Cafe Theo am Dienstag, 3. Mai 2005, 19.00 Uhr im Unternehmen Mitte.

 

 

Der Fels des Atheismus - Wie kann ein gütiger Gott soviel Böses zulassen?

 

Informationen zum Café Theo, die auf www.religionsbasel.ch abgerufen werden können:

„Schafft das Unvollkommene weg, dann allein könnt Ihr Gott demonstrieren; [...] Man kann das Böse leugnen, aber nicht den Schmerz [...] Warum leide ich? Das ist der Fels des Atheismus. Das leiseste Zucken des Schmerzes, und rege es sich in einem Atome, macht einen Riß in der Schöpfung von oben bis unten.“ (aus: G. Büchner, Dantons Tod, 1835)

Eine der brennendsten Grundfragen der Theologie ist die der Theodizee. Der Begriff Theodizee wurde vom deutschen Philosophen G.W. Leibniz (1697) geprägt und leitet sich aus den griechischen Substantiven theos qeoV =  Gott und dike dikh = Gerechtigkeit ab. Es handelt sich also um die Frage, wie man angesichts der Realität des Bösen / des Übels aller Art (naturbedingtes Elend, physisches und psychisches Leid, metaphysische Unvollkommenheit) davon ausgehen kann, dass ein gerechter Gott existiert. Denn wenn wir von einem einzigen, allwissenden, allmächtigen und allgütigen Gott ausgehen, ergibt sich ein logischer Widerspruch zwischen der Existenz Gottes und der Existenz des Bösen, des Leids und des Übels.

Wie gehen die Vertreter der Religionen (Islam, Judentum und Christentum) mit dem vorliegenden Problem um? Bestehen interreligiöse Unterschiede? Welche Einwände seitens der Atheisten und Agnostiker können vorgebracht werden?

In einem ersten Teil der Podiumsdiskussion wenden wir uns der logischen Analyse des Theodizeeproblems zu, in einem zweiten Teil betrachten wir die Konsequenzen der Antwortstrategien für die Lebenshaltung des Menschen. 

 

Zum Ablauf:

1. Kurze allgemeine Einleitung durch Benedict Vischer.

2. Ich werde als inhaltliche Einleitung eine Aussage zum Thema zitieren (wahrscheinlich von Epikur) und die Gäste bitten, kurz Stellung dazu zu beziehen (Ist die Existenz Gottes mit der Existenz menschlichen Leids vereinbar?), damit sich das Publikum ein Bild von den vertretenen Positionen machen kann. Das Zitat wird die Theodizeefrage in einigen Worten umreissen.

3. Im Anschluss sollen die Argumente vorgebracht und diskutiert werden.

a)     Zunächst soll es um die klassischen Fragen gehen:

Ist die Existenz Gottes mit der Existenz menschlichen Leids vereinbar? Wenn ja, wie? Wenn nein, wieso nicht? Besteht ein logischer Widerspruch? Wie müssen Begriffe wie Allmacht, Allwissenheit, Allgüte, Gerechtigkeit verstanden bzw. modifiziert werden? Welche interreligiösen Unterschiede gibt es? Welche philosophischen Einwände können vorgebracht werden? Wie überzeugend sind die Antwortstrategien?

b)     Anschliessend betrachten wir die Konsequenzen / die Bedeutung der Antwortstrategien:

Wie gehen Menschen mit Ungerechtigkeiten um? Bestehen darin Unterschiede zwischen religiösen, atheistischen und agnostischen Menschen? Was “bringt” einem die atheistische, agnostische, jüdische, muslimische oder christliche Sichtweise? Welche Konsequenzen für die Lebenshaltung bzw. für das Handeln des Menschen ergeben sich aus den unterschiedlichen Antworten auf die Theodizeefrage? Gibt es beispielsweise einen freien Willen des Menschen? Welche Folgen hat dies für das Verständnis der Gerechtigkeit?

4. Nach ca. 60 – 75 Min. wird die Diskussion für das Publikum geöffnet, das Fragen oder Kommentare vorbringen kann.

 

Es diskutieren auf dem Podium:

Arie Folger, jüd.  Rabbiner

Reinhold Bernhardt,  christl. Theologe

Marianne Sarasin,  Philosophiestudentin

Christian Platz,  Journalist

Muhammad M. Hanel, Muslim

Moderation: Sanja Dembic 

 

 

 

INFO

Die Kardinaltugenden der epikureischen Ethik sind Gerechtigkeit, Ehrlichkeit und Vernunft bzw. die Ausgewogenheit zwischen Lust und Leid.

Wahres Glück ist nach Epikur die heitere Ruhe, die aus dem Sieg über die Furcht erwächst.

 

Letztes Ziel aller epikureischer Gedanken über die Natur ist die Befreiung des Menschen von diesen Ängsten.

 

Epikur zufolge besteht die Seele aus feinsten Teilchen, die im ganzen Körper verteilt sind. Die Auflösung des Körpers nach dem Tod führt zur Auflösung der Seele, was ein Leben nach dem Tode unmöglich macht.

Man brauche sich vor dem Tod aber nicht zu fürchten, denn «solange wir sind, ist der Tod nicht und wenn der Tod da ist, gibt es uns nicht mehr.»

Auch Epikurs Naturauffassung ist materialistisch und schliesst an die Tradition der Vorsokratiker Leukipp und Demokrit an.

 

Vielmehr vertrat er eine deistische Sicht, wonach diese glückliche und ewige Wesen mit übernatürlichen Kräften seien, die bestimmt keinen Einfluss auf die Vorgänge auf der Erde nähmen. Er fand auch für sie einen Platz in seinem Weltbild: Er versorgte sie zwischen den Universen, wo sie niemanden störten.

 


1.     Ist die Existenz Gottes mit der Existenz menschlichen Leids vereinbar?

 

Hanel: JA!



Hanel:

Der Qur’an, lebendiges Wort des Lebendigen Gottes gibt uns Muslimen Antwort auf unsere Fragen.

WARUM also ist menschliches Leid mit der Existenz Gottes vereinbar?

 

… denn der Mensch ist schwach erschaffen.[4:28]

 

Schwäche ist Ursache für Leid in dieser Welt.

Schwäche bedingt einerseits Fehlerhaftigkeit, Versagen und Konflikt mit den unverrückbaren Gegebenheiten der Natur.

Schwäche bedingt andererseits Bemühen um Fehlerlosigkeit und Stärke, welche, wenn in der rechten Art erworben, letztlich zu Leidlosigkeit in dieser und der nächsten Welt führt.

 

Gott lässt den Menschen aber nicht allein im Bemühen um Leidlosigkeit, im Erlangen rechter Stärke, im Wachsen zur Vollkommenheit des eigenen Wesens.

 

Allah will eure Bürde erleichtern; … [4:28]

 

Gott überlässt es aber des Menschen freier Entscheidung, die Hilfestellung Gottes anzunehmen oder auszuschlagen und verlangt von ihm das selbständige Arbeiten an der Vervollkommnung seines Selbst. Entscheidet sich der Mensch sich Gott zuzuwenden, sozusagen Ihm entgegenzugehen, so kommt Gott dem Menschen um Vielfaches entgegen.

 

2.     Besteht ein logischer Widerspruch?

 

Hanel: NEIN!

3. Wie müssen Begriffe wie Allmacht, Allwissenheit, Allgüte, Gerechtigkeit verstanden bzw. modifiziert werden?

Hanel:

ALLMACHT bedeutet einfach: ALLES ZU VERMÖGEN, ZU BEHERRSCHEN

 

ALLWISSENHEIT bedeutet: ALLE URSACHEN, ZUSAMMENHÄNGE, WIRKUNGEN und MÖGLICHKEITEN zu KENNEN und zu BEHERRSCHEN.

 

ALLGÜTE bedeutet:            ALLES seiner GUTEN, AUSGEGELICHENEN, WESENHAFT inne liegenden BESTIMMUNG ZUZUFÜHREN (= GLÜCK des Erschaffenen)

 

GERECHTIGKEIT:                Hier bedarf es der Unterscheidung zw. der unabhängigen, absoluten Gerechtigkeit Gottes und menschlicher relativer Gerechtigkeit.

 

 

Welche Folgen hat dies für das Verständnis der Gerechtigkeit?

 

Hanel:

Der Qur’an sagt: Sprich: "Allah ist der Schöpfer aller Dinge, und Er ist der Einzige, der Allmächtige."[13:16]

 

Ist Gott als Schöpfer anerkannt, hat er als Urheber sozusagen ALLE Verfügungsrechte über seine „Erzeugnisse“. Somit ergibt sich gar KEINE Infragestellung göttlicher Gerechtigkeit (für den Menschen als Eigentum Gottes).

Nach menschlicher Gepflogenheit beurteilt, stellt sich der Sachverhalt folgend dar: Nach menschlichem Recht hat der Erzeuger einer Sache – und der Mensch ist als Abhängiger Gottes, Geschöpf, Sklave, Diener Gottes – gemäß menschlicher Rechtsprechung eine Sache. Gott schenkt ihm das Leben und nimmt es ihm auch wieder, ganz wie es IHM beliebt.

 

Gott verpflichtet sich selbst zur Gerechtigkeit und Barmherzigkeit – indem Er alle Voraussetzungen schafft, dass der Mensch sich aus eigener Kraft zu würdiger Freiheit (u.a. von Leid) hin entwickelt indem Er wie ein weiser, barmherziger und doch strenger Lehrer, das dafür zuträglich Unternommene belohnt und das entsprechend Abträgliche sanktioniert.

 

Gerechtigkeit in der Beziehung Mensch – Gott feststellen zu können, wird dem Menschen nicht gelingen – wenn er dies nicht WILL (wenn er Ungerechtigkeit feststellen will). Er wird immer aus seiner engen, zeitlichen, qualitativ und quantitativ begrenzten Sicht und entsprechend unvollkommenem Wissen um die tatsächlichen Sachverhalte oder Tatbestände – Unvollkommenheit im Ratschluss Gottes – wie das sprichwörtliche Haar in der Suppe – finden können. Es liegt an ihm es selbst zu entfernen.

Anders gesagt, der Mensch findet in der Analyse seiner gelebten Wirklichkeit letztlich nur die Reflexion der Realität seines eigenen unvollkommenen, seines mehr oder weniger vollkommenen Wesens.

 

Gerechtigkeit Gottes kann daher nur über die Beherrschung der Ewigkeit erkannt werden und diese Beherrschung ist dem Menschen in seiner diesseitigen Form nicht gegeben.

 

Welche interreligiösen Unterschiede gibt es? Welche philosophischen Einwände können vorgebracht werden? Wie überzeugend sind die Antwortstrategien?

 

 

4.     Gibt es beispielsweise einen freien Willen des Menschen?
JA

 

Hanel:

Der Qur’an sagt: Und hätte Allah Seinen Willen erzwungen, hätten sie das nicht getan; so überlasse sie sich selbst mit dem, was sie erdichten.[6:137]

 

Allah überlässt es den vernunftbegabten Wesen, selbst Entscheidungen zu treffen und lässt auch andererseits keinen Zweifel darüber, dass diese Entscheidungen Konsequenzen haben werden (mehr Leid bis ewiges Leid – weniger Leid bis ewige Leidlosigkeit).

 

Ihm ergibt sich, was in den Himmeln und auf der Erde ist, gehorsam oder wider Willen, und zu Ihm kehren sie (alles Erschaffene, Dinge und Lebewesen) zurück. [3:83]

 

 

PRÄDESTINATION versus FREIER WILLE

 

Hanel:

Alles geht von Gott dem Schöpfer aus und kehrt zu ihm zurück.

 

Bild:

Sehen wir uns wie magnetisch von unserem Ziel – Gott – angezogen.

Alles was uns nun auf dieser magnetisch vorgegebenen Bahn passiert, liegt innerhalb der reinen Vorbestimmung.

 

Stellen wir uns nun Objekte unseres freien willentlichen Begehrens, welche NICHT auf der ursprünglich vorgezeichneten Bahn liegen, als ebenfalls magnetisch vor, die von unserem, sozusagen „eisernen“ Willen, sie zu erlangen ins Visier genommen werden – und uns in Folge, wie mag(net)isch zu sich hinziehen. So ergibt sich daraus das Bild individuellen frei gewählten Schicksals jedes Menschen in Abhängigkeit zur Ausübung seines freien Willens.

 

Waren dies niedere Ziele und Begierden resultiert daraus Leid.

Waren dies höhere Ziele, welche das Geschöpf seiner Vervollkommnung näher bringen, resultiert Leidlosigkeit (lustvolle Freude) daraus.

 

Dies IST die Gerechtigkeit Gottes – und erklärt im Ansatz das Zusammengehen von göttlicher Vorbestimmung und menschlichem, freiem Willen.

 

Wenn jemand das Rechte tut, so tut er es für sich selbst; und wenn jemand Böses tut, so handelt er gegen sich selbst. Und dein Herr ist niemals ungerecht gegen die Menschen. [41:46]

 

An jenem Tage wird jede Seele bereit finden, was sie an Gutem getan hat; und was sie an Bösem getan hat - wünschen wird sie, dass zwischen ihr und ihm eine weite Zeitspanne läge. Und Allah warnt euch, vor sich selber achtlos zu sein; und Allah ist gütig gegen Seine Diener. [3: 30] 

 

Sprich: "Alles ist von Allah." Warum verstehen denn diese Leute kaum etwas von dem, was ihnen gesagt wird? [4:78]

Was dich an Gutem trifft, kommt von Allah, und was dich an Schlimmem trifft, kommt von dir selbst. … [4:79]

 

Der GUTE GOTT – „gegen“ das/den BÖSE(N)

 

 

Hanel:

Ein solches dualistische Konzept ist im ISLAM nicht grundlegend.

 

ALLES Erschaffene ist GUT und dem Menschen erlaubt, außer, was ihm Gott definitiv verwehrt.

Die arabischen Begriffe HALAL – HARAM verdeutlichen dies.

Sie bedeuten einerseits „das ZUGELASSENE, ZUTRÄGLICHE“ und andererseits „das VERWEHRTE, das GOTT VORBEHALTENE“.

HARAM bezeichnet auch den heiligen Bezirk rund um die KAABA. Der Begriff kann also nicht einseitig mit „schlecht oder böse“ in Verbindung gebracht werden.

 

Der TEUFEL, das BÖSE ist also nicht ein ANTI-GOTT, sondern das erschaffene, geschaffene wesenhafte Unverständnis (relative Verständnis) bezüglich der Vollkommenheit Gottes, welches sich in Selbstvergessenheit und blinder Egozentrik gegen die Autorität des Absoluten aufwirft - ein potentielles „charakterliches Merkmal“ aller Geschöpfe, welche auf ein eigenständiges „ICH“ zurückgreifen können.