L'OSSERVATORE ROMANO

29. Jahrgang - Nr.46 DOKUMENTATION 12. November 1999

Wochenausgabe in deutscher Sprache

 

Botschaft zum Abschluß der Interreligiösen Begegnung

Bei dem öffentlichen Festakt auf dem Petersplatz am 28. Oktober zum Abschluß der Interreligiösen Begegnung verlas Francis Kardinal ARINZE, Präsident des Päpstlichen Rates für den Interreligiösen Dialog, die Botschaft dieser Begegnung, die er mit folgenden Worten einführte.

In den letzten Tagen hat diese Interreligiöse Versammlung reflektiert, Gedanken ausgetauscht und gebetet. Sie hat sich gefragt in welcher Form die Anhänger der verschieden religiöser Traditionen an der Schwelle des dritten Jahrtausends zusammenarbeiten könnten.

In den Vollversammlungen, den Arbeitsgruppen und bei informellen Begegnungen sind wir zu einigen Schlußfolgerungen gekommen.

An erster Stelle haben wir besprochen was wir uns für die Zukunft vornehmen.

An zweiter Stelle haben wir mit Menschen unserer verschiedenen religiösen Traditionen - und daher mit der ganzen Welt - unsere Gedanken darüber ausgetauscht welche Formen die interreligiöse Zusammenarbeit im nächsten Jahrhundert und Jahrtausend annehmen könne.

Gott möge unseren Beschlüssen, zusammengefaßt in der Botschaft, die nun vorgelegt wird, Seinen Segen geben.

An der Schwelle des Dritten Jahrtausends möchten Wir, Vertreter verschiedener religiöser Traditionen, die im "Geist von Assisi" aus vielen Teilen der Welt in der Vatikanstadt zusammengekommen sind, die Früchte der in diesen Tagen gesammelten Erfahrungen, die herangereiften Überzeugungen und die Hoffnung, womit wir uns der Zukunft unserer Welt gegenüberstellen, teilen.

Wir sind uns der dringenden Notwendigkeit bewußt:


- verantwortungsbewußt und mutig an die Probleme, und Herausforderungen der modernen Welt heranzugehen
(Armut, Rassismus, Umweltverschmutzung, Materialismus, Kriege und Waffenhandel, Globalisierung, AIDS, Mangel an medizinischer Hilfe, Zerrüttung der Familie und der Gemeinschaft, Ausgrenzung der :Frauen und Kinder);


- gemeinsam zu arbeiten, um die menschliche Würde als Quelle der Menschenrechte und der entsprechenden Pflichten zu bekräftigen; sowie zusammenzuwirken im Kampf für die Gerechtigkeit und den Frieden für alle;


- ein mit den religiösen Traditionen in Einklang stehendes, neues geistiges Bewußtsein für das ganze Menschengeschlecht zu schaffen, um zu bewirken, daß dem Grundsatz der Respektierung der Religionsfreiheit und der Gewissensfreiheit Vorrang gegeben wird.


Wir sind überzeugt, daß unsere religiösen Traditionen über Mittel und Wege verfügen, die notwendig sind, um die Zersplitterungen, die wir in der Welt beobachten zu überwinden und die gegenseitige Freundschaft und die Achtung unter den Völkern zu fördern.


Wir sind uns bewußt daß viele tragische Konflikte in der Welt ihren Ursprung in der pragmatischen und oft ungerechten Verbindung von Religionen mit nationalistischen, politischen, wirtschaftlichen und anderen Interessen haben.


Wir sind uns bewußt, daß wir, wenn wir nicht die Pflicht erfüllen, die höchsten Ideale unserer religiösen Traditionen in die Praxis umzusetzen, für die Konsequenzen verantwortlich gemacht und streng gerichtet werden. Wir wissen, daß die Probleme, welche die Welt belasten, von solcher Tragweite sind, daß wir nicht imstande sind, sie im Alleingang zu .lösen. Daher besteht eine dringende Notwendigkeit zu interreligiöser Zusammenarbeit
.


Wir alle sind uns bewußt, daß die religiöse Zusammenarbeit nicht den Verzicht auf unsere religiöse Identität beinhaltet, sondern eher ein Weg ist, der zu Entdeckungen führt:-.


- Wir lernen gegenseitige Achtung als Glieder einer einzigen Menschheitsfarmlie;

- wir lernen sowohl die Unterschiede achten als auch die gemeinsamen Werte schätzen die uns miteinander verbinden.


Wir sind also überzeugt daß wir imstande sind, zusammenzuarbeiten in dem Bemühen, Konflikten vorzubeugen und die Krisen zu überwinden, die in den verschiedenen Teilen der Welt bestehen.


Die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Religionen muß sich stützen auf die Ablehnung von Fanatismus, extremistischer Einstellung und von gegensätzlichen Positionen, die zur Gewalttätigkeit führen.


Wir alle sind uns der Wichtigkeit der Instruktion und Information bewußt als Mittel, das gegenseitige Verstehen, die Zusammenarbeit und die wechselseitige Achtung zu fördern. Das beinhaltet


Alle sind berufen, sich in diesen Interreligiösen und interkulturellen Dialog einzuschalten.

Das führt uns zu einer Anzahl von Aufrufen:


Wir rufen die religiösen Führer auf, im Umkreis der einzelnen Gemeinschaften den Geist des Dialogs zu fördern und gegenüber der zivilen Gesellschaft auf jeder Ebene dialogbereit zu sein.

Wir appellieren an alle führenden Persönlichkeiten der Welt unabhängig von Ihrem Einflußgebiet, daß sie sich weigern zu gestatten, daß die Religion als Aufwiegelung zu Haß und Gewalt mißbraucht wird; sich weigern zu gestatten, daß die Religion mißbraucht, um Diskriminierung zu rechtfertigen;


Im Geist des Jubiläums wenden wir uns an uns alle, die wir heute hier zusammen gekommen sind um Vergebung zu suchen für die Irrtümer von gestern;


Mit Dank - die meisten von uns würden sagen: mit Dank in erster Linie Gott gegenüber - bieten die her zu dieser Interreligiösen Begegnung versammelten Teilnehmer ihren Brüdern und Schwestern diese Botschaft der Hoffnung an.

(Orig. engl.; ital. in O.R 30.10.99)

 

Interreligiöse Begegnung auf dem PETERSPLATZ

Den "Geist von ASSISI" in dieser Welt lebendig halten

Ansprache von Johannes Paul II am 28. Oktober 1999

Verehrte Repräsentanten der Religionen, liebe Freunde!

  1. In dem Frieden, den die Welt nicht geben kann, grüße ich Sie alle, die hier auf dem Petersplatz versammelt sind, um der Schlußveranstaltung der Interreligiösen Begegnung teilzunehmen, die während der letzten Tage hier stattgefunden hat.
  2. In den Jahren meines Pontifikates hatte ich - besonders während meiner Pastoralreisen in verschiedene Teile der Welt die große Freude unzähligen Christen anderer Konfessionen und Zugehörigen nichtchristlicher Religionen zu begegnen. Heute wird diese Freude hier, nahe beim Grab des Apostels Petrus, erneuert, dessen Dienst in der Kirche weiterzuführen meine Aufgabe ist. Ich freue mich, Ihnen zu begegnen, und danke dem allmächtigen Gott, der uns den Wunsch nach gegenseitigem Verständnis und Freundschaft eingegeben hat.

    Ich bin mir der Tatsache wohl bewußt, daß viele angesehene religiöse Führungskräfte von sehr weit angereist sind, um bei dieser Abschlußzeremonie der Interreligiösen Begegnung anwesend zu sein. Ich bin allen dankbar, die mitgeholfen haben diesen Geist zu fördern, der dieses Treffen ermöglicht hat. Wir haben soeben die Botschaft vernommen, die Frucht ihrer Überlegungen.

    Mit Hoffnung und Gerechtigkeit in das neue Jahrtausend gehen

  3. Stets war ich der Ansicht daß Religionen eine lebenswichtige Rolle spielen, wenn es gilt Hoffnung auf Gerechtigkeit und Frieden, ohne die es keine menschenwürdige Zukunft geben wird.
  4. Da die Welt ein zu Ende gehendes Jahrtausend und den Beginn eines neuen begeht, ist es angebracht daß wir uns die Zeit nehmen, um Rückschau zu halten, damit wir gegenwärtige Situation Bilanz ziehen und gemeinsam von Hoffnung der Zukunft entgegen gehen können.

    Ist es bei unserem Überblick über die Situation der Menschheit übertrieben, wenn wir von einer Krise der Zivilisation sprechen?

    Wir erleben technische Fortschritte, die jedoch nicht immer von großem spirituellen und moralischen Fortschritt begleitet werden. Auch erleben wir eine wachsende Kluft zwischen Armen und Reichen, sowohl was den einzelnen anbelangt als auch auf internationalem Niveau. Viele Menschen bringen große Opfer um sich mit den Notleidenden, Hungernden oder Kranken solidarisch zu erweisen, aber es fehlt immer noch am kollektiven Willen die skandalösen Ungleichheiten zu überwinden und neue Strukturen zu schaffen, die eine gerechte Verteilung der Ressourcen der Welt unter allen Völkern ermöglichen.

    Dann sind da die vielen Konflikte, die ständig rund um, den ganzen Erdball ausbrechen: Kriege zwischen Völkern, bewaffnete Auseinandersetzungen innerhalb der Nationen, Konflikte, die wie eiternde Geschwüre wuchern und nach einer Heilung schreien, die nicht einzutreten scheint. Unvermeidbar leiden die Schwächsten am meisten unter diesen Konflikten, besonders, wenn sie aus ihrer Heimat herausgerissen werden und gezwungen sind, zu fliehen.

  5. Das ist sicherlich nicht die Art und Weise, wie die Menschheit leben soll.
  6. Ist es daher nicht richtig, zu sagen, daß es tatsächlich eine Krise der. Zivilisation gibt, der nur durch eine neue Zivilisation der Lebe zu begegnen ist, gegründet auf den universalen Werten wie des Friedens, der Solidarität, Gerechtigkeit und Freiheit?

    (vgl. Tertio millennio adviente, 52)

    Es gibt Leute, die behaupten, daß die Religion ihren Teil zu diesem Problem beiträgt, indem sie

    der Menschheit den Weg zum wahren Frieden und Wohlstand versperrt. Als religiöse Menschen haben wir die Pflicht zu zeigen, daß dies nicht der Fall ist. Sich der Religion zu bedienen, um Gewaltanwendung zu unterstützen, ist Mißbrauch der Religion. Religion ist kein Vorwand für Konflikte und darf es auch nicht werden, besonders dann, wenn religiöse, kulturelle und ethnische Identität zusammenfallen. Religion und Frieden gehen Hand in Hand; Krieg im Namen der Religion zu führen ist ein eklatanter Widerspruch (vgl. Ansprache an die Teilnehmer der 6. Versammlung der Weltkonferenz über Religion und Frieden, 3. November 1994, 2).

    Religiöse Führer müssen klar und deutlich zeigen, daß sie wegen ihres religiösen Bekenntnisses dazu verpflichtet sind, den Frieden zu fördern.

    Die Aufgabe, die sich uns also stellt, ist, eine Kultur des Dialogs zu fördern. Einzeln und gemeinsam müssen wir zeigen, daß religiöser Glaube zum Frieden inspiriert, zur Solidarität ermutigt, Gerechtigkeit fördert und Freiheit unterstützt. Aber das Lehren allein genügt nicht so unentbehrlich es auch sein mag. Es muß auch in die Tat umgesetzt werden. Mein verehrter

    Vorgänger Papst Paul VI erwähnte einmal, daß in unserer Zeit die Menschen eher den Zeugen als den Lehrern Aufmerksamkeit schenken und daß sie auf Lehrer hören, wenn diese auch gleichzeitig Zeugen sind (vgl. Evangelii nuntiandi, 41).

    Man denke nur an das unvergeßliche Zeugnis von Menschen wie Mahatma Gandhi oder Mutter Teresa von Kalkutta, um nur zwei Personen zu erwähnen, die einen solchen Einfluß auf die Welt hatten.

  7. Ferner liegt die Kraft des, Zeugnisses in der Tatsache, daß es gemeinsam geteilt wird.
  8. Es ist ein Zeichen der Hoffnung, daß sich in vielen Teilen der Welt interreligiöse Vereinigungen gebildet haben, um gemeinsames Überlegen und Handeln zu fördern. Mancherorts sind auch religiöse Führer vermittelnd zwischen Kriegsparteien eingeschritten. Anderswo ist man gemeinsam für den Schutz des ungeborenen Lebens eingetreten, hat die Rechte der Frauen und Kinder unterstützt und Unschuldige verteidigt. Ich bin überzeugt, daß das gewachsene Interesse am interreligiösen Dialog eines der Hoffnungszeichen in diesem ausgehenden Jahrhundert ist (vgl. TMA, 45). Doch ist es. notwendig, noch weiter zu gehen. Größere gegenseitige Achtung und wachsendes Vertrauen müssen zu noch wirksamerem und koordinierterem Handeln zugunsten der Menschheitsfamilie führen.

    Lehre und Beispiel Jesu Christi Sinn für universale Brüderlichkeit

    Unsere Hoffnung entspringt nicht nur den Fähigkeiten des menschlichen Herzens und Geistes, sondern sie hat eine göttliche Dimension, und es ist gut, dies anzuerkennen. Die Christen unter uns glauben, daß diese Hoffnung eine Gabe des Heiligen Geistes ist, der uns aufträgt, unseren Horizont zu erweitern, über unsere persönlichen Bedürfnisse und die Bedürfnisse unsrer jeweiligen Gemeinschaften hinauszublicken und die Einheit der ganzen Menschheitsfamilie ins Auge zu fassen. Die Lehre und das Beispiel Jesu Christi haben den Christen einen klaren Sinn für die universale Brüderlichkeit unter allen Menschen gegeben. Das Bewußtsein, daß der Geist Gottes weht wo er will (vgl. Joh 3,8), hält uns davon ab, übereilte und gefährliche Urteile zu treffen, weil es eine Wertschätzung für das weckt, was in den Herzen der anderen verborgen liegt. Das eröffnet uns den Weg zu Versöhnung, Harmonie und Frieden. Aus diesem spirituellen Bewußtsein entspringen Mitleid und Großzügigkeit, Demut und Maßhaltung, Mut und Beharrlichkeit. Das sind Eigenschaften, deren die Menschheit mehr denn je zu Beginn des neuen Jahrtausends bedarf.

  9. Wie könnten wir Menschen aus vielen Ländern, die wir uns heute hier versammelt haben und viele Religionen der Welt vertreten es versäumen, das Treffen von Assisi am Weltgebetstag für den Frieden vor dreizehn Jahren in Erinnerung zu rufen?

Seitdem wurde der "Geist von ASSISI" durch verschiedene Initativen in den verschiedensten Teilen der Erde lebendig gehalten. Gestern haben diejenigen von Ihnen die am Interreligiösen Treffen teilgenommen haben, eine Fahrt nach Assisi gemacht, um den Jahrestag einer denkwürdigen Versammlung von 1986 zu begehen. Sie sind dorthin gefahren, um erneut vom Geist dieses Treffens und von der Gestalt des "Poverello di Dio", des dmütigen und heiteren hl. Franz von Assisi inspirieren zu lassen. Lassen Sie mich an dieser Stelle das wiederholen, was ich damals zum Schluß dieses Fast- und Gebetstages sagte:

"Die Tatsache selbst, daß wir verschiedenen Erdteilen nach Assisi gekommen sind, ist in sich ein Zeichen für diesen gemeinsamen Weg, den zu beschreiten die Menschheit berufen ist. Entweder lernen wir in Frieden und Harmonie miteinander zu gehen oder wir werden vom Wege abgetrieben und zerstören uns selbst und die anderen. Wir hoffen, daß die Pilgerreise nach Assisi uns erneut gelehrt hat uns des gemeinsamen Ursprungs und des gemeinsamen Schicksals der Menschheit bewußt zu werden. Laßt uns darin eine Vorwegnahme dessen sehen, was Gott von der geschichtlichen Entwicklung der Menschheit gern verwirklicht sehen möchte: Eine brüderliche Wanderung, auf der wir uns gegenseitig begleiten, zum transzendenten Ziel, das er uns gesetzt hat" (Ansprache zum Abschlußdes Weltgebetstages der Religionen für den Frieden in Assisi am 27. 10. 1986, 0. R. dt., Nr. 45, 7. 11. 1986).

Unsere Zusammenkunft heute, hier auf dem Petersplatz, ist ein weiterer Schritt auf dieser Reise. In all den vielen Sprachen des Gebets laßt uns den Geist Gottes bitten, daß er uns erleuchte, führe und uns Kraft gebe, auf daß wir als Männer und Frauen, die ihre Inspiration aus dem religiösen Glauben empfangen, zusammenarbeiten können, um die Zukunft der Menschheit in Harmonie, Gerechtigkeit, Frieden und Liebe aufzubauen.

(Orig. engl. in 0.R. 30.10.99)