Univ. Prof. Dr. Richard POTZ
Vorstand des Instituts für Recht und Religion d. UNI WIEN

Bericht über ein interdisziplinäres Projekt an der Universität Wien
„Islam in Österreich“


Zunächst möchte ich mich sehr herzlich für die Einladung bedanken, bei diesem Symposium einige Worte zu sprechen, und mich in den Chor der Gratulanten einreihen in der Überzeugung, daß mit der Errichtung dieser Akademie ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung getan wurde.

Erlauben Sie mir, diese Gelegenheit zu benützen, Ihnen ein gemeinsam mit Herrn Kollegen Heinrich vom Institut für Politikwissenschaften entwickeltes Projekt vorzustellen, an dessen Planung auch Herr Dr. Moussa beteiligt war und das dieser Tage vom Bundesminister für Wissenschaft und Verkehr genehmigt wurde.
Dieses Projekt ist zunächst auf zwei Jahre angelegt. In einem ersten Arbeitsschritt soll eine Aufstellung all jener universitären und außeruniversitären Institutionen erfolgen, die sich mit dem Themenkreis „Islam“ befassen und die in weiterer Folge auch an einer interdisziplinären Kooperation interessiert sind.

Im Zusammenhang damit wird eine Sichtung der bereits abgeschlossenen und noch laufenden wissenschaftlichen Arbeiten erfolgen. Die Dokumentation der Themen soll Aufschlüsse darüber geben, ob hier bestimmte Interessensschwerpunkte feststellbar sind. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf jenen Arbeiten, die sich für einen interdisziplinären Ansatz eignen.
Das mittelfristige Ziel wird es dann sein, in Kooperation aller Universitäts-Institute, die sich mit Fragen des Islam befassen, eine Plattform für die interfakultäre Zusammenarbeit im Bereich von „Islamstudien“ an der Universität Wien zu schaffen.

Die Vorteile einer solchen „Plattform“ wären neben dem reinen Wissensaustausch, auch die interdisziplinäre Diskussion der jeweiligen Forschungsergebnisse und die Möglichkeit für interessierte Studenten unterschiedlicher Studienrichtungen eine komprimierte Einführung in den Islam anbieten zu können. Weiters könnte eine solche Einrichtung empirisches Material bereitstellen bzw österreichrelevante Themenschwer-punkte herausarbeiten.

Österreichrelevanz bedeutet in diesem Zusammenhang vor allem auch, die besonderen rechtlichen Rahmenbedingungen der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich im Auge zu behalten. Aus religionsrechtlicher Sicht darf nicht übersehen werden, daß in Österreich aufgrund der bis in die Monarchie zurückreichenden Anerkennungspolitik eine eigenständige Tradition für eine islamische Gemeinde vorhanden war. Auch nach dem Zustrom von Muslimen seit den 70er Jahren fungierte die Islamische Glaubens-gemeinschaft auf der Rechtsgrundlage der Anerkennung als eine Art Dachorganisation, der grundsätzlich alle Anhänger des Islams, dh. sowohl die Anhänger der vier sunnitischen Rechtsschulen als auch der Zwölfer-Schiiten, Zaiditen und Ibaditen angehören.

Da – als ein Spezifikum des österreichischen Religionsrechtes – mit der Anerkennung als Religionsgesellschaft die öffentlich-rechtliche Stellung und die Erteilung von Religionsunterricht an öffentlichen Schulen verknüpft ist, wird die islamische Glaubensgemeinschaft als Dachorganisation vor allem im Bereich von Öffentlichkeitsarbeit und Religionsunterricht aktiv.
Auf diese Weise erweitert das österreichische Rechtssystem die Optionen für das Verhältnis der Muslime zur österreichischen Mehrheitsbevölkerung vor allem für die zweite und dritte Generation in eine Richtung, die sowohl die Nachteile einer Assimilation als auch der Segmentierung vermeidet.

Assimilation hat in der französischen Tradition das republikanische Ziel einer strikt egalitären Bürgerschaft ohne Ressentiments und Diskriminierung im Auge. Nicht die Gruppe steht im Blickfeld, sondern der einzelne und seine Emanzipation. Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe mit ihren kulturellen und religiösen Spezifika wird grundsätzlich nicht releviert. Damit besteht jedoch für das einzelne Individuum die Gefahr unter Druck zu geraten die religiös-kulturelle Identität aufzugeben.

Die Segmentierung entspricht dem kommunitaristischen Konzept. Hier kommt es zu einer Einfügung der Minderheit als ein relativ unverbundenes gesellschaftliches Segment. Das Ziel ist ein konfliktfreies Nebeneinander, bei maximaler Aufrechterhaltung der kulturellen Identität. Die Schwächen dieses Systems einer meines Erachtens schlecht verstandenen Multikulturalität liegen darin, daß die Ausgrenzung der Minderheit gleichsam perpetuiert wird, daß es zur Ghetto-Bildung kommt und damit zur Desintegration des öffentlichen Raumes beigetragen wird. Man muß sich auch klar sein, daß die mit diesem Konzept verbundene weitgehende Akzeptanz des Familienrechtes oder des Bildungssystems tendentiell die Chancengleichheit für Angehörige der Minderheit herabsetzt.

Das dritte Modell der Integration steht zwischen den beiden anderen. Das Ziel dieses Modells ist die religiös-kulturelle Emanzipation und Integration in den öffentlichen Diskurs. Die Teilnahme an diesem Diskurs verlangt selbstverständlich ein gewisses Maß an Akzeptanz jener fundamentalen Grundsätze der Moderne, wie sie sich im demokratischen Rechtsstaat als unumgänglich notwendig erwiesen haben um das Zusammenleben in einem unwiderruflich pluralistisch gewordenen System zu ermöglichen.

Diese Überlegungen lassen sich am Beispiel der Islamisch-Pädagogischen Akademie sehr schön verdeutlichen, deren Errichtung den Anlaß für dieses Symposium darstellt.

Gerade im schulischen Bereich besteht eine große Chance den Kindern nicht nur ihre eigene Religion näherzubringen, sondern bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt in ihrem Leben den Dialog mit anderen Religionen und Anschauungen zu fördern. Voraussetzung für eine derartige  Auseinandersetzung ist in jedem Fall ein informativer und offener Umgang miteinander, der auch konstruktive Kritik und persönliche Meinungsäußerung zuläßt. Daß dies gerade auch auf der Basis der eigenen religiösen Tradition möglich und gefordert ist, gilt es den Schülern im Religionsunterricht zu vermitteln. Die Voraussetzungen für einen derartigen Religionsunterricht ist eine qualitativ entsprechende Ausbildung der Religionslehrer.

Seit der Einrichtung eines islamischen Religionsunterrichtes an den öffentlichen Schulen Österreichs gibt es trotz prinzipiell positiver Erfahrungen das virulente Problem, daß unzureichend oder falsch ausgebildete, weil mit dem Leben in dieser Gesellschaft nicht ausreichend vertraute Instruktorinnen und Instruktoren auf bereits in Österreich aufgewachsene 2. und 3. Generationen stoßen, die ihrerseits nicht oder nur teilweise mit dem Islam im sozialen Kontext der Heimat ihrer Eltern und Großeltern vertraut ist. Es besteht daher die Gefahr, daß sie bei ihrer Entwicklung als muslimische Bürgerinnen und Bürger in Österreich, die diesen Staat in Zukunft mitzugestalten haben, in eine Identitätskrise geraten, die ihnen diesen Weg wenn nicht sogar verbaut, so doch mindestens erschwert.

Es ist meine Überzeugung, daß der durch diese Akademie geschaffene institutionelle Rahmen nicht nur für die Bewältigung dieses Problems entscheidend sein wird, sondern daß die Akademie auch in anderer Hinsicht von Bedeutung sein wird.

Zunächst ist auf zwei spezifische Aufgaben zu verweisen, die sich unmittelbar aus ihrer Funktion als Ausbildungsstätte für Religionslehrer ergeben:

Erstens wird es angesichts der Einführung eines Ersatzunterrichtes für Schüler ohne verpflichtenden Religionsunterricht bzw. für vom Religionsunterricht abgemeldete Schüler („Ethikunterricht“) notwendig sein, im Rahmen einer entsprechenden Lehramtsausbildung auch den Islam zu berücksichtigen. Für die entsprechende Ausbildung der Lehrer für dieses neue Fach sollte die Zusammenarbeit gesucht werden.
Wenn der konfessionelle Religionsunterricht in fächerübergreifende Projekte eingebunden werden soll, so wird es zweitens notwendig sein, auch für islamische Religionspädagogen eine entsprechende Vorbereitung auf die Mitarbeit in solchen Projekten vorzusehen.

Darüber hinaus ist die Akademie meines Erachtens auch ein Signal für die Normalität der Präsenz der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, für die gegenseitige Akzeptanz von Staat und Glaubensge-meinschaft, wie sie dem österreichischen Religionsrecht entspricht. Es soll bei dieser Gelegenheit auch eine Lanze für dieses unser System gebrochen werden.
Ich meine, daß die Güte von rechtlichen Rahmenbedingungen sich nicht zuletzt dadurch erweist, daß sie imstande sind, neuen Situationen standzuhalten. In diesem Sinne stellt die Akzeptanz der islamischen Glaubensgemeinschaft des – zunächst in Auseinandersetzung mit den christlichen Kirchen – geschaffenen religionsrechtlichen System Österreichs zugleich auch einen Beweis für seine Güte und Flexibilität dar.

Nicht zuletzt wird die Akademie auch als Ansprechpartner für andere Einrichtungen zu fungieren haben, womit ich an den Anfang meines Referates zurückkehren möchte. Die islamische pädagogische Akademie wird ein notwendiger Dialogpartner auch für unser Projekt sein und ich freue mich auf die Kooperation.