Informationen zum Café Theo, die auf www.religionsbasel.ch abgerufen werden
können:
„Schafft das Unvollkommene weg, dann allein könnt Ihr
Gott demonstrieren; [...] Man kann das Böse leugnen, aber nicht den Schmerz [...] Warum
leide ich? Das ist der Fels des Atheismus. Das leiseste Zucken des Schmerzes,
und rege es sich in einem Atome, macht einen Riß in der Schöpfung von oben bis
unten.“ (aus: G. Büchner, Dantons Tod, 1835)
Eine der brennendsten Grundfragen der Theologie
ist die der Theodizee. Der Begriff Theodizee wurde vom deutschen Philosophen
G.W. Leibniz (1697) geprägt und leitet sich aus den griechischen Substantiven
theos qeoV = Gott und dike dikh = Gerechtigkeit ab. Es handelt sich also um die Frage,
wie man angesichts der Realität des Bösen / des Übels aller Art (naturbedingtes
Elend, physisches und psychisches Leid, metaphysische Unvollkommenheit) davon
ausgehen kann, dass ein gerechter Gott existiert. Denn wenn wir von einem
einzigen, allwissenden, allmächtigen und allgütigen Gott ausgehen, ergibt sich
ein logischer Widerspruch zwischen der Existenz Gottes und der Existenz des
Bösen, des Leids und des Übels.
Wie gehen die Vertreter der Religionen (Islam,
Judentum und Christentum) mit dem vorliegenden Problem um? Bestehen interreligiöse
Unterschiede? Welche Einwände seitens der Atheisten und Agnostiker können
vorgebracht werden?
In einem ersten Teil der Podiumsdiskussion wenden
wir uns der logischen Analyse des Theodizeeproblems zu, in einem zweiten Teil
betrachten wir die Konsequenzen der Antwortstrategien für die Lebenshaltung des
Menschen.
Zum Ablauf:
1. Kurze allgemeine
Einleitung durch Benedict Vischer.
2. Ich
werde als inhaltliche Einleitung eine Aussage zum Thema zitieren
(wahrscheinlich von Epikur) und die Gäste bitten, kurz Stellung dazu zu
beziehen (Ist die Existenz Gottes mit der Existenz menschlichen Leids
vereinbar?), damit sich das Publikum ein Bild von den vertretenen Positionen
machen kann. Das Zitat wird die Theodizeefrage in einigen Worten umreissen.
3. Im
Anschluss sollen die Argumente vorgebracht und diskutiert werden.
a) Zunächst soll es um die klassischen Fragen gehen:
Ist die
Existenz Gottes mit der Existenz menschlichen Leids vereinbar? Wenn ja, wie?
Wenn nein, wieso nicht? Besteht ein logischer Widerspruch? Wie müssen Begriffe
wie Allmacht, Allwissenheit, Allgüte,
Gerechtigkeit verstanden bzw. modifiziert werden? Welche interreligiösen
Unterschiede gibt es? Welche philosophischen Einwände können vorgebracht
werden? Wie überzeugend sind die Antwortstrategien?
b) Anschliessend betrachten wir die Konsequenzen /
die Bedeutung der Antwortstrategien:
Wie gehen
Menschen mit Ungerechtigkeiten um? Bestehen darin Unterschiede zwischen
religiösen, atheistischen und agnostischen Menschen? Was “bringt” einem die
atheistische, agnostische, jüdische, muslimische oder christliche Sichtweise?
Welche Konsequenzen für die Lebenshaltung bzw. für das Handeln des Menschen
ergeben sich aus den unterschiedlichen Antworten auf die Theodizeefrage? Gibt
es beispielsweise einen freien Willen des Menschen? Welche Folgen hat dies für
das Verständnis der Gerechtigkeit?
4. Nach
ca. 60 – 75 Min. wird die Diskussion für das Publikum geöffnet, das Fragen oder
Kommentare vorbringen kann.
Es
diskutieren auf dem Podium:
Arie Folger, jüd. Rabbiner
Reinhold Bernhardt, christl. Theologe
Marianne Sarasin, Philosophiestudentin
Christian
Platz, Journalist
Muhammad
M. Hanel, Muslim
Moderation:
Sanja Dembic
INFO
Die
Kardinaltugenden der epikureischen Ethik sind Gerechtigkeit, Ehrlichkeit
und Vernunft bzw. die Ausgewogenheit zwischen Lust und Leid.
Wahres Glück ist nach Epikur die heitere Ruhe, die aus dem Sieg über die
Furcht erwächst.
Letztes
Ziel aller epikureischer Gedanken über die Natur ist die Befreiung des Menschen von diesen Ängsten.
Epikur
zufolge besteht die Seele aus feinsten Teilchen, die im ganzen Körper verteilt
sind. Die Auflösung des Körpers nach dem Tod führt zur Auflösung der Seele, was ein Leben nach dem Tode unmöglich
macht.
Man
brauche sich vor dem Tod aber nicht zu fürchten, denn «solange wir sind, ist
der Tod nicht und wenn der Tod da ist, gibt es uns nicht mehr.»
Auch
Epikurs Naturauffassung ist materialistisch und schliesst an die Tradition der
Vorsokratiker Leukipp und Demokrit
an.
Vielmehr
vertrat er eine deistische Sicht, wonach diese glückliche und ewige Wesen mit
übernatürlichen Kräften seien, die bestimmt keinen Einfluss auf die Vorgänge
auf der Erde nähmen. Er fand auch für sie einen Platz in seinem Weltbild: Er
versorgte sie zwischen den Universen, wo sie niemanden störten.
1.
Ist die Existenz Gottes mit der Existenz
menschlichen Leids vereinbar?
Hanel: JA!
Hanel:
Der Qur’an, lebendiges Wort des Lebendigen Gottes
gibt uns Muslimen Antwort auf unsere Fragen.
WARUM also ist menschliches Leid mit der Existenz
Gottes vereinbar?
… denn der Mensch ist schwach
erschaffen.[4:28]
Schwäche
ist Ursache für Leid in dieser Welt.
Schwäche
bedingt einerseits Fehlerhaftigkeit, Versagen und Konflikt mit den
unverrückbaren Gegebenheiten der Natur.
Schwäche
bedingt andererseits Bemühen um Fehlerlosigkeit und Stärke, welche, wenn in der
rechten Art erworben, letztlich zu Leidlosigkeit in dieser und der nächsten
Welt führt.
Gott
lässt den Menschen aber nicht allein im Bemühen um Leidlosigkeit, im Erlangen
rechter Stärke, im Wachsen zur Vollkommenheit des eigenen Wesens.
Allah will eure Bürde erleichtern; …
[4:28]
Gott
überlässt es aber des Menschen freier Entscheidung, die Hilfestellung Gottes anzunehmen
oder auszuschlagen und verlangt von ihm das selbständige Arbeiten an der
Vervollkommnung seines Selbst. Entscheidet sich der Mensch sich Gott
zuzuwenden, sozusagen Ihm entgegenzugehen, so kommt Gott dem Menschen um
Vielfaches entgegen.
2.
Besteht ein logischer Widerspruch?
Hanel: NEIN!
3. Wie müssen Begriffe wie Allmacht, Allwissenheit, Allgüte, Gerechtigkeit verstanden bzw.
modifiziert werden?
Hanel:
ALLMACHT
bedeutet einfach: ALLES ZU VERMÖGEN, ZU
BEHERRSCHEN
ALLWISSENHEIT bedeutet: ALLE URSACHEN, ZUSAMMENHÄNGE, WIRKUNGEN und
MÖGLICHKEITEN zu KENNEN und zu BEHERRSCHEN.
ALLGÜTE bedeutet: ALLES seiner GUTEN, AUSGEGELICHENEN,
WESENHAFT inne liegenden BESTIMMUNG ZUZUFÜHREN (= GLÜCK des Erschaffenen)
GERECHTIGKEIT: Hier
bedarf es der Unterscheidung zw. der unabhängigen, absoluten Gerechtigkeit Gottes
und menschlicher relativer Gerechtigkeit.
Welche Folgen hat dies für das Verständnis der
Gerechtigkeit?
Hanel:
Der Qur’an sagt: Sprich:
"Allah ist der Schöpfer aller Dinge, und Er ist der Einzige, der Allmächtige."[13:16]
Ist Gott
als Schöpfer anerkannt, hat er als Urheber sozusagen ALLE Verfügungsrechte über
seine „Erzeugnisse“. Somit ergibt sich gar KEINE Infragestellung göttlicher
Gerechtigkeit (für den Menschen als Eigentum Gottes).
Nach
menschlicher Gepflogenheit beurteilt, stellt sich der Sachverhalt folgend dar:
Nach menschlichem Recht hat der Erzeuger einer Sache – und der Mensch ist als
Abhängiger Gottes, Geschöpf, Sklave, Diener Gottes – gemäß menschlicher
Rechtsprechung eine Sache. Gott schenkt ihm das Leben und nimmt es ihm auch
wieder, ganz wie es IHM beliebt.
Gott
verpflichtet sich selbst zur Gerechtigkeit und Barmherzigkeit – indem Er alle
Voraussetzungen schafft, dass der Mensch sich aus eigener Kraft zu würdiger
Freiheit (u.a. von Leid) hin entwickelt indem Er wie ein weiser, barmherziger
und doch strenger Lehrer, das dafür zuträglich Unternommene belohnt und das
entsprechend Abträgliche sanktioniert.
Gerechtigkeit
in der Beziehung Mensch – Gott feststellen zu können, wird dem Menschen nicht
gelingen – wenn er dies nicht WILL (wenn er Ungerechtigkeit feststellen will).
Er wird immer aus seiner engen, zeitlichen, qualitativ und quantitativ
begrenzten Sicht und entsprechend unvollkommenem Wissen um die tatsächlichen
Sachverhalte oder Tatbestände – Unvollkommenheit im Ratschluss Gottes – wie das
sprichwörtliche Haar in der Suppe – finden können. Es liegt an ihm es selbst zu
entfernen.
Anders
gesagt, der Mensch findet in der Analyse seiner gelebten Wirklichkeit letztlich
nur die Reflexion der Realität seines eigenen unvollkommenen, seines mehr oder
weniger vollkommenen Wesens.
Gerechtigkeit
Gottes kann daher nur über die Beherrschung der Ewigkeit erkannt werden und
diese Beherrschung ist dem Menschen in seiner diesseitigen Form nicht gegeben.
Welche interreligiösen Unterschiede gibt es?
Welche philosophischen Einwände können vorgebracht werden? Wie überzeugend sind
die Antwortstrategien?
4.
Gibt es beispielsweise einen freien Willen des
Menschen?
JA
Hanel:
Der Qur’an sagt: Und
hätte Allah Seinen Willen erzwungen, hätten sie das nicht getan; so überlasse
sie sich selbst mit dem, was sie erdichten.[6:137]
Allah
überlässt es den vernunftbegabten Wesen, selbst Entscheidungen zu treffen und
lässt auch andererseits keinen Zweifel darüber, dass diese Entscheidungen
Konsequenzen haben werden (mehr Leid bis ewiges Leid – weniger Leid bis ewige
Leidlosigkeit).
Ihm ergibt sich, was in den Himmeln
und auf der Erde ist, gehorsam oder wider Willen, und zu Ihm kehren sie (alles
Erschaffene, Dinge und Lebewesen) zurück. [3:83]
PRÄDESTINATION versus FREIER WILLE
Hanel:
Alles geht von Gott dem Schöpfer aus und kehrt zu ihm zurück.
Bild:
Sehen wir
uns wie magnetisch von unserem Ziel – Gott – angezogen.
Alles was
uns nun auf dieser magnetisch vorgegebenen Bahn passiert, liegt innerhalb der
reinen Vorbestimmung.
Stellen
wir uns nun Objekte unseres freien willentlichen Begehrens, welche NICHT auf
der ursprünglich vorgezeichneten Bahn liegen, als ebenfalls magnetisch vor, die
von unserem, sozusagen „eisernen“ Willen, sie zu erlangen ins Visier genommen
werden – und uns in Folge, wie mag(net)isch zu sich hinziehen. So ergibt sich
daraus das Bild individuellen frei gewählten Schicksals jedes Menschen in
Abhängigkeit zur Ausübung seines freien Willens.
Waren
dies niedere Ziele und Begierden resultiert daraus Leid.
Waren
dies höhere Ziele, welche das Geschöpf seiner Vervollkommnung näher bringen,
resultiert Leidlosigkeit (lustvolle Freude) daraus.
Dies IST die Gerechtigkeit Gottes – und
erklärt im Ansatz das Zusammengehen von göttlicher Vorbestimmung und
menschlichem, freiem Willen.
Wenn jemand das Rechte tut, so tut er
es für sich selbst; und wenn jemand Böses tut, so handelt er gegen sich selbst.
Und dein Herr ist niemals ungerecht gegen die Menschen. [41:46]
An jenem Tage wird jede Seele bereit
finden, was sie an Gutem getan hat; und was sie an Bösem getan hat - wünschen
wird sie, dass zwischen ihr und ihm eine weite Zeitspanne läge. Und Allah warnt
euch, vor sich selber achtlos zu sein; und Allah ist gütig gegen Seine Diener.
[3: 30]
Sprich: "Alles ist von
Allah." Warum verstehen denn diese Leute kaum etwas von dem, was ihnen
gesagt wird? [4:78]
Was dich an Gutem trifft, kommt von
Allah, und was dich an Schlimmem trifft, kommt von dir selbst. … [4:79]
Der GUTE GOTT – „gegen“ das/den BÖSE(N)
Hanel:
Ein
solches dualistische Konzept ist im ISLAM nicht grundlegend.
ALLES
Erschaffene ist GUT und dem Menschen erlaubt, außer, was ihm Gott definitiv
verwehrt.
Die
arabischen Begriffe HALAL – HARAM verdeutlichen dies.
Sie
bedeuten einerseits „das ZUGELASSENE, ZUTRÄGLICHE“ und andererseits „das
VERWEHRTE, das GOTT VORBEHALTENE“.
HARAM
bezeichnet auch den heiligen Bezirk rund um die KAABA. Der Begriff kann also
nicht einseitig mit „schlecht oder böse“ in Verbindung gebracht werden.
Der
TEUFEL, das BÖSE ist also nicht ein ANTI-GOTT, sondern das erschaffene, geschaffene wesenhafte Unverständnis
(relative Verständnis) bezüglich der
Vollkommenheit Gottes, welches
sich in Selbstvergessenheit und blinder Egozentrik gegen die Autorität des Absoluten aufwirft - ein potentielles
„charakterliches Merkmal“ aller Geschöpfe, welche auf ein eigenständiges „ICH“
zurückgreifen können.