Die Bezirkshauptmannschaft Feldkirch hatte mit Straferkenntnis vom 29.11.1996
über einen Landwirt eine Geldstrafe von 3.000 S wegen Beihilfeleistung
zu nach dem Vorarlberger Tierschutzgesetz verbotenen Schächtungen
verhängt. Der vom Bestraften angerufene Unabhängige
Verwaltungssenat des Landes Vorarlberg bestätigte die Entscheidung
und faßte den Vorwurf wie folgt:
Sie haben es gewußt und zugelassen, daß auf Ihrem landwirtschaftlichen
Anwesen in Feld-kirch/Altenstadt am 28.4.1996... 26 Stück Schafe,
die Sie
zuvor an türkische Staatsangehörige verkauft haben, ohne
Betäubung vor dem
Blutentzug von den türkischen Staatsangehörigen (es folgen
deren Namen)
geschlachtet wurden....
Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hob mit Erkenntnis vom 17.12.1998 den Bescheid (die Bestrafung) auf. Weiter unten etwas vereinfacht die wesentlichen Gründe. Zuvor jedoch des Verständnisses halber noch einige Erläuterungen: Das Vorarlberger Tierschutzgesetz bestimmt: Das Schlachten von Tieren ohne Betäubung vor dem Blutentzug (Anm.: also das Schächten) ist verboten. Ist eine Betäubung unter den gegebenen Umständen nicht möglich oder nicht zumutbar, so ist die Schlachtung so vorzunehmen, daß dem Tier nicht unnötig Schmerzen zugefügt werden. Die Schlachtung eines Tieres darf nur durch Personen, welche die dazu notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten besitzen, vorgenommen werden.
Die Tierschutzgesetzgebung der österreichischen Bundesländer
ist, so wie in einigen anderen Punkten, auch bezüglich der Schächtung
uneinheitlich. Einige Bundesländer, so Wien, die Steiermark und Kärnten,
gestatten (teilweise erst seit einigen Jahren) die Schächtung (ohne
Betäubung), sofern der Betäubung zwingende reli-giöse Gebote
oder Verbote entgegenstehen. Übertretungen der
Tierschutzgesetze einschließlich leichterer Fälle der Tierquälerei
werden als Verwaltungsübertretung von den Bezirksverwaltungsbehörden
geahndet; wird jedoch ein Tier "roh mißhandelt" oder werden ihm "unnötige
Qualen" (das sind länger dauernde Schmerzen) zugefügt, ist das
Gericht zuständig.
Früher schon* hatte der für gerichtliche Strafsachen zuständige
Oberste Gerichtshof (OGH, er ist dem VfGH nicht übergeordnet) in einem
anderen Fall ähnlich entschieden:
Ein seit zwanzig Jahren in Österreich lebender türk-scher
Staatsbürger und ein österreichischer Bauer waren vom Landesgericht
Innsbruck zu bedingten Geldstrafen verurteilt worden. Das Landesgericht
nahm als erwiesen an: "Einige Tage vor dem Tag des türkischen Kur-banfestes
im Jahre 1992 hatten mehrere Türken bei einem Landwirt und Schafzüchter
in Weerberg in Tirol
dreißig Schafe bestellt, die auf seinem Anwesen von den Türken
selbst geschächtet werden sollten... Elf davon wurden dann tatsächlich
(von den Türken) geschächtet. Keines der Tiere wurde betäubt;
vor dem Schächten wurde jeweils aus dem Koran vorgelesen. Den lebenden
Schafen wurde langsam von unten beginnend der Hals aufgeschnitten, sodaß
sie ausbluteten. Als die Schafe tot waren wurden ihre Köpfe abgetrennt.
Nach dem Koran ist das Ausblutenlassen der Schlachttiere beim Opferfest
ein einzuhaltender religiöser Ritus.
Schafe erleiden beim Schächten eine langsame Blutentziehung, die schließlich zum Tod führt. Schächten ohne Betäubung ist bei diesen Tieren mit erheblichen Angstzuständen und größten Schmerzen in der Dauer von zumindest 25 bis 40 Sekunden verbunden. Durch Schächten werden Schafe roh mißhandelt und es werden ihnen unötige Qualen zugefügt. Es mangelte den Angeklagten am Mitgefühl für die leidenden Tiere.
Das Oberlandesgericht holte noch ein (ergänzendes) tierärztliches
Sachverständigengutachten ein, gelangte aufgrund dessen ebenfalls
zum Schluß, daß durch die Schlachtung auf die vorgenommene
Weise den Tieren unnötige Qualen zugefügt und sie roh mißhandelt
wurden, und bestätigte das
Ersturteil. Der OGH hob das Urteil auf.* Die Begründung gestrafft:
Das Staatsgrundgesetz aus 1867 gewährleiste jedermann die volle
Glaubens- und Gewissens freiheit (im Rahmen der allgemeinen Staatsge-setze).
Nach dem Staatsvertrag von St.Germain aus 1920 haben alle Einwohner das
Recht, öf-fentlich oder privat jede Art Glauben, Religion oder Bekenntnis
frei zu üben, sofern deren Übung nicht mit der öffentlichen
Ordnung oder mit den guten Sitten unvereinbar ist Schafe erleiden beim
Schächten eine langsame Blutentziehung, die schließlich zum
Tod führt. Schächten ohne Betäubung ist bei diesen Tieren
mit erheblichen Angstzuständen und größten Schmerzen in
der Dauer von zumindest 25 bis 40 Sekunden verbunden. Oberlandesgericht
Innsbruck Bereits vor rund 100 Jahren habe der Verwaltungsgerichtshof
ausgesprochen, daß das Schächten zum rituellen Gebrauch des
israelitischen Kultus (zu den alten religiösen Satzungen und Gebräuchen
des Judentums) gehöre und daher nicht als tierquälerische oder
unsittliche Handlung
angesehen werden könne. Die Nichtgestattung stelle eine Beeinträchtigung
der verfassungsgemäß gewährleisteten Glaubens- und Gewissensfreiheit
dar. Für die staatlich aner-kannte Religionsgesellschaft des Islams
könne nichts anderes gelten. Die rituelle Schächtung sei also
ein sozial adäquates (gesellschaftlich anerkanntes) Verhalten und
damit nicht rechtswidrig. Das
gelte für das gesamte Bundesgebiet. Tierschutzgesetze einzelner
Länder könnten die Sozialadäquanz einer anerkannten Religionsausübung
nicht ändern.
Daß es innerhalb des Islams Strömungen gibt, die eine
Betäubung vor der Schlachtung zulassen wollen, ändere auch nichts
daran. Es sei nicht Aufgabe eines staatlichen Organs, einen Lehrenstreit
innerhalb einer Religionsgemeinschaft zu entscheiden. Verfassungsrechtlich
geschützte
Religionsausübung beschränke sich nicht nur auf zwingende
religiöse Vorschriften und unabdingbare Glaubenssätze. Sie beinhalte
auch bloß religiöse Gebräuche (wie etwa das Läuten
von Kirchenglocken für Zwecke des Gottesdienstes).
Der VfGH verneint dann noch in längeren Erörterungen, daß
das Schächten gegen die "öffentliche Ordnung" (ein juristischer,
nicht unbedingt mit dem allgemeinen Sprachgebrauch überein-stimmender
Begriff) verstoße. "Mit der öffentlichen Ordnung unvereinbar
sind also nur Handlungen, die das
Zusammenleben der Menschen im Staat empfindlich stören." Dies
könne vom Ritus des Schächtens nicht gesagt werden. Der VfGH
übersehe nicht , daß in den letzten Jahren insoweit ein Wertewandel
eingetreten ist, als sich nach heutiger Auffassung im Tierschutz ein weithin
anerkanntes und bedeutsames öffentli-ches Interesse verkörpert.
Dem Tierschutz komme aber - vor dem Hintergrund der in den Grundrechten
zum Ausdruck kommenden Werteskala - unter Berücksichtigung aller Umstände
deshalb noch kein gegenüber dem Recht auf Freiheit der Religionsausübung
durchschlagendes Gewicht zu. Der Tierschutz sei insbesondere für die
öffentliche Ordnung nicht von derart zentraler Bedeutung , daß
er das Verbot einer Handlung verlangt, die einem jahrhundertealten Ritus
entspricht, der seinerzeit nicht etwa in einer gleichgültigen oder
gar aggressiven Haltung dem Tier gegenüber wurzle, sondern auf die
bestmögliche Vermeidung von Schmerzen, Le-den und Angst bei den zu
schlachtenden Tieren Wert lege.
Verfassungsgerichtshof:
Rituelles Schächten verstößt nicht gegen die guten
Sitten.
Vorarlberg hatte gemeint, das Schächten verstoße gegen die guten Sitten. (Die freie Religionsübung findet ja ihre Grenze an den guten Sitten). Auch dem Argument konnte der VfGH nichts abgewinnen: "Die guten Sitten bezeichnen nur jene allgemein in der Bevölkerung verankerten Vorstellungen von einer "richtigen" Lebensführung, die durch ausdrückliche gesetzliche Anordnung geschützt sind. Der Begriff der guten Sitten in diesem Sinne steht mit dem Tierschutz in keinem Zusammenhang."
Schließlich meint der VfGH, daß auch eine EU-Richtlinie
dem Verbot ritueller Schächtung entgegenstehe.* Der nicht dem Islam
angehörige österreichische Bauer (der das Schächten zuließ)
sei - als sogenannter Beitragstäter (Beihilfe) - nicht strafbar, da
der türkische Haupttäter nicht strafbar sei.
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* Richtlinie 93/119/EG des Rates über den Schutz von Tieren zum
Zeitpunkt
der Schlachtung oder Tötung
http://www.vegetarier.at/anima/anima963_Koeniginnen.htm