SCHARIA

 

Unter Scharia wird im Allgemeinen "das islamische Gesetz" verstanden.

 

Scharia ist vielmehr ein Oberbegriff für die religiösen und sozialen Verhaltensregeln (also den Rechtskörper, soz. die rechtliche Verfassung), die Gott dem Menschen auferlegt hat, setzt sich zusammen aus Koran, Überlieferung und Rechtsurteilen, differiert je nach Glaubensrichtung, Rechtsschule und Interpretation.

Auf das Christentum übertragen, wäre die Scharia die Gesamtmenge aus den Zehn Geboten und den Enzykliken, den orthodoxen, katholischen und protestantischen Liturgien und Katechismen plus den regionalen Sitten, wie man beispielsweise einen Weihnachtsbaum zu schmücken hat.

(Hilal SEZGIN) http://www.taz.de/1/archiv/print-archiv/printressorts/digi-artikel/?ressort=me&dig=2009/06/17/a0064&cHash=3084e010bd

 

Wörtlich bedeutet Scharia: "ausgetretener Pfad (von Wildtieren) zur Tränke".

In diesem Sinne gelesen, wird die Bedeutung des Ausdrucks in 5:48 leicht verständlich.

Jede Art, jede Spezies nimmt auf Grund der vom Schöpfer in sie gelegten Eigenschaften ihren Weg zur Tränke.

Die Vögel durch die Luft, wobei wiederum jede Art ihre eigene Einflugschneise wählt, wie auch die verschiedenen Arten der anderen Tiere jede ihren "eigenen" Weg auf der Erde nimmt, wie dies ja an den an die Tränke führenden Spuren abzulesen ist.

 

In Bezug auf den Menschen möchte ich sagen, dass die göttlichen Offenbarungen (an die verschiedenen Völker in verschiedenen Epochen) Rücksicht auf die zur Zeit entwickelten menschlichen Fähigkeiten und Eigenschaften nehmen und an die rationalen, emotionalen und spirituellen "Wahrnehmungsorgane" (Verstand, Herz und seelisches Gemüt) des Menschen gerichtet sind. So wie die Landmale, Bodenbeschaffenheit, Geologie und andere natürliche Eigenschaften, Zeichen, Merkmale und Kennzeichen über ihre instinktive Wahrnehmung die Tiere veranlassen, eben ihren eigenen, spezifischen Weg zur Tränke zu wählen.

 

Weiters ist anzumerken, dass (auch wenn es auch dazu noch unterschiedliche Ansichten gibt) unter Scharia jene unveränderlichen rechtlichen Prinzipien zu verstehen sind, welche in Qur'an (Wort Gottes) und Sunna (Überlieferungen der Gepflogenheiten des Propheten) niedergelegt sind und unter Fiqh (nicht nur als Jurisprudenz, Rechtslehre verstanden) die rechtswissenschaftlichen, normativen und veränderlichen konkreten gesetzlichen Ableitungen aus der Scharia durch Idschma (Konsens), Qiyas (Analogieschluss) usw.

Ohne die Bedeutung der Sunna (als Tafsir (Qur'anexegese) par excellence) schmälern zu wollen, unterscheide ich persönlich nochmals sehr bestimmt zwischen dem unantastbaren, unveränderlichen, absoluten Wort Gottes (Qur'an) und dem geheiligten, letztlich als relativ bekannt einzu­stufendes Wort des Propheten (ist doch die Sunna von Menschen verfaßt und kann allein aus diesem Grund nicht gleiches Anerkennungsrecht für sich beanspruchen, wie dies für Gottes Wort selbstverständlich ist – auch wenn diese Auffassung bislang kaum diskutiert, geschweige denn mitgetragen wird – bekannte Ausnahme: Murad Hofmann).

 

Versteht man unter Scharia ALLE rechtlichen Möglichkeiten (siehe Hilal Sezgin oben) könnte man somit auch sagen, Scharia ist eher als eine Methodik, ein Weg, sämtliche islamische Quellen (Qur'an (Offenbarung), Sunna (Worte, Gepflogenheiten, Taten und Unterlassungen des Propheten) und Idschma (Konsens der Gelehrten), Qiyas (Analogieschluß), Urf (Brauchtum), Maslaha (öffentliches Interesse) usw.) zur Rechtsfindung als ein Rechtskörper zu (b)e(t)rachten, um dadurch den Weg der Rechtleitung (Huda) zur lebens­spen­denden Tränke, zur Quelle (also letztlich zu Gott(es Wohlgefallen)) zu gehen.

 

WELT Die islamische Rechtsordnung hat mehr Einfluss auf den Schutz von Flüchtlingen als alle anderen historischen Rechtsquellen. Dies geht aus einer neuen Studie der Uno hervor.

 

RNA/kipa http://www.kipa-apic.ch/index.php?pw=kineupa&na=0,0,0,0,d&ki=196290 24.6.09

Die Scharia mit ihrer mehr als tausendjährigen Geschichte könne eine wichtige Stütze im Einsatz für Verfolgte und Vertriebene sein, erläutert Uno-Flüchtlingskommissar Antonio Guterres im Vorwort zu der Untersuchung. Besonders hob er ein in der Scharia enthaltenes weitreichendes Asylrecht hervor sowie ein Abschiebeverbot für Schutzbedürftige. «Die internationale Gemeinschaft sollte diese 14 Jahrhunderte alte Tradition von Grosszügigkeit und Gastfreundschaft stärker würdigen und ihren Beitrag für die moderne Gesetzgebung anerkennen», so der Uno-Flüchtlingskommissar. Die Studie trägt den Titel «Der Anspruch auf Asyl zwischen islamischer Scharia und internationalem Flüchtlingsrecht». Sie wurde am Dienstag, 23. Juni, in der Naif Arab Universität in der saudi-arabischen Hauptstadt Riad vorgestellt. 

 

5: 48

Und dir [O Prophet] haben Wir diese göttliche Schrift offenbart, die Wahrheit verbreitend, die Wahrheit dessen bestätigend, was von übrigen Offenbarungen noch übrig ist und die da­rüber entscheidet, was wahr in ihnen ist.[1] Richte daher zwischen den Anhängern früherer Offenbarungen in Übereinstimmung darin, was Gott herabgesandt hat,[2] und folge nicht ihren irrigen Ansichten, welche die Wahrheit verwerfen, die zu ihnen gekom­men ist. Und für jeden von euch haben Wir ein [verschiedenes] Gesetz (shir'ah) und eine Lebens­art[3] bestimmt. Und wenn Gott gewollt hätte, hätte Er euch gewiß nur zu einer einzigen Gemeinschaft machen können; doch [Er wollte anders] um euch durch das zu prüfen, was Er euch gewährt hat.[4] Wetteifert also miteinander im Tun guter Werke! Zu Gott müßt ihr alle zurückkehren; und dann wird Er euch wirklich verstehen lassen, worüber ihr unterschiedliche Auffassungen zu haben pflegtet.[5]

 

45: 18

Und, letztlich, [O Muhammad,] haben Wir dich auf einen Weg gebracht (sharia), durch welchen die Zielsetzung [des Glaubens] erreicht werden möge:[6] so folge du diesem [Weg], und folge nicht den Vorlieben und Abneigungen jener, die nichts [von der Wahrheit] wissen.[7]

 

42: 13

In Angelegenheiten des Glaubens[8] hat Er euch geboten (sharaa), was Er dem Noah geboten hat – und das, worin Wir dir [O Muhammad] Einsicht durch Offenbarung gegeben haben[9] - genau wie das, was Wir dem Abraham, und Moses, und Jesus geboten haben: standhaft haltet den [wahren] Glauben aufrecht, und zerbrecht nicht eure Einigkeit darin.[10] [Und auch wenn] dieses [Einssein des Glaubens] zu dem du sie aufrufst, jenen beklemmend erscheint, welche anderen Wesen und Kräften Anteil an Seiner Göttlichkeit zuschreiben, bringt Gott jeden näher zu Sich, der dies will, und führt jeden zu Sich, der sich Ihm zuwendet.

 

Weitere Information:

http://www.answers.com/topic/sharia

http://books.google.ch/books?id=IHNCtJNrQ8kC&pg=PA102&lpg=PA102&dq=sharia+animal+way+to+water&source=bl&ots=w9W9LOr6Fq&sig=CZ5eda5wToFRFB5A49S3jIr1hVc&hl=de&ei=EEo-Svi8AoGqsAbw5KDbCw&sa=X&oi=book_result&ct=result&resnum=2

As Salamu alaikum wa Rahmatullahi wa Barakatuh

Danke für die Zusendung.

Ein schönes Lehrbeispiel.

 

Hier noch einige Gedanken dazu:

 

So wie Dunkelheit die Abwesenheit von Licht bedeutet und Licht keine Schatten wirft - so wird klar, dass das Dunkle, der Schatten aus der Abwendung eines "ICHs" von Gott entsteht. Das Böse, das Dunkle entsteht daraus, dass sich ein bewusstes, relatives Individuums (erschaffenes Wesen), welches sich aus dem von Gott gegebenen, verliehenen freien Willen heraus, entschieden hat, sich von (dem Licht, welches von) Gott (ausgeht) abzuwenden.

 

(Das Böse ist der eigene Schatten, welches das Gottabgewandte Individuum im Lichte Gottes wirft - Shirk in reinster Kultur insoferne, als man das ICH zum Zentrum allen Denkens macht und als Ursache aller Wirkungen sieht ... Materialismus.) Deshalb vergibt Gott diese Sünde nicht, außer, dieses Individuum kehrt (sich aus freien Stücken wieder) um (bereut) und wendet sich wieder dem Lichte Gottes zu. Dann wird dieser Sünder Gott als wahrhaft Barmherzigen erleben!

 

 

Wassalam
M. Muhammad Hanel


An die 70 interessierte Zuhörer fanden kaum Platz in der schönen Bibliothek des offenen Gemeindezentrums der an die 550 Mitglieder zählenden Bosnischen Gemeinschaft in Emmenbrücke.


RIFA'AT LENZIN referierte souverän und kompetent frei zum Thema "SCHLAGWORT SCHARIA". 

Scharia sei inzwischen für beide Seiten zu einem "Kampfbegriff" geworden.
Einerseits wurde dieses Wort zum Inbegriff alles Schrecklichen, wofür man den Islam fürchtet und
andererseits ist alles "Nicht-Scharia" was man am Westen für nicht gut und dekadent empfindet.

Scharia sei, in Anlehnung an das launige Zitat von Hilal Sezgin etwa: "Scharia ist vielmehr ein Oberbegriff für die religiösen und sozialen Verhaltensregeln (also den Rechtskörper, soz. die rechtliche Verfassung), die Gott dem Menschen auferlegt hat, setzt sich zusammen aus Koran, Überlieferung und Rechtsurteilen, differiert je nach Glaubensrichtung, Rechtsschule und Interpretation. Auf das Christentum übertragen, wäre die Scharia die Gesamtmenge aus den Zehn Geboten und den Enzykliken, den orthodoxen, katholischen und protestantischen Liturgien und Katechismen plus den regionalen Sitten, wie man beispielsweise einen Weihnachtsbaum zu schmücken hat.

 

Wie auch die Rechtssysteme Europas, gleichwohl sie alle mehr oder weniger auf römischer Rechtstradition gründen sehr differenziert sind, so gilt auch gleiches für die Scharia in den verschiedenen muslimischen Ländern.

 

Zur Etymologie erklärte sie, bedeute der Begriff den "Ort, von dem man aus Wasser schöpft", gleichwohl auch die Erklärung "der Weg zur tränkenden Quelle" die korrekte Bedeutung wiedergibt.

Die Hauptquellen der Scharia sind der Qur'an einerseits und dessen Interpretationen andererseits.

Wobei die persönlichen Erklärungen und Gepflogenheiten der über die Sunna überlieferten Interpretationen (Hadith, pl. Ahadith) des Propheten Muhammad, des "wandelnden Qur'ans", innerhalb der islamischen Rechtsschulen zwar schon unterschiedlich gewichtet, aber dennoch einen sehr hohen Stellenwert einnehmen.
Der
Konsensus, ursprünglich der Prophetengefährten und später der Gelehrten ('idschmaa), den verschiedenen Fragen ist die nächste Stufe, von jener aus juristische Fragen entschieden werden.
Hierbei zeigt es sich allerdings schon, dass heute eine solche Übereinstimmung nicht mehr zu erzielen ist und sich Mehr- und Minderheiten sich in Bezug auf die verschiedenen juristischen Fragen und Antworten bilden.
Als letzte wesentliche Quelle islamischer Rechtsfindung sind dann die, durch Wissende selbstständig unternommene Rechtsfindung durch deduktive (und induktive) Ableitung
, den Analogieschluss ('itschtihad) zu nennen.
Dies wären die usul (Fundamente) der Rechtsprechung.

Nach wie vor sind dies die bis heute angewendeten Instrumente, um zu Entscheidungen zu kommen, z.B. ob aus islamischer Sicht in-vitro Fertilisation zulässig ist oder nicht.

Im Laufe der Geschichte haben sich viele Rechtsschulen herausgebildet von denen heute noch 5 wesentliche aktiv sind, die sich teilweise stark und in anderen Fragen kaum oder gar nicht von einander unterscheiden.

 

Womit beschäftigt sich die Scharia?

 

Mit eigentlich Allem. Scharia ermöglicht eine ganzheitliche, sozusagen holistische Sicht auf die Welt und des Menschen, gottgefällige Beziehung zu deren dies- und jenseitigen Aspekten.

Scharia regelt WAS man glaubt und WIE man praktiziert.
Die beiden Hauptbereiche ist der
Gottesdienst ('ibadat) und weltlicher Handel (mu'amalat).
Überraschenderweise ist der Bereich der
Politik ein relativ Scharia freier Raum und den für das Gemeinwohl verantwortlich gemachten Personen ist diesbezüglich relativ freie Hand gegeben, die Angelegenheiten zu regeln.
Auch das
Strafrecht beansprucht keinen besonders weiten Raum in der Scharia (nur ca. 6% der Qur'anverse bieten Grundlage für (straf)rechtliche Bestimmungen).

Besonderer Verdienst früher, aber auch aktueller ") islamischer Rechtswissenschaft ist die Herausarbeitung der allgemeinen Ziele der Scharia (maqasid al-sharia siehe Tariq Ramadans Buch "Radikale Reform," in welchem die historische Entwicklung und moderne Fortsetzung übersichtlich nachgezeichnet wird).

Grundsätzlich gilt im Islam als unantastbar und geschützt: Gut, Blut und Würde des Menschen.
Erweitert formuliert: Leben, Religion, Vernunft (Intellekt, Bildung), Nachkommenschaft, Vermögen, …

Religion, als Erleichterung und Führung für den Menschen soll den Menschen ermöglichen, sich gemäß ihrer Fähigkeiten möglichst harmonisch zu entwickeln und zu entfalten.

Bildlich gesprochen könnte man die Scharia mit einem Baum vergleichen, dessen Wurzeln die Quellen darstellen, den Stamm bildet der gelehrte juristische Corpus und die flexiblen Zweige sind die vom Menschen "zurechtgebogenen" Kanons.


Frau Lenzin weist darauf hin, dass muslimische Herrscher nicht anders wie Herrscher in anderen Kulturen und Sphären diese "Rechtszweige" auch ganz gewaltig zu ihrem eigenen Vorteil (manchmal durchaus auch in guter Absicht) aber meist zu deren eigenen Vorteil zurechtgebogen, –gestutzt und getrimmt haben.

 

Somit stellt sich die Frage: Ist die SCHARIA – göttliches Recht?

Nun, in den beiden Hauptquellen (Qur'an und Sunna) jedenfalls, sonst ist Scharia doch ein "jus professoris", ein Recht der Gelehrten.

Mit einem Sprung in Richtung Gegenwart in das 20. Jahrhunderts erwähnt die Reformbemühungen (Tanzimatbewegung) der osmanischen Herrscher, um die Erfordernisse der Moderne in islamisches Recht zu integrieren. Diese Reformbemühungen wurden allerdings gewaltvoll durch die Ereignisse des Ersten Weltkriegs unterbrochen und durch den Zweiten Weltkrieg endgültig zu einem Ende gebracht.

                                                   

Tatsache ist, dass in den heutigen muslimischen Ländern über koloniale und postkoloniale Herrschaft dem genuinen Rechtssystem europäisches, westliches Recht übergestülpt wurde. Auch gilt leider, "modern sein, heißt westlich sein". Mehr oder eben weniger islamisch blieb in den Ländern mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung nur das Personenrecht.

In den 70er Jahren kam es dann zum deutlich erkennbaren Wiedererwachen (an-nahda) und der Ruf war überall in der muslimischen Welt zu hören: "Wir wollen unsere Scharia wieder!"

Die Frage,
"WARUM dieser neue Wille nach Scharia?"

 

Rifa'at Lenzin nennt politische und soziologische Gründe.
Einerseits, weil die Modernität nicht gegriffen hat und die Vorteile, welche man sich aus ihr erwartet hatte nicht verwirklicht wurden und die daraus resultierende Rechtsunsicherheit andererseits politisch möglich machte, die (korrupten) Eliten zu diskreditieren und man dadurch die Massen zu mobilisieren vermochte und immer noch vermag.

 

Der Autor dieser Zeilen mag diese Frage wie folgt beantworten:

Aus politischen, soziologischen und psychologischen Gründen.
Politisch ist es der
Wunsch nach Macht (an sich oder diese wiederzuerlangen oder diese aufrechtzuerhalten).
Ist doch Religion an sich jener "übermächtige, ans emotionale rührende" Faktor, über welchen menschliche Gesellschaften ganz massiv beeinflusst und gesellschaftspolitisch, ethisch und/oder ideologisch manipulativ, bestimmten Interessen gemäß gesteuert und ver- oder aber im positiven auch dem allgemeinen Gemeinwohl verpflichtet, altruistisch geführt werden können.
(Tiefen)psychologisch ist wohl eine Erklärung darin zu finden, dass dieser nachdrücklich vorgebrachte Wunsch eine
Reaktion auf die langjährige Vereinnahmung durch westliches Gesetz und Dominanz und die dadurch verursachten Verletzungen und Demütigungen der "Volksseele" darstellen. Die abstrusen und den ursprünglichen islamischen Zielen (maqasid al-scharia, siehe oben) entgegengesetzten tatsächlichen Auswüchse dieses Rufes nach Scharia erklären sich aus eben dieser Verletztheit und dem nur allzu menschlichen Wunsch nach Widervergeltung. Da diese Widervergeltung aber nicht gegen den vermeintlichen Verursacher, gegen die westliche Welt, aufgrund deren wirtschaftlich, militärischen, kurz umfassen Macht umgesetzt werden kann, entlädt sich diese nach Ausdruck suchende Gewalt hauptsächlich gegen die eigene Bevölkerung. Welch grausame Ironie!

 

Frau Lenzin wies darauf hin, dass die Scharia nie gänzlich kodifiziert wurde und jegliches Recht, also auch Scharia nur dann umsetzbar wird, wenn es kodifiziert vorliegt und somit staatliches Recht wird.

In der muslimischen Welt haben wir also meist ein zweigleisiges Rechtssystem.
Die teilweise unwürdigen Auswüchse dieser Handhabung sind in der Hauptsache darauf zurückzuführen, dass die Zuständigen meist wenig Achtung und auch keine Ahnung von einem der beiden oder meist sogar beiden Rechtskörpern aufzuweisen vermögen und wenig Niveau zu bieten haben. Darin (die Korruption nicht vergessend) liegt der Hauptgrund für die im wirklich Argen liegenden Verhältnisse in der muslimischen Welt.

 

Die in der Schweiz lebenden Muslime kommen mehrheitlich aus den Regionen des Balkans, in welchen nach dem Zweiten Weltkrieg die Scharia nicht eingeführt wurde und auch kein Verlangen danach bestand. Auch die Türkei hat sich seit den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts von der Scharia abgewandt.

In Malaysia, dem Bevölkerungsreichsten muslimischen Land ist Scharia auf das Personenrecht beschränkt.

 

In England, wo die "neue" Umsetzung der Scharia am deutlichsten wahrzunehmen ist, führt sich dies auf die muslimische Bevölkerungsmehrheit aus der indo-pakistanischen Region zurück, welche zurecht die Meinung vertritt, wenn die Pluralität des Rechts während der Kolonialzeit in unseren Ländern gut funktionierte, sollte dies auch umgekehrt in Großbritannien funktionieren. Somit ist dies keine "Forderung", sondern eher als (experimentelle) Fortsetzung der von den Briten gepflogenen Rechtspraxis anzusehen.

 

Scharia gibt es durchaus auch schon in der Schweiz. Das sogenannte "Islamic Banking & Financing" ist ein Sektor, welcher von den heimischen Banken mit großer Bereitschaft und ohne großes öffentliches Aufsehen oder gar Aufregung aufgegriffen und bewirtschaftet wird.

 

Der Autor dieser Zeilen merkt auf Anregung von Amir Zaidan an, dass z.B., wie oben bereits erwähnt, die Scharia strafrechtlich große Freiräume belässt und die konkrete Umsetzung dem jeweiligen Souverän überlässt (z.B. die Bestrafung von Verleumdung). Somit können also all die vom Schweizer Gesetz vorgesehen strafrechtlichen Bestimmungen durchaus als Scharia konform angesehen werden. Dies zur angeblichen und unterstellten "Inkompatibilität" islamischen und westlichen Rechtsempfindens und Rechtspraxis.

 

ELHAM MANEA, deren leider unbefriedigtes persönliches Verhältnis zu Grundlegendem im Islam und dessen Rechtsverständnis schon ihrem Gesichtsausdruck abzulesen und ihrem teilweise schwer verständlichen abgelesenen Vortrag und ganzen Verhalten zu entnehmen war, ließ die Zuhörer wissen, dass Islamisches Recht, selbst nicht im privaten Bereich, mit menschenrechtlichen Vorstellungen und Prinzipien säkularer Gesellschaften kompatibel sei.

 

Einzelheiten diesbezüglich wurden kaum anders formuliert, als in jedem SVP Manifest nachzulesen sind.

Ich erspare daher eine Aufzählung.

 

Persönlich finde ich es schade, dass Elham Manea, die sich zwar im weiteren Verlauf der Veranstaltung doch auch als Muslimin outet und ihre Religion dann dennoch nicht ganz zurückweist, sich offensichtlich mit ganzer Inbrunst der Politikwissenschaft hingibt und diese instrumentalisiert, um den Islam und dessen Vorzüge und Errungenschaften ziemlich umfänglich zu diskreditieren (einiges Positives dient als Ausnahme, um die Regel zu bestätigen) nicht ebenso viel Hingabe entwickelt, islamwissenschaftlich den religiöse Wurzeln ihrer spirituellen Identität auf die Spur zu kommen. Doch wer weiß … "Gott leitet den (Menschen, Mann oder Frau) der (rechtgeleitet werden) will …"

 

Ganz nach guter SVP Manier weist sie auf die (ohnehin auch von Lenzin angesprochenen) tlw. in jeder Hinsicht katastrophalen Zustände in bestimmten muslimischen Ländern hin und fragt:

 

"Warum sollen wir in der Schweiz einführen was dort geschieht."

 

Liebe Manea: DAS fragen sich die Muslime auch. Warum sollten wir? Ernstzunehmende positive Antworten auf diese Frage haben wir alle noch nicht gehört!

Im ansatzweise sich an die beiden Vorträge entwickelnden Dialog zwischen Frau Manea und Frau Lenzin wurde von Lenzin klar gesagt: "Ich kenne keinen Muslim in der Schweiz, der ernsthaft die Scharia oder Zustände wie sie in ihrem/seinem Ursprungsland herrschen, hier in der Schweiz einführen möchte." Manea konnte übrigens auch keinen benennen, denn ihre Auswürfe gegen Fatih Dursun, entbehren ja jedes Anspruchs ernst genommen zu werden, außer als Lehrstück instrumentalisierter medial-politischer Demagogie.

Liebe Rifa'at: WIR (ich und alle die ich kenne und mit jenen dieses Thema besprochen wird, und das sind nicht wenige) kennen AUCH keine(n).

 

In der anschließenden Fragerunde wurde auch eindeutig darauf verwiesen, dass weder irgendein Muslim noch Prof. GIORDANO, der krankheitshalber leider nicht an dieser Veranstaltung teilnehmen konnte, (hier der Link zu seinem Diskussion verursachenden Artikel) jemals für die Schweiz die Einführung der Scharia GEFORDERT hatte!

WER hat also INTERESSE an dies meist theologisch unprofessionell geführten, doch sehr professionell geführten politischen KONTROVERSE im Land? WER zieht seine NUTZEN daraus?

 

Neben den üblichen kam allerdings noch ein bemerkenswerte Frage aus dem Publikum an beide Damen gerichtet:

 

"Kann man formulieren, dass das positive Rechtsgut der "ehelichen gemeinsamen Gütererrungenschaft" durchaus integraler Bestandteil der Scharia sein kann, wenn man von der im Islam grundsätzlich geforderten Partnerschaft zwischen den Geschlechtern ausgeht?"

 

Als erstes meinte Manea dies klug beantworten zu müssen mit: "Darf ich Ihnen mit einer Gegenfrage antworten?"

Höflich kam zurück, "ja natürlich!"

"Meinen Sie, dass im Islam Mann und Frau gleichberechtigt sind?" meinte Manea zuspitzen zu müssen.

Nicht minder klug kam die Gegenfrage an die offenbar etwas rhetorisch geschulte Dame: "Sind Sie Jesuit?"

"Das verstehe ich jetzt nicht", musste unsere streitbare Dame eingestehen.

"Nun, dann beantworten Sie doch bitte, die einfach zu beantwortende, zuvor gestellte Frage", gab unser gelassen gebliebener Fragesteller zurück.

Nach einigen hin und her und her und hin, gab es dann die erwartete kategorische Auskunft. "Nein!"

 

Frau Lenzin, ebenfalls etwas überrascht durch diese Frage, sagte nach kurzem überlegen: "Ich bin mit meiner Religion im Reinen genug, um diese Frage eher mit JA zu beantworten."

 

Muss der Autor dieser Zeilen betonen, dass er sich der Ansicht von Rifa'at Lenzin vollinhaltlich und überzeugt anschließt? Scharia ist lebendige RECHTSFINDUNG, (weder totes, noch tödliches Recht) denn sie wird gespeist aus der Quelle des EWIG LEBENDEN!

Nicht die Quellen sind es, welche zu verschütten oder trocken zu legen sind, die Hüter dieser Quellen sind es, die davon abgehalten werden müssen, diese mit ihrem falschen Verständnis, ihrem einseitigen, egozentrierten Halbwissen zu vergiften!

 

Am Ende der wahrhaft inspirierenden Veranstaltung wurden die beiden Referentinnen noch gefragt, welche Schariaregelungen denn SIE, wenn schon – in der Schweiz umgesetzt haben wollten.

 

Keine leichte Frage:

 

Frau LENZIN wünschte sich eine Änderung des Schweizerischen Stiftungsrechts, damit Moscheevereine nach islamischem Recht in wahrhaft öffentliche, gemeinnützige und unabhängige (waqf) Stiftungen umgewandelt werden können und nicht mehr ein persönlicher Eigentümer benannt werden muss.

 

Frau MANEA wünschte sich "gleiches Recht für Alle".

(Frage: erlaubt dies denn die Scharia überhaupt, wie Elham Manea sie versteht?)

 

Abschließend will doch noch angemerkt sein, dass nichtmuslimische, selbst langjährige "Islam Dialog-Profis" achtlos und offenbar ohne jegliche Achtung mit ihren Straßenschuhen jene Flächen begingen, welche der Reinheit und Sauberkeit wegen nur in Strümpfen oder mit bloßen Füssen zu begehen sind.

Man kann verstehen, dass Menschen, die zum ersten Mal mit dieser Sitte in Berührung kommen, aus Versehen, Unsicherheit und vielleicht auch leichter Nervosität hier etwas "übertreten" – aber "Profi-Dialögler" ??

Worte sind genug gesprochen und oft billig zu haben – doch an den Früchten werdet ihr, wir und sie erkannt! Es braucht vielleicht noch ein bisschen Zeit für die Reife!

Dies blieb der Erkenntnis wegen nicht unerwähnt.

 

Ein Dank an die Gemeinschaft von Christen und Muslimen in der Schweiz und die Bosnische Gemeinschaft in Emmenbrücke für diese spannende, lehrreiche und jedenfalls gelungene Veranstaltung.



[1] Das Partizip muhaymin kommt vom Verb haymana, "er wachte [über eine Sache]" oder "kontrollierte [sie]", und wird hier gebraucht, um den Qur'an als die entscheidende Instanz dafür zu erklären, was in den früheren Schriften als echt und was als falsch anzusehen ist. (siehe Manar VI, 410 ff.).

 

[2] Wörtl., "richte also zwischen ihnen. . .", etc. Dies bezieht sich offensichtlich nicht nur auf Rechtsfälle, sondern auch auf die Ansichten über richtig und falsch im moralischen Sinn (siehe zweite Anmerkung zu Vers 42 oben). Wie aus der Erwähnung von "die An­hän­ger der Evangelien" im vorigen Vers, und von der Thora in den früheren Abschnitten, hervor­geht, wird hier sowohl von Juden wie Christen gesprochen.

 

[3] Der Ausdruck "jedem von euch" meint die unterschiedlichen Gemeinschaften, welche die Menschheit ausmachen. Der Ausdruck shir'ah (oder shar'iah) heißt wörtlich, "der Pfad zur Wasserstelle" (aus der Mensch und Tier das für ihr Leben unverzichtbare Element beziehen), und wird im Qur'an gebraucht, um ein gesetzliches Regelwerk zu bezeichnen, welches für ihre gesellschaftliche soziale und spirituelle Wohlfahrt notwendig ist. Der Begriff minhaj andererseits bezeichnet eine "breite, offene Strasse", meist im abstrakten Sinn; d.h., "eine Lebensweise". Die Begriffe shir'ah und minhaj sind in ihren Bedeutun­gen eingeschränkter, als der Ausdruck din, der nicht nur die auf eine bestimmte Religion bezogene Gesetze bezeichnet,, sondern auch die grundlegenden, unabänderlichen spirituellen Wahrheiten, die gemäß Qur'an von jedem Gesandten Gottes gepredigt wurden, wohingegen der bestimmte Rechtskörper (shir'ah oder shar'iah), der durch sie verkündet wird und die Lebensweise (minhaj), welche durch sie empfohlen wird, sich entsprechend der Anforderungen der Zeit und der kulturellen Entwicklung unterschied. Diese "Einheit in der Verschiedenheit" wird öfter im Qur'an betont (z.B., im ersten Satz von 2:148, in 21:92-93, oder in 23:52 ff.). Aufgrund der universellen Anwendbarkeit und der textlichen Unversehrtheit seiner Lehren – wie auch aufgrund der Tatsache, dass Prophet Muhammad "das Siegel der Propheten" ist, d.h., der letzte von ihnen (siehe 33:40) – stellt der Qur'an den Höhepunkt aller Offenbarung dar und bietet den letzten, vollkommenen Weg zur spirituellen Erfüllung. Dies Einzigartigkeit der qur'anischen Bot­schaft schließt allerdings die Anhänger früherer Glauben nicht von der Gnade Gottes aus; denn, wie der Qur'an so oft hervorhebt, werden jene von ihnen, welche kompro­misslos an den Einen Gott und den Tag des Gerichts glauben (d.h., an die individuelle moralische Verantwortung) und rechtschaffen gelebt haben, "keine Angst zu haben brauchen, noch traurig sein werden".

 

[4] D.h., "um durch die verschiedenen, euch auferlegten religiösen Gesetze, eure Bereitschaft zu prüfen, euch Gott zu unterwerfen und Ihm zu gehorchen" (Zamakhshari, Razi), und euch so die Gelegenheit zur spirituellen und sozialen Entwicklung in Überein­stimmung mit dem Gott gewollten Evolution zu geben", (Manar VI, 418 f.).

 

[5] Wörtl., "euch darüber zu informieren, worin ihr euch zu unterscheiden pflegtet" (vgl. die zweite Anmerkung zu Sure 2:113). So drückt der Qur'an für alle die an Gott glauben – Muslime und Nichtmuslime – gleicherweise aus, dass die Unterschiede in ihrer religiösen Praxis sie "miteinander im gute Werke tun, wetteifern" lassen soll, anstatt sich in gegenseitiger Feindschaft zu verlieren.

 

[6] Wörtl., "auf einen Weg der Absicht [des Glaubens]": Siehe die Anmerkung zu Vers 17 oben. Man sollte daran denken, dass die wörtliche Bedeutung von sharia "der Pfad zur Wasserstelle" ist, und da Wasser für alles organische Leben unverzichtbar ist, bekam dieser Ausdruck im Laufe der Zeit die Bedeutung von "System von Gesetzen", sowohl moralische wie praktische, die dem Menschen den Weg zu seiner spirituellen Erfüllung und zu gesellschaftlicher Wohlfahrt weisen: daher, "religiöses Gesetz" im weitesten Sinn des Wortes. (Siehe in diesem Zusammenhang die Anmerkung zum zweiten Teil von 5:48.)

 

[7] D.h., die nicht – oder nicht in erster Line – durch Gottesbewusstsein motiviert sind, und daher nur von dem beeinflußt werden, was sie selbst, in Hinblick auf weltliche, wechselnde Umstände als "richtig" erachten.

 

[8] Siehe ersten Absatz der Anmerkung zu 2:256. Weil, wie dieser Abschnitt zeigt, der Begriff din in diesem Zusammenhang nicht auf "Religion" in ihrem weitesten Sinne, einschließlich religiöser Gesetze – die ihrer Natur nach je nach dem Zeitpunkt ihrer Erlassung verschieden waren (vgl. Anmerkung zu 5:48) - angewandt werden kann, bezieht er sich hier nur auf ethische und spirituelle Inhalte der Religion, d.h. "Glauben" in weitestem Sinne. Mit diesem Vers kehrt der Diskurs zum Anfangsthema dieser Sure zurück, nämlich der unveränderlichen Gleichheit der spirituellen und moralischen Prinzipien, welche allen offenbarten Religionen zugrunde liegen.

 

[9] Wörtl., "das, was Wir dir offenbart haben", wobei mit eingeschlossen ist, dass der Prophet Muhammad nur durch Offenbarung über das Kenntnis erhalten hatte, "was Gott dem Noah geboten hatte".

 

[10] Vgl. 3:19 - "die einzig [wahre] Religion vor dem Angesicht Gottes ist [des Menschen] Selbst-Unterwerfung Ihm gegenüber"; und 3:85 - "wenn jemand eine andere Religion als die der Selbst-Unterwerfung Gott gegen­über sucht, wird sie niemals von ihm angenommen werden". Neben diesem Prinzip, welches von allen Gesandten Gottes erklärt wurde, gilt die kategorische Feststellung in 21:92 und 23:52 - "Wahrlich, [O ihr, die ihr an Mich glaubt] diese, eure Gemeinschaft ist eine einzige Gemeinschaft, denn Ich bin euer aller Erhalter". Die meisten der großen Kommentatoren (z.B., Zamakhshari, Razi, Ibn Kathir) verstanden dies als unmißver­ständlichen Hinweis auf die ökumenische Einheit aller Religionen, welche auf dem Glauben an den Einen Gott gründen, ungeachtet aller Differenzen - zum Vorteil der verschiedenen Gemein­schaften – in Hinblick auf ihre "spezifischen Satzungen und Praktiken, in Überein­stim­mung mit ihren [zeitbedingten] Verhältnissen (ala hasab ahiwaliha)", wie dies von Zamakhshari in seinem Kommentar zu diesem Vers ausgedrückt wird.