Die Geschichte von
der Wahrheit Gottes
Es gab einst einen stolzen Schüler namens Svetaketu.
Dieser Svetaketu war sehr intelligent, und es fiel ihm leicht, die heiligen
Schriften zu studieren und die Mantra-Verse auswendig zu lernen. Alles, was
sein Guru (Lehrer) sprach, prägte er sich sogleich ein und wusste es jederzeit
zu wiederholen. Aber er war stolz, ehrgeizig und eingebildet. Als die
Schulzeit sich ihrem Ende näherte, sprach der Lehrer: „ 0 Svetaketu, schriftgelehrt
bist du und wissensstolz; aber sage, hast du die Weisheit erlangt, durch die
das Ungehörte gehört, das Ungedachte gedacht, das Unerkannte erkannt
wird?"
„Ich verstehe nicht, was du meinst, erhabener Meister. Du
sprichst in Rätseln."
Da sprach der Meister zum Jüngling: „Hole eine Nyagrodha
Frucht!"
Svetaketu rannte zu einem nahe gelegenen Banyanbaum und
pflückte aus dem riesigen Gewirr von Ästen und Stämmen eine reife
Feigenfrucht. Diese Frucht brachte er zurück in die Strohhütte des Meisters.
„Diese Nyagrodha-Frucht enthält ein Geheimnis",
sprach der Meister. „Schneide sie entzwei und sage mir, was du siehst!"
„Ich sehe viele kleine Samenkörner!"
„Nun nimm ein Samenkorn, schneide es entzwei und sage
mir, was du siehst!"
„Ich sehe nichts. Ich sehe die kleine
weiße Schnittfläche, aber das wird es nicht sein, was du meinst, ehrwürdiger Meister."
„Schau genau hin und erforsche das Geheimnis! Schneide
das halbe Samenkorn nochmals entzwei."
„Ich zerschneide es, aber ich sehe
nichts Besonderes. 0 Meister, bitte enthülle das Geheimnis und sag' mir, was du siehst."
Da sprach der Meister: „Mein lieber stolzer Sohn, du
siehst, und du siehst doch nicht. In diesem
Samenkorn befindet sich ein großer Banyanbaum
- mit seinem Stamm und seinen Ästen
und Nebenästen, die im Boden Wurzeln
schlagen und selbst zu Stämmen werden.
Aus diesem einen Samenkorn gehen tausend neue Früchte mit Tausenden von neuen Samen hervor, in denen wieder
Bäume mit Tausenden von Früchten und
Samen enthalten sind."
„O Meister", antwortete
Svetaketu, „jetzt, nachdem du das Geheimnis enthüllt hast, seh' auch ich den Baum im
Samenkorn. Aber dennoch sehe ich ihn nicht, und ich denke, auch du siehst ihn nicht in diesem Samenkorn."
Der Meister blickte den Schüler tief
an und schwieg. Dann sprach er: „Wenn du wahrhaft weise bist, siehst du die Wahrheit überall, obwohl du sie nicht siehst."
„0 Meister, ich habe die
heiligen Schriften studiert und die Mantra-Gebete gesungen, und dennoch
sehe ich die Wahrheit nicht."
Nochmals schwieg der Meister und
sprach dann: „Mein lieber Sohn, so wie du das Samenkorn betrachtet hast, ohne den Baum zu sehen, so hast du die heiligen
Schriften gelesen, ohne deren Sinn zu verstehen. Der Sinn wohnt in Gottes Worten inne wie
der Baum im Samen.
Und unendliche Wahrheit geht aus Gottes Wort hervor wie unendlich viele Bäume aus dem Samen. Doch du bist an die heiligen
Schriften herangetreten wie an das Samenkorn, mit sehenden Augen, die das Wichtigste übersehen.
Dieses Wichtigste ist die Kraft, die das ganze All zusammenhält. Das ist die
Lebenskraft. Das ist das Selbst. Das bist du, Svetaketu. Das Wichtigste, das du
nicht kennst, bist
du.
Tat tvam asi. Das bist du.-3
Wissenschaft: Die Problematik des
einseitigen Wissens
Aus Armin RISIS’s „GOTT und
die GÖTTER[1]“
„Menschen, die nicht wissen, dass es ein
höchstes Ziel im Leben gibt, halten alles andere
als das höchste Zielfür wertvoll. So irren sie wie Blinde umher, die von anderen Blinden geführt
werden, und verstricken sich immer
mehr ins Netz der Ziellosigkeit. "
- Srimad-Bhägavatam 7.5.31
Das Konzept von Veda
(„Wissen; Offenbarung") ist dem modernen Weltbild fremd. Das 20. Jahrhundert wird in die
Geschichte eingehen als das Jahrhundert der
Wissenschaft und des Fortschritts. Die Wissenschaft
entscheidet heutzutage, was als „Wissen" und „Wahrheit" gilt, und der Fortschritt liefert den Beweis:
Was die Wissenschaft sagt, stimmt,
denn sie ist objektiv nachprüfbar und ermöglicht konkrete Erfindungen und Verbesserungen, eben Fortschritt.
Vom Mittelalter bis zur
Aufklärung und zur industriellen Revolution sind über ein Jahrtausend vergangen,
über dreißig Generationen;
doch nun konnten die letzten drei Generationen innerhalb eines einzigen Jahrhunderts die
Früchte dieser langen Entwicklung in atemberaubender Geschwindigkeit reifen sehen. Heute,
am Ende des 20. Jahrhunderts, ist es
jedoch ein offenes Geheimnis: Die Früchte hielten nicht, was die Gärtner versprachen.
Es fand ein Fortschritt statt, aber: Fortschritt wohin? In welche Richtung?
Mit welchem Ziel?
Nach anfänglicher Zuversicht,
ja Euphorie über die Zukunft der Menschheit angesichts des gefeierten
Fortschritts bricht heute eine Phase
der Ernüchterung an. Aufgrund von Einsicht oder der Zeichen der Zeit werden sich die
Menschen in den neunziger Jahren immer mehr über die Mängel des blinden Fortschritts bewusst,
ja es werden sogar sorgenvolle
Stimmen hörbar, die bereits unheilvolle Konsequenzen voraussehen.
Der Fortschritt wurde durch
die Wissenschaft ermöglicht. Die Wissenschaft will die Wahrheit erforschen - die Wahrheit über die
Natur, die Naturgesetze und das Leben
-, und durch den Fortschritt soll der Nutzen der Wissenschaft praktisch
demonstriert, werden. Die
entscheidende Frage lautet hier jedoch: Was versteht man unter „Nutzen", „Wissen" und „Wahrheit"?
Diese Ziele - Nutzen, Wissen,
Wahrheit - sind nicht klar definiert, und deshalb wissen Wissenschaft und
Fortschritt nicht, was sie eigentlich anstreben. Wenn zuerst noch erforscht
werden muss, was Wahrheit und, davon
abhängig, wahres Wissen überhaupt ist, dann
bedeutet dies, dass gegenwärtig noch Unklarheit oder sogar Unwahrheit herrscht. Und welche Hoffnung besteht,
auf dieser Grundlage eine nicht
bekannte Wahrheit zu finden? Oder geht es den Menschen, die Wissenschaft und Fortschritt betreiben, etwa gar nicht
um solch hochgestochene, unprofitable Ziele wie Wissen und Wahrheit?
Wenn wir den Universitäten
und Wirtschaftsimperien, den Förderern von Fortschritt und Wissenschaft, genauer auf die Finger schauen, drängt sich tatsächlich der
Verdacht auf, dass heute viel kurzfristigere und kurzsichtigere Ziele Priorität bekommen haben. Im 20. Jahrhundert wurden
zahlreiche kurzfristige Erfolge gemeldet und dabei die langfristigen Probleme
aufgeschoben. Doch „die Zukunft
hat schon begonnen". Heute konfrontiert uns das ehemals Langfristige bereits als kurzfristige
Bedrohung: Umweltzerstörung, Kriege, Kriminalität, Zentralkontrolle, Naturkatastrophen, neue Krankheiten und so weiter.
Diese Probleme, die die
positiven Aspekte des Fortschritts empfindlich überschatten, können nicht pauschal der
Wissenschaft angelastet
werden; aber sie sind alarmierende Indizien dafür, dass im modernen Weltbild etwas nicht stimmt
- und dieses
wurde von der Wissenschaft
entscheidend mitgeprägt.
Es geht hier nicht um eine
Aburteilung der Wissenschaft, sondern um eine Kritik des von ihr abhängigen Weltbildes;
denn es ist dieses
ziellose, kurzsichtige Weltbild, das verursacht, dass auch die nützlichen und neutralen
Errungenschaften des Fortschritts eine schädliche
bis verheerende Wirkung zeitigen, eben weil sie von Menschen mit dieser offensichtlich falschen Weltsicht mißbraucht werden.
Was zerstört, kann nicht richtig sein, nicht einmal natürlich, denn in der Natur ist jede Zerstörung immer auch
Übergang zu einer neuen Harmonie,
was man von der modernen Zerstörung nicht behaupten kann. Es lässt sich also
nicht bestreiten, dass ein weniger einseitiges Weltbild auch die Unschuld von
Wissenschaft und Fortschritt in
Frage stellen wird - denn so
unschuldig sind sie nicht.
Wissenschaft und Fortschritt sind die Götter des
20. Jahrhunderts, die von den Menschen und
Nationen kritiklos verehrt werden. Unzählige Menschenopfer werden ihnen
dargebracht (auf den Straßen, in den
Fabriken, im Militäreinsatz, sogar bei Sport und Unterhaltung), weil alle
überzeugt sind, dass dieser Kult sich lohnt. Früher diente man Gott, und heute dient man dem
Fortschritt. Was dem Fortschritt
dient, kann mit kann mit Staatsgewalt
erzwungen werden. Gesetze, Politik
und Schulsystem werden dem Fortschritt angepasst - doch fragt sich jemals jemand, wohin dieser
Fortschritt führen soll?
Ohne Ziel hat man keine Richtung, und
ohne Richtung ist jeder Schritt,
auch „Fortschritt", ungewiss.
Die Götter namens Wissenschaft, Forschung und Fortschritt versprechen die Erkenntnis von Wissen und Wahrheit.
Doch mit welchen Mitteln
bemühen sich deren Priester um diese Ziele? Damit ihre Götter eine unangefochtene
Weltherrschaft genießen
können, haben sie, die heimlichen Priester, den Glauben eingeführt, dass Realität - die „Wahrheit" -
das ist, was man sehen, messen und analysieren kann. Dementsprechend wurden
die Werkzeuge und Arbeitsmethoden
gewählt. Übersehen wurde hierbei, dass diese
Wahl von vornherein ausschließlich das Sichtbare, Messbare und
Analysierbare, nur das Materielle, berücksichtigt. Das wurde jedoch nicht als Problem angesehen. Was gibt es
denn schon jenseits des Materiellen?
Wissenschaftsgläubige glauben deshalb, die Realität
beschränke sich auf das Materielle. Und selbst wenn es etwas jenseits
der Materie gäbe, dann sei dieses
„Etwas" vernachlässigbar, und man könne Wissenschaft, Forschung und Fortschritt getrost ohne
Berücksichtigung
dieses „Etwas" vorantreiben.
Diese Weltsicht nennt sich selbst „Materialismus" oder, diplomatischer formuliert, „Realismus":
Man glaubt, die Realität sei
materiell. Man glaubt nur, was man wissenschaftlich
erfassen kann; und was „wissenschaftlich" ist, hat man bereits anhand des
Materialismus definiert. Diese Ansicht, dass
nur das Materielle real sei, wurde von
vornherein, a priori, zur Wahrheit erklärt, auf deren Grundlage man nach Wahrheit streben wollte - mittels Wissenschaft, Forschung und Fortschritt. Auf diese Weise drehen sich die
Wissenschafts- und Fortschrittsgläubigen im Kreis und sind nicht in der Lage,
das Schleudern der einseitigen
Zivilisation zu bremsen - obwohl
ihnen alle modernen Errungenschaften
zur Verfügung stehen.
„Wissenschaft" und
„Fortschritt" sind heute magische Worte, die praktisch alles erlauben. Denn ihre
Erkenntnisse, so heißt es, nützten allen. Doch diese Erkenntnisse können nie eine
vollumfängliche
Wahrheit vermitteln, da sie nur auf einen schmalen Realitätsausschnitt beschränkt sind, auf das
Materielle, Messbare, Nutzbare. Dementsprechend beschränkt sind auch die Instrumente, mit de- geforscht wird; und weil die
Hilfsmittel wie auch die Personen, die sie handhaben, unvollkommen und mit Mängeln behaftet
sind, sind auch die Erkenntnisse,
zu denen sie gelangen, zwangsläufig unvollkommen und mangelhaft. Deshalb müssen
wissenschaftliche Erkenntnisse
immer wieder widerrufen oder korrigiert werden, und selbst diese scheinbar bewiesenen
Erkenntnisse sind nur relativ gültig. Hinzu kommt, dass selbst die Grundlagen dieser
Erkenntnisse nur relative Gültigkeit haben;
einige müssen sogar dringend relativiert
werden, zum Beispiel die als Axiome2
akzeptierten Glaubenssätze, dass nur das, was „wissenschaftlich"
erfassbar ist, real sei und dass umgekehrt
alles Reale auch wissenschaftlich erfassbar sein müsse. Dieser Glaube gründet sich auf die Annahme, dass
nirgendwo im Universum Gesetze oder
Faktoren wirken, die für die Wissenschaft unzugänglich sind (z.B. nichtphysische
Dimensionen, interdimensionale
Verbindungen oder unberechenbare Faktoren wie Gott und Götter).
Keiner dieser Glaubenssätze der Wissenschaft ist bewiesen, und dennoch baut die moderne Wissenschaft, zumindest die
offizielle (die materialistische,
empirische), auf ihnen ein Weltbild auf, das weltweit die Gesellschaftssysteme, die Politik, die
Wirtschaft und die
Forschung maßgebend beeinflußt. An allen Schulen wird diese materialistische Weltsicht - gemäß höherer
Weisung - als anscheinend objektive Erkenntnis an die neuen
Generationen von Schülern und Studenten weitergegeben und bei den
Diplomprüfungen als „Wissen"
vorausgesetzt. Das ist doch ein erstaunlicher Anspruch, vor allem, wenn man
beachtet, dass er auf der Grundlage von Axiomen erhoben wird, die nicht nur unbewiesen, sondern auch fragwürdig sind.
Die heute maßgebende
Wissenschaft kann nur das Sichtbare und Messbare erforschen und schließt daraus, dass es nichts
anderes als das irdisch Sichtbare und
Messbare gibt. Zumindest forscht sie nach nichts
anderem. Und dies hat sich mittlerweile als folgenschwere Blindheit erwiesen.
Aus all den genannten Gründen wird heute
ein neuer Begriff von
„Wahrheit", „Wissen" und „Wissenschaft" notwendig. Ein solcher neuer und gleichzeitig
ältester Begriff ist Veda
(Offenbarung), der nun
im folgenden näher betrachtet werden
soll.