Statement von M. Tenné, Vorstandssprecher der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg anlässlich der EUROPA-WOCHE in Baden-Württemberg gehalten in Stuttgart, 8-Mai 2000, 19.00 Uhr im
Rathaus Stuttgart, anlässlich der Podiumsdiskussion

"Juden, Christen und Muslime - gemeinsam Europa Bauen",

Sehr verehrte Damen, geehrte Herren,

ich freue mich über die zahlreichen Besucher und begrüsse sie alle recht herzlich zum heutigen Podiums-gespräch " Juden, Christen und Muslime - Gemeinsam Europa bauen" .

Ich begrüsse meine Partnerinnen und Partner hier oben, die Damen Rabeya Müller und Eva Frenzen, die Herren Michael Blume, Prof. Dr. Ralph Stehly, Dr. Wolfgang Rödl, Michael Muhammad Hanel und grüsse besonders, den Moderator des heutigen Abends, Dr. Hans Heiner Boelte und Herrn Murat Aslanogiu, den Ideengeber für das heutige Podiumsgespräch.

Meine Damen und Herren,

in der Stuttgarter Stadtbahn las ich folgenden Anschlag-.

Zukunft ist wichtig ! Vergangenheit ist wichtig
Doch leben tun wir in der Gegenwart!

Meiner Meinung nach ein wichtiger Spruch, dem jedoch ein Nachsatz fehlt:

Wir leben in einer Gegenwart, die es aber ohne Vergangenheit, der wir uns alle zu stellen haben, nicht wahrhaftig gibt, und wenn wir uns ihr nicht stellen so glaube ich, wird eine Zukunft in Frieden und Harmonie für uns alle und für unsere Nachkommen erschwert und fast unmöglich.

Bedenken und beachten sollten wir: Was wir heute tun oder nicht tun, ob wir Rechtsradikalismus, Rassismus oder Fremdenfeindlichkeit dulden und zu wenig bekämpfen, ob wir Ressourcen richtig verteilen oder nicht, ob wir unser aller Leben in die positivste Richtung weisen, all dies ist morgen bereits Vergangenheit, ist immer ein Teil unsrer gemeinsamen Vergangenheit, ob positiv oder negativ, der wir uns zu stellenhaben.

Ich betone dies besonders für die Gegenwart; in der Vergangenheit, seit Tausenden von Jahren hat es positive und negative "Begebenheiten" gegeben, es ist das leichteste Wort, das ich für die verschiedensten Taten finden konnte, über die danach in der damaligen Zukunft, die heute wieder Vergangenheit ist, entweder berichtet, nachgedacht, vielleicht auch Trauer und Bestürzung gezeigt wurde, öfters jedoch wurden die damaligen negativen Taten als richtig empfunden und es wurde zur damaligen Tagesordnung übergegangen und die gleichen Untaten wurden wiederholt.

Dies vielleicht zum Verständnis meiner weiteren Ausführungen.

Gemeinsam Europa bauen !

Eine wichtige, gute und schöne Sache !

Wie kann man aber etwas gemeinsam bauen, wenn immer noch keine Gemeinsamkeiten bestehen. Können sie ein Haus bauen, wenn die verschiedenen Eigentümer, die alle darauf beharren, das Haus nach ihrem und nur nach ihrem Willen zu gestalten, die Wünsche der anderen nicht gelten lassen? (Fragezeichen)

Die Religionen, deren Ursprünge im Frieden liegen, im Schalom, Pax, Salam, sind meiner Meinung nach noch nicht so weit, dass sie gemeinsam bauen können. Daher auch das Fragezeichen.

Es muss aber, so meine ich, ein Weg gefunden werden, die Gemeinsamkeiten, deren es viele gibt, so herauszustellen, dass wir eine architektonische und statische Planung zu stande bringen, die für die Zukunft ein sicheres Bauen, ein sicheres gemeinsames Bauen ermöglicht.

Wir alle wissen, dass Religionen Welt-umspannend, daher auch Nationalgrenzen gibt und somit auch bestens geeignet sind, gemeinsam den Frieden zu sichern.

Das Judentum und der Islam sind auch sprachlich ungebunden. Jeder Jude und jeder Moslem, ob in einer Synagoge oder einer Moschee, weltweit, kann ohne grosse Hindernisse beten und den seiner Religion angemessenen Zeremonien beiwohnen. Beim Christentum ist es anders. Bei den katholischen Christen gab es bis vor einigen Jahren noch lateinische Gebete, die zwar Gemeinsamkeiten im Gebet zuliessen, der Verständigung jedoch hinderlich waren. Seit der Reformation und Veröffentlichung der Luther-Bibel wurde in Deutschland auf Deutsch gebetet und die Bibel gelesen; bald übernahmen die anderen Europäischen Länder, je nach Annahme der Reformation diese sprachliche Einordnung und somit gab es automatisch Trennungen.

Ursprünglich lebten die drei monotheistischen Religionen in gewissem Frieden miteinander, nachdem sie ihren Herrschaftsbereich abgesteckt hatten. Das Christentum missionierte, auch unter Juden, danach auch unter Moslems und den sog. Heiden, die Moslems versuchten den Islam zu verbreiten, auch unter Androhung drastischer Strafen, bis zur Todesstrafe.

Im Mittelalter, als die erste grosse Globalisierung stattfand, waren die Juden in fast allen Landstrichen und Städten rund um das Mittelmeer vertreten, auch in den Städten im Herzen Europas. Die Moslems eroberten das gesamte Gebiet Nordafrikas und gelangten bis nach Spanien und Portugal. Es gab damals ein normales Miteinander unter der Bevölkerung, bis in die Spitzen der Monarchien und Regierungen. Es gab ein gegenseitiges Geben und Nehmen, die historischen Bauten, die wir bei den Spanien- und Portugalbesuchen bestaunen, stammen aus der maurischen Zeit.

Dann, plötzlich, mit der Thronbesteigung von Isabella in Spanien verschlechterten sich die Verhältnisse, es gab Kriege, die Mauren wurden besiegt und die Juden verfolgt.

Der erste Staat, der offiziell fast 500 000 Juden aufnahm, die 1492 aus Spanien vertrieben wurden, war das damalige osmanische Reich, es öffnete die Tore und gab den Juden das Niederlassungsrecht und eine gewisse Gleichberechtigung.

Viele Juden zogen es vor, ins Ausland, nach Frankreich, Holland und Norddeutschland zu fliehen. Diese Gemeinden bestehen noch heute. Es sind die sog. Sefaradim, von Sefard = Spanien. Die anderen europäischen Juden sind die Aschkenasim, von Aschkenas = Deutschland.

Die in Spanien und Portugal zum Christentum übergetretenen Juden, Marranen = Schweine genannt, wurden drangsaliert.

Von den Kreuzzügen kennen wir die Daten. Es sollte gegen die Muslime, die das Heilige Grab verwalteten, gekämpft werden, das Heilige Land sollte "Muslime rein" gemacht werden, unterwegs, in Frankreich und am Rhein und im Osten Europas wurden die Juden gemordet, denn warum warten bis wir in Jerusalem sind, wir können ja schon hier anfangen, war die Parole.

Und diese roten Fäden gehen durch die Geschichte, Christen gegen Juden, Christen gegen Muslime, Muslime gegen Christen und Muslime gegen Juden, und in der neuesten Geschichte, fanatische Muslime gegen Israelis und Juden in aller Welt, und Israelis gegen extremistische Fanatiker aus der arabischen Weit, obwohl ihnen 1948 die Hand zum Frieden geboten wurde. Wann werden wir gemeinsam den Weg in ein friedliches Europa gehen, gemeinsam Europa bauen?

Meine Damen und Herren,

dieses statement hat mit dem Titel dieser Podiumsdiskussion nur übergeordnet zu tun.

Für mich stellt sich die Frage: Wie können wir zu einer Gemeinsamkeit kommen, wenn wir nicht die Geschichte betrachten und beachten wollen. Im luftleeren Raum können wir nicht leben, aber eine Feder fällt genau so schnell wie ein
gleichschweres Stück Eisen. Wir müssen auf der Vergangenheit aufbauen, das Trennende endlich beseitigen, ohne, und ich betone, ohne unsere Religionen zu verwässern und ohne, dass wir versuchen - und dies Versuche werden immer noch und immer wieder, auch hier im Ländle gemacht - , ohne dass wir versuchen den anderen seiner Religion abspenstig zu machen.

Ich begrüsse es ausserordentlich, dass nun nach den Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, sich auch Gesellschaften für Christlich-Islamische Geselschaften gegründet haben. Es ist wichtig, dass wir nicht mehr über einander reden, sondern dass wir miteinander reden, dass wir versuchen wollen, den anderen zu verstehen, in die Grundwerte der anderen Religionen einzudringen, dass wir begreifen, dass es verschiedene Wege gibt, um das Ziel zu erreichen, gemeinsam für Frieden, Wohlstand und Wohlergehen zu kämpfen.

Wir müssen jedoch immer daran denken, und hier möchte ich Mathäus 6, 24 zitieren:

"Niemand kann gleichzeitig zwei Herren dienen; denn entweder wird er den einen hassen und den anderen lieben oder er wird dem einen ergeben sein und den anderen missachten."

Seit dem 7. Jahrhundert, an dessen Anfang die Predigten Mohammeds, Muchamads stehen, gab es die Verbindungen zwischen Judentum, Christentum und dem neu entstandenen Islam = Hingabe an Gott. Der Islam glaubt wie das Judentum an den Einen Gott; sie verweigern die Anerkennung der Dreieinigkeit wie das Judentum sie verweigern diese Anerkennung, weil der Eine Gott keine Teilhabe und Vermittlung nötig hat. Mit dem Judentum gemeinsam hat der Islam, dass es keine Priester im christlichen Sinne gibt, sie sind nur Theologen und Rechtsgelehrte, die Mullahs und die Rabbiner. Auch Mohammed, wie Moses war kein höheres Wesen, sondern nur Mittler zwischen Gott und den Gläubigen.

Der Koran, das heilige Buch der Muslime (Lesung, Rezitation) beinhaltet 114 Suren mit 6666 Versen, darunter Suren wie, Jona (10. Sure, Vers 3), "Allah, ... der erschaffen hat die Himmel und die Erde in 6 Tagen, Joseph (12. Sure, erzählt die Joseph-Geschichte aus dem 1. Mose), Abraham (14. Sure), Maria (19. Sure), Die Geschichte (28. Sure), erzählt die Geschichte des Moses und Pharaos, und noch andere Suren, in denen es sich um biblische Gestalten handelt, als Beispiel 71. Sure : Noah.

Es gibt viele Gemeinsamkeiten der drei monotheistischen Religionen, die wir wieder herausbringen müssen, es gibt auch viele Gemeinsamkeiten nur zwischen Judentum und Christentum. Jesus, der Jude, der als Jude lehrte und als Jude starb. Jesus. der jüdische revolutionäre Erneuerer, der nur zu den Juden sprach. Seine ihm nachfolgenden Jünger haben die Ausweitung in die heidnische Umgebung propagiert. Jesus, der in den Synagogen predigte, das Wort der Thora auszulegen versuchte, auf seine Weise, blieb aber immer ein frommer Jude. Nach Mathäus, 5,17 : Denkt nicht, dass ich gekommen sei, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen, sondern zu erfüllen. Denn wahrlich ich sage euch; bis der Himmel und die Erde vergehen, wird vom Gesetz nicht ein einziges Jota (gemeint ist der hebräische Buchstabe "Jod", der kleinste Buchstabe des Alphabets) und kein Strichlein (gemeint sind die Vokale, die in Strich und Punktform unter, über und neben den Buchstaben stehen) vergehen.

Meine Damen und Herren,

Bevor wir. wie gesagt, das gemeinsame Haus Europa, von den drei monotheistischen Religionen her betrachtet, planen und bauen können, - wollen tun wir es - müssen wir uns gegenseitig de Gemeinsamkeiten bewusst werden, sie in unser Leben so integrieren, dass sie ein fester Bestandteil unserer Anschauungen werden, ohne dass wir dauernd darüber nachdenken müssen. Wir dürfen ferner keine Anstrengungen unternehmen, um unseren Glauben den Mitgliedern anderer Religionen überzustülpen, oder ihnen zu versichern, dass ihre Religion die Erfüllung der Prophezeihungen der anderen Religionen sind.

Erst dann können wir gemeinsam - denn es gäbe dann nichts Trennendes mehr - den Bau des Hauses Europa, einem Europa der in sich selbst ruhenden Religionen. ohne Hemmungen und selbstbewusst beginnen. Packen wir's an, zögern wir nicht länger, reden und bauen wir miteinander!

In diesem Sinne erwarte ich eine rege, aber ruhige Diskussion. Ich bin gespannt auf ihre Wortmeldungen.
I.d.i.