Islam und die gegenwärtige
Globalisierung der Welt
Ing. Teufiq VELAGIC
Rede zum Anlaß des 100ten
Geburtstages von Imam KHOMEINI (Gott hab ihn seelig)
September 1999 in den Räumen der
Diplomatischen Akademie in WIEN
Eure Exzellenzen ehrenwerte Gäste, Kollegen, sehr geehrte
Damen und Herren!
Es-selamu aleykum!
An diesem Gedenktag des 100ten Geburtstages Imam KHOMEINIS möchte ich den Organisatoren dieses Abend meinen Dank aussprechen. Solche Veranstaltungen bewahren nicht nur das Erbe einer Persönlichkeit, sondern tragen auch ihre Ideen, ihre Hoffnungen, ihre Visionen und Bestrebungen nicht nur ins eigene Volk, sondern weit darüber hinaus.
Es gibt bestimmt Viele, die qualifizierter sind als ich, über diesen bedeutenden Mann zu sprechen. Eines aber kann ich mit Gewißheit behaupten, daß dieser Mann seine Spuren in der Geschichte hinterlassen hat, sowohl bei seinen Befürwortern, als auch bei seinen Gegnern.
Die Motive, die zur Revolution im Iran und zur Vertreibung
eines autoritären Herrschers geführt haben, haben auch noch heute Gültigkeit
Eine gerechte Verteilung der bestehenden Ressourcen, freier Zugang zur Bildung,
unabhängig von Geschlecht und Einkommen und medizinische Grundversorgung sind
Ziele, die zum Teil schon erreicht sind, aber auch weiter ausgebaut und
erhalten werden müssen. Aufgabe oder bestehenden oder zukünftigen Regierung ist
es, der Gesellschaft und dem Wohl des Volkes zu dienen.
Aber, auch mit den besten Vorsätzen können Regierungen Fehler machen. Fehler zu
machen ist keine Schande, beschämend ist es diese zu verteidigen und weiterhin
falsch zu handeln.
Wenn wir die Lehren des Islam ernst nehmen, müssen wir lernen anderen zuzuhören, auf ihre Ängste und Bedürfnisse einzugehen, andere Ansichten und Lebensweisen zu tolerieren, ohne dabei unsere eigenen Werte zu verraten.
Im nahen 21. Jahrhundert rückt unsere Welt täglich enger
zusammen. Man muß nicht mehr um die Welt reisen, um mit anderen Kulturen in
Kontakt zu treten. Die Telekommunikation und das Internet haben die Welt zum
Dorf gemacht. Das zu ignorieren, würde nur bedeuten, sich den Herausforderungen
und den Möglichkeiten nicht stellen zu wollen. Der Islam ist eine Religion, die
sich nicht nur mit dem Leben nach dem Tod beschäftigt. Er gibt uns ein Rüstzeug
für unseren Alltag in die Hand.
Daher ist es unsere Pflicht als Moslems auf den Zug der Technologisierung
aufzuspringen, um mitbestimmen zu können, wohin die Fahrt geht. Wir müssen
lernen die neuen Techniken zum Wohle aller Menschen zu nutzen.
Denn wenn Fortschritt und Forschung nicht dem Wohl der Menschen dient, dann haben sie ihr Ziel verfehlt. Nicht ohne Grund steht im heiligen Qur'an die strikte Aufforderung zu lernen. Lernen auch von den Errungenschaften anderer Länder. Denn jedes Land der Welt hat etwas zu bieten, sei es im Bereich der Technik, Medizin, Kultur, Wirtschaft oder Gesetzgebung. Wir müssen das Gute und Nützliche übernehmen, und versuchen ihre Fehler zu vermeiden.
Nach den schrecklichen Erfahrungen mit den Diktaturen in Europa und deren Fall nach dem 2. Weltkrieg, bemühte man sich ein System zu finden, das Diktaturen für immer verhindern würde. Demokratie sollte die gesellschaftliche Ordnung garantieren, eine stabile und freie Wirtschaftsordnung sollte den Wohlstand sichern.
Die USA und die Staaten Westeuropas haben der Welt ihren Stempel aufgedrückt. Nicht nur in wirtschaftlicher, sondern auch in technologischer und gesellschaftlicher Hinsicht. Die meisten Menschen leben hier in gesichertem Wohlstand - Werte wie Freiheit und Demokratie scheinen zur Grundausstattung zu gehören.
Trotzdem kann man vor allem in diesen Staaten beobachten, daß immer mehr Menschen nach spiritueller Führung suchen. Viele von ihnen fallen dabei leider in die Hände obskurer Sekten und ihrer charismatischer Führer.
Der Islam kann hier eine Alternative anbieten. Erfolgreich wie man sieht, denn im Westen gewinnt er immer mehr an Boden. Das liegt nicht zuletzt daran, daß das Vakuum, das die Menschen in ihrer materiellen Umwelt umgibt, sie seelisch zu ersticken droht.
Auch am Rande der islamischen Welt, genauer gesagt in Bosnien denkt man über den Islam nach. Und einige wie das derzeitige Mitglied des Bosnischen Präsidiums, Alija Izetbegovic, haben das auf eine originelle Art und Weise getan. In seiner "Islamischen Deklaration" ist er zwar treu zu den Grundlehren gestanden, aber hat sie verwendbar für unsere Zeit interpretiert. Bezahlt hat er diese Bemühungen mit einer zweiten Inhaftierung im damaligen Jugoslawien.
Das Bild das viele nur oberflächlich informierte Menschen vom Islam haben, ist geprägt von den Medien und vom Kino Marke Hollywood. Terrorismus und Fanatismus scheinen hier die Muslime gepachtet zu haben. Das geht soweit, daß sogar der vor einigen Jahren verübte Bombenanschlag auf ein Gebäude in Oklahoma Moslems angelastet wurde, noch bevor die Untersuchungen eingeleitet wurden.
Dennoch möchte ich hier betonen, daß egal welche Gründe
Menschen zum Terrorismus verleiten, Terror und bewußtes Riskieren von
unschuldigen Menschenleben nicht gebilligt werden darf.
Das Bild des terroristischen fanatischen Moslems beeinflußt aber nicht nur
Kinogeher, sondern auch das Urteilsvermögen westlicher Politiker.
Als in Algerien zum Beispiel die islamische FIS bei demokratischen Wahlen als
Sieger hervorgegangen war, führte das zu einer Militärintervention mit den
bekannten Folgen. Verurteilt wurde diese Intervention im Westen praktisch
nicht.
Ein weiteres Beispiel stammt aus der Türkei. 400
Studentinnen wurden von den Universitäten verwiesen, weil sie ein Kopftuch
trugen. Westliche Menschenrechtsorganisationen haben sich in diesem Fall nicht
zu Wort gemeldet.
Unterdrückung von Studenten in welchem Land auch immer, führt langfristig meist
zum Sturz der Regierung.
Keine heute existierende Regierung ist perfekt. Das Ziel jeder Regierung muß es aber sein nach bestem Wissen und Gewissen zu handeln und zu regieren. Die strittigen Fragen, denen sich die islamische Welt gegenüber sieht, dürfen nicht beiseite geschoben werden. Sie müssen behandelt und beantwortet werden. Der Islam ist eine Religion, die uns ein Leben lang begleitet. Deshalb muß uns unsere Religion dazu befähigen, mit den täglichen Streitfragen und Problemen, mit denen wir konfrontiert sind, umzugehen.
Und das tut sie auch. Jene, welche die Macht haben und regieren, müssen ebenso ihre Regeln und Grundsätze befolgen und anwenden, und die rechten Anordnungen, die der Allmächtige gegeben hat, ausführen, um wieder eine neue Blütezeit des Islam zu erreichen.
Wir dürfen uns weder vor neuen Technologien noch vor
unbekannten Ideen fürchten. Wir können sie vielleicht jetzt und für gewisse
beschränkte Zeit zügeln, aber am Ende werden sie stärker und gefährlicher an
die Oberfläche treten, wie wenn man sich mit ihnen gleich von Beginn an
auseinandergesetzt hätte.
Können, dürfen oder müssen wir den Fortschritt der Zeit aufhalten?
Sollen wir einen Kampf führen, von dem wir wissen, daß wir ihn verlieren
werden?
Wieso sollen wir Menschen verbieten, das zu sagen, was sie fühlen?
Ist das nicht eine Möglichkeit sein Wissen zu erweitern und von einander zu lernen?
Wenn wir der Meinung sind daß was andere sagen unrichtig sei - dann ist es an
uns, ihnen den islamischen Standpunkt zu erklären.
Was haben wir in einer solchen Diskussion schon zu befürchten, wenn unsere
Worte die des Allmächtigen selbst sind?!
Die Globalisierung der Welt ermöglicht es Vielen, ihre Ideen zu verbreiten. So wie sich die Kräfte der Korruption und Zerstörung in unserer Welt ausbreiten, haben auch wir die Möglichkeit unsere Gedanken durch die Medien oder das Internet zu verbreiten. Manche islamische Länder haben die Möglichkeit dieser Selbstpräsentation schon erkannt, aber das Ergebnis ist oft beschämend, denn sie nutzen es vielfach für billige Propaganda. Zwar loben sie ihre Leistungen, vergessen dabei aber zu erwähnen, daß ihr Volk in furchtbarem Elend lebt.
Eure Exzellenz, meine Damen und Herrn, führt nicht der beste Weg zur Besserung, indem man sich selbst an der Nase faßt und kritisch beobachtet, was im eigenen Hinterhof geschieht? Man muß zuerst das eigene Haus säubern, bevor man zum Nachbarn schaut.
Bitte, lassen Sie uns doch ehrlich miteinander sein, geschlossene Türen führen zur schlechten Luft zum Atmen, und zu Blindheit, weil man nicht weiß was um einen herum vorgeht.
Die Frauen sind im Islam keine Arbeitswerkzeuge, sondern viel mehr Partner im Leben innerhalb und außerhalb des Hauses. Ohne sie wäre das entstandene Vakuum unbeschreiblich. Sie sind eine wirtschaftliche Macht, mit der man rechnen muß. Wir können sie heute in jeder Branche antreffen, von den Fabriken, über Krankenhäuser, im Verkauf bis in die höchsten Etagen des Managements, in der Wissenschaft und sogar im Weltraum als Astronautinnen. Was wir Männer uns seit Jahrhunderten ganz selbstverständlich nehmen, haben sich die Frauen hart erkämpfen müssen. Der Islam hat den Frauen Rechte eingeräumt. Aber durch oft falsche Interpretation der Religion sitzen unsere Frauen immer noch auf den Rücksitzen der Gesellschaft.
Jede gute Sache im Leben hat auch ihre Schattenseiten. Jede Münze hat zwei Seiten, jedes Schwert zwei Schneiden, und alle Leistungen und Entwicklungen der Menschheit werden mit dieser Münze gemessen. Von der Atomkraft bis zum Laser, von der Medizin bis zum Internet, es lag immer an uns Menschen, wie wir das Wissen einsetzten und was wir vermeiden. Ist es besser unseren Völkern nur eine Seite der Münze zu zeigen und dann überrascht sind, wenn sie die andere Seite selbst entdecken? Oder sollen wir ihnen nicht beide Seiten zeigen, und sie zwischen dem Guten und dem Schlechten selbst entscheiden lassen mit unserer Hilfestellung und Führung?
Im heiligen Qur'an wird erwähnt, daß Gott jenen hilft, die sich selbst helfen. ich glaube es ist bereits höchste Zeit, daß wir den ersten Schritt tun, uns selbst zu helfen, um wahrhafte Repräsentanten unserer Völker zu sein.
Die heutigen Schwierigkeiten der meisten Länder infolge von Naturkatastrophen oder Armut kann man meistern. Die Menschheit besitzt die nötige Technologie, aber oft fehlt der Mut, wir haben die Hilfsmittel, aber oft fehlt die Bereitschaft zu helfen.
Rassistische Ideologien oder ethnische und religiöse Vorurteile müssen wir hinter uns lassen, und sie als eine Erscheinung des zwanzigsten Jahrhunderts begraben. Kriege wurden oder werden Namen der Religionen geführt, wobei sehr geehrte Herrschaften, es uns doch voll bewußt ist, daß Religionen damit herzlich wenig zu tun haben.
Macht, immer mehr Macht, das ist das wirkliche Hindernis unseres Menschengeschlechts.
Es ist Sache der Menschen zu entscheiden, was und wen sie anbeten möchten. Aber es ist auch das Recht von uns Moslems den Islam zu verbreiten. Es ist aber auch eine Tatsache, daß der Islam heute meistens auf Probleme trifft, die durch die Muslime selbst hervorgerufen werden, die sich dauernd in Ausflüchten üben und andere beschuldigen. Der Islam lehrt die Menschen Liebe und Würde, er lehrt sie wie sie um ihre Rechte und ihre Freiheit kämpfen können, wie sie sowohl mit ihren moslemischen Schwestern und Brüdern, als auch mit Andersgläubigen umgehen sollen. Diese Religion kann nicht ignoriert werden.
Die Freiheit ist etwas, das viele Menschen als selbstverständlich ansehen. Sie werden nie verstehen wie wertvoll sie ist, bis man sie ihnen nimmt. Ich weiß es, weil ich unter leidvollen Umständen meine Jugend hinter Gittern verbrachte.
Geboren wurde ich in Blagaj, einem pittoresken Dorf in der
Nähe von Mostar. Dort erfuhr ich auch meine erste islamische Prägung.
Während meines Landwirtschaftsstudiums in Zagreb spürte ich deutlich die
verschiedenen politischen Strömungen, die sich im damaligen Jugoslawien
vermischten.
Vor allem in Kroatien wirkten nationalistische und
kommunistische Ideen. Meine muslimischen Kollegen und ich versuchten in dieser
ideologisch aufgeladenen Umgebung eine Nische zu finden.
Wir fragten uns, ob unser Glaube - der in den ersten Jahrhunderten der
islamischen Geschichte so erfolgreich war, einen Kontrapunkt zu den neuen
bedrückenden Ideologie setzten könnte.
Am Anfang des Jahres 1943 erfuhren wir von einem Verein
mit dem Namen "Junge Muslime", der in Sarajevo gegründet worden war.
Von diesen Ideen waren wir so begeistert, daß wir auch in der Herzegowina einen
Zweig dieser Organisation eröffneten.
Nachdem die Kommunisten an die Macht gekommen waren,
mußten wir in den Untergrund gehen.
Es folgten viele Verhaftungen, sogar vier Todesurteile wurden gefällt und
exekutiert.
Im Sommer 1949 wurde die Organisation in ganz Bosnien und
Herzegowina zerschlagen.
Ich selbst war zehn Jahre lang inhaftiert.
Nachdem ich entlassen wurde, habe ich mein Studium
beendet. Im Juli 1962 bin ich über die Berge nach Österreich geflohen, wo ich
als politischer Flüchtling anerkannt wurde.
Geblieben ist mir meine Sorge um mein Volk und mein Land im besonderen,
genauso wie meine Sorge um die gesamte islamische Welt.
Freiheit, meine Damen und Herren, ist ein Geschenk das Gott allen Menschen gegeben hat. Doch Menschen haben Menschen versklavt. Menschen peinigen und töteten, und stehlen die Freiheit anderer Menschen.
Alle meine Jugendjahre gingen verloren, ich hatte einen
hohen Preis zu zahlen ich hatte nur meinen Glauben.
Wenn ich manche islamischen Länder heute betrachte, sehe ich, daß ähnliches
auch dort passiert, was mir widerfahren ist. Ich verstand und akzeptierte, daß
das was man mir und meinen Leidensgenossen antat, von einem diktatorischen
kommunistischen System begangen wurde, einem Staat mit dem wir nichts gemeinsames hatten. Aber, daß das gleiche in islamischen
Staaten passiert, ist erschreckend.
Ich habe nicht einmal in meinen wildesten Träumen zu
hoffen gewagt, daß eines Tages der Tag kommen wird, wo ich ein Land namens
Bosnien und Herzegowina sehen werde.
Der einzige Weg für eine Regierung zu bestehen ist, daß es auf sein Volk hört
und seinen Willen berücksichtigt.
Wir sollten aus der Vergangenheit lernen, um das Schlechte zu vermeiden und das Gute zu verbessern wir sollten unsere Augen für eine neue Welt Öffnen, einer Welt voller Haß aber auch Liebe, einer Welt voller Ideen und Gedanken, einer Welt die uns genauso gut oder schlecht behandelt, wie wir sie auch behandeln. Es ist Zeit unsere Herzen zu öffnen und dem Puls der Massen zuzuhören, den oberen Zehntausend, wie auch den Müttern, die keine Nahrung für ihre Kinder haben.
Begrenzte Meinungsäußerung, Inhaftierungs- und Umerziehungslager und die Abschottung von der Außenwelt, habe ich nie gebilligt. Ich habe mir immer gedacht, daß jede neue Generation im Iran mehr Freiheit und Änderungen verlangen wird, sowie einen kritischen Blick auf die vergangenen Ereignisse werfen wird.
Einflüsse aus dem Ausland sind nicht an Staatsgrenzen
aufzuhalten. Wie man mit diesen Einflüssen und den sich daraus ergebenden
Situationen umgeht, läßt sich am Besten in freien und offenen Gesprächen, sei
es im Parlament, auf der Straße oder in Zeitungen und Fernsehsendungen
erörtern.
Der Glaube an den einzigen Schöpfer und Erhalter, vor dem wir einmal Rede und
Antwort stehen müssen, soll unsere Entscheidungen begleiten. Wir haben nicht
nur die Verpflichtung unsere islamische Weltanschauung in uns zu festigen,
sondern auch in unserer Umgebung zu verbreiten.
Ich danke Ihnen für ihre Geduld und möge der gute Geist Imam KHOMEINIS mit uns allen sein.
We-selamu aleykum
Ing. Teufik Velagic'