Frauen im Islam - In der
Tradition und heute
Betrachtungen aus kulturanthropologischer Perspektive
Dr. Michaela Mihriban Özelsel
Dial. d. Relig. 2.jg., Heft 2, S. 154-173 ISSN
0939-5539
Fürs Netz erstmalig aufbereitet von Muhammad Michael Hanel 1993
INHALT:
II
DAS ISLAMISCHE KONZEPT DER GLEICHBERECHTIGUNG
III
DIE ISLAMISCHE SICHT DER SEXUALITÄT
IV
DIE EIGENVERANTWORTLICHKEIT
V
GESELLSCHAFTLICHE KONSEQUENZEN
VI
GLEICHHEIT IN DER UNGLEICHHEIT
VII
SOZIALE REFORMEN MUHAMMADS (S.a.) -
SCHUTZ
FÜR FRAUEN UND ANDERE BENACHTEILIGTE GRUPPEN
VIII
DAS BEISPIEL DES"EXEMPLARISCHEN MENSCHEN"
IX
DIE MUSLIMA ZU ZEITEN MUHAMMADS (s.a.) UND IN DER
GESCHICHTE
- IHR EINFLUSS AUF DIE RELIGION
X
DIE MUSLIMA HEUTE
XI FAZIT
I EINLEITUNG
"..Oh Adam, soll ich dich zum Baume der Ewigkeit
führen und zu einem Königreich, das nimmer vergeht?» Da
aßen sie beide davon, so daß ihre Blöße ihnen offenbar
wurde. Qur'an, 20/121-122
Zweck dieses Artikels ist es, einen Einblick in die Stellung der Frau
im Islam - und damit in ein gänzlich anderes Denksystem und Weltbild
zu geben. Eigentlich ist es eher ein Ausblick, da ich mich diesem Thema
"von innen heraus", aus kulturanthropologischer Sicht, nähern möchte.
Will man eine fremde Kultur erkennen, indem man von der eigenen ausgeht,
so kommt ein Vergleich, aber kein Verstehen dabei heraus. Und von Vergleichen
wissen wir, daß sie meist zugunsten des Vertrauten, Bekannten ausgehen.
Wir haben dann das Ergebnis vorprogrammiert; unsere eigene Kultur, Religion,
Sichtweise etc. ist die bessere, die richtigere. Auch die Stellung der
Frau im Islam kann nur von innen heraus" verstanden werden, d.h., eingebettet
in das Gesamtsystern des Islam.
Hier müssen insbesondere das andere Bild des Menschen und die
grundsätzlich andere Sichtweise der Sexualität berücksichtigt
werden. Weiterhin ist ein Verständnis eines anderen Systems auch immer
zeitkontextabhängig. D.h., daß die sozialen Reformen unerhörten
Ausmaßes, die von Muhammad (s.a.) eingeleitet wurden, auf dem Hintergrund
seiner Zeit betrachtet werden müssen.
Unter den möglichen Quellen zur Stellung der Frau ist zunächst
der Koran zu nennen. Dieses Studium führt jedoch zu beträchtlichen
Schwierigkeiten, da die heilige Schrift des Islam nicht kontextunabhängig
zu verstehen ist. wird ein Angang versucht, der die Situationen, in denen
die verschiedenen Suren und Verse offenbart wurden, nicht beachtet, erscheint
der Koran zu einigen Themen sogar inkonsistent. Darauf wird auch im heiligen
Buch des Islam selbst hingewiesen:
"Darin (im Koran) sind Verse von entscheidender
Bedeutung - sie sind die Grundlage des Buches - und andere, die verschiedener
Deutungfähig sind. Die aber, in deren Herzen Verderbnis wohnt suchen
gerade jene heraus, die verschiedener Deutung fähig sind, im
Trachten nach Zwiespalt und im Trachten nach Deutelei." (3/8)
Hz. Mevlana Celaleddin Rumi, der eminente Theologe und Heilige (der
Ausdruck "Heiliger" ist eine bewußt vorgenommene Vereinfachung der
Terrninologieübertragung) des 13. Jahrhunderts, wies darauf
hin, daß der Koran auf mindestens sieben Ebenen allegorisch zu verstehen
sei, da er aus evidenten" und ,dunklen" Versen besteht, die sich je nach
dem Grad der Verständnisfähigkeit des Gläubigen diesem erschließen.
("Es
gibt keine Aja [Vers], welche nicht aus dem offenbaren Teil, einem verborgenen
Teil, einer Grenze und einem Anstieg bestehen würde." Hadith 1
(Hadith: außerkoranische überlieferung des Propheten
s.a.) (, vgl. Koran, 3/5.)
Hz. Mevlana, der ein Meister der dem täglichen Leben entnommenen
Gleichnisse war, sagte, daß der Säugling und der Geliebte beide
die Brust der Frau genießen, jedoch jeder auf seine Weise. Beide
Arten des Genießens sind angebracht und gültig, weder gut" noch
schlecht", der Unterschied läge lediglich im Grade der Entwicklung.
Das gleiche gelte auch für das Verstehen der heiligen Schrift. - (Rumi,
FrnF, 272). Trotz der dieser Quelle inhärenten Schwierigkeiten sollen,
der vollständigkeit halber, im folgenden einige relevante Verse des
Korans zitiert werden.
Weitere mögliche Quellen sind die Interpretationen führender
Geistlicher der verschiedenen Jahrhunderte sowie ein Studium der Frauen-gestalten
in der islamischen Literatur. Im Zweifelsfall ist jedoch aus islamischer
Sicht jeweils die überlieferte Lebensführung (,Sunna") des .exemplarischen
Menschen», des Propheten Muhammads (s.a.), heranzuziehen. Er gilt
als die lebendige Verkörperung der göttlichen Gesetzte».
(.Der
Koran selber mußte durch den Gesandten zu uns kommen. - Er wäre
nicht verständlich gewesen, außer in Gestalt des Mannes. Das
Buch war Teil der gelebten Erfahrung und Wirklichkeit des Wüsten-
Propheten", Abd. al-Qadir as-Sufi, 1986). Eine Untersuchung seines
Umgangs mit Frauen - sowie deren Umgang mit ihm - kann klareres Licht auf
dieses Thema werfen.
Zunächst ist jedoch ein Blick auf weitere Aspekte der islamischen
Weltsicht, sofern sie für dieses Thema relevant sein könnten,
erforderlich. Die unterschiedliche Sichtweise der Stellung der Frau und
damit auch der des Mannes - von Morgenland und Abendland läßt
sich m.E. hauptsächlich auf folgende Faktoren zurückführen:
ein grundsätzlich anderes Verständnis sowohl der Gleichberechtigung,
der Eigenverantwortlichkeit als auch der Sexualität.
II
DAS ISLAMISCHE KONZEPT DER GLEICHBERECHTIGUNG
"Ursprünglich bildeten die Menschen eine
einzige Rasse und eine einzige Nation, dann beschloß Allah, sie in
Familien, Stämme und Nationen aufzuteilen, damit sie das gegenseitige
Verständnis erlernen" (2/213, 10/19, 49/13)
Charakteristisch für den Islam ist die Grundannahme absoluter
Gerechtigkeit und absoluter Gleichheit vor Gott.
Das impliziert jedoch nicht auch eine Gleichberechtigung im westlichen
Sinne schon hier auf Erden. Ganz im Gegenteil wird das Gleichgewicht
auf Erden schon durch gottgewollte Ungleichheit stabilisiert. Ungleichheit
verlangt nach gegenseitiger Ergänzung, soll ein System als Ganzes
funktionieren.
Der Islam geht davon aus, daß die irdische Ungleichheit gottgewollt
und somit bezweckt ist, denn hätte Allah es so gewollt, es wäre
Ihm ein leichtes gewesen, alle gleich zu schaffen. "Er hat zu allem die
Macht". Alles ist über die Erde hinweg ungleich verteilt: Wasser,
Land, Kälte, Wärme, Trockenheit, Feuchtigkeit, Bodenschätze
etc. Das heißt jedoch nicht, daß diese "gottgewollte Ungleichheit"
als Endzustand akzeptiert werden sollte (diese Fehlannahrne wird im Westen
als der "islamische Fatalismus" bezeichnet) sondern ganz im Gegenteil als
Ausgangspunkt für eigene Einsatzmöglichkeiten gilt. Da "insgesamt
von allem für alle da ist", ist den Menschen die Gelegenheit gegeben,
die Kooperation statt der Konkurrenz zu erlernen. Keiner besitzt irgendein
Gut auf Erden, es gilt nicht, sich die "Erde untertan zu machen". Menschen
sind nicht mehr und nicht weniger als die Verwalter der ihnen anvertrauten
göttlichen Güter. Später müssen sie ihrem Schöpfer
Rechenschaft darüber ablegen, wie "gerecht, großherzig und menschlich"
sie diese noble Statthalter-Aufgabe wahrgenommen haben.
Mann und Frau sind "Zwillingsgeschöpfe" Gottes, gleich vor
Gott, aber verschieden hier auf Erden, da mit verschiedenen Aufgaben betraut.
Die Gattung Mensch kommt weder ohne das eine noch das andere Geschlecht
aus, beide sind zum Fortbestand gleichermaßen aber in unterschiedlicher
Funktion, nötig.
Auf eine Wirtschaftsterminologie übertragen, ist es ein System
der Arbeitsteilung: jede Gesellschaft benötigt sowohl Arbeiter als
auch Gelehrte etc. Ein Berufsstand ist nicht "besser" oder "schlechter"
als der andere, es herrscht Bedarf an allem in gegenseitiger Ergänzung,
sie sind also "Systemgleichberechtigt".
Der Gedanke einer gottgeschaffenen Gleichheit als Ausgangsbasis
erscheint aus islamischer Sicht absurd: hätte jedes Land alle
erforderlichen Rohschätze, Nahrungsmittel, Klirnazonen etc., bestünde
keine Notwendigkeit, im gegenseitigen Austausch miteinander in Beziehung
zu treten. Hätte jeder Mensch die gleiche Ansicht, bestünde keine
Notwendigkeit zur Toleranz. Wäre, im - utopischen - Ex-trernfall,
jedes Einzelwesen autark, dann wärejeder seine eigene Insel, ohne
Beziehung zu anderen Formen des Lebens. (Als Denkübung ist es interessant,
sich einmal aus dieser Perspektive die alte Frage nach dem Sinn der Existenz
zu stellen). Der Zweck der Unterschiedlichkeit ist das Miteinander.
Es gestattet das Erlernen der Toleranz, der Harmonie der gegenseitigen
Ergänzung, der Balance, der Mäßigung, des Wegs der Mitte.
Wie begrenzt es jedoch möglich ist, eine ausgleichende Gegenseitigkeit
tatsächlich zu praktizieren, zeigt eine Anekdote, die über die
spätere Lieblingsfrau des Propheten (s.a.), Aisha, überliefert
wird:
Aisha wurde gemeldet, daß ein Bettler eingetroffen war. Sie
sagte: "Man gebe ihm Brot". Sodann wurde die Ankunft eines Prinzen gemeldet.
Sie sagte: Man lade ihn ein, mein Mahl mit mir zu teilen". Später
befragte man Aisha über ihr Verhalten: war es gerecht - und damit
im Sinne des Propheten - dem Armen wenig und dem Reichen viel zu geben?
Aisha antwortete: Mit allem, was ich besitze, wird es mir nicht gelingen,
einen Ausgleich zu schaffen. Was mir aber möglich war, war beide zufrieden
zu stellen. Der Bettler freute sich über sein Brot, der Prinz über
sein Abendmahl. Und beide über die freundliche Aufnahme".
III
DIE ISLAMISCHE SICHT DER SEXUALITÄT
"Und unter Seinen Zeichen ist dies, daß
er Gattinnen für euch schuf aus euch selber, auf daß ihr Frieden
in ihnen fändet, und Er hat Liebe und Zärtlichkeit zwischen Euch
gesetzt. Hierin sind wahrlich Zeichen für einVolk, das nachdenkt."
30/22
Wie grundsätzlich sich die islamische Sicht der Sexualität
von der christlich-abendländischen unterscheidet, wird durch die folgenden
Auszüge aus Al Ghazzalis "Band über die Ehe" in seinem
im 11. Jahrhundert verfaßten klassischem Werk der islamischen Orthodoxie,
der "Neubelebung der Religionswissenschaften", erkennbar:
"Freilich soll der Geschlechtstrieb nicht lediglich die Kindererzeugung
erzwingen, sondern er ist auch in einer anderen Hinsicht eine weise Einrichtung.
Die mit seiner Befriedigung verbundene Lust, mit der sich, wenn sie von
Dauer wäre, keine andere vergleichen ließe, soll nämlich
auf die im Paradies verheißenen Wonnen hindeuten. Denn es wäre
nutzlos, einem eine Wonne in Aussicht zu stellen, die er niemals empfunden
hat. - Die irdischen Vergnügungen sind daher auch inso-fern von Bedeutung,
als sie das Verlangen nach dem dauernden Genuß derselben im Paradies
wecken und so einen Ansporn für den Dienst Gottes bilden.»
Aus dem obigen Zitat wird ersichtlich, daß der Islam äußerst
"sexual-freundlich" eingestellt ist, d.h. über die Zeugungsfunktion
hinaus den Genuß betont und religiös begründet. Diese -
als so positive und machtvolle Antriebskraft gesehene Sexualität soll
sich jedoch innerhalb eines gottgewollten, die gesellschaftliche Struktur
schützenden, Rahmens entfalten.
Al Ghazzali sieht den präkoitalen Lustgewinn, der vor allem im
Interesse der Frau liege, als religiöse Pflicht. Weil die Lust der
Frau nach Zwischenstadien verlange, müsse sich der männliche
Gläubige bemühen, seine eigene Lust, die vor allem in der genitalen
Vereinigung befriedigt werde, den weiblichen Bedürfnissen unterzuordnen:
"Nachdem er selbst seine Lust gestillt hat, soll er warten, bis
auch die Frau ihre Lust gestillt hat, weil die Ejakulation der Frau
oft später erfolgt, während seine Lust noch glüht. Denn
das Zurückziehen des Mannes ist der Frau lästig und die natürliche
Ungleichzeitigkeit bis zum Samenerguß ist die Ursache für die
Abwendung, wenn der Mann zuerst den Samenerguß hat." - Doch muß
er ihr in dieser Hinsicht (der sexuellen Befriedigung) mehr oder weniger
gewähren, entspre-chend dem, was sie zu ihrer Bewahrung nötig
hat, denn ihre Bewahrung ist für ihn Pflicht» (zit. nach
Mernissi, 1987).
Der Zweck der "naturgewollten" Verschiedenartigkeit wird auch auf dieser
Ebene - der geschlechtsspezifischen - wieder klar ersichtlich: die menschliche
und religiöse Pflicht der beidseitigen Befriedigung gemäß
der Unterschiedlichkeit der Bedürfnisse. Das gewünschte Ergebnis
ist ein rücksichtsvolles, kommunikatives Miteinander, daß sich
erst aufgrund der gottgewollten Ungleichheit voll entfalten kann.
IV
DIE EIGENVERANTWORTLICHKEIT
Die menschliche Natur erhält ihren inneren Wert allein durch die
unermeßliche Güte Gottes,
"..denn der Mensch ist schwach erschaffen".
Qur'ran
Kulturen unterscheiden sich u.a. durch ihren Umgang mit Sanktionen.
Eine oft untersuchte Dimension ist der Grad der Internalisierung der Eigenverantwortlichkeit
bezüglich der Einhaltung von Richtlinien und Verboten.
Bei den internalisierenden Kulturen werden die Verhaltensrichtlinien
verinnerlicht, d.h., daß starke Anforderungen an die Moral und das
Gewissen des einzelnen gestellt werden. Externalisierende Kulturen
sorgen hingegen durch strenge Kontrolle der situativen Faktoren dafür,
daß gegen allgemein gültige Verhaltensnormen nur unter größten
Schwierigkeiten verstoßen werden kann.
Die islamischen Länder zählen zu den externalisierenden Kulturen.
Da der Mensch von Natur aus als "schwach" geschaffen gilt, die Frau jedoch
als "machtvoll in ihrer Sexualität, ihrer Verführungskraft,
also in der Lage, die gesellschaftliche - gottgewollte - Ordnung zu stürzen"
(Mernissi,
1987) und die Sexualität per se als positiv bewertet wird,
sorgt eine grundsätzliche Geschlechtertrennung im Alltag dafür,
daß ,moralische Verfehlungen' schlicht durch "Mangel an Gelegenheit"
verhindert werden können. Der Aufbau eines rigiden, überstrengen
(abendländischen?) Gewissens, das für "Selbstbeherrschung" sorgt,
ist in externalisierenden Kulturen daher nicht erforderlich.
Hieraus ergibt sich auch eine grundsätzlich andere Einstellung
zu dem, was als "Sünde" gilt: "Für den Moslem ist eine
Sünde eher eine Überschreitung eines rituellen Verbots, mehr
noch eine Rebellion gegen Allah durch Unglauben: es ist keine moralische
Verfehlung" (Bousquet, 1966).
Die starke soziale Kontrolle der externalisierenden Kulturen läßt
dem Einzelnen - nach westlicher Einschätzung - nur geringen persönlichen
Freiraum. Von den in diesem System Lebenden wird dies jedoch meist anders
empfunden, da innerhalb der eigenen gesellschaftlichen Nische" der Freiraum
um so größer ist und ja auch durch keinerlei schlechtes Gewissen"
belastet wird. (Für eine detailliertere Ausführung
aus ethnopsychologischer Sicht, siehe Ozelsel, 1990)
V
GESELLSCHAFTLICHE KONSEQUENZEN
Die oben kurz dargelegten Grundannahmen des islamischen Menschenbildes,
nämlich der Sinn der Unterschiedlichkeit, die systemische Sicht der
Gleichberechtigung, die Sexualität als positive, mächtige Kraft
im göttlichen Dienst und die auf der natürlichen menschlichen
Schwäche beruhende Externalisierung der Eigenverantwortlichkeit stehen
im Gegensatz zu traditionellen abendländischen Annahmen und führen
somit konsequenterweise auch zu anderen Lösungsversuchen transkulturell
gültiger Fragen des menschlichen Zusammenlebens.
Konsequenzen, die sich deduktiv hieraus ergeben, sind u.a. eine gewisse
Geschlechtertrennung im Alltag und kein Anstreben der Androgynität
und Autonomie des einzelnen. Beides sind aber erklärte Ziele der modernen
westlichen Gesellschaft.
Im aus islamischer Sicht angestrebten Idealfall des Zusammenlebens entsteht
eine Art "Kollektivwesen", d.h. eine Gruppe von Menschen wird praktisch
zu einem einzigen "kollektiven Lebewesen". Muhammad (s.a.) charakterisierte
die "Umma", d.h. die Gemeinschaft, "als einen Körper, der insgesamt
leidet, wenn ein Glied erkrankt ist». Dieses "kollektive Individuum"
schreibt seinen einzelnen (Mit-)Gliedern die unterschiedlichen Dimensionen
zu, die nach westlicher Sicht einen einzelnen Menschen ausmachen. Spezifische
Funktionen und Verhaltensweisen werden weniger durch persönliche Ideosynkrasien
als durch festgelegte soziale Rollen bestimmt. (Vgl. auch: Schiffauer,
1983)
Dieses angestrebte Ideal ist das Gegenteil dessen, was nach westlicher
Sicht eine gesunde, reife "Persönlichkeit" ausmacht, d.h., ein voll
individuiertes, möglichst autonom handelndes Einzelwesen. Aus rein
eurozentrischer, und somit - nicht nur im anthropologischen Sinne - unwissenschaftlicher
Perspektive betrachtet, also herausgelöst aus dem Gesarntkontext und
in Nichtbeachtung eines gänzlich anderen Menschenbildes, würde
diese Weltsicht für die Stellung der Frau im Islam dann den Tatbestand
der "Unterdrückung" ergeben.
VI
GLEICHHEIT IN DER UNGLEICHHEIT
Obwohl von Frauen im allgemeinen eine größere Zurückhaltung
in der Öffentlichkeit erwartet wird, gelten viele der "Anstandsgebote"
trotz der Betonung der gottgewollten Ungleichheit gleichermaßen für
Männer. Das ist im Westen weitgehend unbekannt. Deshalb sollen im
folgenden einige relevante Koranverse zitiert werden:
"Und sprich zu den gläubigen Frauen, daß
sie ihre Blicke zu Boden schlagen und ihre Keuschheit wahren sollen und
daß sie ihre Reize nicht zur Schau tragen sollen. -
Sprich zu den gläubigen Männern,
daß sie ihre Blicke zu Boden schlagen und ihre Keuschheit wahren
sollen. Das ist reiner für sie. Wahrlich, Allah ist recht wohl kundig
dessen, was sie tun."
24/32;24/31
Eine weitere Fehlannahme des Westens ist die oft vertretene Ansicht,
das islamische Paradies sei nur "für die Männer da". Auch hier
sollen einige Koranzitate für sich selbst sprechen:
"Allah hat den gläubigen Männern
und den gläubigen Frauen Gärten verheissen, die von Strömen
durchflossen werden, immerdar darin zu weilen, und herrliche Wohnstätten
in den Gärten der Ewigkeit. Allahs Wohlgefallen aber ist das Größte.
Das ist die höchste Glückseligkeit.
9/72
"Ihnen aufwarten werden Jünglinge, die
nicht altern und holdselige Mädchen mit großen herrlichen Augen."
56/18; 56/23
Wahrlich, die muslimischen Männer und
die muslimischen Frauen, die
gläubigen Männer und die gläubigen
Frauen, die gehorsamen Männer
und die gehorsamen Frauen, die wahrhaftigen
Männer und die wahr-
haftigen Frauen, die standhaften Männer
und die standhaften Frauen,
die demütigen Männer und die demütigen
Frauen, die Männer, die Al-
mosen geben, und die Frauen, die Almosen geben,
die Männer, die fa-
sten und dieFrauen, diefasten, dieMänner,
die ihre Keuschheit wahren,
und die Frauen, die ihre Keuschheit wahren,
die Männer, die Allahs
häuflg gedenken und die Frauen, die A
llahs häufig gedenken - A Ilah
hat ihnen Vergebung und herrlichen Lohn bereitet.
33/36
Die Gleichheit vor Gott, die der Koran betont, beginnt jedoch im wahrsten
Sinne des Wortes schon bei Adam und Eva (s. Zitat am Anfang des Artikels):
aus islamischer Sicht ist Eva keineswegs die Verführerin. Beide machen
sich in vollster Eigenverantwortlichkeit gleichermaßen schuldig und
beiden wird gleichermaßen von Gott vergeben.
VII
SOZIALE REFORMEN MUHAMMADS (S.a.) -
SCHUTZ
FÜR FRAUEN UND ANDERE BENACHTEILIGTE GRUPPEN
Wer von Euch 3 Töchter großzieht, sie sorgsam und sittlich
erzieht, dem ist das Paradies gewiß. Hadith
Die Zeit vor Muhammad (s.a.) wird als die "Cahiliyat", d.h. als die
"Zeit der Ignoranz", bezeichnet. Sie gilt als eine Periode extremer sozialer
Mißstände, einer Gesellschaft geprägt von Stammes- und
Klanszwistigkeiten, Blutfehden und Schutzlosigkeit der schwachen Randgruppen
der Gesellschaft. Ferner bestanden Lebensformen des Matriarchats und des
Patriarchats sowie verschiedene Mischformen nebeneinander (Farah, 1968).
Vor diesem historischen Kontext gesehen waren Muhammads (s.a.) Schutzmaßnahmen
für die Schwachen soziale Reformen von unerhörtem Ausmaß.
Besonders setzte er sich für die Rechte der Witwen, der Waisen, der
Frauen, der Armen, der Kriegsgefangenen und der Sklaven ein. (Bousquet,
1966, meinte leicht ironisch, eigentlich hätte der Prophet als "Champion
of women's rights» in die Geschichte eingehen müssen.)
Die Achtung vor den weiblichen Grundrechten war so grundlegend, daß
einer der wichtigsten Juristen des klassischen Islams, Abu Hanifa, anordnete,
in jeder Stadt eine Muslima als Richterin einzusetzen, und sie offiziell
mit der Aufgabe zu betrauen, über die Achtung der Rechte der Frauen
zu wachen (Pickthall, 1969).
Mißbräuche und Verfälschungen über die Stellung
der Frauen und der Sklaven kamen zuerst unter der Abassidenherrschaft auf.
Das luxushafte gesellschaftliche Treiben der damaligen Zeit in Bagdad ("1001
Nacht»), ein Produkt frisch konvertierter Muslime, brachte einen
Zerfall der Sitten mit sich (Boisard, 1982).
In der gleichen Epoche genoß die Frau im islamischen Umajaden
Kalifat in Spanien Achtung und Freiheit (Boisard, 1982): Sie nahm voll
und ganz am damaligen gesellschaftlichen und kulturellen Leben teil. Dr
Mann unterwarf sich der "Dame", um ihre Gunst zu erlangen. Es waren die
islamischen Dichter, die über Spanien den Christen Europas die Achtung
vor den Frauen und die ritterliche Liebe lehrten, die die Troubadouren
singend bis in das Herz des Westens hineintrugen."
Im Islam hat auch die Ehe eine andere Bedeutung als im Abendland.
Es ist eher ein rechtlicher Vertrag ("gegenseitige Versorgung, soziale
Ordnung, Regelung der gottgewollten Sexualität), keinesfalls ein heiliger,
endgültiger Bund" (Bousquet, 1966).
Zur Versorgung geschiedener und verwitweter Frauen wurde die Polygamie
gestattet. So konnten diese alleinstehenden Frauen unter dem Schutz eines
Ehemannes statt eines Verwandten stehen und wieder in die gesellschaftliche
Ordnung eingegliedert werden. Sie genossen das Ansehen der legitimen Ehefrau.
Die Tatsache, daß der Koran die Polygamie nach dem Desaster der Schlacht
von Uhud (der größten Niederlage des Propheten, bei dem so viele
Moslems getötet wurden) eingeführt hat, erhärtet diese Theorie"
(Mernissi, 1987).
Daß der Islam die Polygamie nicht als erstrebenswert per se ansieht,
läßt sich m.E. aus folgenden Koranversen schließen:
"heiratet, was euch an Frauen gut ansteht,
zwei, drei oder vier. Wenn ihr aber befürchtet, (so viele) nicht gerecht
zu (be)handlen, dann (nur) eine, oder was ihr (an Sklavinnen) besitzt".-
(4/3).
"Und ihr werdet die Frauen, (die ihr zu gleicher
Zeit als Ehefrauen habt) nicht (wirklich) gerecht behandlen können,
mögt ihr noch so sehr darauf aus sein." (4/129)
Interessanterweise wird in westlichen Abhandlungen meist nur der erste
dieser beiden, dasselbe Thema betreffenden, Verse dieser Sure zitiert.
Zu den gesetzlich verankerten, von Muhammad (s.a.) eingeleiteten Re-formen
gehören u.a.:
a) Rechte für Frauen:
Recht auf: Unterhalt, erfüllte Sexualität, Gleichbehandlung
unter den Ehefrauen, Stillgeld, Kindererziehungsgeld, persönliche
Aussteuer, Erschwerung der Scheidung-. "Scheidung ist ein schwerwiegendes
Ereignis, durch das der Thron Allahs erschüttert wird" (Hadith),
Alimentenzahlung im Fall der Scheidung, Scheidungsrecht, Gleichheit vor
dem Gesetz, Recht auf persönliches Eigentum, Erbrecht (Frauen erben
die Hälfte, da es Pflicht des Mannes ist, für Frauen zu sorgen,
während die Frau Recht auf eine unabhängige Führung ihrer
Güter hat), Recht, versorgt zu werden, Geburtenkontrolle auch ohne
Einwilligung des Mannes, Abtreibungsrecht innerhalb von 16 Wochen oder
später, falls Leben der Mutter gefährdet, Strafe bei Ehebruch
auch für den Mann, Weiterführung des eigenen Namens, Abschaffung
der den Mann begünstigenden Lust oder Hingabe Heirat, Bestrebungen
zur Abschaffung der weiblichen Beschneidung, etc.
b) Rechte für Sklaven:
Muhammad (s.a.) sagte:
"Die Sklaven sind Euresgleichen, die Allah Eurem Befehl anvertraut
hat."
Bestrebungen zur Abschaffung der Sklaverei, erschwerter Zugang zur
Sklaverei, Anreize oder Pflichten zur Freigabe, kein Tötungsrecht,
kein ,Ding' wie unter römischer Herrschaft, Verbot der Anrede Sklave,
sondern "Bruder" oder "Kind".
Obwohl Sklavinnen im Gegensatz zu freien Frauen nicht den Anspruch
auf sexuelle Befriedigung haben, wird den Besitzern doch nahegelegt, diese
zu befriedigen und sie hiermit vor der Sünde der "Zina" zu bewahren.
c) Rechte fürKinder:
Ehelichkeitsregelung der Kinder zur Verminderung der Vaterlosen, Schutzlosen,
Rechtlosen: als "eheliche Kinder" galten, je nach Rechtsschule, Kinder,
die 6 Monate, 2 Jahre oder 4 Jahre nach Verkehr mit dem Ehemann geboren
wurden (man könnte sich fragen, wer im frühen Islam die Rechte
der Männer schützte ... ), Geburtskontrolle als soziale Maßnahme
falls "Quantität über Qualität bei der Aufzucht".
d) Rechte für die Armen:
Zekat, d.h. Armensteuer, ist Pflicht, kein Almosen, sondern Anrecht
der Armen, ist Gabe von Gott für die Armen. (Muhammad (s.a.): "...
und gebt vom Besten"). Arme schulden Dank nur Gott, der Hungrige hat
das Recht, vom Tische des Reichen zu essen.
Der Rahmen dieses Artikels gestattet keine ausführliche Diskussion
der vielfältigen sozialen Reformen Muhammads (s.a.), so kann nur ein
Einblick gegeben werden. (Für eine detaillierte Ausführung ist
die Lektüre von Bousquet (1966), Mernissi (1987) und Boisard (1982)
zu empfehlen).
VIII
DAS BEISPIEL DES"EXEMPLARISCHEN MENSCHEN"
"Der ist der beste unter Euch, der seiner Frau am besten ist:"
Hadith
Wie weiter oben aufgeführt, gilt das Leben Muhammads (s.a.) als
exemplarisch. Insofern läßt die Art seines Umgangs mit Frauen
auf die Intention hinter dem schließen, was sich heute in vielen
islamischen Ländern als erstarrte Struktur zeigt.
Er selbst lebte den größten Teil seiner Jugend (vom 20.
bis zum 40. Lebensjahr) in monogamer Ehe mit der um 15 Jahre älteren,
angesehenen, selbständigen Handelsfrau Hatidscha, die übrigens
um ihn angehalten hatte. Erst nach ihrem Tode ging er dann polygame Ehen
ein, die teils aus politischen Bündniserwägungen geschlossen
wurden, der Versorgung der Witwen gefallener Kameraden dienten oder auch
Beispielfunktion für den Umgang mit Frauen hatten, die damals objekt-ähnlich
zur Kriegsbeute zählten. Vielfach hielten Frauen um ihn an, mehrere
Male wurde sogar er von Frauen verstoßen (Vgl. Mernissi, 1987; Morsy,
1989).
Ein bekannter Prophetenausspruch, der seine Hochachtung vor Frauen widerspiegelt,
lautet:
"Lieb wurden mir gemacht von Eurer Welt drei Dinge: die Frauen,
die Wohlgerüche und das Gebet als Augentrost".
Ibn al Arabi (13. Jh), einer der bekanntesten Theologen des Islam,
interpretiert diesen Ausspruch vor allem im Sinne der Göttlichkeit
der Frau: "Was nun den tieferen Sinn des Wortes 'Wohlgeruch' und seine
Stellung nach den Frauen betrifft, so ist dies darin begründet, daß
die Frauen die Düfte des Erschaffens an sich tragen "... (Die Frau)
ist eine nach Allahs Ebenbild erfolgte Schöpfung ... Die Anschauung
Allahs in der Frau ist aber vollkommener und vollständiger (als die
im Manne). Aus diesem Grunde liebte der Gesandte Allahs die Frauen, weil
nämlich seine Gottesanschauung in ihnen am vollständigsten war.
Denn niemals kann man Allah losgelöst von jeder sinnlichen Materie
erschauen... Der (göttliche) Geist ist für den unerkennbar, der
seiner Frau oder einem anderen Weibe nur insofern beiwohnt, als es sich
um die bloße Sinnenlust handelt, ohne zu wissen, an was für
einem Wesen (der vollkommensten irdischen Manifestation Allahs) er sich
ergötzt. Wüßte er, an wem er sich ergötzt, er wäre
denn ein vollkommener Mensch... Indem er in dem Wesen (Frau), in das er
sich versenkt hat, Allah erschaue, denn tatsächlich verhält es
sich ja gar nicht anders als eben so (S. 167 ffl).
Auch die beidseitige Fürsorglichkeit in der Sexualität, -
im Koran wie folgt ausgedrückt:
"Erlaubt ist Euch, in der Nacht des Fastens
zu Euren Frauen einzugehen. Sie sind Euch ein Gewand, und Ihr seid Ihnen
ein Gewand"
(2/188)
-, wird von Muhammad (s.a.) ausführlichst dargelegt:
"Der Mann soll kosende Worte und Küsse vorausschicken gemäß
dem Ausspruch des Hochgebenedeiten: Keiner komme mit seiner Frau zusammen,
um sich an ihr zu vergreifen, vielmehr soll zwischen ihnen ein Bote sein.'
Als man ihn fragte, was für einen Boten er meine, antwortete er: Küsse
und Worte." Der Prophet hat versichert, es sei ein Ausdruck von Charakterschwäche,
wenn ein Mann seiner Sklavin oder seiner Frau sich nähert und ihr
beiwohnt, ohne ihr Zärtlichkeiten zu sagen und sie zu liebkosen, so
daß er eher zum Orgasmus kommt als sie. (zit. nach Mernissi, 1987).
Interessanterweise werden die von mir oben zitierten Koranverse und
bekannten Prophetenaussprüche in der westlichen Literatur zur Stellung
der Frau im Islam so gut wie nie erwähnt.
Seine spätere Lieblingsfrau, Aisha, "die Vielgeliebte", gilt als
die einzige seiner Ehefrauen, die er als Jungfrau geheiratet hat. Sie war
bekannt für ihre Intelligenz, Bildung, Schlagfertigkeit, Redegewandtheit
und "Emanzipiertheit". U.a. kämpfte sie in Kriegen und Schlachten.
Der Traditionalist Zubeir sagte über sie: " ich kenne niemanden, der
in Theologie (der traditionelle Islam trennt in seinem Grundkonzept
der absoluten Einheit allen Seins (Tawhid, Vahdet al Vujud) nicht zwischen
Religion und Wissenschaft. Der Koran selbst empfiehlt naturwissenschaftliche
Forschung ("Die Zeichen liegen in der Natur"),
da hierdurch die zugrundeliegende Wahrheit (al Haqq, d.h. Gott) umso evidenter
wird), Medizin und Dichtung solche Kenntnisse besitzt wie Aisha".
Aisha zögerte nicht, Muhammad (s.a.) offen zu widersprechen, ebenso
anderen Männern. Der Prophet sagte, auf sie zeigend, zu einer Gruppe
von Männern: "Zur Hälfte könnt ihr Euren Glauben bei
der Roten dort lernen!" (Sein Kosename für seine junge Frau war
die kleine Rötliche"). Nach Muhammads (s.a.) Tod war Aisha in der
Politik eine Figur ersten Ranges, "Aisha, jene Frau, die ihresgleichen
weder unter den Frauen noch unter den Männern ihres Jahrhunderts findet,
und dies nach Aussagen ihrer eigenen Zeitgenossen", (Mernissi, 1989).
Auch Muhammads (s.a.) Frau Zeynep widersetzte sich ihm offen. Sie lehnte
z.B. Fleisch ab, das er ihr sandte. Seine Reaktion: "So gebt ihr die
doppelte Menge», (die sie auch ablehnte), (Boisard, 1982). Noch
heute sagt man in islamischen Ländern zu emanzipierten Frauen: "Du
bist eine Aisha oder Zeynep".
Als eigentliche "Feministin des Islam" gilt jedoch seine Frau Umm Salama,
"der
zur Frau gewordene Verstand". Der Prophet (s.a.) liebte die Diskussion
mit ihr, die sie dazu nutzte, beständig die Stellung der Frau in der
sich herausformenden neuen islamischen Gesellschaftsordnung zu präzisieren.
Die Interventionen, die sie nach dem Tode des Propheten (s.a.) zu Regierungszeiten
der ersten zwei Kalifen vornahm, dienten, bezeichnenderweise, dem Schutz
der Rechte der Frauen. Sie nutzte den hohen Status, den sie als eine der
"Mütter der Gläubigen" (Bezeichnung für die
Frauen Muharnmads (s.a.)) genoß, um den sich schon damals
abzeichnenden Tendenzen entgegenzuwirken, Frauen arn Zugang zu den Moscheen
und der Pilgerfahrt zu hindern (Morsy, 1989).
IX
DIE MUSLIMA ZU ZEITEN MUHAMMADS (S.a.) UND IN DER GESCHICHTE - IHR EINFLUSS
AUF DIE RELIGION
"Das Streben nach Wissen ist eine heilige Pflicht für jeden
Muslim, Mann und Frau." Hadith
Weiterhin wird die Stellung der Frau im Islam aus dem Studium der Frauen
in der islamischen Geschichte und zu Lebzeiten Muhammads (s.a.) erkennbar.
(Der Rahmen dieses Artikels gestattet nur einen kurzen Überblick.
Für eine detaillierte Analyse s. jedoch Krause, 1988; Morsy, 1989).
Obwohl es in der arabischen und in anderen Sprachen des islamischen
Kulturbereichs eine Fülle von Literatur über die Muslima gibt
(z.B. aus neuerer Zeit ein 5-bändiges Lexikon wichtiger Frauenpersönlichkeiten,
1977), ist außer einigen Ansätzen im deutschsprachigen Raum
so gut wie keine Literatur zu diesem Thema zu finden. Dies wird auf die
"Androzentriertheit der Wissenschaft" zurückgeführt, deren "Experten"
zu dieser Thematik meist Sprachwissenschaftler, selten Soziologen, Psychologen
oder Theologen sind (Krause, 1988).
Frauen spielten jedoch zu allen Zeiten wichtige Rollen im öffentlichen
Leben als Gelehrte, Wissenschaftlerinnen, Philosophinnen etc. Bevor sich
die rigorosere Geschlechtertrennung entwickelte, gab es auf dem Gebiet
der Wissenschaft regen Austausch und Zusammenarbeit von Mann und Frau.
Es war auch durchaus üblich, daß Ehepartner ihre intellektuellen
Interessen miteinander teilten. Bedeutende Wissenschaftlerinnen, die öffentlich
lehrten, gab es nachweislich bis ins 19. Jahrhundert (Krause, 1988).
Frauen zu Zeiten des Propheten beteten gemeinsam mit Männern, nahmen
an Schlachten teil, (sowohl im Kampf als auch zur Pflege der Verwundeten,
in der Versorgung und bei Verhandlungen. Salama, eine Ehefrau des Propheten,
spielte z.B. eine wichtige Rolle beim Vertragsabschluß von Hudaibiya),
und waren anerkannte Expertinnen in Rechtsfragen. Zeyneb, Enkelin von Muhammad
(s.a.), hatte den Beinamen: "Stellvertreterin des Imam" und galt
als Autorität in Rechtsfragen. Sie war bei der Tragödie von Kerbela
dabei, wurde gefangen genommen und hielt vor dem Gouverneur von Kufa eine
bis heute überlieferte Rede, in der sie ihm sein grausames Verhalten
vorwarf. In einer weiteren Rede vor dem Herrscher selbst gelang es ihr,
die öffentliche Meinung soweit für sich zu gewinnen, daß
Yazid (Ummayyadenkalif) sich schließlich gezwungen sah, die Gefangenen
freizulassen. Eine Frau des Propheten, Hafsa, hatte nach dessen Tod das
Manuskript des Qur'an, nach dem bis heute alle Exemplare gedruckt werden,
in ihrer Obhut (Krause, 1988).
Das öffentliche Wirken muslimischer Frauen zu Zeiten des Propheten
(s.a.) ist jedoch nur eine Facette einer weitaus größeren Wirklichkeit:
sie spielten eine maßgebliche Rolle bei der Ausformung der islamischen
Lebensweise. Teils wurden Offenbarungen der Suren und Verse des Qur'ans
aufgrund von Geschehnissen mit und um die Ehefrauen des Propheten (s.a.)
empfangen, immer wurden Offenbarungen in der Interaktion mit (Ehe-) Frauen
vorgelebt und damit exemplarisch verdeutlicht. Einige Offenbarungen richten
sich sogar explizit an die Frauen des Propheten (s.a.) und damit - in Vorbildfunktion
- an alle Frauen, deren "Mütter" diese ja sind (z.B. 33/31-35).
z.B. Aishas berühmt-berüchtigte Angelegenheit
des Halsbands». Die sie rehabilitierende Offenbarung (24/14) wurde
zur Grundlage juristischer Entscheidungen in bezug auf die Notwendigkeit
von unwiderlegbaren, vertrauenswür-digen Zeugenaussagen. Ebenso 33/5-6,
die im Zusammenhang mit Muham-mads (s.a.) Eheschließung mit Zeyneb,
der geschiedenen Frau seines Adoptivsohns, offenbart worden war. Hieraus
wurden die juristischen Richtlinien für Adoptionen abgeleitet (Morsy,
1989).
Das feminine Element ist im Islam auf schöpferischer sowie weltlicher
Ebene von grundlegender Bedeutung:
Erstere Dimension zeigt sich beispielsweise aufgrund etymologischer
Überlegungen aus frühislamischer Zeit (Interessant
ist hier ein anderer - diesmal abendländischer - etymologischer Zusammenhang:
"Hyster"
- der Mutterleib und "Hysterie"), die sich durch die Sunna (d.h.
Überlieferung, Lebensführung) des Propheten (s.a.) belegen lassen:
das den Islam charakterisierende Prinzip der Barmherzigkeit
"rahma"
und das Wort für Mutterleib, Verwandschaft "rahim" sind
beide von der gleichen Wurzel "r-h-m" abgeleitet. Hierzu
führt der bis heute anerkannte Gelehrte und Koranexeget ar-Ragib al-Isfahani
(gest. 1100, zit. nach Falaturi, 1992) eine Aussage des Propheten (s.a.)
an:
"Als Gott rahim, den Mutterleib, schuf, sagte er zu ihm: ich bin
ar-Rahman (der Barmherzige), und du bist rahim. ich habe deinen Namen von
meinem Namen abgeleitet, und wer sich um dich kümmert, um den werde
auch ich mich kümmern, und wer dich vernachlässigt, wird von
mir vernachlässigt." -
Falaturi (1992) weist darauf hin, daß dies der Frau/Mutter (Es
ist eines der weitverbreiteten Fehlurteile, daß der Islam Frauen
- wenn überhaupt - nur in der Rolle der Mutter anerkennt. Viele der
bekanntesten Frauen der islamischen Geschichte waren kinderlos. Dies war
auch bei Aisha, "der Vielgeliebten», der Fall. In frühester
Jugend kinderlos verwitwet blieb sie für den Rest ihres langen Lebens
unverheiratet und zeichnete sich fortan durch ihr politisches Engagement
aus - welches keineswegs nur Debatten sondern sogar das Führen von
Schlachten mitbeinhaltete. Sie war, selbst nach heutigem Maßstab,
nicht nur eine emanzipierte», ausgesprochen couragierte Frau, sondern
eine herausragende Persönlichkeit - ohne den Rückhalt eines Ehemannes
oder der traditionellen Absicherung als Mutter) eine
Sonderstellung einräumt-.
Von daher ist es verständlich, wenn sich die Verfechter der islamischen
Rechte der Frauen, bzw. die Verteidiger der Frauenrechte den Männern
gegenüber, auf diesen sprachlichen Zusammenhang zwischen den Namen
Gottes, Rahman und Rahim und der rahim als Bezeichnung des Mutterleibes,
als Urstätte des menschlichen Lebens, beziehen. Sie sehen darin eine
gewisse existentielle Vorrangigkeit ( Vgl. auch Ibn
Arabis Ausführungen (weiter oben) zu der Sonderstellung der Frau in
der Schöpfung.) der Frauen gegenüber den Männern,
wie auch deren stärkere Verbundenheit mit einigen der wichtigsten
Eigenschaften Gottes, nämlich Güte, Barmherzigkeit und Wohltätigkeit
(Hervorhebungen im Original).
Bezeichnend ist auch, daß der Koran in dem bekannten "Vers der
Wahl" (33/29-30) den islamischen Grundsatz absolut freier Entscheidung
und Selbstverantwortlichkeit in religiösen Angelegenheiten gerade
am Beispiel der Frauen verdeutlicht und sie somit explizit vor den zu der
Zeit der "Cahiliyat" üblichen Unterdrückungen schützt:
. (Wieder sei daran erinnert, daß der Islam als nicht-
laizistisches System "religiöse Angelegenheiten" nicht als eine separate
Kategorie sondern als allen anderen Bereichen zugrundeliegend und als diese
durchdringend versteht: Das ganze Leben ist mit Religion durchtränkt,
und wie es keine lyennung zwischen staatlicher und religiöser Instanz
gibt, so gibt es im Grunde auch keine profa-nen Handlungen -Jedes Werk
soll "im Namen Gottes" anfangen und in Verantwortung vor Gott ausgeführt
werden» (Schimmel, 1982).
"0 Prophet! Sprich zu deinen Frauen:, Wenn
ihr das Leben in dieser Welt begehrt
und seinen Schmuck, so kommt, ich will euch
eine Gabe reichen und euch dann entlassen auf geziemende Weise.
Doch wenn ihr Allah begehrt und Seinen Gesandten
und die Wohnstatt im Jenseits, dann, fürwahr, hat Allah für die
unter euch, die Gutes tun, einen herrlichen Lohn bereitet"
Die "weltliche Dimension" der weiblichen Präsenz drückt sich
u.a. durch die bei der Zusammenstellung der Ahadith angewandte Methodik
aus. Diese außerqur'anischen Aussprüche des Propheten (s.a.)
sind von gar nicht zu überschätzender Wichtigkeit für die
gelebte Religion des Islam. Wie schon weiter oben ausgeführt, werden
die Offenbarungen erst verständlich durch deren lebendige Verkörperung,
d.h., durch die tatsächliche Lebensführung des "exemplarischen
Menschen", Muhammad (s.a.). Bei der Zusammenstellung dieser Hadith Sammlungen
wurde entsprechend sorgfältig vorgegangen. (Die Bemühungen
schon zur Frühzeit des Islam, authentische überlieferun-gen von
nicht-authentischen zu unterscheiden sind zugleich ein Beispiel für
das rigoros-wissenschaftliche Vorgehen, welches - einmalig für die
damalige Zeit - die arabisch- islamische Kultur eine Blütezeit erleben
ließ, die sich wis-senschaftlich und kulturell auch heute noch im
Abendland auswirkt.)
Ausschlaggebend war u.a. die Vertrauenswürdigkeit der Person, die
einen solchen Prophetenausspruch erinnerte. Hier haben die Muhammad (s.a.)
so nahestehenden Frauen, insbesondere die "Intellektuellen", Aisha und
Umm Salama, wieder eine Vorrangstellung. Wenn beide identische Aussagen
machten, galt dies geradezu als Garant der Authentizität. Diese Beratungen
der Gemeinde mit den Frauen des Propheten (s.a.) gelten als der Ursprung
der für den Islam so wichtigen Praktiken des Ijtihad, d.h. der freien
Forschung in Qur'oran und Tradition zum Zweck der Rechtsfindung und der
Ijma, d.h. dem Konsens der Gemeinde bzw. der Rechtsgelehrten (Morsy, 1989).
Ferner war Aisha, also eine Frau, auch das einzige menschliche Wesen
außer dem Propheten (s.a.), in dessen Gegenwart göttliche Offenbarungen
stattfanden: ("Als er und ich unter einer Decke lagen", zit. nach
Morsy, 1989) (Ihre Wohnräume hatten einen direkten Zugang
zur Moschee. Der Prophet (s.a.) überquerte ständig die Schwelle
ihres Schlafgemachs, um sich an den Ort des Gebets zu begeben und es scheint,
daß das weibliche Element niemals die geringste Barriere zwischen
dem Mann und seiner Beziehung zu Gott darstellte", (Morsy, 1989).
Insofern spielte sie nach seinem Tod eine Hauptrolle bei der so wichtigen
Festlegung der zeitlichen und situativen Kontexte verschiedener qur'anischer
Offenbarungen. ihr Beitrag zum Islam als
Religionswissenschaft ist so entscheidend, daß der Gelehrte des
14. Jahrhunderts, Zarkachi, ein ganzes Buch darüber verfaßte:
"AI-Iiraad
fima as- stadrakathu Aicha'ani as Sahaba" (Mernissi, 1989).
X
DIE MUSLIMA HEUTE
"Die westliche Frau hat um ihre Rechte kämpfen müssen.
Die Muslima hat diese Rechte schon immer gehabt. Sie muß dafür
kämpfen, daß diese auch zum Einsatz kommen." Anonym
Die Realitäten islamischer Länder zeigen zumeist eine große
Diskrepanz zwischen Ideologie und Praxis. (Die Diskrepanz
zwischen Ideologie und Praxis ist einallgemein verbreitetes Phänomen
und insofern nicht spezifisch islarnisch. Dennoch gehen aufgrund dieser
Diskrepanz viele Muslime davon aus, daß es heute kein islamisches
Land» gibt, da in keinem Land tatsächlich konsequent nach islamischen
Grundsätzen gelebt wird.)
Wo sind die Nachfolgerinnen der vielen beispielhaften Frauengestalten,
die öffentlich im vollen Licht der Geschichte wirkten und deren Leistungen
von ihren - oft männlichen - Zeitgenossen metikulös aufgezeichnet
worden sind? Teils da, wo sie, zumindest aus westlicher Sicht, keiner vermutet:
in den sogenannten "fundamentalistischen" Bewegungen. fundamentalistisch
jedoch im Sinne einer Rückkehr zu den Fundamenten des Islam, d.h.
zu den ihnen durch Qur'ran und Sunna zugestandenen Rechten.
Die tatkräftigen "Aishas und Zeynebs" von heute begehen keineswegs
eine nostalgische Flucht in die Vergangenheit, sondern bemühen sich
um eine Veränderung der Gegenwart durch das Wissen über die Vergangenheit
für die Gestaltung der Zukunft. Es geht bei dem neuen Herangehen an
die Quellen, wie Hofmann (1992) so treffend formuliert, "keineswegs
um eine Anpassung des Qur'ans an den Zeitgeist, sondern umgekehrt um die
Wiedergewinnung der von ihm gewährten Flexibilität zur Lösung
aktueller Probleme."
Es scheint verständlich, daß sich Muslimas heute im Sinne
der ihnen traditionell zustehenden absoluten Eigenverantwortlichkeit des
Handelns und dem Grundsatz, daß in der Religion kein Zwang herrschen,
gegen einen "Verhüllungszwang" wehren.
"Und hätte dein Herr Seinen Willen erzwungen,
wahrlich, alle, die auf der Erde sind, würden geglaubt haben insgesamt.
Willst du also die Menschen dazu zwingen, daß sie Gläubige werden?"
(10/100)
Auf Unglauben und Abwehr stößt im Westen jedoch die
Tatsache, daß es ebenso Muslimas gibt, die im Sinne ihrer Emanzipation
um das Recht sich zu verhüllen kämpfen, Frauen, die nicht hinnehmen
wollen, daß ihnen beispielsweise die Türkei - und das im Namen
einer laizistischen Demokratie - den Zugang zu den Hochschulen verweigert
sofern sie Kopftuch tragen ("Türban Kavgasi"), (vgl. auch die Ergebnisse
einer empirischen Untersuchung an traditionell gekleideten Türkinnen
in der BRD, Özelsel, 1986). (" Eine Verschleierung"
im Sinne eines Gesichtsschleiers ist selbst aus orthodox-islamischer Sicht
nicht erforderlich. Hierbei handelt es sich um regionale Praktiken, die
teils noch auf vorislamische Bräuche zurückgehen. in der Türkei
beispielsweise sind Kopftücher verschiedener Größen und
Bindungsarten die üblichste Form, Koranvers 33/60 zu entsprechen:
"0
Prophetl Sprich zu deinen Frauen und deinen Töchtern und zu den Frauen
der Gläubigen, sie sollen ihre Tücher tief über sich ziehen.
Das ist besser, damit sie erkannt und nicht belä-stigt werden. Und
Allah ist allverzeihend, barmherzig.")
Die in den westlichen Medien hauptsächlich zur Sprache kommenden-
und hierdurch unser Bild färbenden - Muslimas sind Frauen aus islamischen
Ursprungsländern, die für sich jedoch eine westlich-abendländische
Lebensweise gewählt haben. Ihre von den Massenmedien verbreiteten
persönlichen Gründe für diese Wahl weisen sie dann hierzulande
als "intelligente, emanzipierte" Frauen aus, die sich von den "rückständigen"
Annahmen ihrer Herkunftsländer befreit haben. (Bekannte Beispiele
für solche "ExpertInnen", die besonders gern herangezogen werden,
wenn die "Entwicklungsfähigkeit des Islam und die Notwendigkeit, ihn
zu modernisieren» diskutiert werden sind laut Pinn/Wehner (1992)
Fatima Mernissi 15 und Bassam Tibi. ( Man beachte Mernissis
(1989)Definition, die sie weitest vom Selbstverständnis praktizierender
Muslime entfernt: "Es ist an der Zeit, zu definieren, was ich unter "wir
Muslime" verstehe. Das "Wir" bezieht sich nicht auf den Islam als einer
individuellen Wahl einer persönlichen Entscheidung. Ich definiere
die Tatsache Muslim zu sein, als Zugehörigkeit zu einem theokratischen
Staat. Was der einzelne denkt, spielt in dieser Definition eine zweitrangige
Rolle.)
Pinn et. al. (1992) weisen in einem Übersichtsartikel zum Bild
der islamischen Frau in den westlichen Medien auf viele der Mechanismen
hin, die uns den Blick auf die emanzipierten Frauen verstellen, die ihre
Emanzipation nicht in einer Übernahme westlicher Wertvorstellungen
sondern in einer Bereinigung der Interpretation qur'anischer Prinzipien
sehen. Aber auch in den sich um ein westliches Image bemühenden Medien
islamischer Länder geschieht ähnliches. Eine Referentin hatte
im Mai 1992 ihren Vortrag auf einem wissenschaftlichen Kongress an einer
türkischen Universität mit Kopftuch gehalten. Sie saß später
in der ersten Reihe, nur wenige Plätze von dem Ehrengast, Rauf Denktas,
entfernt.
Das berichterstattende Fernsehteam filmte den zyprischen Präsidenten
wiederholt. Den abends die so entstandene TV-Reportage gemeinsam betrachtenden
Kongressteilnehmern fiel die als einzige traditionell gekleidete Referentin
durch Abwesenheit auf: die Kameras blendeten jeweils aus, wenn sie ins
Gesichtsfeld gekommen wäre. Eine kopftuchtragende Wissenschaftlerin
entspricht nicht dem Bild, das man hinsichtich des "Türban Kavgasis"
der Öffentlichkeit zeigen möchte.
Aber nicht nur die Massenmedien färben unsere Realitätswahrnehmung.
Wissenschaft ist - aus gutem Grund - konservativ. Insofern haben Artikel,
die über unerwartete (unerwünschte?) Untersuchungsergebnisse
berichten, eine geringere Chance, in den renomierteren, -und d.h. auch
konservativeren - Journalen abgedruckt zu werden, Das führt dazu,
daß auch die Wissenschaft keineswegs so neutral ist wie wir es gerne
hätten. Auch hier herrscht die Tendenz, das schon Vertraute, Erwartete,
erneut zu bestätigen.
Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt setzen sich nicht
nur in islamischen Ländern sondern zunehmend auch in Deutschland Muslimas
für ihr Recht ein, ihre Religion so traditionell zu praktizieren,
wie sie sie selbst verstehen. Für sie geht es um soviel mehr als um
die in der Öffentlichkeit überstrapazierte "Schleierfrage". Wie
schon ihre Vorgängerinnen zur Frühzeit des Islams beschränken
auch sie sich keineswegs auf Frauen- und Kinderfragen, sondern erachten
das gesamte Spektrum des Weltgeschehens als ihr (Mit-)Anliegen.
Bezeichnend ist beispielsweise die Selbstdarstellung der DIF, d.h.
der .Interessengemeinschaft Deutschsprachiger Islamischer Frauen. Sie beginnt
mit einer Beschreibung des Betätigungsfelds, in der Aktivitäten
wie soziales Engagement, interreligiöser Dialog und wissenschaftlich
betriebene islamische Frauenforschung in einen erweiterten Rahmen gestellt
werden: globale Probleme wie Kriege mit einher-gehender Flüchtlingswelle,
die Beziehungen von Industrienationen und Drittweltländern, die Verschuldung
der Drittweltländer, das Nord-Süd Gefälle, die Auswirkungen
multinationaler Unternehmen, neue Feindbilder, Ausländergesetze und
Rassismus sollen einen konkreten islamischen Beitrag erfahren.
"Die Muslime müssen mehr als bisher unter Wahrung ihrer islamischen
Identität Angebote zum gemeinsamen Handeln sowohl annehmen als auch
vorstellen. - Die DIF hat es sich zur Aufgabe gemacht, einen institutionellen
Rahmen zu schaffen, in dem diese Ziele angegangen werden können."
(Für die aktuelle Information zur DIF danke ich Frau
Amina Erbakan.)
Im Sinne des nationen- übergreifenden Prinzips der "Umma" (islamische
Gemeinschaft) werden auch Verbindungen zu anderen Frauenorganisationen
- islamischen sowie nicht- islamischen - im In-und Ausland angestrebt.
Hier gewinnen die Organisationen in den afrikanischen Ländern zunehmend
an Bedeutung und gelten, wie z.B. die in Nigeria, als hervorragend. Auch
die Frauen der "Black Moslems" Amerikas haben erstaunliche Erfolge zu verzeichnen:
mehr als jeder anderen, ähnlich betroffenen Gruppe in den USA ist
es ihnen gelungen, den circulus viciosus von "Armut - Teenage Schwangerschaften
- verstärkter Armut" zu durchbrechen.
XI FAZIT
"Die deutschen Frauen tun mir leid. Entweder werden sie von ihren
Männern offen als Lustobjekte dargestellt, um 'Frau' sein zu können,
oder sie glauben, sich wie Männer kleiden zu müssen, um im Beruf
etwas zu gelten. Sie sind zerrissen, nie können sie einfach SEIN was
sie von Natur aus sind."
Irakische Studentin in der BRD
Das Beispiel der Frauen aus der Frühzeit des Islam ist, laut Morsy
(1989) keineswegs nur ein Echo, das aus längstvergangener Zeit zu
uns kommt, sondern, ganz im Gegenteil, eine äußerst aktuelle
Botschaft.
"Diese Frauen, 'die Mütter der Gläubigen', erinnern sie
uns nicht daran, daß eine progressive und gerechte Gesellschaft sich
dafür einsetzt, daß die Frauen, in ihrer Würde bestätigt,
den Platz einnehmen können, den ihre Religion (das Gesetz) ihnen zugesteht?"
Aus islamischer Sicht müßte dieses Bemühen jedoch nicht
notwendigerweise von Frauen alleine geleistet werden: als "Zwillingsgeschöpfe
Gottes" sind die Geschlechter schließlich in gegenseitiger, liebevoller
Ergänzung aufeinander angewiesen. Mann und Frau sind kein Ausdruck
einer nebeneinander bestehenden Dualität, sondern sich gegenseitig
definierende Polaritäten eines Kontinuums. Eine islamische Lebensweise
- erklärtes Ziel aller praktizierenden Muslime - ist auch Männern
nur in einem System möglich, daß insgesamt islamisch ist und
daher den Frauen ihre (aus dieser Sicht gottgegebenen) Rechte zugesteht
und schützt. Welche Form die sog. "Re-Islamisierungs"-Bewegung von
heute den islamischen Ländern morgen geben wird, hängt zu einem
nicht unerheblichen Teil von der Frauenfrage ab - und das auf jedem Sektor.
Keine Nation kann es sich auf Dauer leisten, die Hälfte des eigenen
Potentials zu verschenken. Nur die Länder, die das vom Propheten (s.a.)
vorgelebte kommunikative Miteinander einer "Gleichheit in der Ungleichheit"
verwirklichen, können im Sinne von Qur'an und Sunna auch wahrhaft
islamisch sein.
Trotz dieser theoretisch gesehen gemeinsamen Aufgabe werden in der
Praxis wohl die Frauen die Hauptarbeit zu leisten haben. Hierzu gibt es
Analoga aus den Bürgerrechtsbewegungen der hispanischen Minoritäten
Nordamerikas: Hier liegt die große humanistische und geschichtliche
Aufgabe der Unterdrückten: "die Befreiung ihrer selbst und die
ihrer Unterdrücker. Diejenigen, die aufgrund ihrer Machtposition unterdrücken,
ausbeuten und verletzen, haben eben dieser Macht wegen nicht die Kraft,
weder die Unterdrückten noch sich selbst aus dieser Lage zu befreien.
Einzig die Kraft, die aus der Hilflosigkeit der Rechtlosen wiedergeboren
wird, wird stark genug sein, beide zu befreien" (Freire, 1975).
Diese Aussage steht in vollem Einklang mit der islamischen Grundprämisse
der gegenseitigen Abhängigkeit und der Notwendigkeit systemischer
Ergänzung.
Hier könnten Brücken geschlagen werden zwischen so ungewöhnlichen
Weggenossen wie Ferninistinnen, "fundamentalistischen" Muslimas und Frauen
aus islamischen Ursprungsländern, die sich westlich orientieren möchten.
Sind sich doch alle einig in der Forderung nach Selbstverfügung und
Entscheidungsfreiheit. Gerade von Menschen, die um ihre persönliche
Selbstbestimmtheit kämpfen, sollte zu erwarten sein, die aufgrund
von unterschiedlichen Weltbildern notwendigerweise auch unterschiedlichen
konkreten Inhalte solch einer Selbstverfügung akzeptieren zu können:
"Die Meinungsuerschieden-heit in meiner Gemeinde ist ein Zeichen
göttlicher Barmherzigkeit"
(Hadith).
Sicherlich können Lösungen für einen auf Gleichwertigkeit
basierenden Umgang unter den Geschlechtern, die unterschiedliche Menschenbilder
respektieren, nicht kurzfristig gefunden werden. Dennoch kann ein essentieller
erster Schritt im Dialog von Orient und Ok-zident bestehen. Unterschiedliche
Sichtweisen des Menschen im Morgen- und Abendland haben auch unterschiedliche
Aspekte des gesamt-menschlichen Potentials gefördert. Vielleicht kann
eine Ge-
genüberstellung dieser Perspektiven neue Richtungen für alle
Beteiligten aufzeigen. Es könnte dann gemeinsam untersucht werden,
wie die effektiv bestehenden Benachteiligungen von Frauen - keines-
wegs nur in islamischen Ländern - ausgeglichen werden könnten.
Ein Dialog kann aber nur stattfinden, wenn alle Gesprächspartner
sich ohne defensive Abwehrhaltung auf das Thema einlassen können.
Ich glaube, daß schon dieser Einblicksartikelm zeigt, daß die
Mißstände des Frauendaseins, die in islamischen Ländern
herrschen, nicht auf der Religion beruhen;
Muhammad (s.a.) war ein leidenschaftlicher Vertreter der Rechte der
Frauen, und die andersartige morgenländische Sicht der Natur des Menschen
führt konsequenterweise auch zu andersartigen Formen des Miteinanders.
Erst wenn diese Prämissen (d.h., der Islam als zwar "andersartig"
aber keineswegs prinzipiell als die Frauen unterdrücken wollend) als
Basis akzeptiert werden können, also aus islamischer Sicht nicht mehr
die leidige Notwendigkeit bestünde, zunächst den Glauben per
se zu verteidigen, können sich rn.E. auch östlich/westlich kooperative
Möglichkeiten für die notwendigen Dialoge, soziologischen Analysen
und Aktivitäten erschließen.
"Wir alle suchen den Gipfel des heiligen Berges, aber wäre unser
Weg nicht kürzer, wenn wir die Vergangenheit für eine Karte und
nicht für einen Führer hielten?"
Khalil Gibran
Literaturangaben
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