Als Bosnien und die Herzegowina im Jahre 1878, nach dem Berliner
Kongreß, zur österreichisch-ungarischen Monarchie kamen,
mußten auch die Bedürfnisse der dort ansässigen muslimischen
Bevölkerung berücksichtigt werden.
In Wien wurde in der Alser Straße eine Militärmoschee errichtet,
geleitet von einem Mufti (hoher geisteswissenschaftlicher Würdenträger
des Islam).
Der Bürgermeister von Wien, Dr. Karl Lueger, stellte ein
Grundstück von der Gemeinde Wien zur Verfügung, und Kaiser
Franz Joseph I. spendete 25.000 Goldgulden für den Bau einer Moschee.
Aber das Ende des Ersten Weltkrieges und der Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen
Monarchie machten dieses Projekt zunichte.
Gebetsräume gab es auch in der Türkischen Botschaft in Wien
sowie in einem Privathaus eines Moslem in Wien-Pötzleinsdorf.
Die Zahl der Muslim in Österreich war ständig im Ansteigen und beträgt zurzeit ungefähr 70.000. (1999 ca. 350.000) Diese Zunahme erforderte weitere Gebetsräume für die muslimische Gemeinde zur Verfügung zu stellen, welches im Afro-Asisatischen Institut und im Haus des Muslimischen Sozialdienstes (aus welchem schließlich die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich hervorging) geschah.
Im Jahre 1968 wurde der Verwaltungsrat durch die acht Vertreter der Islamischen Staaten in Wien unter dem Vorsitz des Botschafters von Ägypten, S. E. Hassan Mohammad Al-Tohamy gegründet, um das neue Wiener Islamische Zentrum zu verwalten.
Die Mitglieder waren:
S. E. der Botschafter von Saudi-Arabien, Fakhri Scheich Al-Ard,
S. E. der Botschafter der Türkei, Hassan Istinyeli,
S. E. der Botschafter von Indonesien, Laila Roesad,
S. E. der Botschafter von Pakistan, Enver Murad,
S. E. der Botschafter von Libanon, Abdul Rahman Al Solh
S. E. der Botschafter von Irak, Khalid El-Hashimi
S. E. der Botschafter von Iran, Amir Aslan Afshar
Der Verwaltungsrat kaufte von der Gemeinde Wien ein Grundstück im Ausmaß von 8.300 m2. Die feierliche Grundsteinlegung erfolgt am 29. Februar 1968, im Beisein des österreichischen Außenministers Dr. Kurt Waldheim, Seiner Eminenz des Erzbischofs von Wien Kardinal Dr. Franz König sowie der Botschafter der Islamischen Länder in Wien.
Zur Erinnerung an diese Grundsteinlegung im Heiligen Monat Ramadan 1387
H. wurde ein religiöser Text in arabischer Sprache in den Stein eingraviert.
Aus Geldmangel mußte der Baubeginn verschoben werden, bis 1975
der verstorbene König Faisal Ibn Abdul Aziz von Saudi-Arabien
seine Regierung beauftragte, die Finanzierung des Bauprojektes der Moschee
zu übernehmen und übertrug die Leitung dem saudi arabischen Botschafter
in Wien, Scheich Farid Y. Basrawi. Mehrere österreichische
Baufirmen wurden zur Anbotslegung eingeladen, und die Wiener Baufirma Baumeister
Ing.
Richard Lugner wurde mit der Gesamtausführung des Projektes betraut.
Am 1. Juli 1977 erfolgte der Baubeginn, und am 11. November 1977
konnte man zum erstenmal den Ruf des Muezzin von dem auf der Spitze mit
einem Halbmond verzierten Minarett hören. Am 26. April 1979 fand die
Aufsetzung des vergoldeten Halbmondes auf die Kuppel der Moschee statt.
Die Errichtung des Wiener Islamischen Zentrums dient der sich ständig vermehrenden Anzahl der Muslime in Österreich als religiöse und kulturelle Stätte der Zusammenkunft. Diese setzen sich zusammen aus Diplomaten, Geschäftsmännern, Studenten, Arbeitern sowie Menschen, die ihr Land aus den verschiedensten Gründen verlassen haben, wie Albaner und Bosnier, als auch aus jenen, die von ihren Gebieten im ehemaligen Osmanischen Reich nach dem Ersten Weltkrieg losgetrennt wurden oder die in Gebieten wohnten, die nach dem Zweiten Weltkrieg unter kommunistische Herrschaft kamen. Entsprechend den österreichischen Gesetzen genießen die Muslime dieselben Rechte und Vorteile wie die anderen Religionsgemeinden in Österreich, sie finden dieselben Arbeitsmöglichkeiten vor, sowohl im privaten als auch im öffentlichen Bereich, da es in Österreich keine Unterschiede in religiöser, politischer oder ideologischer Hinsicht gibt. Es gibt österreichische Muslime, die höhere staatliche Positionen innehaben.
Seine Eminenz Kardinal Dr. Franz König hat sich seit langem um eine Annäherung zwischen Christentum und Islam bemüht. In diesem Zusammenhang besuchte er Damaskus und Kairo und hielt Reden in der Amaui-Moschee und an der Azhar Universität. Diese Reden halfen, die Beziehungen zwischen den beiden Religionen zu fördern und ein besseres Verständnis füreinander herzustellen. Der Kardinal empfing auch den Großmufti von Damaskus zu einem offiziellen Staatsbesuch in Wien, wobei die besten Möglichkeiten der Zusammenarbeit von Islam und Christentum im Zusammenhang mit den derzeitigen Problemen der glaubenslosen Haltung auf der ganzen Welt besprochen wurden.
Der Bau des Wiener Islamischen Zentrums konnte nun - Dank der Bemühungen
der Islamischen Länder und der Unterstützung der österreichischen
Behörden sowie der ausdauernden Arbeit S. E. des Botschafters von
Saudi-Arabien in Wien, Scheich Abdullah A. Al-Khayyal -verwirklicht
und vollendet werden.
Das Zentrum verfügt über eine große Moschee für
Freitags- und Feiertags-Gebete, eine Tages-Gebets-Moschee, eine Bibliothek,
eine Mehrzweckhalle, ein Klassenzimmer für den Unterricht des Heiligen
Koran sowie der arabischen Sprache, Büroräume für den Präsidenten
und die Direktion, als auch zwei Wohnungen, eine für den Imam und
die andere für den Hausmeister.
Das Minarett hat eine Höhe von 32 m und die Kuppel eine von 16 m, der Kuppeldurchmesser beträgt 20 m. Die Kosten der Innenausgestaltung, der Ausschmückungen, Verzierungen, als auch sonstiger Ausstattungen wurde großzügigerweise von den islamischen Staaten und der österreichischen Regierung finanziert.
Am ersten Tag des Moharram 1400 H., der dem 20. November 1979 entsprach,
erfolgte die Eröffnung des Wiener Islamischen Zentrums mit einem Festakt
in Anwesenheit des österreichischen Bundespräsidenten Herrn
Dr. Rudolf Kirchschläger, dem österreichischen Bundeskanzler
Herrn Dr. Bruno Kreisky, dem Bürgermeister von Wien Herrn Leopold
Gratz, dem österreichischen Außenminister Dr.
Kurt Waldheim und dem Unterrichtsminister von Saudi-Arabien Dr.
Abdul Aziz Al-Khuwaiter, als Vertreter des Königreiches Saudi-Arabien,
sowie Tausender in Österreich lebender Muslime, der Botschafter der
islamischen Länder, die in Österreich akkrediert sind und weiterer
islamischer und österreichischer Würdenträger als Vertreter
politischer Parteien, Gesellschaften, Verbände usw.
Der Festakt wurde mit einer Lesung aus dem Heiligen Koran eröffnet.
Im Anschluß daran wurden Ansprachen von folgenden Herren gehalten:
S. E. dem Botschafter von Saudi-Arabien in Wien, Scheich Abdullah
A. Al-Khayaal,
S. E. dem österreichischen Bundespräsident Dr. Rudolf
Kirchschläger,
S. E. dem Unterrichtsminister von Saudi-Arabien Dr. Abdul
Aziz Al-Khuwaiter,
S. E. dem österreichischen Bundeskanzler Dr. Bruno Kreisky,
S. E. dem Bürgermeister von Wien, Leopold Gratz.
Mit der Verwirklichung eines Islamischen Zentrums in Wien beginnt eine neue Ära in der Geschichte des Islam in Europa. (Beziehung zwischen Orient und Okzident: Dr. Tarif Al-Samman)
Wir beten um Kraft und Stärke, die uns befähigen, ganz dem
Islam zu dienen.
Sehr geehrter Herr Bundespräsident, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, sehr geehrter Herr Bürgermeister, Exzellenzen, die Herren Minister und Botschafter, liebe Gäste.DIE ERÖFFNUNGS-REDE S. E. DER BOTSCHAFTER VON SAUDI-ARABIEN IN WIEN UND VORSITZENDER DES VERWALTUNGSRATES DES WIENER ISLAMISCHEN ZENTRUMS,
SCHEICH ABDULLAH AL-KHAYYAL,
AUS ANLASS DER ERÖFFNUNGSFEIER DES ZENTRUMS AM 1. TAG DES MONATS MOHARRAM 1400 H.(20. NOVEMBER, 1979)
Im Namen der Botschafter der in Wien akkreditierten islamischen Länder
und Mitglieder des Verwaltungsrates des Wiener Islamischen Zentrums, ist
es mir eine Freude, Sie hier alle willkommen zu heißen und Ihnen
zu danken, daß Sie einen Teil Ihrer wertvollen Zeit dafür genommen
haben, um mit uns heute diese feierliche Stunde zu begehen.
Ich werde nun im folgenden mit wenigen Worten versuchen, Ihnen die
Stadien der Gründung und Errichtung dieses Zentrums bis zur Eröffnung
an diesem historischen Tag zu schildern.
Im Monat Juli 1967 haben acht Botschafter der in Wien akkreditierten
islamischen Länder die Gründung dieses Zentrums veranlaßt,
dies waren die Botschaften von: Saudi-Arabien, Ägypten, Irak, Pakistan,
Indonesien, Türkei, Syrien und Libanon.
Das Zentrum wurde nach Erhalt der Bewilligung seitens des österreichischen
Bundesministeriums für Unterricht und Kunst am 25. Juli 1967, gegründet..
Ab damals erhielt das Zentrum Unterstützung und Förderung
sowohl seitens der islamischen Länder als auch privater arabischer
Wohltäter. Die erste Förderung kam vom inzwischen verstorbenen
König
Saud Ibn Abdul Aziz, dann vom verstorbenen König Faisal Ibn
Abdul Aziz.
Für die Errichtung dieses Zentrums wurde ein geeignetes Grundstück
von der Gemeinde Wien erworben, welcher die Grundsteinlegung am 29. Februar
1968, mit einer Feier im Beisein vom damaligen österreichischen
Außenminister,
Dr. Kurt Waldheim, als auch von Seiner Eminenz, dem Erzbischof von
Wien, Kardinal Dr. Franz König, folgte.
Aus Geldmangel wurde der Baubeginn verschoben, bis zu Beginn des Jahres
1975 der damalige Botschafter von Saudi-Arabien, Scheich Farid Basrawi,
dem verstorbenen König Faisal das Projekt vortrug und dieser
seine Regierung anwies, die Baukosten für dieses Zentrum zu übernehmen.
Damals wurden diese Baukosten mit ungefähr 55 Millionen österreichischer
Schilling veranschlagt, welche von der Regierung von Saudi-Arabien bezahlt
wurden. Mehrere österreichische Firmen wurden eingeladen, ihre Offerte
zu legen, und die Wiener Baufirma Ing. Richard Lugner wurde als
Generalunternehmer für dieses Projekt ausgewählt. Die Bauarbeiten
begannen am 1. Juli 1977 und wurden letzten Monat (Oktober 1979) beendet.
Da die gespendete Summe seitens der Regierung von Saudi-Arabien nicht ausreichend war für die Kosten der Innenausstattung in islamischer Stilart sowie Möbel, Luster und sonstiger Einrichtungsgegenstände, wie auch einer Umzäunung des Zentrums, wurden großzügige finanzielle als auch materielle Unterstützungen seitens einiger arabischer und islamischer Länder, als auch einiger österreichischer öffentlicher Institutionen und auch privater Firmen angeboten, damit all dieses vollendet werden konnte; deren Namen finden Sie alle in der Spendenliste.
Das Wiener Islamische Zentrum besteht aus: einer großen Moschee
für Freitags- und die beiden islamischen Festtags-Gebete, sowie einer
(zweiten) Moschee für die täglichen Gebete, einer Bibliothek,
einem Klassenzimmer für Religionsunterricht und die Lehre der arabischen
Sprache, einer Mehrzweckhalle, Büroräume für den Präsidenten
und die Direktion des Zentrums, sonstige Nebenräume, zwei Wohnungen,
eine für den Imam und eine für den Hauswart sowie einer großen
Parkplatz-Anlage.
Das Budget des Zentrums setzt sich zusammen aus: freiwilligen Spenden
seitens islamischer Länder und anderen Wohltätigkeitsorganisationen
sowie von Einzelpersonen.
Die Aufgabe des Zentrums ist, die Unterstützung der Gemeinde der Muslime in Österreich auszuweiten und zu intensivieren, den islamischen Glauben auch für den Alltag zu vertiefen und zu stärken, als auch das Wissen über die Werte des islamischen Glaubens und seiner Kultur, sowohl gegenüber Gruppen als auch für Einzelpersonen in Wien und Österreich und ganz Europa zu fördern.
Die Körperschaften des Zentrums bestehen aus:
DES SAUDI ARABISCHEN UNTERRICHTSMINISTERS
DR. ABDUL AZIZ AL-KHUWAITER
ANLÄSSLICH DER ERÖFFNUNGS-ZEREMONIE DES WIENER
ISLAMISCHEN ZENTRUMS
AM 1. MOHARRAM 1400 H.20. NOVEMBER 1979
Sehr geehrter Herr Bundespräsident, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, sehr geehrter Herr Bürgermeister, Exzellenzen, Minister und Botschafter, liebe Gäste.
Ich bin sehr glücklich, an diesem historischen Tage, an dem die muslimische Welt den Beginn des letzten Jahres des 14. Hejrah Jahrhunderts feiert, mit Ihnen zur feierlichen Eröffnung des ersten Islamischen Zentrums in Wien, dieser kulturellen und historischen Hauptstadt und nunmehrigem drittem Sitz der United Nations, zusammenzutreffen.
Das Königreich von Saudi-Arabien ist in seiner Eigenschaft als
Schirmherr der heiligen Städte Mekka und Medina mehr als glücklich,
durch die Eröffnung dieses Zentrums zu dem Wissen über die islamische
Kultur in den westlichen Ländern beizutragen, sowohl für in Europa
wohnende Muslime, als auch für Europäer, welche mehr über
die islamischen Gesetze und ihren Einfluß auf die westliche Zivilisation
erfahren wollen. Dies soll das Ziel dieses neuen Zentrums als islamische
Institution sein.
Es ist mir eine Freude und ich empfinde große Dankbarkeit, daß
die Regierung Österreichs unter Seiner Exzellenz Bundespräsident
Dr. Rudolf Kirchschläger, Seiner Exzellenz Bundeskanzler Dr.
Bruno Kreisky und Seiner Exzellenz des Bürgermeisters der Stadt
Wien Leopold Gratz, die Errichtung dieses Zentrums
begrüßt, ermutigt und unterstützt hat und die Eröffnungsfeier
mit ihrer persönlichen Anwesenheit auszeichnet.
Die islamische Religion ist eine der drei himmlischen Religionen (Christentum, Judentum und Islam) und glaubt an alle Propheten und Verkünder; sie strebt nach Frieden auf Erden, Anerkennung der Menschenrechte, Glaube an Gott und brüderliche Nächstenliebe.
Viele islamische Zentren wurden von islamischen Ländern in verschiedenen Hauptstädten Europas und Amerikas errichtet, um den Muslimen die Möglichkeit eines islamischen Gottesdienstes zu geben und den Gastländern das Wissen um die islamische Zivilisation zu vermitteln. Auch dieses Zentrum in Wien wurde mit Hilfe islamischer Länder, allen voran Saudi-Arabien, das durch großzügige Spenden die Durchführung dieses Planes ermöglichte, errichtet.
Wien war immer schon ein wichtiges internationales und kulturelles Zentrum
und wurde der Sitz für viele internationale Organisationen und Institutionen.
Daher war die Notwendigkeit gegeben, ein islamisches Zentrum in dieser
Stadt zu errichten, um die islamische Gemeinde zusammenzuführen und
europäische Wissenschafter bei ihrer Arbeit zu unterstützen.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich betonen, daß die Notwendigkeit
einer solchen Institution bereits vor mehr als 80 Jahren erkannt wurde,
als die österreichisch-ungarische Monarchie noch Provinzen besaß,
welche von einer Majorität von Muslimen besiedelt waren, wie z. B.
Bosnien und Herzegowina. Gott hat es ermöglicht, daß ein solches
Zentrum in der heutigen Zeit errichtet werden konnte, in einem neutralen
Österreich.
Ich fühle mich geehrt, die Eröffnung während meines offiziellen
Besuches in diesem schönen freundlichen Land Österreich vornehmen
zu können.
Möge Gott dieses Zentrum zu einer festen Säule für das
Verständnis des Islam und seiner Zivilisation werden lassen, von wahrem
Wert sein und die Beziehungen zwischen Österreich und der arabischen
sowie islamischen Welt zum Wohle der Menschheit vertiefen.
DES ÖSTERREICHISCHEN BUNDESPRÄSIDENTEN
DR. RUDOLF KIRCHSCHLÄGER
anläßlich der Eröffnungs-Zeremonie des Wiener Islamischen
Zentrums
am 1. Moharram 1400 H. (20. November 1979)
Lassen Sie mich vorerst Ihnen allen, die Sie sich zum Islam bekennen, am ersten Tag eines neuen Jahres meine aufrichtigen Glück- und Segenswünsche darbringen. Möge dieses Jahr, als das letzte in diesem Jahrhundert Ihrer Zeitrechnung, ein Jahr des Friedens werden.
Mit der Errichtung dieses Islamischen Zentrums in Wien haben Versuche und Intentionen ihre Erfüllung gefunden, die 100 Jahre in die österreichische Geschichte zurückreichen. Gerne nehme ich als Bundespräsident und auch persönlich an dieser festlichen Inauguration teil. Dieses Islamische Zentrum wird eine Bereicherung Wiens und damit auch unserer Republik sein.
An die 50.000 Muslime leben aus verschiedenen Gründen in Österreich. Sie sind Diplomaten, internationale Beamte, Geschäftsleute, Studenten, und die große Mehrheit sind Gastarbeiter. Unabhängig von ihrer sehr verschiedenen sozialen Stellung sind doch fast alle schon allein durch die Tatsache ihres Aufenthaltes in Österreich in eine fremde Umwelt gestellt, mit fremden Lebensgewohnheiten und einer oft nur schwer verständlichen anderen Zivilisationsform. Für viele von ihnen ist ein religiöses Zentrum ein anheimelnder Ort des Gebetes und gleichzeitig auch eine Möglichkeit der Begegnung mit Mitgläubigen und damit ein Platz der Geborgenheit. Welche Stadt sollte diese Geborgenheit anbieten, wenn nicht die Bundeshauptstadt Wien, die eine allen Mitmenschen offene Stadt sein möchte! Die Bereicherung, von der ich sprach, liegt also in der durch dieses Islamische Zentrum geschaffenen Fähigkeit Wiens, Mitmenschen anderen Glaubens und damit anderer Lebensgewohnheit das Leben besser und schöner zu gestalten, ihnen die Fremde und gleichzeitig das Fremde, dem sie hier begegnen, in der Geborgenheit ihres Glaubens leichter ertragen zu lassen. Mit diesem Zentrum wird aber auch den nicht sehr zahlreichen aber vorhandenen Mitbürgern islamischen Bekenntnisses in Österreich eine religiöse Heimstätte geschaffen.
Durch dieses Islamische Zentrum wird aber auch die Möglichkeit eines besseren gegenseitigen Kennenlernens von Islam und Christentum angeboten. In einem Dokument des letzten Vatikanischen Konzils stehen die Worte: "Mit Hochachtung betrachtet die Kirche auch die Muslime, die den alleinigen Gott anbeten, den lebendigen und in sich seienden, barmherzigen und allmächtigen, den Schöpfer Himmels und der Erde, der für den Menschen gesprochen hat." Diese Hochachtung und diese Anerkennung war für viele Katholiken eine ungewohnte Sprache, denn gar viele kannten den Islam nicht in seinem Glaubensinhalt und in seiner geistigen Kraft, sondern nur in Äußerlichkeiten, verbunden mit politischen und geschichtlichen Assoziationen. Diese gründen sich in Österreich auf das Schulwissen über die sogenannten Kreuzzüge und über die Türkenbelagerung von Wien und reichen bis zu den uns zutiefst berührenden Tagesnachrichten gerade der letzten Wochen. Diese politischen Assoziationen verdecken den Blick auf den religiösen Kern und das Wesensgemäße des Islam in einem so starken Maße, daß hier Korrektur und Abhilfe Not tut.
Ich persönlich war glücklich, über dem Programm, über diese Inauguration die Worte zu lesen, die Sie in Ihrer Glaubensausübung so oft gebrauchen, die Worte: "im Namen Gottes des Barmherzigen, des Gnädigen." Dieselben Worte finden wir auch wörtlich oder inhaltlich in vielen christlichen Gebeten. Uns vereint also der Glaube an einen Gott, der barmherzig und gnädig ist. Damit vereint uns aber auch die Pflicht, gegenüber unseren Mitmenschen barmherzig und gnädig zu sein, eine Pflicht, die wir alle - vielleicht zu wechselnden Zeiten - zu wenig beachtet haben und zu wenig erfüllen.
Als Bundespräsident verspreche ich Ihnen in dieser feierlichen
Stunde, daß dieses Islamische Zentrum in Wien immer den vollen und
uneingeschränkten Schutz der Republik Österreich und seiner Behörden
genießen wird.
Als Christ ist es mein inniger Wunsch, daß die Christen in Österreich
dieses Islamische Zentrum, dieses Haus des Gebetes an den einen Gott, den
barmherzigen, annehmen in Hochachtung und in Liebe, und daß gleiches
auch den christlichen Kirchen in den islamischen Ländern begegne.
des Bürgermeisters von Wien,
LEOPLOD GRATZ,
anläßlich der Eröffnungs-Zeremonie des
Wiener Islamischen Zentrums
am 1. Moharram 1400 H. (20. November 1979)
Das Jahr 1979 hat für die internationalen Beziehungen und die internationale Stellung Wiens besondere Bedeutung. Im Frühjahr konzentrierte sich das Weltinteresse auf Wien, als hier die Staatsoberhäupter aus den USA und der Sowjetunion zusammentrafen. Im Sommer konnten wir das neuerbaute Internationale Zentrum an die Organisation der Vereinten Nationen übergeben; und nun im Herbst wurde diese Moschee fertiggestellt.
Meine Damen und Herren! Die Pläne für den Bau einer Moschee in Wien sind fast 200 Jahre alt. Bis ins 18. Jahrhundert waren die Beziehungen zwischen der islamischen Welt und Österreich im wesentlichen auf die offiziellen Kontakte staatlicher Stellen und den Handelsverkehr beschränkt. Sie waren immer wieder von Konflikten überschattet, die jedoch niemals zu einer völligen Unterbrechung der Beziehungen führten. Im 18. Jahrhundert begann sich die Konfrontation der islamischen und der christlichen Welt zum Vorteil beider Seiten zu einer gegenseitigen Befruchtung und zur Kooperation zu verändern. So bestand schon um 1730 in Wien eine Kolonie von türkischen Kaufleuten, denen zur Entwicklung des Handels vom Kaiser besondere Privilegien erteilt wurden.
Das Toleranzgesetz, das Kaiser Joseph 11. am 31. Jänner 1782 erlassen hat, erwähnt zwar den Islam nicht ausdrücklich, schließt ihn jedoch im übergeordneten Begriff der "akatholischen" Religionsgemeinschaften ein. Diesen Gemeinschaften stand nach dem neuen Gesetz ein eigenes Bethaus zu, sobald sie 100 Familien umfaßten. Damals standen die Pläne für den Bau einer Moschee bereits unmittelbar vor der Verwirklichung. Warum sie dann doch nicht zur Ausführung gelangten, läßt sich heute nicht mehr feststellen. Vermutlich hängt das mit der ungünstigen wirtschaftlichen Entwicklung und den Kriegswirren in Europa zusammen.
Als der Wiener Zentralfriedhof angelegt wurde, konnte im Jahre 1874 eine eigene Begräbnisstätte für Muslime angelegt werden.
Ab dem Jahr 1888 waren in der Wiener Garnison viele Soldaten aus den
südlichen Teilen der österreichisch-ungarischen Monarchie stationiert,
die sich zum Islam bekannten. Vor allem waren dies die sogenannten Bosniaken,
die sich in Wien großer Beliebtheit erfreuten und heute noch ein
Begriff sind. Sie waren zuerst in der Alser-Kaserne stationiert, an deren
Stelle heute die Oesterreichische Nationalbank steht, und übersiedelten
1911 in die Albrechts-Kaserne im 2. Bezirk. In beiden Kasernen wurden eigene
Beträume eingerichtet, ab 1891 gab es für die Bosniaken in Wien
auch einen eigenen Militär-Imam. Nach dem Zerfall der österreichisch-ungarischen
Monarchie lebten nur wenige Muslime in Wien, ihre Zahl ist nicht einmal
statistisch erfaßt.
Das änderte sich erst in den letzten 10 bis 15 Jahren, vor allem
durch den Zustrom von Gastarbeitern aus Jugoslawien und der Türkei.
Der zeit leben in Wien etwa 15.000 Gastarbeiter und fast 2.000 Studenten,
die sich zum Islam bekennen. Für diese Menschen, ebenso wie für
Hunderte Mitarbeiter von Botschaften, Handelsvertretungen und Internationalen
Organisationen war der Bau einer Moschee eine dringende Notwendigkeit.
Es ist für uns sehr wertvoll, daß durch diese ständige Vertiefung der Beziehungen Österreichs mit der islamischen Welt die kostbaren Schätze der reichen islamischen Tradition immer besser erschlossen werden. Die gesamte europäische Kultur beruht in nicht geringem Maße auf Grundlagen, die von den arabischen Völkern geschaffen wurden, sei es nun auf dem Gebiet der Architektur und der Mathematik, der Astronomie, der Landwirtschaft und in vielen anderen Bereichen. An diese Grundlagen zu erinnern, an diese Einflüße wieder anzuknüpfen, ist eine Aufgabe von größter internationaler Bedeutung. Österreich ist sich dieser Aufgabe bewußt und bemüht sich, durch die immer weitere Verstärkung und Verbesserung der Kontakte einen positiven Beitrag zu leisten.
Ich bin sehr froh darüber, daß dieser Bau nun abgeschlossen werden konnte - als ein Symbol dafür, daß die Stadt Wien allen Menschen, die hier leben und arbeiten, eine gastliche und freundliche Heimstatt sein will.
Als Landeshauptmann und Bürgermeister von Wien danke ich allen,
die zu diesem Bau beigetragen haben.
Seiner Eminenz Kardinal Dr.
Franz König, Erzbischof von Wien,
anläßlich des Beginns des 15. Jahrhunderts nach islamischem
Kalender
In dieser Stunde, in der ich der Einladung des Islamischen Zentrums aus dem besonderen festlichen Anlaß entspreche, gedenke ich in Dankbarkeit jenes für mich bedeutsamen Ereignisses in Kairo am 31. März 1965. Ich sprach damals in der Al-Azhar Universität als Kardinal und Vertreter der katholischen Kirche über Einladung der höchsten Autorität der Universität und Ihrer religiösen Gemeinschaft über die Gottesidee in der Religion des Islam und des Christentums. Unvergeßlich ist mir der festliche Rahmen im großen Auditorium Ihrer Universität in Kairo im altehrwürdigen und berühmten Zentrum islamischer Studien. Heute stehe ich in dem genau vor einem Jahr eröffneten Wiener Islamischen Zentrum am Beginn des 15. Jahrhunderts nach islamischer Zeitrechnung vor einem ebenfalls sehr illustren Kreis von Zuhörern und vor einem ähnlichen bedeutsamen Thema, da ich Ihr neues Jahrhundert einleite mit einigen Gedanken über die Religion des Christentums und des Islam in einer pluralistischen Gesellschaft. Wenn ich das tue, möchte ich aber zuerst darauf verweisen, daß Österreich viele Berührungspunkte mit der Welt des Islam in den vergangenen Jahrhunderten gehabt hat und daß in diesem Lande das Beispiel eines friedlichen Zusammenlebens des Islam mit Christen in einer christlichen Umwelt zur Geschichte meiner Heimat Österreich gehört.
Seit dem Vorstoß der Türken bis nach Wien haben die Muslime in Wien sich friedlich niedergelassen als Kaufleute und Diplomaten. Es gab eine Botschaftsmoschee und viele Einrichtungen zeugen von einer regen geistigen Verbindung zwischen Österreich und den muslimischen Ländern:
die Österreichische Nationalbibliothek mit ihrer großen Zahl wertvoller islamischer Handschriften, die Orientalische Akademie zu Wien (1754) mit dem großen Übersetzer aus den arabischen, persischen und türkischen Sprachen, Josef Freiherr von Hammer-Purgstall, der Orientalist Alois Musil, der Tiroler Fallmermayer und Rudolf Geyer, sind ebenso klangvolle Namen wie berühmte Zeugen eines österreichisch-islamisehen Kulturaustausches durch Jahrhunderte. Die österreichisch-ungarische Monarchie hat in Bosnien und der Herzegowina ab 1878 für die muslimische Bevölkerung Schulbücher gedruckt, das islamische Ehe-, Familien- und Erbrecht kodifiziert und durch den Bau des Scheriat Gymnasiums in Sarajewo arabische Sprache und Kultur gefördert.
Die Gemeinde Wien hatte bereits vor dem Ersten Weltkrieg ein Grundstück
für den Bau einer Moschee zur Verfügung gestellt.
Heute gibt es in Wien einen "Muslimischen Sozialdienst" mit einer Vierteljahrschrift
für Europa.
Ebenfalls seit dem Jahre 1969 gibt es in Wien eine muslimische Studentenunion.
Das Afro-Asiatische Institut ist eine Gründung der Wiener Erzdiözese
und dient nicht zuletzt dem Dialog zwischen Christen und Muslime. Seit
jenem Vortrag in Kairo hat in der katholischen Kirche ein Vatikanisches
Konzil stattgefunden, das unter anderem am 28. Oktober 1965 ein Dokument
verabschiedete, durch welches das Verhältnis zwischen Christen und
Muslime eine grundlegende Änderung erfährt. Mit dem Titel "Erklärung
über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen"
hat dieses Dokument Geschichte gemacht.
Dieser kurze aber wertvolle Text beginnt mit folgenden Worten über die Muslime zu sprechen:
"Mit Hochachtung betrachtet die Kirche auch die Muslime, die den
alleinigen Gott anbeten, den lebendigen und in sich seienden barmherzigen
und allmächtigen, den Schöpfer Himmels und der Erde, der zu den
Menschen gesprochen hat.
Sie bemühen sich auch, seinen verborgenen Ratschlüssen
sich mit ganzer Seele zu unterwerfen, so wie Abraham sich Gott unterworfen
hat, auf den der islamische Glaube sich gerne beruft. Jesus, den sie allerdings
nicht als Gott anerkennen, verehren sie doch als Propheten und sie ehren
seine jungfräuliche Mutter Maria, die sie bisweilen auch in Frömmigkeit
anrufen. Überdies erwarten sie den Tag des Gerichtes, an dem Gott
alle Menschen auferweckt und ihnen vergilt. Deshalb legen sie Wert auf
sittliche Lebenshaltung und verehren Gott besonders durch Gebet, Almosen
und Fasten" (Nichtchristliche Religionen Nr. 3).
Das Konzil mahnt anschließend, manche Zwistigkeiten und Feindschaften, die es zwischen Christen und Muslim gegeben hat, beiseite zu lassen, und das gegenseitige Verstehen zu fördern und gemeinsam einzutreten für Schutz und Förderung sozialer Gerechtigkeit, der sittlichen Güter und nicht zuletzt für Frieden und Freiheit aller Menschen.
Papst Johannes Paul 11. hat bei seinem Besuch in Ankara im November vorigen Jahres erklärt: "jm Angesicht der ganzen islamischen Welt wiederhole ich heute neuerdings den Ausdruck der Wertschätzung seitens der katholischen Kirche für die großen religiösen Werte Ihres Glaubens. Wenn ich", so fuhr der Papst fort, "an das geistige Erbe denke und an den Wert, den dieses besitzt für den einzelnen und für die Gesellschaft - wenn ich an die geschichtliche Möglichkeit denke, die eine solche Orientierung vor allem für das Leben der Jugend enthält, um jene Leere auszufüllen die der Materialismus hinterläßt - im Interesse eines sicheren Fundamentes einer sozialen und rechtlichen Ordnung, so frage ich mich, ob es nicht drängend notwendig geworden sei, gerade in unserer Zeit geistliche Bande anzuerkennen und sie zur Entfaltung zu bringen, die uns miteinander verbinden. In einer neuen Periode der Geschichte sollten wir die Gelegenheit wahrnehmen, die moralischen Werte, Frieden und Freiheit gemeinsam zu fördern und zu verteidigen. "
Der Glaube an Gott, wie er gemeinsam von den Nachkommen Abrahams den Christen, den Muslim und Hebräern hochgeschätzt und bekannt wurde, ist ein sicheres Fundament der Brüderlichkeit und Freiheit der Menschen, ist Grundlage eines richtigen moralischen Verhaltens und des gesellschaftlichen Lebens. Das gilt besonders dann, wenn der Glaube an Gott aufrichtig gelebt und im Leben verwirklicht wird. Der Mensch ist der Höhepunkt der Schöpfung. Die Christen lesen in der Bibel, daß der Mensch nach dem Bilde und Gleichnis Gottes geschaffen wurde. Im Koran, Sure 32,8, lesen die Muslime: "Obwohl der Mensch aus Staub und Erde gemacht ist, hat Gott ihm seinen Geist eingehaucht und ihm Gehör, Sehen und ein Herz gegeben." Das Universum ist nach muslimischer Auffassung bestimmt, dem Menschen als Repräsentanten Gottes untertan zu sein.
Die Bibel der Christen lehrt, daß Gott dem Menschen den Auftrag gegeben hat, sich die Erde untertan zu machen, sie aber auch zu bebauen und zu hüten (Genesis 2, 15). Als Geschöpf Gottes verfügt der Mensch über unverletzliche Rechte. Er ist aber auch an die Ordnung des Guten und Bösen gebunden.
Die Christen lesen in der Bibel: "Du sollst keine anderen Götter haben" (Exodus 20,3). Die Muslime sagen: "Gott ist der Größte".
Der Glaube an Gott, ist also die gemeinsame Wurzel der Juden, Christen und Muslime. Damit ist allen Schwierigkeiten zum Trotz ein geistiges Band vorhanden, das Frieden stiften und Versöhnung bewirken sollte. Könnte das nicht zu einer Quelle des Segens werden für unsere schwierige Zeit, wenn diese gemeinsamen religiösen Wurzeln mehr betont und mit dem Leben verbunden werden?
Man spricht heute von einer religiösen Renaissance des Islam. In einer pluralistischen Gesellschaft und Weltordnung wissen wir um die Schwierigkeiten und Spannungen, die in der Tatsache liegen, daß der Islam sich nicht nur als Religion, sondern auch als Gesellschaftsordnung mit einer bestimmten politischen Struktur versteht. Das Problem der Religionsfreiheit wird heute bei den Katholiken und Christen anders gesehen als bei Ihnen und das Thema des Heiligen Krieges bedarf noch seiner Erklärung, um Mißverständnisse zu beseitigen. Ähnliches gilt von der Tradition und der Anwendung religiöser Vorschriften auf den Alltag angesichts des allgemeinen Fortschrittes in der Welt.
Es ist aber ein ermutigendes Zeichen unserer Zeit, daß der Islam bei seinem Weltkongreß in Mauretanien im August 1975 folgendes feststellte: "Eine echte Partnerschaft zwischen Christentum und Islam, den beiden größten Weltreligionen, ist natürlich und gottgewollt. Daher ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Christen und Muslim im Interesse des Weltfriedens und einer gesicherten Zukunft der Menschheit dringend geboten. ... Wir begrüßen jeden Schritt, der geeignet ist, das Gewebe der Mißverständnisse, das Christen und Muslime voneinander trennt, zu zerreißen. Wir wollen aber davon abkommen, uns gegenseitig zu bekämpfen und zu verunglimpfen und uns daranmachen, den Atheisten und jenen, die den Glauben an geistige und moralische Werte verloren haben, Gott zu bezeugen. Dieses Bemühen sollte der zentrale Punkt unserer gemeinsamen Gespräche sein: Daß wir unsere Hände vereinen zur Rettung der Menschheit vom reinen Materialismus und von der Unmoral."
Solche Worte sind ermutigend. Angesichts einer weitverbreiteten religiösen
Indifferenz und angesichts des atheistischen Kampfes gegen jede Religion
sollte der Glaube an einen Gott bei den Juden, Christen und Muslim zum
Friedensstifter werden in einer Welt, die hilflos geworden ist.
von Herrn Dr. Tarif Al-Samman
anläßlich des Beginns des 15. Jahrhunderts nach islamischem
Kalender
Die Islamischen Staaten feiern in diesem Jahr den Beginn des 15. Jhdts. d. Higra. Die Welt des Islam bildete einst eine kulturelle und politische Einheit. Ibn Batuta, einer der berühmtesten Reisenden des 14. Jhdts. n. Chr. schreibt, daß er auf seinen Reisen von Tanger bis China stets islamische Glaubensgenossen angetroffen habe.
Durch zunächst mongolische, dann tatarische und später westliche Invasionen wurde die geographische und mit ihr die politische und kulturelle Einheit des Islam zerstört.
Die islamischen Ideale des Monotheismus, der politischen und religiösen Toleranz, der sozialen Gleichberechtigung und der allgemeinen menschlichen Brüderlichkeit wurden weiter hochgehalten. Der Islam selbst verlor nicht an Substanz und bewahrte seine ursprüngliche ideologische Vorstellung bis zur heutigen Zeit. Für den Islam gibt es keine Unterschiede der Kaste, Hautfarbe oder Rasse und keine von Menschen gezogene Staatsgrenze. Stets waren Anhänger anderer Religionen den Muslim vollkommen gleichberechtigt. Christliche und jüdische Wissenschafter und Literaten wirkten an den Höfen islamischer Herrscher und trugen gemeinsam mit ihren islamischen Kollegen zum Aufbau der drittgrößten Kultur der Welt - der islamischen Kultur - bei, deren Spuren im gesamten Abendland zu finden und zu bewundern sind.
Aber auch freundschaftliche Kontakte und Beziehungen entstanden damals zwischen dem islamischen Morgenland und dem christlichen Abendland, und sie reichen weit zurück. Eine frühe Begegnung beider Völker fand im 8. Jhdt. statt und führte zu einem Freundschaftsbündnis. Karl der Große hatte Gesandte mit Opfergaben zum Heiligen Grab geschickt und als diese vor Harun erschienen und ihm die Wünsche ihres Herrn übermittelten, gewährte ihnen Harun nicht nur alle ihre Bitten, sondern schenkte Karl auch die Herrschaft über die Heiligen Stätten. Mit den zurückkehrenden Gesandten schickte Harun seinen eigenen Boten und ließ Karl zum Zeichen seiner Schutzhoheit über die Heiligen Stätten die Schlüssel der Grabeskirche übersenden. Der arabische Bote, begleitet von zwei, vom Abt des Klosters auf dem Ölberg ausgewählten Mönchen, überreichte dem inzwischen gekrönten Kaiser des Abendlandes die Kostbarkeiten in seiner Pfalz: ein Zelt und verschiedene gemusterte, farbige Teppiche von bestaunenswerter Schönheit und Größe, Seidenstoffe, Räucherwerk, Salben und Balsame sowie zwei Messingleuchter von wundervoller Größe und Form.
Das größte Aufsehen jedoch erregte das dortzulande noch nie
gesehene Wunderwerk einer Uhr. Der Beschreiber der Geschenke, Einhart,
berichtete über die sinnreiche Konstruktion: "Die Uhr war aus Messing
und mit bewunderungswürdiger Kunstfertigkeit zusammengesetzt. Eine
Wasseruhr maß den Verlauf der zwölf Stunden, bei deren Vollendung
zwei Kügelchen herabfielen und durch ihren Fall eine darunter befestigte
Zimbel ertönen ließen. Dazu kam noch die gleiche Anzahl von
Reitern, die zur vollen Stunde durch zwölf Tore heraussprangen und
durch den Schwung ihres Sprunges die Tore schlossen die vorher offen waren.
Aber noch viele andere Merkwürdigkeiten waren an dieser Uhr zu sehen,
das aufzuzählen jetzt zu weit führen würde", fügte
der Schreiber hinzu.
Hier spürte das Abendland zum ersten Mal, daß außerhalb
seines Weltkreises auch eine andere Welt existierte, die über ungeahnte
Wissenschaften, Fertigkeiten und Künste verfügte, kurzum eine
hervorragende Kultur besaß, die nur zu oft über das eigene Vorstellungsvermögen
hinausging.
Wie entstand überhaupt diese große Kultur, die damals alle benachbarten Kulturen übertraf? Wie konnte diese Kultur insbesondere die benachbarten Länder so beeinflussen, daß noch bis heute Spuren davon in vielen europäischen Ländern, sei es auf dem Gebiet der Technik, der Architektur, der bildenden Künste, des Kunstgewerbes, der Sprachen und in mannigfachen anderen Zweigen, anzutreffen sind?
Über die vorislamische Kultur sind einzelne Quellen aus dem Talmud, der Bibel und die Beschreibungen Herodots vorhanden. Sie berichten uns über Handel und Städtewesen, über Dämmebauten und Schlösser, aber auch über schmuckvolle und reiche Einrichtungen, was später auch Strabon und der Historiker al-Mas'udi bestätigten.
Nicht anders als bei den alten Hochkulturen wurzeln auch bei den Arabern wissenschaftliche und kulturelle Anfänge im Erbe älterer Kulturkreise. Wie die Babylonier von den Sumerern, die Griechen von den Ägyptern und Phöniziern gelernt hatten, nahmen auch die Araber das bereits vorhandene Wissensgut auf, um es selbst zu verarbeiten und in ihrem eigenen Kulturkreis fruchtbar werden zu lassen. Die politische Grundlage für diesen kulturellen Einschmelzungsprozeß war die neuentstandene arabisch-islamische Welt, geeint, trotz ihrer enormen Ausdehnung, durch eine einzige Sprache und durch eine einzige Religion. Denn der Begriff des Arabischen hatte sich von den im Inneren der arabischen Halbinsel siedelnden Sippen zur kulturellen und politischen Gesamtheit des neuen islamischen Gemeinwesens gewandelt.
Das wissensbegierige Volk tat was kein Eroberer getan hatte. Es errichtete Gebets- und Lehrstätten, um das vorhandene Wissensgut zu erhalten und weiterzugeben. Den Muslim war von Gott und seinem Propheten befohlen worden, zu lernen und nach Wissen zu streben. "Können Wissende und Unwissende gleich sein?", stellte ihnen Gott an einer Stelle die Frage. "Suche Wissen von der Wiege bis zum Grabe", hatte der Prophet gesagt, denn "wer nach Wissen strebt, betet Gott an", fügte er hinzu. "Das Studium der Wissenschaften hat den Wert des Fastens, die Lehre der Wissenschaften den Wert eines Gebets".
Erkenntnis der Schöpfung und ihrer Herrlichkeit vermochte für den Muslim, die Ehrfurcht vor dem Schöpfer nur zu vertiefen, für ihn erleuchtete das Wissen die Straße des Glaubens. "Erwirb sie, aus welcher Quelle sie auch stammen mag", empfiehlt der Prophet, und ähnliches findet sich in vielen anderen Sprüchen wieder.
Um das vorhandene geistige Erbe zu nutzen, schufen die Kalifen zunächst wissenschaftliche Zentren und Schulen, zu deren Aufgaben die Übersetzung griechischer, indischer und sonstiger fremdsprachiger Werke, in das Arabische, zählten. Sehr zustatten kam dabei, daß die Kenntnis der griechischen Sprache in Syrien und Persien erhalten geblieben war. Auch durch die Nestorianer, die sich nach ihrer Vertreibung aus dem Oströmischen Reich in der Stadt Ruha niedergelassen hatten, wurde das Griechische weiter tradiert. Auch waren, nachdem Kaiser Justinian 1. die wissenschaftlichen Schulen in Athen und Alexandria hatte schließen lassen, die dort wirkenden Wissenschafter nach Persien ausgewichen, wo Übersetzungen griechischer Werke in das Assyrische und Chaldäische entstanden.
Die Übersetzungswelle ins Arabische setzte bereits unter der Umayyadendynastie in Damaskus ein. Den Höhepunkt erreichte sie unter den Abbasiden, vor allem zur Zeit des Kalifen al-Ma'mun, der, wie es schon sein Vater Harun ar-Rashid getan hatte, den Fleiß der Wissenschafter und Übersetzer fürstlich belohnte. Eine Anzahl griechischer, assyrischer und indischer Werke wurden unter Ma'mun ins Arabische übersetzt, darunter die Werke des Aristoteles, Galenus, Ptolemaios, Hippokrates, Euklid und Archimedes.
So wie die ersten Abbassidenherrscher pflegten auch die anderen arabischen Fürsten die Wissenschaften. In allen großen islamischen Städten entstanden Zentren wissenschaftlicher Forschung. Alexandria z. B. beherbergte im 12. Jhdt. n. Chr. nicht weniger als 20 Schulen. Allein in Spanien wurden von den Arabern 70 öffentliche Bibliotheken geführt, unter ihnen Großinstitute wie die Bibliothek des Kalifen AI-Hakam 11. in Cordoba, deren Bestände etwa 600.000 Bände zählte und die durch einen 44 bändigen Katalog erschlossen wurde, wie die Quellen berichten. Abendländische Fürstenbibliotheken konnten auch in späteren Zeiten mit diesen Größenordnungen keinem auch nur annähernden Vergleich standhalten. So zählte z. B. 400 Jahre später die Bibliothek des französischen Königs Karl V. insgesamt etwa 900 Bände, von denen jedoch nur ein Drittel nicht-theologischen Inhaltes war.
Der hohe Stand, zu dem die islamische Wissenschaft sich im Laufe ihrer
Entwicklung erhob, war das Resultat eines konsequenten Strebens nach neuer
Erkenntnis. Methodisches Neuland wurde lange vor der abendländischen
Wissenschaft erschlossen.
Das Prinzip der empirischen Forschung in den Naturwissenschaften etwa
wurde bereits von hunderten arabischen Forschern, durch Versuche und Beobachtungen
vorweggenommen, lange bevor Roger Bacon diese Methode anwandte.
Die Universität in Granada hatte bereits mehrere Fakultäten, wie es sie noch heute an den östlichen und westlichen Universitäten gibt; Rechtswissenschaft, Medizin, Chemie, Philosophie, Theologie und Astronomie. Diese und andere Universitäten konnten nicht nur von den islamischen Spaniern besucht werden, sondern von Studenten aller Reiche und Religionen. Ein Historiker erwähnt, daß die Inschrift über dem Portal der Universität in Granada das damalige Ideal des Islam wiedergibt: "Die Welt wird von vier Dingen allein getragen: die Gelehrsamkeit des Weisen, der Gerechtigkeit des Großen, den Gebeten des Gerechten und dem Mut des Tapferen".
Die islamische Gelehrsamkeit brachte in der Philosophie des 8. und 9. Jhs. Männer hervor, wie al-Kindi und al-Farabi und im 11. Jhdt. den Philosophen-Dichter al-Ma'arri, der durch seine Risalat al-Gufran im Abendland bekannt wurde, die später als Vorlage für Dantes Divina Commedia dienten. Wir kennen aber auch al-Gazzali, Ibn Bagga, Ibn Rushd und den Arzt Ibn Sina (Avicenna) die Vermittler der aristotelischen Philosophie an die aufblühende mittelalterliche Scholastik und damit verbunden an Albertus Magnus und Thomas von Aquin waren. Bereits die Werke des Al-Balhi, al-Qazwini und al-Battani (al Batgenius) waren bahnbrechend für die Forschung und Entwicklung der Geographie, Astronomie und der dazugehörigen Mathematik, die in den Lehren des al-Hwarizmi (al-Gorizmus), der zwei berühmte Werke über die al-Gebra verfaßte, ihren Höhepunkt erreichte.
Ich möchte über die Chemie nicht viele Worte verlieren, beweisen doch die arabischen Namen wie Alkohol, Alkali, Alizaarin, Aloe, Bor, Natron, Sirup, Soda und viele andere die überragende Bedeutung des Orients auch auf diesem Gebiet. Ar-Razi Razes wandte seine Chemiekenntnisse auch in der Medizin an und war der erste, der Alkohol aus Stärke und Zucker gewann. Erst hundert Jahre später konnte Lavoisier diese Methode in Europa bekanntmachen.
Die ins Lateinische und Italienische übersetzten Werke Ibn al-Haitams und al-Hazins im 11. Jhdt. über Licht, Optik und die Arten der Spiegelungen, waren die wichtigsten Grundlagen für die weitere Entwicklung dieser physikalischen Wissenschaften und halfen Kepler nicht wenig bei seinen Forschungen.
König Ludwig XI. mußte für ein Buch 10 Mark in Silber und 100 Taler bezahlen, damit seine Leibärzte jederzeit eine Kopie als Nachschlagwerk bei möglichen Attacken auf die allerhöchste Gesundheit zur Verfügung hatten. Dieses Werk war das einzige derartige in seiner Bibliothek und enthielt das gesamte medizinische Wissen, von den alten Griechen bis zum Jahre 925 n. Chr.
Bei dem Werk von dem hier die Rede ist, handelt es sich um"al Hawi" im Abendland bekannt unter "continens" und verfaßt von Ar-Razes. Es umfaßt 30 Bücher, eine vollständige Enzyklopädie der gesamten Heilkunde von Hippokrates bis zur Zeit des ar-Razi. Ar-Razi war jedoch mehr als nur Arzt; er war auch Chemiker, Physiker und Pharmakologe. Er hinterließ mehr als 15 Werke und Abhandlungen über fiebrige Erkrankungen, Chirurgie, Anatomie, Vergiftungen, Ernährung und die Herstellung und Anwendung von Medikamenten.
Die Werke ar-Razis, Ibn Sinas, Ibn al-Abbas, Ibn Zuhr (avenzoar), Ibn Nafis, az-Zahrawis (Abulkasis) und vielen anderen, stellten die Hauptlehrwerke an den medizinischen Fakultäten des Abendlandes dar.
Die Kaltwassertherapie gegen Blutungen, Betäubungen vor Operationen, Lungenchirurgie und Herzdiagnose, Kreislaufbehiandlungen, gynäkologische Operationen und vieles andere waren ihnen damals schon bekannt. Die islamischen Spitäler Dar al-Marda (Bimaristan), mit ihren verschieden eingeteilten Räumen, bezeugen dem Besucher noch heute, wie fortgeschritten die Medizin damals war.
Die Musik galt im Islam als eine von der Physik und Philosophie abhängige
Wissenschaft. Philosophen und Naturwissenschafter beschäftigten sich
damit.
Zur Zeit der Abbasidenherrschaft entwickelte sich - so wie die anderen
Künste - auch die Musik sehr rasch. Auf Grund der vielen Bildquellen
aus dem islamischen Reich kann man ersehen, welche Musikinstrumente man
verwendete. Europäische Wissenschafter sind der Meinung, daß
die Mehrzahl der europäischen Musikinstrumente aus dem Vorderen und
Mittleren Orient stammen, was auf Grund der Bilder in den alten islamischen
Quellen leicht nachweisbar ist.
Verehrte Gäste, dies waren nur einige Wissenschaften, auf denen sich die islamischen Wissenschafter und Denker in hervorragendster Weise betätigten und uns demzufolge das Erbe einer Kultur hinterließen, ohne die wir ein halbes Jahrtausend länger gebraucht hätten, um auf den heutigen Stand der Wissenschaften zu kommen.
Allein der aus dem Orient ererbte Wortschatz in den europäischen
Sprachen bezeugt, wie viel wir von der islamischen Kultur übernommen
haben, und wie stark die Verschmelzung orientalischer und westlicher Kultur
ist.
Wer sich selbst und andere kennt, wird auch hier erkennen: "Orient
und Okzident sind nicht mehr zu trennen", so hatte es schon Goethe
ausgedrückt.