­lich, denn in Wirklichkeit sind alle drei Unterabteilungen nur steigende Grade der großen Stufenleiter des Lebens, deren niedrigster Punkt indifferenzierte Materie, deren höch­ster aber reiner Geist ist. Überdies gehen die verschiedenen Ebenen ineinander über, so dass keine genaue und feste Unterscheidung zwischen den höheren Erscheinungen der physischen und den niederen der geistigen oder zwischen den höheren der geistigen und den niedrigeren der rein geistigen Ebene gemacht werden kann.

 

Kurz, die drei großen Ebenen können als drei große Gruppen von Erscheinungsgraden des Lebens betrachtet werden. Wenn auch der Rahmen dieses kleinen Buches es uns nicht erlaubt, in eine ausführliche Besprechung oder Erklärung dieser verschiedenen Ebenen einzutreten, halten wir es doch für richtig, hier eine allgemeine Beschreibung derselben zu geben.

 

Zuerst wollen wir einmal die Frage behandeln, die so oft von Anfängern gestellt wird, die über die Bedeutung des Wortes „Ebene“ unterrichtet zu werden wünschen, ein Ausdruck, der sehr viel angewandt, aber sehr wenig erklärt wird in neuen Werken über das Gebiet des Okkultismus. Die Frage ist im Allgemeinen ungefähr folgende: Ist eine Ebene ein Ort, der Dimensionen hat, oder ist sie nur ein Zustand, ein Stand der Dinge? Wir antworten: Nein, weder ein Ort noch eine gewöhnliche Dimension des Raumes und doch mehr als ein Zustand oder ein Stand der Dinge. Sie könnte als ein Zustand angesehen werden und doch ist die­ser Zustand oder diese Lage ein messbarer Grad der Dimen­sion einer Skala. Etwas

paradox, nicht wahr? Aber wir wol­len der Sache auf den Grund gehen. Eine „Dimension“ ist, wie Ihr wisst, „eine Abmessung in gerader Linie zu einem Maß in Beziehung gebracht“ usw. Die gewöhnlichen Dimen­sionen des Raumes sind Länge, Breite und Höhe oder viel­leicht Länge, Breite, Höhe und Dichte, oder Umfang. Aber es gibt noch eine andere Dimension „erschaffener Dinge“, ein anderes Maß in gerader Linie, den Okkultisten wohl bekannt, ebenso den Gelehrten, obgleich letztere dafür noch nicht die Bezeichnung „Dimension“ anwenden, und diese neue Dimension, die übrigens die viel überdachte „vierte Dimension“ ist, ist der Maßstab zur Unterscheidung der Grade oder „Ebenen“.

 

Diese vierte Dimension kann auch die Dimension der Schwingungen genannt werden. Es ist die Tatsache, die der modernen Wissenschaft ebenso wohlbekannt ist wie den Hermetikern, die diese Wahrheit in ihrem dritten hermeti­schen Prinzip verankert haben, welches lautet: „Alles ist in Bewegung, alles schwingt, nichts ist in Ruhe..’ Von der höchsten Erscheinungsform bis zur niedrigsten schwingt alles und jedes. Es schwingt nicht nur in verschiedener Schwin­gungszahl, sondern auch in verschiedenen Richtungen und in verschiedener Art. Die Höhe der Schwingungszahl wird der Maßstab auf der Skala der Schwingungen, mit anderen Worten: sie bildet die Grade der vierten Dimension. Diese Grade sind das, was die Okkultisten „Ebenen“ nennen. Je höher die Schwingungszahl, desto höher die Ebene und desto höher die Erscheinungsform des Lebens auf dieser Ebene. Also, wenn auch die Ebene kein „Ort“ ist und auch kein „Zustand“, so besitzt sie doch die Eigenschaften, die beiden gemeinsam sind. Wir werden in unseren nächsten Lektionen über die Skala der Schwingungen mehr zu sagen haben, wenn wir das hermetische Prinzip der Vibration be­handeln.

 

Jedenfalls denkt daran, dass die drei großen Ebenen nicht tatsächlich Teilungen der Erscheinungsformen des Univer­sums sind, sondern lediglich willkürliche Bezeichnungen der Hermetiker, um in die Betrachtung und das Studium der verschiedenen Grade und Formen der Tätigkeit und der Formen des Universums einzuführen. Das Atom der Materie, die Einheit der Kraft, der Menschengeist, das Wesen eines Erzengels, sind alle nur eine Sache des Grades und der Höhe der Schwingung - alle sind Schöpfungen des Alls und haben ihr Dasein allein im unendlichen Geiste des Alls.

 

Die Hermetiker unterteilen jede der drei großen Ebenen in sieben kleinere Ebenen und jede von diesen ist ebenso in sieben Unterebenen unterteilt. Alle diese Einteilungen sind mehr oder weniger willkürlich, gehen ineinander über und sind nur zum bequemeren wissenschaftlichen Forschen und Denken vorgenommen worden.

 

Die große physikalische Ebene und ihre sieben kleineren Ebenen sind die Einteilung jener Erscheinungsformen des Universums, die alles umschließen, was sich auf Physik oder materielle Dinge, Kräfte oder Erscheinungen bezieht. Es werden alle Formen dessen einbezogen, was wir Materie nennen, und dessen, was wir Energie oder Kraft nennen. Aber Ihr müsst Euch daran erinnern, dass die hermetische Philosophie Materie nicht als „ein Ding an sich“ betrachtet, noch annimmt, sie habe eine besondere Existenz im Geiste des Alls. Die Lehre besagt, dass Materie nur eine Form der Energie ist, d. h. Energie gewisser Art mit sehr niedriger Schwingungszahl. Deshalb ordnen die Hermetiker die Ma­terie unter die Rubrik der Energie ein und teilen sie dreien der sieben kleineren Ebenen der großen

physikalischen Ebene zu.

 Diese sieben kleineren physikalischen Ebenen sind fol­gende:

 

1. die Ebene der A-Materie,

2. die Ebene der B-Materie,

3. die Ebene der C-Materie,

4. die Ebene der ätherischen Substanz,

5. die Ebene der A-Energie,

6. die Ebene der B-Energie,

7. die Ebene der C-Energie.

       

Die Ebene der A-Materie umfasst die Formen der Materie in ihrer Form als feste Körper, Flüssigkeit und Gase, wie sie im Allgemeinen in den Lehrbüchern der Physik bezeich­net sind.

Die Ebene der B-Materie umfasst gewisse höhere und feinere Formen der Materie, deren Vorhandensein die moderne Wissenschaft erst jetzt erkennt: die Erscheinungsformen strahlender Materie als Radium usw., die nied­rigeren Unterabteilungen dieser Unterebene angehören.

Die Ebene der C-Materie umfasst Formen der feinsten und zartesten Materie, deren Existenz von gewissen Wissenschaft­lern angenommen wird. Die Ebene der ätherischen Substanz umfasst das, was die Wissenschaft als Äther bezeichnet, eine Substanz von äußerster Zartheit und Dehnbarkeit, die den ganzen Raum des Universums durchdringt und als Medium für die Übertragung von Energiewellen dient, wie Licht, Wärme, Elektrizität usw. Diese ätherische Substanz bildet das verbindende Glied zwischen so genannter Materie und Energie und nimmt teil an der Natur beider.

Die Herme­tiker jedoch lehren, dass diese Ebene sieben Unterabteilun­gen hat wie alle Unterebenen und dass es tatsächlich 7 Äther gibt statt einen. Als nächste über der Ebene der ätherischen Substanz kommt die Energieebene A mit ihren sieben Unterebenen, die die gewöhnlichen Formen der Wissenschaft bekannten Energie umfasst: Wärme, Licht, Magnetismus, Elektrizität und Anziehung (einschließlich Gravitation, Kohäsion und chemische Affinität) und verschiedene andere Formen von Energie, die auch durch wissenschaftliche Expe­rimente angezeigt, aber noch nicht bekannt oder klassifiziert wurden.

Die Energieebene B umfasst die sieben Unterebenen von höheren Energieformen, die von der Wissen­schaft bisher noch nicht entdeckt sind, die aber „feinere Naturkräfte“ genannt und durch gewisse geistige Erschei­nungsformen hervorgerufen und ermöglicht werden.

Die Ebene der C-Energie umfasst sieben Unterebenen von Ener­gien, die so hoch organisiert sind, dass sie viele Merkmale des Lebens tragen, die aber der menschliche Geist in seiner gewöhnlichen Entwicklung nicht erfassen kann und die nur für Eingeweihte auf der rein geistigen Ebene bestimmt sind. Eine derartige Energie ist für gewöhnliche Menschen un­denkbar und kann nahezu als göttliche Kraft angesehen werden. Die Wesen, die diese Energien anwenden, sind Götter im Vergleich zu den höchsten bekannten mensch­lichen Typen.

Die große Mentalebene umfasst jene Formen „lebendiger Dinge“, die uns im gewöhnlichen Leben bekannt sind, und gewisse, meist nur Okkultisten bekannte Formen. Die Ein­teilung der sieben kleineren Mentalebenen ist ziemlich will­kürlich und nicht allzu befriedigend, wenn sie nicht von ausführlichen Erklärungen begleitet ist, die über den be­sonderen Zweck dieses Werkes hinausgehen. Trotzdem wol­len wir sie erwähnen. Sie ist folgendermaßen:

 

1.     die Ebene der Mineralseelen,

2.     die Ebene der Elementarseelen A,

3.     die Ebene der Pflanzenseelen,

4.     die Ebene der Elementarseelen B,

5.     die Ebene der Tierseelen,

6.     die Ebene der Elementarseelen C,

7.     die Ebene der Menschenseelen.

 

Die Ebene der Mineralseelen umfasst die Zustände der Einheiten der Wesenheiten oder Gruppen und Verbin­dungen derselben, die die Formen beleben, die uns als Mineralien, Chemikalien usw. bekannt sind. Diese Wesen dürfen nicht mit den Molekülen, Atomen und Korpuskeln verwechselt werden, die nur die materiellen Körper oder Formen dieser Wesenheiten sind, so wie der Körper des Menschen nur seine materielle Form, nicht aber er selbst ist.

 

Diese Wesenheiten können in gewissem Sinne „Seelen“ ge­nannt werden und sind Lebewesen von einem niedrigen Entwicklungsgrad des Lebens und Geistes, gerade ein wenig höher als die Einheiten der lebenden Energien, die die höheren Unterabteilungen der höchsten physikalischen Ebene umfassen. Der durchschnittliche Menschengeist billigt gewöhnlich dem Mineralreich nicht den Besitz von Seele oder Leben zu, aber alle Okkultisten erkennen die Existenz derselben an und die niedere Wissenschaft bewegt sich mit großer Schnelligkeit auf diesen Standpunkt der Hermetiker zu. Die Moleküle und die Korpuskeln haben ihre Liebe und ihren Hass, Neigung und Abneigung, Anziehung und Ab­stoßung, Verwandtschaft und Nichtverwandtschaft usw. und einige kühnere moderne Wissenschaftler haben ihre Mei­nung dahingehend zum Ausdruck gebracht, dass Wunsch und Wille, Erregungen und Gefühle der Atome sich nur dem Grade nach von denen der Menschen unterscheiden. Wir haben weder Zeit noch Raum, diese Frage hier zu be­handeln. Alle Forscher im Abstrakten wissen, dass es eine Tatsache ist, und die andern mögen die Bestätigung von außerhalb in einem der neueren wissenschaftlichen Werke suchen. Auch diese Ebene hat sieben Unterabteilungen.

Die Ebene der Elementarseelen A umfasst den Zustand und Grad der geistigen und Lebensentwicklung einer Klasse von Wesenheiten, die den Durchschnittsmenschen unbekannt, aber von allen Okkultisten anerkannt sind. Sie sind für die gewöhnlichen Sinne der Menschen nicht wahrnehmbar, aber trotzdem existieren sie und spielen ihre Rolle in dem Drama des Universums. Ihr Grad von Intelligenz liegt zwischen dem der Mineralien und Chemikalwesen einerseits und dem der Wesenheiten des Pflanzenreiches andererseits. Es gibt auch hier sieben Unterabteilungen.

Die Ebene der Pflanzenseelen in ihren sieben Unterabtei­lungen umfasst den Zustand der Wesenheiten, die die Reiche der Pflanzenwelt einnehmen, deren Lebens- und geistige Erscheinungen von jedem durchschnittlich intelli­genten Menschen verstanden werden, um so mehr, als viele neue und interessante wissenschaftliche Werke über den Geist und das Leben der Pflanzen während der letzten Zeit veröffentlicht worden sind. Pflanzen haben Leben, Geist und Seele so wie die Tiere, Menschen und höheren Menschen.

 

Die Ebene B der Elementarseelen enthält in ihren sieben Unterabteilungen die Zustände einer höheren Form ele­mentarer bzw. unsichtbarer Wesenheiten, die ihre Rolle in dem großen Arbeitsplan des Universums zu spielen haben und deren Leben und Geist einen Teil der Skala zwischen den Ebenen der Pflanzen- und Tierseelen einnehmen und an der Natur beider teilhaben.

 

Die Ebene der Tierseelen umfasst in ihren sieben Unter­abteilungen diejenigen Wesen, Geschöpfe oder Seelen, die die tierischen Formen beleben, die uns allen vertraut sind. Es ist nicht nötig, sich im Einzelnen über das Tierreich zu ergehen, denn die Tierwelt ist uns ja so vertraut wie unsere eigene.

 

Die Ebene C der Elementarseelen umfasst in ihren sieben Unterabteilungen diejenigen Wesen oder Geschöpfe, die in gewissen Maßen und gewissen Verbindungen wie alle diese Elementarformen an der Natur des Tierischen sowohl wie des Menschlichen teilnehmen. Die höchsten Formen sind deshalb menschlich, was ihre Intelligenz betrifft.

 

Die Ebene des menschlichen Geistes umfasst solche Formen des menschlichen Geistes, die den Menschen gemeinsam sind, in ihren verschiedenen Stufen, Graden und Einteilun­gen. In diesem Zusammenhang wollen wir auf die Tatsache hinweisen, dass der Durchschnittsmensch nur die 4. Unterabteilung der menschlichen Geistesebene einnimmt; nur die Intelligentesten haben die Grenze der 5. Unterabteilung überschritten.

 

Es hat Jahrmillionen gedauert, bis das Men­schengeschlecht diese Stufe erreichte. Und es wird noch viel länger dauern, bis es die 6. oder 7. Unterabteilung erreicht oder überschreitet. Aber bedenkt, dass schon vor uns Men­schengeschlechter diese Ebenen überschritten haben, hinauf zu noch höheren Stufen. Unser Menschengeschlecht ist das 5., das mit Nachzüglern des 4. den Pfad betreten hat. Ferner gibt es einige vorgeschrittene Seelen, die die Masse über­holt haben und bis zur 6. und 7. Unterabteilung vorgeschrit­ten sind, und einige wenige sind noch weiter; der Mensch der 6. Unterabteilung wird der höhere Mensch genannt und der der 7. der Übermensch.

 

In unserer Betrachtung der sieben kleineren Mentalebenen haben wir auf die drei Elementarebenen nur im Allgemeinen Bezug genommen. Wir wollen über sie in diesem Werk nicht in Einzelheiten eingehen, denn das gehört nicht zu diesem Teil der ganzen Physiologie und Lehre. Aber um Euch eine etwas klarere Idee von der Verwandtschaft dieser Ebene zu den bekannteren zu geben, wollen wir wenigstens andeuten, dass die Elementarebenen dieselbe Beziehung zu den Geistes- und Lebensebenen der Minerale, Pflanzen, Tiere und Menschen haben, wie die weißen Tasten auf dem Klavier zu den schwarzen. Die weißen Tasten genügen, um Musik zu machen, aber es gibt gewisse Tonleitern, Melodien und Harmonien, in denen die schwarzen Tasten ihre Rolle spielen und bei denen ihre Gegenwart notwendig ist.

Sie sind auch notwendig als Verbindungsglieder der Seelen- und Wesenszustände usw. zwischen den verschiedenen an­deren Ebenen. Gewisse Entwicklungsformen werden hier­bei erreicht und diese Tatsache wird dem, der zwischen den Zeilen lesen kann, neue Erkenntnisse über den Prozess der Evolution und einen neuen Schlüssel geben zu dem Geheim­nis der Sprünge des Lebens zwischen den Reichen. Die großen Elementarreiche sind von allen Okkultisten voll und ganz erkannt worden und alle esoterischen Schriften erwäh­nen sie immer wieder.

 

Die Leser von BULWERS Zanoni und ähnlichen Erzählungen werden die Wesen erkennen, die diese Lebensebenen bewohnen. Was sollen wir aber sagen, wenn wir von der großen Mentalebene zur höchsten Geistesebene übergehen? Wie sollen wir diese höheren Zustände des Seins, Lebens und Geistes einem Menschen erklären, der noch nicht einmal in der Lage ist, die höheren Unter­abteilungen der menschlichen Geistesebene zu erkennen und zu begreifen? Die Aufgabe ist unmöglich. Wir können nur in ganz allgemeinen Ausdrücken sprechen. Wie soll man einem, der blind geboren ist, das Licht beschreiben, wie Zucker einem, der niemals etwas Süßes gekostet hat, wie Harmonie einem Taubgeborenen?

 

Alles, was wir sagen können, ist, dass die sieben kleineren Ebenen der großen rein geistigen Ebene (die sieben klei­neren Ebenen haben jede ihre sieben Unterabteilungen) Wesen umfassen mit Leben, Geist und Formen, die so weit über dem sind, was den heutigen Menschen zu eigen ist, wie letztere über dem Regenwurm, dem Mineral oder sogar über gewissen Formen der Energie oder der Materie stehen. Das Leben dieser Wesen übersteigt das unsere so weit, dass für sie wir kaum zu denken und unsere geistigen Funk­tionen ihren materiellen Prozessen sehr ähnlich zu sein scheinen. Der Stoff, aus dem sie zusammengesetzt sind, stammt aus den höchsten Ebenen der Materie, nein einige von ihnen sollen in reine Energie gekleidet sein. Was soll man über solche Geschöpfe sagen?

 

Auf den sieben kleineren Ebenen der großen geistigen Ebene leben Geschöpfe, die wir Engel, Erzengel oder Halbgötter nennen können. Auf den niedrigeren kleineren Ebe­nen wohnen die großen Seelen, die wir Weise und Adepten nennen. Über ihnen kommen die großen Hierarchien oder himmlischen Heerscharen, für Menschen unausdenkbar, und über diesen jene, die ohne Unehrbietigkeit die Götter ge­nannt werden können. Sie sind so hoch auf der Stufenleiter des Seins, dass ihr Dasein, ihre Intelligenz und ihre Macht dem vergleichbar sind, was Menschengeschlechter ihren Be­griffen von Göttlichkeit beigelegt haben. Viele dieser We­sen wie auch die himmlischen Heere haben die größte An­teilnahme an den Geschehnissen des Universums und spielen dabei eine wichtige Rolle. Diese unsichtbaren Gottheiten und engelhaften Helfer machen ihren Einfluss frei und mächtig geltend in dem Prozess der Evolution und im kos­mischen Prozess. Ihr gelegentliches Eingreifen in mensch­liche Angelegenheiten hat zu vielen Legenden, Glaubens­vorstellungen, Religionen und Traditionen des vergangenen und heutigen Menschengeschlechtes geführt. Sie haben ihre Kenntnisse und ihre Macht der Welt gegenüber immer wieder zur Geltung gebracht. Natürlich alles unter dem Gesetz des Alls.

 

Doch bestehen sogar die höchsten dieser vorgeschrittenen Wesen nur im Geiste des Alls, als seine Schöpfungen, und sind den kosmischen Prozessen und Gesetzen des Univer­sums unterworfen. Sie sind noch sterblich. Wir können sie, wenn wir wollen, „Götter“ nennen, aber noch sind sie die älteren Brüder des Menschengeschlechtes, die fortgeschrit­tenen Seelen, die ihre Brüder überholt haben und voran­gegangen sind in der Verzückung des Aufgehens im All, um den Menschen zu helfen auf ihrer Reise nach oben, den Pfad entlang. Aber sie gehören zum Universum und sind seinen Bedingungen unterworfen - sie sind sterblich und ihre Ebene ist unter der des absoluten reinen Geistes.

 

Nur die am weitesten fortgeschrittenen Hermetiker sind in der Lage, die tieferen Lehren über die Daseinsbedingun­gen und die Kräfte zu geben, die auf den rein geistigen Ebenen in Erscheinung treten. Die Erscheinungsform ist so viel höher als auf den mentalen Ebenen, dass der Versuch, sie zu beschreiben, sicherlich eine Begriffsverwirrung her­vorrufen würde. Nur diejenigen, deren Geist auf der Linie der hermetischen Philosophie jahrelang sorgfältig geübt wurde, - ja nur solche, die aus anderen Inkarnationen die früher erworbenen Erkenntnisse mitgebracht haben, können das, was mit der Lehre dieser rein geistigen Ebene gemeint ist, richtig verstehen.

Vieles dieser tieferen Lehre wurde von den Hermetikern für zu heilig, zu wichtig und sogar für zu gefährlich für eine allgemeine öffentliche Verbreitung gehalten. Der intelligente Schüler kann erkennen, was wir mit der Feststellung meinen, dass die Bedeutung von „Reiner Geist“, wie sie von den Hermetikern angewendet wird, gleichbedeutend ist mit „lebende Kraft“, „lebendige Kraft“, „innere Essenz“, „Lebensessenz“ usw., eine Bedeutung, die nicht mit der verwechselt werden darf, die gewöhnlich darunter verstanden wird und zwar als religiös“, „kirchlich“, „spirituell“, „ätherisch“, „heilig“ usw. Den Okkultisten be­deutet das Wort „reiner Geist“ das belebende Prinzip mit der Idee der Kraft, der lebendigen Energie, der mystischen Kraft usw. Und die Okkultisten wissen, dass das, was ihnen als rein geistige Kraft bekannt ist, zum Schlechten und zum Guten angewandt werden kann (in Übereinstimmung mit dem Prinzip der Polarität), eine Tatsache, die von den mei­sten Religionen mit ihren Begriffen von Satan, Beelzebub, Teufel, Luzifer, gefallener Engel usw. anerkannt worden ist, Darum wurde das Wissen über die Ebenen in allen eso­terischen Bruderschaften und okkulten Orden im Aller­heiligsten des Tempels verschlossen. Aber das mag hier ge­sagt sein: diejenigen, die eine hohe geistige Macht erreicht und sie missbraucht haben, haben ein schreckliches Schicksal zu erwarten, Und der Schwung des rhythmischen Pendels wird sie unausweichlich zurückschwingen in das alleräußerste Extrem der materiellen Existenz, von wo sie ihre Schritte den ermüdenden Pfad entlang wieder zurücklenken müssen, aber immer mit der zusätzlichen Qual, dass sie stets die un­zerstörbare Erinnerung an die Höhen begleitet, von denen sie wegen ihrer bösen Tat gestürzt sind. Die Legenden von gefallenen Engeln haben ihren Ursprung in wirklichen Ge­schehnissen, wie fortgeschrittene Okkultisten wissen.

Das Streben nach eigennütziger Macht auf den rein geistigen Ebenen  lässt die egoistische Seele ihr rein geistiges Gleich­gewicht verlieren und sie so tief stürzen, wie sie früher emporgestiegen war. Aber selbst für solche Seelen ist die Gelegenheit für eine Rückkehr gegeben und sie können heimkehren, wenn sie die fürchterliche Strafe zahlen, die das unumstößliche Gesetz verlangt.

Zum Schlusse wollen wir Euch noch einmal daran er­innern, dass alle sieben hermetischen Prinzipien nach dem Gesetz der Entsprechung auf allen physischen, geistigen und rein geistigen Ebenen in voller Wirksamkeit sind, indem sie die Wahrheit enthalten:

 

„Wie oben, so unten; wie unten, so oben,“

 

 Das Prinzip der mentalen Substanz richtet sich natürlich auf alle Ebenen, denn sie sind alle gehalten im Geiste des Alls. Das Prinzip der Entsprechung erscheint in allem, denn überall gibt es eine Entsprechung, Harmonie und Übereinstimmung in den verschiedenen Ebenen. Das Prinzip der Schwingung offenbart sich auf allen Ebenen und gerade die Unterschiede der Schwingung lassen die „Ebenen“ höher steigen, so wie wir es erklärten. Das Prinzip der Polarität offenbart sich auf jeder Ebene, denn es ist augenscheinlich, dass die Extreme der Pole im Gegensatz zueinander stehen und sich widersprechen. Das Prinzip des Rhythmus offenbart sich auf jeder Ebene, denn die Be­wegungen der Erscheinungsformen haben Ebbe und Flut, Steigen und Fallen, Ein und Aus. Das Prinzip der Ursache und Wirkung offenbart sich auf jeder Ebene, da jede Wir­kung ihre Ursache und jede Ursache ihre Wirkung hat. Das Prinzip des Geschlechts offenbart sich auf jeder Ebene, denn die schöpferische Energie tritt stets in Erscheinung und wirkt auf der Linie ihrer männlichen und weiblichen Aspekte.

 

„Wie oben, so unten; wie unten, so oben“.

 

Dieser jahrhundertealte hermetische Grundsatz enthält eines der größten hermetischen Prinzipien der Erscheinungs­formen des Universums. Wenn wir mit unserer Betrachtung der restlichen Prinzipien weiter schreiten, werden wir die Wahrheit der universellen Natur dieses großen Prinzips der Entsprechungen klarer erkennen.

 

 

IX. Kapitel

 Schwingung

 

„Nichts ist in Ruhe, alles bewegt sieh, alles ist in Schwingung.“

„Kybalion“

 

Das dritte große hermetische Prinzip, das Prinzip der Schwingung, enthält die Wahrheit, dass Bewegung sich überall im Universum offenbart, dass nichts in Ruhe ist, dass alles sich bewegt, schwingt und kreist. Dieses hermetische Prinzip wurde von einigen der ältesten griechischen Philosophen er­kannt, die es in ihre Systeme einbauten. Aber dann wurde es von den Denkern, die außerhalb der hermetischen Reihen standen, für Jahrhunderte aus den Augen verloren. Aber im 19. Jahrhundert entdeckte die physikalische Wissenschaft diese Wahrheit von neuem und die wissenschaftlichen Ent­deckungen des 20. Jahrhunderts haben zusätzliche Beweise für die Richtigkeit dieser uralten hermetischen Lehre hinzu­gefügt.

 

Die hermetischen Lehren besagen, dass alles nicht nur in konstanter Bewegung und Schwingung ist, sondern dass die „Unterschiede’ zwischen den verschiedenen Offenbarungen der universalen Kraft ausschließlich der wechselnden Höhe und Art der Schwingungen zuzuschreiben sind. Und nicht nur das, sondern dass sogar das All in sich eine dauernde Schwingung von einer so unendlichen Intensität und reißen­den Schnelligkeit zeigt, dass man es praktisch als in Ruhe befindlich ansehen kann, und die Lehrer richten die Aufmerksamkeit der Schüler auf die Tatsache, dass sogar auf der physischen Ebene ein sich reißend schnell bewegender Gegenstand (wie z.B. ein sich drehendes Rad) in Ruhe zu sein scheint. Die Lehrer kommen zu dem Schluss, dass an dem einen Ende des Pols der Schwingungen reiner Geist ist, am andern außerordentlich grobe Formen der Materie. Zwischen diesen beiden Polen sind Millionen und Abermillionen von Schwingungen verschiedener Höhe und Art.

 

Die moderne Wissenschaft hat bewiesen, dass alles, was wir Materie und Energie nennen, nur Arten von schwingen­der Bewegung sind, und einige weiter fortgeschrittene Wis­senschaftler nähern sich sehr schnell der Stellung der Ok­kultisten, welche behaupten, dass die geistigen Phänomene ebenfalls Arten der Schwingung oder Bewegung sind. Wir wollen einmal sehen, was die Wissenschaft über die Frage der Schwingung in der Materie und Energie zu sagen hat.

 

Erstens lehrt die Wissenschaft, dass alle Materie im ge­wissen Grade Schwingungen aufweist, die von der Tempe­ratur oder Wärme ausgehen. Ein Gegenstand möge kalt oder warm sein (beides sind ja nur Grade ein- und des­selben Dinges), stets zeigt er gewisse Wärmeschwingungen und in diesem Sinne ist er in Bewegung und Schwingung. Ferner sind alle Teilchen der Materie in kreisender Bewe­gung vom Elektron oder Ion bis zu den Sonnen. Die Plane­ten drehen sich um die Sonnen und viele von ihnen drehen sich um ihre eigene Achse. Die Sonnen bewegen sich um größere Zentralpunkte und diese sollen sich um noch grö­ßere bewegen und so weiter ad infinitum. Die Moleküle, aus denen die besonderen Arten der Materie bestehen, sind in einem Zustand dauernder Schwingung und Bewegung um- und gegeneinander. Die Moleküle sind aus Atomen zusammengesetzt, die sich ebenfalls im Zustand dauernder Bewegung und Schwingung befinden. Die Atome sind aus Korpuskeln zusammengesetzt, die man auch Elektronen oder Ionen nennt und die sich auch in rasender Bewegung um einander drehen und sehr schnelle und hohe Schwingungen aufweisen. So sehen wir, dass alle Formen der Materie Schwingungen bekunden in Übereinstimmung mit dem her­metischen Prinzip der Vibration oder Schwingung.

 

Und so ist es auch mit den verschiedenen Formen der Energie. Die Wissenschaft lehrt, dass Licht, Wärme, Ma­gnetismus und Elektrizität nur Formen schwingender Bewe­gung sind, die damit in irgendeiner Form verbunden und wahrscheinlich Ausstrahlungen des Äthers sind. Der Wissen­schaft ist es weder gelungen, die Natur der Erscheinung, die man mit Kohäsion bezeichnet, zu erklären, d. h. das Prinzip molekularer Anziehung, noch die der chemischen Affinität, die das Prinzip der atomischen Anziehung, noch die der Gravitation (des größten Mysteriums von den dreien), die das Prinzip einer Anziehung ist, durch die jedes Teilchen oder die Masse der Materie an jedes andere Teilchen oder Masse gebunden ist. Diese drei Formen der Energie hat die Wissenschaft bisher noch nicht begriffen, doch in der Fachliteratur neigt man zu der Ansicht, dass auch sie Er­scheinungen irgendeiner Art von Schwingungsenergie sind, eine Tatsache, die die Hermetiker schon sehr lange behaup­ten und lehren. Der universale Äther, dessen Vorhanden­sein von der Wissenschaft gefordert wird, ohne dass seine Natur klar verstanden wird, ist nach Auffassung der Her­metiker nur eine höhere Erscheinungsform dessen, was man irrigerweise Materie nennt, d.h. Materie in einem höheren Grad von Schwingung, die sie ätherische Substanz nennen.

 

Die Hermetiker lehren, dass diese ätherische Substanz äußerst dünn und ausdehnbar ist, den ganzen Raum durchdringt und als Medium für die Übertragung von Schwingungsenergie, wie Wärme, Licht, Elektrizität, Magnetismus usw. dient. Die Lehren besagen, dass die ätherische Substanz ein Verbindungsglied zwischen den Formen der Schwingungs­energie ist, die einerseits als Materie, andererseits als Ener­gie oder Kraft bekannt ist; und dass sie auf einem eigenen Schwingungsgrad erscheint, sowohl was die Höhe als auch die Art anbetrifft. Zur Erläuterung haben die Gelehrten das Beispiel eines sehr schnell drehenden Rades, Kreisels oder Zylinders herangezogen, um die Wirkung der immer höher werdenden Schwingungszahl zu zeigen. Dieses Bei­spiel setzt ein Rad, einen Kreisel oder Zylinder voraus, je­weils mit einer niedrigen Geschwindigkeit laufend. Wir wollen bei der Auswertung dieses Beispiels dieses sich dre­hende Ding das „Objekt“ nennen. Wir wollen annehmen, das Objekt bewege sich langsam. Es kann leicht gesehen werden, aber kein Ton seiner Bewegung erreicht das Ohr. Die Geschwindigkeit wird allmählich erhöht. In wenigen Augenblicken wird seine Geschwindigkeit so schnell, dass ein tiefes Brummen oder ein niedriger Ton gehört werden kann. Bei Erhöhung der Schnelligkeit steigt der Ton um eine Note höher in der Tonleiter. Bei weiterer Beschleuni­gung kann man den nächst höheren Ton unterscheiden. So erscheinen nach und nach alle Töne der Tonleiter, immer höher steigend mit wachsender Geschwindigkeit. Schließlich nimmt die Umdrehung eine solche Schnelligkeit an, dass der höchste Ton, den das menschliche Ohr vernehmen kann, er­reicht ist und das schrille durchdringende Kreischen erstirbt und Stille folgt. Keinen Ton hört man von dem sich rasend drehenden Objekt, denn der Grad der Bewegung ist so hoch, dass das menschliche Ohr die Schwingungen nicht wahrnehmen kann. Dann bemerkt man das Steigen der Wärmegrade. Nach gewisser Zeit bemerkt das Auge, dass das Objekt eine matt dunkelrötliche Farbe annimmt. Je mehr die Geschwindigkeit wächst, desto heller wird das Rot, es zerschmilzt zu einem Orange. Dann folgen nacheinander die Farben grün, blau, indigo und schließlich violett. Dann verschwindet das Violett, alle Farbe schwindet, da das menschliche Auge sie nicht mehr wahrnehmen kann. Aber unsichtbare Strahlen gehen von dem sich drehenden Objekt aus, Strahlen, wie sie zum Photographieren verwandt wer­den und andere subtile Lichtstrahlen. Dann erscheinen be­sondere Strahlen, die als X-Strahlen usw. bekannt sind, denn der Zustand des Objekts ändert sich, Elektrizität und Magnetismus werden ausgesandt, wenn die entsprechende Schwingungshöhe erreicht ist.

 

Wenn nun das Objekt einen gewissen Schwingungsgrad erreicht hat, lösen sich seine Moleküle in ihre Bestandteile auf und zwar in ihre ursprünglichen Elemente und Atome. Dann zerfallen die Atome, dem Prinzip der Schwingung folgend, in zahllose Korpuskeln, aus denen sie bestehen. Schließlich verschwinden sogar die Elektronen, und man kann sagen, dass das Objekt jetzt aus ätherischer Substanz besteht. Die Wissenschaft darf nicht wagen, das Beispiel weiter zu verfolgen, aber die Hermetiker lehren, dass, wenn die Schwingungen weiter erhöht werden, das Objekt sich zu den entsprechenden geistigen Zuständen in nacheinander folgenden Erscheinungsstufen erheben würde, den rein gei­stigen entgegen, bis es schließlich ins All zurückkehren würde, das Reiner Geist ist. Das „Objekt“ würde allerdings lange, bevor es den Zustand ätherischer Substanz erreichte, aufgehört haben, ein Objekt zu sein, aber sonst ist das Bei­spiel richtig, insofern es die Wirkung fortgesetzt erhöhter Schwingungszahl und -art zeigt.

 

Bei obigem Beispiel darf man nicht vergessen, dass das Objekt auf der Stufe, wo es die Schwingungen von Licht und Wärme usw. abwirft, nicht tatsächlich in diese Energieformen aufgelöst wird (die viel höher in der Skala liegen), sondern dass es nur einen Schwingungsgrad erreicht, bei welchem Energieformen in gewissem Maße frei werden von den bindenden Einflüssen ihrer Moleküle bzw. Atome und Elektronen. Diese Energieformen, obgleich viel höher in der Skala als die Materie, sind eingeschlossen und gebunden in materielle Verbindungen aus dem Grunde, weil die Ener­gien materielle Formen benutzen und darin in Erscheinung treten, so aber verstrickt und gefesselt werden in ihre Schöp­fungen materieller Formen, was zu einem gewissen Grade für alle Schöpfungen wahr ist, insofern die schöpferische Kraft in ihre Schöpfung eingehüllt wird.

 

Aber die hermetischen Lehren gehen viel weiter als die der modernen Wissenschaft. Sie lehren, dass alle Manifesta­tionen von Gedanken, Erregungen, von Vernunft, Wunsch und Wille, dass also alle geistigen Zustände begleitet sind von Schwingungen, von denen ein Teil abgegeben wird mit der Absicht oder der Neigung, den Geist anderer Personen durch „Induktion“ zu beeinflussen. Das ist das Prinzip, das die Erscheinungsformen der Telepathie, der geistigen Be­einflussung und andere Formen geistiger Beeinflussung an­derer hervorruft, Dinge, deren Kenntnis immer größere Kreise umfasst, da das okkulte Wissen auf diesem Gebiet durch die verschiedenen Schulen, Kulte und Lehrer heute weit verbreitet wird. Jeder Gedanke, jede Erregung und jeder geistige Zustand haben ihre entsprechende Schwin­gungszahl und -art. Und durch Willensanstrengung der be­treffenden Person oder anderer Personen können die gei­stigen Zustände wiederholt werden, so wie man einen musi­kalischen Ton wiederholen kann, indem man ein Instrument in einer bestimmten Höhe schwingen  lässt, wie man Farbe in derselben Weise reproduzieren kann. Durch Kenntnis des Prinzips der Schwingung, angewandt auf geistige Erscheinungen, kann man seinen Geist auf jeder beliebigen Stufe polarisieren und so vollkommene Kontrolle über seine gei­stigen Zustände, Stimmungen usw. gewinnen. Auf dieselbe Art und Weise kann man den Geist anderer beeinflussen, indem man in ihnen geistige Zustände hervorruft. Kurz, man kann auf der geistigen Ebene dasselbe hervorrufen, was die Wissenschaft auf der physikalischen Ebene tut, nämlich „Schwingungen nach Belieben“. Diese Kraft kann natürlich nur durch richtige Belehrung, Übungen und Praxis usw. erworben werden, es ist die Wissenschaft der geistigen Verwandlung, einer der Zweige der hermetischen Kunst.

 

Ein wenig Nachdenken über das Gesagte wird dem Schü­ler zeigen, dass das Prinzip der Schwingung den Wundern von Kraft zugrunde liegt, die Meister und Adepten offen­bart haben, die anscheinend die Gesetze der Natur beiseite schieben können, die aber in Wirklichkeit ein Gesetz gegen das andere gebrauchen, ein Prinzip gegen das andere, und die ihre Erfolge durch Änderung der Schwingungen materi­eller Gegenstände oder Energieformen erreichen und so das vollbringen, was man gewöhnlich als „Wunder“ bezeichnet.

 

Sehr wahr sagte einer der alten hermetischen Schrift­steller:

 „Wer das Prinzip der Schwingung versteht, hat das Zep­ter der Macht ergriffen.“

 

 

X. Kapitel

 Polarität

  

„Alles ist zwiefach, alles hat zwei Pole, alles hat sein Paar von Gegensätzlichkeiten; gleich und ungleich ist dasselbe; Gegensätze sind identisch in der Natur, nur verschieden im Grad; Extreme berühren sieh; alle Wahrheiten sind nur halbe Wahrheiten; alle Widersprüche können miteinander in Einklang gebracht wer­den.“

„Kybalion“

 

Das vierte große hermetische Prinzip der Polarität ent­hält die Wahrheit, dass alle in Erscheinung tretenden Dinge zwei Seiten haben, zwei Aspekte, zwei Pole, ein Paar von Gegensätzen mit unzähligen Graden zwischen den beiden Extremen. Die alten Paradoxe, die von jeher den Menschengeist verwirrt haben, werden durch das Verständnis dieses Prinzips erklärt. Man hat immer etwas erkannt, was diesem Prinzip ähnlich ist, und hat versucht, es durch folgende Worte, Grundsätze und Aphorismen auszudrücken: „Alles ist und ist nicht zu gleicher Zeit, alle Wahrheiten sind nur halbe Wahrheiten, jede Wahrheit ist zur Hälfte falsch, alles hat zwei Seiten, jedes Schild hat eine Rückseite“ usw.

 

Die hermetische Lehre besagt, dass die Verschiedenartig­keit von Dingen, die einander anscheinend diametral ent­gegengesetzt sind, nur eine Sache des Grades ist. Sie sagt, dass „die Gegensätze miteinander in Einklang gebracht wer­den können“ und dass These und Antithese ihrer Natur nach identisch, nur dem Grad nach verschieden sind und dass im Universum die Aussöhnung von Gegensätzen durch die Erkenntnis dieses Prinzips der Polarität bewirkt wird. Die Lehrer behaupten, dass man Beispiele für dieses Prinzip überall finden kann und zwar, indem man die wahre Natur jedes Dinges prüft. Zuerst zeigen sie. dass reiner Geist und Materie nur die beiden Pole ein und derselben Sache sind und die dazwischen liegenden Ebenen lediglich Schwin­gungsgrade. Sie zeigen, dass das All und die Vielheit das­selbe sind und der Unterschied lediglich eine Sache des Grades der geistigen Erscheinungsform. So sind das Gesetz und die Gesetze die beiden gegensätzlichen Pole einer Sache. Gleichfalls das Prinzip und die Prinzipien, unendlicher Geist und endlicher Geist.

 

Dann gehen sie auf die physikalische Ebene und erläutern das Prinzip. indem sie zeigen, dass Wärme und Kälte der Natur nach identisch und die Unterschiede lediglich eine Sache des Grades sind. Das Thermometer zeigt viele Grade der Temperatur, den niedrigsten nennt man „kalt“, den höchsten „warm“, zwischen diesen beiden Polen sind viele Grade von Hitze und Kälte, es wäre ebenso richtig, wenn man nur eine der beiden Bezeichnungen wählte. Der höhere von zwei Graden ist immer „wärmer“, der niedrigere im­mer „kälter“. Es gibt keinen absoluten Maßstab - alles ist eine Sache des Grades. Es gibt keine Stelle auf dem Ther­mometer. wo die Hitze aufhört und die Kälte beginnt. Das ist aber Sache der höheren und niedrigeren Schwingungen. Auch die Bezeichnungen „hoch“ und „niedrig“, die wir be­nutzen müssen. sind nur Pole derselben Sache, die Bezeich­nungen sind relativ. So ist es auch mit Ost und West. Wenn man um die Welt in östlicher Richtung reist, erreicht man schließlich einen Punkt, den man am Ausgangspunkt „We­sten“ nannte, und kehrt von diesem „westlichen“ Punkt zurück. Reise weit genug nach Norden und Du wirst Dich nach Süden reisend wieder finden und umgekehrt.

 

Licht und Finsternis sind Pole derselben Sache, viele Grade sind dazwischen. Ebenso ist es mit der Tonleiter - anfangend mit „C steigt man aufwärts, bis man wieder ein „C“ erreicht usw. Der Unterschied zwischen den beiden Enden der Skala ist derselbe, aber viele Grade liegen zwi­schen den beiden Extremen. Mit der Farbenskala ist es das­selbe, höhere und niedrigere Schwingungen sind der einzige Unterschied zwischen hochviolett und tiefrot. So steht es mit Lärm und Ruhe, mit hart und weich, mit stumpf und scharf. Positiv und negativ sind zwei Pole derselben Sache mit un­zähligen Graden dazwischen.

 

Gut und böse sind nicht absolut, wir nennen das eine Ende der Skala gut, das andere schlecht, oder das eine gut und das andere böse, wie es der Sprachgebrauch verlangt. Ein Ding ist weniger gut als eines, das höher steht in der Stufenleiter, aber das „weniger gute“ Ding seinerseits ist „besser“ als das nächste unter ihm usw. Die Anwendung von „mehr“ oder „weniger“ hängt von der Stellung in der Skala ab.

 

So ist es auch auf der geistigen Ebene. „Liebe“ und „Hass“ werden im Allgemeinen als Eigenschaften angesehen, die einander diametral gegenüberstehen, völlig verschieden und unversöhnlich. Wenden wir aber das Prinzip der Polarität an, so stellen wir fest, dass es so etwas wie absolute Liebe und absoluten Hass gar nicht gibt; beide sind lediglich Be­zeichnungen, die man für die beiden Pole derselben Sache an­wendet. Beginnen wir an irgendeiner Stelle der Skala und wir finden „mehr“ Liebe oder „weniger“ Hass, je mehr wir aufsteigen, und „mehr“ Hass oder „weniger Liebe, je mehr wir hinabsteigen; dies ist wahr, ganz gleich, von welchem Punkt, hoch oder niedrig, wir ausgehen. Es gibt Grade von Liebe und Hass und einen mittleren Punkt, wo Neigung und Abneigung so schwach werden, dass es schwer ist, sie zu unterscheiden. Für Mut und Furcht gilt dieselbe Regel. Das Paar von Gegensätzen ist überall vorhanden. Wo man ein Ding findet, findet man auch seinen Gegensatz, immer zwei Pole.

 

Diese Tatsache befähigt die Hermetiker, einen geistigen Zustand in einen anderen zu verwandeln, auf der Linie der Polarisation. Dinge, die verschiedenen Klassen angehören, können nicht ineinander verwandelt werden, sondern nur Dinge derselben Klasse, d. h. ihre Polarisation kann ge­ändert werden. So wird Liebe niemals Ost oder West oder Rot oder Violett, aber sie kann sich oft in Hass verwandeln, Mut in Furcht und umgekehrt, Hartes in Weiches, Stumpfes in Scharfes, Heißes in Kaltes usw. Immer findet die Ver­wandlung zwischen Dingen derselben Art, aber verschie­denen Grades statt. Man nehme den Fall eines furchtsamen Menschen. Durch Steigerung seiner geistigen Schwingungen auf der Linie Mut - Furcht kann er mit dem höchsten Grad von Mut und Furchtlosigkeit erfüllt werden. Ebenso kann ein träger Mensch sich in einen aktiven, energischen ver­wandeln, lediglich durch Polarisation auf der Linie der ge­wünschten Eigenschaft.

 

Der Schüler, der vertraut ist mit der Art, wie die ver­schiedenen Schulen der Geisteswissenschaft die geistigen Zustände derer verwandeln, die ihren Lehren folgen, wird möglicherweise das Prinzip, das vielen dieser Umwand­lungen zugrunde liegt, nicht leicht verstehen. Wenn das Prinzip aber einmal begriffen ist und man gesehen hat, dass geistige Umwandlungen durch Wechsel der Polarität, durch ein Entlanggleiten auf derselben Skala bewirkt werden, dann ist das Verständnis leichter. Die Umwandlung liegt nicht darin, dass ein Ding in ein anderes, völlig verschie­denes verwandelt wird, sondern sie ist nur ein Wechseln des Grades innerhalb ein und desselben Dinges, ein un­geheuer wichtiger Unterschied! Nehmen wir eine Analogie aus der physikalischen Ebene.

 

Es ist z. B. unmöglich, Hitze in Schärfe, Lärm, Höhe usw. zu verwandeln, aber mit Leich­tigkeit in Kälte, einfach durch Senkung der Schwingungen. Auf dieselbe Weise kann Liebe und Hass wechselseitig ver­wandelt werden, ebenso Mut und Furcht. Aber Furcht kann nicht in Liebe oder Mut in Hass transmutiert werden. Die geistigen Zustände gehören zu unzähligen Klassen und jede dieser Klassen hat ihre gegensätzlichen Pole, innerhalb derer eine Verwandlung möglich ist.

 

Der Schüler wird leicht erkennen, dass die beiden Pole in den geistigen Zuständen sowohl wie auf der physikalischen Ebene als positiv bzw. negativ bezeichnet werden können. So ist Liebe positiv gegenüber Hass, Mut positiv gegenüber Furcht, Tätigkeit positiv gegenüber Untätigkeit usw. Und selbst diejenigen, denen das Prinzip der Schwingung nicht vertraut ist, werden bemerken, dass der positive Pol einem höheren Grade anzugehören scheint als der negative und ihn leicht beherrscht. Die Natur neigt nach der Richtung der vorherrschenden Aktivität des positiven Pols.

 

Geistige Zustände können durch die Kunst der Polarisa­tion nicht nur bei einem selbst verändert werden, sondern die Erscheinungen geistiger Beeinflussung in ihren ver­schiedenartigsten Formen zeigen, dass die Anwendung des Prinzips auch auf alle Fälle von Einflüssen eines Geistes auf den andern ausgedehnt werden kann, worüber in früheren Zeiten so viel geschrieben und gelehrt worden ist. Wenn man begriffen hat, dass geistige Induktion möglich ist, d. h. dass geistige Zustände durch „Induktion“ seitens anderer herbeigeführt werden können, dann können wir leicht ver­stehen, wie ein bestimmter Schwingungsgrad oder eine Polarisation eines bestimmten geistigen Zustandes auf eine andere Person übertragen und so deren Polarität in dieser Klasse geistiger Zustände geändert werden kann. Auf die­sem Prinzip beruhen die vielen Erfolge geistiger Behand­lung, z. B. eine Person ist schwermütig, melancholisch und voller Furcht. Ein Geisteswissenschaftler stellt seinen Geist durch seinen geübten Willen auf die gewünschte Schwin­gung ein und erreicht so die gewünschte Polarisation für seine eigene Person. Dann bewirkt er durch Induktion einen ähnlichen geistigen Zustand bei dem „Patienten“, wodurch die Schwingungen erhöht werden und die betreffende Person zum positiven statt zum negativen Ende der Skala hin polarisiert wird; ihre Furcht oder negativen Gefühle werden in Mut oder ähnliche positive Geisteszustände verwandelt. Ein wenig Nachdenken wird zeigen, dass diese geistigen Umwandlungen überall auf der Linie der Polarisation mög­lich sind, wobei der Wechsel mehr einer des Grades als der Art ist.

 

Das Wissen um die Existenz dieses großen hermetischen Prinzips wird den Schüler in die Lage versetzen, seine eigenen geistigen Zustände und die anderer zu verstehen, Er wird begreifen, dass alle diese Zustände Sache des Gra­des sind. Damit kann er die Schwingungen nach Belieben steigern oder senken und so seine geistigen Pole verwan­deln und Meister seiner geistigen Zustände sein anstatt ihr Diener und Sklave. Durch dieses Wissen kann er seine Ge­fährten einsichtsvoll leiten und, wenn es erwünscht ist, durch die angenommenen Methoden die Polarität ändern, Wir raten allen Schülern, sich mit diesem Prinzip der Polarität vertraut zu machen, denn ein volles Verständnis desselben kann viele schwierige Fragen erhellen.

 

 

XI. Kapitel

 Rhythmus

  

„Alles fließt aus und ein, alles hat seine Gezeiten, alle Dinge steigen und fallen, das Schwingen des Pendels zeigt sich in allem; das Maß des Schwunges nach rechts ist das Maß des Schwun­ges nach links; Rhythmus kompensiert.“

„Kybalion“

 

Das fünfte große hermetische Prinzip enthält die Wahr­heit, dass sich in allem eine abgemessene Bewegung zeigt, ein Hin- und Herbewegen, ein Aus- und Einfließen, ein Vorwärts- und Rückwärtsschwingen, eine Pendelbewegung, eine den Gezeiten gleichende Ebbe und Flut, u. zw. bei allen zwischen zwei Polen liegenden Erscheinungen auf den phy­sikalischen, geistigen und rein geistigen Ebenen. Das Prinzip des Rhythmus ist eng verbunden mit dem der Polarität, das wir im vorhergehenden Kapitel näher beleuchtet haben. Rhythmus zeigt sich zwischen den beiden Polen, die durch das Prinzip der Polarität festgelegt wurden. Das bedeutet nicht, dass das Pendel des Rhythmus bis zu den extremen Polen schwingt, denn das geschieht selten. In der Mehrzahl der Fälle ist es tatsächlich sehr schwer, die äußersten Gegen­sätze zu erreichen. Aber der Ausschlag geht immer in Rich­tung erst des einen und dann des anderen Pols. Stets gibt es eine Aktion und Reaktion, ein „Vor“ und „Zurück“, ein Steigen und Fallen in allen Erscheinungs­formen des Universums. Sonnen, Welten, Menschen, Tiere, Pflanzen, Mineralien, Kräfte, Energie, Geist und Stoff, ja sogar reiner Geist offenbaren dieses Prinzip.

 

Das Prinzip tut sich kund in der Schöpfung und Zerstörung von Welten, in Aufstieg und Niedergang von Nationen, in der Lebens­geschichte aller Dinge und schließlich in den geistigen Zu­ständen des Menschen. Beginnen wir mit den Offenbarun­gen des reinen Geistes - des Alls -, so werden wir hier ein stetes Ausgießen und Einziehen bemerken, das Aus- und Einatmen Brahmas, wie die Brahmanen es nennen. Univer­sen werden geschaffen, erreichen ihren tiefsten Punkt der Stofflichkeit und beginnen dann ihren Schwung nach oben. Sonnen treten ins Dasein und sobald sie die Höhe ihrer Kraft erreicht haben, beginnt der Prozess des Rückganges und nach Äonen werden sie zu toten Massen von Materie, warten auf einen neuen Impuls, der ihrer inneren Energie erneute Aktivität verleiht, und ein neuer solarer Lebenszyklus hat begonnen. Und so ist es mit allen Welten, sie werden geboren, wachsen und sterben - nur um wiedergeboren zu werden.

 

So ist es mit allen Dingen, wie auch immer sie gestaltet sein mögen, sie schwingen von Aktion zu Reaktion, von Geburt zum Tode, von Tätigkeit zu Un­tätigkeit - und wieder zurück. So ist es mit allem Lebenden, es wird geboren, wächst und stirbt und wird wiedergeboren. So ist es mit allen großen Bewegungen, Philo­sophien, Glaubensbekenntnissen, Moden, Regierungen, Na­tionen und allem andern - Geburt, Wachstum, Reife, Nie­dergang, Tod und Wiedergeburt! Das Schwingen des Pen­dels ist überall zu sehen. Die Nacht folgt dem Tag, der Tag der Nacht. Das Pendel schwingt von Sommer zu Winter und wieder zurück. Die Korpuskeln, Atome, Moleküle und alle Massen von Energie schwingen rings um den Zirkel ihrer Natur. So etwas wie absolute Ruhe gibt es nicht, auch kein Aufhören der Bewegung, und jede Bewegung hat Teil am Rhythmus. Das Prinzip findet überall im Universum sein Anwendung. Es kann auf jede Frage oder jeden Vorgang auf jeder der vielen Lebensebenen angewandt werden, auch auf allen Ebenen menschlicher Tätigkeit. Stets ist der rhyth­mische Schwung von einem Pol zum andern, stets ist das universale Pendel im Gange. Die Gezeiten des Lebens fließen ein und aus, dem Gesetz gemäß.

 

Die moderne Wissenschaft hat das Prinzip des Rhythmus gut verstanden und betrachtet es als ein allgemeines Ge­setz, das auf materielle Dinge anzuwenden sei. Aber die Hermetiker geben diesem Gesetz einen viel größeren Wir­kungsbereich. Sie wissen, dass seine Offenbarungen und Einflüsse sich bis zu den geistigen Tätigkeitsebenen des Menschen ausdehnen und dass die verwirrende Fülle von Stimmungen, Gefühlen und anderen störenden und ver­worrenen Empfindungen, die wir in uns feststellen, ihm zu­zuschreiben ist. Die Hermetiker jedoch haben nach Studium der Wirksamkeit dieses Prinzips gelernt, durch Transmuta­tion einigen seiner Auswirkungen zu entgehen.

 

Die hermetischen Meister haben schon seit langem ent­deckt, dass, während das Gesetz des Rhythmus zwar stets und unabänderlich in geistigen Vorgängen in Erscheinung tritt, es sich hierbei jedoch auf zwei verschiedenen geistigen Ebenen äußern kann. Sie entdeckten, dass es zwei hauptsächliche Bewusstseinsebenen gibt, die niedrigere und die höhere. Das Verständnis dieser Tatsache befähigt sie, sich zu der höheren Ebene zu erheben, um dem Pendelschlag des Rhythmus auf der niedrigeren zu entgehen. Mit anderen Worten: der Pendelschwung fand auf der unbewussten Ebene statt und das Bewusstsein wurde davon nicht berührt. Sie nennen dies das Gesetz der Neutralisation. Seine Wirk­samkeit beruht auf der Erhebung des „Ich“ über die Schwin­gungen der unbewussten Ebene der geistigen Tätigkeit, so dass der negative Pendelschwung im Bewusstsein nicht in Erscheinung tritt. Darum bleiben sie davon unberührt. Es ist ebenso, als ob man sich über einen Gegenstand erhebt und ihn unter sich vorbeigehen  lässt.

 

Der hermetische Mei­ster oder fortgeschrittene Schüler polarisiert sich selbst an dem gewünschten Pol. In dieser polarisierten Stellung bleibt er fest stehen. indem er sich gleichsam ..weigert“, den Rück­wärtsschwung mitzumachen, oder, wenn man diesen Ver­gleich vorzieht, indem er dessen Einfluss auf sich „verneint und das geistige Pendel auf der unbewussten Ebene zurück­schwingen  lässt. Alle Persönlichkeiten, die etwas Selbst­beherrschung erlangt haben, tun dies mehr oder weniger, ohne es zu wissen, und wenden das Gesetz der Neutralisa­tion an, indem sie ihren Stimmungen und negativen gei­stigen Zuständen nicht erlauben, sie zu beeinflussen. Der Meister jedoch bringt dies zu einem viel höheren Grad der Vollkommenheit und erreicht durch seinen Willen ein Maß von Gleichgewicht und geistiger Festigkeit, das von denen fast für unmöglich gehalten wird, die von dem geistigen Pendel der Stimmungen und Gefühle willenlos hin- und hergeschleudert werden. Die Bedeutung dieser Tatsache wird jeder denkende Mensch anerkennen, wenn er sich darüber klar wird, wie abhängig die meisten Menschen von ihren Stimmungen, Gefühlen und Empfindungen sind und wie wenig Selbst­beherrschung sie zeigen.

 

Überlegt einmal einen Augenblick und Ihr werdet Euch erinnern, wie viel Schwingungen des Rhythmus Euch in Eurem Leben beeinflusst haben, wie auf eine Periode des Enthusiasmus unweigerlich eine entgegen­gesetzte Empfindung oder Stimmung der Niedergeschlagenheit gefolgt ist. So sind auf Stimmungen und Perioden des Mutes die Gefühle der Furcht gefolgt. So ging es den meisten Menschen, mit den Gezeiten des Gefühles sind sie gestiegen und gesunken, aber niemals haben sie die Ursache oder den Grund dieser geistigen Erscheinungen vermutet. Das Verständnis der Arbeitsweise dieses Prinzips gibt einem den Schlüssel zur Beherrschung dieser rhythmischen Ge­fühlsschwingungen, befähigt zu größerer Selbsterkenntnis, so dass man von dieser Ebbe und Flut nicht mehr hin- und hergetragen wird. Der Wille ist den bewussten Offen­barungen dieses Prinzips überlegen, wenn auch das Prinzip selbst niemals zerstört werden kann. Wir können uns seinen Wirkungen entziehen, aber es ist trotzdem in Tätigkeit. Das Pendel schwingt immer, auch wenn wir es vermeiden kön­nen, mit ihm davongetragen zu werden.

 

Aber das Prinzip des Rhythmus hat noch andere Züge, von denen wir an dieser Stelle sprechen wollen: und zwar von den Einwirkungen dessen, was als Gesetz der Kompen­sation bekannt ist. Eine der Erklärungen und Bedeutungen des Wortes „kompensieren“ ist „das Gegengewicht halten“ und in diesem Sinne benutzen die Hermetiker diesen Ausdruck. Auf dieses Gesetz der Kompensation bezieht sich das „Kybalion“, wenn es sagt:

 

„Das Maß des Schwunges nach rechts ist das Maß des Schwunges nach links. Rhythmus kompensiert.“

 

Das Gesetz der Kompensation besagt, dass das Schwingen in einer Richtung das Schwingen nach der entgegengesetzten Richtung bestimmt. Das eine hält das andere im Gleich­gewicht oder Gegengewicht. Wir sehen auf der physika­lischen Ebene viele Beispiele für dieses Gesetz. Das Pendel der Uhr schwingt ein bestimmtes Stück nach rechts und dann ein gleiches Stück nach links. Die Jahreszeiten halten sich in derselben Weise im Gleichgewicht. Die Gezeiten folgen demselben Gesetz. Dieses Gesetz zeigt sich in allen Erscheinungsformen des Rhythmus. Das Pendel, das nur kurz in einer Richtung schwingt, schwingt auch nur kurz nach der andern, während ein langes Schwingen nach rechts unabänderlich ein ebenso langes Schwingen nach links be­deutet. Ein in die Höhe geschleuderter Gegenstand hat auf seinem Rückweg die gleiche Entfernung zurückzulegen. Die Kraft, mit der ein Geschoß tausend Meter hoch geschleudert wird, wird beim Fallen wieder erzeugt, wenn dasselbe zur Erde zurückkehrt. Dieses Gesetz ist konstant auf der physi­kalischen Ebene, wie alle namhaften Fachgelehrten bestä­tigen können. Aber die Hermetiker geben sich damit nicht zufrieden. Sie lehren, dass die geistigen Zustände des Men­schen demselben Gesetz unterworfen sind. Ein Mensch, der einer großen Freude fähig ist, ist auch großen Leiden unter­worfen, während derjenige, der wenig Schmerz empfindet, sich auch nur in geringem Maße freuen kann. Das Schwein leidet seelisch nur wenig, empfindet aber auch nur wenig Freude, darin liegt der Ausgleich. Andererseits gibt es Tiere, die großer Freude fähig sind, deren Nervensystem und Temperament sie aber auch in besonderem Maße Schmerz empfinden  lässt. So ist es auch bei den Menschen. Es gibt Temperamente, die sich nur wenig freuen können und eben­so wenig Schmerz empfinden, während andere von höchster Freude, aber auch von tiefstem Schmerz erfüllt sein können. Es ist die Regel, dass sich in jedem Geschöpf die Fähigkeiten zu Freude und Schmerz im Gleichgewicht befinden.

 

Das Ge­setz der Kompensation ist hier in voller Wirksamkeit. Aber die Hermetiker gehen in dieser Beziehung noch weiter. Sie lehren, bevor jemand in der Lage sei, ein bestimmtes Maß von Freude zu empfinden, müsse er entsprechend weit zum andern Pol der Empfindung hingeschwungen sein. jeden­falls behaupten sie, dass das Negative hierbei dem Positiven voranginge, d.h. dass, wenn jemand ein bestimmtes Maß von Freude erlebte, nun nicht daraus folge, dass er mit einem entsprechenden Maß von Schmerz dafür zu zahlen habe. Im Gegenteil, die Freude ist nach dem Gesetz der Kompen­sation der rhythmische Schwung für ein entweder im gegen­wärtigen Leben oder in einer früheren Inkarnation erlit­tenes Maß von Schmerz. Dies wirft ein neues Licht auf das Problem des Schmerzes.

 

Die Hermetiker sehen die Kette des Lebens als kontinuier­lich an, als einen Teil eines einzigen Lebens eines Indivi­duums, so dass infolgedessen das rhythmische Schwingen auch in obiger Weise verstanden werden kann, während es ohne Voraussetzung der Inkarnation sinnlos wäre. Die Hermetiker behaupten aber, dass der Meister oder fortge­schrittene Schüler bis zu einem großen Maß dem Schwingen dem Schmerz entgegen durch den oben erwähnten Vorgang der Neutralisation entgehen kann. Indem man sich auf eine höhere Ebene des Ichs erhebt, kann man sich vielen Erfah­rungen der auf einer niedrigeren Ebene Wohnenden ent­ziehen. Das Gesetz der Kompensation spielt eine bedeutende Rolle im Leben der Menschen. Im Allgemeinen muss man für alles, was man hat oder was einem fehlt, „den Preis bezahlen“.

 

Wenn man eine Sache besitzt, fehlt einem die andere - das Gleichgewicht ist hergestellt. Niemand kann das Stückchen Kuchen kaufen und zu gleicher Zeit sein Geld behalten. Jedes Ding hat seine erfreulichen und unerfreu­lichen Seiten. Die Dinge, die man gewinnt, werden immer mit denen bezahlt, die man verliert. Der Reiche besitzt viel, was dem Armen fehlt, während der Arme oft Dinge besitzt, die dem Reichen nicht erreichbar sind. Dem Millionär, der üppiges Essen liebt und sich die auserlesensten Freuden der Tafel leisten kann, fehlt vielleicht der Appetit, sie zu ge­nießen; er beneidet den Arbeiter, der nicht den Reichtum und die Neigungen des Millionärs besitzt, um seinen ge­sunden Appetit, weil er seine einfache Nahrung mehr ge­nießt, als der Millionär jemals könnte, selbst wenn sein Appetit nicht übersättigt und seine Verdauung nicht ver­dorben wäre, denn die Wünsche, Gewohnheiten und Nei­gungen weichen voneinander ab. So geht es das ganze Leben hindurch. Das Gesetz der Kompensation ist immer am Werke, bemüht, Gleichgewicht und Gegengewicht zu halten, was schließlich immer gelingt, selbst wenn mehrere Leben für das Zurückschwingen des Pendels des Rhythmus be­nötigt werden.

 

 

XII. Kapitel

Ursache und Wirkung

 

„Jede Ursache hat ihre Wirkung; jede Wirkung ihre Ursache; alles geschieht gesetzmäßig, Zufall ist nur der Name für ein unbekanntes Ge­setz. Es gibt viele Ebenen der Ursächlichkeit, aber nichts entgeht dem Gesetz.“

 „Kybalion“

 

Das sechste große hermetische Prinzip, das von Ursache und Wirkung, enthält die Wahrheit, dass das Universum von Gesetzmäßigkeit erfüllt ist, dass nichts durch Zufall geschieht, dass Zufall nur der Ausdruck für eine zwar vor­handene, aber nicht erkannte Ursache ist. Diese Erscheinung wirkt jedoch unaufhörlich, ohne Unterbrechung, ohne Ausnahme. Das Prinzip von Ursache und Wirkung liegt allem wissen­schaftlichen Denken sowohl des Altertums wie der Neuzeit zugrunde. Es wurde von den Hermetikern bereits in frühe­ster Zeit verkündet. Seitdem haben viele Schulen des Den­kens über die verschiedensten Fragen gestritten, aber diese Streitigkeiten haben sich hauptsächlich auf Einzelheiten hin­sichtlich der Wirksamkeit des Prinzips bezogen, noch öfter auf die Bedeutung einzelner Worte. Das grundlegende Prinzip von Ursache und Wirkung ist von fast allen nennens­werten Denkern der Welt als richtig angenommen worden. Wenn man anders dächte, so hieße das, die Erscheinungen des Universums von Gesetz und Ordnung auszuschließen und es der Kontrolle des imaginären Etwas auszuliefern, das die Menschen „Zufall“ nennen.

 

Ein wenig Nachdenken wird jeden davon überzeugen, dass es in Wirklichkeit so etwas wie reinen Zufall nicht gibt. WEBSTER definiert das Wort „Zufall“ folgendermaßen:

 „eine angenommene wirkende Macht oder Art Aktivität, an­ders als Kraft, Gesetz oder Absicht; die Tätigkeit oder Ak­tivität eines solchen Agens, ein Sich-Zutragen, eine Zu­fälligkeit, ein gelegentliches Ereignis usw.“

 Aber ein wenig Nachdenken wird Euch zeigen, dass es ein solches Agens wie „Zufall“ im Sinne von etwas außerhalb des Gesetzes von Ursache und Wirkung Liegendem nicht geben kann. Wie könnte es etwas geben, was unabhängig von den Gesetzen der Ordnung und ihrem Zusammenhang in der Welt der Erscheinungen wirksam wäre? So etwas würde völlig unab­hängig vom gewöhnlichen Lauf des Universums und ihm darum überlegen sein. Wir können uns außerhalb vom All nichts vorstellen, was außerhalb des Gesetzes steht, schon allein, weil das All das Gesetz in sich selbst ist. Im Uni­versum ist kein Platz für etwas, was außerhalb des Gesetzes und von ihm unabhängig ist. Die Existenz eines solchen Etwas würde alle Naturgesetze unwirksam machen und das Universum in chaotische Unordnung und Gesetzlosigkeit werfen.

 

Eine sorgfältige Prüfung wird ergeben, dass das, was wir „Zufall“ nennen, lediglich eine Bezeichnung ist, die auf dunkle Ursachen hinweist, auf Ursachen, die wir nicht fest­stellen können.

 

Das Wort „Zufall“ ist entstanden aus dem Zeitwort „fallen“ (wie das Fallen eines Würfels) und die Idee ist dabei, dass das Fallen des Würfels (und viele an­dere Geschehnisse) nur „Geschehnisse“ sind ohne jede Ver­bindung zu irgendeiner Ursache. In diesem Sinne wird der Ausdruck im Allgemeinen gebraucht. Aber wenn man die Sache genau prüft, sieht man, dass heim Fallen des Würfels gar kein Zufall im Spiele ist. Jedes Mal wenn ein Würfel fällt und eine gewisse Zahl zeigt, gehorcht er einem Ge­setz, das ebenso unfehlbar ist wie das, welches die Bewe­gung der Planeten und der Sonne beherrscht. Hinter dem Fall des Würfels liegen Ursachen oder Ketten von Ursachen weiter zurück, als der Verstand folgen kann: die Lage des Würfels im Becher, der Aufwand von Muskelkraft beim Wurf, die Stellung des Tisches usw. sind alles Ursachen, deren Wirkung man feststellen kann. Aber hinter diesen festgestellten Ursachen gibt es Ketten von vorhergehenden unbekannten Ursachen, die alle einen Einfluss hatten auf die Zahl des Würfels, die nach oben fiel.

 

Wenn ein Würfel sehr oft geworfen wird, kann man fest­stellen, dass die geworfenen Zahlen ungefähr gleich sein werden, d. h. es wird eine gleiche Anzahl von Einsern, Zweiern usw. herauskommen. Wirf ein Goldstück in die Luft, dann kann entweder „Kopf“ oder „Wappen“ gewor­fen werden, aber bei einer genügenden Anzahl von Würfen werden „Kopf“ und „Wappen“ sich gleichstellen. Das ist das Gesetz des Durchschnitts. Aber der Durchschnitt und der Einzelwurf stehen unter dem Gesetz von Ursache und Wir­kung und wenn wir die vorhergehenden Ursachen prüfen könnten, würde man klar sehen, dass es einfach unmöglich für den Würfel war, unter diesen Umständen und in dieser Zeit anders zu fallen. Gleiche Ursachen - gleiche Resul­tate. Für jedes Ereignis gibt es eine Ursache. Nichts ge­schieht ohne Ursache, vielmehr ohne eine Kette von Ur­sachen.

 

Bei der Betrachtung dieses Prinzips hat die Tatsache, dass man sich nicht erklären konnte, wie ein Ding die Ursache, der „Schöpfer“ anderer sein könnte, die Gemüter in Ver­wirrung gebracht. Tatsächlich „erschafft“ kein Ding jemals ein anderes Ding. Bei Ursache und Wirkung handelt es sich stets um Geschehnisse. Ein „Geschehnis ist etwas, das „kommt“, sich zuträgt, sich ereignet als Resultat oder Folge eines vorhergehenden Geschehnisses. Kein Geschehnis „er­schafft“ ein anderes Geschehnis, sondern es ist nur ein vor­hergehendes Glied in der großen Kette der unzähligen Geschehnisse, die der schöpferischen Energie des Alls ent­fließen.

 

Zwischen allen vorhergehenden und immer weiter folgenden Geschehnissen besteht ein ununterbrochener Zusammen­hang. Es besteht eine Beziehung zwischen dem Vorange­gangenen und allem, was folgt. Ein Stein löst sich von einer Bergwand und durchbricht das Dach eines Landhauses im Tal darunter. Im ersten Augenblick halten wir dies für einen Zufall, aber wenn wir die Sache prüfen. finden wir dahinter die große Kette von Ursachen. Erst war es der Regen, der die Erde aufweichte, die den Stein trug, und der so den Fall ermöglichte. Dahinter war es der Einfluss der Sonne, früherer Regen usw., der allmählich das Stück von einem größeren Felsen ablöste, dann gab es Ursachen, die zu der Bildung des Berges führten und seiner Aufrichtung durch die Konvulsionen der Natur und so fort bis zur Un­endlichkeit. Dann könnten wir die Ursachen des Regens zurückverfolgen. Dann könnten wir die Existenz des Daches betrachten. Kurz, wir könnten uns bald in ein Netz von Ur­sache und Wirkung verstrickt finden, aus dem wir uns bald zu lösen versuchen würden. Genau so wie der Mensch zwei Eltern hat und vier Großeltern und 16 Urgroßeltern usw. - bis, sagen wir, 40 Generationen ausgerechnet wären, läuft die Zahl der Vorfahren auf viele Millionen an -, so ist es mit der Anzahl der Ursachen selbst hinter dem unbedeuten­den Ereignis oder einer solchen Erscheinung wie dem Vor­beifliegen eines winzigen Stäubchens Ruß vor Deinem Auge.

 

Es ist nicht leicht, das bisschen Ruß bis zu der früheren Periode der Weltgeschichte zurückzuverfolgen, als es noch einen Teil eines massiven Baumstammes bildete, der sich später in Kohle verwandelte usw., bis es jetzt als Rus­stäubchen vor Deinem Blick vorüberschwebt, anderen Aben­teuern entgegen. Eine mächtige Kette von Geschehnissen, Ursachen und Wirkungen brachte es in seinen augenblick­lichen Zustand und letzterer ist nur einer aus der Kette der Geschehnisse, die andere Geschehnisse in hunderten von Jahren herbeiführen wird. Eine der Serien der Gescheh­nisse, die von dem bisschen Ruß herrührten, war das Schrei­ben dieser Zeilen, die den Schriftsetzer veranlassten, eine gewisse Arbeit zu verrichten, ebenso den Korrekturleser, und die gewisse Gedanken bei Euch und anderen erstehen lassen und so weiter, immer weiter über die Denkfähigkeit des Menschen hinaus - und alles nur wegen des Vorbeifliegens eines Russtäubchens. Das alles zeigt die Relativität und die Verbindung der Dinge sowie die Tatsache:

 

„Es gibt nichts Großes, nichts Geringes beim Schöpfer all und jeden Dinges.“

 

Denke einmal einen Augenblick nach. Wenn in einer weit zurückliegenden dunklen Periode des Steinzeitalters ein be­stimmter Mann nicht ein bestimmtes Mädchen getroffen hätte, würdest Du, der Du diese Zeilen liest, jetzt nicht hier sein. Und, wenn dieses Paar sich nicht getroffen hätte, wür­den wir, die wir diese Zeilen schreiben, vielleicht jetzt auch nicht hier sein. Und gerade der Akt des Schreibens von un­serer Seite und der Akt des Lesens von der Euren wird ent­sprechend nicht nur Euer und unser Leben berühren, son­dern sie werden auch direkt oder indirekt einen Einfluss auf viele andere Leute haben, die jetzt leben oder die in künf­tigen Zeiten leben werden. Jeder Gedanke, den wir den­ken, jede Handlung, die wir vollbringen, haben ihre direk­ten und indirekten Wirkungen, die in die große Kette von Ursache und Wirkung hineinpassen.

 

Aus verschiedenen Gründen wünschen wir nicht in eine Betrachtung über freien „Willen“ oder „Bestimmung“ in diesem Werk einzugehen. Der wichtigste unter den vielen Gründen ist der, dass keine der beiden Seiten der Kontro­verse völlig im Recht ist - tatsächlich haben beide Seiten teilweise Recht, den hermetischen Lehren gemäß. Das Prin­zip der Polarität zeigt, dass beides nur halbe Wahrheiten sind, die entgegengesetzten Pole der Wahrheit. Die Lehren besagen, dass ein Mensch frei sein kann und gebunden durch die Notwendigkeit, das hängt ganz von dem Sinn der Aus­drücke ab und von der Höhe der Wahrheit, von der aus die Frage geprüft wird. Die Schriftsteller des Altertums drücken das folgendermaßen aus: „Je mehr die Schöpfung vom Mittelpunkt entfernt ist, um so gebundener ist sie, je näher sie dem Mittelpunkt ist, desto näher ist sie der Freiheit.“

 

Die Mehrzahl der Menschen ist mehr oder weniger Sklave ihrer Abstammung, Umgebung usw. und besitzt sehr wenig Freiheit. Diese Menschen werden beherrscht durch die Mei­nung, die Gewohnheiten und Gedanken der äußeren Welt, ebenso wie durch ihre Erregungen, Gefühle, Stimmungen usw. Sie zeigen keine nennenswerte Meisterschaft. Entrüstet weisen sie diese Behauptung zurück, wenn sie sagen: natür­lich bin ich frei zu handeln und zu tun, was mir gefällt. Ich tue nur, was ich will. Aber sie erklären nicht, woher das „was ich will“ und „was mir gefällt entspringt. Was  lässt sie eine Sache bevorzugt gegenüber einer anderen „wollen“, was bewirkt, dass ihnen dies und jenes nicht „gefällt“? Gibt es keinen Grund für ihr „Wollen.’ oder „Gefallen“? Der Meister kann dieses Belieben oder Wünschen in ein anderes am entgegengesetzten Ende des geistigen Pols verwandeln. Er kann „das Wollen wollen“, anstatt nur zu wollen, weil irgendein Gefühl, eine Stimmung, Erregung oder der Einfluss seiner Umgebung die Neigung oder den Wunsch dazu in ihm erzeugen.

 

Die Mehrzahl der Menschen wird dahingetragen wie der fallende Stein und gehorcht ihrer Umgebung, äußeren Ein­flüssen und inneren Stimmungen, Wünschen usw., ganz zu schweigen von dem Wunsch und Willen anderer, die stär­ker sind als sie, wie Abstammung, Umgebung, Beeinflus­sungen, die sie dahintragen, ohne dass sie Widerstand lei­sten oder ihren Willen in Anspruch nehmen. Sie werden wie Figuren auf dem Schachbrett des Lebens hin- und herge­rückt, spielen ihre Rolle und werden beiseitegelegt, wenn das Spiel vorbei ist. Aber die Meister, die die Spielregeln kennen, erheben sich über die Ebene des materiellen Lebens und indem sie sich mit den höheren Kräften ihrer Natur in Verbindung setzen, beherrschen sie ihre Stimmungen, ihren Charakter, ihre Eigenschaften und Polarität ebenso wie ihre Umgehung und werden so Spieler anstatt Figuren - Ur­sache statt Wirkung.

 

Die Meister entgehen nicht der Ur­sächlichkeit auf höheren Ebenen, aber sie bringen sich mit den höheren Gesetzen in Übereinstimmung und meistern so die Verhältnisse auf der niedrigeren Ebene. So bilden sie bewusst einen Teil des Gesetzes, statt lediglich blindes Werk­zeug zu sein. Während sie auf den höheren Ebenen dienen, herrschen sie auf den materiellen.

 

Aber sowohl auf der höheren als auch auf der niedrigeren Ebene, überall ist das Gesetz in Tätigkeit. So etwas wie Zu­fall gibt es nicht. Die blinde Göttin ist durch die Vernunft abgeschafft worden. Mit erkenntnisklaren Augen sehen wir jetzt, dass alles durch das universale Gesetz beherrscht wird, dass die unendliche Zahl von Gesetzen nur Offenbarungen des einen großen Gesetzes sind - des Gesetzes, das das All ist. Es ist wahrhaftig wahr, dass kein Sperling unbeachtet vom Geiste des Alls herniederfällt - sogar die Haare auf unserm Haupte sind gezählt, wie es in den Schriften steht. Es gibt nichts außerhalb des Gesetzes, nichts, was im Gegen­satz zu ihm geschieht. Und doch, macht niemals den Fehler anzunehmen, dass der Mensch ein blinder Automat sei weit davon! Die hermetischen Lehren besagen, dass der Mensch das Gesetz benutzen kann, um Gesetze zu über­winden, und dass der höhere Wille stets über den niedri­geren die Oberhand gewinnt, bis er endlich die Stufe er­reicht hat, wo er im Gesetz selbst eine Zuflucht sucht und die Gesetze der Erscheinungswelt verächtlich verlacht. Kannst Du den tieferen Sinn hiervon erkennen?

 

 

XIII. Kapitel

 Geschlecht

 

„Geschlecht ist in allem, alles hat männliche und weibliche Prinzipien, Geschlecht offenbart sich auf allen Ebenen.“

„Kybalion“

 

Das siebente große hermetische Prinzip, das Prinzip des Geschlechts, enthält die Wahrheit, dass Geschlecht sich in allem offenbart, dass das männliche und weibliche Prinzip in allen Ebenen der Erscheinungen immer gegenwärtig und aktiv ist, in allem und auf jeder Lebensebene. An diesem Punkt halten wir es für gut, Eure Aufmerksamkeit auf die Tatsache zu lenken, dass Geschlecht im hermetischen Sinne und Geschlechtlichkeit (sexus) im gewöhnlichen Sprachge­brauch nicht dasselbe sind.

 

Das lateinische Wort genere (davon genus = Geschlecht) heißt soviel wie „zeugen, erzeugen, erschaffen, hervorbrin­gen“. Ein Augenblick Überlegung wird Euch zeigen, dass das Wort Geschlecht einen viel umfassenderen und allge­meineren Sinn hat als die Bezeichnung Geschlechtlichkeit, die auf den körperlichen Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Lebewesen hinweist. Geschlechtlichkeit ist lediglich eine Erscheinungsform des Geschlechts auf einer gewissen Unterebene der großen physikalischen Ebene - der Ebene des organischen Lebens.

 

Wir wünschen Euch diese Unterscheidung eindringlich zu machen, denn gewisse Schriftsteller, die eine oberflächliche Kenntnis der hermetischen Philosophie erlangt haben, haben versucht, dieses siebente hermetische Prinzip mit wilden, phantastischen und oft tadelnswerten Theorien und Lehren, die Geschlechtlichkeit betreffend, zu identifizieren.

 

Das Amt des Geschlechts ist allein das des Erschaffens, Hervorbringens, Zeugens usw. und seine Offenbarungen sind auf jeder Erscheinungsebene sichtbar. Es ist nicht ganz leicht. hierfür wissenschaftliche Beweise zu erbringen, weil die Wissenschaft die universale Anwendung dieses Prinzips noch nicht erkannt hat. Doch einige Beweise kommen aus wissenschaftlichen Quellen. Erstens finden wir eine klare Offenbarung des Prinzips des Geschlechts unter den Kor­puskeln, Ionen und Elektronen, welche den Grundstock der Materie bilden, so wie sie die Wissenschaft jetzt kennt, und welche durch gewisse Kombinationen das Atom bilden, das man bis vor kurzem noch als letzte unteilbare Einheit be­trachtet hat.

 

Nach dem letzten Wort der Wissenschaft ist das Atom aus einer Menge von Korpuskeln, Elektronen oder Ionen zusammengesetzt (die verschiedenen Bezeichnungen werden von verschiedenen Autoritäten angewandt!), welche umein­ander kreisen und mit hoher Wellenlänge und großer Stärke schwingen. Es wurde aber die begleitende Feststellung ge­macht, dass die Bildung eines Atoms tatsächlich der Anhäu­fung von negativen Korpuskeln um ein positives zuzuschrei­ben ist. Die positiven Korpuskeln scheinen einen gewissen Einfluss auf die negativen auszuüben und sie zu zwingen, gewisse Kombinationen einzugehen und so ein Atom zu er­schaffen oder zu erzeugen. Dies entspricht den ältesten her­metischen Lehren, die stets das männliche Geschlechtsprinzip mit dem „positiven“, das weibliche mit dem „negativen“ Pol der so genannten Elektrizität identifiziert haben.

 

Hier ein Wort über diese Identifikation. In der öffent­lichen Meinung hat sich eine völlig irrige Auffassung über die Eigenschaften des so genannten negativen Pols elektri­scher oder magnetischer Materie gebildet. Die Ausdrücke „positiv“ und „negativ“ sind von der Wissenschaft sehr falsch auf diese Erscheinung angewandt worden. Das Wort positiv bedeutet hier etwas Reales, Starkes im Vergleich mit einer negativen Unwirklichkeit oder Schwäche. Nichts ist weiter von den wirklichen Tatsachen elektrischer Erschei­nungen entfernt. Der so genannte negative Pol einer Batterie ist in Wirklichkeit der Pol, in welchem und durch welchen die Zeugung oder Erzeugung neuer Formen und Energien sich offenbart. Da ist nichts Negatives an ihm. Die ersten wissenschaftlichen Autoritäten benutzen jetzt das Wort „Kathode“ an Stelle von „Negativ“. Dieses Wort kommt aus einer griechischen Wurzel im Sinne von Abstammung, Weg der Zeugung usw. Vom Kathodenpol steigt der Schwarm der Elektronen oder Korpuskeln auf, von demselben Pol gehen diese wunderbaren Strahlen aus, die während der letzten Jahrzehnte die wissenschaftlichen Begriffe umge­stürzt haben.

 

Der Kathodenpol ist die Mutter von all den seltsamen Erscheinungen, die die alten Lehrbücher un­brauchbar gemacht haben und die die Ursache waren, dass so viele lang angenommene Theorien zum alten Eisen wissenschaftlicher Spekulation geworfen werden mussten. Die Kathode oder der negative Pol ist das mütterliche Prin­zip der elektrischen Erscheinungen, er besteht aus den fein­sten stofflichen Formen, die bisher der Wissenschaft bekannt wurden.

 

So sind wir, wie Ihr seht, berechtigt, die Verwen­dung der Bezeichnung „negativ“ bei der Nennung dieser Gegebenheiten abzulehnen und darauf zu bestehen, sie durch das Wort „weiblich“ zu ersetzen. Die diesbezüglichen Tat­sachen unterstützen uns darin, ohne dass dabei die herme­tischen Lehren in Betracht gezogen werden müssten. Darum werden wir das Wort „weiblich“ statt „negativ“ benutzen, wenn wir über diesen Pol der Aktivität sprechen.

 

Die letzten wissenschaftlichen Lehren gehen dahin, dass die schöpferischen Korpuskeln oder Elektronen weiblich sind (die Wissenschaft sagt, „sie bestehen aus negativer Elektrizität“, wir sagen: sie bestehen aus weiblicher Ener­gie). Ein weibliches Korpuskel wird abgeteilt oder vielmehr verlässt ein männliches Korpuskel und beginnt eine neue Laufbahn. In Wirklichkeit sucht es eine Verbindung mit einem männlichen Korpuskel, wenn es durch den natürlichen Impuls getrieben wird, neue Formen von Materie oder Energie zu schaffen. Ein Schriftsteller geht so weit, den Ausdruck zu benutzen, „es sucht sogleich aus eigenem Ent­schluss eine Verbindung“ usw. Diese Loslösung und Ver­einigung bilden die Grundlage des größten Teils der Aktivi­tät der chemischen Welt. Wenn das weibliche Korpuskel sich mit dem männlichen vereinigt, beginnt damit ein bestimm­ter Prozess. Die weiblichen Teilchen schwingen rasend unter dem Einfluss der männlichen Energie und kreisen um diese mit ungeheurer Schnelligkeit. Das Resultat ist die Geburt eines neuen Atoms. Dieses neue Atom ist wirklich aus einer Vereinigung von männlichen und weiblichen Elektronen oder Korpuskeln entstanden, doch wenn die Verbindung gebildet ist, ist das Atom ein besonderes Ding, das gewisse Eigenschaften besitzt, aber nicht mehr die Eigenschaften freier Elektrizität zeigt.

 

Der Prozess der Loslösung oder Abtrennung des weiblichen Elektrons gleicht der „Ionisation“. Diese Elektronen oder Korpuskeln sind die aktiven Arbeiter in der Natur. Aus ihren Verbindungen und Kombinationen entstehen die verschiedenartigsten Erscheinungen, wie Licht, Wärme, Elektrizität, Magnetismus, Anziehung, Abstoßung, chemische Affinität und ihr Gegenteil und ähnliche Erschei­nungen. Und alles dies entsteht aus der Wirksamkeit des Prinzips des Geschlechts auf der Ebene der Energie.

 

Es scheint die Rolle des männlichen Prinzips zu sein, eine bestimmte ihm innewohnende Energie auf das weibliche Prinzip zu richten und so die schöpferischen Prozesse in Gang zu setzen. Aber das weibliche Prinzip ist das, welches die tatsächliche schöpferische Arbeit leistet, und dies auf allen Ebenen. Und doch, jedes Prinzip ist unfähig zur wirksamen Energie ohne die Unterstützung des anderen. In einigen Lebensformen sind die zwei Prinzipien in einem Organis­mus verbunden. Deshalb enthält alles in der organischen Welt beide Geschlechter, immer ist das männliche in der weiblichen Form und das weibliche in der männlichen Form vorhanden. Die hermetischen Lehren enthalten viel über die Wirksamkeit der zwei Geschlechtsprinzipien bei der Er­schaffung und dem Auftreten verschiedener Energieformen usw., aber wir halten es nicht für vorteilhaft, hier auf Einzel­heiten einzugehen, weil wir nicht in der Lage sind, sie mit wissenschaftlichen Beweisen zu belegen, denn die Wissen­schaft ist so weit noch nicht vorgeschritten.

 

Aber die Be­schreibung, die wir Euch über die Erscheinungsformen der Elektronen und Korpuskeln gegeben haben, zeigt auch, dass sich die Wissenschaft auf dem richtigen Wege befindet, und sie wird Euch auch eine allgemeine Idee von dem zugrunde­liegenden Prinzip geben.

 

Einige führende wissenschaftliche Forscher haben ihre Annahme bekannt gegeben, dass man bei der Bildung von Kristallen etwas feststellen kann, das einer „Geschlechts­tätigkeit“ entspricht; ein neuer Hinweis, in welcher Rich­tung in der Wissenschaft heute der Wind weht. lind jedes Jahr wird andere Tatsachen bringen, die die Richtigkeit des hermetischen Geschlechtsprinzips bestätigen. Man wird fin­den, dass Geschlecht in dauernder Wirksamkeit auf dem Gebiet der anorganischen Materie ebenso wie auf dem der Energie und Kraft auftritt. Elektrizität wird jetzt allgemein als das „Etwas“ betrachtet, in das sich alle anderen Formen der Energie zu verschmelzen oder aufzulösen scheinen. Die „elektrische Theorie über das Universum“ ist die letzte wissenschaftliche Lehre; sie gewinnt rapid an Volkstümlich­keit und allgemeiner Anerkennung. Daraus folgt, dass, wenn wir in den Erscheinungen der Elektrizität - sogar an der Wurzel und Quelle ihres Auftretens - einen klaren und unmissverständlichen Beweis von der Gegenwart des Ge­schlechts und seiner Auswirkungen entdecken können, wir Euch aufzufordern berechtigt sind, zu glauben, dass die Wissenschaft endlich Beweise von der Existenz des großen hermetischen Prinzips in allen universalen Erscheinungen gegeben hat - des Prinzips des Geschlechts.

 

Es ist nicht notwendig, Eure Zeit mit den wohlbekannten Erscheinungen der „Anziehung und Abstoßung“ der Atome in Anspruch zu nehmen, der chemischen Affinität, „der Liebe und dem Hass der chemischen Teilchen, der Anziehung oder Kohäsion der Moleküle der Materie. Diese Tatsachen sind zu sehr bekannt, um einer eingehenden Erläuterung von unserer Seite zu bedürfen. Aber habt Ihr jemals dar­über nachgedacht, dass alle diese Dinge Manifestationen des Geschlechtsprinzips sind?

 

Seht Ihr nicht, dass sich hier das­selbe abspielt wie bei den Korpuskeln oder Elektronen? Und mehr als das, seht Ihr nicht die Richtigkeit der herme­tischen Lehren ein, welche behaupten, dass sogar das Gesetz der Gravitation, jener seltsamen Anziehung, auf Grund derer alle Teilchen und Körper der Materie zueinander hinneigen, dass diese Anziehung nichts ist als ein weiteres Auf­treten des Geschlechtsprinzips, das dahin wirkt, dass die männlichen die weiblichen Energien anziehen und umge­kehrt? Wir können Euch zurzeit keinen wissenschaftlichen Beweis hierfür geben - aber prüft die Frage im Lichte der hermetischen Lehren und seht, ob Ihr darin nicht eine bes­sere Hypothese habt als in irgendeiner, die die physika­lische Wissenschaft bietet. Unterzieht alle physikalischen Erscheinungen dieser Prüfung und Ihr werdet entdecken, dass das Geschlechtsprinzip immer in Wirksamkeit ist.

 

Wir wollen jetzt zu einer Betrachtung der Wirkung die­ses Prinzips auf der geistigen Ebene übergehen. Viele inter­essante Züge harren hier der Untersuchung.

 

 

XIV. Kapitel

Geistiges Geschlecht

 

Studenten der Psychologie, die den modernen Gedankengängen auf dem Gebiet der geistigen Phänomene gefolgt sind, werden über die Hartnäckigkeit überrascht sein, mit der sich die Idee eines dualen Geistes während der letzten 10-15          Jahre durchgesetzt hat, aus der eine Anzahl an­nehmbarer Theorien über die Natur und Beschaffenheit dieses zwiefachen Geistes entstanden sind. Der verstorbene Thomsen J. HUDSON erreichte eine große Volkstümlichkeit im Jahre 1893, als er seine bekannte Theorie über den ob­jektiven und subjektiven Geist aufstellte deren Existenz in jedem Individuum er annahm. Andere Schriftsteller haben fast die gleiche Aufmerksamkeit erregt durch die Theorien über den „bewussten und unbewussten“, den „freiwilligen und unfreiwilligen“, den „aktiven und passiven Geist. Wenn auch die Theorien der Schriftsteller voneinander ab­weichen, so ist ihnen doch das zugrundeliegende Prinzip der „Dualität des Geistes“ gemeinsam.

 

Der Schüler der hermetischen Philosophie ist in Versu­chung zu lächeln, wenn er von diesen vielen „neuen“ Theo­rien über die Dualität des Geistes liest und hört, wobei jede Schule sich hartnäckig an ihre eigenen Lieblingstheorien klammert und jede den Anspruch erhebt, die Wahrheit ent­deckt zu haben. Der Schüler blättert die Seiten der Geschichte des Okkultismus zurück und tief in den okkulten Anfängen der okkulten Lehren findet er Bezugnahmen auf die alte hermetische Lehre vom Geschlechtsprinzip auf der geistigen Ebene, von der Offenbarung des geistigen Geschlechts. Und wenn er die Untersuchung weiter führt, wird er finden, dass die alte Philosophie Kenntnis hatte vom „zwiefachen Geist“ und sich darüber Rechenschaft ablegte durch die Theorie vom geistigen Geschlecht. Diese Idee vom geistigen Ge­schlecht kann Schülern, die mit den soeben genannten mo­dernen Theorien vertraut sind, mit wenigen Worten erklärt werden. Das männliche Prinzip des Geistes entspricht dem „objektiven, bewussten, freiwilligen, aktiven Geist und der weibliche Geist dem so genannten „subjektiven, unbewussten, unfreiwilligen, passiven Geist.

 

Natürlich stimmen die hermetischen Lehren nicht mit den vielen modernen Theo­rien über die Natur der beiden Phasen des Geistes überein, noch bestätigen sie alle Tatsachen, die man für die beiden Aspekte als zutreffend angesehen hat. Viele der besagten Theorien und Behauptungen sind sehr weit hergeholt und halten einer Prüfung durch das Experiment oder einer Beweisführung nicht stand. Wir weisen auf die Überein­stimmungen nur deshalb hin, um dem Schüler zu helfen, seine früher gewonnenen Kenntnisse den Lehren der herme­tischen Philosophie anzupassen. Schülern von HUDSON wird die Feststellung am Anfange des zweiten Kapitels seines Buches „Das Gesetz psychischer Phänomene auffallen: „Die mystische Sprache der hermetischen Philosophen ent­hüllt im allgemeinen dieselbe Idee“, - d. h. die Dualität des Geistes.

 

Wenn Dr. HUDSON sich die Zeit und die Mühe genommen hätte, die mystische Sprache der hermetischen Philosophie ein wenig zu entziffern, würde er vielleicht manche Erleuchtung über den Gegenstand des „zwiefachen Geistes“ erhalten haben, aber vielleicht wäre dann sein doch immerhin so interessantes Werk gar nicht geschrieben worden. Wir wollen jetzt die hermetischen Lehren über das gei­stige Geschlecht näher betrachten.

 

Die hermetischen Lehrer geben Belehrungen über diesen Gegenstand, indem sie ihre Schüler veranlassen, ihr Bewusstsein über ihr Selbst zu prü­fen. Die Schüler werden ersucht. ihre Aufmerksamkeit nach innen auf ihr eigenes Selbst zu richten. Jeder Schüler wird dahin geführt. zu erkennen. dass sein Bewusstsein ihm zuerst von der Existenz seines Selbst berichtet. dass es sagt: „Ich bin“. Zuerst scheint es, als ob diese Worte des Bewusstseins endgültig wären, aber eine etwas weitergehende Prüfung zeigt. dass dieses „Ich bin“ in zwei verschiedene Teile oder Aspekte geteilt oder gespalten werden kann, die, obgleich sie in Verbindung miteinander arbeiten, trotzdem bewusst getrennt werden können.

 

Während es im ersten Augenblick erscheint, als ob nur ein „Ich“ besteht, enthüllt eine etwas sorgfältigere und ge­nauere Prüfung die Tatsache, dass es ein „Ich“ und ein „Mich“ gibt. Diese geistigen Zwillinge unterscheiden sich in ihren charakteristischen Merkmalen und in ihrer Natur und eine Untersuchung ihrer Natur und der aus ihr ent­stehenden Erscheinungen wird viele Probleme geistiger Einflüsse enthüllen.

 

Wir wollen mit einer Betrachtung des „Mich“ beginnen, das gewöhnlich vom Schüler irrtümlich für das „Ich“ ge­halten wird, bis er die Nachforschung ein wenig weiter in die Tiefen des Bewusstseins treibt. Der Mensch hält sein Selbst (in seinem Mich-Aspekt) für zusammengesetzt aus gewissen Gefühlen, Geschmacksrichtungen, Meinungen, Abneigungen, Gewohnheiten, besonderen Verpflichtungen, Charakteristiken usw. Alle zusammen machen seine Per­sönlichkeit aus oder das „Selbst“, wie er selbst und andere es kennen. Er weiß, dass diese Emotionen und Gefühle wechseln, entstehen und vergehen, dass sie dem Prinzip des Rhythmus unterworfen sind und dem Prinzip der Polarität, die ihn von einem extremen Gefühl zum anderen schleu­dern. Auch denkt er von dem Mich, als sei ein bestimmtes Wissen in seinem Geist gesammelt und bilde so einen Teil von ihm selbst. Das ist das Mich eines Menschen.

 

Aber wir sind zu schnell vorangegangen. Das Mich vieler Menschen, kann man sagen, besteht in weitgehendem Maße aus dem Bewusstsein um ihren Körper und ihren psychischen Wünschen usw. Da ihr Bewusstsein zum großen Teil an ihre körperliche Natur gebunden ist, „leben sie praktisch dort“! Manche Menschen gehen sogar so weit, ihre persönliche Be­kleidung als einen Teil ihres Mich anzusehen und scheinen sie tatsächlich als einen Teil ihrer selbst zu betrachten. Ein Schriftsteller hat das humorvoll ausgedrückt, indem er sagte: „Der Mensch bestünde aus drei Teilen - Seele, Körper und Kleider“.

 

Diese „kleidungsbewussten“ Leute würden ihre Persönlichkeit verlieren, wenn sie gelegentlich eines Schiffbruchs von Wilden ihrer Kleider beraubt würden. Aber selbst viele, die nicht so eng mit der Idee der persönlichen Kleidung verbunden sind, halten daran fest, dass ihr Bewusstsein um ihren Körper ihr Mich sei. Sie können sich nicht ein Selbst denken, das unabhängig vom Körper ist. Ihr Geist scheint ihnen etwas zu sein, das praktisch zu ihrem Körper gehört, was tatsächlich vielfach der Fall ist.

 

Aber so, wie ein Mensch sich in der Skala des Bewusst­werdens erhebt, so ist er in der Lage, sein Mich von den Gedanken seines Körpers loszulösen und er wird von seinem Körper als von einem geistigen Teil von sich denken kön­nen. Aber selbst dann ist er allzu bereit, das Mich gänzlich mit den geistigen Zuständen, Gefühlen usw. zu identifi­zieren, die er in sich spürt. Er ist allzu geneigt, diese inneren Zustände als identisch mit sich selbst zu betrachten, anstatt sie für „Dinge“ zu halten, die aus irgendeinem Teil seiner Geistigkeit entstehen und in ihm existieren - von ihm und in ihm. aber nicht er selbst. Er sieht, dass er diese inneren Gefühlszustände durch eine Willensanstrengung ändern kann und dass er auf dieselbe Weise ein Gefühl oder einen Zustand völlig entgegengesetzter Natur erzeugen kann, und doch besteht dasselbe Mich. So ist er nach einer Weile in der Lage. diese verschiedenartigen geistigen Zustände, Erregungen,. Gefühle, Gewohnheiten, Charakteristiken und andere persönliche Eigenschaften beiseitezustellen - er kann sie beiseitestellen in die nicht dem Mich zugehörige Sammlung von Merkwürdigkeiten, Belastungen und auch wertvollen Besitztümern. Dazu bedarf es starker geistiger Konzentration und geistiger Erkenntniskraft seitens des Schülers. Aber die Aufgabe kann vom fortgeschrittenen Schüler gelöst werden. doch auch die nicht so weit Fort­geschrittenen können ahnen. wie der Prozess durchgeführt werden kann.

 

Nachdem dieser Prozess des Beiseitelegens zum Ab­schluss gebracht worden ist, befindet sich der Schüler in einem bewussten Besitz eines „Selbst“, das in seinen zwie­fachen Aspekten. dem Ich und dem Mich betrachtet werden kann. Man wird das Mich als etwas Geistiges empfinden, in dem Gedanken, Ideen, Erregungen, Gefühle und andere geistige Zustände hervorgebracht werden können. Es kann als der „geistige Schoß“, wie es die Alten nannten, bezeich­net werden, der fähig ist, geistige Nachkommenschaft zu erzeugen. Es stellt sich dem Bewusstsein als ein Mich dar mit latenten Kräften der Erschaffung und Erzeugung aller Arten geistiger Produkte. Man fühlt die enorme Kraft sei­ner schöpferischen Energie.

 

 Doch scheint es sich dessen be­wusst zu sein, dass es eine gewisse Art von Energie entweder von seinem Ich-Gefährten oder von einem anderen Ich emp­fangen muss, bevor es in der Lage ist, seine geistigen Schöp­fungen ins Leben zu setzen. Dieses Bewusstsein ruft un­geheure Fähigkeiten an geistigem Schaffen hervor. Aber der Schüler empfindet, dass das nicht alles ist, was er in seinem inneren Bewusstsein entdecken kann. Er empfindet, dass da noch ein geistiges Etwas existiert, das in der Lage ist zu wollen, dass das Mich nach gewissen schöpferischen Richt­linien handelt, und das ebenso in der Lage ist, beiseitezustehen und die geistige Schöpfung zu beobachten. Ihm wird gelehrt, diesen Teil seines Selbst sein Ich zu nennen. In dessen Bewusstsein kann er nach Belieben verweilen. Er findet, dass es ein Bewusstwerden der Fähigkeit, zu erzeugen und tatsächlich zu erschaffen, im Sinne eines fortlaufenden Prozesses geistiger Tätigkeit nicht gibt, sondern vielmehr in dem Sinne und in dem Bewusstsein der Fähigkeit, eine Energie vom Ich auf das Mich zu übertragen - ein Prozess des „Wollens“, dass eine geistige Schöpfung beginne und fortschreite. Er findet auch, dass das Ich beiseitestehen und Vorgänge der geistigen Schöpfung und Zeugung seitens des Mich beobachten kann. Dieser zwiefache Aspekt besteht im Geiste jedes Menschen. Das Ich repräsentiert das männliche Prinzip des geistigen Geschlechts, das Mich das weibliche. Das Ich repräsentiert den Aspekt des „Seins und das Mich den Aspekt des „Werdens“. Ihr werdet bemerken, dass das Prinzip der Entsprechung auf dieser Ebene wirkt, so wie dies auf der großen Ebene der Fall ist, auf der die Erschaf­fung von Universen sich vollzieht. Die Beiden sind ähnlich in der Art, wenn auch ungeheuer verschieden im Grad. „Wie oben, so unten; wie unten, so oben.“ Diese Aspekte des Geistes, das männliche und das weibliche Prinzip, das „Ich“ und das „Mich“, sind, wenn man sie in Verbindung mit den bekannten geistigen und psychischen Erscheinungen betrachtet, der Hauptschlüssel zu den nur wenig bekannten Gebieten geistiger Tätigkeit. Das Prinzip des geistigen Ge­schlechts zeigt die Wahrheit, die allen Erscheinungen gei­stiger Einflüsse usw. zugrundeliegt.

 

Die Tendenz des weiblichen Prinzips bewegt sich immer in der Richtung auf den Empfang von Eindrücken, die des männlichen stets in der Richtung des Ausstreuens oder Aus­druckgebens. Das weibliche Prinzip hat ein viel größeres Feld der Tätigkeit als das männliche. Das weibliche Prinzip leistet die Arbeit der Erzeugung neuer Gedanken, Begriffe, Ideen, einschließlich der Tätigkeit der Phantasie, das männ­liche Prinzip begnügt sich mit der Arbeit des „Wollens“ in seinen verschiedenen Ebenen. Doch kann das weibliche Prinzip sich auch ohne die Willensunterstützung des männ­lichen damit begnügen, geistige Bilder zu erzeugen, die das Resultat äußerer Eindrücke sind, anstatt eigene geistige Schöpfungen hervorzubringen.

 

Menschen, die fortgesetzt Aufmerksamkeit und Gedan­ken auf einen Gegenstand richten können, wenden beide geistigen Prinzipien an das weibliche bei dem Werk aktiver geistiger Zeugung und den männlichen Willen, der den schöpferischen Teil des Geistes anfeuert und ihm Energie verleiht. Die Mehrzahl der Menschen wendet das männliche Prinzip nur wenig an und ist zufrieden, von den Gedanken und Ideen zu leben, die ihrem Mich von dem Ich anderer eingegeben werden. Aber es ist nicht unsere Absicht, bei dieser Phase des Themas zu verharren, die aus jedem guten Lehrbuch über Psychologie mit dem Schlüssel studiert wer­den kann, den wir Euch für die Frage des geistigen Ge­schlechts gegeben haben.

 

Der Studierende seelischer Phänomene kennt die wunder­baren Erscheinungen, die unter der Bezeichnung Telepathie, Gedankenübertragung, geistige Beeinflussung, Suggestion, Hypnose usw. klassifiziert werden. Viele haben unter Ver­wendung der verschiedenen Theorien über den geistigen Dualismus nach einer Erklärung dieser verschiedenartigen Phasen von Erscheinungen gesucht. In gewissem Grade ha­ben sie recht, denn es zeigen sich ganz klar zwei bestimmte Phasen geistiger Tätigkeit. Betrachten aber die Studieren­den diesen zwiefachen Geist im Lichte der hermetischen Lehren über Schwingung und geistiges Geschlecht, dann werden sie sehen, dass sie den lange gesuchten Schlüssel in der Hand haben.

 

Bei den Erscheinungen der Telepathie sieht man, wie sich die Schwingungsenergie des männlichen Prinzips auf das weibliche Prinzip einer anderen Person richtet, und diese nimmt den übertragenen Gedanken auf und  lässt ihn zur Reife kommen. Suggestion und Hypnose arbeiten in der gleichen Weise. Das männliche Prinzip der suggerierenden Person richtet einen Strom von Schwingungsenergie oder Willenskraft auf das weibliche Prinzip einer andern und diese nimmt ihn auf, macht ihn sich zu eigen und handelt und denkt dementsprechend. Eine Idee, die in dieser Weise in den Geist eines anderen „hineingepflanzt“ wird, wächst und entwickelt sich und wird nach einiger Zeit als echtes geistiges Kind des Betreffenden betrachtet, während sie in Wirklichkeit wie ein Kuckucksei in das Sperlingsnest gelegt wurde, dort die rechtmäßige Nachkommenschaft zerstört und sich häuslich einrichtet.

 

Das Normale ist es, wenn das männliche und das weibliche Prinzip sich koordinieren und harmonisch in Verbindung miteinander handeln. Aber lei­der ist das männliche Prinzip bei den Durchschnittsmenschen zu träge, um zu handeln die Entfaltung der Willenskraft ist zu gering und die Folge ist, dass solche Menschen fast ganz durch den Geist und Willen anderer beherrscht werden, denen sie gestatten, ihr Denken und Wollen für sie zu tun. Wie wenig eigene Gedanken oder selbständige Handlungen werden von durchschnittlichen Menschen erdacht bzw. ausgeführt! Sind nicht die meisten bloße Schatten und das Echo von anderen, die einen stärkeren Willen oder Geist haben als sie selbst? Der Kummer ist, dass der Durchschnittsmensch fast gänzlich in seinem Mich-Bewusstsein lebt und sich gar nicht darüber klar ist. dass er so etwas wie ein „Ich“ besitzt. Er ist in dem weiblichen Prinzip seines Geistes polarisiert und das männliche Prinzip, das seinen Willen enthält, muss untätig und unbeschäftigt bleiben.

 

Die starken Männer und Frauen in der Welt bekunden unveränderlich das männliche Prinzip des Willens und ihre Stärke beruht wesentlich auf dieser Tatsache. Statt von den Eindrücken zu leben. die andere in ihrem Geist hervorrufen, beherrschen sie ihren Geist durch ihren eigenen Willen. er­halten somit die gewünschten Bilder und beherrschen über­dies in gleicher Weise den Geist anderer. Beobachtet, wie die starken Menschen es fertig bringen ihre Ideen den Massen einzupflanzen und sie zu zwingen, dem Wunsch und Willen dieser starken Persönlichkeiten gemäß zu denken. Das ist der Grund, warum die meisten Menschen so primi­tive Geschöpfe sind, die niemals eine eigene Idee haben oder ihre geistigen Kräfte betätigen.

 

Das Auftreten des geistigen Geschlechts kann man im Alltagsleben überall um uns beobachten. Die magnetischen Personen sind solche, die das männliche Prinzip anwenden können, indem sie ihre Ideen anderen aufzwingen. Der Schauspieler, der die Menschen nach Belieben weinen und lachen macht, wendet dieses Prinzip an. Ebenso der erfolg­reiche Redner, Staatsmann, Priester, Schriftsteller oder an­dere, die in der Öffentlichkeit stehen. Der besondere Einfluss, den einige Menschen über andere ausüben, ist den Auswirkungen des geistigen Geschlechts zuzuschreiben auf der oben bezeichneten Linie der Schwingungen. In diesem Prinzip liegt das Geheimnis vom persönlichen Magnetismus, persönlichen Einfluss, Bezauberung usw. sowie aller Erschei­nungen, die unter dem Namen Hypnose zusammengefasst werden.

 

Der Schüler, der sich mit den im allgemeinen als „psy­chisch“ bezeichneten Erscheinungen vertraut gemacht hat, wird die bedeutende Rolle der Kraft entdeckt haben, welche die Wissenschaft „Suggestion“ genannt hat, womit der Prozess oder die Methode, eine Idee auf den Geist eines andern zu übertragen, sie ihm aufzuzwingen, gemeint ist, wodurch der letztere entsprechend handeln muss. Ein ge­naues Begreifen der Suggestion ist notwendig, wenn man die ihr zugrundeliegenden psychischen Erscheinungen ver­stehen will. Aber noch notwendiger ist die Kenntnis der Vibration (= Schwingung) und des geistigen Geschlechts für den die Suggestion Studierenden, denn das Prinzip der Suggestion hängt von diesen beiden Prinzipien ab.

 

Gelehrte, die über Suggestion lehren und schreiben, pfle­gen zu erklären, dass der „objektive und freiwillige“ Geist auf den „subjektiven oder unfreiwilligen“ Geist den geisti­gen Einfluss oder die Suggestion ausübe. Aber sie beschrei­ben den Prozess nicht oder zeigen uns nicht irgendeine Analogie in der Natur, wodurch wir die Idee leichter ver­stehen könnten. Überdenkt man aber die Frage im Lichte der hermetischen Lehre, kann man sehen, dass das An­spornen des weiblichen Prinzips durch die Schwingungs­energie des männlichen Prinzips in Übereinstimmung ist mit den universalen Gesetzen der Natur und dass diese Welt der Natur zahllose Analogien liefert, durch die das Prinzip verstanden werden kann. Tatsächlich zeigen die hermetischen Lehren, dass gerade die Erschaffung des Universums demselben Gesetze folgt und dass bei allen schöpferischen Manifestationen auf der rein geistigen, gei­stigen und körperlichen Ebene überall das Geschlechtsprinzip in Wirksamkeit ist. Es ist die Offenbarung des männlichen und weiblichen Prinzips, „wie oben, so unten; wie unten, so oben“, und mehr als das, wenn man das Prin­zip des geistigen Geschlechts einmal völlig begriffen hat, wird es auf einmal möglich, die verschiedenen Phänomene der Psychologie zu klassifizieren und zu studieren, anstatt im dunkeln zu tappen. Das Prinzip tritt hier in der Praxis zutage, weil es ja auf den unveränderlichen allgemeinen Lebensgesetzen begründet ist.

 

Wir werden nicht auf eine ausführliche Besprechung oder Beschreibung der verschiedenartigen Erscheinungsformen geistiger Einflüsse oder seelischer Aktivität eingehen. Über diesen Gegenstand sind in den letzten Jahren viele Bücher, sogar viele gute Bücher geschrieben und veröffentlicht wor­den. Die grundsätzlichen Feststellungen in diesen Büchern sind richtig, wenn auch einige Schriftsteller versucht haben, diese Erscheinungen mit verschiedenen eigenen Lieblingstheorien zu erklären. Der Studierende kann sich mit diesen Dingen vertraut machen und er wird durch Verwendung der Theorie des geistigen Geschlechts in der Lage sein, Ord­nung in das Chaos widerstreitender Theorien und Lehren zu bringen. Es ist nicht die Absicht dieses Werkes, einen ausführlichen Bericht über psychische Erscheinungen zu geben, sondern vielmehr die, dem Studierenden einen Haupt­schlüssel in die Hand zu geben, mit dem er die vielen Tore öffnen kann, die in die Teile des Tempels der Weisheit führen, die er zu erforschen wünscht. Wir glauben, dass man in solchen Lehren des „Kybalion“ eine Aufklärung finden wird, die dazu dient, viele überraschende Schwierigkeiten hinwegzuräumen - einen Schlüssel, der viele Tore er­schließt. Was hat es für einen Zweck, bei all den vielen Formen psychischer Phänomene und geistiger Wissenschaft auf Einzelheiten einzugehen, wenn wir dem Studierenden nicht die Mittel in die Hand geben, durch die er sich mit jedem Teil des Gegenstandes bekannt machen kann, der ihn interessiert. Mit Hilfe des „Kybalion“ kann man jede okkulte Bibliothek erneut durchstudieren und das alte Licht aus Ägypten wird viele dunkle Seiten verborgener Geheimnisse enthüllen. Das ist die Absicht dieses Buches. Wir kommen nicht, um eine neue Philosophie zu erklären, sondern viel­mehr, um die Umrisse einer großen uralten Lehre heraus­zustellen, die die Lehren anderer klären wird als großer „Versöhner“ der verschiedenen Theorien und widerstrei­tenden Dogmen.

 

 

XV. Kapitel

Hermetische Grundsätze

 

 „Die Aneignung von Wissen ist, wenn es nicht tätig zu Ausdruck und Wirkung kommt, wie das Horten wertvoller Metalle - eine zweck­lose und unsinnige Sache. Wissen muss wie Reichtum einer Verwendung zugeführt werden. Das Gesetz der Anwendung ist ein universales Gesetz und wer es verletzt, kommt mit den Naturkräften in Konflikt zu seinem Schaden.“

 „Kybalion“

 

Es war niemals beabsichtigt, die hermetischen Lehren, die aus den erwähnten Gründen im Geiste ihrer glücklichen Be­sitzer sorgfältig aufbewahrt wurden, nutzlos aufzuspeichern und völlig geheimzuhalten. Das Gesetz der Anwendung gilt auch für diese Lehren, wie man aus obigem Zitat aus dem „Kybalion“ zweifellos ersehen kann. Wissen, das man nicht verwendet und mitteilt, ist eitel und bringt einem Menschen oder Volk nichts Gutes. Hüte Dich vor geistiger Mißgunst und bringe das, was Du gelernt hast, zum Ausdruck. Ergründe die Grundsätze und Lehrsprüche, aber wende sie auch an. Nachstehend geben wir einige der wichtigsten herme­tischen Grundsätze aus dem „Kybalion“ bekannt mit ein paar kurzen Erläuterungen. Mache sie Dir ganz zu eigen und wende sie an, denn dadurch werden sie erst wirklich Dein.

 

„Wenn Du Deine Stimmung oder irgendeinen anderen geistigen Zustand ändern willst, so ändere Deine Schwin­gung.“

 

Man kann seine geistigen Schwingungen durch Ausspan­nung seines Willens ändern, indem man seine Aufmerk­samkeit vorsätzlich auf einen wünschenswerten Zustand festlegt. Der Wille konzentriert die Aufmerksamkeit und die Aufmerksamkeit verwandelt die Schwingung. Übe die Kunst der Konzentration vermittels des Willens und Du hast das Geheimnis gelöst, Stimmungen und geistige Zu­stände zu beherrschen.

 

„Willst Du einen unerwünschten Schwingungsgrad be­seitigen, so setze das Prinzip der Polarität in Tätigkeit und konzentriere Dich auf den entgegengesetzten Pol dessen, was Du zu unterdrücken wünschst. Töte das Un­erwünschte ab, indem Du seine Polarität wechselst.“

 

Dies ist eine der wichtigsten hermetischen Formeln. Sie beruht auf den wissenschaftlichen Prinzipien des „Kybalion“. Wir haben Euch gezeigt, dass ein geistiger Zustand und sein Gegensatz lediglich zwei Pole ein und derselben Sache sind, und dass die Polarität durch geistige Verwandlung umge­dreht werden kann. Dieses Prinzip ist den modernen Psy­chologen bekannt, sie wenden es an, um unerwünschte Ge­wohnheiten zu brechen, indem sie ihre Schüler veranlassen, sich auf die entgegengesetzte Eigenschaft zu konzentrieren. Bist Du von Furcht besessen, so verschwende keine Zeit, die Furcht abzutöten, sondern pflege statt dessen die Eigen­schaft des Mutes, und die Furcht wird verschwinden. Einige Schriftsteller haben diesen Gedanken sehr treffend ausge­drückt, indem sie das Beispiel eines dunklen Raumes be­nutzten: Du musst die Dunkelheit weder herausschaufeln noch herausfegen, sondern Du brauchst nur die Läden zu öffnen und das Licht hineinzulassen, damit die Dunkelheit verschwindet. Um eine negative Eigenschaft abzutöten, konzentriere Dich auf den positiven Pol dieser Eigenschaft und die Schwingungen werden sich allmählich vom Nega­tiven ins Positive verwandeln, bis Du schließlich auf dem positiven Pol polarisiert sein wirst, statt auf dem negativen. Das Umgekehrte ist ebenfalls wahr, wie viele zu ihrem Kummer ersehen haben, wenn sie sich erlaubt haben, zu lange auf dem negativen Pol der Dinge zu schwingen. Durch Wechseln der Polarität kannst Du Deine Stimmungen meistern, die Zustände Deines Geistes verändern, Deine Neigungen lenken und Deinen Charakter aufbauen. Vieles von der geistigen Meisterschaft der fortgeschrittenen Her­metiker muss man dieser Anwendung der Polarität zuschrei­ben, die einen der wichtigsten Gesichtspunkte der geistigen Verwandlung darstellt. Denke an den früher erwähnten hermetischen Grundsatz, welcher lautet:

 

„Geist kann (wie Metalle und Elemente) verwandelt wer­den, von Zustand zu Zustand, von Grad zu Grad, von Pol zu Pol, von Schwingung zu Schwingung.“

 

Die Beherrschung der Polarisation ist die Meisterung der grundlegenden Prinzipien geistiger Transmutation oder geistiger Alchimie, denn wer sich die Kunst, seine eigene Polarität zu verwandeln, nicht erwirbt, ist unfähig, auf seine Umgebung eine Wirkung auszuüben. Das Verständnis die­ses Prinzips versetzt einen in die Lage, seine eigene Pola­rität zu ändern sowie die anderer, wenn man die Zeit, Sorg­falt, Studium und Übung darauf verwendet, die notwendig sind, diese Kunst zu lernen. Das Prinzip ist richtig, aber das Resultat hängt ab von der unaufhörlichen Geduld und Übung des Schülers.

 

„Rhythmus kann man neutralisieren, wenn man die Kunst der Neutralisation anwendet.“

 

Wie wir in den vorhergehenden Kapiteln erklärt haben, stehen die Hermetiker auf dem Standpunkt, dass das Prin­zip des Rhythmus sich sowohl auf der geistigen als auch auf der physischen Ebene offenbart und dass die verwirrende Folge von Stimmungen, Gefühlen, Erregungen und anderer geistiger Zustände von dem Rückwärts- und Vorwärts­schwingen des geistigen Pendels herrührt, das uns von einem Gefühlsextrem zum andern trägt. Die Hermetiker lehren auch, dass das Gesetz der Neutralisation einen in großem Umfange befähigt, die Auswirkungen des Rhyth­mus bewusst zu beherrschen. Wie wir auseinandersetzten, gibt es eine höhere Ebene des Bewusstseins, außer der ge­wöhnlichen niedrigen, und der Meister, der sich geistig auf die höhere Ebene erhebt,  lässt den Schwung des geistigen Pendels sich auf der niedrigeren Ebene auswirken und ent­geht so dem bewussten Rückwärtsschwingen. Dies geschieht durch Polarisation auf dem höheren Selbst, wodurch die geistigen Schwingungen des Ego über die gewöhnliche Ebene des Bewusstseins hinaus gesteigert werden. Es ist ebenso, als ob man sich über einen Gegenstand erhöbe und ihn unter sich vorbeigehen ließe. Der fortgeschrittene Hermetiker polarisiert sich selbst an den positiven Pol seines Wesens - der mehr der „Ich-bin“ -Pol als der seiner Persönlichkeit ist, und indem er die Wirkung des Rhythmus „abwehrt“ und „verneint“, erhebt er sich über dessen Ebene des Bewusstseins, steht fest auf seinem Standpunkt und  lässt das Pendel auf der niedrigeren Ebene zurückschwingen, ohne seine Po­larität zu ändern. Dies kann erreicht werden durch alle Per­sönlichkeiten, die einen gewissen Grad von Selbstbeherr­schung erreicht haben, ganz gleich ob sie das Gesetz ver­stehen oder nicht. Solche Menschen lassen sich durch das Pendel ihrer Stimmungen und Erregungen einfach nicht zu­rückschwingen, bleiben an dem positiven Pol polarisiert und beweisen so ihre unerschütterliche Überlegenheit. Der Mei­ster erreicht natürlich einen viel höheren Grad von Fertig­keit, denn er versteht das Gesetz, das er mit einem höheren Gesetz überwindet, und durch Anwendung seines Willens erreicht er einen Grad von Gleichgewicht und geistiger Standfestigkeit, den diejenigen kaum für möglich halten können, die sich von dem Pendel ihrer Stimmungen und Gefühle hin- und herschwingen lassen.

 

Erinnert Euch aber stets, dass in Wirklichkeit das Prinzip des Rhythmus nicht gestört wird, denn es ist unzerstörbar. Man überwindet ein Gesetz lediglich dadurch, dass man es durch das Gegengewicht eines anderen ausgleicht. Die Ge­setze des Gleichgewichts und Gegengewichts sind sowohl auf den geistigen als auch auf den physischen Ebenen in Wirksamkeit und das Verständnis dieser Gesetze bringt einen in die Lage, die Gesetze scheinbar außer Kraft zu setzen, während man nur ein Gegengewicht zur Auswirkung bringt.

 

„Nichts entgeht dem Prinzip von Ursache und Wirkung, aber es gibt viele Ebenen der Ursächlichkeit und man kann die Gesetze der höheren verwenden, um die Ge­setze der niedrigeren zu überwinden.“

 

Durch praktische Nutzanwendung der Polarisation erheben sich die Hermetiker zu einer hohen Ebene der Ur­sächlichkeit und schaffen so ein Gegengewicht gegen die Gesetze der niedrigeren Ebenen der Ursächlichkeit. Indem sie sich über die Ebene der gewöhnlichen Ursachen erheben, werden sie in gewissem Grade selbst Anlaß, anstatt ver­anlasst zu werden. Dadurch, dass sie in der Lage sind, ihre eigenen Gefühle und Stimmungen zu beherrschen, und da­durch, dass sie den Rhythmus neutralisieren können, können sie einem großen Teil von Ursache und Wirkung auf der gewöhnlichen Ebene entgehen. Die Massen der Menschen lassen sich tragen, sie gehorchen ihrer Umgebung, dem Willen und den Wünschen anderer, die stärker sind als sie, den Auswirkungen ererbter Tendenzen, den Einflüsterun­gen anderer und anderen äußeren Ursachen, die sie wie Figuren auf dem Schachbrett des Lebens hin- und herschie­ben. Die fortgeschrittenen Hermetiker suchen eine höhere Ebene geistiger Tätigkeit auf, indem sie sich über diese ein­wirkenden Ursachen erheben, ihre Stimmungen, Erregun­gen, Antriebe und Gefühle beherrschen und sich so einen neuen Charakter, neue Eigenschaften und Kräfte schaffen, wodurch sie ihre Umgebung überwinden. So werden sie Spieler statt Figuren. Solche Personen tragen zu dem Spiel des Lebens verständnisvoll bei, anstatt dass sie hin- und herbewegt werden durch stärkere Einflüsse, Kräfte und Willensäußerungen. Sie benützen das Prinzip von Ursache und Wirkung, anstatt ihm zu unterliegen. Natürlich sind selbst die am höchsten Stehenden diesem Prinzip unter­worfen, wenn es sich auf den höheren Ebenen auswirkt; aber auf den niedrigeren Ebenen sind sie Meister anstatt Sklaven. Wie das „Kybalion“ sagt:

 

„Die Weisen dienen auf den höheren, aber herrschen auf den niedrigeren Ebenen.“

 

Sie gehorchen den Gesetzen, die von oben kommen, aber auf ihren eigenen Ebenen, und auf denen unter ihnen herr­schen und befehlen sie. Aber doch bilden sie dabei einen Teil des Prinzips, statt sich ihm entgegenzustellen. Der Weise macht sich das Gesetz zueigen und indem er seine Bewegungen versteht, bedient er sich seiner, anstatt sein Sklave zu sein. So wie ein geschickter Schwimmer sich hier ­und dorthin wendet, wohin er will, anstatt wie ein Klotz hin- und hergetragen zu werden - so ähnlich kann man den Weisen mit dem Durchschnittsmenschen vergleichen und doch sind beide, der Schwimmer und der Klotz. Der Weise und der Tor, dem Gesetz unterworfen. Wer das wohl versteht, ist weit auf dem Wege zur Meisterschaft.

 

Zum Schluss wollen wir noch einmal Eure Aufmerksam­keit auf den hermetischen Grundsatz lenken:

 

„Wahre hermetische Verwandlung ist geistiger Art.“

 

Mit diesem Grundsatz lehren die Hermetiker, dass man die schwere Aufgabe der Beeinflussung seiner Umgebung nur durch geistige Kraft lösen kann. Da das Universum vollständig geistig ist, folgt daraus, dass es nur durch Geist beherrscht werden kann. In dieser Wahrheit liegt die Er­klärung aller Erscheinungen und Offenbarungen der ver­schiedenen geistigen Kräfte, denen seit Anfang dieses Jahr­hunderts so viel Aufmerksamkeit und Studium gewidmet wird. Allen Lehren der verschiedenen Kulte und Schulen liegt als konstante Größe stets das Prinzip der geistigen Substanz des Universums zugrunde. Wenn das Universum seiner substantiellen Natur nach geistig ist, so folgt daraus, dass geistige Transmutation die Zustände und Erscheinungs­formen des Universums ändern muss. Wenn das Universum geistig ist, dann muss Geist die höchste Kraft sein, die seine Erscheinungen beeinflusst. Wenn man dies recht versteht, so wird man alle so genannten Wunder und Wundertaten als das ansehen, was sie sind:

 

„Das All ist Geist, das Universum ist geistig.“

„Kybalion“